Die Geheimnisse von Thorn Manor - Margaret Rogerson - E-Book

Die Geheimnisse von Thorn Manor E-Book

Margaret Rogerson

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Beschreibung

»Keine Küsse«, sagte sie. »Sicher ist sicher.«

Elisabeth Scrivener gewöhnt sich gerade an ihr neues Leben mit dem Magier Nathaniel Thorn. Ihr Dämonenbegleiter Silas ist zurückgekehrt, aber mit ihm auch die neugierigen Reporter. Und die wollen nichts lieber wissen als den neusten Klatsch über den mächtigsten Zauberer der Stadt und die Bibliothekarin, die sein Herz gewonnen hat. Doch Elisabeth hat ganz andere Sorgen: Denn in Thorn Manor gehen seltsame Dinge vor sich. Die Schutzzauber, die die Bewohner des Hauses vor Unheil bewahren sollen, schließen diese plötzlich ein. Und es ist sicherlich nur ein Zufall, dass das gerade dann passiert, als sich Elisabeth und Nathaniel näherkommen …

Die romantische Fortsetzung von »Der dunkelste aller Zauber« – für alle Fans, die nicht genug von Elisabeth, Nathaniel und Silas bekommen können.

Alle Bände der »Der dunkelste aller Zauber«-Reihe:
Der dunkelste aller Zauber (Band 1)
Die Geheimnisse von Thorn Manor (Band 1.5)

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Seitenzahl: 174

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Margaret Rogerson

Aus dem Englischen von Claudia Max

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Copyright © 2023 by Margaret Rogerson

Published by Arrangement with Margaret Rogerson

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Mysteries of Thorn Manor« bei Margaret K. McElderry Books, einem Imprint von Simon & Schuster Children’s Publishing Division, New York

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzung: Claudia Max

Lektorat: Regine Teufel

Umschlaggestaltung und Artwork: Isabelle Hirtz, Hamburg, unter Verwendung mehrerer Bilder von Shutterstock (oksana2010; Runrun2)

sh · Herstellung: UK

Satz und E-Book-Konvertierung: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

ISBN 978-3-641-30770-7V001

www.cbj-verlag.de

Für alle, die glauben, dass es wie im Märchen enden kann.

1

ICH HAB NICHTS DAMIT zu tun!«, beharrte Nathaniel. Aus der Haustür des Herrenhauses gelehnt, beobachtete er hilflos, wie Ranken an der Dornenhecke emporschossen. Die zum Leben erwachten Formschnitte streiften durch den Garten. Ein bedrohlicher magischer Sturm wirbelte als heulender Zyklon aus Blättern und Zweigen und herausgerissenen Pflastersteinen um Thorn Manor. »Ich schwöre bei Baltasars unheiligem Grab, dass ich nichts damit zu tun habe.«

Elisabeth musterte ihn skeptisch. »Wenn du das sagst, stellt sich meistens heraus …«

»Ja, ja, ich weiß.«

»Wie damals, als es auf der Laurel Avenue plötzlich Teetassen regnete …«

»Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, nicht mehr darüber zu reden.«

»Und das andere Mal, als ein Blitz in einen der Magisteriumstürme einschlug …«

»Ich weiß, was du meinst. Aber ich hatte letzte Nacht keinen Albtraum, oder? Das hättest du garantiert mitbekommen.«

Sie merkte, dass sie rot wurde. »Nein. Hattest du nicht.«

Er grinste sie an. Mit den dunklen Haaren, die der Wind hin und her peitschte, und so bloß im Nachthemd, dessen Ärmel sich aufblähten, sah er umwerfend aus. »Es muss irgendetwas mit den Schutzzaubern des Hauses zu tun haben. Schau dir die Straße hinter dem Tor an, die sieht völlig normal aus.«

Elisabeth blinzelte durch die herumwirbelnden Pflanzenteile und Trümmer: Er hatte recht. Alle anderen in Hemlock Park schienen einen sonnigen, friedlichen Februarmorgen zu genießen. Doch das änderte nichts an ihrem unguten Gefühl. Vor allem, weil sich hinter dem Zyklon eine Menschenmenge versammelt hatte und ganz vorne standen …

»Reporter«, brummte Nathaniel düster.

»Elisabeth Scrivener!«, riefen sie aufgeregt, als sie mitbekamen, dass die Haustür offen stand. »Magister Thorn! Möchtet Ihr Euch zur Lage äußern? Habt Ihr die Kontrolle über Eure Zauberkraft verloren? Stimmt es, dass Euer Dämon zurückgekehrt ist?«

Nathaniel runzelte bloß die Stirn. Doch dann rief ein anderer Reporter: »Wird der Sturm Eure Vorbereitungen für den Ball zur Wintersonnenwende nächste W…«

Den Rest hörte Elisabeth nicht, weil Nathaniel sie schnell ins Haus zog und die Tür hinter ihnen zuschlug.

»Weißt du, eigentlich stört es mich überhaupt nicht«, sagte er später am Tag zu ihr und sah fröhlich einem Busch zu, der am Fenster der Eingangshalle vorbeisegelte. »Genaugenommen finde ich sogar allmählich Gefallen an dem Anblick.«

»So kann es aber nicht bleiben«, bemerkte Elisabeth. »Der Sturm schließt uns im Haus ein. Wir werden verhungern. Abgesehen davon, der Busch gerade eben sah aus, als wäre er vom Dach gekommen.«

Nathaniel schob den Vorhang mit seinem Gehstock ein wenig weiter auf und beobachtete interessiert, wie ein gewaltiger Brocken Mauerwerk vorbeisauste. Die Zuschauermenge kreischte auf und duckte sich. Nathaniel sah nur noch erfreuter aus.

»Ach, ich denke, wir haben ausreichend Vorräte, um ein paar Wochen durchzuhalten. Und falls das Dach undicht wird, kann ich einfach Zauberkraft einsetzen, um … Scrivener?«, fragte er erschrocken. »Wo willst du hin?«

Elisabeth gab keine Antwort, sondern stürmte, Dämonenschlächter in der Hand, aus der Tür.

Als sie einen Augenblick später wieder ins Haus stürzte, wurde sie von einer Armee von Ranken gejagt, die sich um ihre Fesseln wanden, ihre dolchlangen Dornen klackerten zornig über die Fliesen der Eingangshalle. Elisabeth sah verstört aus, ihre Haare waren zerzaust und voller Blätter.

»Ihre Köpfe wachsen nach!«, rief sie und schlug auf die Ranken ein.

»Natürlich!«, brüllte Nathaniel. »Schließlich sind es magische Formschnitte! Wärst du nicht im Nachthemd rausgestürmt, hätte ich dir das sagen können!« Er rief Smaragdfeuer herbei, das mehrere Ranken zu Asche verbrannte und den Raum mit dem durchdringenden Gestank ätherischer Entzündung erfüllte. Doch auch das half nicht; sobald die Asche zu Boden rieselte, drängte die nächste Welle herein und füllte die Lücke.

Unendlich viele Ranken spannten sich von der Hecke bis ins Haus hinein. Je mehr Elisabeth auf sie einhackte und je mehr Nathaniel sie mit Feuerbällen versengte, desto schneller vermehrten sie sich – sie ähnelten den Köpfen einer Hydra. Erst als Mercy, einen durchdringenden Schlachtruf ausstoßend, den Flur herunterkam und mit einem Besen auf die Ranken eindrosch, nahm der Kampf eine Wende. Einen Überraschungsmoment lang schien es zu funktionieren: Sie wichen erschrocken zurück. Bevor die Hecke wieder zu Kräften kommen konnte, kämpfte Elisabeth sich zur Tür vor, presste sie mit aller Kraft zu und klemmte dabei einen Dornenzweig ein, der sich tolldreist hineingeschlängelt hatte. Als er sich nicht zurückzog, hackte sie die Spitze kurzerhand mit dem Schwert ab.

Mit stummem Schrecken beobachteten sie, wie die Ranke nach wie vor lebendig auf dem Teppich herumflatterte, bis Mercy sie geistesgegenwärtig unter einem umgestürzten Mülleimer einfing.

»Sieht aus, als würden wir hier im Haus festsitzen«, bemerkte sie, während der Eimer wütend klirrend über den Teppich sprang.

»Scheint mir auch so«, antwortete Nathaniel fröhlich. »Wie schrecklich ungelegen! Ich werde Wochen brauchen, um das wieder in Ordnung zu bringen.«

Elisabeth fiel ein, was der Reporter zuvor gesagt hatte. »Was hat es mit dem Ball zur Wintersonnenwende auf sich?«, stellte sie Nathaniel zur Rede.

Er war gerade damit beschäftigt, die Asche der verbrannten Ranken von seinen Ärmeln abzuklopfen. »Vertrau mir, Scrivener, es ist wirklich besser, du weißt es nicht. Stell es dir einfach so vor: Du bist in den muffigen alten Ballsaal eines Zauberers eingesperrt, dessen verzauberte Kronleuchter Wachs auf jeden tropfen lassen, der etwas an den Horsd’œuvres auszusetzen hat, und dazu wirst du stundenlang mit oberflächlichem Geschwätz zu Tode gefoltert.«

»Es ist ein gesellschaftlicher Anlass, Mistress«, fügte eine Flüsterstimme vom Flur hinzu.

»Genau«, bestätigte Nathaniel.

In manchen Momenten überlief Elisabeth noch immer ein Schauer, wenn Silas auftauchte. Wie er so in der Dunkelheit des Korridors stand, ähnelte er einem Geist, und es war leicht, ihn sich als solchen vorzustellen – bleich und unwirklich schien seine schmale Gestalt jeden Moment in der Wandtäfelung verschwinden zu können. Sie konnte sich nur schwer von der Vorstellung lösen, dass er das Produkt ihrer Einbildung war, oder bloß ein Trugbild, das Nathaniel in einem seiner Albträume herbeigezaubert hatte. Denn er war unbestreitbar real. Sie hatte ihn berührt. Früh am Morgen hatte er ihr Frühstück gebracht.

Sein Gesicht war nicht zu erkennen, aber sie hatte den Eindruck, dass er sich alle Mühe gab, die Ascheschicht auf den Fliesen der Eingangshalle zu übersehen – ebenso wie den Mülleimer, der entschlossen Richtung Salon schepperte. »Es ist eine jährliche Tradition der Zauberer, um die Beziehungen zwischen den Häusern zu pflegen. Jeden Winter wird ein anderer Magister als Gastgeber gewählt.«

Elisabeth beäugte Nathaniel misstrauisch. Während der letzten Wochen hatte sie ihn beim Verbrennen von Briefen ertappt, die offiziell aussahen. »DU solltest der diesjährige Gastgeber sein, oder?«

»Ich wüsste nicht warum.« Er klopfte weiter seine Ärmel ab. »Bis vor knapp zwei Monaten war ich nicht einmal mehr ein Zauberer.«

Ihre Augen wurden schmal. »Sind die Schutzzauber ein Trick, um dich zu drücken?«

»Nein, aber schade, dass mir das nicht eingefallen ist. Eigentlich genial, oder?« Draußen schrie jemand.

»Reporter«, erklärte Mercy, die durch die Vorhänge spähte. »Sie leben noch.«

»Leider«, erwiderte Nathaniel.

Silas war ins Licht getreten, ohne dass Elisabeth es bemerkt hatte. Die Umrisse der vorbeizischenden Pflanzen warfen im durch die Bleiglasscheiben hereinfallenden Spätnachmittagslicht Schatten auf das Schachbrettmuster der Fliesen, aber es machte seine marmorweißen Züge nicht weniger unheimlich. »Vielleicht sollten wir uns ins Speisezimmer zurückziehen. Euer Abendessen steht bereit, es wird kalt.«

Obwohl seine leise Stimme ohne jeden bedrohlichen Unterton war, sputeten sich alle, seiner Aufforderung nachzukommen.

Das Speisezimmer sah selbst für Silas’ Maßstäbe ungewöhnlich aus. Die Kerzen waren angezündet und spiegelten sich in der polierten Walnusstischplatte der langen Tafel und einer Vielzahl von Silberutensilien und Terrinen wider. Jeder Platz war formvollendet mit feinem Porzellan und Platztellern aus Jade eingedeckt – und zwar nicht nur ihre drei Plätze, sondern alle achtzehn am Tisch. Mercy zögerte an der Türschwelle, bevor sie ungeschickt und mit grimmiger Miene Platz nahm, als bereite sie sich auf einen Kampf vor.

Elisabeth runzelte besorgt die Stirn, doch als Silas mit einer Servierplatte zurückkehrte, sorgte der Essensduft dafür, dass alle ihre Gedanken verflogen. Sie verschlang drei Portionen zarten Weißfisch und gab sich ganz dem Duft der Ingwersauce und dem feinen Knacken der Zuckererbsen hin. Erst dann konnte sie wieder rational denken. Als sie endlich aufblickte, stocherte Nathaniel mit der Gabel im Essen herum.

Sie spürte einen Stich Mitgefühl. Die Aussicht, sich wieder öffentlich in der Gesellschaft der Zauberer zu zeigen, war sicher nicht einfach für ihn. Vor allem nach seiner Verletzung, den Reportern und den kursierenden Fragen zu seiner Zauberkunst. Doch als sich die Unterhaltung der Reparatur der Schutzzauber zuwandte und Nathaniel tat, als würde er schlafen, war es vorbei mit ihrem Wohlwollen.

»Warum sollten die Zauber ohne Befehl aufgewacht sein?«, fragte Mercy nach einem unsicheren Blick auf Nathaniel, der übertrieben schnarchend auf seinem Stuhl lümmelte. »Will uns das Haus damit klarmachen, dass wir in Gefahr sind, sobald wir das Haus verlassen? Es ist nicht wieder irgendetwas wie Ashcroft, oder?« Zwischenzeitlich wusste sie fast über jede Einzelheit der Ereignisse im letzten Herbst Bescheid.

Als Silas Mercy unter gesenkten Wimpern einen Blick zuwarf, spürte Elisabeth plötzlich eine Anspannung. Sie hatte keine Erklärung dafür, aber aus irgendeinem Grund durchzuckte sie jedes Mal Angst, wenn er Mercys Anwesenheit zur Kenntnis nahm. Dabei war er immer höflich zu ihr gewesen, seit er sie bei seiner Rückkehr als Hausangestellte vorgefunden hatte.

Zu Elisabeths Erleichterung erwiderte er jedoch bloß: »Nicht zwangsläufig, Miss. Uralte Zauber wie die im Fundament dieses Herrenhauses entwickeln im Alter oft ihre Launen. Ich halte es eher für wahrscheinlich, dass es einen Auslöser für die geringfügige Veränderung der Schutzzauber gab. Die vorherigen Bewohner haben den Schutzzaubern im Laufe der Zeit ihre eigenen Anweisungen hinzugefügt und manche davon sind recht eigenwillig. Fällt einem von Euch etwas Außergewöhnliches ein, das sie oder er in den letzten vierundzwanzig Stunden getan hat?«

Er fragte in ausgesprochen sanftem Ton, doch sofort drehten sich alle zu Nathaniel, der prompt den Beweis lieferte, dass er wach war, indem er die Augen öffnete und stotternd protestierte.

»Ich nicht«, erwiderte Mercy mutig.

»Ich war gestern den ganzen Tag im Arbeitszimmer und habe gearbeitet«, meldete sich Elisabeth.

»Ich war kaum zu Hause!«, rief Nathaniel. »Ich habe das Magisterium zu Ashcrofts Artefakten beraten und bin erst kurz nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen, und dann …«

Die beiden wechselten einen Blick und erinnerten sich.

»Was dann?«, wollte Mercy wissen.

»Nichts«, wiegelte Elisabeth schnell ab. Und wirklich, das konnte nicht wichtig sein. Sie hatte schon oft in Nathaniels Zimmer geschlafen – seit er genesen war eigentlich fast jede Nacht. Damit sie ihm beim Aufstehen helfen konnte, falls er aufs Klosett musste oder einen Albtraum hatte. Die Schutzzauber hatten bisher nie Widerspruch erhoben. Zugegebenermaßen hatte sie bisher immer auf dem Boden geschlafen und meistens hatten sie einander nicht angefasst …

Aber auch letzte Nacht hatten sie nicht mehr getan, als sich ein paar Minuten zu küssen. Danach waren sie eingeschlafen.

»Ach, tatsächlich«, erwiderte Silas vielsagend. »In diesem Fall schlage ich vor, Master, dass wir uns für den Abend zurückziehen und die Angelegenheit morgen ausführlicher besprechen.«

Silas bestand darauf, Elisabeth ein Bad einzulassen. Als sie wenig später sah, wie sich das Wasser in der Kupferwanne von den Blattresten an ihrem Körper braun färbte, musste sie zugeben, dass es nicht ganz unberechtigt gewesen war. Wenigstens hatte Silas sie nicht zum Haarewaschen gezwungen, sondern seufzend ihren Beteuerungen nachgegeben und stattdessen einen Elfenbeinkamm auf den Nachttisch gelegt.

Als sie ihre wirren, widerspenstigen Haare endlich gebändigt hatte, lag sie eine Weile mit geschlossenen Augen im Wasser und lauschte auf die leisen Geräusche, mit denen er durchs Zimmer ging und Schubladen auf- und zuzog. Schließlich zwang sie sich, sich aufzusetzen, und verschränkte die Arme vor der Brust, während das noch immer dampfende Wasser von ihrer Haut abperlte. Silas hatte ein Handtuch über den Paravent gehängt und saubere Nachtwäsche ans Fußende des Bettes gelegt. Wenn sie den Hals verdrehte, konnte sie ihn direkt hinter der Stellwand erkennen: Er stand mit dem Rücken zu ihr und musterte kritisch ihre zerfetzten, schlaff von seinen Händen herunterhängenden Kleider.

Sie hatte selten Gelegenheit, ihn unbemerkt zu betrachten. Schweigend beobachtete sie ihn im diffusen Licht des fliederfarbenen Zimmers. Bei flüchtigem Hinsehen sah er noch genauso aus wie vor jener schicksalhaften Nacht in der Königlichen Bibliothek, seine alabasterne Schönheit war unversehrt. Trotzdem war Nathaniel überzeugt, dass der Archon ihn verletzt hatte. Er konnte es nicht erklären, er spürte Silas’ Unwohlsein nur intuitiv.

Silas hatte nie preisgegeben, wie er den Zusammenstoß überlebt hatte oder was ihm danach in der Anderwelt zugestoßen war. Beobachtete Elisabeth ihn eingehend und ungestört, wurde ihr bewusst, dass etwas anders war an ihm, auch wenn sie es nicht genau benennen konnte: Er schien irgendwie zu verblassen und dünner und immer durchsichtiger zu werden. Manchmal meinte sie tief in seinen gelben Augen Schmerz zu erkennen, aber er ließ sich ebenso schwer deuten wie der teilnahmslose Blick einer verletzten Katze.

Was immer ihm zusetzen mochte – zum Glück arbeitete nun Mercy bei ihnen und er musste nicht mehr alles allein bewältigen. Elisabeth bedauerte ihre Gedanken sofort, Silas konnte sie nämlich noch ebenso gut lesen wie zuvor. Sein Blick traf ihren, seine Lippen wurden schmal.

»Ist es nicht besser, Hilfe zu haben?«, platzte sie heraus. »Es ist einfach ein – ein großes Haus. Du musst nicht mehr alles allein machen.« Du musst überhaupt nichts mehr tun, verkniff sie sich, denn das Thema hatten sie schon gehabt, Silas hatte mit merkwürdig sprödem Nachdruck darauf beharrt, wieder seine Rolle als Diener einzunehmen, was die Diskussion sofort beendet hatte.

»Wie Ihr meint, Mistress«, erwiderte er. Er half ihr, aus dem Bad zu steigen, und legte ihr mit abgewendetem Blick das Handtuch um die Schultern. Danach verbeugte er sich leicht und verschwand.

Elisabeth biss sich auf die Lippe. Sie trocknete sich ab und zog ihr Nachthemd an und anschließend den passenden seidenen Morgenmantel. Als sie fertig war, betrachtete sie sich im Spiegel: Die cremefarbene Seide war an den Kanten mit einem Muster frühlingshafter Ranken verziert, ihr glänzendes welliges Haar reichte ihr fast bis zur Taille. Sie berührte die silbernen Strähnen im Braun, sie standen für den Tag in ihrem Leben, den Silas ihr genommen hatte – Nathaniel hatte denselben symbolischen Tribut erbracht. Aus reiner Gewohnheit nahm sie Dämonenschlächter vom Nachttisch und ging ohne darüber nachzudenken den Flur zu Nathaniels Zimmer hinunter.

Offenbar hatte sie etwas gesagt, das Silas verletzt hatte, aber sie wusste weder was noch warum. Während sie den Gang hinunterlief, dachte sie darüber nach, dass sie viele Fragen an ihn hatte, auf die sie vielleicht nie eine Antwort bekommen würde. Ob er, als er in den Kreis des Archon trat, um sich zu opfern, davon ausgegangen war, dass Nathaniel sowieso sterben würde? Nathaniel war tatsächlich beinahe gestorben. Wie mochte er sich gefühlt haben, als er zurückkehrte und Nathaniel lebend vorfand? Hatte er all die Wochen, in denen er vergeblich darauf gewartet hatte, zurückgerufen zu werden, als Beweis betrachtet, dass das Schlimmste bereits eingetreten war? Vor allem aber fragte sie sich, ob er die Trauer wahrnahm, die sich in seiner Abwesenheit über das Haus gelegt hatte. Sie hoffte es. Aber über manche Dinge konnte sie einfach nicht mit Silas reden. Der Ausdruck in seinen gelben Augen sagte ihr, dass es das Gleiche wäre, wie ihn mit Eisen zu berühren.

Von der Türöffnung sah sie Nathaniel auf der Bettkante sitzen und gedankenverloren auf das dunkle Fenster starren. Sie wartete, von plötzlicher Schüchternheit überwältigt. Obwohl sie jede Phase seiner Genesung miterlebt hatte, bemerkte sie seit Kurzem ein Zögern an sich, wenn sie sich unter vier Augen sahen. Alles, was er durch Ashcrofts Hände hatte erleiden müssen, schien ihn älter, geheimnisvoller und stärker gemacht zu haben – er war ein Mann, kein Junge mehr. In den letzten Monaten hatte er die unsichtbare Schwelle zum Erwachsensein überschritten. Man übersah es leicht, wenn er sich albern aufführte – was die meisten Stunden des Tages der Fall war –; doch wenn sie allein waren, trat der Humor, hinter dem er sich verschanzte, in den Hintergrund und sie konnte die Veränderung nur schwer ignorieren.

Sie hatte offenbar ein Geräusch von sich gegeben. Er blickte auf und betrachtete sie. Es schien ihn nicht im Geringsten zu überraschen, dass sie mit einem Schwert vor seinem Zimmer stand. Seine Augen waren sehr dunkel, seine Haare leicht feucht. Ihr Magen fühlte sich an, als fiele ein Eiswürfel in ein schäumendes Glas Champagner.

»Du kannst ruhig wieder hier schlafen.« Er musterte sie noch immer eingehend. »Falls ein Formschnitt durchs Fenster gesprungen kommt, müssen wir ihn vielleicht gemeinsam bekämpfen.«

Elisabeth beäugte das Bett. Es war ein Riesenmonstrum mit vier geschnitzten Pfosten und bestickten Vorhängen und Kissenbergen – mehr als groß genug für zwei. »Meinst du nicht, wir haben den Sturm ausgelöst, weil wir zusammen geschlafen haben? Also im selben Bett geschlafen, wollte ich sagen. Und weil wir uns geküsst haben.«

»Ist ja nicht so, dass wir uns noch nie zuvor in diesem Zimmer geküsst hätten«, erklärte Nathaniel mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihre Wangen glühten. Mit einiger Mühe vermied sie einen Blick zur Fensterbank. »Und selbst wenn wir das Haus mit unseren schockierenden Fehltritten beleidigt haben, wir können es sowieso nicht mehr rückgängig machen«, fuhr er fort. »Und schlimmer machen können wir es wohl auch kaum noch.«

Da war sie sich nicht so sicher. Trotzdem ging sie zur anderen Seite des Bettes, hängte ihren Morgenmantel auf und schlüpfte unter die Decke. Dämonenschlächter wanderte griffbereit neben den Nachttisch. »Keine Küsse«, sagte sie. »Sicher ist sicher.«

Er drehte sich um und sah sie an. »Sehr wohl, liebste Nervensäge«, pflichtete er mit einem verführerischen Funkeln in den Augen gehorsam bei.

Sie nahm ein Kissen und stellte es mit Nachdruck zwischen sich und ihn, was Nathaniel zum Lachen brachte. Auf sein Fingerschnipsen schlossen sich die Vorhänge rings um das Bett und schotteten sie von der Welt ab.

2

SPÄTER WACHTE ELISABETH IM Dunkeln auf, und das Einzige, woran sie denken konnte, war die Wärme von Nathaniels Körper neben sich. Er war so nah, dass sie sich fast berührten; sie spürte, wie der lose fallende Stoff ihres Nachthemdes ihn leicht streifte, wenn sie ein- und ausatmete. Mit einem Mal wurde sie sich jeder Stelle bewusst, an der die Seide ihre Haut berührte. Sie roch die Seife, die er benutzte, vermischt mit seinem eigenen warmen Duft. Seine Haare kitzelten sie in der Nase. Eine leichte Kopfbewegung und da war sein Gesicht, nur Zentimeter von ihrem entfernt.

Bis auf die tiefe Furche zwischen den Augenbrauen wirkte er vollkommen entspannt. Sie ließ ihn ernst aussehen, aber auch ein wenig verloren, als würde er in seinen Träumen durch unbekannte Orte streifen. Elisabeth beugte sich vor und drückte einen sanften Kuss auf die Stelle. Als sie sich wieder zurücklehnte, war er wach und beobachtete sie.

»Scrivener«, sagte er ernst. »Das ging ja wohl daneben.«

Und dann drängten sie sich aneinander und küssten sich unbeholfen. Ihre Nase prallte ungeschickt gegen seine, ihr Fuß verhedderte sich in der Decke und ihre Ellbogen stießen gegen einfach alles – aber das war nicht wichtig. Für ihn jedenfalls nicht. Nach einigem Hin und Her fielen sie fast aus dem Bett, doch genau in diesem Moment bohrte sich ein einziger klarer Gedanke wie ein Sonnenstrahl in Elisabeths konfuses Hirn: das Kissen. War da nicht ein Kissen gewesen?

Als es ihr wieder einfiel, schwoll der Wind um das Herrenhaus zu einem gefährlichen Heulen an. Von oben waren Unheil verkündendes Krachen und Rasseln zu hören, als würde etwas über das Dach schlittern.

Sie erstarrten und sahen einander an. Elisabeths Lippen kribbelten, im Dunkel spürte sie Nathaniels Atem auf ihrem Gesicht. Keiner von ihnen sprach, sie warteten ab, ob der Lärm aufhören würde.

Tat er nicht.

»Ich denke, wir sollten nachsehen, was auf dem Dach los ist«, flüsterte sie schließlich.

Er ließ sich aufs Bett zurückfallen, dann griff er stöhnend nach seinem Gehstock. »Vielleicht nimmst du besser Dämonenschlächter mit.«

Sie steckte die Nase durch die Vorhänge und bereute es auf der Stelle. Nathaniels Zimmer war eiskalt. »Wo gehen wir hin?«, fragte sie, während sie ihren Morgenmantel überzog und dann sicherheitshalber noch eine der Bettdecken umlegte.

»Auf den Dachboden«, antwortete er unheilvoll.