Die Erfindung der Welt - Lutz Spilker - E-Book

Die Erfindung der Welt E-Book

Lutz Spilker

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Beschreibung

Max kommt durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Er wird als siamesischer Zwilling geboren. Die ersten Jahre seines Lebens verbringen sie ausschließlich liegend. Eine komplizierte Operation trennt die Zwillinge schließlich voneinander. Max lebt weiter, sein Bruder stirbt. Max' Vater ist Lkw-Fahrer, selten zu Hause und kommt tragischerweise in einem Krieg ums Leben. Seit seiner Geburt lebt Max in einer – wie er meint – ungerechten Welt. Um davon Abstand zu gewinnen, verbringt er einige Zeit bei der älteren und verwitweten Schwester seines verstorbenen Vaters. Dort lernt Max eine ihm völlig unbekannte Welt kennen, denn er stößt zum ersten Mal mit der Weiblichkeit zusammen. Er lernt die attraktive Nachbarin seiner Tante kennen, bevor er sich in die Tochter des Hausdieners verliebt und diese auch heiratet. Geli, seine Frau, wird schwanger. Sie erwartet Zwillinge. Da noch einige Monate bis zur Geburt vergehen werden, beschließt das Paar eine Hochzeitsreise zu unternehmen. Und wieder lernt Max eine andere Welt kennen.

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von

Lutz Spilker

DIE ERFINDUNG DER WELT

DAS AUSSERGEWÖHNLICHE LEBEN DES MAX VON STRINDBERG

© 2023 by Lutz Spilker

ISBN Softcover: 978-3-347-90309-8

ISBN Hardcover: 978-3-347-90312-8

ISBN E-Book: 978-3-347-90314-2

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Über den Autor

Die Erfindung der Welt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Über den Autor

Die Erfindung der Welt

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Die Welt ist nicht da, um verbessert zu werden. Auch ihr seid nicht da, um verbessert zu werden. Ihr seid aber da, um ihr selbst zu sein. Ihr seid da, damit die Welt um diesen Klang, um diesen Ton, um diesen Schatten reicher sei. Sei du selbst, so ist die Welt reich und schön! Sei nicht du selbst, sei Lügner und Feigling, so ist die Welt arm und scheint der Verbesserung bedürftig.

Hermann Hesse

( * 2. Juli 1877 in Calw - 9. August 1962 in Montagnola, Schweiz) war ein deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Dichter und Maler.

Kapitel 1

Früher, wenn es Nacht war, lag Max sehr oft wach in seinem Bett und dachte über die Situation nach, in der er sich befand. Dann kam er sich wie ein an seinen Bruder geketteter Sklave vor. Es glich einem Gefängnis, dennoch er sich weder eines Vergehens schuldig gemacht hatte, noch eine Haftstrafe verbüßte.

Seinetwegen lag er jedoch wach da und fand keinen Schlaf. Es war nicht das erste und das letzte Mal würde es wahrscheinlich auch nicht sein.

Max wurde reizbar, angriffslustig und egoistisch. Er suchte keinen Streit, bloß seinen Vorteil, um endlich schlafen zu können. Manchmal fehlte ihm der erholsame Schlaf und das bereits seit einigen Jahren. Er konnte sich aber weder hin noch herdrehen, ohne seinem Zwillingsbruder zwangsläufig Schmerzen beizubringen. Es wäre zwar unabsichtlich passiert, aber es wäre passiert.

Umgekehrt gestaltete es sich ebenso und somit verließ sich jeder der beiden auf das Wohlwollen des anderen. Es war unumgänglich … es entsprach der Gegebenheit und stellte sich mit der Zeit als normal dar.

Die Stelle, mit der er an seinem Bruder festgewachsen war, hätte nicht misslicher sein können. Wahrscheinlich kann sich kein anderer Mensch vorstellen wie es ist, ununterbrochen an einen anderen Menschen gebunden zu sein, sodass es fast unmöglich erscheint, selbst eine einigermaßen entspannende Körperhaltung einzunehmen.

In ihrem Bett und in der Wohnung lagen überall Kissen in den unterschiedlichsten Größen und Formen herum. Damit konnte man den Zwillingen eine erträgliche Position herrichten und ihre Körper gleichzeitig stabilisieren.

Außer einem Gymnastik- und einem Privatlehrer, der sich um die vorschulischen Belange kümmerte, kamen keine Personen zu Besuch.

Einerseits war ihr Anblick erschütternd und andererseits erschreckend. Würden sie doch bloß in ein und dieselbe Richtung schauen können! Welche Lage mussten die beiden Körper zueinander gehabt haben, um während der Schwangerschaft an diesen Stellen zusammenwachsen zu können, fragte sich Max immer wieder.

Seine Welt war nicht die eines anderen, das hatte er bereits begriffen. Er musste die Welt, in der er lebte, ganz neu für sich erfinden und verstehen lernen.

Jede Sekunde sehnte er den Moment der operativen Trennung herbei, denn dieser Gedanke blühte wie eine Knospe in ihm, seit seine Mutter zum ersten Mal davon sprach. Doch noch, so lautete jedenfalls die Aussage der zuständigen Ärzte, wären sie zu schwach. Sie müssten mindestens vier oder fünf Jahre alt sein, um den operationsbedingten Belastungen standhalten zu können.

Gab es schon immer siamesische Zwillinge? Sie müssen früher anders geheißen haben, schließlich entstand Siam nicht in der Antike. Und davor? Wofür wurden solche Geburten zu früheren Epochen gehalten? Als eine Art Rache der Götter? An wem? An wem würde sich ein Gott rächen wollen? An der Mutter, dem Vater oder an den zusammengewachsenen Kindern? Wird Rache nicht eher den menschlichen Empfindungen zugeschrieben und nicht denen der Götter? Andererseits heißt es jedoch, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schuf … vielleicht galt es aber auch als Strafeoder als Warnung? Bloß wofür bzw. wovor? Herrscht im Himmel etwa Langeweile, sodass diese Fragwürdigkeit das Ergebnis einer bizarren Freizeitbeschäftigung wäre? Wurden früher doppelfehlgebildete Kinder gleich nach deren Geburt beseitigt? Wie muss man sich eine solche Geburt vorstellen, zumal es den Kaiserschnitt nicht schon zu Zeiten der Antike gab?

Max war später in zu vielen Momenten außer sich und voller Fragen. Er machte sich über seine Situation sehr viele Gedanken. Die ihm aufgebürdete Alternativlosigkeit, im Sinne eines kaum zu ertragenden Lebens, forderte ihm alles ab.

Wäre es in seinem Bruder auch so vorgegangen? Würde er sich ebensolche Fragen gestellt haben? Max sprach nie darüber.

Damals im Kleinkindalter, war sein Zwillingsbruder tatsächlich der Schwächere … es wurde immer deutlicher. Hatte er etwa schon aufgegeben? Hätte er ehrlich darauf geantwortet, würde man ihn damals danach gefragt haben? Wahrscheinlich nicht.

Sobald Menschen anfangen, ihr Bewusstsein zu erkennen, legen sie für den Rest ihres ganzen Lebens eine Maske an, die sie nur zu sehr wenigen Momenten wieder abzulegen bereit sind. Dahinter verbergen sie ihr wahres Gesicht. Das Tragen dieser Maske findet eigenartigerweise nur in Gesellschaft statt und passiert automatisch … das heißt unterbewusst. Das Verbergen der eigenen Person gilt somit dem Schutz. Niemandem wird Einblick in die Tiefen einer Person gestattet und dazu zählt auch die Wahrheit. Schon deshalb würde Max' Bruder wohl kaum wahrheitsgetreu antworten. Allein sein Verhalten ließ Rückschlüsse darauf zu.

Und Wahrheit, sinnierte Max vor sich hin, was soll das überhaupt sein? Eine nicht genormte Größe, die lediglich dann ihre Existenzberechtigung erfährt, wenn es der Augenblick gestattet … schon einen Wimpernschlag später wird aus der Wahrheit eine Unwahrheit oder sogar eine Lüge. Selbst Paare, die ihr Leben bereits 30, 40, 50 oder noch mehr an Jahren teilen, kennen nicht zwingend das wahre Gesicht des anderen. Möglicherweise verschweigt der Lebenspartner insgeheime Wünsche, die nur in den eigenen Gedanken existieren dürfen. Existieren vielleicht sogar unterschiedliche Arten von Wahrheit?, überlegte er.

Und die bevorstehende Operation, welche die Zwillinge voneinander trennen sollte? Gefährlich sei der Eingriff auf jeden Fall, meinten die zuständigen Ärzte. Jede Operation berge letztlich Risiken in sich, lamentierte einer der Mediziner.

»Glück – wenn man es überhaupt so nennen darf – wäre«, so ließ ein anderer der Herren in den weißen Kitteln verlauten, »dass kein lebenswichtiges Organ in Mitleidenschaft gezogen wird und auch sonst keine erkennbaren Insuffizienzen vorhanden sind.« Die Lebensqualität der beiden erführe einen immensen Sprung, hieß es dann noch aus der Gruppe der verantwortlichen Chirurgen. Es klang so, als wolle man sich damit selbst Mut machen. Niemand müsse sich Sorgen oder ernsthafte Gedanken machen, war die Botschaft. Es klang wie die Verabredung zu einer Wanderung, die sich quer über eine Ebene bewegen wird und nur leichte Unebenheit aufzuweisen hätte.

Nach 34 Stunden war es dann endlich so weit. Max lag nicht mehr auf dem OP-Tisch, sondern in einem Bett des intensiv betreuten Bereichs der Aufwachstation des Klinikums, in dem die komplizierte Operation durchgeführt worden war.

Langsam und auch ein wenig ängstlich machte er die Augen auf. Starke Schmerzen waren nicht vorhanden. Allerdings befürchtete er, welche zu spüren, sobald die Wirkung der Narkose gänzlich nachlassen würde.

Sein Kopf fühlte sich ganz anders an. Er war so leicht, als wolle er davonfliegen. Zum ersten Mal spürte Max nichts mehr, was seinen Kopf festhielt.

Vielleicht war es schändlich, aber er freute sich unbändig, endlich frei zu sein. Bis zu diesem Moment war Freiheit für ihn nur ein Wort, mit dem er nichts anfangen konnte und auf eine andere Art interpretierte. In diesem Augenblick gewann es für ihn an Bedeutung.

Zum ersten Mal fühlte er sich allerdings auch allein, obwohl das komplette OP-Team um ihn herumstand und ihn ebenso staunend wie betulich anschaute.

Max hieß eigentlich Maximilian, doch seltsamerweise wurde er nur dann so genannt, wenn man mit ihm schimpfte oder über ihn gesprochen wurde.

Bis zum Erreichen ihres vierten Lebensjahres wuchsen sie zusammen auf. Sie waren an ihren Hinterköpfen zusammengewachsen und kamen per Kaiserschnitt zur Welt. Die vorherigen Untersuchungen ließen keine andere Möglichkeit als diese Art von Geburt zu. Max' Mutter wusste im Vorhinein, dass ihre Kinder siamesische Zwillinge sein würden. Sein Vater nahm die Nachricht auch als Schock auf. Doch bei Weitem gestaltete sich seine Reaktion nicht so, wie es allgemein erwartet wurde. Es vermittelte fast den Eindruck, als hätte er damit gerechnet und wäre darauf gefasst.

Wie einer der Ärzte bereits sagte, teilten sie sich glücklicherweise keinerlei Organe. Der Zusammenwuchs bildete lediglich am Schädelknochen eine Gemeinsamkeit, welche die Größe der Schnittfläche eines halbierten Golfballs ausmachte. Allerdings liefen geringe Teile des Blutkreislaufs über diese Verbindung.

Jedes ihrer Gesichter schaute in eine andere Richtung. Bisher standen sie sich noch nie von Angesicht zu Angesicht gegenüber, wobei Stehen für sie ohnehin nicht möglich war.

Irgendwann gab ihre Mutter ihnen einen Spiegel. Nur so konnten sie sich selbst und auch ihren Zwillingsbruder auf einmal sehen.

In der Mitte ihres Kinderbetts befand sich auf jeder Seite ein sogenanntes Komfortloch, wie man es auch von Massageliegen her kennt. Dort hinein legte jeder sein Gesicht, während das des Bruders zur entgegengesetzten Seite gerichtet war.

Sie schliefen in einem extralangen Bett mit den Füßen zum jeweiligen Kopfende gerichtet. Jeder lag um 180° zum anderen gedreht. In den ersten vier Jahren ihres Lebens war es ihnen nur in dieser Position möglich, sich zur Ruhe zu begeben. So gesehen verbrachten sie – bis auf sehr wenige Ausnahmen – ihre komplette Zeit liegend in ihrem Kinderbett.

Scham und das Gefühl von Peinlichkeit besaßen sie noch nie. Diese Empfindungen konnten sich bei ihnen gar nicht erst etablieren, da sie beide seit Beginn ihres Lebens zusammengewachsen waren. Sie mussten alles im Beisein des anderen vollführen; es existierte keine Alternative. Für sie war der Zustand, ständig zu zweit zu sein, völlig normal.

Ihre Mutter versorgte sie so gut es ging und erfüllte ihnen fast jeden Wunsch. Wenn ihr Vater zu Hause weilte und das war extrem selten der Fall, lernten sie ihn als fürsorglichen Mann kennen, der sie über alles in der Welt liebte.

***

Erst vor Kurzem und zwar nach der Operation, als Max bereits wieder zu sich gekommen war und sich die Realität ganz langsam wieder zu aktivieren begann, wusste er, dass die Welt ohne seinen Bruder eine andere geworden war. Unwillkürlich suchte er die Nähe zu ihm und fasste an die Stelle, an der sie seit ihrer Geburt zusammengewachsen waren. Da war nur ein Verband … sonst nichts … noch nicht einmal das Gefühl war da. Sein Bruder war nicht mehr da, wo er ihn vermutete, weil er immer dort war.

Umgehend fragte er nach ihm. Er läge auf einer anderen Station, wo man sich besser um ihn kümmern könne, weil er die OP nicht so ohne Weiteres überstanden hätte, hieß es. Max war mit dieser Aussage zunächst zufrieden. Dass es seinem Bruder gut ging und man sich um ihn kümmerte, beruhigte ihn.

In letzter Zeit verzeichnete Max schon öfter eine spürbare Änderung seines Bruders. Er merkte sofort, wenn irgendetwas anders war als sonst. Aufgrund seiner kindlichen Fragen, die er an seinen Bruder richtete und den stereotypen Antworten, dass alles okay sei, war er letztlich auch davon überzeugt, dass wirklich alles in Ordnung wäre.

Auffällig war jedoch, dass er die Anwesenheit seiner Mutter noch öfter bemerkte, als es ohnehin der Fall war. Sie kümmerte sich in ihrer hingebungsvollen Art um Max' Bruder und telefonierte erheblich häufiger mit der Klinik als sonst.

Eigenartig.

Irgendwas geht da vor, schoss es Max durch den Kopf. Die komplizierte und langwierige OP war schon seit geraumer Zeit geplant. Sie wurde zwar als erforderlich, nicht jedoch als dringlich – im Sinne einer zu erwartenden gesundheitlichen oder lebensbedrohlichen Gefahr – eingestuft.

Und dann ging alles ganz schnell. Die endgültige Entscheidung des Klinikums war da. Maßgeblich dafür war die komplette Verfügbarkeit aller beteiligten Ärzte. Die Durchführung der OP duldete somit keinen weiteren Aufschub. Diese Umstände waren allen Beteiligten von vornherein bekannt.

Max spürte die von seiner Mutter ausgehende Nervosität und fragte, was los sei. Er bekam keine konkrete Auskunft. Schließlich war er ein kleines Kind und sie wollte ihn nicht mit Dingen behelligen, von denen er noch nichts verstand. Sie sprach lediglich von der bevorstehenden Operation. Die OP war ganz plötzlich erforderlich geworden, um eine Blutvergiftung zu vermeiden.

Dass Max' Zwillingsbruder allerdings vor ein paar Minuten verstorben war, erwähnte sie nicht. Als sie mit einem der Ärzte telefonierte und ihm die Sachlage schilderte, wurde sie zunehmend panischer und redete mit Händen und Füßen. Schließlich hing Max an einer Leiche fest und weder er noch sie konnten etwas dagegen tun.

Der Arzt versuchte sie zu beruhigen; sie müsse sich keine Gedanken wegen einer Blutvergiftung machen, wenn beim Toten keine ernsthaften Krankheiten vorgelegen hätten.

Wenn keiner der Zwillinge außerhalb der regelmäßigen Untersuchungen über Schmerzen klagte oder sonstige sichtbare Verletzungen aufwies, war sie immer der Ansicht, dass alles in Ordnung sei. Schließlich könne sie nicht in jemanden hineinschauen, erklärte sie dem Arzt.

Max' Blutkreislauf war aufgrund der Fehlentwicklung ständig mit dem seines Bruders verbunden. Er bekam zwar immer wieder von seinem Bruder zu hören, dass alles in Ordnung sei, doch die zu hörende Stimme klang nicht mehr so kräftig wie sonst.

Immer wieder brach sein Zwillingsbruder zusammen und zog ihn dann mit. Selbst wenn sie nur da lagen, merkte er es. Es war nicht nur unangenehm, sondern teilweise auch sehr schmerzhaft. Oftmals blieb sein Bruder minutenlang danach ohnmächtig. Wenn Max keine Reaktion mehr von seinem Bruder verspürte, schrie er nach seiner Mutter und die lief dann aufgeregt umher … sie konnte dann nichts anderes mehr tun, als nach einem Notarzt zu rufen.

Max' Bruder war bereits gestorben, bevor sie sich auf dem Weg ins Klinikum befanden, sagte Max' Mutter den bereitstehenden Ärzten. Wahrscheinlich würde es sich sogar herzlos anhören, aber sie müssten ihn nur noch abschneiden und Max nichts davon erzählen, bat sie.

Wenige Stunden zuvor

Max' Mutter war zu Bett gegangen, nachdem sie noch einen Blick ins Kinderzimmer warf und alles friedlich vorfand. Mit der Gewissheit, dass ihre beiden Söhne fest schliefen, kehrte auch bei ihr die allabendlich erwartete Ruhe ein, die sie zu manchen Zeiten bereits den ganzen Tag herbeisehnte.

Alle Lichter waren gelöscht.

Es war stockdüster und die Zwillinge lagen im Kinderbett und schliefen fest. Eigentlich schlief lediglich Max sehr fest, während sein Bruder offenbar wieder einen seiner Albträume hatte und sich unruhig von einer Seite zur anderen wälzte. Da die beiden an ihren Köpfen zusammengewachsen waren, bewegte sein Bruder auch ihn, und zwar bei jeder Drehung. Das geschah – seitens seines Bruders – unabsichtlich und während eines Albtraums, doch es war sehr schmerzhaft.

Jäh wachte Max auf.

Er lag mit dem Gesicht nach unten, was bedeutete, dass sein Zwillingsbruder mit dem Gesicht nach oben lag. Er hörte ihn laut stöhnen und hecheln, als würde er gegen ein Ungeheuer kämpfen oder vor ihm davonrennen.

Max tobte innerlich.

Er war extrem wütend, denn er wollte schlafen. Von Sekunde zu Sekunde steigerte sich seine Wut und er weinte vor Schmerzen, weil die Bewegungen seines Zwillingsbruders immer heftiger wurden.

Langsam schien auch Max' Bruder aufzuwachen. Allerdings realisierte er die Situationen noch nicht richtig. Seinem Verhalten nach wähnte er sich offensichtlich noch immer im Traum und begann erst leise, doch dann immer lauter zu schreien. Offenkundig hatte er Angst.

Genau deswegen standen die Zimmertüren nachts immer weit auf. Max' Mutter wollte permanent über jeden noch so kleinen ›Pieps‹ aus dem Kinderzimmer informiert sein und als Max' Bruder immer lauter wurde, saß sie umgehend wach im Bett.

Derlei Geräusch hörte sie nicht zum ersten Mal, denn diese stets wiederkehrenden Träume weckten sie in den vergangenen Jahren bereits des Öfteren. Dann schwang sie die Beine zur Seite, streifte sich – während sie sich bereits auf dem Weg ins Kinderzimmer befand – ihren Morgenmantel über und schaltete das Flurlicht ein, um sich besser orientieren zu können. Doch als sie das Kinderzimmer erreichte, war alles so still wie zuvor.

Kein Geschrei.

Niemand drehte sich wild hin und her. Alles schlief und lag friedlich da.

Wenige Sekunden zuvor trommelten Max' kleine Fäuste auf den Zwillingsbruder ein, so wütend war er. Da er mit dem Gesicht nach unten lag und nicht sah, wo er seinen Bruder traf, empfand er seine Faustschläge als bloße Entladung seiner Wut. Aber einer dieser unkontrollierten Hiebe traf auf seines Bruders Hals und verletzte wahrscheinlich den Kehlkopf.

In diesem Augenblick entstand umgehend Ruhe. Max schlief direkt wieder ein. Seine Mutter löschte erneut das Licht und ging auch wieder zu Bett. Am nächsten Morgen konnte sich Max an nichts mehr erinnern, was in der Nacht vorgefallen war.

Kapitel 2

Was niemand vermutet hätte

Kurz bevor der Notarztwagen die Zwillinge und ihre Mutter abgeholt hatte und sie noch einmal mit einem der Ärzte telefonierte, brach Max' Zwillingsbruder zusammen, wurde ohnmächtig und kam nicht mehr zu sich. Sie fühlte keinen Puls mehr und so blieb es. Die Ärzte meinten, er wäre erstickt.

Offenbar waren es die Folgen von Max' Schlag auf den Hals seines Bruders. Dabei verletzte er wahrscheinlich mehr, als im ersten Moment erkennbar war. Er selbst wusste nichts davon. Er spürte zwar keine Reaktion mehr von seinem Bruder, doch daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt … er spürte jedoch, dass irgendetwas nicht so war, wie sonst.

Keiner der Ärzte ließ etwas verlauten. Damit entsprachen sie der Bitte, um die sie Max' Mutter anflehte. Der Tod von seinem Zwillingsbruder sollte ihm gegenüber so lange wie möglich verheimlicht werden.

Max war wieder zu Hause und fühlte sich wohl.

Sein Bruder, so sagte man ihm, solle noch einige Zeit unter Beobachtung in der Klinik bleiben und müsste absolute Ruhe haben. Man dürfe ihn weder besuchen noch mit ihm telefonieren. Nur so konnte seine Mutter den Zustand fortführen. Max fragte allerdings immer wieder nach seinem Bruder. Ständig wollte er wissen, wie es ihm ging und wann er ihn das nächste Mal sehen könne.

Quälende Tage vergingen

Anfangs musste ihn seine Mutter weiter belügen, doch dann sagte sie ihm endlich die Wahrheit.

Max verstand das alles nicht. Er bemerkte nur, dass sein Bruder nicht mehr da war und wahrscheinlich auch nie mehr bei ihm sein würde.

Da er weder dauerhaft sitzen, noch gehen oder stehen konnte, weil seine Muskulatur vom ständigen Liegen immer noch zu schwach war, wurde er von seiner Mutter meistens getragen.

Sie setzte ihn auf sein Bett, als würde sie ein Paket abstellen. Er ließ sich nach hinten fallen, drehte sich auf den Bauch und begann wütend in das Kissen zu schreien.

Seine Mutter ließ ihn seine Wut ablassen, nahm ihn dann wieder zu sich auf den Arm und tröstete ihn.

Er schaute sich um und betrachtete das Zimmer, in dem er den Anfang seines Lebens verbrachte und die Welt aus einer recht eigentümlichen Perspektive kennenlernte, erstmals sehr ausführlich.

Und dann sah er sich zum allerersten Mal im Spiegel.

Im Arm seiner Mutter, aber allein. Nichts hielt ihn fest, nichts hing an ihm und nichts schränkte seine Bewegungen ein.

Wohin er seinen Kopf auch bewegte, niemand reagierte mit einem Geräusch darauf. So war es jedoch all die Jahre zuvor, die er nicht eine einzige Sekunde ohne seinen Zwillingsbruder verbrachte. Einerseits war es unbeschreiblich, doch andererseits fehlte ihm etwas, was er nicht ausdrücken konnte. Er hielt sich fest an seine Mutter und spürte, dass er sie sehr liebhatte.

In Max stieg das Gefühl hoch, dass ihn die OP neu auf diese Welt kommen ließ. Eine Welt, die es eigentlich nicht gab … er musste sie für sich erst erfinden.

Max' kleine Welt wurde mit einem Schlag noch kleiner. Seit seiner Geburt waren die beiden im wahrsten Sinn des Wortes unzertrennlich.

Nie war er allein.

Sein Bruder war für ihn zu einer lieben Last, wie auch zu einer ebensolchen Besonderheit geworden, die er niemals mehr missen wollte. Doch nun war diese Gewohnheit nicht mehr da. Sie fehlte und riss eine kratergroße Lücke in sein Leben. Max fühlte sich ohne seinen Zwillingsbruder so unvollständig, als besäße er an jeder Hand bloß einen Finger.

***

Max' hörte seine Mutter telefonieren. Tante Ulli sagte sich zur Beerdigung an. Vielleicht war sie sogar schon bei der Taufe der beiden Zwillinge anwesend. Max hätte sich bestimmt nicht mehr daran erinnern können.

Ein Taxi brachte sie vom Bahnhof daher. Plötzlich klingelte es an der Türe. Seine Mutter ging zum Öffnen hin und dann kamen die beiden Damen ins Zimmer. Tante Ulli trug einen großen Hut und ein Schleier verdeckte ihr Gesicht.

Damals lernte Max sie kennen, wenn auch nur recht kurz. Genau genommen sprachen sie außer »Guten Tag!« und »Wie geht’s?« kaum miteinander. Sie nahm ihn als den anderen, noch verbliebenen Zwilling zur Kenntnis, fuhr einmal mit der Rückseite ihrer rechten Hand über seine Wangen und grinste ihn freundlich an, weil es sich – ihrer Ansicht nach – so gehörte. Für sie war es demnach eine lästige Pflichtübung.

Max sollte wissen, dass er auch eine Tante besaß. Sie war die ältere Schwester seines Vaters. Als sie ihm über sein Gesicht fuhr, kratzte es. Sie trug diese Art von Handschuhen, deren Aussehen einem Netz ähnelten.

Nebenher liefen die notwendigen Vorbereitungen für eine schlichte Beerdigung. Sie sollte bloß im engsten Kreis stattfinden.

Seine Mutter wünschte sich, dass er zumindest am Grab aufrecht stehen könne, doch das wurde nicht der Fall. Dazu war er noch immer zu schwach. Trotz der täglich stattfindenden Gymnastik war sein Gleichgewichtssinn kaum ausreichend ausgeprägt. Schließlich konnte er später erst in einem Alter richtig laufen, in dem andere Kinder bereits eingeschult wurden. Selbst das aufrechte und stabile Sitzen fiel ihm noch immer schwer. Um den Körper gerade zu halten, fehlten ihm die Übung, die Kraft und die Gelegenheit, da er vorher ständig lag. Tante Ulli schenkte all diesen Dingen kaum Beachtung. Kinder waren ihr fremd.

Am nächsten Tag erfolgte die Beerdigung. Max saß in einem offenen Kinderwagen. Gehen konnte er noch nicht und ihn ständig auf dem Arm zu halten, war seiner Mutter zu anstrengend. Tante Ulli hielt es ohnehin für komisch, einen großen Jungen – wie sie es nannte – auf dem Arm zu tragen.

Und dann erreichten sie den Friedhof. Alles, woran sich Max später noch erinnern konnte, war die Kante des Grabes, weil man ihn direkt bis vor die Grube schob.

An Seilen wurde der schneeweiße Kindersarg von den Totengräbern bis zum Erdboden abgesenkt. Max war das einzige Kind weit und breit. Für ihn war das alles fremd.

Irgendeine Frauenstimme flüsterte ihm von hinten zu, dass sein Bruder in diesem Sarg liegen würde. Max' Gesicht war voller Tränen. Er nahm ohnehin kaum etwas wahr und zu wem die flüsternde Stimme gehörte, erfuhr er nie.

Erst viele Jahre später wurde ihm klar, dass nur er, seine Mutter, Tante Ulli und die Leute, die sich um das Grab kümmerten, anwesend waren. Sonst niemand. Keine weitere Tante, kein Onkel, kein Neffe und keine Nichte. Nicht ein einziger Verwandter und kein einziger Nachbar. Gab es keine weiteren Verwandten? Hatten seine Eltern keine Geschwister, die wiederum eigene Kinder hatten? Max wusste es nicht. Gab es keine Bilder, auf denen er schon einmal andere Leute sah? Offenbar nicht.

Hatte er das alles bloß geträumt?

War er zum Opfer seiner eigenen Fantasien geworden? Nein!

Alles hatte sich genauso ereignet.

Aber warum verfestigte sich bei ihm der Eindruck, dass vieles verschwiegen worden war? Auch wollte sich später niemand mehr an seinen Bruder erinnern und dass er irgendwann einmal beerdigt wurde, weil er bei dieser Operation ums Leben kam.

Max fragte seine Mutter und hatte das Gefühl, auch von ihr keine klare Auskunft zu vielen seiner Fragen zu erhalten.

War er zu neugierig? Und dann erfuhr er von seiner Mutter noch eine weitere Mitteilung, die seinen Vater betraf.

Der war nämlich auch nicht zur Beerdigung erschienen. Seine Mutter begründete die Abwesenheit mit einem unaufschiebbaren Auftrag, der eine Menge Geld einbrächte. Diese Aussage klang für den seinerzeit noch recht kleinen Max absolut überzeugend. Die Durchführung so mancher Jobs fand nie ohne eine gewisse Angst seitens seiner Mutter statt … schließlich hätte immer etwas schiefgehen können.

Am nächsten Tag nach der Beerdigung reiste Tante Ulli wieder ab. Alles machte einen unwirklichen Eindruck. Als ob nichts geschehen wäre, griffen die Routinen des Alltags wieder um sich und beanspruchten die dazugehörigen Personen.

Max' Leben passierte nun so, als hätte es nie anders stattgefunden.

Kapitel 3

Max' Vater war als Fernfahrer ständig unterwegs. Er arbeitete für ein Unternehmen, das nur spezielle Touren mit nicht näher deklarierter Ware unter einer wetterfesten Plane transportierte. Meistens wurde die Fracht in die Länder transportiert, die gegen andere Staaten Krieg führten, in denen eine Revolution stattfand oder eine dubiose Organisation die Fäden in der Hand hielt.

Das Frachtgut gelangte aufgrund gefälschter Papiere durch den Zoll und mittels korrumpierter Beamter in das Bestimmungsland. Da er schon einige Jahre für die Firma tätig war und das Vertrauen des Chefs – den er noch nie zu Gesicht bekommen hatte – genoss, wurden ihm die entferntesten Fahrten zugeteilt. Alles ließ sich auf dem Landweg erreichen und je weiter das Ziel entfernt lag, desto besser wurde die Tour bezahlt … im Gegenzug war er immer seltener zu Hause, doch umso inniglicher wurde sein Verhältnis zu seiner Frau und zu seinen Söhnen. Am Armaturenbrett seines Lasters prangten keine Bilder von ihnen, denn wer seine Familie zur Schau stellte, war leichter erpressbar. Offenbar handelte es sich hierbei um eine Ausnahmeregel, die sein Vater auch erst kennenlernte, als er gewisse Regionen ansteuern musste.

Nach der Geburt der Zwillinge wollten Max' Eltern keine weiteren Kinder mehr. Es hatte den Anschein, als hätten sie den Mut verloren, denn eigentlich sollten die Zwillinge noch ein Schwesterchen bekommen. Nach dem tragischen Tod seines Bruders blieb Max das einzige Kind.

Eines Tages bekam sein Vater die Möglichkeit, eine spezielle Ladung in eines dieser krisenbetroffenen Länder zu bringen; ihn lockte die Prämie und somit sagte er zu. Er war der Richtige für diesen Auftrag, weil es mit ihm keine Probleme gab.

Also fuhr er los.

Kurz vor dem Ziel wurde er von einer Militärpatrouille gestoppt. Seltsamerweise wurde alles kontrolliert. Das war höchst ungewöhnlich. Dabei wurde auch die Ladung untersucht. Handelte es sich um neues oder gar linientreues Personal, das man zu bestechen vergaß?

Max' Vater konnte sich nicht 'rausreden. Nachdem er die Plane entfernt hatte, war die Sachlage klar: Er transportierte Waffen. Er war schon froh, nicht auf der Stelle erschossen zu werden, denn damit hatte er gerechnet.

Stattdessen wurde er vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder für das Land in den Krieg zu ziehen, das der eigentliche Feind des Staates war, welchen er beliefern sollte. Für keines der beiden Länder hegte er besondere Sympathie.

In einer Zelle zu sitzen und auf etwas zu warten, was vielleicht nie passieren würde, stellte er sich allerdings als Folter vor, warum er sich schließlich für den Krieg entschied. Schon bald darauf fand er seinen Tod, mit einer Kugel im Rücken. Offenbar sollte der Krieg bloß die Hinrichtung eines Verräters vertuschen und wurde als gefällige Kulisse benutzt.

***

Max' Erinnerungen bildeten eine lange Strecke. Er kehrte in sich, erschrak und hielt inne.

Schon fast 14 Jahre lag die Operation mittlerweile hinter ihm und er dachte immer weniger an die Zeit zurück, in der er noch an seinen Bruder gebunden war und sich nicht annähernd so frei bewegen konnte, wie es ihm jetzt möglich war.

Manchmal dachte er mit Wehmut an die früheren Tage zurück und manchmal erwischte er sich sogar dabei, froh darüber zu sein, seine Fesseln abgelegt zu haben. Einerseits schämte er sich dann und andererseits stimmte es ihn kaum noch betroffen.

Was wäre sein Bruder für ein Mensch geworden, wenn er wieder zum Leben gefunden hätte? Max erkannte, dass die Fragen, die er dem Universum stellte, unbeantwortet bleiben würden.

Die Operation hatte sie getrennt und dafür trug er keine Verantwortung. Bewusst war es ihm schon, doch er machte sich dennoch Vorwürfe.