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Rebecca Russ

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Beschreibung

Zwei spannende Thriller von Rebecca Russ erstmals in einem Bundle!

Die Erste Frau.

Wenn Liebe zur tödlichen Täuschung wird.

Nach einer stürmischen Affäre zieht Hannah zu Thomas an den Bodensee und kann ihr Glück kaum fassen. Doch im Haus erinnert alles an Thomas’ Ex-Frau Katharina, die vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist und ihren Sohn zurückgelassen hat. Der Junge spricht seit dem Verschwinden seiner Mutter kein Wort mehr. Als Thomas immer öfter verreist, fühlt Hannah sich in dem großen Haus zunehmend einsam. Sie will endlich herausfinden, was vor zwei Jahren wirklich geschah. Dann erreicht sie ein rätselhafter Brief – und Hannah ahnt, dass er von Katharina stammen könnte ...

Mutterliebe.

Für ihre Tochter würde sie alles tun.

Als die kleine Louisa nach einem Besuch beim Vater spurlos verschwindet, bricht für die alleinerziehende Nora eine Welt zusammen. Doch während die Polizei fieberhaft nach dem Mädchen sucht, gerät Nora in Bedrängnis. Sie würde alles dafür geben, ihre Tochter zu finden, hat jedoch Angst davor, dass bei der Suche nach Louisa ein wohlgehütetes Geheimnis ans Licht kommt: Niemand darf erfahren, dass das Mädchen gar nicht ihre eigene Tochter ist. Und plötzlich gerät Nora selbst ins Visier der Ermittler ... 

Zwei hochspannende Thriller über Frauen und ihr Schicksal.


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Über das Buch

Die Erste Frau

Wenn Liebe zur tödlichen Täuschung wird.

Nach einer stürmischen Affäre zieht Hannah zu Thomas an den Bodensee und kann ihr Glück kaum fassen. Doch im Haus erinnert alles an Thomas’ Ex-Frau Katharina, die vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist und ihren Sohn zurückgelassen hat. Der Junge spricht seit dem Verschwinden seiner Mutter kein Wort mehr. Als Thomas immer öfter verreist, fühlt Hannah sich in dem großen Haus zunehmend einsam. Sie will endlich herausfinden, was vor zwei Jahren wirklich geschah. Dann erreicht sie ein rätselhafter Brief – und Hannah ahnt, dass er von Katharina stammen könnte …

Mutterliebe

Für ihre Tochter würde sie alles tun

Als die kleine Louisa nach einem Besuch beim Vater spurlos verschwindet, bricht für die alleinerziehende Nora eine Welt zusammen. Doch während die Polizei fieberhaft nach dem Mädchen sucht, gerät Nora in Bedrängnis. Sie würde alles dafür geben, ihre Tochter zu finden, hat jedoch Angst davor, dass bei der Suche nach Louisa ein wohlgehütetes Geheimnis ans Licht kommt: Niemand darf erfahren, dass das Mädchen gar nicht ihre eigene Tochter ist. Und plötzlich gerät Nora selbst ins Visier der Ermittler …

Zwei hochspannende Thriller über Frauen und ihr Schicksal.

Über Rebecca Russ

Rebecca Wild wurde 1991 in Salzburg geboren, wo sie noch heute umgeben von Bergen lebt. Neben dem Schreiben von Büchern gehört auch deren Gestaltung zu ihren Leidenschaften, und sie arbeitet als selbständige Cover-Designerin.

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Rebecca Russ

Die erste Frau & Mutterliebe

Zwei spannende Thriller von Rebecca Russ erstmals in einem Bundle!

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Newsletter

Die erste Frau

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Mutterliebe

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

Epilog

Impressum

Rebecca Russ

Die erste Frau

Thriller

1

Der Sensor oberhalb der Glastüren gibt ein leises Summen von sich und kündigt einen neuen Kunden an.

Ich weiß, dass er es ist, noch bevor ich den Blick hebe. Er kommt jeden Abend in die Galerie. Punkt zwanzig vor sechs. Außer ihm wandert nur noch ein junges, japanisches Paar zwischen den aushängenden Bildern umher und knipst eifrig Selfies. Trotz der offensichtlichen Fotografieren-Verboten-Schilder. Ich habe es aufgegeben, sie zu ermahnen, nachdem sie immer nur eifrig nicken und grinsen und das nächste Foto schießen, kaum, dass ich mich umgedreht habe. Außerdem ist Florian, der Eigentümer, heute früh zu einem unserer Künstler nach Frankfurt geflogen. Frei von seinem kontrollierenden Blick bin ich merklich entspannter. Sollen sie doch so viele Bilder machen, wie sie wollen. Für den aktuellen Künstler unserer Ausstellung und dessen pseudo-intellektuelle Fotografien aufreizend in Szene gesetzter Schaufensterpuppen habe ich ohnehin nicht viel übrig.

Ganz im Gegensatz zu ihm anscheinend.

Er kommt schon seit Beginn der Ausstellung immer wieder hierher. Inzwischen müsste er jedes Foto auswendig kennen, dennoch verfolgt er noch immer denselben Ablauf. Er geht durch den Raum, sieht sich jedes der Werke einmal kurz an und bleibt dann immer vor demselben Foto stehen. Genau gegenüber von meinem Tresen.

Es ist meiner Meinung nach das schlechteste Werk der ganzen Sammlung. Die Fotografie reicht fast bis zur Decke und zeigt eine weibliche Schaufensterpuppe mit grotesk verdrehten Gliedern und zerrissenen Kleidern, die ohnehin kaum Stoff enthalten. Florian lobte es wegen seiner ungetrübten Darstellung des männlichen Blicks. Mir ist es zu plump, aber der Mann scheint Florians Begeisterung zu teilen. Zumindest studiert er es jedes Mal so eingehend, als wäre es ein Van Gogh.

Ich beobachte aus den Augenwinkeln, wie er seine übliche Runde dreht. Inzwischen ist er fast an meinem Tresen angelangt. Automatisch stehe ich ein wenig aufrechter. Mein Blick ist auf den Bildschirm geheftet, doch genauso gut hätte ich eine blanke Wand anstarren können, so wenig nehme ich die Anzeige wahr.

Sein Name ist Thomas Fontana, so viel weiß ich inzwischen von Florian. Er sagte, dass er Manager einer großen Immobilien-Firma sei, die fast sämtliche Großbauprojekte im Münchner Raum umsetzt. Die beiden kennen sich oberflächlich von irgendeinem angesagten Club, den beide besuchen. Sie begrüßen sich recht überschwänglich, wenn sie einander sehen, aber an der Art, wie sie versuchen, sich größer als der andere zu machen, habe ich den Eindruck gewonnen, dass es da irgendeine versteckte Rivalität gibt. Es ist offensichtlich, dass sie einander nicht leiden können, was meine Neugierde jedoch nicht mindert.

Obwohl wir noch nie mehr als zwei Sätze gewechselt haben, habe ich angefangen, seine Besuche zu erwarten. Es ist mir zwar peinlich, aber ich genieße es ein wenig, ihn zu beobachten. Er ist ungewöhnlich gutaussehend. Es ist weniger sein Gesicht, das wegen seiner markanten Züge fast zu hart wirkt, sondern viel mehr seine Statur, seine Größe, die Art, wie er seine Schultern hält und sich so selbstsicher zwischen den ausgestellten Bildern bewegt, als gehörte jedes Einzelne davon ihm.

Thomas’ Schritte hallen leise durch den weitläufigen Raum, als er sich langsam nähert. Gleich wird er seinen üblichen Platz beziehen und dort die nächsten fünfzehn Minuten verweilen, bis wir die Galerie für den Tag schließen und ich ihn werde auffordern müssen zu gehen.

Ich gebe mich konzentriert und starre weiter den Computerbildschirm an, während er an mir vorbeigeht.

Doch dann tut er etwas, was er davor noch nie getan hat. Er bleibt stehen. Vor mir.

»Ist Florian heute gar nicht da?«

Die Vibration seiner tiefen Stimme bringt mich aus dem Konzept. Ein Zucken fährt durch meinen Körper. Ich schubse die Computermaus neben meinem Handgelenk vom Tresen und fange sie gerade noch auf, ehe sie zu Boden fällt.

»Florian?«, wiederhole ich. »Nein, tut mir leid. Er ist geschäftlich unterwegs. Soll ich ihm etwas ausrichten?«

»Besser nicht.« Thomas lächelt, und sein Gesicht wirkt sofort weicher, zugänglicher und lässt mich ebenfalls lächeln. »Aber vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen. Sehen Sie, ich würde gerne den Eingangsbereich in meinem Haus etwas verschönern, vielleicht mit einem Bild oder zwei. Und ich habe mich gefragt …«

Thomas verstummt und sieht mich abwartend an. Erst da merke ich, dass ich angefangen habe, die Mundwinkel nach hinten zu verziehen. Hitze flutet meine Wangen. »Entschuldigen Sie. Hatten Sie dafür ein bestimmtes Werk ins Auge gefasst?«

»Sie scheinen nicht sehr überzeugt zu sein.«

»Nein, nein. Ich meine, es kommt sicher auf Ihr Haus an, den Baustil und den Rest der Einrichtung …« Wobei ich mir schwer vorstellen kann, welche Art von Einrichtung das sein soll, neben der eine gefesselte oder entkleidete Schaufensterpuppe heimelig wirkt.

»Was würden Sie denn aufhängen?«

»Ich? Ich weiß nicht. Es ist schließlich Ihr Geschmack, und der künstlerische Wert eines Bildes hängt gänzlich …«

»Ich würde aber gerne Ihre Meinung hören.« Thomas’ Stimme ist fest, genau wie sein Blick, der mich keine Sekunde loslässt. Er macht mich nervös. Es ist ungewohnt, auf diese Weise angesehen zu werden, gerade an einem Ort wie diesem, wo ich normalerweise unsichtbar bin. Die Räume und ich, wir sind nur Beiwerk, damit die Kunst ihre Wirkung entfalten kann. Doch in Thomas’ direktem Blick fühle ich mich selbst wie auf einem Podest, nackt, ausgesetzt. Der Tresen, der sonst wie ein Schutzpanzer zwischen mir und den Kunden steht, scheint sich in Nichts aufzulösen.

Nur mit Mühe finde ich meine Stimme wieder. »Um ehrlich zu sein, ich würde etwas wählen, bei dem sich die Menschen, die mich besuchen, willkommen fühlen. Also vielleicht etwas weniger … Abschreckendes?«

Habe ich das gerade wirklich gesagt? Gut, dass Florian nicht da ist, denn spätestens jetzt wäre ich meinen Job los. Ich soll die Bilder schließlich verkaufen und nicht schlecht machen. Meine persönliche Meinung zählt hier nicht.

Thomas quittiert meine Antwort mit einem Schmunzeln. »Womöglich mag ich ja gar keine anderen Menschen.«

»Das denke ich nicht.«

»Ach ja? Wieso nicht?« Um seine Augen haben sich feine Fältchen gebildet. Er wirkt erheitert.

»Nun, Sie sind hier. Sehr oft sogar, wenn ich anmerken darf. Und wer Kunst sucht, sucht auch immer die Verbindung zu anderen Menschen. Wir drücken uns aus durch Kunst. Egal, ob wir sie nur erwerben oder selbst herstellen.«

»Interessante Theorie.« Thomas klopft mit seinem Zeigefinger sachte gegen seine Unterlippe. »Sind Sie selbst Künstlerin?«

»Nein, nicht wirklich«, antworte ich hastig. Früher einmal war das tatsächlich ein Traum von mir gewesen, doch inzwischen habe ich ihn lange begraben.

»Schade. Ich bin mir sicher, Sie würden Großartiges erschaffen.«

Die offensichtliche Lüge lässt mich auflachen. Schnell versuche ich, wieder etwas Professionalität in unser Gespräch zu bringen. »Ich bin nur hier, um Sie zu beraten und zu informieren.« Ich schlucke trocken. »Also … wie kann ich Ihnen am besten behilflich sein? Wir haben auch andere Künstler in unserem Portfolio, falls Sie interessiert sind, deren Werke ich gerne an Sie vermitteln werde. Soll ich Ihnen eine Auswahl zusammenstellen? Vielleicht können Sie mir ein paar Kriterien nennen. Gewünschte Farben, Größe, Materialien …«

Ich habe bereits begonnen, mich mit der Maus durch unsere internen Programme zu klicken und erwarte seine Antwort, doch Thomas bleibt still. Er scheint mehr Freude daran zu haben, mich mit seinen Blicken zu taktieren.

»Sind Sie in allen Lebenslagen so schnell?«

Obwohl die Frage an sich ganz unschuldig formuliert ist, lässt etwas an seiner Betonung mich erröten. »Ich versuche lediglich, effizient zu sein.«

»Sie meinen, weil Sie bald schließen?«

In diesem Moment ertönt erneut das leise Summen der sich öffnenden und wieder schließenden Glastüren. Das japanische Pärchen hat die Galerie verlassen. Thomas und ich sind allein.

Unwillkürlich schlägt mein Herz schneller.

»Ganz recht …« Ich schließe das Computerprogramm wieder und ziehe die Schultern zurück, um selbstbewusster zu wirken. Er soll nicht glauben, dass er mich einschüchtern kann. »Vielleicht wollen Sie auch einfach morgen noch mal vorbeikommen und mit Florian persönlich sprechen.«

»Morgen werde ich nicht da sein.«

»Oh.«

»Sie wirken enttäuscht.«

»Überrascht. Nach Ihren Besuchen könnte man die Uhr stellen.«

»Ich wusste gar nicht, dass ich so durchschaubar geworden bin«, bemerkt Thomas und klopft einmal mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand auf den Tresen. »Dann wird es wohl Zeit, meine Taktik zu ändern. Verraten Sie mir noch Ihren Namen?«

»Hannah. Lehwald.«

»Hannah«, wiederholt Thomas. »Ein schöner Name. Passt zu Ihnen.«

Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll, also sage ich nichts.

»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten, Hannah. Es hat mich gefreut, mit Ihnen zu reden.«

»Danke. Ich wünsche noch einen schönen Abend und …« Bis morgen hätte ich fast gesagt.

Thomas nickt mir zu. Ein feines Lächeln umspielt seine Lippen. »Auf Wiedersehen.«

Ich starre ihm nach. Ein Teil von mir hofft, er möge sich umdrehen, und ist enttäuscht, als er einfach durch die Glastüren im diesigen Dunst der Münchner Innenstadt verschwindet.

Aber was hatte ich denn auch erwartet? Dass er mich um ein Date bittet? Er hat lediglich etwas mit mir geflirtet. Aus Langeweile wahrscheinlich. Männer wie er geben sich vermutlich nicht mit Empfangsdamen zufrieden.

Ich lenke mich ab, indem ich auf die Uhr sehe. Zwei Minuten nach sechs. Zeit, den Laden zu schließen.

Ich durchlaufe die übliche Routine und gehe Florians penibel aufgeführte Sicherheitsvorkehrungen Schritt für Schritt durch. Die vertrauten Handgriffe geben mir etwas Halt, dennoch schweife ich in Gedanken immer wieder ab.

Als ich dann nach getaner Arbeit auf den Gehsteig trete, bin ich noch so in meinem eigenen Kopf gefangen, dass der Regen mich völlig unerwartet trifft. Das Wetter war bereits vorher nicht das beste gewesen, doch nun gießt es in Strömen, und in meiner dünnen Stoffjacke bin ich innerhalb von Sekunden durchnässt. Meine Schultern krampfen sich vor Kälte zusammen, und ich lege fest die Arme um mich, aber auch das bietet kaum Schutz gegen die einprasselnden Wassermassen, die selbst den Lärm der kreuzenden Straßenfahrzeuge übertönen. Bis zur U-Bahn sind es mindestens zehn Minuten zu Fuß. Mental bereite ich mich bereits auf einen Sprint vor, als der Regenguss plötzlich wieder aufhört.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Thomas hält einen breiten Schirm über unserer beider Köpfe. Keine Ahnung, woher er ihn hat, in der Galerie hatte er ihn auf jeden Fall noch nicht bei sich.

Regen tropft von meinen nassen Haaren in mein Gesicht. Ich muss die Lider zusammenkneifen, um zu ihm hochsehen zu können. »Haben Sie etwa hier draußen gewartet?«

Thomas’ Augen blitzen schalkhaft. »Vielleicht bin ich auch bloß zufällig noch mal hier vorbeigekommen. Aber so kann ich Sie auf jeden Fall nicht stehen lassen. Wo parken Sie? Ich begleite Sie zu Ihrem Wagen.«

»Ich bin mit der U-Bahn unterwegs.«

»Die nächste Station ist viel zu weit weg. Sie können bei mir mitfahren.«

Thomas legt ganz selbstverständlich seine Hand auf meinen Arm und will losgehen, doch ich bleibe stehen. »Das geht nicht«, beharre ich.

»Wieso nicht? So weit kann es doch unmöglich sein. Wohin müssen Sie denn?«

Ich zögere erst, doch dann antworte ich ganz automatisch. »Schwabing.«

»Das liegt auf meinem Weg. Na, kommen Sie. Ich tue Ihnen auch nichts.«

»Nein, wirklich …« Trotz meiner Worte lasse ich zu, dass er mich mit sich zieht. Selbst durch den nassen Stoff meiner Jacke kann ich die Wärme seiner Hand auf mir fühlen. Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren. Was mache ich da nur? Das ist absolut verantwortungslos und gefährlich. Doch da ist dieses sanfte Glühen in meinem Brustkorb, das einfach jeden rationalen Gedanken in mir lahmlegt.

Und dann sind wir auch schon bei seinem Wagen angelangt, einer schwarzen BMW Limousine in sportlichem Design. Noch könnte ich einfach weglaufen, aber ich tue es nicht. Ich bleibe stehen, während Thomas die Tür auf der Beifahrerseite für mich aufhält, und rutsche auf den weichen Ledersitz. Einige Sekunden bin ich allein im Wagen. Sekunden, die ich nutze, um einmal tief durchzuatmen und mich zu sortieren.

»Bereit?« Thomas nimmt auf der Fahrerseite Platz und betätigt einige Knöpfe, bis mir warme Luft aus mehreren Richtungen entgegenbläst. »Damit Ihnen gleich wärmer wird.«

Ich nicke und blicke zum Fenster hinaus. Ich habe Angst, dass man mir meine Nervosität ansieht. Dabei würde ich so gerne etwas sagen, irgendwas, um bloß nicht so schüchtern und verkrampft zu wirken. Aber ich weiß nicht was, und zu meiner Enttäuschung bleibt Thomas ebenfalls still, sodass die nächsten Minuten schweigend verstreichen. Minuten, die sich womöglich zu Stunden hinauszögern werden, wenn ich mir den Verkehr so ansehe.

Wegen des schlechten Wetters staut es sich auf allen Straßen. Wir kommen nur schrittweise voran. Mit der U-Bahn wäre ich wahrscheinlich schneller gewesen, wenn auch nicht halb so bequem. Thomas hat die Sitzheizung aktiviert, dennoch friere ich noch immer in meinen durchnässten Klamotten und presse die Zähne zusammen, um nicht zu schlottern.

Als wir länger vor einer Ampel stehen bleiben, zieht Thomas wortlos sein Jackett aus und legt es über meinen Schoß. Dabei streift sein Handrücken fast beiläufig meine Brüste. Dann noch einmal, als er seinen Arm wieder zurückzieht.

Die flüchtige Berührung hinterlässt ein brennendes Gefühl auf meiner Haut und in meinem Inneren.

Und plötzlich weiß ich ganz genau, dass er mich nicht nach Hause fahren wird.

»Hast du vor, da auch irgendwann wieder rauszukommen?«, fragt Thomas mit einem Schmunzeln und zieht das Seidenlaken von meinem Gesicht, unter dem ich mich versteckt habe, seitdem er im Bad verschwunden war und die Scham mich übermannt hat.

In der Hitze des Gefechts erschien alles so klar, so einfach. Mund auf Mund. Schenkel über Schenkel. Es gab kein Fragen oder Halten. Nur er und ich und die köstliche Hitze unserer Körper.

Doch nun ist der Rausch vorbei. Ich bin wieder ich. Hannah. Und ich habe keine Ahnung, was zur Hölle ich mit einem fremden Mann in einem Hotelzimmer treibe. Einem zugegeben sehr schicken Hotelzimmer mit freier Sicht auf die Dächer von München, weshalb es sich aber nicht weniger schmuddelig anfühlt.

Thomas schien das Zimmer bereits vor unserem Aufeinandertreffen gebucht zu haben. Sein Koffer steht neben dem Fenster, und auf dem Kaffeetisch liegen einige geschäftliche Unterlagen verstreut. Bislang kam ich noch nicht dazu, ihn zu fragen, weshalb er in einem Hotel wohnt, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich die Antwort hören will.

Thomas hat sich auf die Bettkante gesetzt, sein Haar ist noch feucht von der Dusche, und um seine Hüfte hat er nur ein dünnes Handtuch geschlungen. Darüber spannen sich wohlgeformte Muskeln.

Ich versuche, eine ernste Miene aufzusetzen. »Ich mache so etwas eigentlich nicht.«

»Vielleicht solltest du«, antwortet Thomas verschmitzt. »Du bist wirklich gut darin.«

Beleidigt stoße ich ihn mit den Zehen an. »Hör schon auf! Ich meine es ernst. Ich … Ich bin nicht so.«

»Du fühlst dich jetzt aber hoffentlich nicht schlecht.«

»Ein wenig«, gestehe ich und streiche mir eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht. »Ich kenne dich schließlich überhaupt nicht.«

»Verstehe.« Thomas’ Hand tastet unter der Decke umher, bis er meine Taille findet, dann streicht er sanft mit seinen Knöcheln darüber. »Würde es dir denn leichter fallen, wenn ich dir etwas von mir erzähle?«

Ich unterdrücke einen Schauer. »Womöglich.«

»Also gut. Was möchtest du wissen?«

Alles am besten, aber das könnte falsch rüberkommen. Deshalb beginne ich mit: »Erzähl mir, wo du morgen bist.« Ich möchte wissen, was ihn davon abhält, Florians Galerie wie an jedem der vergangenen Abende zu besuchen.

»Ich wohne eigentlich nicht hier, deshalb auch das Hotelzimmer. Ich bin bloß unter der Woche beruflich in München. Freitagnachmittag fahre ich aber immer nach Hause an den Bodensee. Zu meinem kleinen Jungen.«

»Du hast einen Sohn?«, frage ich überrascht.

»Ja. Sein Name ist Ben.« Ein Lächeln erhellt Thomas’ Gesicht. »Er ist erst fünf.«

Mein Brustkorb zieht sich zusammen. »Bist du verheiratet?«

»Nicht mehr. Meine Frau, sie ist … fortgegangen.«

»Und der Junge lebt bei dir?«

»Ja.«

»Und wer kümmert sich um ihn, wenn du nicht da bist?«

»Er hat ein sehr aufopferungsvolles Kindermädchen. Natürlich wünschte ich, ich könnte öfter bei ihm sein, aber zurzeit bin ich beruflich einfach so eingespannt, und ich will ihn nicht aus seiner gewohnten Umgebung reißen, indem ich ihn mitschleppe. Er hat es so schon schwer genug. Aber er ist ein lieber Junge und wahnsinnig schlau für sein Alter. Du würdest ihn mögen.«

»Bestimmt.« Ich ertappe mich dabei, wie ich Thomas anlächle. Etwas an seiner Erzählung lässt mich ihn in einem neuen Licht sehen. Als jemanden, der sich nicht einfach nur nimmt, was ihm gefällt, sondern der verantwortungsbewusst ist und liebevoll für seinen Sohn sorgt. Ich frage mich, wer diese frühere Frau war und wie sie ihre Familie so einfach verlassen konnte. Noch ist es zu früh, um nachzubohren, aber vielleicht erzählt mir Thomas irgendwann mehr von ihr.

Erst da wird mir bewusst, dass ich auf ein Wiedersehen hoffe. Auf eine Zukunft. Ich will nicht bloß eine Bettgeschichte sein.

Verflucht. In was habe ich mich da nur verstrickt?

Ich hebe meinen Kopf an Thomas’ Brust und schmiege mich an seinen warmen Körper. »Erzähl mir mehr«, bitte ich. »Bodensee … Dort ist es sicher wunderschön. Kannst du den See von deinem Haus aus sehen?«

»Ich habe sogar ein Grundstück direkt am Seeufer. Und einen Steg, der ins Wasser führt.« Thomas zieht mich noch enger an sich, seine Lippen berühren meinen Kopf beim Reden, sodass ich bei jeder Silbe seinen sanften Atem fühlen kann. »Es ist herrlich dort, auch wenn das Pendeln natürlich anstrengend ist. Im Sommer gehe ich oft frühmorgens schon schwimmen, wenn der Nebel noch über den Ufern hängt und die Wasseroberfläche so still ist, dass man glaubt, darauf laufen zu können. Ein fast magisches Gefühl. Und Ben liebt die Boote und Schiffe, die von sämtlichen Ufern über den ganzen Bodensee fahren. Besonders liebt er die großen Fährschiffe. Ich spaziere oft mit ihm zum Hafen, damit er beobachten kann, wie sie an- und ablegen. Und manchmal, wenn das Wetter schön ist, …«

Ich schließe die Augen, während ich Thomas’ Stimme lausche, die so angenehm tief und ruhig ist und eine fast hypnotische Wirkung auf mich hat. In meinen Gedanken entstehen Bilder, Bilder von ihm und dem glitzernden See und wie berauschend es sein muss, morgens aufzuwachen und auf etwas so Gewaltiges zu blicken.

Ich wünschte, ich könnte es ebenfalls sehen. Ich wünschte, ich könnte mit ihm dort sein und mir von ihm die Schiffe am Hafen zeigen lassen. Da entsteht vor meinem inneren Auge ein neues Bild. Von Thomas und mir. Und dem Jungen. In unserem Zuhause am Bodensee.

Eine mögliche Zukunft? Oder bloß Wunschdenken?

Ich fühle mich naiv, weil ein Fremder bereits solche Gedanken in mir auslösen kann. Jemand, mit dem ich noch nicht einmal genug Worte gewechselt habe, um einen ganzen Abend zu füllen. Aber etwas an unserem Kennenlernen fühlt sich dennoch anders, irgendwie besonders an.

Und ich bin noch nicht bereit, dieses Gefühl gehen zu lassen.

2

»Nicht mehr?«, fragt Thomas, nachdem er meinen Koffer und zwei große Ikea-Tüten voller Kleidung im Kofferraum seines BMWs verfrachtet hat.

»Das ist alles«, bestätige ich. Ich habe nie viel besessen, mein größter Luxus waren immer meine Malutensilien, und die hat der Umzugswagen bereits letzte Woche gemeinsam mit dem Großteil meiner Habseligkeiten mitgenommen. Ein Quadratmeter reicht aus, um den letzten Rest meines alten Lebens zu verstauen. Ein komisches Gefühl, das aber von der Euphorie des Augenblicks verdrängt wird.

Ich kann noch immer nicht glauben, dass das hier wirklich passiert. Dass ich tatsächlich dabei bin, alle Zelte abzureißen und mit Thomas ein neues Leben am Bodensee zu beginnen.

Seit unserer ersten gemeinsamen Nacht im Juli sind nur zwei Monate vergangen, was erschreckend kurz klingt und sich gleichzeitig wie eine halbe Ewigkeit anfühlt, wenn ich daran denke, was seitdem alles passiert ist. Meine Angst, ich könnte für Thomas nur eine Bettgeschichte sein, blieb unbegründet. Nachdem er wieder vom Bodensee zurückgekehrt war, sahen wir uns fast jeden Tag, unternahmen stundenlange Spaziergänge durch den Englischen Garten und speisten in den höchsten Gebäuden der Stadt. Thomas wird es nie müde, mir zuzuhören und mehr über mich zu erfahren. Kein Detail ist ihm zu unwichtig. Keine Anekdote zu banal. Bloß was ihn selbst betrifft, so ist er immer noch nicht sonderlich redselig, dabei bin ich ebenso neugierig, alles über ihn zu erfahren, über die heiteren genauso wie über die dunklen Phasen seines Lebens. Seine Vergangenheit scheint jedoch eher zu den dunklen Phasen zu gehören, über die er nicht gerne spricht, und ich merkte schnell, dass ich sehr behutsam vorgehen muss, wenn ich will, dass er sich mir öffnet. Mehr als zwei Jahre ist es nun her, dass seine Frau fortgegangen ist, doch der Verlust hat offensichtliche Spuren hinterlassen und scheint noch immer an ihm zu nagen. Vor allem in seinen stillen Momenten wird das deutlich. Wenn Thomas nachdenklich den Blick nach innen kehrt und plötzlich etwas Düsteres sein Gesicht verschleiert, das seine ganze Miene verändert und ihn von einem Moment auf den anderen zu einem Fremden macht.

In unserem neuen, gemeinsamen Leben soll das anders werden. Ich habe mir fest vorgenommen, die Wunden zu heilen, die seine Exfrau verursacht hat, und ich werde alles dafür tun, dass Thomas Fontana wieder freien Herzens und glücklich ist. Mit mir.

Etwas in mir spürte bereits an unserem ersten Abend, dass er der Mann ist, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Kein anderer hat mich empfinden lassen, was ich bei ihm empfinde. Kein anderer hat solche Gefühle in mir geweckt. Und als er mich letzte Woche gefragt hat, ob ich am Wochenende nicht endlich mit ihm kommen würde, um bei ihm zu wohnen, dass er es leid sei, mich immer nur zwischen Tür und Angel zu sehen, da zögerte ich nicht länger, da war die Antwort so klar, dass kein rationaler Gedanke mehr eine Chance hatte.

Und heute ist es endlich so weit. Heute werde ich zu ihm ziehen.

Ich küsse Thomas im Vorbeigehen auf den Mund und genieße das Gefühl, dass mich in Zukunft noch viele weitere solcher Küsse in meinem Alltag begleiten werden. »Ich gehe noch mal rauf, um nachzusehen, ob ich nichts vergessen habe, und verabschiede mich von Andrea.«

»In Ordnung«, antwortet Thomas und greift nach seinem Handy, das gerade zu klingeln begonnen hat. »Ich warte solange im Wagen.«

Es gibt vieles, was mir an München fehlen wird, aber meine alte Wohnung gehört zum Glück nicht dazu. Sie liegt im sechsten Stock eines nachlässig sanierten Altbau-Komplexes, ohne Aufzug und ohne anständige Belüftung, weshalb es immer ein wenig muffig riecht, vor allem im Sommer, wenn sich die Hitze in den oberen Stockwerken staut. Deshalb haben Thomas und ich auch fast immer in seinem Hotelzimmer übernachtet, wenn er unter der Woche in München war. Er hat es hier gehasst, was ich ihm nicht wirklich verübeln kann.

Dennoch überkommt mich ein wenig Wehmut, als ich die abgewetzten Holzstufen zu meinem alten Zuhause erklimme. Waren es wirklich sechs ganze Jahre, die ich hier gewohnt habe? Eigentlich sollte es nur eine vorübergehende Lösung sein, bis ich mir etwas Eigenes leisten konnte, nicht bloß ein winziges WG-Zimmer mit einem Gemeinschaftsbad, in dem beim Duschen ständig das heiße Wasser ausgeht. Aber irgendwie ist der Moment nie gekommen, und jetzt bin ich ohnehin dabei, alles hinter mir zu lassen.

»Hey.« Ich folge dem Geruch von Zigarettenrauch bis in die Küche, wo meine ehemalige Mitbewohnerin am Fenster steht und abschätzig zu Thomas’ Wagen hinunterblickt. »Ich hoffe, ich habe an alles gedacht. Und falls ich doch etwas vergessen habe, du hast ja meine Nummer …« Ich versuche, meiner Stimme einen fröhlichen, leichten Klang zu geben. Obwohl sie es nie so offen ausgesprochen hat, weiß ich, dass Andrea es mir übel nimmt, dass ich so plötzlich ausziehe. »Ach ja, und bevor ich es vergesse …« Ich hole meinen Schlüssel aus meiner hinteren Jeanstasche hervor, der mit dem rosafarbenen, abgegriffenen Bändchen im Schlüsselloch, und lege ihn gut sichtbar auf der Küchentheke ab.

Andrea zuckt bloß mit den Schultern und drückt ihre Zigarette am Fensterbrett aus. »Lass Mister Traumprinz nicht zu lange warten. Er sieht ungeduldig aus.«

»Er weiß, dass ich mich noch von dir verabschieden möchte«, antworte ich. »Jetzt komm schon her.«

Ich breite die Arme aus. Andrea mault erst widerwillig, drückt mich dann aber genauso fest zurück, als ich sie in eine Umarmung ziehe. Wir waren nie wirklich Freundinnen, dafür waren die Unterschiede einfach zu groß, aber auf ihre Art wird sie mir dennoch fehlen. Vor allem ihr schwarzer Humor und ihre wilden Männergeschichten, aus denen nie etwas anderes wurde als Feierabend-Anekdoten. Keiner brät um drei Uhr nachts so gute Rühreier und keiner kann so derbe fluchen wie sie, sodass sich sogar die Bauarbeiter auf der Straße mit roten Köpfen nach ihr umdrehen.

»Es wird sicher einen Monat oder so dauern, bis ich eine neue Mitbewohnerin finde, deren Anwesenheit ich auch ertragen kann«, sagt Andrea, nachdem sie die Umarmung gelöst hat und theatralisch nach Luft schnappt. »Also nur für den Fall, dass du es dir anders überlegst oder der Scheißkerl dich sitzenlässt. Du kannst mich jederzeit anrufen und dein altes Zimmer zurückhaben.«

»Das wird wahrscheinlich nicht nötig sein, aber danke. Ich weiß es zu schätzen.«

Andrea verdreht die Augen. »Du bist echt hoffnungslos. Na, dann geh schon. Ich mag deine verliebte Visage gar nicht mehr sehen. Reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang oder was auch immer.«

Wie auf ihr Stichwort erklingt von unten abgehaktes Gehupe, was Andrea dazu veranlasst, leise Beschimpfungen zu murmeln und erneut die Augen nach hinten zu rollen.

Ich tippe ihr noch ein letztes Mal auf die Schulter. »Mach’s gut. Danke noch mal, dass du mich aufgenommen hast.«

»Ja, ja. Du auch.« Andrea scheucht mich davon und wendet sich dann wieder dem Fenster zu. Zwischen ihren Fingern baumelt schon die nächste Zigarette.

Ich gehe noch ein letztes Mal durch alle Zimmer. Vorbei an dem kanariengelben Sofa, das Andrea noch von ihrer Tante hat und auf dem wir so viele Abende mit schlechten Sitcoms und Nachos mit Käse verbracht haben. Vorbei an meinem alten Bett und den dunkel umschatteten weißen Flächen, wo meine liebsten Kunstdrucke hingen.

Sechs Jahre, und doch werde ich nichts davon vermissen.

Ich bin bereit.

Thomas hat mich bereits an ein paar Wochenenden mit zu seinem Haus am Bodensee genommen, dennoch ist es diesmal ein ganz anderes Gefühl, neben ihm im Wagen zu sitzen und den Beschilderungen in Richtung Süden zu folgen. Diesmal begleite ich ihn nicht bloß als Gast, der gleich wieder verschwinden wird, sondern als ein fester Bestandteil seines Lebens. Diesmal komme ich, um zu bleiben.

Die lange Fahrt über die Autobahn vergeht wie im Flug, und je näher wir unserem Ziel kommen, desto aufmerksamer richte ich meinen Blick nach draußen, um mir jedes Detail einzuprägen. Die Felder und Hügel, die an mir vorbeiziehen, sind nicht länger nur irgendwelche Landschaftsmerkmale, sondern ein Teil meiner neuen Umgebung, meines Zuhauses.

Thomas ist erst ungewöhnlich still, doch als der Bodensee langsam ins Blickfeld rückt, erzählt er schwärmerisch von den vielen Ausflügen, die wir unternehmen werden, von den wundervollen Sommerabenden, an denen der Bodensee wie ein Juwel in der Sonne glitzert und zum nächtlichen Schwimmen einlädt. Von der herrlichen Natur. Den historischen Städten.

Ich kann seinen Worten kaum folgen. Ich bin selbst viel zu aufgeregt.

Kurz vor unserem Ziel neigt Thomas den Kopf zur Seite und deutet auf ein Objekt am Himmel, das am linken oberen Rand der Windschutzscheibe vorüberzieht. »Da! Sieh nur!«

Es ist ein Zeppelin. Kein seltener Anblick hier in der Gegend, nicht umsonst wird Friedrichshafen auch Zeppelinstadt genannt. Die Stadt ist bekannt für seine Zeppelinwerften, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts hier aus dem Boden gesprossen sind. Dennoch bin ich beeindruckt davon, wie das riesige Luftschiff scheinbar schwerelos durch die Luft gleitet.

»Man kann damit auch Rundflüge buchen und von dort oben die gesamte Region um den Bodensee erkunden«, fährt Thomas begeistert fort. »Das sollten wir einmal machen, wenn das Wetter gut ist.«

Ich lächle, um den Moment nicht zu zerstören und das nervöse Kitzeln in meinem Magen zu vertreiben. Ich werde ihm ein andermal sagen, dass ich Angst vorm Fliegen habe.

Wir biegen von der Hauptstraße ab. Thomas drosselt den Wagen auf Schrittgeschwindigkeit, und dann sagt er endlich die magischen Worte: »Wir sind da.«

Das elektronische Tor öffnet sich geräuschlos, während er den BMW in die hell asphaltierte Einfahrt lenkt.

Wow, denke ich wieder. Egal, wie oft ich es sehe, die ersten paar Sekunden nach dem Aussteigen, bin ich noch immer überwältigt und zugegeben ein wenig eingeschüchtert.

Es fühlt sich einfach so unwirklich an, dass das hier mein Zuhause sein soll. Ein Ort, der so anders ist als alle anderen Orte, wo ich zuvor gewohnt habe. Dieser imposante, geometrisch geformte Glaskasten, der so unnahbar, fast schon abweisend auf mich wirkt.

»Wie fühlst du dich?«, fragt Thomas und legt seinen Arm um mich, während wir gemeinsam unser Zuhause betrachten.

»Aufgeregt«, gestehe ich und hoffe, dem Wort einen positiven Klang zu geben. Thomas soll nicht glauben, dass ich mich unwohl fühle. Ich brauche einfach etwas Zeit, um mich an all das zu gewöhnen. An die mit Beeten gesäumte Einfahrt, die Weitläufigkeit des Geländes und den langen Steg, der unterhalb der Böschung, direkt auf den Bodensee hinausführt. An den zur Schau gestellten Reichtum, der praktisch an den Wänden klebt.

»Das legt sich bald.« Thomas küsst mich noch einmal und geht dann zum Kofferraum, um den Rest meines mickrigen Gepäcks auszuladen. Schwungvoll trägt er Koffer und Taschen in Richtung Haustür.

»Hallo?«, ruft er wenige Meter vom Eingang entfernt. Er grinst über beide Ohren und scheint es kaum erwarten zu können, mich über die Schwelle zu führen. Mit der Schulter lehnt er sich gegen die Haustür und hält sie für mich auf.

Im lichtdurchfluteten Wohnzimmer sitzt ein kleiner Junge auf dem L-förmigen Sofa und sieht fern. Ben. Thomas’ Sohn. Er lächelt, als er seinen Vater sieht, und erstarrt, als ich kurz nach ihm den Raum betrete. Sein Gesicht wendet sich wieder dem Fernseher zu. Thomas geht auf dem Weg zur Küche knapp an ihm vorbei und rauft ihm die Haare.

»Na, kleiner Mann?«

Ben antwortet nicht. Das tut er nie, wie ich bei unserem ersten Kennenlernen erfahren musste. Trotz seiner fünf Jahre spricht er kein Wort. Ein psychisches Trauma, sagen die Ärzte. Rein körperlich ist alles in Ordnung mit ihm. Früher soll er noch ganz normal gesprochen haben, doch vor zwei Jahren ist er dann schlagartig verstummt. Kurz nachdem seine Mutter ihn und seinen Vater ohne ein Wort des Abschieds verlassen hat.

Ich verstehe nicht, wie man sein Kind einfach so zurücklassen kann, und beim Anblick des verstörten kleinen Jungen zerreißt es mir jedes Mal fast das Herz. Am liebsten würde ich ihn fest in den Arm nehmen, aber ich weiß, dass er Berührungen von Fremden nicht mag, also begnüge ich mich mit einem sanften Lächeln und beruhige mich mit dem Wissen, dass ich nicht mehr lange eine Fremde für ihn sein werde.

»Hallo, Ben«, sage ich, während ich mich zu ihm hinunterbeuge. »Kennst du mich noch? Ich bin Hannah. Wir waren gemeinsam Eis essen am Hafen. Erinnerst du dich?«

Ben zieht die Schultern ein und starrt stoisch geradeaus. Die letzten Male, als Thomas seinen Sohn zu unseren Treffen mitgenommen hat, war es nicht anders. Im besten Fall hat er mich ignoriert. Im schlimmsten Fall hat er mich so feindselig angesehen, als wäre ich persönlich für die Abwesenheit seiner Mutter verantwortlich.

»Er beruhigt sich bald«, pflegt Thomas immer zu sagen, wenn Ben mir die kalte Schulter zeigt. »Er braucht einfach etwas Zeit, um sich an dich zu gewöhnen.«

Ich hoffe, er hat recht. Ich möchte, dass Ben mich mag. Dass wir eine richtige, kleine Familie werden.

Wortlos lege ich den Stoffpinguin, den ich ihm als Geschenk mitgebracht habe, neben ihm auf die Couch. Pinguine sind seine Lieblingstiere, hat Thomas mit verraten. Doch Ben beachtet den Pinguin gar nicht.

Zu gerne wüsste ich, was sich hinter seinem nachdenklichen Blick verbirgt. In diesen hellen, fast glasklaren Augen, die er von seiner Mutter geerbt haben muss. Im Gegensatz zu seinem Vater, der italienische Wurzeln hat, ist Ben ganz hell, von seinen blonden Haaren bis zu seiner rosigen, porzellangleichen Haut.

So muss seine Mutter ausgehen haben. Ich weiß noch immer nicht viel von ihr. Bloß ihren Namen. Katharina. Und dass sie gegangen ist. Sie muss schön gewesen sein. Auf eine ätherische Art und Weise, wie man sie nur aus alten Hollywood-Filmen und Hochglanzmagazinen kennt. Wenn ich Ben ansehe, kann ich sie fast vor mir sehen. Die schneeweiße Haut. Das durchscheinende Haar, das sich wie ein silberner Regen über ihre Schultern ergießt. Hellblaue Augen, so klar wie ein Spiegel.

»Hannah? Wo steckst du?«

Ich merke, dass ich Ben noch immer anstarre. Und dass er zurückstarrt.

»Hannah?«

Mit einem entschuldigenden Lächeln weiche ich von ihm zurück. »Ich komme!«

Ich folge Thomas’ Rufen bis in die Küche, für mich einer der eindrucksvollsten Räume im Haus, mit den schwebenden Schränken und den anthrazitfarbenen Steinfliesen. Die Rückwand ist fast komplett aus Glas und bietet einen beeindruckenden Blick auf den Bodensee und die sich auftürmenden Berge dahinter. Thomas steht in der offenen Terrassentür, ein heftiger Wind weht ihm die dunklen Haare ums Gesicht und verleiht seinem breiten Grinsen etwas Verwegenes. Ich gehe auf seine ausgestreckte Hand zu und lasse mich von ihm in eine feste Umarmung ziehen, die mich fast vollständig verschlingt.

Ich liebe es, wie ich so einfach in seinen Armen verschwinden kann, versteckt vor der Welt und vor allen Sorgen. Wir wirken wie füreinander geschaffen, mein schmaler Körper, der mir sonst immer so knabenhaft vorkommt, schmiegt sich perfekt an seine breite Brust.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dich hier bei mir zu haben.« Seine Lippen finden meinen Nacken. Er küsst mich so voller Zärtlichkeit und Begierde, dass es mir kurz den Atem verschlägt.

Mein Blick geht hinaus aufs Wasser. Der Himmel ist bedeckt, der Bodensee fast schwarz im dämmrigen Abendlicht. Dennoch liegt in dem Anblick eine anmutige Schönheit, der ich mich kaum entziehen kann. Der Wind bauscht die Wellen auf, vereinzelte Segelboote kreuzen ihren Kurs, fast sieht es so aus, als würden sie auf ihnen tanzen.

Bevor ich das erste Mal hierherkam, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass ein See so groß sein kann, eine Gewalt, die schon fast einem Ozean gleicht, mit seinen weit verteilten Ufern, die drei ganze Ländergrenzen umfassen. Um diese Tageszeit kann ich nicht einmal mehr die andere Seite erkennen, nur noch den Schatten der Berge, die dort thronen.

»Es ist so wunderschön hier«, hauche ich ehrfurchtsvoll und schmiege mich noch enger an Thomas’ Brust, der daraufhin erneut seine Lippen auf meinen Nacken legt.

»Du bist wunderschön.«

Thomas’ Hand gleitet unter meinen Rocksaum und meinen Oberschenkel entlang. Und dann noch ein Stückchen höher, bis er fast am Rand meines Slips angelangt ist.

»Thomas!«

Hitze gleitet wie ein Pfeil durch meinen Körper. Ich presse die Beine zusammen, um seine Hand aufzuhalten.

Ein Fährschiff fährt knapp unter uns am Seeufer entlang. Die Touristen am Oberdeck halten ihre Kameras und Smartphones gezückt. Einige davon zeigen in unsere Richtung, auch wenn sie uns wahrscheinlich nicht halb so gut sehen können wie ich sie. Dennoch fühle ich mich unwohl dabei, halb entblößt auf Thomas’ Terrasse zu stehen, weshalb ich hastig den Rock wieder über meine Schenkel streife.

Thomas gluckst vergnügt an meinem Ohr. »Habe ich dir eigentlich schon das Schlafzimmer gezeigt?«

Hat er natürlich, dennoch muss ich grinsen und bin kurz davor, um eine erneute Hausführung zu bitten, als sein Smartphone einen schrillen Laut von sich gibt.

Mit einem entschuldigenden Lächeln löst Thomas seine Arme von mir und zieht das Handy aus seiner Jacketttasche. »Arbeit«, haucht er und geht die Stufen in den Garten hinunter, um ungestört telefonieren zu können.

Eine Zeitlang beobachtete ich ihn dabei, wie er mit dem Handy am Ohr auf und ab geht. Noch immer kann ich mich kaum an ihm sattsehen. Doch der eigentliche Grund ist, dass ich ohne ihn nicht so richtig weiß, was ich mit mir in dem großen Haus anfangen soll. Alles ist noch so fremd und neu.

Ich versuche, mich zu entspannen, aber ich weiß noch nicht einmal, wo er seine Vorräte aufbewahrt, wie ich feststellen muss, als ich die Küchenregale erfolglos nach Teebeuteln absuche. Ich öffne Schranktür für Schranktür, finde jedoch nur Kaffeepulver und eine fast leere Dose mit Ovomaltine, die wahrscheinlich für Ben gedacht ist. Vielleicht trinkt Thomas auch gar keinen Tee. Wer tätigt überhaupt seine Einkäufe? Er selber? Eine Haushälterin? Das Kindermädchen?

Er bekommt bestimmt Hilfe, doch in Zukunft will ich einiges davon selbst in die Hand nehmen. Ich will dem Haus meinen Stempel aufdrücken. Mich hier behaupten. Vielleicht verschwindet dann endlich dieses erdrückende Gefühl, Gast in einem fremden Zuhause zu sein.

Nachdem ich meine Teesuche aufgegeben habe, beschließe ich, mich etwas umzusehen. Wahllos streife ich von Zimmer zu Zimmer. Immer wieder bleibe ich stehen, berühre eine Lampe, rücke einen Kerzenständer zurecht.

Die Einrichtung ist sehr modern und geschmackvoll, aber auch irgendwie kalt. Ich entdeckte kaum etwas Persönliches. Da ein kleiner Junge im Haus wohnt, hätte ich zumindest erwartet, dass ein paar Spielsachen herumliegen oder selbstgemalte Kreidebilder die weißen Wände zieren. Doch nichts davon. Aus dem Wohnzimmer tönt immer noch der Fernseher.

Ob es wohl genauso aussah, als Katharina noch hier gewohnt hat? Hat sie womöglich die Einrichtung ausgesucht?

Ich gehe die Treppe mit den freistehenden Stufen hinauf und betrete das Obergeschoss, dessen Boden gänzlich von einem cremefarbenen Teppich bezogen ist. Das Material ist samtig weich und schmiegt sich sanft an meine Fußsohlen.

Wer hätte gedacht, dass ich einmal so wohnen würde? Im Vergleich kommt mir mein winziges WG-Zimmer fast schäbig vor. Kein Wunder, dass Thomas nie in unserer Wohnung übernachten wollte, wenn er einen solchen Lebensstil gewohnt ist.

Von unten zieht ein kühler Luftzug durch den Flur, und auf meinen nackten Armen bildet sich eine Gänsehaut. Vielleicht liegt es an den vielen Glasfronten, aber es ist insgesamt eher kalt im Haus. Ich werde Thomas nachher darum bitten, die Heizung um ein paar Grad aufzudrehen.

Gerade will ich sein Schlafzimmer betreten – unser Schlafzimmer –, als die Tür aufgeht. Ein Paar dunkle, weit aufgerissene Augen starren mir entgegen.

Ich stoße erschrocken die Luft aus. Dann fasse ich mich. »Oh, Sie müssen das Kindermädchen sein. Tut mir leid. Rahel, richtig? Ich bin Hannah.«

Thomas hat mir gesagt, dass das Kindermädchen in einer vom Haus abgetrennten Souterrain-Wohnung wohnt, dennoch hatte ich sie kurz vergessen. Weil Thomas so viel beruflich unterwegs ist, braucht er natürlich jemanden, der sich unter der Woche um seinen Sohn kümmert.

Merkwürdigerweise wirkt Rahel genauso überrascht, mich zu sehen, wie umgekehrt. Hat Thomas ihr nicht gesagt, dass ich komme?

Ich strecke ihr meine Hand entgegen und lächle freundlich, um die merkwürdige Spannung zwischen uns zu lösen. Rahel zögert, ehe sie annimmt. Der Druck ihrer zierlichen Hände ist kaum spürbar.

»Hallo«, entgegnet sie dünn. Ihr Blick geht knapp an mir vorbei. In einer Hand hält sie einen Sack mit Wäsche fest umklammert. Sie trägt ein dunkelgraues Kostüm, das fast etwas zu schick für die Arbeit als Kindermädchen wirkt. Die Haare hat sie streng zurückgebunden, wodurch ihr kleines Gesicht spitz hervorsticht. Sie ist jung. Gertenschlank. Doch obwohl ihre Züge ebenmäßig sind, würde ich sie nicht unbedingt hübsch nennen.

»Ich wohne ab jetzt hier mit Thomas und dem kleinen Ben. Ich wollte eben anfangen, ein paar meiner Sachen auszupacken.«

»Herr Fontana hat Ihre Sachen im Gästezimmer unterbringen lassen«, sagt Rahel, die noch immer im Durchgang zum Schlafzimmer steht, und deutet mit ihrem Kopf auf eine Tür am anderen Ende des Flurs.

»Oh.« Ich bin kurz irritiert, aber natürlich ergibt es Sinn. Wahrscheinlich will Thomas nicht, dass mein ganzes Gepäck im Schlafzimmer steht. »Danke.« Ich bin dabei, mich wegzudrehen, doch dann halte ich noch einmal kurz inne. »Vielleicht trinken wir nachher einen Kaffee zusammen, lernen uns besser kennen?«

Es wäre schön, jemanden zum Plaudern zu haben, der etwa in meinem Alter ist. In der Gegend kenne ich noch niemanden, und in Thomas’ Bekanntenkreis sind alle so viel älter als ich. Doch Rahels Gesichtsausdruck lässt mich die Einladung sogleich bereuen. Sie nickt, doch es wirkt automatisch, und keine Regung bewegt ihre Lippen.

Ihr blasses, ausdrucksloses Gesicht schwebt mir noch immer durch den Kopf, als ich die Tür zum Gästezimmer hinter mir zugezogen habe. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich sie irgendwie verprellt habe. Habe ich etwas Falsches gesagt? Hätte ich nicht so rumschleichen sollen? Aber das ist Unsinn. Dies ist jetzt genauso mein Zuhause. Und Rahel wird sich einfach an meine Anwesenheit gewöhnen müssen. Wie ich mich an ihre.

An einer Wand stehen meine Umzugskartons aufgereiht. Gerade mal zehn Stück beherbergen mein bisheriges Lebens. Jetzt kommt es mir lächerlich vor, dass ich sie überhaupt mitgenommen habe. In Wahrheit ist das meiste bloß Müll. Eine Mischung aus abgetragener Kleidung und billigen Deko-Artikeln, die in Thomas’ Designer-Haus wie Flohmartkware wirken würden. Dennoch öffne ich ein paar der oberen Kartons und wühle mich durch alte Decken und ungelesene Uni-Bücher aus meiner kurzen, erfolglosen Studienzeit.

Ich bin mit den Gedanken nicht richtig bei der Sache, doch als ich den Karton mit meinen Malsachen aufreiße, halte ich inne. Mit Wehmut berühre ich dicke Pinsel mit eingetrockneter Farbe und durchgequetschte Tuben. Die Mischpalette, die schon meine Mutter benutzt hat und die so voller Farbkleckse ist, dass das Holz gar nicht mehr durchscheint. Es ist Jahre her, dass ich zuletzt einen Pinsel in die Hand genommen habe, dennoch habe ich es nicht über mich gebracht, die Sachen wegzuwerfen. Ein Teil von mir sehnt sich noch immer nach diesem berauschenden Gefühl einer Pinselspitze auf einer weißen Leinwand, wenn noch alles möglich scheint. Nach dieser Explosion von Farben und Gedankenblitzen, wenn man sein Innerstes nach außen kehrt und die eigenen Gefühle mit der Leinwand verschmelzen.

Ich hatte so viele Gedanken, Bilder und Träume in mir, die ich auf einen Rahmen bannen wollte, doch leider waren sie am Ende auf der Leinwand nie so prächtig wie in meinem Kopf, die Verbindung war zu schwach, die Pinselstriche waren zu dünn.

Ich übte stundenlang im heißen Zimmer unserer Dachgeschosswohnung, malte, bis meine Finger sich vor Anstrengung krümmten und mein Kopf vor Durst und Erschöpfung hämmerte. Das Ergebnis war gut, aber nie gut genug. Nicht genug, um die akademische Anerkennung zu bekommen, die man braucht, um als Künstlerin langfristig überleben zu wollen. Meinen Bildern fehlte das gewisse Etwas, das Menschen in ihren Bann zog. Dieses Etwas, das sich selbst durch jahrelange harte Arbeit nicht erzwingen ließ. Meine Mutter hat es, sie hatte es selbst damals schon, als sie noch Portraits am Straßenrand für Touristen malte, um uns beide zu ernähren. Lange bevor sie in Galerien ausstellte und ihr erstes Gemälde für dreitausend Euro an einen reichen Amerikaner verkaufte.

Als ich nach Ende meines zweiten Studiensemesters an der Kunstakademie wieder eine Absage für ein Stipendiumsansuchen erhielt, packte ich meine Bücher und Malsachen zusammen und kehrte dem Universitätsgelände den Rücken. Ich griff danach kaum noch zum Pinsel und arbeitete seitdem als Empfangsdame in Florians Galerie.

Das ist jetzt mehr als drei Jahre her, doch beim Anblick meiner alten Skizzenbücher klafft die alte Wunde wieder auf, als wäre es erst gestern gewesen. Schon als kleines Mädchen wollte ich nichts anderes als Künstlerin werden. Ich habe Bilder von Van Gogh nachgemalt, noch bevor ich Rechnen konnte, und liebte nichts mehr als mit den Farbtuben zu spielen, die bei uns in der Wohnung überall verstreut lagen. Ich weiß, ich habe die Künstlerseele meiner Mutter geerbt, jedoch nicht die Hälfte ihres Talents. Ich werde niemals etwas Bedeutsames hervorbringen.

Ich verschließe den Karton wieder und stelle ihn ganz nach hinten, wo ich ihn hoffentlich bald wieder vergessen werde. Dann streiche ich mein Kleid glatt und gehe zurück nach unten. Zu meinem Mann. Meinem neuen Leben.

Die Seidenlaken fühlen sich wie ein Fremdkörper auf meiner Haut an. Immer wieder schrecke ich hoch, kurz bevor der Schlaf mich übermannt. Inzwischen ist es schon halb drei Uhr nachts, und ich habe noch keine zehn Minuten geschlafen. In den ersten Nächten in einer neuen Umgebung ergeht es mir immer so. Ich brauche etwas Zeit, um mich einzugewöhnen, bevor ich entspannt genug bin, um schlafen zu können. Noch ist alles so fremd. Das breite Bett, das sich selbst für zwei viel zu groß anfühlt. Die hochwertige Bettwäsche und die Wärme einer anderen Person neben mir.

Thomas liegt ganz still, sein Atem geht flach und ruhig. Sein Schlaf ist tief, was mir normalerweise ein seltsames Gefühl des Friedens verschafft. Doch heute scheine ich keinen zu finden. Durch das Fenster fällt etwas Licht herein, und ich genieße es, Thomas ungestört betrachten zu können, während seine Gesichtszüge entspannt sind. Fasziniert lasse ich einen Blick über die markante Linie seines Kiefers gleiten, die Kuhle unterhalb seiner Wangenknochen, seinen vollen Mund … Ich könnte mich verlieren in seinem Anblick. Es gibt einfach so vieles zu entdecken, so vieles, das ich noch nicht weiß. Wie die Gravierung auf seiner Armbanduhr, die so zerkratzt ist, dass ich sie nicht entziffern kann. Oder die Narbe auf seinem Unterarm, die aussieht wie ein zerrissener Stern.

Was sieht er in mir?

Bei dem Gedanken zieht sich mein Brustkorb zusammen. Seit unserer ersten Nacht hat mich Thomas geradezu mit Aufmerksamkeit und Zuwendung überschüttet. Ich habe keinen Grund, an seinen Gefühlen zu zweifeln, aber da ist dieser Funken Unruhe, den ich einfach nicht abschütteln kann, genährt von den Blicken meiner Freunde, den abschätzigem Ton, mit dem Andrea seinen Namen in den Mund nimmt.

Ich weiß selbst, dass es sehr schnell zwischen uns ging. Vielleicht zu schnell, um schon zusammenzuziehen, aber jeder Moment, den ich mit Thomas verbringe, fühlt sich einfach so unendlich kostbar an. Zu kostbar, um sein Angebot auszuschlagen. In dem Moment, als er mich gefragt hat, mit ihm zu kommen, gab es für mich keine andere Möglichkeit. Ich wusste, dass das meine Zukunft ist.

Und selbst, wenn wir noch nicht alles voneinander wissen, macht es die Gefühle, die wir füreinander hegen, doch nicht weniger wertvoll oder weniger echt. Wir haben noch genug Zeit, einander zu erkunden, jetzt mehr als zuvor, und ich freue mich auf diese Zeit und jedes neue Detail, das ich über Thomas in Erfahrung bringen werde.

Das hier ist jetzt mein Zuhause. Unser Zuhause, und ich will alles in meiner Macht Stehende tun, um die kalten Räume mit ihren Glasfronten mit Wärme zu erfüllen.

3

Der nächste Tag ist ein Montag, doch Thomas hat sich frei genommen, damit wir uns gemeinsam in unserem neuen Leben einrichten können, bevor er am folgenden Tag wieder in sein Immobilien-Büro nach München fahren muss. Wir bleiben bis zum späten Vormittag im Bett, und ich genieße die gemächlichen Küsse, die er auf meinem nackten Körper verteilt.

Als wir um zehn die Treppe hinunterkommen, fühle ich mich beschwingt und habe ein entspanntes Lächeln auf den Lippen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass wir allein sein würden, und als ich Rahel und Ben in der Küche antreffe, ziehe ich den Gürtel meines hauchdünnen Morgenmantels enger um mich. Im Gegensatz zu mir zeigt sich Thomas jedoch nicht im Geringsten überrascht.

»Guten Morgen!«, sagt er fröhlich und küsst seinen Sohn auf die Stirn, ehe er die Espresso-Maschine einschaltet und zwei Tassen für uns darunter stellt.

»Guten Morgen«, antwortet Rahel, ohne aufzublicken, und fährt damit fort, Gemüse klein zu schneiden, das sie in einen Topf auf dem Herd wirft. Sie trägt dasselbe graue Kostüm wie gestern und einen Hauch von Rouge auf ihren Wangen, das zu kräftig für ihren blassen Teint wirkt.

Ben spielt auf einem Tablet ein Computerspiel mit schießenden Raumschiffen, ohne Thomas und mir einen Blick zuzuwerfen.

»Hallo, Ben«, sage ich und setzte mich auf den Stuhl gegenüber. »Musst du denn gar nicht in den Kindergarten?«

Ich denke mir nichts bei meiner Frage. Erst als Ben erstarrt und Thomas sich hörbar räuspert, wird mir bewusst, dass ich einen Fehler gemacht haben muss.

Thomas fasst den Jungen an der Schulter. »Hey ihr zwei, das Wetter ist so schön, wieso macht ihr keinen Spaziergang zum Hafen und seht euch die Boote an?«

Mit einem wütenden Blick lässt Ben den Bildschirm des Tablets dunkel werden.

»Ich gebe Rahel Geld mit, damit ihr auf dem Rückweg was Leckeres vom Bäcker mitnehmen könnt, wie klingt das?«

»Ich wollte mit Ben gerade seine Leseübungen machen«, sagt Rahel und trocknet sich die Hände an einem Geschirrtuch ab.

»Oh, aber das könnt ihr doch auch später machen. So schöne Tage wird es dieses Jahr nicht mehr oft geben.«

»Natürlich«, lenkt Rahel ein, doch glücklich wirkt sie nicht. Ihr Blick streift mich wie ein kühler Windhauch, der mich frösteln lässt. »Dann komm mit, Ben. Draußen ist es windig. Wir müssen dich warm anziehen.«

Thomas gesellt sich mit unseren Kaffeetassen zu mir an den Tisch. Schwarz für ihn. Milch und Zucker für mich.

»Ben geht nicht in den Kindergarten, ich dachte, das hätte ich dir gesagt«, flüstert er mir zu, als Rahel den Jungen gerade zur Küchentür hinausschiebt.

»Nein, das wusste ich nicht. Wieso denn nicht?«

»Du siehst doch, wie er ist. Ich kann ihn unmöglich in eine Einrichtung stecken, wo er gar nicht die Art Zuwendung bekommt, die er braucht.«

»Aber würde ihm der Kontakt mit anderen nicht gut tun?«

»Wir haben es ja versucht, aber die anderen Kinder meiden ihn bloß, und die Kindergärtnerinnen überfordert er mit seinem Verhalten.«

»Gibt es denn keine speziellen Einrichtungen für Kinder wie ihn?«

»Für schwer Behinderte und geistig Gestörte? Das wird ihm sicher helfen, sich besser zu fühlen.«

Bei der Härte seiner Worte steigt mir die Röte ins Gesicht. »So meinte ich das doch nicht.«

»Ich weiß, ich weiß. Du willst nur helfen, und das finde ich ganz wunderbar.« Thomas nimmt meine Hand in seine und haucht einen Kuss auf meinen Handrücken. »Aber vertrau mir, bei Rahel ist er weit besser aufgehoben. Sie liebt den Jungen abgöttisch. Von ihr lernt er besser als in irgendeinem Kindergarten.«

Ich finde dennoch, dass ein kleiner Junge mit Gleichaltrigen spielen sollte, doch ich sage nichts mehr dazu und rühre in meiner Kaffeetasse, obwohl der Zucker sich längst aufgelöst hat.

»Hast du nicht auch das Gefühl, dass Rahel mich nicht wirklich mag?«

Thomas lacht auf. »Darüber machst du dir Gedanken? Ach, Liebes. Rahel kann schon etwas abweisend wirken, wenn man sie nicht besser kennt, aber sie meint es nicht so. Sie hatte es bloß selbst nicht leicht und tut sich schwer mit Fremden. Ihr werdet euch bald aneinander gewöhnen. Und sie ist gut darin, sich unsichtbar zu machen. Ich bemerke selber kaum noch, dass sie da ist.«

»Was meinst du damit, dass sie es nicht leicht hatte?« Rahel hat eine so unnahbare Ausstrahlung, dass es mir schwerfällt, sie mir als einen Menschen mit eigenen Sorgen und Problemen vorzustellen.

»Oh, das …« Sichtlich unwohl blickt Thomas über seine Schulter zur Küchentür. »Du solltest sie besser nicht darauf ansprechen, aber sie wurde wohl von ihrer Familie schwer misshandelt. Sie hat nie eine Schule besucht und war stark unterernährt. Als sie sechzehn war, hat man sie endlich von dort weggeholt. Sie war völlig verstört und für eine normale Arbeitsstelle ungeeignet. Katharina hat sich schließlich ihrer angenommen. Ich war skeptisch zuerst, aber inzwischen hat Rahel es uns mehr als gedankt und ist unverzichtbar für uns geworden.«

Ich weiß erst nicht, was ich darauf antworten soll. Ein ganz neues Bild von Rahel fügt sich in meinen Gedanken zusammen und ich fühle mich schuldig, dass ich ihr gegenüber nicht offener war.

»Wie lange ist sie denn schon im Haus?«, frage ich dann.

»Ewig. Ben war noch ein Baby, als sie zu uns kam. Gott, ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun sollte.«

»Ich bin doch jetzt hier«, sage ich und lächle breit, um meine Unsicherheit zu überspielen. Ich möchte auch so gerne helfen, vor allem den kleinen Ben, und es schmerzt mich, dass ich nicht weiß wie.

»Natürlich. Es ist nur, Ben ist nicht einfach. Du weißt ja, er redet nicht, und ich habe keine Ahnung, wann und ob wir ihn jemals in eine richtige Schule werden schicken können.«

»Es tut mir leid. Ihr beide hattet es sehr schwer. Aber ich bin mir sicher, dass Ben sich erholen wird, wenn nur genug Zeit vergeht.«

Thomas’ Schultern ziehen sich kaum merklich zusammen. »Ich weiß es ehrlich nicht. Es ist jetzt über zwei Jahre her. Am Anfang habe ich das auch immer gesagt. Dass es nur genug Zeit braucht. Aber was, wenn Zeit allein nicht genug ist? Wenn etwas in ihm für immer kaputtgegangen ist?«

»Du liebst ihn«, sage ich. »Das ist das Wichtigste.«

Thomas’ Blick geht an mir vorbei, durchs Fenster und auf den stillen See hinaus, und ein Schatten legt sich über seine Züge. »Katharina hat ihn auch geliebt.«

Ein Stich fährt durch meine Brust.

Wenn sie ihn so sehr geliebt hat, frage ich mich, wieso hat sie ihn dann verlassen?

Eigentlich hatten wir vorgehabt, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch die Nachbarschaft zu machen. Das Haus liegt am Ortsrand von Friedrichshafen, und weil die Stadt nicht sehr groß ist, kann man von hier aus zu Fuß bis in die historische, am Wasser gelegene Innenstadt gehen. Wir haben jedoch noch nicht einmal unseren Kaffee ganz ausgetrunken, als Thomas’ Smartphone läutet. Für mehrere Minuten verschwindet er auf die Terrasse, und als er zurückkommt, verzieht er die Miene.

»Tut mir sehr leid, Liebling, aber wie es aussieht, kann ich mir heute doch nicht frei nehmen. Bei einem unserer Projekte gibt es Ärger mit der Baubehörde, und der Kunde dreht deshalb völlig durch. Macht es dir was aus, wenn wir unseren Ausflug verschieben?«

»Oh … Kein Problem, fahr nur. Ich komme schon zurecht.« Ich kaschiere meine Enttäuschung mit einem Lächeln. Ich habe keine Ahnung, wie ich den Tag allein im Haus mit der abweisenden Rahel und dem stummen Ben überstehen soll, aber ich will nicht diese Art von Frau sein. Dass Thomas ein vielbeschäftigter Mann mit einem sehr fordernden Job ist, habe ich von Anfang an gewusst.

»Bist du sicher? Ich hasse es, dich an unserem ersten gemeinsamen Tag allein zu lassen.« Thomas zieht mich an den Schlaufen meines Morgenmantels dicht an sich heran, bis unsere Nasenspitzen sich fast berühren und ich seinen Atem an meinen Brüsten fühlen kann.

»Du kommst ja hoffentlich bald wieder.«

»Natürlich.« Seine Lippen streifen meine Wange, dann drückt er mich kurz an sich, ehe er seine Augen wieder auf sein Smartphone heftet. »Ich bin bis zum Abendessen zurück, und dann mache ich es wieder gut, versprochen.«

Innerhalb weniger Minuten ist Thomas geduscht und angezogen und steht mit seiner Laptoptasche und einem gehetzten Ausdruck vor der Tür.

»Bis bald, Liebling.« Flüchtig küsst er mich zum Abschied.

Ich bleibe in der Haustür stehen und winke ihm nach, während er die Einfahrt mit durchdrehenden Rädern hinaufrast und mich mit einem wehmütigen Gefühl von Sehnsucht zurücklässt.

Ich gehe wieder hinein. Rahel und Ben sind noch nicht von ihrem Spaziergang zum Hafen zurück, und das Haus wirkt unnatürlich still. Der Klang meiner Schritte hallt laut in den hohen Räumen wider.

Eine Weile vertreibe ich mir die Zeit damit, die Spülmaschine einzuräumen und über den ohnehin sauberen Küchentisch zu wischen. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät, dass es noch nicht einmal Mittag ist. Der Tag erstreckt sich unendlich lang vor mir, und ich habe keine Ahnung, was ich mit den vielen leeren Stunden anfangen soll. In München hat mich der Job in der Galerie vierzig Stunden die Woche auf Trab gehalten. Hier am Bodensee habe ich mir noch keine neue Arbeit gesucht, und eigentlich dachte ich auch, dass ich ohnehin genug zu tun hätte, mit dem großen Haus und einem kleinen Jungen ohne Mutter. Aber das Haus ist blitzsauber, das Mittagessen steht bereits auf dem Herd, und Ben scheint mich gar nicht wahrzunehmen, geschweige denn zu brauchen.

Rahel macht ihre Arbeit besser, als ich es wahrscheinlich jemals könnte. Kurz bin ich neidisch auf diese unscheinbare, blasse Frau, die so unersetzbar für Thomas’ Familie ist. Wie soll ich mir denn meinen Platz suchen, wenn der bereits von einer anderen besetzt wird?

Ich gehe zurück nach oben, der einzige Ort im Haus, der sich mehr nach meiner Domäne anfühlt als nach ihrer. Die meisten meiner Sachen stehen immer noch in Kartons und Koffern verpackt im Gästezimmer, weshalb ich die Zeit nutzen will, um zumindest meine Kleidung auszupacken, wenn ich schon den Rest nicht anrühren will. Angrenzend zum Schlafzimmer liegt ein eigener Ankleideraum mit eingebauten Schränken und einem Schminktisch aus geöltem Nussholz mit beleuchtetem Spiegel.

Ich habe keine Ahnung, welcher Schrank wem gehört, aber Thomas meinte, er hätte Platz für mich schaffen lassen, also öffne ich einfach die Tür, die mir am nächsten ist. Vor mir hängen Anzüge und Krawatten. Der Schrank daneben enthüllt Herrenlederschuhe und glänzende Ledergürtel. Dann Thomas’ Hosen, die meisten davon aus grauer Schurwolle, Pullover und Hemden in allen Farben.

Ich lächele darüber, wie ordentlich sortiert seine Kleidung ist, sogar nach Jahreszeiten.

Ich öffne die nächste Schranktür und finde Abendkleider. Verblüfft halte ich inne. Abendkleider? Silberne Pailletten und dunkle Seide blitzen mir entgegen. Bügel an Bügel hängen die Kleider fein säuberlich an einer Stange nebeneinander aufgereiht.

Vorsichtig befühle ich den Stoff, als könnte es ein Irrtum sein. Das sind nicht meine Sachen, sondern die einer anderen Frau. Einer ganz bestimmten Frau.

Katharina.

Die Materialien sind edel, der Geschmack erlesen und natürlich nur Designerware. Jedes Stück muss ein kleines Vermögen gekostet haben. Bewahrt Thomas die Kleider deshalb noch auf? Weil sie so kostbar sind?

Ich schließe den Schrank wieder, will den Inhalt am liebsten vergessen. Doch da ist noch mehr. Thomas hat nicht nur ihre Abendgarderobe aufgehoben. Im Schrank links davon finde ich Damenblazer und helle Seidenblusen. Daneben eine ganze Sammlung an Kaschmirschals. Zwei Schränke voller Schuhe.