Die Freundin aus der Jenseitswelt - Melanie Maine - E-Book

Die Freundin aus der Jenseitswelt E-Book

Melanie Maine

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Beschreibung

Die Freundin aus der Jenseitswelt. Eine uralte Kirche mitten im Moor. Hier steht der Sarg, in dem Patricias Freundin Susanna im ewigen Schlaf ruht. Heute soll das letzte Ruhelager der Herrin von Cronach-Tay der Erde übergeben werden. Alle Straßen enden dort, wo das unergründliche Moor beginnt. Der Weg zur Kirche ist nur ein alter, halb verrotteter Knüppeldamm. Die Einheimischen wissen ihn zu gehen - doch Patricia tritt fehl und versinkt im Schlamm. Niemand hört ihre verzweifelten Hilferufe... niemand... bis auf eine Tote... Patsys Freundin aus der Jenseits-Welt. Denn für die Zeit der sieben heiligen Nächten kann Susannas Geist wandeln um Abschied zu nehmen... von Henry Mc Cronach, ihrem geliebten Mann, von Patricia Brandsey, ihrer besten Freundin... und von der Person, der sie es zu verdanken hat, dass sie in der Blüte ihrer Jugend dahin siechen und sterben musste. Sieben Tage und Nächte bleiben, das grausige Geheimnis zu offenbaren, das Mysterium von Cronach-Tay zu enträtseln und den gewissenlosen Mörder zu entlarven. Nur gemeinsam können sie es schaffen, Henry Mc Cronach und das Stammschloss seiner schottischen Ahnen zu retten. Patricia, die Lebendige... und Susanna, die tote Freundin aus der Jenseits-Welt...

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IMPRESSUM

Titel: Die Freundin aus der Jenseitswelt

©2014 Die Rechte liegen bei Melanie Maine

&

Verlag:

Mondschein Corona – Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstrasse. 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona-Verlag.de

Lektorat:

Grauschwarzes Gewölk lag wie ein Trauerschleier über dem Land. Ständig niedergehender Regen erweckte den Eindruck, als ob selbst der Himmel über das grausame Schicksal weinte.

Das Wimmern der Totenglocke zeigte Patricia Brandsey die Richtung des Weges zu dem uralten Friedhof im Moor. Und am Rande des Moores hatte ihr ein morsches, halb verwittertes Schild aus altersgrauem Holz von der Autostraße her den Weg in eine unheimliche Welt gewiesen.

Die junge Frau bebte vor Furcht, als sie ihren Fuß von der Teerstraße auf den schlammigen Weg setzen musste. Ein schmaler Pfad, der durch mannshohes Schilf und Riedgräser hinein ins Herz des Moores führte. Jeder Fehltritt konnte hier den sicheren Tod bedeuten.

Es war Herbst. Die Zeit des Todes und des Verfalls. An den Ästen der windgeschüttelten Bäume welkte das Laub dahin und taumelte rot und gelb gefärbt zu Boden, um zu sterben. Wie umherirrende Seelen wurden Myriaden abgestorbener Blätter vor Patricia durch scharfe Windstöße durch die Luft gewirbelt.

Mühsam durchdrang der matte Schein der Mittagssonne die den Himmel beherrschenden Trauerwolken. Ihr fahler Schein hüllten vor Patricias Augen die Moorlandschaft in geisterhaftes Zwielicht.

„Susanna! Für dich, liebe Susy! Nur für dich gehe ich diesen Weg!“ hörte sich Patricia selbst flüstern. Und diese Worte halfen ihr, die Angst vor dem gefahrvollen Weg so weit zu bezwingen, dass sie es wagte, den ersten Schritt von der sicheren Autostraße auf dem von nassen Schlamm überzogenen Knüppeldamm zu machen.

Das Holz des Dammes war morsch und brüchig. Es knackte bei jedem Schritt unter ihren Füßen. Doch Patsy musste sich zusammenreißen und diesen Weg zu Ende gehen. Den Weg zu dem schauerlichen Ort, wo die Menschen dieser Gegend ihre Verstorbenen zum ewigen Schlaf in die braunschwarze Erde einsenken.

Patricia spürte, wie sie vor Angst innerlich zu zittern begann. Um sie herum erklang das hässliche Quaken der Frösche und das höhnische Keckern der Elstern in hohen Geäst der Bäume. Aus der rissigen Borke ihrer Rinde glaubte Patsy die runzeligen Gesichter vergessener Waldgeister zu erkennen, die mit grimmigem Blick zu ihr herüber starrten.

Unzählige Schauer-Legenden von unheimlichen Mooren und den Gefahren, die unter der trügerischen schlammigen Oberfläche lauern, hatten Patricia Brandsey bereits als kleines Mädchen fasziniert. Alte Geschichten, die ihr die Großmutter erzählte und bei denen man sich so richtig gruseln konnte. Von Moorhexen, die Irrlichter aussandten, um einsame Wanderer in ihre geheimen Schlupfwinkeln zu führen. Oder von den umherirrenden Geistern der Unglücklichen, die der trügerische Sumpf hinabgesaugt hatte. Verlorene Seelen, die nun umher schwirrten, um neue Opfer für die unergründliche Tiefe zu finden.

„Ich will nicht.“ hörte sich Patricia zu sich selbst flüstern, während sie sich eisern zwang, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen. „Ich habe Angst. Und ich will nach Hause.“

Rauschte es da nicht in den uralten Trauerweiden als Antwort? Flüsterten ihr die sich im leichten Wind bewegenden Riedgräser vielleicht eine Warnung zu? Und dort, der hohle, heisere Schrei einer Krähe. War das nicht der schwarze Bote einer Moorhexe, von der ihre Großmutter einst so schaurig-schöne Balladen zu singen wusste?

„Reiß dich zusammen, Patsy.“ befahl sich die junge Frau selbst und und die Angst in ihr erschrak beim Anblick der festen Stimme aus ihrem Inneren. „Es gibt keine andere Möglichkeit das Ziel deiner Reise zu erreichen. Du hast doch schon auf der Karte gesehen, dass hinter Creag-Minor in diesem Teil der Highlands die Straße endet. Nun stell dich nicht so an wie ein kleines Mädchen. Der Weg ist doch trotz des Schlammes über dem Knüppeldamm gut zu erkennen. Und wo ein Weg ist, da sind schon andere Menschen gegangen. Auch solche, die wesentlich mehr Gewicht auf die Waage bringen als du. Also werden diese Rundhölzer auf dem Schlamm dich auch tragen.“

„Häh!“ gellte der Schrei der Krähe als Antwort. Patsy schreckte aus ihren Gedanken empor. Wollte sie dieser schwarze Vogel verhöhnen? Oder vielleicht warnen?

„Einbildung. Das bildest du dir alles nur ein.“ beruhigte sich Patricia selbst. „Es gibt absolut keinen Grund, sich zu fürchten. Und nun geh schon voran. Susanna wartet. Willst du, dass deine beste, deiner allerbeste Freundin, ihren letzten Weg alleine gehen muss?“

„Kraawaah!“ Mit weit ausgebreiteten Schwingen segelte die Krähe in die Richtung, in die auch Patricias Weg führte. Mit weit aufgerissenen Augen sah Patricia dem schwarzen Vogel nach, der wenige Herzschläge später über den Wipfeln der Bäume verschwunden war.

„Verdammt, Patsy! Du bist es Susy schuldig dabei zu sein, wenn man sie zum Schlaf der Ewigkeit bettet.“ schimpfte die junge Frau mit sich selbst. „Diese halbe Meile über das Moor, das wirst du doch schaffen, Patsy. Also reiß dich zusammen...“

Jetzt öffnete der Himmel auch noch seine Schleusen. Es war kein Wasserguss, sondern nur ein dünner Sprühregen. Doch er sorgte nicht dafür, dass sich Patricia Brandseys Laune besserte. Rasch schützte sie mit der Kapuze ihres Wettermantels aus festem, grünen Lodenstoff ihr langes, kastanienfarbenes Haar, das in natürlicher Lockenpracht bis auf die Schultern herab wallte, vor dem stetig niederfallenden Nieselregen.

„Schottland. Ich beginne dich zu lieben.“ sagte Patricia mit bitterer Stimme, als ihr der Wind die Regenschauern ins Gesicht wehte. In einem der unzähligen Briefe hatte Susanna ihre Freundin bereits vor dem Wetter hier oben in den Highlands vorgewarnt. Selbst wenn sie in den Sommermonaten für ein oder zwei Wochen zu Besuch nach Cronach-Tay kommen würde, sollte sie keineswegs auf den Regenmantel verzichten.

In rührender Fürsorge hatte Susanna Patsy bereits vor Wochen per Paket Kleidung geschickt, wie sie im nordwestlichen Teil Schottland außerhalb der Sommermonate getragen wird. Sogar festes Schuhwerk war dabei. Die modischen Schuhe Londons waren hier auf den unebenen Straßen und Wegen völlig fehl am Platz. Und mit der Kleidung, mit der sie in London losgefahren war, hätte sich Patricia mit Garantie bei diesem Wetter eine üble Erkältung geholt. Die junge Frau war jetzt froh, dass sie die leichte Sommerkleidung, mit der sie London gestern morgen verlassen hatte, beim letzten Tankstopp in Muir of Ord gegen das robuste schottische Tuch gewechselt hatte.

Susanna Collins. Die gute Seele. Seit ihrem fünften Lebensjahr war Susy Patricias beste, ihre allerbeste Freundin. Die beiden Frauen waren wie Geschwister und ihre Freundschaft bewährte sich in allen Höhen und Tiefen der Kinderzeit, des wilden Teenager-Lebens im Swinging London und auch später als reife Frauen.

Beide waren in der Dorset-Street im Whitechapel-District Londons aufgewachsen. Hier hatte einst der berüchtigte Frauenmörder Jack the Ripper sein Unwesen getrieben. Bei einbrechender Dunkelheit hatten sich die beiden Mädchen mit unheimlichen Erzählungen über den geheimnisvollen Frauenmörder immer selbst Angst gemacht.

Es war bekannt, dass Jack the Ripper niemals gefasst worden war. Und die beiden Mädchen stellten sich vor, dass er vielleicht noch lebte und jederzeit wieder zuschlagen konnte. Heute war Jack the Ripper bestimmt ein uralter Mann. Aber eine Bestie in Menschengestalt mit einem scharfen, blitzenden Messer. Und wenn er jetzt, gerade in diesem Augenblick hier auftauchte und die beiden Mädchen fand?

Die Vorstellung vom plötzlichen Erscheinen des Unheimlichen ließ den beiden Mädchen eine angenehme Gänsehaut über den Rücken rieseln. Und dann machten sie sich gegenseitig Mut, was sie dann tun würden, wenn der Ripper auftauchte. Und wie sie ihn besiegen würden. Ja, und sie erzählten sich dann gegenseitig, was dann die Zeitungen über zwei mutige Girls aus Whitechapel schreiben würden, die es geschafft hatten, den unheimlichen Mörder endlich zu überführen und dingfest zu machen.

Das die Schreckenstaten Jack the Rippers damals schon fast ein Jahrhundert zurück lagen und die Bestie von Whitechapel schon wegen dieser langen Zeit längst tot sein musste, bedachten Patsy und Susy damals nicht. Wer wird Jahre zählen, wenn es drum geht, sich gegenseitig mit schrecklichen Geschichten ganz toll zu gruseln.

Die Angst der Kindertage vor Jack the Ripper wurde später für Patricia Brandsey und Susanna Collins ein Job. Clevere Reiseagenturen veranstalteten Trips für Touristen auf den Spuren des Ripper durch Whitechapel. Und weil Susy und Patsy hier aufgewachsen waren und jeden Winkel von Whitechapel kannten, wurden sie schnell als Führerinnen engagiert, die neugierige Besucher zu all den Winkel im District führten, wo der Ripper vor hundert Jahren zugeschlagen hatte. Und geduldig diskutierten sie mit den Touristen, ob denn nun tatsächlich der Leibarzt der seligen Queen Victoria oder sonst einer vom britischen Hochadel der unheimliche Mörder war und man seinerzeit die wahre Identität des Ripper von allerhöchster Stelle vertuscht hatte.

Jeder Tag brachte neue Touristen und stets gingen Patricia und Susanna die gleichen Wege. Bis dann irgendwann Henry Mc Cronach aufgetaucht war.

Er gehörte zu Susannas Gruppe und hatte während der Führung mehr Blicke für die junge Frau an der Spitze der Touristenschar als für die Straßen und Plätze, an denen der Ripper die Prostituierten auf entsetzliche Weise mit einem scharfen Messer getötet hatte. Bei der Rückkehr zur Agentur sagte Susy ihrer besten Freundin für den heutigen, schon fast traditionellen gemeinsamen abendlichen Tee ab.

Am nächsten Tag lag bei der Whitechapel-Agentur Susanna Collins Kündigung im Briefkasten. Und eine Woche später erhielt Patricia den ersten Brief aus Schottland. Susy hatte in Greetna Green an der Grenze zwischen England und Schottland geheiratet. In besonderen Fällen durfte diese Zeremonie dort noch nach dem uralten Ritus durch den Schmied vollzogen werden. Die Brautleute legten die Hände ineinander und der Schmied senkte leicht den Hammer darauf. So schmiedete er die Liebenden auf immer und ewig zusammen. Ein schöner, uralter Brauch, der in Schottland heute noch gepflegt wird. Auch, wenn diese Art der Eheschließung vor dem Gesetz in den meisten Fällen keine Gültigkeit hat. Aber Susy und ihr Henry hatten diese Angelegenheit auf der Durchreise bereits auf dem Standesamt in Nottingham geregelt. Der Hammerschlag von Greetna Greene war nur eine rituelle Besiegelung einer vor dem Gesetz rechtsgültig geschlossenen Ehe.

Susanna Collins war nun also verheiratet und hieß jetzt Susanna Mc Cronach. Sie lebte mit ihrem Henry irgendwo im Herzen der Highlands in einem alten Herrenhaus inmitten einer Moorlandschaft und war sehr glücklich. Jetzt plagten Susy die Gewissensbisse, dass sie sich so rasch davon gemacht hatte, ohne sich wenigstens von ihrer besten Freundin gebührend zu verabschieden. Um die Sache wieder gut zu machen, lud sie Patricia Brandsey für die nächsten Sommermonate zu einem Urlaub in Schottland ein.

Doch was nützt alle Planung des Menschen, wenn in dem ewigen Buch, das nur Gott allein zu lesen versteht, diese Planung nicht verzeichnet ist.

Denn der Tod löst alle Versprechen. Und er zerstört alle Gedanken und Träume.

Rasch kommt er herbei, der ewige Schnitter. Und er reißt den Menschen mitten heraus aus seiner Bahn des Lebens. Egal, ob er das Leben in hohem Alter vollendet hat oder in der Blüte seiner Jugend steht.

Mit ihren siebenundzwanzig Jahren verschwendete Susanna Collins, jetzt Susanna Mc Cronach, noch keinen Gedanken an den Tod. Doch dann hatte jene unheimliche Kraft, die stets als bleiches Gerippe mit der Sense dargestellt wird, die Sanduhr über Susanna Mc Cronach gehoben.

Was die Knochenfinger hielten, war Susannas Lebensuhr, durch die letzte Sandkörner verrannen.

Nur ein kurzes Aufflackern des Glücks gönnte das grausame Geschick Susys Lebenskerze. Dann war die Flamme erloschen.

Der Knochenfinger des Todes hatte Susanna Mc Cronach gewunken. Und auf diesen Wink musste sie die Reise in die Ewigkeit antreten...

***

Wie hatte sich Patricia auf diesen Sommer gefreut, in dem sie ihre Ferien bei Susy in den Highlands verbringen wollte. Welche Pläne hatten die beiden jungen Frauen in ihren Briefen geschmiedet. Und dann hatte Patricia eines Tages nach Mitternacht auf ihrem Computer eine E-mail gefunden, die in kalten, knappen Zeilen die Nachricht von Susannas Tod verkündete.

Ohne zu zögern rief Patricia noch in der Nacht ihren Chef an. Sie wollte einige Tage frei haben, um nach Schottland zu fahren, um ihre Freundin auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Und als Mr. Havart ihr höchst ungnädig den Urlaub verweigerte, hatte sie kurzerhand den Job gekündigt, einige Kleidungsstücke in zwei Koffer gerafft und sich auf den Weg nach Schottland gemacht.

War es auch Patricia nicht mehr vergönnt, Susanna lebend in die Arme zu schließen. Auf ihrem letzten Weg sollte Susy die beste Freundin ihres diesseitigen Lebens an ihrer Seite wissen. Das war ihr Patsy für die lange Zeit treuer Freundschaft schuldig.

Warum musste das Schicksal so hart sein? Warum hatte es diese junge, lebenssprühende Frau mitten aus dem Leben gerissen? Wie konnte es geschehen, dass Susy so plötzlich sterben musste?

Wie hatte sich Patsy darauf gefreut, ihre Freundin glücklich vereint mit dem Mann, den sie liebte, vorzufinden und für einige Tage dieses Glück zu teilen. Doch die ewigen Mächte hatte es anders bestimmt.

Susanna Mc Cronach war tot. Kurz und knapp stand in der E-mail wie in einem Telegramm zu lesen. Wie Susy gestorben war und warum, darüber gab der kalte Wortlaut des Nachricht im Computer keine Auskunft. Nur der Ort und der Zeitpunkt der Beisetzung war vermerkt. Wenn auch ohne eine besondere Einladung, der Freundin auf dem letzten Weg das Geleit zu geben.

Der Friedhof von Corbiebister sollte Susanna Mc Cronachs letzte Ruhestätte sein. Das kleine Dorf hatte Patsy auf keiner Karte gefunden. Aus Susys Briefen hatte Patsy nicht nur eine genaue Wegbeschreibung sondern wusste auch, was dieser Name bedeutet. Ein Name aus der uralten gälischen Sprache der Pikten und Scoten, die sich in den Highlands über Jahrhunderte erhalten hat.

Corbiebister, das Dorf der Krähen. Das klang nicht sehr freundlich. Und in einem ihrer Briefe hatte Susy geschrieben, dass die Einheimischen glauben, dass die Krähen die Boten eines halb vergessenen Gottes der Pikten sind, die mit ihrem heiseren Krächzen den Menschen des Landes schwere Zeiten verkünden.

Noch unheimlicher jedoch hörte sich der Name der Gegend an, in dessen Zentrum nicht nur der Ort Corbiebister, sondern auch Cronach-Tay, das alte Herrenhaus der Mc Cronachs stand.

Gleomoine. Das Moor des Nebels...

***

Trotz dieser schauerlichen Namen hatte Patricia keinen Augenblick gezögert, ihren alten Vauxhall aufzutanken, Geld und Schecks einzustecken und nach Schottland zu fahren. Um Winston, ihren dicken, alten Kater, würde sich eine Nachbarin kümmern. Der lag ohnehin den ganzen Tag faul in der Ecke und wollte nichts als sein Futter und diverse Streicheleinheiten. Und wer das dem Kater gab, war Winston völlig gleichgültig.

Mrs. Goldman kam ja auch sonst täglich in die Wohnung, um das Katzentier zu füttern und zu streicheln, wenn Patsy zu lange unterwegs war. Die alte Dame liebte Katzen über alles. Aber nicht in der eigenen Wohnung. Die schnüffelten doch überall herum. Außerdem waren sie sofort an jedem Essen. Und wenn man sich vorstellte, dass so ein Kater auch ins Bett gekrochen kam...

Um Winston brauchte sich Patsy also keine Sorgen zu machen. Und deshalb war sie auch noch am nächsten Vormittag in Richtung Schottland aufgebrochen. Da sie jedoch nach dem Erhalt der E-mail nicht mehr geschlafen hatte, forderte der Körper in der Gegend von Nottingham sein Recht. Todmüde verbrachte Patricia die Nacht in einer kleinen Bed-and-Breakfast-Pension mitten im Sherwood-Forest. Das ist der legendäre Wald, in dem einst der berühmte Robin Hood gehaust und gegen die Mannen des Sheriffs von Nottingham gekämpft hatte.

Schottland hatte im Bezug auf Wetter und Straßenverhältnisse seine eigenen Gesetze. Patricia war froh, dass ihr die Freundin bereits vor einiger Zeit mit der Kleidung eine ausreichende Wegbeschreibung mitgeschickt hatte. Denn trotz der recht guten Karte, die sich Patricia gekauft hatte, gab es in den Highlands viele kleine Dörfer und noch mehr Landstraßen, die nicht darauf verzeichnet waren.

Ohne Susys Wegskizze und ihre speziellen Hinweisen auf Abzweigungen hätte die siebenundzwanzigjährige Frau den kleinen Ort Creag Minor niemals gefunden. Und das, obwohl Creag Minor noch auf der offiziellen Karte aufgeführt war. Aber Corbiebister lag ungefähr fünfzehn Meilen entfernt. Und die Straße, die in Schlangen gleichen Windungen durch eine Moorlandschaft führte, war so schmal, dass gerade mal ein Wagen passieren konnte. Ungefähr alle zweihundert Yards hatte man kleine Haltebuchten angelegt, damit eventueller Gegenverkehr passieren konnte.

Schmale Straßen dieser Art waren Patsy auch aus den Downs von Südengland bekannt. Vor jeder Kurve musste man die Hupe betätigen, um entgegen kommende Fahrzeuge auf sich aufmerksam zu machen. In so einer Situation rückwärts zu fahren war reine Nervensache.

Doch Patricia hatte Glück. Auf der ganzen Strecke von Creag Minor war ihr kein Fahrzeug entgegen gekommen. Doch durch die schlechte Straße, die mit ihren großen und tiefen Schlaglöchern mehr einer Art Mondlandschaft glich, hatte die junge Frau für die fünfzehn Meilen bis Corbiebister fast eine Stunde gebraucht. Hoffentlich hatte sich der Beginn von Susannas Trauerfeierlichkeit etwas verspätet. Denn trotz riskanter Fahrmanöver auf dem Untergrund, den man eigentlich nicht als Straße bezeichnen konnte, war Patricia Brandsey die Zeit einfach davon gelaufen.

Corbiebister war wie ausgestorben, als Patsy den Vauxhall in den Ort lenkte. Das ‘Krähendorf’ bestand aus gut zwei Dutzend kleinen, von Wind und Wetter zerzausten Häusern, wie sie hier in den Highlands gebaut werden. Hütten aus rauen, grob behauenen Steinen, die sich um den Pub scharen, in dem die Einwohner nach ihrer Tagesarbeit ihr Bier und ihren Whisky trinken.

Nur eine Kirche gab es nicht in Corbiebister. Die befand sich eine halbe Meile außerhalb des Ortes mitten im Moor. Und das uralte Gotteshaus bildete das Zentrum des Friedhofes, auf dem man Susanna jetzt zur letzten Ruhe betten wollte...

***

Der Weg durch das Nebelmoor schien kein Ende nehmen zu wollen. Die junge Frau spürte, wie der Boden unter ihren Füßen immer wieder elastisch nachgab. Obwohl der Weg durch eng nebeneinander gelegte, armdicke Stämme geschlagener Nadelholzbäume gesichert war, erschien es der jungen Frau bei jedem Schritt riskant, weiter zu gehen.

„Stell dich nicht so an, Patsy.“ schimpfte sie mit sich selbst. „Andere Leute gehen auch auf diesem Weg zur Kirche. Was soll eigentlich daran gefährlich sein? Du machst dir doch nur wieder selbst Angst...“

Die Holzstämme sorgten dafür, dass man trockenen Fußes über das Moor gehen konnte. Doch unter den Füßen blubberten leise die Gase aus dem braunschwarzen Schlamm. Dort unten war das schweigende Reich des Todes. War das Holz des Weges morsch und brach, dann sank man unweigerlich hinab in die unergründliche Tiefe. Und fauliger Moorbrei erstickte das Angst kreischen und den Todesschrei.

Patricias Hände umkrampften einen Strauß blutroter Baccara-Rosen, den sie noch in London gekauft hatte. Die Blumen hatten die lange Fahrt glücklicherweise gut überstanden. Der niedergehende Regen erfrischte die Blüten und ließen sie so frisch erscheinen, als habe man sie gerade erst geschnitten.

Die armen Blumen. Gerade erst zum wahren Leben erblüht, wurde ihre Schönheit durch das gnadenlose Messer des Gärtners bereits zum Tode verurteilt. Und wie der Gärtner diese wundervollen Rosen, so hatte auch der grausame Schnitter Tod Patricias beste Freundin dahingerafft. Gerade als sie in ihrer Liebe zu einem Mann die höchste Erfüllung ihres Lebens gefunden hatte.

„Susanna!“ hörte sich Patricia selbst flüstern. „Ach, wenn du mich hören könntest...“

Im gleichen Augenblick zuckte die junge Frau zusammen. Das Rascheln im Schilf ließ ihr Herz schneller schlagen. An das gleichmäßige Geräusch, das vom Wogen der Sumpfpflanzen ausging, hatte sich ihr Ohr auf dem unheimlichen Weg schon so gewöhnt, dass ihr Unterbewusstsein es aus den Gedanken verdrängte.

Doch dieses Knistern und leise Prasseln im Ried war anders. Es klang geradezu wie eine Antwort. Aber woher, um alles in der Welt, sollte hier eine Antwort kommen?

„Susy?“ hörte sich Patricia rufen. Und wieder war dieses leise, unheimliche Knistern zu vernehmen. War das eine Antwort? Und kam diese Antwort - von Susanna Mc Cronach? Angstvoll sah sich Patricia um. Doch da war nichts. Keine Menschenseele weit und breit.

Das Moor hat seine eigene Sprache. Doch heutigen die Menschen vermögen sie nicht mehr zu hören. Die Geister aus der Tiefe der Natur singen ihre Lieder wie seit dem Anbeginn aller Zeiten. Aber wer nimmt sich heute die Zeit, ihnen zu lauschen. Nur im Zustand der Angst ist das Innerste des Menschen empfänglich für die feinen Wahrnehmungen aus dem Unterbewusstsein.

„Susy? Wenn du da bist, dann sag doch was? Du machst mir Angst.“ flüsterte Patricia Brandsey mit bebenden Lippen.

Wieder säuselte es wie eine feine, melancholische Melodie durch die leicht wogenden Riedgräser. Geräusche, die wie feines Schmirgelpapier über Patricias blank liegende Nerven glitten.

War dort nicht eine Stimme. Sang es dort nicht aus dem Nirgendwo her ihren Namen? Erklang dort nicht ein klagender Ruf, dem sie folgen sollte?

„Patsy. Liebe, liebe Patsy. Ich bin ja so froh, dass du mich gefunden hast. Komm zu mir, Patsy.“ War das Susannas Stimme. Oder spielten ihre feinen Wahrnehmungen Patricia einen bösen Streich?

Wieder fielen ihr die alten Legenden ein, die Großmutter an den langen Winterabenden zu erzählen wusste. Es hatte Patricia immer richtig gegruselt, wenn die alte Frau von Geistern und Gespenstern erzählte, während ihre gemütliche, altertümliche Wohnstube nur von einer flackernden Kerze erhellt wurde und ihr Licht geisterhafte Schatten an die Wände warf.

Geschichten aus dem Reich der Toten, deren Körper in Gräbern und Sarkophagen verwesten, während ihr Unsterbliches verflucht war, bis zum jüngsten Tage zu wandeln. Legenden um die Geister der Abgeschiedenen, die um Mitternacht die Ruhe ihrer Gräber verlassen. Denn die ewigen Gesetze erlauben ihnen, in der ersten Stunde des neuen Tages zu wandeln.

Und Patsys Großmutter wusste auch zu berichten, was einem verwegenen Menschen geschieht, der es wagt, seinen Schritt nach Mitternacht über einen Gottesacker zu lenken und unversehens in den Reigen des schauerlichen Totentanzes gerät.

Mit grabeskalten Fingern berührt die Furcht sein Herz, wenn sein Auge die Geister sieht, die ihn umschweben. Und während ein Körper, von Grauen geschüttelt, zusammensinkt und vor Angst das Leben aus ihm entweicht, umtanzen ihn die durchsichtigen Schemen der Gespenster in tollem Reigen. Sowie sie dem Körper entflieht ergreifen die Geister die Seele des Frechen, der ihre Ruhe störte, um sie mit sich hinweg zu führen in ihr eigenes, schauerliches Reich der ewigen Nacht.

Wenn dich das Schicksal um Mitternacht auf einen Friedhof führt und du ein Leuchten über den Gräbern siehst, dann fliehe, so schnell du kannst. Denn dann ist die Stunde da, wo die Geister der Verstorbenen aus ihrer Schattenwelt hervortreten.

Und wenn weißer Nebel zu deinen Füßen aufwallt, dann sind die bereits um dich, um an dir empor zu steigen, dich zu umspielen und dich mit ihren wesenlosen Körpern zu berühren. Denn sie sind eifersüchtig, weil du lebst, während sie niemals wieder das Licht der Sonne erblicken dürfen. Und sie wollen, dass du zu ihnen kommst und einer der Ihren wirst. Wenn dann dein Herz nicht stark genug ist, um zu beten, bist du verloren. Dann ziehen dich die Geister der Toten zu sich hinüber in die Ewigkeit.

Doch Großmutters Erzählungen handelten nicht nur von Gespenstern, sondern auch immer wieder vom Sterben. Von der grausamen Stunde, an der unsichtbar der Tod in seiner schrecklichen Majestät erscheint, um das Leben, die von Gott gegebene Leihgabe, vom erschlaffenden und zusammensinkenden Körper eines Menschen zurück zu fordern.

Und bei diesen Geschichten vom Übergang in die Jenseits-Welt war auch immer von den Sieben heiligen Nächten die Rede. Das sind die sieben Nächte zwischen dem Tod und dem endgültigen Übertritt in die Spähren der Ewigkeit. Diese kurze Zeitspanne, die der Seele eines Verstorbenen noch gewährt wird, um sich von den Menschen, die ihr im Leben lieb und teuer waren, zu verabschieden.

Oder um sich für ein erlittenes Unrecht zu rächen.

Vielleicht auch, um dem eigenen Mörder noch einmal zu begegnen...

***

„Susy?“ presste Patricia noch einmal hervor. „Susy, wenn du das bist, gib mir ein Zeichen. Ich habe Angst.“ Das Herz der jungen Frau pochte bis zum Hals herauf. Und der Friedhof schien trotz der dumpfen Glockenschläge noch eine Ewigkeit entfernt zu sein.

Doch da war nur der Wind, der im Schilf sein schauerliches Lied sang. Außerdem war es jetzt heller Tag. Und trotz der unheimlichen Umgebung konnte das, was Patricia Brandsey wahrgenommen hatte, auf ihre überreizte Phantasie zurückgeführt werden. Ihre Furcht, dass die tote Freundin in ihrer Nähe war, war ganz sicher unbegründet.

„Was redest du für einen Unsinn, Patsy“ schimpfte sich die junge Frau in Gedanken selbst aus. „Susanna ist tot. Und sie kann nicht mehr antworten. Deine Erinnerungen an Großmütterchens Schauergeschichten spielen dir in dieser Situation einen üblen Streich. Das ist nur der Wind, der durch die hohen Gräser streicht. Er reibt diese Gräser so aneinander, dass es wie geheimnisvolles Flüstern aus dem Jenseits klingt.“

Oder doch? War da nicht doch jemand neben dem Weg. Ein Mensch, der in dieser Gegend zu Hause war und alle verborgenen Wege durch den trügerischen Sumpf kannte? Konnte jemand so grausam sein, und sich mit der einsamen Frau so einen schlechten Scherz machen?

„Ist da jemand?“ presste Patricia Brandsey hervor. Wieder verhielt sie ihre Schritte, um zu lauschen. Doch das schweigende Moor gab keine Antwort. Nur der Wind orgelte leise im Röhricht. Aus der Ferne klang der keckernde Schrei eines Eichelhähers zu ihr herüber.