Die erstaunliche Entdeckungsreise der Maureen Fry - Rachel Joyce - E-Book
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Die erstaunliche Entdeckungsreise der Maureen Fry E-Book

Rachel Joyce

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Beschreibung

Für alle, die Harold Fry geliebt haben: die berührende Geschichte seiner Frau Maureen, die den Weg aus der Trauer zu Trost und Heilung findet. »Zutiefst bewegend und voller Menschlichkeit. Ich liebe jedes Wort.« Bonnie Garmus, Autorin von »Eine Frage der Chemie« Vor zehn Jahren machte sich Harold Fry zu Fuß auf seine große Reise, um eine Freundin zu retten. Doch die Geschichte ist noch nicht vorbei. Jetzt erhält seine Frau Maureen eine unerwartete Nachricht, die sie um ihre Ruhe bringt. Und dieses Mal ist sie an der Reihe, ihre eigene Reise anzutreten. Aber Maureen ist nicht wie Harold. Sie fährt mit ihrem Wagen los. Es fällt ihr nicht leicht, sich fremden Menschen zu öffnen. Sie hat keine Vorstellung davon, was sie am Ende der Straße finden wird. Sie weiß nur, dass sie dort ankommen muss. Harold und Maureen Fry: der bewegende Film über Harold Frys Pilgerreise ist ab Ende Oktober in den Kinos - mit Jim Broadbent und Penelope Wilton. »Lebensbejahend, voller Mitgefühl und Zartheit.« Observer Die Reihenfolge der Trilogie: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (Band 1) Das Geheimnis der Queenie Hennessy (Band 2) Die erstaunliche Entdeckungsreise der Maureen Fry (Band 3)  

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Seitenzahl: 166

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ähnliche


Rachel Joyce

Die erstaunliche Entdeckungsreise der Maureen Fry

Roman

 

Aus dem Englischen von Maria Andreas

 

Über dieses Buch

 

 

Es ist nie zu spät zu heilen

 

»Jetzt, da sie unterwegs und in Gang gekommen war, spürte sie keine Nervosität mehr, sondern eher ein kaum erklärbares Gefühl, dass sie das Richtige tat.«

Maureen Fry hat sich in das ruhige Leben eingefunden, das sie mit ihrem Ehemann Harold teilt, nachdem er einst seine legendäre Wanderung durch England gemacht hat. Aber nun, zehn Jahre später, erhält sie eine unerwartete Nachricht aus dem Norden, die ihr Gleichgewicht erschüttert. Und dieses Mal ist sie an der Reihe, ihre eigene Reise anzutreten.

Aber Maureen will es anders machen als Harold. Sie möchte rasch mit ihrem Wagen vorankommen und hat doch Sorge, ob sie die Strecke bewältigen wird. Denn so wenig sie sich selbst zutraut, so wenig erwartet sie auch von fremden Menschen, die ihr begegnen, schon gar nicht Wärme oder Hilfsbereitschaft. Sie kann sich nicht vorstellen, wie die Stationen ihrer Reise aussehen werden. Umso erstaunlicher sind die Entdeckungen, die auf ihrem Weg liegen.

»Mutig erforscht Joyce menschliche Gefühlswelten. Maureens Pilgerreise zeigt, was es bedeutet, Heilung zu finden und das Schicksal anzunehmen.« Sunday Times 

»Rachel Joyce ist ein Genie. Niemand schreibt besser über komplexe Gefühle. « Daily Mail   

»Lebensbejahend, voller Mitgefühl und Zartheit.« Observer

 

Die Reihenfolge der Trilogie:

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (Band 1)

Das Geheimnis der Queenie Hennessy (Band 2)

Die erstaunliche Entdeckungsreise der Maureen Fry (Band 3)

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Rachel Joyce nimmt uns in ihren Romanen immer wieder mit auf besondere Lebensreisen. Mit ihren liebenswerten Figuren, ihrem Humor und ihrer feinfühligen Sprache bewegt sie Millionen Leserinnen und Leser. Für ihre Werke, darunter »Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry«, wurde sie vielfach ausgezeichnet. Rachel Joyce war Bühnenschauspielerin u.a. bei der Royal Shakespeare Company und ist Autorin zahlreicher Hörspiele für die BBC. Sie lebt mit ihrer Familie auf dem Land in Gloucestershire. 

Maria Andreas lebt als Übersetzerin von Belletristik und Sachbüchern in München. Mit feinem Sprachgefühl macht sie das besondere Leseerlebnis der Romane von Rachel Joyce auf Deutsch erfahrbar.

Inhalt

Widmung

Motto

Motto

1 Winterreise

2 Gast der Welt

3 Spiegelei

4 Der menschliche Mund

5 Garten am Meer

6 Unfall – Unfall

7 Nach Norden, immer weiter nach Norden

8 Der Truck

9 Der Reliquiengarten

10 Eine schlimme Nacht

11 Anna Dupree

12 Kaffeebohnen

13 Mondscheinsonate

14 Winterstrauß

Ende

Dank

Für Susanna

Der Tote, den du letztes Jahr im Garten pflanztest,

Treibt er schon aus? Wird er in diesem Jahr noch blühn?

 

T.S. ELIOT, THE WASTE LAND

Ich dachte, ich sähe einen Engel im azurblauen Kleid über den Rasen auf mich zuschreiten, aber es war nur der blaue Himmel durch das Astwerk der Linde.

 

FRANCIS KILVERT, TAGEBUCH, EINTRAG VOM 21. JULI 1873

1Winterreise

Es war zu früh für Vogelgezwitscher. Harold lag neben ihr, die Hände ordentlich auf der Brust und so friedlich, dass sie sich fragte, wo er im Schlaf wohl unterwegs war. Sicher woanders als sie: Wenn sie die Augen schloss, sah sie nur Baustellen. Du lieber Gott, dachte sie. So geht das nicht. Im Stockdunkeln stand sie auf, zog ihr Nachthemd aus und ihre beste blaue Bluse an, eine bequeme Hose und eine Strickjacke. »Harold?«, fragte sie leise. »Bist du wach?« Er rührte sich nicht. Sie nahm ihre Schuhe in die Hand und schloss lautlos die Schlafzimmertür. Wenn sie jetzt nicht losfuhr, dann nie.

Unten schaltete sie den Wasserkocher ein, streifte die Gummihandschuhe über und wischte, bis das Wasser kochte, ein paar Arbeitsflächen sauber. »Maureen«, sagte sie laut. Schließlich war sie nicht auf den Kopf gefallen und merkte, was los war, auch wenn ihre Hände es nicht merkten. Sie war nervös, das war los. Sie machte sich eine Thermosflasche Instantkaffee und ein paar Sandwiches, die sie in Frischhaltefolie wickelte, dann schrieb sie Harold eine Notiz. Und dann noch eine: »Tassen!« und noch eine: »Töpfe!«, und ehe sie sich versah, war die ganze Küche mit Post-Its gepflastert wie mit kleinen gelben Alarmlichtern. »Maureen«, sagte sie noch einmal und riss alles wieder ab. »Geh jetzt. Mach schon.« Sie hängte Harolds Gehstock an den Stuhl, wo er ihn nicht übersehen konnte. Dann schob sie die Thermoskanne und die Sandwiches in ihre Handtasche, schlüpfte in die Schuhe, mit denen sie immer Auto fuhr, zog den Wintermantel an, nahm den Koffer und trat in den herrlichen frühen Morgen hinaus. Der Himmel war klar und mit Sternen gesprenkelt, die Mondsichel wie ein schmaler Nagelsaum. Nur in Rex’ Haus nebenan brannte Licht. Und immer noch sang kein Vogel.

Es war kalt, sogar für Januar. Das Mosaikpflaster war über Nacht vereist, und Maureen musste sich am Geländer festhalten. Die Ritzen zwischen den Pflastersteinen waren mit Eisnadeln gespickt, im Vorgarten standen nur noch ein paar glasierte Dornenstängel. Maureen drehte den Zündschlüssel, damit der Wagen vorheizte, während sie die Fenster frei kratzte. Das Eis war rau wie Schmirgelpapier und lag, so weit das Auge reichte, als rutschige Schicht auf der Fossebridge Road, von den Straßenlampen beleuchtet. Niemand sonst war unterwegs, es war schließlich Sonntag. Sie winkte zu Rex’ Haus hinüber für den Fall, dass er wach war. Dann war alles getan. Sie fuhr los.

In der Fore Street waren die Streufahrzeuge schon unterwegs gewesen, rosa Matten aus Streusalz zogen sich den Hügel hinauf. Maureen fuhr Richtung Norden, am Buchladen und den anderen Läden vorbei, die bis Montag geschlossen waren, aber sie sah nicht hinüber. Es war lange her, seit sie zuletzt in der High Street eingekauft hatte. Harold und sie kauften inzwischen meist online, nicht nur wegen der Pandemie. Die stille Ladenzeile ging in Häuserreihen mit Nachtbeleuchtung über. Die wiederum wichen einer dunklen Leere, unterbrochen von einer geschlossenen Tankstelle. Maureen fuhr an der Abzweigung zum Krematorium vorbei, das sie einmal im Monat besuchte, fuhr immer weiter. Einmal in Gang gekommen, empfand sie keine Nervosität mehr, sondern eher ein kaum erklärbares Gefühl, dass sie das Richtige tat. Harold hatte recht gehabt.

»Du musst dorthin, Maureen«, hatte er gesagt. Sie hatte viele Gründe aufgezählt, die dagegen sprachen, aber schließlich hatte sie eingelenkt. Und ihm gezeigt, wie man den Geschirrspüler und die Waschmaschine bedient, weil er manchmal nicht wusste, welche Knöpfe es zu drücken galt, und hatte ihm einen Zettel mit klaren Anweisungen geschrieben.

»Bist du dir sicher?«, hatte sie ein paar Tage später noch einmal gefragt. »Findest du wirklich, ich sollte das machen?«

»Selbstverständlich bin ich mir sicher.« Er saß im Garten, während sie altes Laub zusammenrechte. Er hatte seine Jacke falsch zugeknöpft, und seine linke Körperhälfte schien gegen die rechte verschoben.

»Aber wer wird sich um dich kümmern?«

»Ich werde mich selbst um mich kümmern.«

»Und was ist mit dem Essen? Du musst essen.«

»Rex kann mir helfen.«

»Na, ob das klappt… Rex ist schlimmer als du.«

»Stimmt natürlich. Zwei alte Trottel!«

Dabei lächelte er. Ein so vollkommenes Lächeln, dass sie ihn schon vermisste, bevor sie überhaupt losgefahren war. Er konnte so verdammt sicher sein, wie er wollte, aber sie war es nicht. Sie hatte den Rechen hingelegt. War zu ihm gegangen und hatte seine Jacke richtig zugeknöpft. Er war geduldig sitzen geblieben und hatte zu ihr hoch geblickt, mit diesen Augen in Delfter Blau. Niemand außer Harold hatte sie jemals so angesehen. Sie strich ihm übers Haar, da hob er die Fingerspitzen an ihr Gesicht, zog sie zu sich herunter und küsste sie.

»Maureen, du wirst erst wieder zur Ruhe kommen, wenn du gehst«, hatte er gesagt.

»Na gut. Dann gehe ich eben. Ich gehe, und nichts wird mich aufhalten! Aber wenn du nichts dagegen hast, gehe ich nicht zu Fuß. Vielen Dank auch, da bin ich konventioneller. Ich nehme das Auto.«

Sie hatten gelacht, weil sie beide wussten, dass Maureen Muskeln spielen ließ, die sie gar nicht hatte, stärker erscheinen wollte, als sie sich fühlte. Dann rechte sie wieder Blätter zusammen, und er widmete sich wieder der Betrachtung des Himmels. Die Stille war aufgeladen mit allem, wofür Maureen die Worte fehlten.

Und jetzt war sie also unterwegs, dachte an nichts anderes als an Harold und entfernte sich immer weiter von ihm. Gestern Abend hatte er ihre Autoschuhe geputzt und ordentlich neben den Stuhl mit ihren Kleidern gestellt. »Ich werde dich morgen früh nicht wecken«, hatte sie versprochen, als sie ins Bett gingen und einander Gute Nacht wünschten. Er hatte ihre Hand fest mit der Seinen umschlossen, bis er einschlief, und dann war sie ganz dicht an ihn herangerückt, hatte dem beständigen Schlag seines Herzens gelauscht und versucht, etwas von Harolds Frieden in sich aufzunehmen.

Maureen fuhr langsam, obwohl es wenig Verkehr gab. Wenn ihr ein Auto mit seinen hellen Scheinwerfern entgegenkam, bemerkte sie es schon früh, konnte an der richtigen Stelle ausweichen und sogar höflich dankend winken. Dann war die Landstraße wieder dunkel, und sie sah draußen nur die Hecken und Bäume vorbeifliegen. Bald erreichte sie eine doppelspurige Schnellstraße. Dort wurde es sogar noch besser, weil die Straße gerade, breit und immer noch ziemlich leer war; die Laster parkten noch in den Haltebuchten. Kurz vor Exeter kamen viele Baustellen, genau wie sie in der Nacht geträumt hatte, und die Umleitungen verwirrten sie. Sie war nicht mehr auf der A38, sondern auf einer Reihe von Umfahrungsstrecken und Wohnstraßen mit vielen kleinen Kreiseln. Nach weiteren zwanzig Minuten fiel ihr am Rand eines Neubaugebiets auf, dass sie schon eine ganze Weile kein gelbes Umleitungsschild mehr gesehen hatte. Hier gab es nichts als Wohnblöcke und kleine, spindeldürre Bäume, die in Aussparungen im Pflaster wuchsen. Es war immer noch dunkel.

»Na toll«, sagte sie. »Großartig.« Das sagte sie nicht nur zu sich selbst. Sie hatte die Angewohnheit, mit der Stille zu sprechen wie mit jemandem, der ihr absichtlich das Leben schwer machte. Sie konnte immer schlechter auseinanderhalten, was sie dachte und was sie tatsächlich sagte.

Maureen fuhr an weiteren Wohnblocks und spindeldürren Bäumen vorbei, an dicht geparkten Autos und an Lieferwagen in Frühschicht, sah aber immer noch keinen Hinweis auf die A38. Sie bog in eine Anliegerstraße ein, weil dort eine Reihe heller Straßenlampen stand, doch die Straße endete als Sackgasse. Links sah sie eine große Lagerhalle, umgeben von einem stacheldrahtbewehrten Zaun. Die Tore standen offen.

Maureen fuhr an den Rand und holte ihren Straßenatlas heraus, hatte aber keine Ahnung, wo sie anfangen sollte zu suchen. Sie schaltete ihr Handy ein, aber auch das half nicht weiter, außerdem würde Harold noch schlafen. Eine Weile saß sie einfach da. Schon jetzt ratlos. Harold würde sagen: »Frag doch jemanden«, aber so war Harold eben. Der Sinn des Autofahrens bestand für sie gerade darin, dass sie nicht mit fremden Leuten reden musste. »Okay«, sagte sie energisch. »Du schaffst das.« Sie würde ihre Straßenkarte nehmen und wie Harold handeln. Sie würde in der Lagerhalle um Hilfe bitten.

Maureen stieg aus, und sofort schlug ihr die Kälte ins Gesicht, biss sie in die Ohren und in die Nase. Als sie den Parkplatz überquerte, flammten links und rechts Scheinwerfer auf, die sie fast blind machten. Aus einer Bude, einem Fertigbau links vom Hauptgebäude, kam Licht, aber Maureen musste vorsichtig gehen, mit ausgestreckten Armen balancieren. Ihre Autoschuhe aus Wildleder hatten einen Riegel über dem Spann und flache, besonders griffige Sohlen, die auf nassem Pflaster guten Halt gaben, aber auf Glatteis nutzlos waren. Überall hingen Schilder mit Hunden und Warnungen vor regelmäßigen Kontrollgängen, und Maureen bekam Angst, die Hunde könnten plötzlich auf sie zustürmen. In ihrer Kindheit hatte der Bauer des Dorfes seine Hunde frei laufen lassen. Sie hatte immer noch eine kleine Narbe unter dem Kinn.

Maureen klopfte ans Fenster der Bude. Die Nachtwache, ein junger Mann, war alles andere als wach. Zusammengesunken auf einem Camping-Klappstuhl, hatte er die Beine ausgestreckt; sein Turban war an die Wand gequetscht, sein Mund stand offen. Sie klopfte noch einmal, ein wenig lauter, und rief: »Entschuldigen Sie bitte!«

Aufgeschreckt rieb er sich die Augen, stemmte sich aus dem Stuhl hoch und schien immer größer zu werden. Er war so groß, dass er den Kopf einziehen musste, als er zum Fenster wankte; erst nachträglich fiel ihm ein, dass er Maske tragen musste. Er hatte einen üppigen braunen Bart, Schultern wie ein Boxer und so große Hände, dass es ihm schwerfiel, den Fenstergriff zu umfassen. Er schob das Fenster auf, neigte den Kopf zur Seite und blinzelte zu ihr herunter.

»Um es kurz zu machen: Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich will zur M5, und wegen all der Bauarbeiten auf der A38 habe ich mich verfahren.« Maureen sprach lauter, als sie wollte, weil das Fenster so hoch war, dass sie die Hand heben müsste, um es zu erreichen, aber auch, weil sie angespannt war und nicht wusste, ob er sie überhaupt verstand. Außerdem hasste sie es, einen Fehler zuzugeben. Sie kannte die Route doch genau!

Er starrte sie einen Moment lang an und bemühte sich nach Kräften, wach zu werden. Dann sagte er: »Sie haben sich verfahren?«

»Wegen der Bauarbeiten. Normalerweise finde ich mich hier gut zurecht. Normalerweise habe ich kein Problem. Ich muss einfach zur M5.« Es passierte ihr schon wieder: Sie schrie.

Er trat vom Fenster zurück und öffnete die Tür. Sie wartete, weil sie nicht wusste, was er von ihr erwartete, und hatte nur Angst vor den Hunden, bis er rief: »Entschuldigung?« Da setzte sie ihre Maske auf und ging zur Tür.

Als sie in der Bude stand, erschien ihr der junge Mann sogar noch größer. Ihr Scheitel reichte ihm kaum bis zur Brust. Er stand wieder gebückt und mit schief gelegtem Kopf, um sich kleiner zu machen. Sogar seine Schuhe, schwarze Schnürschuhe, wie man sie Kindern zur Fußkorrektur anzieht, waren zu groß für den Raum. Und es wurde klar, warum er geschlafen hatte. Unter dem Fenster strahlte ein alter Heizlüfter orangeglühende Hitze ab. Es war, als würde man von den Knöcheln aufwärts am Spieß gebraten. Vor so einem Ding würde jeder einschlafen. Maureen unterdrückte ein Gähnen.

Er sagte: »Sie sollten nicht gleich jedem auf die Nase binden, dass Sie nicht wissen, wo Sie sind. Sowas kann gefährlich werden. Jemand könnte Ihre Situation ausnutzen.«

Sein Englisch war perfekt. Wenn überhaupt, hatte er einen leichten regionalen Akzent, als käme er aus Devon. Da hatte sie’s. Wieder eine grobe Fehleinschätzung. »Ich glaube nicht, dass bei mir noch irgendwer irgendwelche Situationen ausnutzen will.«

»Das weiß man nie. Es gibt alle möglichen Leute auf der Welt.«

»Da haben Sie natürlich recht. Aber können Sie mir helfen oder nicht?«

»Ja. Okay. Ich glaube schon.« Er tippte ein bisschen auf seinem Handy herum und hielt es ihr dann hin. Doch sie konnte nichts damit anfangen: Es war eine Straßenkarte, aber winzig. Er zeigte ihr, wo sie war, und dann den Weg, den sie nehmen musste, um auf die M5 zu kommen. »Sehen Sie?«

»Nein«, sagte sie. »Ich erkenne gar nichts.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht. Es ist einfach so.«

»Haben Sie ein Navi?«

»Wir haben ein Navi, aber ich benutze es nicht.«

Er schien verwirrt, aber sie wollte keine weiteren Erklärungen abgeben. Tatsache war, dass sie das Navi ausgesteckt hatte. Sie konnte diese sonore Stimme nicht ertragen, die sie herumkommandierte und immer kurz nach dem entscheidenden Moment verkündete, dass sie die Abzweigung verpasst hatte. Maureen gehörte zu einer Generation, die mit einem Telefon auf dem Dielentisch und einer Straßenkarte im Handschuhfach aufgewachsen war. Sogar online einzukaufen war für sie ein Hindernislauf. Zwanzig Zitronen statt zwei und Derartiges.

Er fragte: »Können Sie sich den Weg merken, wenn ich es Ihnen erkläre?«

»Ich glaube nicht.«

»Dann weiß ich auch nicht weiter. Wie kann ich Ihnen denn helfen?«

»Ich möchte gern, dass Sie mir die Wegbeschreibung auf Ihrem Handy vorlesen, und ich schreibe sie auf einen Zettel. Daran kann ich mich orientieren.«

»Okay«, sagte er. Er fasste sich an den Bart und stellte seine Füße nebeneinander, als könne die Sache nur mit einer ganz anderen Körperhaltung funktionieren. »Ich verstehe. Mach ich.«

Geduldig erklärte er, sie müsse bis zum Ende der Straße fahren, erst links abbiegen und dann rechts und beim Kreisel die zweite Ausfahrt nehmen, und Maureen schrieb alles auf ein Blatt Papier, das er aus einem Heft gerissen hatte. Am Ende jeder neuen Anweisung machte er eine Pause, bis sie alles notiert hatte. Schließlich hatte sie zwölf Anweisungen, alle durchnummeriert.

»Wissen Sie, wo Sie danach hinwollen?«

»Ja.« Sie deutete in ihrem Straßenatlas auf den Ort.

»Das ist aber sehr weit.«

»Ich weiß.«

»Wenigstens werden Sie unterwegs viel Abwechslung haben.«

»Landschaftliche Abwechslung ist mir egal. Ich will nur dort ankommen.«

»Wenn Sie auf der M5 sind, wissen Sie, wie Sie dann weiterfahren müssen?«

»Ja.«

»Auch bei den Autobahnkreuzen?«

»Ich glaube schon.«

Er sah sie einen Moment wortlos an. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr nicht glaubte. Dann sagte er: »Warum notieren Sie sich das nicht auch noch? Sich auf der Autobahn zu verfahren ist kein Spaß.«

Er hob das Handy, kniff die Augen ein wenig zusammen und las ihr vor, wo sie die Autobahn wechseln musste und wie es anschließend weiterging. In seiner Stimme lag keine Spur von Gereiztheit. Er schien nur besorgt, ihr womöglich etwas Falsches zu sagen und sie in die Irre zu schicken. Er schüttelte den Kopf, schien fassungslos, dass sie die ganze Strecke allein fahren wollte, und das an einem Tag. »Das ist so weit«, wiederholte er immer wieder.

»Danke«, sagte sie, als er fertig war. »Und es tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe.«

»Kein Problem. Ich sollte sowieso nicht schlafen.«

Sie hatte das Gefühl, dass er hinter seiner Maske vielleicht lächelte, deshalb lächelte sie auch. »Das war sehr nett von Ihnen.«

»Na ja.« Er schob die Hände in die Taschen, wandte sich zum Fenster und schaute hinaus. Sie stand immer noch auf der einen Seite der Bude und er auf der anderen. Durch die Dunkelheit draußen war die Scheibe fast wie ein Spiegel, und sie beide erschienen in dem Glas wie zwei durchsichtige Menschen, er so groß und sie so klein und so adrett mit ihrer Kappe aus weißem Haar. »Von den meisten Leuten krieg ich was anderes zu hören.«

Das kam wie aus heiterem Himmel. Eine Ehrlichkeit, auf die sie nicht gefasst war. Sie hätte gern etwas Aufbauendes gesagt, damit er sich besser fühlte – diese Art Mensch wäre sie jetzt gern gewesen, und sei es nur, damit sie in ihr Auto steigen und mit Hilfe seiner Wegbeschreibung weiterfahren könnte ohne ein Gefühl des Versagens. Aber sie fand keine Worte. Sie fand ihn nicht, diesen flüchtigen Moment der Herzensgüte. Die Leute glauben, sie können einander erreichen, aber das stimmt nicht. Niemand versteht den Kummer oder die Freude eines anderen. Menschen sind alles andere als durchsichtig.

Maureen kniff die Lippen zusammen. Der junge Mann blickte traurig in die Dunkelheit, vielleicht fixierte er etwas Bestimmtes, vielleicht auch nicht. Das Schweigen schien ewig anzuhalten. Maureen sah zu Boden und nahm wieder die schwarzen Schnürschuhe wahr. So ernste Schuhe, wie von jemandem, der sich wirklich alle Mühe gab.

»Also«, sagte er dann, »ich glaube, jetzt sollte nichts mehr schiefgehen.«

»Ja«, sagte sie.

»Wie heißen Sie denn?«

»Mrs. Fry.«

»Ich bin Lenny.«

»Auf Wiedersehen, Lenny.«

»Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Mrs. Fry. Aber wenn Sie sich noch mal verirren, dann posaunen Sie es nicht herum. Und fahren Sie vorsichtig. Es ist eisig kalt da draußen.«

»Ich fahre unseren Sohn besuchen«, sagte Maureen. Dann verließ sie die Bude, stieg ins Auto, wendete, und setzte ihre Fahrt fort.

2Gast der Welt

Vor zehn Jahren war Harold ohne Maureen in die Welt hinausgegangen. Er hatte das Haus verlassen, weil er einen Brief an seine Freundin Queenie, die im Sterben lag, zum Briefkasten bringen wollte. Der Eingebung eines Augenblicks folgend beschloss er, die 627 Meilen bis zu ihr zu Fuß zurückzulegen. Unterwegs war er vielen Menschen begegnet. Hatte sich von seiner Brieftasche getrennt und im Freien geschlafen. Die Geschichte kam sogar in den Nachrichten und machte