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Sie waren nicht eingeladen. Aber sie weigern sich, zu gehen ... Tamsin wird in ihrem Haus von ungebetenen Besuchern heimgesucht, die sie ihre Gäste nennt. Niemand außer ihr weiß von ihrer Anwesenheit. Nachdem sie sich ihrem Mann anvertraut hatte, verließ er sie, und diesen Fehler wird sie ganz sicher nicht noch einmal machen. Doch jetzt leidet die Beziehung zu ihrer Teenager-Tochter Summer darunter. Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Anwesenheit der Gäste schwerer zu ertragen. Sie haben ihr Leben infiziert, und Tamsin braucht Hilfe. Aber was genau wollen sie von ihr? Wird es ihr gelingen, sich der verstörenden Wahrheit zu stellen und die Gäste zu vertreiben, oder ist sie dazu verdammt, für immer von ihnen heimgesucht zu werden? --- "Brillant geschrieben, spannend und fesselnd. Hab's geliebt." – Bookchatter "Dieses Buch ist eine großartige Lektüre. Ich war sofort süchtig." – kaz_loves_books9 "Das war nicht das, was ich erwartet hatte, als ich mich entschloss, dieses Buch zu lesen. Es war so viel besser! Es war dunkel und verdreht, voller Geheimnisse und absolut spannend. Ich wusste nie, was als Nächstes kommt." – jennlovesreading86 "Dies ist ein Buch, dem man sich voll und ganz widmen und in dem man ertrinken muss. Es geht tief und hat mich zum Weinen gebracht, und ich wünschte, ich hätte es schon viel früher gelesen." – Avid Readers Club
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für Thomas,
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein toller Junge.
„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“
– George Orwell
Alles geschieht wie in Zeitlupe. Ich sehe ihn fallen. Ein monströser Baum, der gefällt wird, ohne Kontrolle über seinen Weg gen Boden. Ein ekelerregendes Krachen hallt durch den Raum, als sein Kopf auf die Küchentheke prallt, eine kurze Unterbrechung seines Sturzes. Sein Körper ist schlaff und träge, während er wenig anmutig zu Boden gleitet und seine Augen verzweifelt nach Antworten suchen. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, die Hände zu fiebernden Fäusten geballt, mein Blut ein Cocktail aus Adrenalin und Angst.
Er ist noch am Leben.
Verwirrt, verletzt, sterbend, aber nicht tot.
Noch nicht.
TAMSIN
Das Weinen weckt mich aus der Vergessenheit. Das Weinen, das mich seit mehr Jahren, als mir lieb ist, jeden Tag geweckt hat. Ich schlafe nicht mehr. Denn Schlaf suggeriert Erholung und ein erfrischtes Aufwachen. Ich höre einfach auf, eine Zeit lang wach zu sein. Mein Kopf pocht, und ich habe meine Augen noch nicht einmal geöffnet. Ich weiß, wenn ich es tue, wird es zu einem unerbittlichen Pochen werden, gefolgt von einer brodelnden Übelkeit in meinem Magen. Ich bewege meine dicke, trockene Zunge in meinem Mund. Er schmeckt sowohl faulig als auch eklig süß – die Nachwirkungen einer Flasche Shiraz, die ich letzte Nacht vor dem Einschlafen getrunken habe.
Ich weiß nicht, warum ich mich heute Morgen so furchtbar fühle. Eine Flasche Wein ist nicht ungewöhnlich für mich. Auch zwei Flaschen Wein sind für mich nicht ungewöhnlich. Ich reiße die Augen auf und setze mich mühsam auf, während der sich drehende Raum langsam an Stabilität gewinnt. Das Weinen am Fußende meines Bettes geht weiter. Es klingt lauter als sonst, verstärkt durch meine stechenden Kopfschmerzen. Ich versuche immer, sie nicht sofort anzusehen. Vielleicht wird sie eines Tages nicht mehr da sein, aber heute ist nicht dieser Tag.
Ich sehe sie in meinem peripheren Blickfeld zappeln. Zuerst ist es eine unscheinbare Gestalt, dann schießt ein Arm in die Luft. Meine Augen huschen zu ihr hin. Wie immer ist sie von einer Decke zugedeckt. Eine verblichene gelb-weiße Decke mit aufgedruckten Babyelefanten. Ihr Gesicht ist rot, verwirrt und hungrig. Der Lärm eskaliert und geht über das übliche Wimmern zum Schluchzen und schließlich zum Schreien über. Sie strampelt heftig, und ihre pummeligen rosa Beine lösen sich von der Decke, so dass eine pralle Windel zum Vorschein kommt. Ich möchte sie auf den Arm nehmen und trösten. Ich möchte sie beruhigen und ihr etwas vorsingen, sie sanft in meinen Armen wiegen und sie wissen lassen, dass sie geliebt und umsorgt wird. Aber ich kann nicht.
Ich stehe auf und schleiche an ihr vorbei zur Tür. Ich habe sie noch nie sitzen oder rollen sehen, und sie ist zu jung, um laufen zu können. Diese Überlegungen spielen keine Rolle, denn ich weiß, dass sie so lange weinen wird, bis es Zeit ist, aufzuhören. Ich verlasse das Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Das Sonnenlicht strömt durch das Fenster ohne Vorhang und brennt in meinen trüben Augen. Die geschlossene Tür dämpft die Schreie des Babys, aber sie brechen mir trotzdem das Herz. Ich fühle mich verschwitzt, aber innerlich ist mir eiskalt. Eine Dusche ist definitiv angesagt. Und wenn ich in mein Schlafzimmer zurückkehre, wird das Baby weg sein. Wenigstens für heute.
Ich stehe da und schaue auf die Badezimmertür. Beruhige meine aufgewühlten Nerven und bereite mich auf das vor, was jetzt kommt. Ich habe Angst, sie zu öffnen, Angst, es nicht zu tun. In mancher Hinsicht ist es diesmal einfacher, damit umzugehen. Zum einen ist sie zumindest still, und ihre Augen sind verborgen. Sie ist weniger aufdringlich und irgendwie weniger real. Ich öffne die Badezimmertür gerade so weit, dass ich hindurchsehen kann, wische mir mit dem Handrücken über die Augen und schaue mir den Raum kurz an. Sie sitzt mit dem Rücken an die Badewanne gepresst, ein dünnes rosa Nachthemd bedeckt kaum ihre blasse, zarte Gestalt. Ihr Kopf ist gesenkt, die Knie sind fest an die Brust gezogen, als versuche sie, sich so klein wie möglich zu machen. Sie weint, ihre knochigen Schultern beben, aber sie gibt keinen Laut von sich. Ihr Haar ist dünn, verknotet wie Seetang, und hängt ihr über Gesicht und Schultern. Ich schätze, dass sie etwa sieben oder acht Jahre alt ist, auf keinen Fall älter als neun.
In manchen Nächten besucht sie mich in meinen Albträumen. In meinen Träumen greift sie nach meinem Bein, wenn ich in die Badewanne steige, oder, schlimmer noch, sie zieht den Duschvorhang zurück und greift mich mit krallenartigen Fingern an. Ich beobachte sie genau. Ich stelle mir vor, wie ihr Kopf plötzlich hochschnellt, sie mich mit tiefschwarzen Augen anstarrt und auf mich losgeht, während ich hilflos auf der Toilette sitze. Nichts von alledem ist je passiert. Sie ist konsequent und lässt sich nicht beirren. Sie wird dort sitzen, roh und bedürftig.
Jeder Tag ist gleich. Ich könnte auch später duschen, wenn sie nicht mehr da ist, aber ich tue es nicht. Ich komme jeden Morgen hierher, um bei ihr zu sein; das bin ich ihr schuldig. Ich bin der einzige Mensch, den sie hat.
***
Ich sitze am Frühstückstisch, die Nerven liegen blank und die Gefühle laufen Amok. Meine zitternden Hände umklammern eine dampfende Tasse mit starkem, schwarzem Kaffee. Es braucht mindestens zwei davon und meine vier morgendlichen Tabletten, bis ich aufhöre zu zittern. Das ferne Piepsen eines Handy-Alarms dringt die Treppe hinunter. In neun Minuten wird er wieder ertönen. Und wahrscheinlich noch einmal neun Minuten danach, je nachdem, ob Summer ein zweites Mal auf Snooze drückt oder nicht. Jeder Tag ist gleich. Schmerzhaft vorhersehbar. Irgendwann in den nächsten fünfzehn bis dreißig Minuten wird Summer die Treppe hinunterkommen, und bis dahin werde ich ruhig und gefasst sein.
Summer ist meine siebzehnjährige Tochter. In ein paar Monaten wird sie achtzehn sein. Ich werde eine erwachsene Tochter haben und kann selbst kaum als Erwachsene funktionieren. Ihr Vater, Alex, hat uns vor drei Jahren verlassen. Eigentlich ist das nicht fair. Er hat mich verlassen und wollte es so sehr, dass er auch Summer verlassen hat. Ich habe ihn verjagt. Mein heimgesuchtes Gehirn war zu viel für ihn. Weder Summer noch ich haben ihn wieder gesehen, seit er durch die Haustür gegangen und sie hinter sich geschlossen hat. Alex‘ Abwesenheit hat eine Leere im Haus hinterlassen.
Wir waren nicht glücklich zusammen, aber ich vermisse ihn in gewisser Weise, und trotz Summers Beteuerungen des Gegenteils glaube ich, dass sie das auch tut. Er war kein schlechter Ehemann, und das Ende unserer Ehe war nicht seine Schuld. Für alle außer mir wird er als der Böse dargestellt, der Feigling, der seine Familie im Stich gelassen hat. Aber das stimmt so nicht ganz. Er hat uns verlassen, weil er Angst hatte. Angst vor mir. Und zu Recht. Summer und ich reden nicht mehr viel über ihn. Ich sollte wahrscheinlich versuchen, das in Ordnung zu bringen, aber es gibt eine lange Reihe von anderen Dingen, die ich zuerst in Ordnung bringen muss. Neun Minuten müssen vergangen sein, denn ich höre wieder das Geräusch des Weckers. Diesmal folgt das Geräusch von Summers Füßen auf dem Boden und das Knarren ihrer Zimmertür, als sie sie öffnet. Sie gähnt übertrieben und donnert über den Treppenabsatz nach unten. Ich habe schon so oft mit ihr darüber gesprochen, wie stampfend sie läuft. Es ändert sich nie und ist neben allem anderen eigentlich auch egal.
Ich schaue auf meine blassen Hände hinunter, getrocknetes Blut klebt in der Ecke meines linken Daumennagels. Ich lutsche daran und muss bei dem scharfen, metallischen Geschmack würgen. Meine Hände mögen ungepflegt sein, aber wenigstens zittern sie nicht mehr. Der Kaffee und die Tabletten haben ihre Wirkung getan. Ich bin ruhig, sauber, angemessen gekleidet und nach außen hin normal. Alles, was ich tun muss, ist, so weiterzumachen, bis Summer für den Tag weg ist. Summer besucht das örtliche Gymnasium. Die Wochenenden sind für mich eine viel größere Herausforderung als die Wochentage. Die Scharade der Normalität vierundzwanzig Stunden lang aufrechtzuerhalten, ist lähmend. Zum Glück ist Summer jetzt in einem Alter, in dem sie am liebsten jede wache Minute mit ihren Freunden verbringt oder auf ihr Telefon starrt, und ich kann in den Hintergrund treten. Früher einmal war mein Zuhause ein Zufluchtsort. Jetzt ist es ein Gefängnis.
Ich lasse meine Augenbrauen auf- und abhüpfen und blase meine Wangen auf. Ich lächle und lache, spanne meine Muskeln an, bereite mein Gesicht auf die Ankunft von Summer in der Küche vor und bringe meine Gesichtszüge vorübergehend in die richtige Position. Mein Gesicht hängt mir in diesen Tagen vom Schädel, Elend und Erschöpfung sind auf meine trockene, unreine Haut gemalt. Teures Make-up ist meine Rettung, und ich habe mir kürzlich eine App für Gesichts-Yoga heruntergeladen. Es ist völlig lächerlich, aber alles, was mir hilft, den Schein zu wahren, ist einen Versuch wert.
Summer betritt den Raum, und ich strahle sie an, dann schalte ich einen Gang zurück von dem verkrampften Grinsen zu etwas, das nach Freundlichkeit und Begrüßung aussieht. Mit ihrer schlanken Statur und den großen, unschuldigen Augen wirkt Summer viel jünger als ihre siebzehn Jahre. Sie lächelt und gähnt gleichzeitig, was sie noch liebenswerter erscheinen lässt. Summer fährt sich mit der Hand durch ihren langen dunklen Pferdeschwanz und lässt sich auf den Stuhl gegenüber von mir am Tisch fallen, wobei das geblümte Kissen leicht unter ihr wegrutscht. Meine Augen füllen sich mit Liebe, als ich ihre reine Schönheit betrachte, die von innen heraus strahlt. Sie hat so ein wunderbares Herz. Ich weiß nicht, wie es mir gelungen ist, jemals so eine unglaubliche, gütige, selbstlose Tochter hervorzubringen.
Körperlich ist Summer mir ähnlicher als Alex, auch wenn mein dunkles Haar jetzt zu einem leicht zu pflegenden Bob gestylt ist und meine Augen unter der magischen Kriegsbemalung eingefallen und dunkel unterrandet sind. Aber abgesehen vom Äußeren ist Summer nicht wie ich. Der Gedanke, dass sie es eines Tages sein könnte, macht mir Angst. Ich kann nicht zulassen, dass ihr das passiert. Alex war ein Puffer zwischen meinen abscheulichen Gedanken und Summer. Mit einer weiteren Person im Haus wusste ich, dass unsere Tochter in Sicherheit war. Er konnte sie vor meiner Dunkelheit schützen. Ich kümmere mich nicht mehr viel um mich selbst, aber da ich der einzige Elternteil bin, den Summer noch hat, muss ich ein guter, starker und vor allem normaler Mensch sein.
Ich höre Summers Stimme, die mich aus meinen Gedanken reißt und zurück ins Zimmer bringt.
„Mum. Mum, bist du da?“ Sie kichert, während sie spricht, aber ich kann einen Hauch von Nervosität in ihrer Stimme erkennen, weil ich mich kurz von ihr und der Welt entfernt habe.
„Tut mir leid, mein Schatz. Ich habe nur vor mich hin geträumt. Es ist so ein schöner Tag, was?“ Ich schaue aus dem Fenster, hinunter in unseren langen, abschüssigen Garten. Es ist zwar Frühlingsanfang, aber es ist überhaupt kein schöner Tag. Die Aussicht ist trist und trübe, durch die dicken grauen Wolken ist kein einziges Stückchen blauer Himmel zu sehen. Keiner von uns sagt etwas dazu.
Ich gehe zur Spüle, fülle den Wasserkocher auf und versuche, mich zusammenzureißen.
„Tee?“, frage ich Summer und erschrecke, als sie plötzlich direkt hinter mir auftaucht und mit der Hand in den Kühlschrank greift.
„Ich nehme mir nur etwas Saft, danke.“ Sie sieht mich mit ihren tiefen, fürsorglichen Augen an. „Was ist los, Mum? Warum so nervös?“ Ich zwinge mich zu einem unbekümmerten Lachen und versuche, einen fröhlichen Ton anzuschlagen, als ich antworte.
„Tut mir leid, ich bin einfach noch nicht ganz bei der Sache. Eine Tasse Tee wird mir sicher guttun.“ Ich streiche ihr eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr und bewundere dabei die samtige Beschaffenheit ihrer Haut. Es gibt einen kurzen Moment des Verständnisses zwischen uns, und ich wende mich schnell ab, weil ich ein überwältigendes Schuldgefühl verspüre. Ich will nicht, dass Summer irgendetwas von mir versteht. Ich will, dass sie glücklich ist.
„Setz dich, Mum. Ich mache uns Toast.“ Sie legt ihre warmen Hände auf meine Schultern, drückt mich leicht und lenkt mich zu meinem Stuhl zurück, bevor ich protestieren kann. Trotz des erdrückenden Gefühls des Versagens, das mich umgibt, fahre ich mit meiner aufgesetzt unbeschwerten Art fort. Meine Tochter hält mich sogar für zu nutzlos, um Toast zu machen, und das, obwohl ich alle Register ziehe, um kompetent zu erscheinen.
„Das ist lieb, mein Schatz, aber setz dich, du hast einen langen Tag vor dir.“ Ich beginne aufzustehen, aber Summer kommt zu mir, schlingt ihre Arme um meinen Hals und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Ihr Pferdeschwanz weht mir in die Augen, aber das ist mir egal. Ich atme den Geruch ihres Apfelshampoos ein und streichle ihre Hände sanft mit meinen vertrockneten Fingern.
„Setz dich einfach hin, Mum. Ich weiß, Teenager haben einen schlechten Ruf, aber zumindest Toast kann ich ja wohl machen.“ Sie dreht den Kopf und küsst mich mit Schwung, wobei sie einen Klecks Lippenbalsam auf meiner Wange hinterlässt.
„Gibt es heute irgendetwas Aufregendes in der Schule?“, frage ich und versuche, das Gespräch auf etwas zu lenken, das sie zum Reden bringt.
„Nicht wirklich, aber denk daran, dass ich nach der Schule ein Fußballspiel habe. Es ist ein Auswärtsspiel, also wird mich Ammas Vater nach Hause bringen.“
Das Spiel hatte ich nicht mehr auf dem Schirm, aber es sieht so aus, als müsste ich sowieso nichts tun. „Das ist super, mein Schatz. Ich werde das Abendessen für uns bereithalten. Hast du Lust auf irgendetwas besonderes?“
„Pizza wäre gut“, murmelt sie mit einem Stück Toast zwischen den Zähnen und stellt einen Teller mit zwei Stücken stark gebuttertem Toast vor mich hin.
Ich beobachte, wie ein Stück Butter langsam von der Seite eines der Stücke auf den Teller rutscht. Ich kann das nicht essen. Ich kann es kaum ansehen. Zum Glück ist Summer zu sehr damit beschäftigt, ihre Sachen zusammenzusuchen und den Toast in einem alarmierenden Tempo zu verschlingen, um meine erste Reaktion zu bemerken.
„Wie auch immer, ich muss los, Mum. Wir sehen uns dann gegen sechs.“ Sie kippt den letzten Rest ihres Orangensaftes hinunter und sieht mich mit ihren braunen Augen an, bevor sie geht. „Iss auf, Mum. Du bist so geschrumpft in letzter Zeit.“
Ich nehme das am wenigsten buttrig aussehende Stück Toast in die Hand. Es erschlafft in meinen Händen. „Natürlich, es sieht köstlich aus. Genau das, was ich brauche.“
Summer tut so, als würde sie den Toast zum Mund heben, und fordert mich auf, einen Bissen zu nehmen. Ich folge ihr, nehme einen winzigen Bissen von der Ecke und schlucke die augenblickliche Übelkeit, die mich überkommt, hinunter.
„Wünsch mir Glück!“, trillert sie, bevor sie die Tür hinter sich zuschlägt und den Gartenweg hinuntereilt.
Ich eile zum Mülleimer und spucke die matschige Kruste aus, bevor ich zum Tisch zurückkehre, um den Teller zu holen und den Rest des Toasts in den Mülleimer zu kippen. Er gleitet langsam hinein, und ich bin so erleichtert, dass ich ihn nicht mehr ansehen muss. Ich wische mir mit dem Handrücken den Mund ab, schalte den Wasserkocher wieder ein und starre aus dem Küchenfenster auf den leeren Garten. Als Alex noch hier war, waren die Beete voller schöner, duftender Blumen. Jetzt sind sie leer, abgesehen von gelegentlichem Unkraut. Der untere Teil des Gartens war der Ort, an dem Summer und Alex gemeinsam etwas gepflanzt haben. Anfangs hat Summer nur nach Würmern gesucht und versucht, sich nach Australien zu graben, doch mit den Jahren hat sie voller Sorgfalt und Stolz ihre Blumenbeete gepflegt. Sie standen sich so nahe, als Summer noch klein war. In den Jahren vor seiner Abreise war das weniger der Fall gewesen.
Ich konzentriere mich auf eine bestimmte Stelle am Ende des Gartens. Eine völlig unauffällige Rasenfläche, die nicht anders aussieht als andere. Es gibt nichts zu sehen, aber später am Tag wird mein dritter ungebetener Gast auf dieser Rasenfläche stehen.
Mein dritter Schatten.
SUMMER
Ich schließe die Tür und laufe den Gartenweg hinunter, als würde mich keine Sorge in der Welt plagen. In vielerlei Hinsicht tut sie das auch nicht, aber wenn es um Mum geht, ist die Sorge allgegenwärtig. Ich bleibe stehen, sobald ich weiß, dass ich außer Sichtweite bin. Unsere Küche und unser Wohnzimmer sind ein offener, vermeintlich moderner und freundlicher Lebensraum. Ich verstehe die Idee dahinter nicht. Für mich bedeutet es nur, dass es überall nach Essen riecht und man nie den Fernseher hört, wenn jemand kocht.
Ich schleiche um die Seite des Hauses und spähe durch die Ecke der offenen Fensterläden. Wie immer starrt meine Mutter aus dem Küchenfenster, ringt die Hände und tut sonst nichts. Ihr leerer Teller steht neben ihr an der Spüle. Ich wusste, dass sie den Toast wegwerfen würde. Ihn mit Butter zu überladen, schien eine gute Idee zu sein, aber sie sah aus, als müsste sie kotzen, als ich ihn ihr gab. Sie wird von Tag zu Tag knochiger. Ihr kleiner Körper braucht Kalorien. Ohne den vielen Wein und die gelegentlichen Kekse oder Schokoriegel würde sie wohl nicht überleben.
Ich weiß, dass sie denkt, sie hält mich zum Narren. Sie ist immer sehr gut gekleidet und ihr Make-up und ihre Kleidung sind wunderschön, aber ich durchschaue das alles. Ich sehe es an ihren müden, nervös umherblitzenden Augen. Ich höre es, wenn sie jeden Morgen aus dem Bett stolpert und ins Bad stürmt. Sie denkt, ich kann sie dort nicht weinen hören.
Ich bin immer vor ihr wach, doch sie braucht morgens die Zeit, um sich zu sammeln. Ich benutze meinen lächerlich lauten Wecker als Warnung für sie, nicht als Weckruf für mich. Ich bin schon öfters zu früh nach unten gekommen oder habe sie auf dem Treppenabsatz getroffen, auf dem Weg in die oder aus der Dusche, und das war für uns beide keine gute Erfahrung. Sie sieht nicht wie sie selbst aus. Das einzige Wort, das mir einfällt, um sie zu beschreiben, bevor sie ihr Make-up auflegt und ihre Pillen nimmt, ist ... gespenstisch.
Ich lehne meine Hand an das Fenster und wünschte, ich könnte sie berühren. Sie trösten und sie wissen lassen, dass ich da bin und sie liebe. Sie dreht ihren Kopf leicht, nicht genug, um mich zu sehen. Ich ducke mich schnell, verliere den Halt und stürze fast in die stachelige Hecke. Ich richte mich so leise wie möglich auf und mache mich, ohne mich umzudrehen, auf den Weg zur Schule.
Meine Mutter hat heute einen Termin bei einem Psychiater. Sie lügt mich an und sagt mir, dass sie nicht mehr zu ihren Terminen geht und keine Tabletten mehr nimmt. Ich weiß nicht, warum sie das tut. Zum einen ist sie die schlechteste Lügnerin der Welt. Aber was noch wichtiger ist: Warum vertraut sie mir nicht? Ein kleines P in der Ecke des Datums auf unserem Küchenkalender steht für ihre Psychiatrietermine. Ich war erleichtert, dass das P diese Woche wieder aufgetaucht ist. Es sei denn, sie hat vergessen, den Kalender zu markieren, aber ich glaube, sie war schon eine ganze Weile nicht mehr dort. Ihre Medikamente stehen in einer blau-weißen Porzellanvase neben ihrem Bett, versteckt unter einem riesigen Strauß künstlicher Blumen. Ich habe mich einmal nach oben geschlichen und von der Tür aus beobachtet, wie sie hineingriff und die leuchtend rosa Blumen herausholte. Sie hat mich nicht gesehen. Manchmal ist sie so weit weg, völlig abgekoppelt von der Realität. Zu anderen Zeiten ist sie so aufgedreht, dass sie sich über jede kleine Bewegung und jedes Wort, das sie sagt, Gedanken macht. Sie ist wie ein schwingendes Pendel, das nie in der Mitte zur Ruhe kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich das für sie anfühlen muss.
Amma wartet wie immer vor dem College auf mich. Sie ist zweifellos meine beste Freundin, und ich bin so glücklich, dass ich sie gefunden habe. Ich bewundere Ammas Familie. Ihr jüngerer Bruder Charles ist ein Sonnenschein in Menschengestalt, und ihre Eltern sind so liebenswert und einladend. Ich glaube, ich hatte mehr Körperkontakt mit Ammas Mutter als jemals mit meiner eigenen. Amma begrüßt mich mit einem wunderbaren Lächeln und schenkt mir eine dringend benötigte Umarmung. Ich lasse mich in ihre Arme fallen, dankbar für ihre Anwesenheit in so vielerlei Hinsicht. Sie legt ihre Hände auf meine Schultern und schiebt mich sanft von sich, wobei sie mir in die Augen sieht.
„Was ist los, Sunny? Schon wieder deine Mum?“ Sie zieht eine perfekt geformte Braue hoch, und ich muss mich beherrschen, nicht sehnsüchtig in ihr unglaublich schönes Gesicht zu starren.
„Ja, dieselbe alte Scheiße.“ Ich zucke mit den Schultern, als ob es nichts wäre. Amma legt den Kopf schief und runzelt die Stirn, um mir klarzumachen, dass ich mit dieser Antwort nicht durchkomme und unser Gespräch noch nicht zu Ende ist. „Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich mit ihr reden soll. Sie wird immer merkwürdiger. Es ist jetzt noch schlimmer als damals, als Dad wegging.“ Ich löse mich aus Ammas Umarmung und drehe mein Handgelenk, um ihr die Zeit zu zeigen.
„Erzähl“, fordert sie mich auf, als wir durch das Gedränge ins Gebäude gehen.
Ich muss nur etwa drei Minuten füllen. Amma und ich sind schon lange nicht mehr in denselben Klassen gewesen. Sie hat sich immer in Mathematik und Naturwissenschaften hervorgetan, während ich Literatur und Fremdsprachen bevorzuge. Ich habe immer gedacht, dass sie viel klüger ist als ich, aber Amma versichert mir, dass wir einfach unterschiedlich sind.
Im Sport kommen wir zusammen. Schon als Fünfjährige liebten wir nichts mehr, als stundenlang in unseren Gärten herumzurennen. Mein Vater spielte mit uns Fußball, als wir klein waren, bevor er das Interesse an allen außer sich selbst verlor. Ammas Vater brachte uns bei, was wir über Tennis wissen mussten, und vergaß dabei nie, uns zu erzählen, dass er als Jugendlicher in Ghana regelmäßig Meisterschaften gewonnen hatte.
Er ließ uns Übungen machen und rief ständig: „Kraft! Motivation! Tempo!“, während wir im Garten auf und ab sprinteten.
„Sunny?“ Amma reißt mich aus meinem schönen Tagtraum vom Spielen im Garten der Annans. Ich schaue entschuldigend zu ihr auf. „Und du meckerst immer darüber, dass deine Mutter so abwesend ist.“
Ich weiß, dass Amma nur einen Scherz macht, und mir gelingt ein kleines Lachen und ein selbstironisches Augenrollen. „Ich weiß. Hör mal, wir reden später weiter. Ich schlafe noch halb.“ Mir wird klar, dass dies fast eine Kopie meines Gesprächs mit Mum von heute Morgen ist, und ich mache mir kurz Sorgen, dass ich so werden könnte wie sie.
„Machen wir.“ Ammas Stimme ist bestimmend, und sie zieht mich grob in eine weitere Umarmung. „Und jetzt reiß dich zusammen, bevor Mr Howes dir wieder in den Hintern tritt, weil du die ganze Zeit nur aus dem Fenster starrst und träumst.“ Ich nicke und lächle wenig überzeugend. „Und hör auf, Dinge vor mir zu verbergen. Du weißt nämlich schon, dass dein Pokerface quasi nicht existiert, oder? Wir treffen uns heute Mittag auf dem Sportplatz. Dann erzählest du mir alles. Okay?“ Amma bläst mir einen Kuss zu, während sie langsam den Korridor entlang davon joggt.
Mein Pokerface kann nicht so schlecht sein, wie sie sagt. Ich bin mir sicher, dass sie keine Ahnung hat, was ich wirklich für sie empfinde, und ich kann nicht riskieren, dass sie es herausfindet. Ich glaube nämlich nicht, dass Amma dasselbe fühlt wie ich, und unsere Freundschaft ist im Moment zweifellos das Wichtigste und Sicherste in meinem Leben.
Ich kann mir nicht vorstellen, sie jemals zu verlieren.
TAMSIN
Die Ereignisse vom Frühstück gehen mir immer wieder durch den Kopf. Eigentlich lächerlich. Summer war glücklich, als sie ging, und dachte, dass ich den Toast essen würde. Ich ziehe mein Hemd aus, hebe es hoch und schaue auf meine blasse, schrumpfende Mitte hinunter. Die unebene Haut ist faltig und schlaff. Welchen Sinn hat es, Gewicht zu verlieren, wenn dies das Ergebnis ist? Ich glaube, ich hätte lieber meinen alten Kugelbauch zurück. Dann hätte ich wenigstens kein kleines Vermögen für Kleider ausgegeben, die mir nach und nach immer mehr von den Knochen hängen.
In meinem Kleiderschrank habe ich Kleidung in sechs verschiedenen Größen. Einige habe ich noch nicht einmal getragen. Ich sehe mir die vielen schicken Anzüge und Kleider an. Ich war mal Buchhalterin. Ein richtiges, funktionierendes Mitglied der steuerzahlenden Gesellschaft. Ich habe für eine angesehene Firma gearbeitet, und als Summer kam, hatte ich sogar das Selbstvertrauen und die Kunden, um eine eigene Firma zu gründen. Früher war ich erfolgreich und zielstrebig. Aber im Laufe der Jahre ist meine Kundenliste geschrumpft. Ich lehnte mich einfach zurück und sah zu, wie es geschah, bis es schließlich nur noch mich und einen Haufen schicker Anzüge gab, die ich nicht mehr brauchte. Ich habe mir immer wieder versprochen, dass ich wieder einsteigen würde, sobald Summer etwas älter wäre. Aber wem mache ich was vor, ich könnte nicht mehr zurück, selbst wenn ich es wollte. Mein Gehirn ist Matsch.
Jedenfalls werfe ich keines dieser Kleidungsstücke weg – ich traue mir nicht zu, die gleiche Größe zu halten. Ich seufze und reibe mir die Fäuste in die Augen, bevor ich einen erstickten Schrei der Frustration ausstoße. Zu spät merke ich, dass ich dadurch mein Augen-Make-up völlig versaut habe und meine Handflächen nun mit einer Mischung aus schwarzen Streifen und Bronzepuder bedeckt sind. Ich rolle meine steifen Schultern zurück und schüttle meine Arme, um etwas von der Anspannung zu lösen, die auf mir lastet. Ich muss in weniger als fünfzehn Minuten los, wenn ich nicht zu spät zu meinem Termin kommen will.
Ich überprüfe mein ruiniertes Make-up im Badezimmerspiegel. Zum Glück bin ich jetzt allein hier drin; das weinende Mädchen ist weg. Jeden Tag mache ich mir Sorgen, dass sich ihre Anwesenheit auf den Tag ausdehnt und nicht nur meine Morgenstunden infiziert. Ich versuche, nicht zu viel über das Eindringen der Besucher in mein Leben nachzudenken. Die Gäste. Meine Schatten. Sie tun mir nicht weh. Sie beeinträchtigen meine Funktionsfähigkeit nicht, vielleicht ein bisschen, aber nicht so sehr, dass ich etwas dagegen tun müsste. Und ich habe es geschafft, ihre Existenz vor Summer geheim zu halten. Ich möchte, dass sie ihre Kindheit so lange wie möglich genießen kann, bevor sie merkt, wie geschädigt ich bin. Meine größte Angst ist, dass ich das irgendwie an sie weitergeben werde, dass ihr Verstand sie irgendwann verraten wird, so wie meiner es getan hat. Ich kann nicht zulassen, dass das mit Summer passiert. Ich will nicht, dass sie so leben muss wie ich. Sogar ich will nicht so leben, wie ich es tue.
Ich komme gerade noch rechtzeitig in der Praxis von Dr. Fergus McCabe an. Ich überprüfe mein Äußeres im Rückspiegel, und zumindest sehe ich einigermaßen vorzeigbar aus. Mit einem breiten Lächeln prüfe ich meine Zähne auf verirrte Essensreste, was absurd ist, da ich kaum etwas gegessen habe. Ich atme tief durch und steige aus dem Auto, wobei der Wind versucht, die Tür von mir wegzureißen. Ich kann gerade noch verhindern, dass meine Tür gegen den sehr teuer aussehenden Tesla kracht, der neben mir parkt. Mein Herz klopft, und mein Haar klebt an meinen Lippen und behindert meine Sicht. Der unerwartete Wind hat mich verunsichert. Zu Hause gab es nicht den Hauch einer Brise, und ich bin gerade mal drei Meilen gefahren.
Heute ist mein erster Termin bei Dr. McCabe. Er hat wahrscheinlich den schottischsten Namen, den ich je gehört habe, also stelle ich ihn mir als rothaarigen Hünen mit einem buschigen Vollbart vor. Möglicherweise trägt er sogar einen Kilt und begrüßt mich mit einem Dudelsacksalut, wenn ich eintrete. Mir ist klar, dass ich mit diesem stereotypen Bild völlig lächerlich wirke, aber genau das hat mein verwirrtes Gehirn heraufbeschworen. Bis vor kurzem war ich bei einer Psychiaterin namens Dr. Pathirana, einer eleganten und scharfsinnigen Südasiatin – für meine Absichten ein wenig zu scharfsinnig. Dummerweise dachte ich, dass ich es allein schaffen würde, und versuchte, mich ohne die Unterstützung eines Psychiaters durchzuschlagen. Aber als ich letzte Woche auf dem Wohnzimmersofa aufwachte, mit dem Gesicht in meinem eigenen Erbrochenen, und meine Pyjamahose mit kaltem, stechend riechendem Urin an meinen Oberschenkeln klebte, wurde mir schnell klar, dass das Einzige, was ich allein bewältigen kann, ist, mich zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Zum Glück weiß Summer nichts von dieser Nacht. Ich machte mich sauber und vereinbarte einen Termin in Dr. McCabes Praxis. Ich bin es Summer schuldig, alles zu tun, um gesund zu werden. Und deshalb bin ich hier.
Der Warteraum ist leer, als ich mich durch die Tür quäle, denn der Wind behindert meine Absicht, elegant einzutreten. Der junge Mann an der Rezeption lächelt mich verständnisvoll an, bevor er den Blick abwendet und den Kopf schnell hin und her schüttelt, um seine lockigen Haare zu richten. Als ich näher komme, stelle ich fest, dass er umwerfend gut aussieht, schöne blaue Augen hat und wahrscheinlich kaum mehr als ein Teenager ist. Meine Wangen röten sich und ich räuspere mich.
„Ich habe einen Termin bei Dr. McCabe. Ich heiße Tam... ich meine Thomasina Cavendish.“ Es war mir immer peinlich, meinen vollen Namen zu sagen, und ich habe mein ganzes Leben lang für alle außer meinem Vater Tamsin geheißen. Mein Vater hat immer darauf bestanden, mich Thomasina zu nennen, obwohl ich, seit ich sprechen kann, darum bitte, Tamsin genannt zu werden. Meine Schwester Hetty befindet sich in einer ähnlichen Situation. Ihr Name ist Henrietta. Was für eine absurde und offensichtliche Art zu sagen, wie enttäuscht man darüber war, nur Mädchen und keine Jungen bekommen zu haben.
Meine Mutter besteht darauf, dass die Namensgebung für uns ausschließlich meinem Vater zu verdanken ist, was ich durchaus glauben kann, und sie hat uns immer bei den Namen genannt, die wir bevorzugen. Herrisch und kontrollierend ist eine sehr freundliche Art, das Verhalten und die Einstellung meines Vaters gegenüber seiner Familie zu beschreiben. Es war nie sonderlich angenehm, mit ihm zusammen zu sein. Er starb, als ich noch klein war, und ich kann mich nicht erinnern, dass mich das jemals sonderlich berührt hätte. Für mich war er sowieso nie wirklich präsent, und ich erinnere mich, dass ich immer glücklicher war, wann immer ich mit meiner Mutter und Hetty allein war.
„Nehmen Sie Platz, Mrs Cavendish. Dr. McCabe wird Sie dann aufrufen.“
Ich habe sofort Wahlangst vor den zahlreichen Stühlen im Wartezimmer und wanke unsicher hin und her, bevor ich mich schließlich in die Ecke setze und darauf achte, dass ich nicht aus Versehen wieder Blickkontakt mit dem gutaussehenden Rezeptionisten aufnehme.
Um mich unauffälliger zu fühlen, nehme ich mein Handy in die Hand und beginne zu scrollen. Es vergehen gefühlt nur wenige Sekunden, bis ich meinen Namen mit einem sehr dezenten schottischen Akzent höre. Ich blicke auf und sehe Dr. McCabe in der offenen Tür seines Sprechzimmers stehen und lächeln. Ich bin sofort aufgeregt und schaffe es plötzlich nicht mehr, den Verschluss meiner Tasche zu öffnen, um mein Handy wegzulegen. Anstatt das Telefon einfach in der Hand zu halten oder mir die zusätzlichen zwei Sekunden zu nehmen, um die Tasche in aller Ruhe zu öffnen, versuche ich, es in die kleine Lücke oben in der Tasche zu stecken, und lasse es stattdessen auf den Boden fallen.
Das ist nicht der erste Eindruck, den ich zu machen gehofft hatte. Dr. McCabe beginnt, auf mich zuzugehen. Ich schaue nicht auf. Stattdessen konzentriere ich mich auf die winzige Schramme an einem seiner ansonsten tadellosen braunen Lederschuhe. Ich habe das Gefühl, dass ich gleich weinen muss. Warum muss ich selbst bei den einfachsten Aufgaben Mist bauen? Dr. McCabe steht vor mir, ohne etwas zu sagen. Schließlich stehe ich auf, werfe mir meine Tasche über die Schulter und halte mein Handy in den zitternden Händen. Ich verdrehe die Augen und versuche, gut gelaunt über mich selbst zu lachen, bevor ich seinem Blick begegne.
Eine dicke Hornbrille umrahmt seine braunen Augen, und auf seinem schlanken, kantigen Gesicht ist nicht die geringste Spur von Gesichtsbehaarung zu erkennen. Er streckt seinen Arm aus und macht eine sanfte Bewegung, um mir zu bedeuten, dass ich ihm folgen soll. Er hat etwas an sich, das mich beruhigt – eine Aura der Gelassenheit. Mein Herzschlag verlangsamt sich, und meine Atmung beginnt sich zu regulieren.
Das Zimmer von Dr. McCabe ist schlicht und funktional. Es gibt keine Kunst an den Wänden, nicht einmal eine Pflanze. Er hat einen abgenutzten schwarzen Ledersessel, der von seinem Schreibtisch weggedreht ist. Er deutet auf das kleine blaue Sofa neben dem Fenster, und ich setze mich und lege eines der übergroßen Kissen auf meinen Schoß, während ich meine Beine übereinanderschlage. Er schenkt mir ein Glas Wasser ein und stellt es vor mir auf den Couchtisch.
„Danke.“ Ich lächle und schaue auf das Glas hinunter.
„Kein Problem.“ Er setzt sich, schlägt die Beine ebenfalls übereinander und stützt die Hände auf die Knie.
Es herrscht einige Sekunden lang Schweigen. Ich schaue flüchtig auf, bevor ich meinen Blick wieder auf das Wasserglas richte und beobachte, wie sich eine Perle des Kondenswassers ihren Weg auf den Tisch bahnt.
„Ich bin Dr. McCabe. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Ich schaue auf, und seine Augen legen sich in freundliche Falten. Er sieht aus, als würde er es ernst meinen.
„Mich auch. Ich bin Tamsin. Nun, ich meine... nennen Sie mich Tamsin. Das ist der Name, den ich benutze. Ich mag nicht...“ Ich lasse den Satz unbeendet, als ich merke, dass mindestens die Hälfte meiner Worte völlig unnötig war.
„Natürlich. Tamsin. Dann wollen wir uns mal ein bisschen kennenlernen, oder?“ Er lehnt sich mit interessierter Miene leicht zu mir herüber. „Wie läuft es denn so?“
„Gut. Wirklich gut.“ Meine Antwort kommt viel zu schnell, und ich beiße mir auf die Lippe, um nicht noch mehr unnötige Worte zu verlieren.
„Na, ausgezeichnet. Dann sind wir ja wohl fertig für heute.“ Meine Augen weiten sich, und ich richte meinen Rücken auf. Dr. McCabe lächelt breit über seinen eigenen Scherz. „Es tut mir leid. Ich versuche nur, die Anspannung etwas zu lockern. Bei der ersten Sitzung ist das immer so. Wir kennen uns überhaupt nicht. Und trotzdem wird irgendwie von Ihnen erwartet, dass Sie mir Ihre persönlichsten und privatesten Informationen mitteilen.“
Ich nicke und bringe ein einziges Wort zustande, wobei sich mein Mund plötzlich anfühlt, als wäre er mit Wattebällchen gefüllt. „Ja.“
„Ich würde sagen, wir sollten unsere Erwartungen für heute erstmal ein bisschen herunterschrauben. Lassen Sie uns einfach ein wenig plaudern, ja?“
Ich nicke und streichle das weiche Kissen auf meinem Knie, als wäre es eine Hauskatze. Dr. McCabe tippt sich mit dem Stift auf die Lippe und legt die Stirn in Falten, bevor er wieder spricht. „Sagen Sie mir bitte, wenn ich mich irre. Aber Sie scheinen mir jemand zu sein, der besser auf Fragen reagiert, als wenn ich Sie einfach zum Reden auffordere.“
Er hat völlig recht. Ich wüsste nicht, was ich sagen sollte. Ich nicke dankbar. „Ja. Ja, auf jeden Fall.“
„Gut. Das passt mir auch sehr gut.“ Wir lächeln gemeinsam, und ich beginne mich wieder zu entspannen. „Ich habe Ihre Aufzeichnungen gelesen, und Dr. Pathirana hat mir einen Brief mit Ihrer Vorgeschichte und den Medikamenten, die Sie derzeit nehmen, geschickt.“
Mein Herz stockt, wenn ich daran denke, was Dr. Pathirana über mich gesagt haben könnte. Sie war mir viel zu nahe gekommen. „Das ist ... ähm ... gut.“ Ich lächle wieder schwach und warte auf die Fragen, die er mir versprochen hat.
„Dann fangen wir doch vielleicht einfach damit an, oder? Ich sage Ihnen, was ich weiß, und Sie sagen mir, ob ich recht habe. Abgemacht?“
„Äh ... okay. Abgemacht.“ Er hat definitiv das Frage-und-Antwort-Format vergessen, auf das wir uns geeinigt hatten.
„Ausgezeichnet.“ Er klatscht unerwartet in die Hände und rückt seine Brille zurecht, bevor er hinter sich greift und eine Papiermappe mit Notizen aus der obersten Schublade des Schreibtisches holt. Ich spüre einen kleinen Anflug von Stolz, als ich sehe, dass die Mappe relativ dünn ist. Ich bin mir sicher, dass er schon Ordner gesehen hat, die aufgebläht waren von Notizen, sicherlich sogar Leute, die zwei oder mehr brauchten. Er stützt sie auf sein Knie und blättert die ersten Seiten durch.
„Okay, Tamsin. Wie ich sehe, nehmen Sie derzeit Medikamente gegen eine generalisierte Angststörung.“ Er zieht die Augenbrauen hoch, und ich nicke. „Sie haben früher verschiedene antipsychotische Medikamente eingenommen, aber seit über zwölf Monaten keine mehr.“
Ich schlucke hörbar. „Ja, das ist richtig. Ich habe Dinge gesehen und gehört. Hauptsächlich Menschen. Aber das ist jetzt weg. Das habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt.“ Ich bin dankbar, dass Dr. McCabe nicht aufschaut, als ich ihm antworte. Ich bin mit dieser Lüge inzwischen sehr vertraut und geübt. Aber wenn ich sie einer neuen Person erzähle, bringt mich das immer aus dem Konzept. Das Gute, eigentlich das einzig Gute an Halluzinationen ist, dass niemand außer mir von ihnen weiß, es sei denn, ich erzähle es ihnen.
„Nun, das ist sehr gut zu hören. Halluzinationen können sehr quälend sein. Ich bin froh, dass Sie nicht mehr darunter leiden.“ Er starrt mich an, und ich rutsche unbehaglich auf dem Sofa hin und her. Ich fühle mich wie ein Kind, das behauptet, keine Schokolade geklaut zu haben, während es einen für alle deutlich sichtbaren Schokoladenschnurrbart trägt. Er lächelt, und ich bin mir nicht sicher, ob er mir glaubt oder einfach nur beschließt, es vorerst dabei zu belassen.
„Sie haben Ihren letzten Termin bei Dr. Pathirana versäumt, weil ...“ Er blättert in meinen Notizen bis zur letzten Seite. „Weil Sie eine Lebensmittelvergiftung hatten.“ Er sieht mich wieder mit diesem Blick an und zieht eine seiner Augenbrauen spektakulär hoch in die Stirn.
„Ähm. Ja.“ Mein Mund beginnt auszutrocknen und meine Worte machen ein ekelhaftes, klebriges Geräusch, während ich spreche.
„Das ist aber nicht wahr, oder?“ Er lächelt warmherzig. „Sie müssen mir nicht sagen, warum Sie einen anderen Arzt wollten, aber die Wahrheit ist immer vorzuziehen. Ich brauche nicht alle Hintergrundinformationen, also machen Sie sich keine Sorgen. Wir fangen heute ganz von vorne an.“
Mein Gesicht fühlt sich alarmierend heiß an, und ich wünschte, ich könnte mich in diesem kargen Raum auf irgendetwas konzentrieren. Im Büro von Dr. Pathirana gab es immer so viel zu sehen. Ich beschließe, eine zensierte Version der Wahrheit zu erzählen.
„Ja, das habe ich mir ausgedacht. Ich wollte nicht hingehen. Dann dachte ich mir, wenn ich mich so sehr davor fürchte, sollte ich vielleicht nicht mehr hingehen. Aber ... ich glaube, ich muss trotzdem mit jemandem reden.“
Er streckt seine Handflächen aus. „Großartig. Und genau da komme ich ins Spiel.“
Ich schenke ihm ein kleines Lächeln und stelle fest, dass ich mich gar nicht schäme, was für mich ungewöhnlich ist. In meinem Ruhezustand bin ich ständig verlegen und fühle mich unbehaglich.
„Also gut. Wenn es nichts anderes gibt, worüber Sie sprechen möchten, werde ich mich heute auf Ihre Angstsymptome konzentrieren. Ich werde einen kurzen Fragebogen durchgehen, um einen Ausgangswert zu erhalten. Dann werden wir über Ihre Medikamente und zukünftige Sitzungen nachdenken. Wie klingt das für Sie?“
Das klingt ziemlich gut. Ich kenne die Fragen, die er stellen wird, und wenn ich mich richtig erinnere, sind es alles Multiple-Choice-Fragen. Dr. McCabe beginnt wie erwartet mit der Frage, ob ich mich in den letzten zwei Wochen nervös oder ängstlich gefühlt habe und an wie vielen Tagen ich mich so gefühlt habe. Die Antwort darauf lautet: jeden Tag. Die Antwort auf all diese Fragen lautet: jeden Tag. Aber das sage ich nicht. Ich bleibe bei Antworten wie „ein- oder zweimal“ oder „an einigen Tagen“, und auf die Frage, ob ich mich geärgert habe oder reizbar bin, sage ich immer „überhaupt nicht». Ich möchte nicht, dass jemand weiß, dass ich manchmal schlechte Gedanken habe oder glühend heiße Wut empfinde. Nicht einmal jemand, der versucht, mir zu helfen.
Ich bin eine Mutter – eine alleinerziehende Mutter. Es ist nicht okay, zu irgendeinem Zeitpunkt verärgert oder wütend zu sein. Ich kann es nicht gebrauchen, dass sich jemand Sorgen um Summer macht oder seine Nase in meine Angelegenheiten steckt und meine mangelhafte Erziehung entdeckt. Aber sich ein bisschen Sorgen zu machen oder unruhig zu sein, ist doch okay, oder? Könnte man das nicht sogar als etwas Positives sehen? Dass ich mich so sehr um meine Tochter sorge, dass ich manchmal natürlich besorgt und ängstlich bin.
„Tamsin?“ Mein Blick schweift zu Dr. McCabe, als ich plötzlich wieder in den Raum komme und feststelle, dass Dr. McCabe wohl etwas gesagt hat.
„Oh. Ähm, Entschuldigung. Ich habe nur nachgedacht.“ Er legt den Kopf schief und zieht diesmal beide Augenbrauen hoch. „Dazu würde ich sagen, ein paar Tage.“
Ich weiß nicht mehr, bei welcher Frage wir gerade sind, und es ist eigentlich auch egal. Dr. McCabe scheint am Ende der Fragen ein wenig entkräftet zu sein, und die Stimmung im Raum ist düster.
„Okay, Tamsin. Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen. Ich habe Ihre Antworten aufgezeichnet, zusammen mit einer Notiz an mich selbst, dass ich mir über die Richtigkeit Ihrer Selbsteinschätzung nicht sicher bin.“
Ich setze mich aufrecht hin, ein natürlicher Instinkt zum Protest erwacht in mir. Dr. McCabe streckt eine Hand aus, um mich aufzuhalten, und ich schaue ihn mit einem verletzten Gesichtsausdruck an.
„Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, und es ist auch wirklich egal, wie Sie die Fragen beantworten. Ihre Antworten sind subjektiv, und ich kann Sie objektiv betrachten, während Sie sie beantworten. Ansonsten könnten Sie sie ja auch draußen im Wartezimmer ausfüllen.“ Er deutet auf die Tür.
Ich wäre viel lieber da draußen, als hier drinnen zu sitzen und gescholten zu werden.
„Manche Menschen übertreiben ihre Symptome und Gefühle, andere spielen sie herunter. Manche Menschen liegen genau richtig. Und keiner dieser Menschen ist besser als der andere. Das ist einfach menschlich.“
Ich habe immer noch nicht gesprochen. Ich hebe mein Glas Wasser vom Tisch auf und nehme einen kleinen Schluck, bevor ich mich räuspere. Die Außenseite des Glases ist jetzt zu nass, und ich wische meine Hände an dem Kissen auf meinem Knie ab.
„Okay. Nun, ich mag es nicht, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Jedenfalls lüge ich nicht.“ Meine Wangen erröten und ich breche den Blickkontakt zu Dr. McCabe ab.
„Gut. Das ist gut. Das sagt mir, dass Sie eine Person sind, die versucht, die Dinge zu bewältigen, die die Menschen an die erste Stelle setzt und vielleicht eher im Stillen leidet, als mit Familie und Freunden über ihre Probleme zu sprechen.“
Das hört sich gut an. „Ja. Das ist sehr wahr. Meine Familie, genauer gesagt, meine Tochter, ist mir sehr wichtig. Ich will mich nicht auf sie stützen. Ich möchte für sie da sein.“
„Das ist sehr verständlich, und wenn es ihr gut geht, ist das der beste Weg, für sie da zu sein.“ Ich nicke und beginne, an dem blassrosa Nagellack auf meinem Daumen zu zupfen. „Wissen Sie, wie sie in Flugzeugen immer sagen, dass man sich selbst die Sauerstoffmaske zuerst aufsetzen soll, bevor man jemand anderem hilft, sogar dem eigenen Kind?“
„Ja, aber niemand würde das wirklich tun, oder? Jeder würde zuerst sein Kind retten wollen. Das nicht zu tun, wäre furchtbar.“
„Ah, aber schauen Sie. Wenn Sie Ihre nicht anziehen und bewusstlos werden, wie wollen Sie dann Ihrem Kind helfen?“
Ich spüre ein Grollen der Wut in der Magengrube. Er macht sich lustig über mich.
„Summer ist der Name Ihrer Tochter. Richtig?“
„Richtig.“ Mir ist bewusst, dass mein Tonfall schroff ist, aber er schlägt vor, dass ich meine Tochter sterben lassen und mich selbst retten soll. Völlig absurd.
„Und ich weiß, dass Sie wollen, dass Summer glücklich und gesund ist.“
„Natürlich will ich das. Was für eine Frage...“
Er hält seine Hand wieder auf diese nervige Art hoch. „Ich will damit nur sagen, dass Sie ihr nicht helfen können, ohne sich auch auf sich selbst zu konzentrieren. Sie müssen sich selbst zu einer Priorität machen. Verstehen Sie, dass Sie für sie eine Priorität sind. Sie liebt Sie.“
Sein letzter Satz nimmt mir den Wind aus den Segeln, und ich spüre, wie ich mich in das Sofa zurückziehe.
„Aber wie kann sie das?“ Ehe ich mich versehe, kommen die Worte über meine Lippen, und ich würde alles tun, um sie zurückzunehmen. Sie sind mit Bedeutung aufgeladen. Mit drei einfachen Worten habe ich das Bild, das ich vermitteln wollte, völlig ruiniert, und stattdessen sehe ich jetzt aus wie ein egoistischer, anspruchsvoller Mensch. Tränen treten mir in die Augen, und ich sehe, wie Dr. McCabe sich zu mir hinüber beugt und mir ein Taschentuch hinhält.
Ich tupfe mir die Augen ab und schaue an die Decke, um die Tränen zu stoppen. Sie kommen trotzdem, und ich spüre, wie sie mein Gesicht und meinen Hals hinunter rinnen. Zweifellos hinterlassen sie dabei Spuren in meinem Make-up. Malen Risse in meine Verkleidung.
Ich wage es nicht, Dr. McCabe anzuschauen. Ich habe keine Ahnung, was ich tun werde, wenn ich das Mitleid sehe, das in sein Gesicht gemalt sein wird. Das kann ich im Moment nicht ertragen. Der Drang, aus dem Zimmer zu rennen, ist überwältigend. Ich muss diesen Mann nicht wieder sehen. Ich kann einfach mit meinem Leben weitermachen.
Ich wische mir mit dem Taschentuch über die Augen, die Wangen und den Hals, so dass es fleckig und feucht wird und zerreißt. Ich weiß, dass ich absolut schrecklich aussehen muss. Ich lege das Kissen sanft zur Seite und beginne aufzustehen.
„Ich werde jetzt gehen.“ Meine Stimme ist leise und verschwindet fast ganz, ersetzt durch ein verzweifeltes, kümmerliches Schnaufen. Ich sehe auf und schenke Dr. McCabe ein kleines Lächeln. Sein Gesicht verzieht sich vor Verwirrung.
„Klar, wenn Sie das wollen. Ich meine, Sie haben für weitere zwanzig Minuten bezahlt.“ Er scheint von meinem Ausbruch völlig unbeeindruckt zu sein. Er sieht nicht schockiert, traurig, verlegen oder sonst wie aus. „Ich persönlich hatte das Gefühl, wir würden uns gut verstehen. Ich weiß, es ist noch früh, aber wenn Sie anders denken, verstehe ich das natürlich.“
Ich setze mich langsam wieder hin. Ich bin mir nicht sicher, warum. Alles in mir schreit immer noch danach, diesen Raum und sein schreckliches Durcheinander an aufgewühlten Gefühlen zu verlassen.
„Sie sollen hier schließlich Ihren Arsch zeigen, wissen Sie.“
Plötzlich bin ich entsetzt und entrüstet. Wie kann er es wagen? „Meinen was?“ Meine Stimme ist schrill und hochmütig.