Die Fugger - Walter Brendel - E-Book

Die Fugger E-Book

Walter Brendel

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Beschreibung

Die Fugger sind ein schwäbisches Kaufmannsgeschlecht, das seit der Einwanderung Hans Fuggers aus Graben im Jahr 1367 in Augsburg ansässig war. Eine Linie, Die Fugger "von der Lilie", war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts außerordentlich mächtig. Der Name Fugger wurde europaweit zu einem Synonym für Reichtum. Hans Fugger († 1408/09) war Webermeister aus Graben und wurde Mitglied in der Zunft der Weber in Augsburg. Hier handelte er Ende des 14. Jahrhunderts als "Weber-Verleger" mit Leintuch. Er war der Vater von Andreas Fugger (1394/95–1457/58), dem Stammvater der Fugger vom Reh, sowie von Jakob Fugger d. Ä. (nach 1398–1469), dem Stammvater der Fugger von der Lilie. Das Unternehmen der Fugger von der Lilie erlangte unter Jakob Fugger "dem Reichen" und seinem Neffen Anton Fugger Weltgeltung. Die Mitglieder der Familie stiegen ab 1511 in den Adel auf. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts nahmen sie hohe kirchliche und weltliche Ämter ein. Jakob Fuggers Vermögen, das für heutige Maßstäbe kaum vorstellbare Dimensionen erreichte (zum Lebensende umgerechnet ca. 400 Milliarden Euro, verhalf ihm zu dem Beinamen "der Reiche". Sie setzten Kaiser ein und handelten nach dem Spruch: "Geld regiert die Welt".

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Walter Brendel

Die Fugger

Die Fugger

Walter Brendel

Ein schwäbisches Kaufmannsgeschlecht

Impressum

Texte: © Copyright by Waltr BrendelUmschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2021

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einleitung

Der geschichtliche Ausgangspunkt

Der Handel

Grenzenlose Gewinne

Die Fugger in der damaligen Epoche

Die Gründung der Dynastie

Hinweise aus dem Steuerbuch

Jakob und Andreas

Die zwei Fugger-Linien

Die Heiratspolitik der Fugger

Heiraten in die Kaufmannschaft, das Patriziat und den niederen Adel

Heiratsverflechtung mit dem höheren süddeutschen und österreichischen Adel

Fuggerschloss Kirchheim/Schwaben

Jakob der Reiche

Zur Einführung

Jugend

Ausbildung

Die Verbindung zu Maximilian I.

Die Handelsgesellschaft

Ehe und Familie

Als Alleininhaber der Firma

Die Kirche als Kunde

Der Aufstieg der Bankiers

Handel und Überseehandel

Der Silberberg

Bauernkrieg

Die „Enteignung“ in Ungarn

Stiftungen und Vermächtnisse

Der Kaisermacher

Die letzten Stunden

Würdigung und Charakter

Der Nachfolger

Die Person

Die Mitregierer

Die Geschäfte

Die letzte Stütze des Kaisers

Die “fetten“ Jahre sind vorbei

Augsburger Nachbarn, Verwandte und Konkurrenten

Raymund Fugger – einer der Erben

Finanzdynastien neben den Fuggern

Der Hauptbuchhalter

Manager Johannes Zink

Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531-1598)

Die streitlustigen Fugger

Augsburger Jahreszeiten-Zyklus

Wie ging es weiter?

Zusammenfassung und Nachbetrachtung

Quellenverzeichnis

Einleitung

Die Fugger, eine schwäbische Kaufmannsfamilie, deren Handelsgesellschaft im 16. Jahrhundert Weltgeltung erlangte. Stammvater des Geschlechts war Johann Fugger (1348-1409), ein Weber, der sich 1367 in Augsburg niederließ und dort ein Handelshaus gründete. Unter seinen Söhnen und Enkeln expandierte das Handelshaus beträchtlich.

Jakob II., genannt der Reiche (1459-1525), erwarb Kupferminen in Ungarn, Kärnten, Tirol und Spanien und hatte bald das Kupfermonopol in Europa. Außerdem wurde unter ihm das Fugger’sche Bankhaus zum größten in Europa, zu dessen Kunden der Papst, Kaiser Maximilian I. und Kaiser Karl V. zählten; Letzterer konnte nur dank des Fugger’schen Geldes seine Wahl zum Kaiser finanzieren. Daneben betätigte Jakob Fugger sich als Mäzen und in der Armenfürsorge; in Augsburg stiftete er die Fuggerei, eine heute noch bestehende Wohnsiedlung für Bedürftige. Nach Jakobs Tod übernahmen die Söhne seines Bruders Georg (1453-1506), Raimund (1489-1535) und Anton (1493-1560), das Geschäft, das in dieser Zeit den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Macht erlebte. Anton Fugger finanzierte die Bewerbung Ferdinands I. um die böhmische und die ungarische Krone und die Politik Karls V., z. B. dessen Kriege gegen die protestantischen Fürsten im Reich; im Gegenzug förderten die Habsburger die wirtschaftliche Expansion der Fugger nach Mittel- und Südamerika, und 1530 erhob der Kaiser Anton Fugger in den Reichsgrafenstand. Anton zog sich nach und nach aus dem Handels- und Bankgeschäft zurück und konzentrierte sich verstärkt auf die Konsolidierung und Erweiterung seines Grundbesitzes im Reich. Von Anton ging das Geschäft an seinen Neffen Johann Jakob Fugger (1516-1575) über. Unter diesem gerieten die Fugger an den Rand des Ruins – weniger aufgrund von Johann Jakobs mangelnden kaufmännischen Fähigkeiten, als vielmehr wegen der katastrophalen Finanzlage Spaniens, das, über Karl V., den Fuggern immense Summen schuldete.

Johann Jakob schied 1564 aus dem Unternehmen aus und trat in die Dienste Herzog Albrechts V. von Bayern. 1571 verkaufte er dem Herzog seine Bibliothek, die mit ihrer berühmten Handschriftensammlung zum Grundstock der Bayerischen Staatsbibliothek wurde. Von Johann Jakob übernahm dessen Bruder Markus (1529-1597) das Unternehmen; er konnte es wieder konsolidieren. Die beiden Hauptlinien der Fugger, die Fugger von Glött und die Fugger von Kirchberg und Weißenhorn, von Anton und Raimund begründet, bestehen noch heute.

Der geschichtliche Ausgangspunkt

Um sich intensiv mit dem Geschlecht der Fugger zu beschäftigen, müssen erst einige Daten und Fakten des 16. Jahrhunderts betrachtet werden.

Das Jahrhundert begann mit der Geburt eines Knaben, der wie kein anderer seine Zeit prägte. Am 24. Februar 1500 wurde in Gent, einer der mächtigsten Städte der Burgundischen Niederlande, ein Kind geboren, das zeit seines Lebens Unglück hatte und als 55-Jähriger enttäuscht seine Ambitionen aufgab: Karl V., Enkel Kaiser Maximilians und Sohn des burgundischen Herzogs Philipps I., des Schönen, und der spanischen Prinzessin Johanna der Wahnsinnigen von Aragonien.

Diesem Kind fiel ein Reich in den Schoß, von dem man sagte, dass in ihm die Sonne nie untergehe und das in der Geschichte bisher beispiellos war: die Burgundischen Niederlande, Kastilien und Aragonien in Spanien, große Teile Italiens und die Neue Welt auf der anderen Seite des Atlantiks. Außerdem erwarb Karl V. die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches. Kein Herrscher vor ihm verfügte jemals über eine derartige Machtfülle, und zudem konnte Karl V. noch die zahlreichen neuen wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten dieses Jahrhunderts nutzen.

Tizian: Karl V. im Lehnstuhl (1548), Alte Pinakothek, München

Der Lauf der Geschichte Europas und Amerikas wurde durch ihn und seine Nachkommen maßgeblich geprägt. Karl war dabei immer noch den alten Idealen der Ritterlichkeit verhaftet. So erklärte er am 17. April 1536 gegenüber Papst Paul III. (1534-1549) und der vatikanischen Kurie, dass er bereit sei, den Krieg zwischen Frankreich und den Habsburgern auf ritterliche Art zu beschließen: im Zweikampf.

Anlässlich des Reichstags in Augsburg malte Tizian 1548 das Porträt des Kaisers Karl V. im Lehnstuhl, das heute in der Alten Pinakothek in München hängt. Im Gegensatz zu seinem Bildnis von Karl V. bei der Schlacht von Mühlberg vermittelt Tizians sitzender Karl V. die Würde und das Selbstbewusstsein des Renaissancefürsten.

„Ich versichere Eurer Heiligkeit, diesem heiligen Kollegium und allen anwesenden Rittern, dass ich bereit bin, gegen den König von Frankreich zu kämpfen, wenn er bereit ist, gegen mich auf den Kampfplatz zu treten. Ich werde dies in Rüstung oder im einfachen Waffenrock tun, mit dem Schwert oder einem Dolch, zu Lande oder zu Wasser, auf einer Brücke oder einer Insel, innerhalb eines geschlossenen Bereiches oder unter den Augen unserer Armeen. Er selbst soll entscheiden, was er will.”

Karl war zu dieser Zeit 36 Jahre alt, sein Gegenspieler Franz I. von Frankreich 42, dieser reagierte nicht einmal auf seinen Vorschlag. Bei all seiner Ritterlichkeit war Karl V. ein modern denkender Herrscher, der die Zentralisierung des Staates anstrebte und seine Macht auf Kosten des Adels ausbaute, ein Mann auch, der die modernen Finanzmärkte zu nutzen wusste, stehende Heere unterhielt und die zynischen Methoden der aufkommenden Diplomatie beherrschte. Er war außerdem ein zutiefst gläubiger Mann, der von der Wahrheit und Allgemeingültigkeit des katholischen Glaubens so überzeugt war, dass er den Fortbestand seines Reiches aufs Spiel setzte, um die Ketzerei und die Ketzer zu besiegen.

Er träumte davon, das alte christliche Europa von seiner Bedrohung durch die Türken zu befreien. 1535 leitete er persönlich einen Feldzug nach Nordafrika und beklagte sich bitter über den Mangel an Unterstützung durch die anderen christlichen Mächte.

Aber er ließ auch protestantische Söldner gegen den Papst antreten, Rom plündern und den Papst in der Engelsburg festhalten. Und als seine Wahl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches anstand, nahm er 850 000 Goldtaler auf – 540 000 davon bei der Augsburger Kaufmannsfamilie Fugger –, um die Stimmen der Kurfürsten zu kaufen.

Karl erwarb sein Weltreich durch eine Reihe von Todesfällen. 1504 starb seine Großmutter Isabella von Kastilien, die 1469 heimlich Ferdinand II. von Aragonien geheiratet und damit die Einigung Spaniens herbeigeführt hatte. 1506 starb Karls Vater, Philipp der Schöne, und 1516 sein Großvater mütterlicherseits, Ferdinand von Aragonien. Karls Mutter Johanna, die rechtmäßige Thronerbin Ferdinands und Isabellas, verwand den Tod ihres Mannes nie und wurde als außerstande betrachtet, die Herrschaft zu übernehmen. Sein Großvater väterlicherseits, Maximilian von Österreich, der durch seine Ehe mit Maria von Burgund Nachfolger der Herzöge von Burgund geworden war und 1493 zum deutschen Kaiser gekrönt worden war, starb 1519. Dadurch fielen Karl die österreichischen Erblande zu: Österreich, die Steiermark, Kärnten und Tirol. Mit dieser Hausmacht wurde Karl zu einem aussichtsreichen Kandidaten für die deutsche Kaiserkrone.

Wenig später eroberte Hernán Cortés das Reich der Azteken, und 1532 fügte Francisco Pizarro den spanischen Überseebesitzungen das Reich der Inka hinzu. Mit 30 Jahren war Karl der mächtigste Mann der Welt. Nie zuvor war das alte Ideal der zwei Schwerter, das geistliche Schwert in den Händen des Papstes und das weltliche in denen des Kaisers, so nah an seiner Verwirklichung gewesen. Dem Heiligen Römischen Reich mit seinem Anspruch, die gesamte Christenheit zu vertreten, hatten sich durch dynastische Zufälle und durch technische Entwicklungen die Möglichkeiten eröffnet, seine Universalität wiederherzustellen. Die Schaffung eines starken, geschlossenen Reiches stand Karl deutlich vor Augen. Diese Idee hatte ihm sein Großkanzler Mercurio de Gattinara 1519 nach seiner Wahl zum Kaiser in klaren Worten eingeschärft.

In seinem jugendlichen Idealismus mögen Karl vor allem Gedanken an Ritterlichkeit und Kreuzzüge vor Augen gestanden haben, während der nüchterne Gattinara zweifellos an konkrete machtpolitische und organisatorische Maßnahmen dachte. Die politischen Widerstände gegen eine Reichsreform waren allerdings fast unüberwindlich. Karl V. musste sich mit dem Kleinmut des Adels, dessen Beharren auf die Wahrung der eigenen Interessen, mit Geldmangel und der Langsamkeit der Kommunikation und des Verkehrs auseinander setzen. Wenn es darum ging, dem Kaiser Steine in den Weg zu legen, standen die Kurfürsten in der ersten Reihe.

Der französische König, der sich selbst um die Kaiserkrone bemüht hatte, stand dem Habsburger Alleinvertretungsanspruch unversöhnlich entgegen. Außerdem wurde die Einheit der Kirche, welche die Basis des Reichsgedankens bildete, durch die Erfolge Luthers in Frage gestellt. Karl V. begegneten also überall politische und religiöse Widerstände.

In Süddeutschland, Tirol und in der Steiermark erhoben sich die Bauern zu Aufständen, die nur mit Mühe von den Landesfürsten niedergeschlagen wurden. Karl musste überdies einen Krieg nach dem anderen führen, um sein zentralisiertes Europa gegen Feinde von innen und von außen zu verteidigen.

In diesem Jahrhundert erlebte Europa kein einziges Jahr des Friedens. Die Zeit der Feudalheere mit Rittern, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgten und ihre Ausrüstung bezahlten, war nun endgültig vorbei. Die modernen Heere erforderten den Einsatz enormer Finanzmittel, die das Steueraufkommen ihrer Herrschaftsgebiete weit überschritten. Dies hatte Folgen, die die Untertanen schmerzlich zu spüren bekamen.

Die wirtschaftliche Lage war durch den anhaltenden Geldmangel der Fürsten, drohende und manchmal auch eintretende Staatsbankrotte sowie durch Inflation und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Im heldenhaften Freiheitskampf der Niederlande gegen Spanien trug das wirtschaftliche Elend zur Verbissenheit des Wider-standes bei. Karl V. kämpfte sein Leben lang um Steuern und Kredite. Das ging so weit, dass einer seiner größten Geldgeber, der Augsburger Kaufmann Fugger, ihn in einem Brief unverblümt daran erinnerte, dass er niemals Kaiser geworden wäre, wenn dieser ihm nicht den Wahlkampf finanziert hätte. Die Steuerlast, unter der die Untertanen zu leiden hatten, war – auch aufgrund der mangelhaften Organisation – außerordentlich schwer.

Das System der Verpachtung von Steuerquellen an Privatpersonen – selbstverständlich gegen Zahlung einer stattlichen Summe im Voraus – förderte das Aufkommen eines Systems der persönlichen finanziellen Tyrannei. Staatliche Macht und Privilegien wurden käuflich, und die Folgen dieser Entwicklung ließen nicht lange auf sich warten. Hinzu kam noch die Tatsache, dass die neuen Heere aus Söldnern bestanden.

Durch die zunehmende Bedeutung der Feuerwaffen verschob sich der Schwerpunkt von der Kavallerie zur Infanterie. Diese Söldnertruppen waren nur aus einem Grund bereit, ihren Herren zu dienen: Sie wurden dafür bezahlt. Der Sold blieb aber oft aus. Das führte zu Meutereien und marodierenden Söldnerhaufen, die jeden, dessen sie habhaft wurden, bis aufs Hemd ausraubten, um auf diese Weise doch noch an ihr Geld zu kommen. Selbst der König von Frankreich, der keine Residenz hatte, sondern mit seinem Hofstaat durch das Land reiste, wäre mehrmals beinahe in die Hände soldatischer Räuberbanden gefallen. Die um ihren Sold geprellten Soldaten verbreiteten überall Unsicherheit und Gewalt. Mord, Totschlag, Überfall und Raub waren an der Tagesordnung, und die Obrigkeit stand dieser Entwicklung weitgehend machtlos gegenüber. Der Besitz von Waffen war weit verbreitet. Und die Soldatengaben ihre Waffen nicht aus der Hand, solange ihr Sold nicht ausbezahlt wurde.

Für die Verwirklichung des Traumes von Karl V. von einer Vereinigung des Abendlandes unter einer Krone war die Zeit in psychologischer, technischer und finanzieller Hinsicht noch nicht reif. Als er 1555 in Brüssel enttäuscht und zermürbt abdankte, fiel sein Reich auseinander. Spanien, die Niederlande, Italien und die Neue Welt gingen an seinen Sohn Philipp über, die Habsburger Erblande an seinen Bruder Ferdinand, der außerdem deutscher Kaiser wurde.

König Philipp II., Sohn Kaiser Karls V., herrschte über vier Jahrzehnte, von 1555 bis 1598, als absoluter Monarch in Spanien und den spanischen Besitzungen in Europa und der Neuen Welt. Als Vorkämpfer der Gegenreformation führte er zahlreiche Kriege und suchte den Protestantismus in seinen eigenen Landen mit Gewalt und mit Hilfe der Inquisition zu unterdrücken. In der Nähe von Madrid ließ er den Klosterpalast El Escorial errichten, den er schließlich zu seiner Residenz machte. Das Gemälde von Juan Pantoja de la Cruz gibt Philipp II. in bereits fortgeschrittenem Alter wieder (El Escorial).

Der Handel

Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches war der europäische Handel zurückgegangen. Die mittelalterlichen Feudalstaaten stellten fast alle von ihnen benötigten Güter selbst her. Gute Straßen und stabile Währungen (wie im Römischen Reich) gab es nicht mehr. Die Kreuzzüge des 12. und 13. Jahrhunderts trugen jedoch zur wirtschaftlichen Entwicklung des Abendlandes bei. Der Handel blühte infolge der Kreuzzüge auf. Amalfi, Pisa, Genua, Venedig, Marseilles und Barcelona wurden Handelszentren. Die Teilnehmer der Kreuzzüge brachten von den Muslimen neue Technologien mit, z. B. die Windmühle. Andere asiatische Erfindungen wurden in der Seefahrt benutzt, z. B. Magnetkompass und Steuerruder. Geld kam wieder in den Umlauf. Das Material dafür lieferte das in den Kreuzzügen erbeutete Gold. Das neue Geld erleichterte den Handel. Auch das Bankwesen wurde wieder geboren. Die römisch-katholische Kirche hatte den Geldverleih gegen Zinsen geächtet und damit die Ausweitung des Handels jahrhundertelang blockiert. Jetzt gab es Kredite, Versicherungen, Akkreditive. Die erste moderne Bank entstand 1171 in Venedig. In Deutschland schlossen sich 1358 die Kaufleute einiger Dutzend Städte zur Hanse zusammen, um sich gegenseitig zu schützen. Die wichtigsten Handelsstraßen verliefen von der Ostsee und dem östlichen Mittelmeer bis nach Mittel- und Nordeuropa.

Aus den Wäldern des Baltikums kamen Rohstoffe: Nutzholz, Teer, Felle und Häute. Aus dem Osten kamen Luxusgüter: Gewürze, Juwelen und Textilien. Im Austausch gegen diese Güter exportierte Westeuropa Rohmaterial und bearbeitete Waren. Die Engländer verkauften Wollkleidung, die Holländer boten Salzheringe an, Spanien produzierte Wolle, und Frankreich exportierte Salz. Südeuropa war auch reich an Wein, Obst und Öl. Die italienischen und deutschen Städte beiderseits dieser Straßen förderten und finanzierten den Handel. Dennoch war der Handel zwischen Europa und Asien während des Mittelalters eingeschränkt, denn der Transport über Land war teuer, und Europa besaß wenig Wertvolles für den Export in den Osten.

Die Karte zeigt die wichtigsten Handelsrouten der Hanse und ihre bedeutendsten Mitglieder, Kontore

und Niederlassungen.

Die Entwicklung von Überseekriegsschiffen und leistungsfähigen Handelsschiffen im 15. und 16. Jahrhundert führte zu einer raschen Ausweitung des Handels. Als sich die Kosten für den Transport großer, sperriger Ladungen über lange Strecken verminderten, wurde in großem Umfang Getreide von der Ostsee in die Niederlande und andere Teile Europas importiert. Neue Meeresstraßen zwischen Europa und dem Osten gestatteten Importe aus Asien zu niedrigen Preisen und in größerem Umfang als durch die Überlandkarawanen. Die Entdeckung und Eroberung von Nord- und Südamerika schuf den Handel mit Gütern wie Tabak und tropischen Hölzern, später auch mit Sklaven. Der transatlantische Dreieckshandel zwischen Afrika, Amerika und Europa basierte auf der Sklaverei in Amerika und warf rund 300 Jahre lang enorme Gewinne ab. In Deutschland gelang es u. a. den Kaufmannsfamilien der Fugger und Welser, große Handelsimperien zu errichten; als Kreditgeber der Herrscher erlangten sie auch politischen Einfluss.

Hamburger Hafen

Hamburg war seit dem 13. Jahrhundert Mitglied der Hanse. Das Bild zeigt den Hamburger Hafen im 15. oder 16. Jahrhundert.

Die Ausbeutung der reichen Gold- und Silbervorkommen in Mexiko und Peru durch die Spanier veränderte den Charakter des internationalen Handels.

Mittelalterlicher Markt: Stadtluft macht frei

Weinmarkt in Brügge auf einem Monatsbild aus dem Kalender von Simon Bening (um 1530)

Europa besaß endlich ein Gut, für das große Nachfrage in Fernost bestand. Als Gegenleistung für asiatische Importe tauschte Europa Silbermünzen, die in Mexiko, Spanien, Italien und Holland geprägt wurden. Langfristig löste die Edelmetallschwemme in Europa eine inflationäre Entwicklung aus. Mit Hilfe von Technologien und Fertigkeiten, die sie bei der überseeischen Navigation entwickelt hatten, eroberten die Europäer den Seehandel in Asien. Europäische Schiffe transportierten japanisches Kupfer nach China und Indien, indische Baumwolltextilien nach Südasien und persische Teppiche nach Indien. Der Handel mit bestimmten Haupthandelsgütern erlebte einen wahren Boom. Die Importe von Tabak aus Virginia und Maryland nach England stiegen beispielsweise im 17. Jahrhundert um mehr als das Tausendfache.

Während der Fernhandel weiterhin wuchs, tauchten neue Formen der Handelsorganisation auf. Zuerst wurden die informellen Vereinigungen abgelöst durch gesetzliche Personengesellschaften. In Holland war es nach 1500 nicht ungewöhnlich, dass eher Aktionäre als Kapitäne die Schiffseigentümer waren. Nach dem 16. Jahrhundert organisierten die Kaufleute ihre Geschäfte üblicherweise über Handelsgesellschaften.

Diese großen Kompanien, die vom Staat gegründet wurden, aber im Besitz und unter Leitung von Privatleuten waren, besaßen nationale Monopole für den Handel mit bestimmten Regionen.

Grenzenlose Gewinne

Marktwirtschaft, Kapitalismus, Globalisierung – alles, was sich heute durchgesetzt hat, entstand in ersten Ansätzen im Europa des Mittelalters. Handelsdynastien wie die Fugger waren europaweit aktiv – auch mit Bestechungsgeldern für Kaiser und Fürsten.

Ausführliche Vorschriften regelten auch damals schon den Markt: Nach einer Woche für den Aufbau der Stände durften 10 Tage Stoffe und Pelze verkauft werden, dann 11 Tage Lederzeug und 19 Tage alle anderen Waren. Am Schluss blieben ein paar Tage für das Begleichen der Rechnungen reserviert.

Die Champagne-Messen, damals die wichtigsten in Europa, funktionierten fast wie ein Binnenmarkt. Der Staat, das abgrenzende und alles verschlingende Wesen, war noch nicht so weit gediehen, dass er den Händlern Schwierigkeiten machen konnte. Steuern und Zölle waren noch erfreulich unterentwickelt, Grenzen kaum genau bekannt oder durchlässig. Im Gegenteil, die Obrigkeit tat alles, um die Geschäfte zu erleichtern. Der Graf nahm die Kaufleute, die auf die Märkte seiner Herrschaft reisten, unter sein Geleit. Die „Coutumes“, die Handelsbräuche, bestimmten gar: „Der Herr muss ihnen alle Waren ersetzen, die sie unterwegs einbüßen.“

Das Messerecht galt fast überall in den Wirtschaftsgebieten, die durch diesen gemeinsamen Markt verbunden waren. Wer in der Champagne seine Schulden nicht bezahlt hatte, wurde daheim von den Gerichtsschöffen zur Rechenschaft gezogen – Messerecht brach sogar Landesrecht. Vorausgesetzt, die Beweislage war ausreichend.

Den Kollegen riet ein Genueser Kaufherr daher in seinem Handbuch: „Denke immer daran, alles, was du unterreitschaft gekennzeichnet und von Angebot und Nachfrage gesteuert war.

Was viel später Kapitalismus und Marktwirtschaft hieß, nahm hier in Europa seinen Anfang. Die Fernhändler arbeiteten als Erste nicht mehr vorrangig für den eigenen Bedarf, sie versuchten sogar, bei anderen überhaupt erst das Bedürfnis nach Konsum zu erregen. So entstand allmählich ein Wirtschaftssystem, das von Arbeitsteilung, Gewinnstreben und Investitionsbereitschaft gekennzeichnet und von Angebot und Nachfrage gesteuert war.

Die beiden einzigen uns namentlich bekannten Fernhändler der frühesten Zeit hatten schon reichlich von dem neuen Kapital aufgehäuft, um ihre Transaktionen vorzufinanzieren.

Der Kölner Gerhard Unmaze (1159 bis 1198) war aus der mittleren erzbischöflichen und lokalen Verwaltung hervorgegangen, als Untervogt, Zöllner, Schöffe und Amtmann in einer Person ein erstes Beispiel für den kölschen Klüngel. Unter dem Titel „Der gute Gerhard“ hat nimmst, aufzuschreiben. Schreibe es sofort auf, ehe du es vergisst.“

Das 13. Jahrhundert war das goldene Zeitalter des freien Handels, und die Kaufherren seine heimlichen Herren. Sie waren gebildeter als die meisten Zeitgenossen – siei konnten schreiben, rechnen und oft auch Latein. Sie waren weit gereist und welterfahren– und sie hatten bald etwas, was in der späteren Wirtschaftsgeschichte noch eine große Rolle spielen sollte: Kapital. Diese Händler waren die Avantgarde ihrer Zeit. Das gemeine Volk reiste nicht, kannte nicht die Welt. Die Bauern hatten ihr Auskommen daheim. Bürger und Handwerker – das waren nachgeborene Söhne von Bauern ohne Land – zog es erst langsam in die wachsenden Städte. Die vielen Unfreien wurden noch wie Sklaven verkauft.

Man versorgte sich selbst, beschaffte beim Höker das Nötigste und beim Krämer den Kleinkram. Nur an den wenigen Markttagen oder Kirchmessen ließ sich beim fahrenden Volk, wozu die Fernhändler gehörten, ein besonderer Stoff, ein Säckchen Pfeffer oder Muskat oder gar ein Winterpelz ergattern, meist per Tausch, denn Geld war ziemlich unbekannt.

Wie um die Wende zum 19. Jahrhundert die industrielle Revolution wälzte vom 11. Jahrhundert an die Handelsrevolution die Lebensverhältnisse um. Die hergebrachte Agrarwirtschaft war mitsamt ihrer Böden erschöpft und brauchte neue Produktionsmethoden. Der Handel bot einer stark wachsenden Bevölkerung neue Möglichkeiten, neue Berufe, neue Nahrungsmittel. Fernhändler verbanden nun erstmals professionell und dauerhaft die regionalen Zentren – die sich damals zu Städten formierten –, indem sie die jeweils anderswo benötigten und begehrten Produkte erst tauschten, später auf eigene Rechnung erwarben und dann mit Gewinn weiterverkauften. Sie knüpften persönlich oder über Berufskollegen die Kontakte zu denen, die man heute Anbieter nennt.

Und sie erweiterten das Angebot: Sie erstanden in Konstantinopel Gewürze, die arabische Händler aus Indien herbeischafften. Sie tauschten Goldstaub aus dem Senegal gegen Wolle aus England, Silber aus dem Schwarzwald, Seide aus China. Sie halfen mit, die Weiten Russlands zu erschließen, indem sie Felle, Honig und Wachs erwarben und in Gegenrichtung Getreide aus Frankreich, Stoffe aus Flandern, Salz aus Lüneburg lieferten.

Sie entdeckten die Marktlücken, gingen Risiken ein – und machten, wenn’s gut ging, mit ihrer jeweiligen New Economy riesige Gewinne. Ging’s schlecht, fielen sie Meeresstürmenoder reißenden Flüssen, Räubern, Piraten oder plündernden Soldaten zum Opfer.

Um das Schlimmste, den Verlust ihres Geldbeutels, zu verhüten, erfanden Berufskollegen aus Genua schon im zwölften Jahrhundert den bargeldlosen Zahlungsverkehr: Gulden oder Gold – ohnehin rar in einer Gesellschaft, die auf lokaler Ebene noch wie Hans im Glück tauschte – konnten nun „per Cambio“, durch den Wechselbrief, ersetzt werden.

Die Banken

Geld und andere Werte, die norditalienische Goldschmiede des 12. Jahrhunderts von der Kundschaft befristet zur Aufbewahrung erhielten, verliehen sie zwischenzeitlich gegen Zinsen.

Bei diesen Zinsgeschäften, die unter Christen als sündig galten und deshalb oft in jüdischen Händen waren, saßen die Geldmänner auf Bänken vor ihren Häusern.

Deshalb nannte man sie „bancherii“. Auf Wunsch vergaben die Banker auch Wertbriefe, die bei Vertrauensleuten in anderen Städten einlösbar waren. Diese bargeldlose Abwicklung verbreitete sich in ganz Europa und machte bald die Banken auch bei Staaten und Handelshäusern unentbehrlich. Das Vorbild stammt aus dem Altertum: Ägyptische Geschäftsleute lieferten ihre Werte in Staatsspeichern ab, wo Kontengeführt sowie Last- und Gutschriften verteilt wurden.

Die Bedürfnisse der überregionalen Kaufleute erzwangen gegen Ende des Mittelalters den gesellschaftlichen Fortschritt, mit einheitlichen Regeln, Gesetzen, sogar vielerorts anerkannten Währungen, die von Münzhändlern und Wechslern zum Geldwert getauscht wurden. Dabei waren die Verkehrswege desolat; über Land führten nur Saumpfade. Von Papst Johannes XXII. ist der unchristliche Ruf überliefert, als 1414 seine Kutsche auf der Fahrt zum Konstanzer Konzil am Arlberg in den Sumpf fiel: „Jaceo hic in nomine diaboli“– Ich liege hier im Namen des Teufels.

An Land schafften Pferde und Karren im Schnitt nur fünf Meilen am Tag. Außer Kaufleuten und Reisenden war niemand an guten Straßen interessiert: Je schlechter die Wege, desto besser für Schmiede, Kärrner oder Gastwirte. Es gab sogar ein „Grundruhrrecht“, wonach der Inhalt von Unfallwagen dem jeweiligen Grundeigentümer zufiel.

Die meisten Waren wurden deshalb mit Schiffen geliefert. An Flüssen und Küstenerblühten die Hafenstädte, aber dann auch die Zollstationen: Auf dem Rhein waren es 64, auf der Elbe 35, an der Donau 77. Als nach und nach die Landwege verbessert wurden, konnten regelmäßige Post- und Kurierdienste eingerichtet werden. Briefe von Köln nach Brügge brauchten etwa eine Woche, doppelt so lange von Augsburg nach Venedig. Die Nachricht vom Fall Konstantinopels 1453 erreichte Venedig dagegen erst nach genau einem Monat.

Venezianischer Bankier: Wie Hans im Glück - Aquarell von Jan Grevenbroeck (1731 bis 1807) nach

einer Vorlage aus dem 16. Jahrhundert.

Die wachsende Händlerschaft war auf ein funktionierendes, schnelles Informationssystem angewiesen und drängte auf Verbesserungen: Das Haus Taxis erhielt 1490 vom habsburgischen Kaiser das Postmonopol für das gesamte Reich zwischen Italien und Nordsee; noch heute erinnert weltweit jedes Taxi daran.

Die Wirtschaftsgeschichte Europas ist jedoch keineswegs eine durchgehende Gerade zu Wohlstand und Erfolg. Im 14. und 17. Jahrhundert sorgten Pest oder Kriege für gravierenden Bevölkerungsschwund und damit für Rezessionen, deren Folgen – anders als heute – erst nach mehreren Generationen überwunden werden konnten.

Immer wieder wurde die langsam sich entwickelnde Marktwirtschaft durch Eingriffe der Obrigkeit gestört. Fast alle Händler wollten sich ihre Gewinne allzu gern durch staatlich geschützte Monopole oder Kartelle sichern, wie es internationale Konzerne, allerdings illegal, heute noch versuchen.

Dabei führt Marktwirtschaft nur dann zum größten Nutzen für die größte Zahl, wenn sie immer offen für neue Anbieter ist und also möglichst wenig staatliche Hürden und möglichst wenig Teilnahmebeschrän-kungen aufstellt. Die erste überregionale Wirtschaftsgemeinschaft der Welt, die Hanse, scheiterte gerade an ihren Monopolansprüchen. Denn am Ende konnte sie diese nicht gegen die wachsende neue Konkurrenz durchsetzen.

Die Hanse entwickelte sich im zwölften Jahrhundert aus einem berufsständischen Verein von Kaufleuten, die sich im Nord-und Ostseeraum gegenseitig Hilfe leisteten.

Die 1161 gegründete „Gemeinschaft der Kaufleute des Römischen Reichs, die Gotland besuchen“ war die Keimzelle der Hanse – das Wort bedeutet „Schar“ im Gotischen.

Sie brachten die Heringe aus der Gegend der schwedischen Halbinsel Schonen mit dem Salz aus Lüneburg zusammen. Damit und mit Privilegien der Obrigkeiten verschafften sie sich ein Versorgungsmonopol für den Winter und die Fastenzeit; das christliche Fastengebot galt immerhin an 140 Tagen des Jahres. Man hat ausgerechnet, dass in der Saison 300000 Fischer auf 40000 Booten die Fänge lieferten.

Bald wandte sich die Flotte anderen Exportgütern zu. Ihre Kaufleute tauschten Tuche aus Flandern, wo eine Textilproduktion entstand, gegen Rohprodukte und Getreide aus Osteuropa. Sie verkauften Bier aus Hamburg oder Wismar ins niederländische Friesland, wo Bierfässer zur ersten örtlichen Handelswährung wurden. Von ihren ersten Zentren in Lübeck oder Visby auf Gotland operierten sie zwischen ihren eigenen Kontoren und Lagerhäusern, dem Peterhof in Nowgorod und dem Stalhof in London.

Händler aus Portugal, Japaner (Lithografie aus dem 19. Jahrhundert)

Dort hatten sie Zolloder Niederlassungsfreiheit sowie das Stapelrecht erworben. Stapelrecht bedeutete, dass die Ladung eines Schiffes im Hafen vor jedem Interessenten „gestapelt“, ihm also gezeigt werden konnte.

Hanseatisch korrekt waren Verwaltung und Besitzverhältnisse vom Peterhof: Je ein Bürger der Hansestädte Visby, Lübeck, Dortmund und Soest besaß einen Schlüssel zum Hof. Um 1300 verschmolz der Berufsbegriff mit der Herkunft der Kaufleute: Ihre Heimatorte werden „die stede von der dudeschen Hanse“ genannt – immer noch kein fester Städtebund mit Interventionsregeln oder gar gemeinsamen Gesetzen, aber mit großer Anziehungskraft. Bis zu 200 Mitglieder zählten sich über die Jahrhunderte selbst zur Hanse und fühlten sich dann den gemeinsamen Prinzipien – Rechtsschutz und Handelsfreiheit – verpflichtet.

Das galt aber nur untereinander, den Mitgliedern gegenüber. Konkurrenten hielt der Bund nieder, indem er ihnen nach einer Lieferung in eine Hansestadt für den Rückweg den Frachttransport verbot. Die Hanse stand keineswegs für liberalen Freihandel, sondern bildete ein striktes Transport- und Außenhandelsmonopol.

Das Ende der Hanse fiel etwa mit der Umkehrung der Handelsströme nach der Entdeckung Amerikas und der neuen Seewege zusammen. Der Osthandel über See verlor an Bedeutung, als Zar Iwan III. 1487 Nowgorod eroberte und die Hanse verjagte.

England hatte schon vorher – 1567 dann mit Erfolg – verlangt, die Hanse müsse ihre Häfen auch englischen Schiffen öffnen.

Die hansischen Kaufleute waren nicht mehr auf der Höhe der Zeit. So schafften es die Lübecker nicht, in ihrer Stadt eine eigene Bank zu gründen. Nach dem Tod der Florentiner Bankiers Ludovico Baglioni und Gerardo Bueri, die an der Trave das Kredit- und Wechselgeschäft betrieben hatten, übernahmen Nürnberger Handels- und Bankhäuser diese Funktion. Die lübischen Kaufleute kannten sich mit den Geheimnissen des bargeldlosen Geldverkehrs und der neuen, doppelten Buchführung „alla Veneziana“ nicht aus. So verlagerte sich das Zentrum des wirtschaftlichen Erfolgs

von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an zunehmend nach Süddeutschland. Das Ende der Hanse kam aber auch, weil das Wirtschaftsbündnis sich nie zu einer politischen Macht entwickeln konnte – und auch nicht wollte. Politik war den Kaufleuten egal, solange die Geschäfte liefen. Dem wachsenden Machtanspruch der Könige und Fürsten hatten die Hansestädte nichts entgegenzusetzen. Zwar wuchs im 16. Jahrhundert überall die Bevölkerung; zwar begann überall die Landflucht armer, nicht erbberechtigter Bauernkinder in die Städte – doch die Städte waren noch klein und fielen schon deshalb als Machtfaktor aus. Zu den Metropolen der Zeit zählte Florenz mit 90000 Einwohnern, London mit 50000 und das Handelszentrum Gent mit 60000.

Lübeck und Köln galten mit einer Einwohnerzahl zwischen 20000 und 30000 schon als Großstädte, gefolgt von Nürnberg, Straßburg, Augsburg und Danzig.

Rein rechtlich wurde die Hanse selbst nach dem letzten Hansetag 1669, an dem neben Bremen, Hamburg und Lübeck noch Danzig teilnahmen, niemals aufgelöst, auch wenn sie heute nur noch als eher steife Tradition hanseatischer Kaufmannschaft weiterlebt.

Markt in den Niederlanden: Größter Nutzen für die größte Zahl (Gemälde von Pieter Aertsen um 1550)

Die Fugger in der damaligen Epoche

Vom Niedergang der Hanse und der Verlagerung der Weltwirtschaftsströme profitierte alsbald eine neue Gruppe von Kaufleuten – diesmal nicht als Städtebund, sondern als Familienunternehmen: die süddeutschen Familienclans der Fugger, Welser, Höchstätter, Imhof oder Tucher.

Besonders die Fugger, die ersten wirklichen Kapitalisten, verließen schon bald ihr angestammtes Metier als Weber und Tuchhändler. Sie wandten sich höchst gewinnbringend dem Erzbergbau und dem Kreditgeschäft zu und waren mit ihren Millionen zeitweise mächtiger als Kaiser oder Päpste, mit denen sie innig zusammenarbeiteten: der erste Multi der Geschichte. Ein Fugger war der erste Nichtadlige, der einen Kaiser machte, und der erste Laie, der die Kirchengeschichte umkrempelte.

Der Stammvater der Fugger, Hans, begründete nach 1367 in Augsburg das Familienvermögen damit, Leinen und Baumwolle zu einem haltbaren, trotzdem preiswerten Stoff namens Barchent zusammen zu weben. Die nötige Baumwolle kam aus Ägypten via Venedig, wo deutsche Händler am Rialto eine eigene Niederlassung unterhielten.

Fuggers Einstieg in die Weltpolitik begann 1473 mit einem Besuch des hoch verschuldeten Kaisers Friedrich III. in Augsburg, wo Majestät empfohlen wurde, beim Gründerenkel Ulrich Fugger ein Seidengewand zu besorgen. Das geschah – auf Pump. Damit war ein langjähriges Darlehenskonto eröffnet, in dessen Verlauf die Fugger Bischöfe, Kurfürsten und Kaiser mit ihren Gulden schmierten, um immer mächtiger zu werden.

Sie bauten und sie beuteten die Silberbergwerke in Tirol und Kupferbergwerke in Ungarn aus und errichteten für einige Jahre ein Kupferkartell – Kupfer wurde weltweit zum Kanonenguss gebraucht. 1494 schufen sie mit dem Unternehmen „Ulrich Fugger und Gebrüder von Augsburg“ die erste „offene Handelsgesellschaft“ (oHG) in Deutschland, eine Firma mit eigenem Kapital und eigener Rechtspersönlichkeit. Ihr Hauptgeschäft machten sie als Banker mit der Arbitrage, also der Überweisungsgebühr.

Einer der wichtigsten Kunden war der Papst sowie die katholische Kirche, die große Summen zwischen den Bistümern und Rom transferieren ließ. Als die Fugger dem Hohenzollern Albrecht von Brandenburg 30000 Dukaten für den Kauf der Bischofwürde von Mainz borgten, ging ein Drittel der Summe via Fugger-Bank Rom direkt an den Papst für den Neubau des Petersdoms.

Dafür wurden die Fugger am lukrativen Ablasshandel beteiligt, der allen Christensündern Nachlass ihrer Schuld versprach, wenn sie nur eifrig dem Papst, tatsächlich aber dem neuen Mainzer Bischof, spendeten. Damit finanzierten die Gläubigen die Rückzahlung des Fugger-Kredits. Immer wenn der Ablassprediger Tetzel von der Kanzel dröhnte, nun müsse „das Geld im Kasten klingen“, war ein Fugger-Angestellter in der Nähe und hatte den Schlüssel zum Kasten in der Hand.

Kaiser Karl V. bei den Fuggern: Meister der Korruption. Anton Fugger verbrennt die Schuldverschreibungen des Kaisers, nach einem Gemälde von Carl Becker (1870).

So trugen die Fugger zu einem einschneidenden Ereignis der europäischen Geschichte bei: Weil Martin Luther sich über den Ablass aufregte, kam es 1517 zur Kirchenspaltung und zur Reformation. Die Fugger mehrten davon unbekümmert ihren Reichtum. Erzbischof Albrecht hatte seine Schuld schon bis 1527 zurückgezahlt, die Fugger aber ihr Vermögen zwischen 1511 und 1527 auf fast zwei Millionen Gulden verzehnfacht und eine Jahresrendite von durchschnittlich 54,5 Prozent erzielt.

Luther hingegen hielt alle Kaufleute für unchristlich, für potenzielle Wucherer. Er glaubte, Handel sei Teufelszeug: „Der auslendische Kauffshandel … sollt nicht zugelassen werden“, weil er nur „Land und Leutten das Geld ausseuget“.

Zwei Jahre nach der Reformation machten die Fugger, wie sie wohl glaubten, ihr Meisterstück. Sie bestachen die wahlberechtigten Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit 543000 Gulden, um den Habsburger Karl V. und nicht den französischen König Franz I. zum deutschen Kaiser wählen zu lassen.

Beim feierlichen Wahlakt erhielt jeder Fürst zusammen mit den Wahlunterlagen einen Wechsel über die Bestechungssumme, und das Haus Fugger archivierte zum internen Gebrauch eine Aufstellung, was genau die Kaiserwahl gekostet hatte. Als Gegenleistung erwarteten die Geschäftsleute vom Gewählten, dass der Kaiser ihnen beim Umgang mit dem Reichstag entgegenkam. Die Ständeversammlung, eigentlich kein sehr demokratisches Parlament, suchte immer mal wieder die Monopole der Handelshäuser gesetzlich einzuschränken. Sie reagierte damit auf eine weit verbreitete öffentliche Meinung, welche die exorbitanten Lohneinbußen beim „gemeinen Mann“ mit den Gewinnen und den Geschäftspraktiken der Handelsgesellschaften in Verbindung brachte.

Die Diskrepanz lag, wie wir heute wissen, nicht nur an der Geldgier der Frühkapitalisten, sondern an großen konjunkturellen und bevölkerungspolitischen Zyklen: Im 14. Jahrhundert, als die Pest ein Drittel der Bevölkerung Europas dahinraffte, waren die Preise für Güter des täglichen Bedarfs mangels Nachfrage gefallen. Im folgenden Jahrhundert waren sie auf niedrigem Niveau geblieben. Danach, zwischen 1480 und 1590, explodierten sie dann aber um das Fünf- bis Sechsfache. Bei stark steigender Nachfrage mussten Marktpreise für neue („Kolonial“-)Waren und für bisherige Tauschprodukte erst noch gefunden und der allgemeine Umgang mit Geld und Edelmetall gelernt werden.

Kaum hatte sich also ein vormodernes Marktwirtschaftssystem etabliert, kam es auch schon zu einer ersten Inflation – von den Wirtschaftshistorikern „Preisrevolution“ genannt.

Der folgte eine weitere neue Erfahrung: Auch die mächtigen Handelshäuser, ja sogar Könige konnten Bankrott machen.

Risiko, Gewinn und die sozialen Folgen wirtschaftlichen Handelns: Das alles war damals im Ansatz schon in der Welt der Fugger und Welser angelegt. Mit anderen Worten, denen von Karl Marx im „Kapital“: „Welthandel und Weltmarkt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals.“

Es prägte sich eine Mentalität des Kaufmanns aus – er brauchte eine neuartige Einstellung zurzeit, zu Genauigkeit, Sicherheit, zu Transport und Kommunikation. Die damaligen Kritiker der Frühkapitalisten beklagten etwa auf dem Reichstag 1512 den „Eigennutz“ der Kaufleute und plädierten für das überkommene ständische Ideal des „gemeinen Nutzens“ – ein Gegensatz, der sich noch fast 500 Jahre später durch die staatliche Sozial- und Gesellschaftspolitik zieht.

Eigennutz war den Fuggern nicht fern: In einem Brief erinnerte Jakob Fugger „der Reiche“ den Kaiser, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, an den Zweck seiner Wahl. Hätte er damals statt Karl den Franzosen unterstützt, „so hätte ich viel Geld und Gut erlangt“.

Längst waren Kaiser und Banker voneinander abhängig. Der Kaiser brauchte Fugger zur Finanzierung seines Lebensstils, seiner Truppen, Höflinge und Kriege. Und Fugger musste immer wieder frisches Geld den faulen Krediten hinterherwerfen, um auf Rendite zu hoffen. Wohl trat ihm Karl Bergwerke oder ganze Schiffsladungen aus den neuen amerikanischen Kolonien als Sicherheit ab. Doch der Niedergang begann, als 1557 das spanische Königshaus zum ersten Mal Bankrott machte und alle Zahlungen einstellte.

Historiker schätzen die offen stehende Schuld der Habsburger bei den Fuggern auf acht Millionen Gulden. Außer dem süddeutschen Grundbesitz, den die Fugger einst als Sicherheit für Darlehen erhalten hatten, blieb ihnen nur der Spott der kleinen Leute: Im Oberdeutschen bedeutete das Wort „Fuckerei“ die Ausplünderung der einfachen Bürger durch allzu hohe Forderungen. Im Flämischen heißen Monopolisten solchen Stils immer noch „Fokker“, im Wallonischen „fouckeur“; und sogar im Spanischen leben sie als „fúcar“ fort.

Die Fugger verspürten in ihrer eigenen „Handlung“ – so nannten sie selbst ihre Firma – den Widerspruch zwischen kapitalistisch-gewinnorientiertem Streben und der christlich-mildtätigen Morallehre. Sie gründeten, allerdings nur für 106 Arme von Augsburg, 1514 ihre „Fuggerei“ mit 53 Häuschen zur Jahresmiete von umgerechnet 88 Cent – die Stiftung besteht noch heute.

Anton Fugger, einer der letzten des Clans, überlegte 1552, den ganzen Krempel hinzuwerfen und die Handlung „zu Ende und ausgehen zu lassen“, weil: „Es sollte diesen großen Herren billig die Lust zum Kriegen vergehen.“

Die Fugger waren mit ihrem bis dato unerhörten Gewinnstreben ihrer Zeit voraus – und liefen ihr doch hinterher, indem sie sich erst freiwillig und später notgedrungen in Abhängigkeit zum letztlich macht- und bedeutungslosen Kaiser begaben: Hätten sie sich auf ihr Kerngeschäft im Bergbau und im Bankwesen konzentriert, so hätten sie sicher auch die Wirren des 17. Jahrhunderts und die Folgen des Dreißigjährigen Krieges besser überstanden.

So blieb ihr Zeitalter nur ein Übergang zwischen regionalem Wirtschaftsaustausch und dem beginnenden Welthandel. Dabei hatten sie mit ihren Interessen in der Montanindustrie den Übergang zum industriellen Zeitalter wohl schon vorausgeahnt.

Praktisch zeitgleich mit dem Niedergang der Fugger entwickelte sich der Amerika und Ostindienhandel zu strahlender Blüte. Im Handelsverkehr zwischen Spanien, das hieß: Sevilla, und Amerika vervierfachte sich zwischen 1506 und 1550 die Zahl der Schiffe auf 874. Die Transporte versechsfachten sich auf 95500 Tonnen. Zwischen 1503 und 1560 wurden aus den spanischen Kolonien 100 Tonnen Gold und 574 Tonnen Silber ins Mutterland exportiert.

Das Handelsinteresse verlagerte sich von regionalen Zentren zu weltweiten Warenströmen: Das Rad – und das Rind – kamen nach Amerika, Kartoffel und Mais nach Europa. Wünsche wurden geweckt, auch wenn viele kleine Leute nicht mithalten konnten: Die Entwicklung der Binnenmärkte hielt nicht Schritt mit der Internationalisierung des Handels.

Die große Zeit des freien Handels und der wagemutigen Kaufherren ging fürs Erste zu Ende. Für mehrere Jahrhunderte übernahm der Staat – in Gestalt seiner Könige und Fürsten – immer stärker die Unternehmerrolle. Die „Merkantilisten“ in den Kabinetten regulierten den Außenhandel und betätigten sich auf dem Binnenmarkt als Wirtschaftsförderer, die Manufakturen oder Werften errichteten.

Die geistig-kulturelle Tradition des ersten Handelsbündnisses überdauerte freilich auch diese Epoche, die schließlich im anti-europäischen Extrem der volkstümelnden Nationalstaaten mündete. Der Lübecker Thomas Mann sah in dem „patrizischstädtisch-bürgerlichen“ Erbe seiner Heimatstadt etwas, das „in gewissem Sinne stets mittelalterlich“ war, aber zugleich „humane Weltbürgerlichkeit“.

Zusammenfassung

1406 Anfänge einer Warenbörse in Brügge vor dem Haus des Kaufmanns van der Beurze (daher Börse) 1448 Portugiesen errichten die erste europäische Handelsniederlassung in Afrika

1490 Kaiser Maximilian I. bestellt Franz von Taxis zum obersten Postmeister

1494 Die Fugger machen in diesem Jahr einen Gewinn von 54 000 Gulden, das entspricht 140 Kilo Gold

1514 Die Fugger sichern sich die Aufsicht über den Ablasshandel in Deutschland

1518 Aus China kommt Porzellan nach Europa

1520 Im Tiroler Erzbergbau sind etwa 50 000 Menschen beschäftigt

1527 Das Augsburger Handelshaus der Welser erlangt das Privileg zur Kolonisation Venezuelas

1545 Portugiesische Kaufleute erstmals in Japan

1546 Das Handlungskapital der Fugger beträgt fünf Millionen Gulden; damit sind sie das kapitalkräftigste Bankhaus ihrer Zeit

1556 Der Diplomat Jean Nicot bringt den Tabak nach Frankreich (daher Nikotin)

1585 Gründung der Frankfurter Börse

1598 Im Konflikt der Hanse mit England wird in London das Kontor Stalhof geschlossen

1600 Mit der Gründung der Ostindienkompanie beginnt die englische Handelsexpansion in Übersee.

Die Gründung der Dynastie

Im vierzehnten Jahrhundert zog es viele Menschen unter dem Motto „Stadtluft macht frei“ in die Städte. Warum ausgerechnet dieses Motto? Der Ausspruch „Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag“ umschreibt einen Rechtsgrundsatz im Mittelalter.

Aus Siedlungen rund um Burgen und Klöster, die etwa ab dem 11. Jahrhundert von freigekauften Leibeigenen und anderen Angehörigen des 3. Standes gegründet wurden, entstanden neben den alten römischen oder auch germanischen Gründungen weitere Städte. Dabei setzten sich immer mehr Leibeigene in die Städte ab, wo sie für ihre Grundherren zumeist unauffindbar waren. So wurde es Rechtsbrauch, dass ein in einer Stadt wohnender Unfreier nach Jahr und Tag nicht mehr von seinem Dienstherrn zurückgefordert werden konnte und somit ein Insasse (auch Stadtbewohner) wurde. Diese Regelung wurde freilich durch das Statutum in favorem principum (1231/32) zugunsten der Fürsten aufgegeben.

Die Stammtafel des Hauses Fugger von der Lilie beginnt mit Maria Fugger-Meissner aus Kirchheim, die mit ihrem Mann Hans Fugger zu Graben an der Straße auf dem Lechfeld lebte. Sie war die Mutter des Webers Hans Fugger, der 1367 nach Augsburg zog, wohl wissend, dass in der Reichsstadt tüchtigen Handwerkern guter Verdienst winkte. Das Bürgerrecht und die Handwerkgerechtigkeit konnten damals auf zweierlei Art erworben werden: entweder durch Heirat mit einer Tochter oder Witwe eines Webmeisters oder durch den Kauf des Bürgerrechts.

Hans Fugger zog also von Graben nach Augsburg. Er hatte offenbar erkannt, dass er als Landweber auf dem Dorf keine allzu großen Zukunftschancen besaß. Die Landweber waren voll kommen abhängig von den Kaufleuten aus der Stadt, welche ihnen die Rohware brachten und die fertigen Stoffe wieder mitnahmen. Landweber wurden schlecht entlohnt - pro Tag verdienten sie etwa zehn Kreuzer. Da, machte einen Gulden in der Woche und fünfzig Gulden im Jahr - vorausgesetzt, es war immer genug Arbeit da. Die Weber in der Stadt verdienten mehr, und das war einer der Gründe, weshalb die Augsburger Verlagsherren, wie man die entsprechenden Kaufleute nannte, lieber die bescheideneren Dörfler beschäftigten. Gewoben wurde auf einfachen Webstühlen, und zwar vornehmlich der Barchent, ein fester, auf einer Seite angerauhter Stoff aus Baumwolle und Flachs. Er wurde zu den groben Kleidern der Bauern und Bürger verarbeitet, wohlhabende Kaufleute und der Adel dagegen bevorzugten Seidenstoffe und Damast. Hans Fugger hatte es jedoch nicht leicht, denn es gab schon viele Weber in Augsburg.

Hans Fugger allerdings hatte vorgesorgt. Er durfte sich noch im Jahr seiner Ankunft als selbständiger Weber in Augsburg niederlassen. Vermutlich hatte schon der Vater Beziehungen zu Augsburger Webern angeknüpft, die dem Sohn eine Aufenthaltsgenehmigung verschafften. Dass Hans I. nicht als Habenichts ankam, dokumentiert ein Eintrag aus dem Jahr 1367 in den Steuerbüchern der Stadt, aus dem hervorgeht, dass er Vermögen besaß. Wie hoch dieses war, ist unbekannt. Seine erste Steuerzahlung jedenfalls lautete über 44 Pfennige.

Nach etwa drei Jahren, um 1370, hatte er es geschafft. Der Weber Hans Fugger verheiratete sich 1367 mit Clara Widolf, der Tochter des Zunftmeisters der Weber, Oswald Widolf. Die Dame war, wenngleich mit bescheidenen äußeren Vorzügen ausgestattet, so doch eine glänzende Partie. Hans wurde am Tag der Eheschließung Bürger Augsburgs, Mitglied der Weberzunft und außerdem Empfänger einer ansehnlichen Mitgift. Die erste Behausung der Fugger in Augsburg war bescheiden. Hans und Clara wohnten bei den Schwiegereltern hinter dem Stift Heiligkreuz in der Frauenvorstadt, einer Gegend, in der 70 bis 80% der Weber in Häusern mit sechs und mehr Familien wohnten. Die hygienischen Verhältnisse waren schlecht, die Wohnverhältnisse bedrückend, aber immer noch besser als in der Jakobervorstadt oder im Lechviertel. Es ist nicht bekannt, wie die Weberhäuser innen aussahen bzw. wie viele Zimmer als Wohn- und Arbeitsräume zur Verfügung standen. Anhand der Steuerlisten der Stadt Augsburg konnte errechnet werden, dass die Wohnverhältnisse der Weber weit ungünstiger waren als die der nicht weberischen Bevölkerung.

Dass die Partnerwahl jenes ersten Fuggers nicht oder zumindest nicht ausschließlich von zarten Gefühlen bestimmt war, bewies er zwölf Jahre später. Nach Clara Widolfs frühem Tod entschloss sich Hans Fugger 1382 zu einer Wiederverheiratung mit Elisabeth Gfattermann, der Tochter eines reichen Ratsherrn und bedeutenden Mitglieds der Weberzunft. Durch seine Ehe mit Elisabeth Gfattermann, einer ebenso klugen wie energischen Frau, schaffte er den Aufstieg in den »Zwölferausschuss« der Weber. Fugger war damit einer der führenden Zunftmeister. Über den Tod seiner ersten Frau ist nichts bekannt geworden. Höchstwahrscheinlich war sie erheblich älter als ihr Mann, schon zum Zeitpunkt der Eheschließung ein »spätes Mädchen« also, deren Eltern vermutlich froh waren, sie unter die Haube gebracht zu haben.

Nach der Eheschließung zog das Paar in ein beim "Gögginger Tor vor dem Brunnen" gelegenes Anwesen, das der Schwiegermutter Gfattermann vom Chorherrenstift St. Moritz lehen bar gemacht wurde. "Auf den Leib verliehen" wurde die "Hofsach" für sie, ihren Tochtermann Hans Fugger, dessen Hausfrau und Söhne. Nach dem Tod der Schwiegermutter Gfattermann wurde dieses Anwesen für die Familie "die erste Fuggerische Behausung, die sie eigentümlich bewohnte".

Wer als Weber ein eigenes Haus für seine Familie besaß, verfügte über einen ansehnlichen Besitz. Im Jahre 1397 schaffte Hans Fugger bereits den Sprung in die Oberstadt. Durch seine eigene Arbeit und die "Habe seiner Frauen" konnte er das prächtige "Haus am Rohr" (heute Maximilianstraße 21; eine Gedenktafel erinnert an Jakob Fugger) erwerben, direkt an der Reichsstraße gegenüber dem Zunfthaus der Weber und der St. Moritz-Stiftskirche: Ein bedeutender sozialer Schritt aus dem armen Weberviertel in die spätere Maximilianstraße, weitaus bedeutungsvoller als der folgende Erwerb der Häuser am Rindermarkt!

Die Nachbarn waren angesehene Familien, so z.B. Konrad Kräslein und Joseph Artzt. Aus der letztgenannten Familie stammte die spätere Ehefrau des im "Haus am Rohr" 1459 geborenen Jakob Fugger. Schräg gegenüber wohnte die Familie Lang, aus der zwei Nachkommen Geschichte und Geschichtchen machten: Matthäus Lang, der spätere Kardinal von Gurk und Erzbischof von Salzburg, Vertrauter und Reichskanzler Kaiser Maximilians I., und Appolonia Lang, die als Hofdame der zweiten Gemahlin des Kaisers, Bianca Sforza, die Favoritin Herzog Georgs von Bayern wurde.

Die Mutter im Hause Lang, Margarete Sulzer, war die Schwester der späteren Schwiegermutter von Jakob Fugger.

Die Geschäfte gingen gut im Hause Fugger. Hans Fugger gehörte bereits 1396 zu den 74 Personen der Stadt, die ein Vermögen von mindestens 1200 ungarischen Gulden versteuerten.

Während Hans Fugger ohne besondere Rücksicht auf Gefühle Karriere machte, traf sein jüngerer Bruder Ulin in Augsburg ein. Er durfte nur auf wenig Beistand des älteren hoffen und musste deshalb als schlecht bezahlter „Knecht“ eines Webers anfangen.

Erst ab 1382 wurde er in den Steuerbüchern als „Vermögender“ geführt. Immerhin brachte es auch dieser Fugger zu einigem Wohlstand. Er heiratete die Bürgertochter Radigunde Mundsam und eröffnete ebenfalls eine eigene Weberei. Zeitweilig zahlte er sogar höhere Steuern als sein Bruder, was jedoch eher für seine Ehrlichkeit als für seine Tüchtigkeit spricht. Als der Vater, Hans der Alte, in Graben gestorben war, zog die Mutter nach Augsburg. Aber bezeichnenderweise nicht zum Erstgeborenen, sondern zu Ulin, dem Nesthäkchen. Hans war ihr zu kalt und egoistisch. UIin Fugger war den rauen Sitten, die damals im Geschäftsleben herrschten, nicht gewachsen. Ein Bleicher, der ihm Geld schuldete, erschlug den jüngeren der Fuggerbrüder, als er es von ihm eintreiben wollte. Kurz darauf, im Jahr 1402, brannten die drei Häuser Ulins ab, vermutlich durch Brandstiftung. Ulins Söhne waren ebenfalls vom Pech verfolgt. Hans wollte Kaufmann werden, wurde aber an der Landesgrenze bei Salzburg der Zollprellerei überführt und in den Kerker geworfen. Sein jüngerer Bruder Konrad blieb Weber, verarmte und sein Name schied bald aus den Steuerbüchern der Stadt aus. Das einzige, was aus diesem Zweig der Fuggerdynastie übrig blieb, sind zwei schöne Stücke alten Gewebes, Arbeiten Konrad Fuggers.

Hans hielt es offenbar nicht für erforderlich, der Familie seines Bruders unter die Arme zu greifen. Dafür war er ganz damit beschäftigt, neben der Weberei einen Textilhandel aufzuziehen. Er muss schon sehr tüchtig gewesen sein, jener erste Fugger.

Sein Vermögen, über dessen wahre Höhe nur er allein Bescheid wusste, wuchs selbst in seinen Steuererklärungen von Jahr zu Jahr. In Augsburg sah er, wie das Geschäft der Kaufleute funktionierte: Man kaufte Baumwolle aus dem fernen Ägypten in Venedig ein, brachte sie über die Alpen und ließ sie von den Webern mit Flachs zu Stoffen verarbeiten. Warum sollte nicht auch er an den enormen Preisunterschieden zwischen Rohware und Endprodukt verdienen?

Da sich seine Tüchtigkeit in Graben und den umliegenden Dörfern schnell herumgesprochen hatte, vertrauten ihm bald einige Bauern und Landweber kleinere Summen an, in der Hoffnung, der Fugger in der Stadt werde schon mehr daraus machen.

Sie wurden selten enttäuscht. Im Jahr 1385 versteuerte er bereits ein Vermögen von 1.500 Gulden. Er war ein wohlhabender, erfolgreicher Kaufmann und hatte nichts mehr mit dem armen, schüchternen Webergesellen aus Graben gemein.

Nach der altbekannten Mär, die Juden sind schuld am ganzen Unglück und sie haben unseren Herren verraten, wurden auch im Augsburg die Juden vertrieben. Die Juden erkannten frühzeitig die Lücke im Wirtschaftssystem des christlichen Abendlandes.

Dass sie damit zu Wohlstand gelangten, machte sie in den Augen der braven Christen keinesfalls sympathischer. Immer wieder kam es zu Pogromen, bei denen sich die Deutschen mit Gewalt zurückholten, was ihnen die frühen Vorfahren der Rothschilds mit List und überlegenem Finanzgeschick abgeknöpft hatten.

Auch Hans Fugger profitierte von der Vertreibung der Juden, schon dadurch, dass er sein neues Haus – was am „Judenberg“ stand - sehr billig erwerben konnte. Sein Vermögen hatte damals beträchtlich zugenommen hat. In der Rangliste der 2930 abgabepflichtigen Bürger Augsburgs - die Stadt hatte rund 15000 Einwohner – stand er mit seinem versteuerten Vermögen an 41. Stelle.

Nun war es an der Zeit, auch die Mitbürger wissen zu lassen, dass man es zu etwas gebracht hatte. So kaufte er 1397 für 500 Gulden das stattliche „Haus am Rohr“ von dem Gürtler Heinrich Grau. Fuggers neues Domizil lag unweit des Weberzunfthauses, mitten im Geschäftszentrum der Stadt. Wenn es trotzdem vergleichsweise preiswert zu haben war, hing das damit zusammen, dass es an den „Judenberg“ grenzte. In jenem Viertel lebten die zwar wohlhabenden, aber verachteten jüdischen Geldhändler, die gerade wieder einmal, wie so oft, aus der Stadt vertrieben wurden.

Klar, dass dadurch der Wert des neuen Fuggerhauses sofort stieg.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1409 gelang es ihm, zahlreiche öffentliche Ehrenämter, nicht zuletzt das eines Richters der westfälischen Feme, und rund 3000 Gulden anzusammeln.

Dennoch war seine Lebensleistung nun nicht so überragend, dass er hätte damit in die Geschichte eingehen können und außerhalb von Augsburg kannte ihn fast kein Mensch. Der reichste Augsburger Bürger besaß immerhin etwa sechzehnmal soviel wie der Fugger, und der Abstand zu den ganz großen Familien jener Tage, etwa den Medici, war gewaltig. Doch dass sollte sich noch ändern.

Als Hans Fugger starb, waren seine beiden Söhne Andreas und Jakob noch nicht volljährig. Deshalb kümmerte sich die Mutter um die Firma. Elisabeth Gfattermann- Fugger überlebte ihren Ehemann um 28 Jahre. Die Witwe erwies sich als äußerst geschäftstüchtig. Sie verhinderte eine Zersplitterung des Familienvermögens durch Erbteilung und erhielt ihren Nachkommen den städtischen Hausbesitz und die ländlichen Liegenschaften, darunter Güter zu Burtenbach, Scheppach und Hiltenfingen.

Clara Fugger-Widolf und Elisabeth Fugger-Gfattermann, Ehefrauen des Hans Fugger. Aus: „Geheimes Ehrenbuch des Fuggerschen Geschlechts“ 1545/47, Zeichnung von Jörg Breu d.J, Fuggermuseum Schloss Babenhausen

Vom Jahre 1411 an hatte Elisabeth Fugger ihre Mutter bei sich wohnen, welche 3 Gulden Steuer an die Stadt bezahlte. Ihr Tod ließ die Steuer der Tochter von 24 Gulden auf 26 Gulden ansteigen. 1428 versteuerte Elisabeth ein Vermögen von 3960 Gulden, am Ende ihres Lebens sogar 5000 Gulden.

"Am 8. November 1414 bekannt die Witwe Elsbeth Fugger, vom Augsburger Dominikanerkloster St. Katharina einen Garten vor dem Gögginger Tor, den sie zu Lebzeiten besessen, als Zinslehen erhalten zu haben".

In den Missivbüchern der Stadt Augsburg findet sich Elisabeth Fugger im Jahre 1423 erwähnt. Auf Ersuchen seiner Bürgerin, der Fuggerin, verwandte sich der Rat der Stadt für einen ihrer Hintersassen zu Burtenbach bei Ritter Hans von Knöringen.