Die Glücksträumerin - Stella Conrad - E-Book
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Die Glücksträumerin E-Book

Stella Conrad

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Beschreibung

Charmant, turbulent und herzerwärmend komisch: Der Feelgood-Roman »Die Glücksträumerin« von Stella Conrad jetzt als eBook bei dotbooks. Maren und Harald Behringer genießen das Leben in vollen Zügen: Das Eigenheim ist abbezahlt, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus – doch mit der wohlverdienten Ruhe und Entspannung ist es schnell vorbei, als Harald einen Unfall hat und der Ernährer der Familie erst einmal für Monate flach liegt. Auf einmal muss sich Maren um alles kümmern: Charmant und unkonventionell packt sie die Probleme bei den Hörnern! Wenn da nicht die Kinder und der ach so leidende Mann wären, die die frischgebackene Familienunternehmerin manchmal leicht in den Wahnsinn treiben … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Glücksträumerin«, ein Roman mit viel Herz und Humor von Stella Conrad. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 497

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Über dieses Buch:

Maren und Harald Behringer genießen das Leben in vollen Zügen: Das Eigenheim ist abbezahlt, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus – doch mit der wohlverdienten Ruhe und Entspannung ist es schnell vorbei, als Harald einen Unfall hat und der Ernährer der Familie erst einmal für Monate flach liegt. Auf einmal muss sich Maren um alles kümmern: Charmant und unkonventionell packt sie die Probleme bei den Hörnern! Wenn da nicht die Kinder und der ach so leidende Mann wären, die die frischgebackene Familienunternehmerin manchmal leicht in den Wahnsinn treiben …

Über die Autorin:

Stella Conrad, 1960 in Recklinghausen geboren, lebt an der Nordseeküste. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Köchin (wobei sie backstage sogar Stars wie Tina Turner, Joe Cocker, Depeche Mode, Herbert Grönemeyer und Die Toten Hosen bekochte) arbeitete sie als Veranstalterin, Pressebetreuerin und in einer Schauspielagentur, bevor sie sich dem geschriebenen Wort zuwandte.

Stella Conrad veröffentlichte bei dotbooks bereits »Die Küchenfee«, »Das Glück der Küchenfee«, »Die Tortenkönigin«, »Der Feind an meinem Tisch« und »Die Glücksköchin«. Ihre Geschichten finden sich auch in den Sammelbänden »Ein Restaurant zum Verlieben«, »Zimt und Zucker für die Liebe«, »Zitronenküsse« und »Ein Café zum Verlieben«.

***

eBook-Neuausgabe Juli 2019

Dieses Buch erschien bereits 2009 unter dem Titel »Blindflug« bei Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Originalausgabe 2009 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Dieses Buch erschien bereits 2014 unter dem Titel »Blindflug« bei dotbooks GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/sarsmia, New Africa, White Space Ukraine

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-547-8

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Stella Conrad

Die Glücksträumerin

Roman

dotbooks.

KAPITEL 1

Maren

»Oh, mein Gott, Maren, euer Haus ist traumhaft schön! Und die Einrichtung erst. Ich bin ja so neidisch. Wenn du nicht meine allerbeste Freundin wärst ...«

Dann würdest du mich jetzt auf der Stelle töten und in meinem sagenhaften Garten verscharren? Ich verdrehte innerlich die Augen und zählte bis zehn. Brigitte drehte sich kokett vor dem riesigen venezianischen Spiegel, blieb dann stehen und zupfte konzentriert ihre Mähne zurecht, die in mindestens sechs verschiedenen Blondtönen schimmerte. Ihre nervtötende Angewohnheit, einzelne Worte im Satz dramatisch zu betonen, zeugte immer noch von ihrer vor zig Jahren abgebrochenen Ausbildung auf einer privaten – und offenbar nicht allzu guten – Schauspielschule. Aber musste sie deshalb immer für die letzte Reihe spielen?

Und außerdem: allerbeste Freundin?

Das war nun wirklich eine ... nun ja ... nennen wir es: recht subjektive Sicht der Dinge. Ehe ich antworten konnte, plapperte Brigitte auch schon weiter.

»Du musst mir unbedingt die Nummer deines Inneneinrichters geben, sonst sterbe ich auf der Stelle!«

»Kein Inneneinrichter«, antwortete ich. »Ich durfte mich hier ganz alleine austoben.«

Sie zog die perfekt gezupften Augenbrauen hoch. Kurz huschte Zweifel über ihr Gesicht, dann lächelte sie strahlend und ließ ihre neuen Porzellankronen blitzen. »Du bist ja so talentiert, Maren! Harald muss so stolz auf dich sein. Wenn mein Michael das erfährt, schimpft er wieder mit mir, dass ich so ein unnützes kleines Ding bin und nichts weiter kann, als sein schwer verdientes Geld auszugeben.«

Sie kicherte und musterte sich wieder im Spiegel.

Es klopfte an der Tür. Frau Bartels, meine Haushaltsperle, steckte den Kopf ins Zimmer – und bewahrte mich davor, die Nerven zu verlieren.

»Frau Behringer? Ich könnte jetzt das Essen auftragen, ich wäre dann so weit.«

Ich hätte sie küssen können. Noch eine Sekunde länger Brigittes affektiertes Geplapper, und ich wäre diejenige, die für nichts mehr garantieren könnte.

»Danke, Frau Bartels. Weiß mein Mann schon Bescheid?«

»Die Herren sitzen bereits zu Tisch«, antwortete sie, bevor sie sich umdrehte und zurück in ihre Küche eilte.

Nur mühsam riss Brigitte sich von ihrem Anblick im Spiegel los. »Deine Frau Bartels ist eine wahre Perle, Maren. Wenn wir keine Freundinnen wären, würde ich glatt versuchen, sie dir abzuwerben, obwohl: Immer, wenn wir bei euch zu Gast waren, muss ich danach drei Wochen strengste Diät halten.« Sie drohte mir scherzhaft mit dem Zeigefinger. »Eigentlich müsste ich deswegen böse mit dir sein. Ich bin beinahe froh, dass ihr weggezogen seid, sonst würde ich bestimmt bald Größe 40 tragen.«

»Du? Niemals, Brigitte.« Und wenn, dann würde dein Stamm-Schönheitschirurg schnellstens für Abhilfe sorgen. Oder du würdest dich halb zu Tode hungern.

Ich zog die Tür auf und bat Brigitte mit einer Geste, vorauszugehen.

»Na, die Damen – Hausbesichtigung beendet?«, sagte Michael Orthmann, Brigittes Gatte und Haralds langjähriger Freund.

»Oh, Michael, das Haus ist traumhaft«, zwitscherte Brigitte, während sie ihre Leinenserviette über den Schoß breitete. »Das muss hier alles ein Vermögen gekostet haben, oder? Der Garten, der Pool, die Einrichtung, dieses wunderschöne Haus ...«

Orthmann zwinkerte meinem Göttergatten verschwörerisch zu. »Los, Harald, sag schon. Eine Million? Anderthalb? Mir kannst du es doch sagen, wir sind schließlich ganz unter uns.«

Ganz unter uns? Ich wusste es besser. Man war niemals unter sich, wenn Brigitte Orthmann mit am Tisch saß. Binnen kürzester Zeit brachte sie Neuigkeiten unter die Leute: im Golfclub, in der Bridgerunde, bei Cocktailpartys, selbst im Schönheitssalon. Seit ich mit meiner Familie in eine andere Stadt gezogen war, in das Traumhaus, in das wir die beiden zum ersten Mal eingeladen hatten, konnte es mir egal sein, was Brigitte herumtratschte, Nicht, dass ich traurig darüber war, Brigitte jetzt seltener zu sehen – im Gegenteil. Ich war nur mit ihr befreundet, weil Harald so gern mit Michael zusammen war, den er seit ihrer gemeinsamen Studienzeit kannte, und da hatte es die Gattin gratis dazugegeben. Ab und zu hielt ich das aus – Harald zuliebe. Allerdings hatte ich mich dem jährlich wiederkehrenden Vorschlag, gemeinsam eine Urlaubsreise zu machen, immer kategorisch verweigert. Was zu viel war, war zu viel. So fuhren die Männer jedes Jahr im Winter für zwei Wochen zum Skilaufen und konnten ungestört in Erinnerungen schwelgen.

Haralds Stimme unterbrach meine Gedanken. »Das Haus war ein Schnäppchen«, sagte er. »Der Besitzer musste verkaufen, Firmenpleite, da habe ich sofort zugeschlagen.« Er grinste und lehnte sich zurück. »Ich hatte die Information ... na ja, ist ja auch egal, woher ich es wusste. Ich war einfach zur rechten Zeit am rechten Ort. Hätte ich es nicht gekauft, wäre es zwangsversteigert worden.«

Michael beugte sich zu Harald vor. »Wie viel?«

Haralds Grinsen wurde breiter. »Rate.«

»Ich weiß nicht ... Sechshunderttausend?«

Lachend schüttelte Harald den Kopf. »Deutlich weniger.«

»Du machst Witze!« Michael konnte es nicht fassen. »Weniger als Fünfhunderttausend? Das ist ja sittenwidrig.«

Harald wurde ernst. »Sittenwidrig? Das sehe ich anders. Das sind die Regeln des Marktes, das weißt du so gut wie ich. Der Besitzer hätte wesentlich schlechter dagestanden, wenn das Haus hätte versteigert werden müssen.«

»Aber der Besitzer hat doch bestimmt viel mehr dafür ausgegeben, oder?«, zwitscherte Brigitte plötzlich.

Das kam derart unerwartet, dass wir alle sie ansahen. Sie pflegte sich nicht an Männergesprächen zu beteiligen – sie unterbrach sie höchstens mit einem völlig anderen Thema, wenn sie sich zu sehr langweilte.

Brigitte zauberte einen traurigen Ausdruck in ihr Puppengesicht. »Irgendwie gemein, oder nicht?«

Michael tätschelte ihr die Hand. »Zerbrich dir darüber nicht deinen hübschen Kopf, Täubchen. Davon kriegst du nur Falten. Harald hat recht. Ich würde es nicht anders machen, wenn ich so eine Gelegenheit hätte. Und, Harald – was hast du bezahlt?«

»Vierhundertfünfzig. Bar auf den Tisch des Hauses. Der Mann hat mir die Füße geküsst, das kannst du mir glauben.« Er lachte. »Vielleicht hätte der Vorbesitzer etwas Geld in einen Finanzberater investieren sollen – dann hätte ich es ihm bestimmt nicht für 'nen Appel und ein Ei abkaufen können.«

Michael stimmte in sein Lachen ein, und die beiden Männer klatschten sich über dem Tisch ab.

Frau Bartels erschien, um die Vorspeise zu servieren.

Ich nahm ihr Auftauchen dankbar zum Anlass, das Gespräch zu unterbrechen. »Ich will jetzt nichts mehr von Geschäften hören, ich möchte mein Essen genießen.« Ich hob mein Weinglas. »Lasst uns auf einen schönen Abend und ein wunderbares Essen anstoßen.«

Unsere Gläser stießen mit leisem Klirren aneinander. Der gegrillte Hummer auf unseren Tellern duftete appetitlich.

»Oh, ich liebe Hummer«, säuselte Brigitte. Ihre vor Minuten noch demonstrierte Betroffenheit war wie weggeblasen. »Aber: von der Gabel direkt auf die Hüfte«, fügte sie hinzu und kicherte albern.

Du solltest dir lieber irgendwas wünschen, was direkt in dein Hirn geht, dachte ich, da ist jede Menge Hohlraum aufzufüllen.

Ich genoss den köstlichen Hummer.

Ich würde jede Menge Kraft brauchen, um den Rest des Abends auch noch auszuhalten.

KAPITEL 2

Maren

Es war bereits deutlich nach Mitternacht, als ich endlich die Haustür hinter den Orthmanns schließen konnte. Ich hatte Kopfschmerzen, wie stets nach einem Abend mit Brigitte, die mit jedem Glas Wein immer noch einen Gang höher schaltete, was ihr sinnloses Gequatsche anging.

Die Abende mit den Orthmanns liefen immer gleich ab: Während sich die Herren wie in amerikanischen Filmen aus den Sechzigerjahren nach dem Dessert mit Zigarren und Cognac zurückzuziehen pflegten, durfte ich an Brigittes Gesprächsthemen Interesse heucheln: welcher Starfriseur gerade angesagt war, welcher Chirurg Sharon Stone wohl zu ihrem fantastischen Aussehen verhalf, welchen Designer man in dieser Saison tragen musste, und wie man damit umgehen sollte, dass im Golfclub neuerdings auch Leute zugelassen waren, die sich offensichtlich keine fünf Urlaube pro Jahr leisten konnten. Traditionell gipfelte bei Brigitte alles spätestens nach der dritten Flasche Wein in weinerlicher Sentimentalität.

So auch diesmal. Die Tränen waren reichlich geflossen, und sie hatte geschluchzt: »Nicht, dass du mich missverstehst, Maren – ich liebe Michael. Aber ich habe ihm meine Karriere geopfert. Ich hätte ein großer Star werden können.«

Diesen Monolog konnte ich mittlerweile mitbeten, so oft hatte ich ihn schon gehört. Großer Gott, war diese Frau langweilig.

Aber ich hatte, wie immer, die Zähne zusammengebissen und ihr versichert, dass Deutschlands Bühnen und die große Kinoleinwand einen unersetzlichen Verlust erlitten hatten, bei ihrem Aussehen und ihrem Talent ...

Währenddessen hatte ich innerlich die Minuten gezählt, bis es endlich, endlich vorbei sein würde.

»Maren? Trinken wir noch ein Glas Wein zusammen?« Harald stand im Durchgang zum Wohnzimmer und hielt eine angebrochene Weinflasche hoch, die Brigitte nicht mehr geschafft hatte. »Oder möchtest du irgendetwas anderes, Liebling?«

Ich ging auf ihn zu und seufzte. »Um ehrlich zu sein, am liebsten eine Kopfschmerztablette.«

Harald lachte und nahm mich in den Arm. »Mein armer Liebling. So schlimm?« Er küsste mich auf die Stirn. »Setz dich doch schon mal aufs Sofa, ich hole dir eine Tablette.« Er ging Richtung Küche und drehte sich noch einmal zu mir um. »Die Tabletten ...?«

Ich grinste unwillkürlich. Natürlich wusste Harald nicht, wo irgendetwas in diesem Haushalt aufbewahrt wurde. Und – um ganz ehrlich zu sein – ich selbst auch nur in bestimmten Bereichen. Den Haushalt hatte Frau Bartels fest im Griff, seit etlichen Jahren schon. Ein großes Glück, dass unsere Perle Verwandte und Freunde in dieser Stadt hatte und den Umzug mitgemacht hatte.

»Badezimmer, im Schrank links neben der Tür«, sagte ich und ließ mich auf das überdimensionale Sofa fallen. Ich streifte mir die hohen Pumps von den Füßen und bewegte meine Zehen, die in den schmalen, spitz zulaufenden Schuhen arg hatten leiden müssen. Was war ich bloß für eine Idiotin, dass ich nicht souverän über dem Modediktat stand und bequeme, flache Schuhe trug, wenn Besuch im Haus war. Sollte Brigitte oder sonst wer doch denken, was sie wollten. Aber nein, ich brezelte mich auf, als wollte ich auf den Opernball. Vergeblich versuchte ich, mir Brigittes Gesicht vorzustellen, wenn ich heute Abend in Jogginghose und Badelatschen die Tür geöffnet hätte.

Harald tauchte wieder auf und reichte mir eine kleine weiße Tablette und ein Glas Wasser. Dann goss er sich ein Glas Wein ein und setzte sich ebenfalls aufs Sofa.

»Tut's weh?«, fragte er mit einem Blick auf meine wackelnden Zehen.

Als ich nickte, zog er meine Beine auf seinen Schoß und begann, meine Füße zu massieren. »Besser?«

»Hmmm.« Ich spülte die Tablette mit einem Schluck Wasser herunter und legte mich mit geschlossenen Augen zurück. »Harald, mir geht unser Gespräch am Tisch nicht aus dem Kopf.«

»Was meinst du?«, murmelte er abwesend, ganz auf die Massage konzentriert.

»Das, was Brigitte gesagt hat, wegen unseres Hauses.«

Seine Hände hielten inne. »Was Brigitte gesagt hat? Die sagt so viel, wenn der Abend lang ist und die Gläser gut gefüllt sind.« Er lachte und fuhr wieder fort, meine Füße zu kneten. »Um ehrlich zu sein – ich kann mich an kaum ein Wort von ihr erinnern. Zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus.«

Ich zog meine Füße von seinem Schoß. »Dass wir dieses Haus so billig bekommen haben. Ich habe nie darüber nachgedacht.«

Harald nahm einen großen Schluck Wein. »Worüber?«

»Na, die Geschichte, die dahintersteckt. Was ist mit der Familie, die vorher hier gewohnt hat? Die sich mit einem Drittel des eigentlichen Wertes zufriedengeben musste?«

Harald runzelte die Stirn. Er sah mich forschend an und sagte: »Was ist los mit dir? Freust du dich nicht über unser neues Haus? Ich dachte, es gefällt dir.«

»Natürlich gefällt es mir. Es ist wunderschön. Aber ...«

»Aber? Jetzt sag endlich, worauf du hinauswillst.«

Ich wusste nicht weiter. Nicht nur das, ich ärgerte mich, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Aber Harald ließ nicht locker. »Sag, was du sagen willst. In klaren Worten.«

»Also gut.« Ich setzte mich aufrecht hin und nahm, wie zum Schutz, ein Kissen auf den Schoß. »Ich finde, Brigitte hatte nicht ganz unrecht damit, dass es gemein ist, von den finanziellen Schwierigkeiten eines anderen zu profitieren.«

Harald starrte mich ungläubig an. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch, irgendwie schon.«

Was redete ich denn da? Irgendwie schon?

»Und da hat dich ausgerechnet Brigitte drauf gebracht?« Er runzelte die Stirn und wiederholte: »Das ist nicht dein Ernst!«

Verdammt, hätte ich doch bloß die Klappe gehalten. Aber Brigitte – ja, ausgerechnet Brigitte – hatte meiner Freude über das Haus einen Aspekt hinzugefügt ...

»Ich weiß nicht, irgendwie ...«, war alles, was mir einfiel.

Sein Gesicht färbte sich dunkelrot. »Irgendwie? Was möchtest du, dass ich tue? Das Haus zurückgeben und lieber eines kaufen, das wirklich nur Vierhundertfünfzigtausend wert ist? Ohne Pool, ohne großzügige Einliegerwohnung für deine Mutter? Mit der Hälfte der Wohnfläche – wenn überhaupt? Und das alles aus ethischen Gründen?«

Er stand auf und begann, mit großen Schritten hin und her zu laufen. »Also wirklich, Maren, ich verstehe dich nicht. Wie ich vorhin am Tisch schon sagte: Das sind die Gesetze des freien Marktes. Einer verliert, der andere gewinnt. Oder – wenn du es so nennen willst – profitiert davon. Zum normalen Preis hätten wir uns diesen Palast hier nicht leisten können, das weißt du genau. Noch nicht.«

»Ja, schon ... aber ...« Ich verstummte Er hatte ja recht. Harald schuftete buchstäblich Tag und Nacht, um uns ein komfortables Leben zu ermöglichen. Jeden Tag musste irgendwer irgendwo auf der Welt erkennen, dass er oder sie sich finanziell überschätzt hatte. Aber dafür gab es schließlich Finanzberater wie Harald und Michael, die man engagieren konnte, damit das nicht passierte.

Harald blieb vor dem Sofa stehen und fragte: »Bist du mit unserem Leben unzufrieden? Wir haben keine finanziellen Sorgen, unsere Kinder gehen auf eine gute Privatschule und haben allein schon deswegen eine glänzende Zukunft vor sich, du kannst dir leisten, was immer du willst. Das wäre mir jetzt ganz neu, dass dir das alles so unangenehm ist.«

»So habe ich das doch gar nicht gemeint.«

Ich starrte auf das Kissen auf meinen Knien. Verdammt, wieso hatte ich nicht die Klappe gehalten? Ich blinzelte durch meine Haare, die wie ein Vorhang vor meinem Gesicht hingen. Harald füllte sein Glas bis zum Rand, leerte es mit einem Zug und nahm seine Wanderung wieder auf. Vor dem großen Panoramafenster blieb er stehen und blickte in den Garten. Die Unterwasserbeleuchtung ließ den Pool in der Dunkelheit türkis schimmern. Haralds steife, verspannte Körperhaltung sprach Bände. Er war verärgert.

»Harald ...«

Er reagierte nicht auf meinen leisen Ruf.

»Harald, bitte ...«

Endlich drehte er sich um. Sein Gesicht spiegelte seinen Unmut, aber auch Enttäuschung.

»Maren, ich verstehe dich nicht«, sagte er. »Sieh dich doch um! Was hat das Kissen gekostet, an dem du dich gerade festhältst? Hundert Euro? Hundertfünfzig? Und deine Schuhe? Das Designersofa, das du unbedingt haben musstest? Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich während der letzten Jahre auch nur einmal über dein Leben beschwert hättest. Ein schönes Haus, nicht auf jeden Cent gucken müssen ...« Er schnaubte und fuhr fort: »Ich wusste nicht, dass unser Leben deinen moralisch-ethischen Grundregeln genügen muss – die mir im Übrigen ganz neu sind, meine Liebe.« Er wandte sich wieder ab.

In meinen Schläfen pochte es schmerzhaft – Kopfschmerztablette hin oder her. So hatte ich mir den Ausklang des Abends wahrlich nicht vorgestellt. Eigentlich sollten wir jetzt zusammen auf dem Sofa sitzen, unter der flauschigen Mohairdecke kuscheln, Arm in Arm, den Besuch von Michael und Brigitte Revue passieren lassen, zusammen über Brigitte gackern ... Und stattdessen? Wie, um Himmels willen, sollte ich ihn wieder besänftigen? Ihm klarmachen, dass er mich missverstanden hatte?

»Harald, hör doch, bitte. Ich liebe mein Leben ... unser Leben. Ich möchte nichts anders haben, gar nichts. Unser Leben ist perfekt, so wie es ist.« Bittebitte, dreh dich um, komm zu mir, nimm mich in den Arm, ich halte es nicht aus, wenn wir streiten, das weißt du doch.

Als hätte Harald meine Gedanken gehört, kam er zu mir, setzte sich neben mich und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

»Der Gedanke, dass du dich nicht wohlfühlst, ist mir unerträglich, Maren. Glaub mir, ich würde alles aufgeben, wenn ich wüsste, dass du unglücklich bist, alles.«

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich schmiegte mich an ihn, erleichtert, befreit. Seine Hände streichelten mich. Ich gab mich seinen zärtlichen Berührungen hin und wisperte: »Mich macht nur eins unglücklich: wenn wir streiten.«

Er neigte sich mir zu, küsste mich, zärtlich, liebevoll, immer fordernder. Ich ließ mich wieder zurück in die Kissen sinken.

KAPITEL 3

Maren

»Hattet ihr gestern Abend Streit?«

Ich sah verdutzt von meinem Frühstücksteller hoch. Woher wusste meine Mutter von der kleinen Auseinandersetzung mit Harald? Ich wich ihrem neugierigen Blick aus und beobachtete angelegentlich zwei Spatzen, die Johannas Springbrunnen ansteuerten. Um Zeit zu gewinnen, biss ich von meinem Brötchen ab.

Wir saßen auf der Terrasse vor ihrer Wohnung im Souterrain unserer Villa. Die Sonne schien warm durch das Laub der Esche, die der Vorbesitzer vor einigen Jahren strategisch günstig gepflanzt hatte. Die gefiederten Blätter des Baumes bewegten sich leicht im Wind und warfen dekorative Schattenspiele auf den Frühstückstisch. Das Wasser des dunkelroten Springbrunnens am Rand der Terrasse plätscherte leise von der oberen, durch eine Putte gekrönte Schale hinunter ins reich verzierte Auffangbecken, an dessen Rand die zwei Spatzen saßen und tranken. Dann stürzten sie sich ins Wasser und genossen zwitschernd und flügelschlagend das Bad. Glitzernde Wassertropfen sprühten über den Beckenrand und funkelten in der Sonne.

Meine Mutter goss sich Kaffee nach. »Na komm schon – hattet ihr?«

Ich riss mich vom Anblick der beiden winzigen Vögel los und bemühte mich um eine neutrale Stimme, als ich antwortete: »Ich weiß nicht, was du meinst, Johanna. Wann sollen Harald und ich gestritten haben?« Seit ihrem fünfzigsten Geburtstag bestand sie darauf, dass ich sie bei ihrem Vornamen nannte, weil sie sich sonst uralt vorkam, wie sie gesagt hatte.

Sie konnte doch nichts gehört haben? Ihre Wohnung lag zwar teilweise unter unserem Wohnzimmer, aber wir hatten uns schließlich nicht angeschrien. Wir hatten noch niemals laut gestritten, das machten schließlich nur diese Leute, die die nachmittäglichen Talkshows im Fernsehen dazu nutzten, ihre Probleme vor der Nation breitzutreten. Harald und ich pflegten Meinungsverschiedenheiten ruhig zu diskutieren – wenn es denn mal welche gab.

Sie sah mich forschend an. »Komm, erzähl mir keine Märchen. Du konntest noch nie gut lügen. Gestern Nacht, meine ich, nachdem Michael und seine Primadonna gegangen sind.«

»Ich weiß wirklich nicht ...«, begann ich, brach aber ab, als sie die Hand hob und sagte: »Ich habe euch gesehen. Ich habe im Garten gesessen und den wunderbaren Sternenhimmel genossen. Ich hatte freien Blick in euer Wohnzimmer. Ziemlich interessant, was es da alles zu sehen gab.«

Mein Gesicht wurde heiß. Hatte sie etwa auch die Szene auf dem Sofa gesehen? Als Harald und ich es nicht mehr in unser Schlafzimmer geschafft hatten?

Johanna lachte leise. »Brauchst nicht rot zu werden. Als es pornografisch wurde, habe ich mich diskret zurückgezogen. Was davor passiert ist, meine ich. Als du auf dem Sofa gehockt hast und Harald wütend durchs Wohnzimmer getigert ist. Zumindest sah er wütend aus. Also. Was war los? Gewitter im Paradies?«

Sie zog einen ihrer unvermeidlichen Zigarillos aus der Packung, zündete ihn an und blies eine würzige Rauchwolke in meine Richtung.

»Mutter! Muss das sein?« Ich wedelte den Qualm demonstrativ mit der Hand weg. »Du sollst doch nicht rauchen.«

Sie verdrehte die Augen und zog wieder an ihrem Zigarillo. »Und du sollst mich nicht Mutter nennen. Außerdem – der Tag muss erst noch kommen, an dem du Küken mir vorschreibst, was ich zu tun und zu lassen habe. Kümmere dich lieber um die Trinkgewohnheiten deines Mannes. Als ich gestern Nacht gesehen habe, in welcher Menge und Geschwindigkeit er sich den Wein reinkippt ... nun ja.«

»Das hat gar nichts zu sagen«, fauchte ich. »Er war wütend.«

»Ha!«, rief Johanna triumphierend. »Also doch.« Sie beugte sich vor und nahm meine Hand. »Magst du mir nicht doch erzählen, was los war?«

Ich schüttelte den Kopf wie ein bockiges Kind. »Ach, es war nichts. Außerdem – wir haben uns längst wieder versöhnt.«

Johannas Augenbrauen wanderten bis unter ihren Haaransatz. »Na, das konnte man sehen. Aber als Harald so am Fenster stand ... Er wirkte sehr aufgebracht.«

Mein Widerstand schmolz. Wenn ich ehrlich war, kreiste das Thema noch immer durch meine Gedanken. Als ich am frühen Morgen ein paar Runden im Pool geschwommen war, hatte es mich wieder beschäftigt. Was war aus der Familie geworden, die vor uns hier gewohnt hatte? Die all die Bäume, Sträucher und Blumen gepflanzt hatte, die gerade so verschwenderisch grünten und blühten? Die ihre Mußestunden in dem kleinen Pavillon mitten auf der gepflegten Rasenfläche genossen hatte? Wo lebten die Kinder jetzt, die in dem Sandkasten gebuddelt und auf dem Klettergerüst gespielt hatten, die mittlerweile abgebaut waren?

»Brigitte hat gestern beim Essen eine Bemerkung gemacht, die mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist«, sagte ich schließlich. »Und als ich später mit Harald noch einmal darüber sprechen wollte, ist er sauer geworden.«

Johanna lachte schallend. »Brigitte? Dieses hohle Püppchen? Seit wann spricht die denn Themen an, über die man ernsthaft streiten kann? Oder ging es um irgendeine Must-have-Tasche aus pinkfarbener Rochenhaut, von der irgendein drogensüchtiger, für vier Wochen angesagter Jungdesigner nur acht Stück auf den Markt geworfen hat, und sie hat keine abgekriegt?«

»Nein, nein, die Männer haben sich über den Kaufpreis unseres Hauses unterhalten, und Brigitte fand es irgendwie unfair, dass wir so wenig dafür bezahlt haben, nur weil der Vorbesitzer in finanziellen Schwierigkeiten war.«

Johanna starrte mich ungläubig an und rief: »Wie bitte? Das hat Brigitte gesagt? Das soll wohl ein Witz sein. Ich glaube nicht, dass dieses Luxuspüppchen sich jemals darüber Gedanken gemacht hat, was der Rasenpfleger in ihrem Golfclub verdient oder ob ihre Haushaltshilfe von den paar Kröten leben kann, die sie ihr gnädigerweise zahlt.«

Wie üblich hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. »Da hast du sicher recht, Johanna. Aber davon abgesehen muss es schrecklich sein, alles zu verlieren, was man sich aufgebaut hat. Und darüber habe ich mit Harald gestritten.«

Sie runzelte die Stirn. »Also wirklich, Maren. Kein Wunder, dass er sauer war. Er tut schließlich alles dafür, dass du so leben kannst, wie du lebst. Du weißt doch, wie es ist: Jeder kämpft für sich allein. Ich habe mein Leben lang auf vieles verzichtet und eisern gespart, damit ich meinen Lebensabend genießen kann. Und ich hatte nie damit gerechnet, dass ich für meine Ersparnisse einmal einen Anteil an einer traumhaften Villa kaufen werde. So ist es halt: Einer gewinnt, der andere verliert. Freu dich, dass du zu den Gewinnern gehörst.«

Sie hatte ja recht – aber trotzdem ...

»Zu den Gewinnern – wie sich das anhört«, sagte ich trotzig. »Ich setze mich hier ins gemachte Nest, das ist alles. Ich fühle mich unwohl, wenn ich mir das vorstelle.«

Johanna schüttelte den Kopf. »Das sind ja ganz neue Töne. Ich wüsste nicht, dass du dich unwohl gefühlt hättest, als Harald so schnell beruflich derart erfolgreich war, dass er euch praktisch von Anfang an ein angenehmes Leben ermöglichen konnte. Musstest du nach deinem Job während seiner Ausbildung auch nur einen Tag arbeiten gehen? Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Selbst eure Frau Bartels gibt es schon seit fünfzehn Jahren. Also wirklich ...« Sie musterte mich und stieß dann verächtlich hervor: »Unwohl! Lächerlich.«

Ich konnte mich einfach nicht geschlagen geben. »Aber hier hat eine Familie gelebt, hier haben Kinder gespielt, das ist doch irgendwie nicht richtig.«

»Oh, bitte!« Johanna ließ mich nicht ausreden. »Nicht so sentimental. Wenn du dem Universum etwas zurückgeben willst, gibt es genug Möglichkeiten. Mach ehrenamtliche Arbeit, hilf in der städtischen Suppenküche, irgendwas. Aber heul hier nicht rum. Würdest du dich besser fühlen, wenn wir alle arm, aber ethisch korrekt auf sechzig Quadratmetern hocken würden?« Sie schnaubte. »Glaub ich kaum.«

»Nein, natürlich nicht.«

Mist. Zum zweiten Mal in zwölf Stunden hatte ich mich in eine Diskussion manövriert, für die ich keine Argumente parat hatte außer irgendwie.

»Eben«, sagte sie befriedigt. »Oder du könntest eure Luxuskreuzfahrt absagen und das Geld spenden – wie wäre das? Und stattdessen einen billigen Urlaub buchen, schön mit Hinz und Kunz zusammen eingepfercht auf einem Deck unterhalb der Wasserlinie.«

Mir war unbehaglich. Ich hatte mich in der Tat an mein sorgenfreies Leben gewöhnt. Und die Karibikkreuzfahrt ... darauf freute ich mich schon so lange. Jahrelang hatte Harald keine Zeit für einen richtigen Urlaub gehabt, immer war die Arbeit vorgegangen. Natürlich war ich regelmäßig mit den Kindern verreist, aber Harald hatte uns immer nur höchstens für ein paar Tage begleiten können. Und jetzt ... drei Wochen Karibik. Mir fiel ein, dass ich meinen Bestand an Abendkleidern noch aufstocken musste, denn natürlich planten wir keine Reise auf einem buntbemalten Dampfer, auf dem es selbst beim abendlichen Dinner okay war, in Plastiksandalen und ausgefransten Jeans aufzutauchen. Da gab es schon einen deutlichen Klassenunterschied, schließlich bezahlten wir das Zehnfache wie diese Leute ...

Ich hielt erschrocken die Luft an. Ich war kein Stück besser als Brigitte. Ich hatte schätzen gelernt, mich in bestimmten Kreisen zu bewegen, mich mit Menschen zu umgeben, die auf einem gewissen Level lebten – dazu gehörten Opernbesuche, teure Reisen, hochwertiges Mobiliar, schöner Schmuck ...

Johannas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Na, was guckst du denn so schuldbewusst? Ist dir gerade klar geworden, dass ich recht habe?«

»Ja, schon ...«, gab ich widerwillig zu.

Mit einem Klirren stellte Johanna die Tasse, aus der sie gerade hatte trinken wollen, auf die Untertasse zurück. »Jetzt reicht es mir aber. Ich hole meine Karten, und dann werde ich dir beweisen, dass deine Zukunft mehr als rosig aussieht. Räum schon mal den Tisch ab.«

Ohne meine Antwort abzuwarten, verschwand sie durch die Terrassentür.

Hier war jeglicher Widerstand zwecklos. Seit meine Mutter vor einigen Jahren das Tarot für sich entdeckt hatte, zog sie die Karten gern zurate, wenn sie eine Entscheidung zu treffen hatte. Zunächst hatte ich darüber gelacht, aber sie hatte es durch einige Sitzungen geschafft, mich zumindest zum Nachdenken zu bringen. Die gezogenen Karten hatten meine jeweilige Lebenssituation oder Gefühlslage in erstaunlicher Weise gespiegelt – wobei ich nie ganz sicher war, inwieweit Johanna die Bilder mit den geheimnisvollen Symbolen vielleicht einfach nur passend interpretierte.

Ich räumte die Frühstücksreste und das benutzte Geschirr bis auf die Kaffeetassen – auf den Servierwagen, stellte den Aschenbecher an den Rand des Tisches und wischte die Brötchenkrümel auf die Terracottafliesen. Darum würden sich die Spatzen kümmern. Ich schob den Wagen durch Johannas Wohnzimmer in die Küche, beschränkte mich aber darauf, Butter, Marmelade und Wurst in den Kühlschrank zurückzuräumen.

Als ich auf die Terrasse zurückkehrte, stellte Johanna gerade eine kleine Holztruhe auf den Tisch und klappte den gewölbten, kunstvoll geschnitzten Deckel auf. Sie entnahm der mit dunkelrotem Samt ausgeschlagenen Truhe ein Päckchen, das in ein buntes, gebatiktes Seidentuch eingewickelt war. Das zarte Gewebe raschelte leise, als Johanna die Karten auspackte. Sie rieb schnell und kräftig die Handflächen aneinander, um ihre Energie zum Fließen zu bringen, wie ich wusste, und begann, die großformatigen Karten zu mischen. Dann breitete sie sie mit der reich verzierten Rückseite nach oben in einem großen Fächer vor mir auf dem Tisch aus und sagte: »Zieh drei Karten.«

Als ich die rechte Hand ausstreckte, fügte sie hinzu: »Reib vorher deine Hände, und dann zieh mit der linken Hand. Du weißt doch, wie das geht. Lass dir Zeit dabei.«

Ich folgte ihren Anweisungen, streckte dann die linke Hand aus und führte sie knapp über dem Tisch langsam über dem Kartenfächer hin und her. Johanna hatte mir erklärt, die Hand würde von den richtigen Karten angezogen, und deshalb würden sie immer die Wahrheit sagen. Ich zog die erste Karte und reichte sie ihr. Johanna nahm sie entgegen, sagte: »Das ist die Vergangenheit«, und legte die Karte verdeckt vor sich. Bei der zweiten sagte sie: »Das ist die Gegenwart«, die dritte kommentierte sie mit: »Das ist die Zukunft.« Dann schob sie den Kartenfächer wieder zu einem Paket zusammen und legte ihn beiseite. Die drei gezogenen Karten lagen nebeneinander auf dem Tisch.

Sie zündete sich ein Zigarillo an und fragte: »Bereit?«

Ich lachte nervös. »Du wärst auf jedem Jahrmarkt eine Attraktion, weißt du das? Fehlen nur noch der wallende Kaftan mit aufgestickten Planeten und ein Samtturban.«

Sie warf mir nur einen schnellen Blick zu und wiederholte: »Bereit?«

Ich nickte.

Johanna drehte die erste Karte um und rief: »Ah, die zehn Scheiben – Reichtum. Wunderbar.« Sie zog am Zigarillo und fuhr fort: »Die Karte steht für Wohlstand, ein solides Fundament im Leben, für ideellen und zugleich materiellen Erfolg. Sehr schön.«

Die zehn goldenen Scheiben auf der Karte sahen in der Tat wie Münzen aus. Auf jeder war ein geheimnisvolles Zeichen eingeprägt, einige kannte ich als Symbole für Planeten, andere waren mir unbekannt. »Das ist eine gute Karte, oder?«

»Allerdings.« Johanna lehnte sich zufrieden zurück. »Eine sehr gute Karte. Sollen wir weitermachen?«

Ich nickte wieder. Ich war jetzt wirklich neugierig auf die nächsten Karten. Wenn es so positiv weiterging – und warum sollte es nicht? –, dann wollte ich möglichst schnell noch mehr Gutes hören.

Johanna drehte die mittlere Karte um, stutzte kurz und legte sie dann neben die erste aufgedeckt auf den Tisch. Ich sah ein wie ein Derwisch beim Tanz verrenktes Skelett, das einen ägyptisch aussehenden Helm trug und eine riesige Sense in den Händen hielt. Unwillkürlich fuhr mir der Schreck in die Glieder. »Was ... was bedeutet das?«

Johanna tätschelte mir beruhigend die Hand. »Keine Sorge. Die Karte symbolisiert zwar den Tod, aber lediglich im übertragenden Sinn. Sie steht für einen Neubeginn, den Abschied von etwas Altem, für Transformation.«

Ich schauderte und sagte: »Sie sieht so gruselig aus. Die kann einem ja richtig Angst machen.«

»Und deshalb wird sie in schlechten Filmen auch immer benutzt, um den Tod eines Menschen anzukündigen. Ich rege mich jedes Mal darüber auf, wenn ich diesen Quatsch sehe.« Johanna schnaubte verächtlich. »Die Karte bedeutet einfach, dass wir am Ende eines Entwicklungsprozesses angekommen sind. Nichts ist lebendiger als der Tod, weißt du? Ich interpretiere die Karte grundsätzlich positiv, denn sie zeigt, dass etwas Neues beginnen wird oder gerade begonnen hat.«

Noch immer eingeschüchtert vom Anblick des wie irre verrenkten Skeletts, fragte ich: »Wirklich?«

»Aber ja! Denk doch mal nach: Du bist gerade in eine andere Stadt gezogen, in ein neues Haus – der klassische Neubeginn. Deutlicher geht es ja wohl kaum.«

Ich merkte plötzlich, dass ich die Luft angehalten hatte, und atmete langsam aus. Wie hatte ich mich nur von einer albernen Karte derart einschüchtern lassen können? Was war nur im Moment mit mir los? Ich holte tief Atem und sagte: »Und jetzt die Zukunft. Ich bin gespannt.«

Sie drehte die letzte verdeckte Karte um und wurde blass. Kurz sah es so aus, als wolle Johanna die Karte wieder mit der Rückseite nach oben auf den Tisch legen, aber dann gab sie sich einen Ruck und deckte sie auf. »Der Turm ...«, sagte sie langsam.

Ich blickte auf die Karte. Sie sah bedrohlich aus, chaotisch. In grellen Farben – rot, schwarz und gelb – zeigte sie im unteren Drittel ein weit aufgerissenes, Flammen speiendes Maul mit spitzen Zähnen, in der Mitte einen kollabierenden Turm, von dem winzige, abstrakt gezeichnete Menschen stürzten, und über allem ein riesiges, starres Auge.

Ich versteinerte und starrte stumm die Karte an. Selbst der größte Ignorant konnte erkennen, dass dieses Bild keine positive Botschaft transportierte.

»Was bedeutet diese Karte, Mama?« Meine Stimme war kaum zu hören. Unwillkürlich redete ich sie mit dem Namen an, den ich als kleines Mädchen benutzt hatte. Als ich keine Antwort bekam, blickte ich hoch.

Sie paffte hektisch an ihrem Zigarillo, und ihre Hände zitterten, als sie den Stummel mit einer heftigen Bewegung im Aschenbecher ausdrückte.

»Das muss gar nichts bedeuten, Maren«, sagte sie schließlich. Sie raffte die drei Karten vom Tisch auf und schob sie in die Mitte des Stapels. »Weißt du, wenn man unsicher und voller Zweifel ist, beeinflusst das natürlich die Auswahl der Karten. Dein Streit gestern mit Harald, dein Gewissenskonflikt wegen des Hauses, all die Fragen, die du dir gerade stellst ... kein Wunder, dass sich das auf die Karten auswirkt.«

Hör doch auf, um den heißen Brei herumzureden! Sag mir die verdammte Wahrheit! »Was bedeutet diese Karte?«, wiederholte ich laut und mit fester Stimme.

Sie warf mir einen schnellen Blick zu und erkannte offenbar, dass ich mich mit esoterischem Gequatsche nicht abspeisen lassen würde. Sie räusperte sich und sagte dann: »Also gut ... Der Turm ist, finde ich, eine der alarmierendsten Karten im gesamten Deck. Eine Warnung, wenn du so willst. Vergiss nicht: Die Karten prophezeien nicht die Zukunft, sondern spiegeln allenfalls Tendenzen, Möglichkeiten, die sich ergeben können, aber nicht müssen. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand. Es wäre verrückt, sich sein Leben von den Karten dirigieren zu lassen.«

Sagt wer?, dachte ich. Schließlich war sie es, die das Tarot oft genug als letzte Instanz vor einer Entscheidung nutzte. Und sie wollte mir jetzt, angesichts dieses Alptraums von Karte, erzählen, das sei alles nicht so wichtig?

»Komm zur Sache, Johanna. Sag mir die Wahrheit.«

»Wahrheit? Diese dumme Karte ist doch nicht die verdammte Wahrheit! Das ist ein bedrucktes Stück Pappe, nichts weiter.«

»Johanna!«

Sie seufzte. »Wie du willst. Die Karte steht für totalen Umbruch, der allerdings nicht freiwillig und gewollt passiert. Unsere vermeintliche Sicherheit gerät plötzlich ins Wanken – wie dieser Turm auf der Karte. Aber am Ende des Prozesses werden wir erkennen, dass wir aus den Trümmern in ein neues Leben aufbrechen können, in ein besseres, geläutertes Leben.«

»Was für ein besseres Leben?«, schrie ich. »Mein Leben ist gut, so wie es ist. Ich will kein anderes Leben. Was soll das überhaupt heißen – geläutert? Ich kann keinen Umbruch gebrauchen!«

Ich sprang auf, griff nach den Karten und schleuderte sie quer über die Terrasse. Die Karten flatterten und wirbelten durch die Luft. »Warum hab ich mich überhaupt auf diesen Mist hier eingelassen? Du und dein verdammtes Tarot! Ich glaube sowieso kein Wort von diesem faulen Zauber!«

Die Karten lagen über die gesamte Terrasse verstreut.

Und wie zum Hohn lagen nur drei Karten mit dem Bild nach oben auf den Fliesen: die Zehn der Scheiben, der Tod und der Turm.

Ich drehte mich auf dem Absatz um und floh.

KAPITEL 4

Amelie Behringer saß im Erker ihres Zimmers auf Schloss Trabenow und las in Shakespeares Sonetten. Immer wieder glitt ihr Blick vom Buch auf ihren Knien nach draußen über den See, der im Sonnenschein glitzerte. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich nicht richtig konzentrieren, und dabei schrieb sie die Klausur schon in drei Tagen. Englisch Leistungskurs, eine wichtige Zensur für ihr Abitur. Nicht, dass sie sich um die Abiturzulassung Sorgen machen musste. Aber eine schlechte Klausur konnte den Notendurchschnitt nach unten drücken, und das wollte sie um jeden Preis vermeiden.

Amelie war ihren Eltern dankbar, dass sie ihr diese Ausbildung ermöglichten – ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder Timo, der mit seinen zehn Jahren weit davon entfernt war, zu begreifen, wie privilegiert er war, das angesehene Internat besuchen zu dürfen. Timo schien seine gesamte Energie dafür aufzuwenden, sich möglichst aufsehenerregende Streiche auszudenken; das Konto seiner Minuspunkte sprach eine deutliche Sprache.

Vor ein paar Wochen hatten ihre Eltern sogar anreisen und zu einem Gespräch bei der Schulleitung erscheinen müssen, denn Timo hatte sich als Rädelsführer bei einem nächtlichen Einbruch ins Lehrerzimmer herausgestellt, bei dem die Schlösser sämtlicher Schränke mit Sekundenkleber verkleistert worden waren. Leider hatte sich Timo mit dem Kleber auch Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand zusammengepappt, was seine Mitwirkung zweifelsfrei bewiesen hatte. Die kleine Operation, die notwendig gewesen war, um seine Finger wieder voneinander zu trennen, erhob ihn bei seinen Klassenkameraden endgültig in den Heldenstand. Die Schulleitung hatte ihren Eltern eine saftige Rechnung präsentiert und unverhohlen mit Schulverweis gedroht, sollte sich Derartiges noch einmal abspielen.

Seitdem hatte Timo sich zurückgehalten, aber Amelie wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis er etwas Neues ausbrüten würde, das ihm einen Platz in den Annalen der Schule sichern sollte. Lästigerweise hatte Amelie eine Zeit lang damit leben müssen, immer wieder auf ihren frechen kleinen Bruder angesprochen zu werden.

Seufzend riss Amelie ihren Blick vom idyllischen Seepanorama los und wandte sich wieder ihrem Buch und Shakespeares Sonett Nummer XVII zu:

... If I could write the beauty of your eyes And in fresh numbers number all your graces, The age to come would say ›This poet lies; Such heavenly touches ne'er touch'd earthly faces‹.

In diesem Augenblick flog ihre Zimmertür auf, und Justus von Wallenburg stürmte herein. Er trug Sportkleidung und rief: »Los, komm mit, du musst mich beim Drachenboottraining anfeuern!«

»Ich lerne gerade«, antwortete Amelie und hielt ihr Buch fest, das Justus ihr vom Schoß zu ziehen versuchte.

»Ach, immer lernen, lernen, lernen. Wie langweilig. Du schreibst doch sowieso nur Einsen.« Er strubbelte ihr durchs Haar und nutzte ihre unwillkürliche Abwehrbewegung dazu, ihr das Buch wegzureißen. Sie griff danach, aber Justus wich ihr aus, warf sich auf ihr Bett und breitete die Arme aus, nachdem er den Wälzer unter seinen Körper geschoben hatte. »Komm, hol's dir, meine Schöne.«

Amelie verdrehte die Augen und sprang von der breiten Fensterbank. Als sie neben dem Bett stand und auffordernd die Hand ausstreckte, griff Justus zu und zog sie zu sich herunter, um sie zu küssen. Kurz ergab sie sich, dann richtete sie sich wieder auf und sagte: »Jussi, bitte, lass mich in Ruhe lernen, ja? In drei Tagen ...«

»Ja, ich weiß – die blöde Klausur«, fauchte Justus. »Ich werde nie verstehen, wie man deshalb so verbissen sein kann. Du machst dir doch wohl nicht ernsthaft Sorgen, dass du das nicht packst, oder? Mein Gott, wenn ich vor jeder Klausur so einen Aufriss machen würde ...«

Dann hättest du bessere Noten, dachte Amelie. Aber übertriebener Ehrgeiz in schulischen Dingen war nun wirklich nicht Justus' markanteste Charaktereigenschaft – außer beim Sport, natürlich. Kapitän der Drachenbootmannschaft, bester Degenfechter der Schule, ungeschlagen beim Tennis. Ansonsten war er primär Sohn und Erbe einer millionenschweren Stahldynastie, genauso, wie die meisten Jungs und Mädchen seiner Clique zuallererst Erben waren. Die Mädchen aller Altersstufen im Internat himmelten Justus an, tuschelten aufgeregt, wenn er vorbeilief, bewunderten sein Aussehen und seine stets gute Laune.

Warum er sich ausgerechnet für sie entschieden hatte, war ihr noch immer ein Rätsel. Vielleicht gerade, weil sie nicht zu seinem weiblichen Fanclub gehörte und nie gehört hatte.

»Gib mir mein Buch«, forderte Amelie.

»Wenn du für eine Stunde mitkommst Bitte.« Er nahm ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen. »Bittebittebittebitte, meine Allerschönste, meine Göttin ...«

Lachend zog Amelie ihre Hand weg. »Na gut, eine Stunde – ehe du mich komplett vollsabberst.«

»Juhu!«, rief Justus wie ein kleines Kind und sprang aus dem Bett, zufrieden mit seinem Erfolg. »Jetzt müssen wir uns aber beeilen, in fünf Minuten fängt das Training an.«

Sie liefen aus dem Zimmer, die Treppen hinunter und rannten durch den Park zum Steg, wo die anderen schon auf ihren Kapitän warteten. Amelie setzte sich zu den übrigen, meist weiblichen Zuschauern auf die Tribüne, zu den Freundinnen der übrigen Mannschaftsmitglieder.

»Na, da ist ja unsere kleine Streberin. Kein Buch dabei?«, fragte Chiara Braun, Tochter einer bekannten Modedesignerin. Die umsitzenden Mädchen kicherten.

»Weißt du überhaupt, was ein Buch ist?«, gab Amelie zurück. »Das sind diese Dinger mit den vielen vollgeschriebenen Seiten. Und wenn wir dann eine Klausur schreiben, sind die im Vorteil, die wissen, was auf diesen vielen Seiten steht, weißt du? Und damit sind nicht diese glänzenden Seiten mit den Bildern von schönen Kleidern und Filmstars gemeint, die du immer liest.«

Chiara lachte schallend, und nach einem kurzen Moment der Verunsicherung stimmten ihre Freundinnen ein. »Du bist schon 'ne Marke«, prustete Chiara und tätschelte Amelies Arm. »Manchmal denke ich, Justus ist nur mit dir zusammen, weil du so einen furztrockenen Humor hast, da steht er drauf.«

»Na, da hab ich aber Glück gehabt«, sagte Amelie. »Ich hatte schon befürchtet, ich müsste mich so aufbrezeln wie ihr, damit ich ihn halten kann.«

»Hey, hey, hey!«, riefen einige der Mädchen empört, aber Chiara hob die Hand und sagte: »Ist schon okay, Mädels. Amelie meint es nicht so, stimmt's, Amelie?«

»Natürlich nicht«, antwortete Amelie und grinste. »Genauso wenig wie du, nicht wahr, Chiara?«

Chiara grinste zurück und rief dann: »Hey, da kommen unsere Sportsmänner, los, Mädels!«

Die Mädchen zogen große Pompons in Violett und Rehbraun unter ihren Bänken hervor und schüttelten sie frenetisch.

Das Drachenboot flog über die glitzernde Wasseroberfläche, angetrieben von den wuchtigen, kraftvollen Schlägen der Ruderer. Zu Amelies Bedauern gab es keine Frauenmannschaft; zu wenige der Schülerinnen interessierten sich dafür, diesen Sport aktiv zu betreiben. Und dass Amelie als Mädchen Mitglied der bestehenden Mannschaft würde, war unvorstellbar. Selbst wenn es möglich wäre, hätte man sie vermutlich bei Wettkämpfen nicht in den Kader genommen. Die meisten Teammitglieder waren sowieso der Meinung, dass die Aufgabe der Damen darin bestand, als dekorative, moralische Unterstützung am Rande der Strecke zu sitzen und sie anzufeuern.

Amelie blickte auf ihre Uhr – die Stunde, die sie Justus versprochen hatte, war fast um. Sie wusste, dass er insgeheim hoffte, sie würde ihren Shakespeare und die Sonette vergessen, stattdessen auf ihn und das Ende des Trainings warten und dann gemeinsam mit der ganzen Truppe in einen Biergarten fahren. Nicht, dass diese Vorstellung nicht verlockend wäre, aber Amelie hatte ein klares Ziel vor Augen: exzellente Abschlussnoten, die ihr ein Studium an einer der führenden Universitäten im Ausland ermöglichen sollten. Sie konnte und wollte sich keine Nachlässigkeit erlauben. Ihr Vater arbeitete schließlich hart dafür, dass sie diese Chance bekam – sie war es ihm schuldig, alles dafür zu tun.

Sie stand auf und streckte sich. Chiara sah sie verblüfft an.

»Du willst doch wohl nicht abhauen, oder?«

»Doch, ich möchte noch lernen«, sagte Amelie und wappnete sich für die unvermeidliche Diskussion.

»Waas? Spinnst du? Du bist eine olle Spaßbremse, weißt du das?«

»Ich will eine Eins schreiben, und deshalb gehe ich jetzt in mein Zimmer und lerne. Ende der Diskussion.«

Chiara machte eine wegwerfende Handbewegung. »Als müsstest ausgerechnet du Angst haben, eine schlechte Note zu schreiben, ist ja wohl ein Witz. Die Klassenbeste, die Jahrgangsbeste, die Beste überhaupt. Ha!«

Amelie seufzte. »Bitte, Chiara, nicht schon wieder, das ist allmählich langweilig. Selbst du wirst begreifen, dass ich nur deshalb diese Noten habe, weil ich lerne. Und deshalb werde ich mich vor dem Abendessen noch zwei Stunden mit Sonetten beschäftigen.«

Chiara schüttelte den Kopf. »Also ehrlich, diese unglaublich öden Sonette von diesem langweiligen alten Knacker, der schon seit Jahrtausenden tot ist. Kennst du eins davon, kennst du alle. Drama, Liebe,, Wahnsinn, fallende Blätter im Herbst, Tod. Eins wie das andere, furchtbar. Mir wird schon irgendwas einfallen bei der Klausur, kann ja wohl nicht so schwer sein, oder?« Sie grinste. »Und zur Not schreibe ich bei dir ab.« Chiara wandte sich wieder dem See zu, auf dem in diesem Moment wieder das Drachenboot angeflogen kam, und schüttelte frenetisch ihre glitzernden Pompons.

Amelie nutzte die Gelegenheit, von der Tribüne zu klettern, ohne sich weiter rechtfertigen zu müssen. Langsam schlenderte sie über den Rasen auf das Schloss zu, das strahlend weiß auf einer kleinen Anhöhe thronte. Sie hatte das Glück, eines der Zimmer im Altbau ergattert zu haben, in einem der Türmchen, mit Blick auf den See. Sie umrundete eine Gruppe jüngerer Schüler – unter ihnen Timo –, die auf dem Rasen kreischend Blindekuh spielten.

Sie winkte einigen ihrer Klassenkameraden auf der Terrasse zu, lehnte mit einem Kopfschütteln deren Einladung ab, sich dazuzusetzen, und betrat das Haus durch die weit geöffnete, vier Meter hohe Flügeltür mit den zahllosen Sprossenfenstern.

Einige Minuten später saß sie wieder auf ihrer breiten Fensterbank, das dicke Buch auf den Knien. Als sie es öffnete, fiel ihr Lesezeichen zu Boden, ein Foto, das sie mit Justus zeigte, lachend auf einer karierten Picknickdecke. Sie lächelte, als sie an den Nachmittag dachte, als dieses Foto – übrigens mit Selbstauslöser – entstanden war. Es war ihre erste offizielle Verabredung gewesen. Justus hatte sie an der Hand genommen und zu diesem Platz am See im Schlosspark geführt. Sie hatten geflirtet und geschlemmt, und kurz nach dem Foto war ein Schwanenpärchen aufgetaucht und hatte sie fauchend und flügelschlagend vertrieben. Lachend waren sie geflüchtet und letztendlich, völlig außer Atem, auf einen Baum geklettert, um ihren Verfolgern zu entgehen. Dort hatten sie dann kichernd auf einem dicken Ast gehockt, während die Schwäne unter ihnen Position bezogen. Über eine Stunde hatte es gedauert, bis die riesigen Vögel aufgegeben und sich getrollt hatten.

Amelie sah auf den See hinaus und verfolgte die Bahnen des Drachenbootes eine Zeit lang, bevor sie sich seufzend den Sonetten zuwandte.

KAPITEL 5

Maren

Das unaufhörliche Klingeln des Telefons riss mich aus dem Schlaf. Ich fuhr hoch, verwirrt und schweißgebadet, mitten aus einem Alptraum, in dem ich schreiend von einem zusammenbrechenden Turm gestürzt war, mitten hinein in den aufgerissenen Schlund einer gigantischen Bestie. Ich schüttelte den Kopf, um ein wenig klarer zu werden, und griff nach dem Telefon, das bimmelnd und vibrierend über meinen Nachttisch wanderte.

»Ja ... Hier Behringer ...?«

Zu meiner Überraschung hörte ich die Stimme von Frau Bartels, sie klang total heiser.

»Frau Behringer? Guten Morgen. Ich komme gerade vom Arzt, und der schickt mich ins Bett, ich scheine eine Bronchitis zu haben.«

Ich war noch damit beschäftigt, in die Wirklichkeit zurückzufinden, und versuchte, das Gesagte zu verstehen. »Bronchitis? Aber gestern waren Sie doch noch völlig gesund ...«

Als Antwort hustete sie heftig und flüsterte: »Ich verstehe das ja auch nicht. Der Arzt hat mich für zwei Wochen krankgeschrieben ... Es ist nur so, ich wollte heute einkaufen fahren, der Kühlschrank ist leer. Darf ich Sie ausnahmsweise bitten, Frau Behringer?«

»Ja, natürlich«, sagte ich lahm. »Aber ... was muss denn eingekauft werden? Und wo? Ich weiß doch nicht, wo Sie immer ...«

Während ich mir selbst beim Stammeln zuhörte, wurde mir klar, das ich wie eine komplette Idiotin klang.

»Der Zettel liegt auf dem Küchentresen. Der Supermarkt ist nur die Straße rauf, da bekommen Sie alles ...« Sie brach ab und hustete laut. Dann fuhr sie heiser fort: »Vielleicht sollte ich wenigstens den Einkauf erledigen, bevor ich ...« Frau Bartels rang nach Luft.

Das hörte sich in der Tat nicht gut an.

»Unsinn. Sie legen sich ins Bett.« Ich lachte verlegen. »Ich werde doch wohl mit einem kleinen Einkauf klarkommen, das wäre ja gelacht. Muss ich noch an irgendetwas denken?«

»Gut, dass Sie fragen«, keuchte sie, »nehmen Sie bitte das Leergut mit. Das sind die beiden großen Taschen mit den Plastikflaschen in der Speisekammer. Sie bekommen dafür einen Bon, den geben Sie an der Kasse ab.« Ein erneuter Hustenanfall brachte sie zum Schweigen.

»Kein Problem, Frau Bartels. Und jetzt ab ins Bett, hören Sie? Gute Besserung, werden Sie bald wieder gesund.«

... damit Sie bald wieder selber einkaufen gehen können, vervollständigte ich den Satz in Gedanken und schämte mich sofort dafür. Meine Mutter hatte recht – ich war kein Stück besser als Brigitte, wenn ich so dachte. Aber mal ehrlich, wann hatte ich zuletzt selbst eingekauft? Im Supermarkt, und nicht in einer Boutique? Sicher, hin und wieder verschlug es mich in einen sündteuren Delikatessenladen, wo ich dann für Unmengen Geld exotische Delikatessen aussuchte, aus denen Frau Bartels ein betörendes Menü zauberte. Mal ein Hummer aus Maine, mal ein Stück Parmesan und handgemachte, schwarze Linguine mit Sepiatinte oder eine Sushiplatte für eine Summe, von der eine fünfköpfige Familie vermutlich mühelos den Wocheneinkauf bestreiten konnte – oder musste, je nachdem, aus welcher Perspektive man das sah. Ich war wirklich zu einer verwöhnten Luxuszicke mutiert.

Ich schlug die Bettdecke zurück und setzte mich auf. Erst einmal duschen, anziehen und einen Kaffee trinken, um mich für das »Abenteuer Supermarkt« zu stärken. Unglaublich, aber ich hatte seit Jahren keinen Einkaufswagen durch irgendwelche Gänge geschoben! Und vielleicht würde es mir helfen, diesen grauenvollen Traum zu vergessen, dieses Chaos aus Angst und Verderben, das mich in der letzten Nacht heimgesucht hatte.

Dabei hatte ich seit Tagen nicht mehr an diese blöden Karten gedacht. Als ich Harald davon erzählt hatte, war seine Reaktion keine große Überraschung gewesen: Er hatte sich mit dem Finger an die Stirn getippt und mich gefragt, ob ich noch ganz bei Trost sei, diesen Quatsch zu glauben. Gemeinsam hatten wir darüber gelacht und dann das Thema gewechselt, denn für unsere bevorstehende Karibikkreuzfahrt musste ich noch einiges einkaufen. Ein paar Koffer standen mittlerweile gepackt an der Haustür und warteten darauf, vom Veranstalter der Kreuzfahrt abgeholt zu werden. Nur noch wenige Tage, und wir würden auf dem Balkon unserer Luxuskabine sitzen, uns vom Butler umsorgen lassen und den karibischen Sonnenuntergang genießen.

Ein halbe Stunde später saß ich in Jeans und leichtem Pulli an meinem Küchentresen, nachdem ich der nagelneuen Designer-Kaffeemaschine einen Cappuccino abgetrotzt hatte. Dieses zischende, chromblitzende Ding mit all seinen Hebeln, Knöpfen und Druckanzeigen war mir nach wie vor nicht geheuer. Ständig rechnete ich damit, mich an heißem Wasserdampf zu verbrühen oder die Maschine in die Luft zu sprengen, weil ich einen falschen Knopf drückte.

Aber ich arbeitete verbissen daran, mir diese Höllenmaschine, die ein kleines Vermögen gekostet hatte, untertan zu machen. So konnte ich, wenn Besuch da war, wenigstens so tun, als würde ich irgendetwas im Haushalt selbst machen.

Die Tatsache, dass ich einen geradezu perfekten Cappuccino vor mir stehen hatte, wertete ich als gutes Omen. Ich studierte die Einkaufsliste. Obst, Gemüse, Getränke, außerdem diverse Grundnahrungsmittel wie Butter, Mehl und Eier standen darauf. Mir wurde klar, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie oft Frau Bartels diese Dinge einkaufte. Ihr stand ein Kleinwagen zur Verfügung, den sie jederzeit für Besorgungen benutzen konnte, und oft bekam ich nicht einmal mit, ob sie im Haus war oder unterwegs. Es war mir auch egal, solange meine Besorgungen immer erledigt waren. Frau Bartels hielt das Haus in Ordnung, besorgte die Post, kümmerte sich um die Reinigung unserer Kleidung, stellte das Essen auf den Tisch und instruierte den Garten- und Poolservice, der regelmäßig für Ordnung und einen akkurat gestutzten Rasen sorgte. Ihr stand ein Haushaltskonto mit einem bestimmten Budget zur Verfügung, und an jedem Monatsersten setzte sie sich mit Harald für eine Stunde an den Küchentisch und legte ihr penibel geführtes Haushaltsbuch samt durchnummerierter Quittungen und Belege vor.

Ich konnte mir den Tag ganz nach Belieben einteilen. Dreimal pro Woche besuchte ich einen exklusiven Fitnessclub, wo ich mir einen Personal Trainer für Yoga, Spinning und Aerobic leistete.

Seit die Kinder auf dem Internat waren, hatte ich auch jede Menge Zeit zur Verfügung, mich meinem Hobby, der Malerei, zu widmen. Ich hatte mir das Dachgeschoss unseres Hauses mit allem Schnickschnack als Atelier eingerichtet, wo ich meine großen Blumenbilder malte. Ich machte mir nichts vor – mein Enthusiasmus war deutlich größer als mein Talent. Daran gab es nichts zu beschönigen, aber ich mochte es, mit Farben zu arbeiten. Ich konnte diese Machwerke nicht einmal verschenken – wem hätte ich es zumuten können, so ein Ding in die Wohnung zu hängen? Jede halbwegs talentierte Fünfjährige hätte lebensechtere Rosen oder Mohnblumen auf die Leinwand gebracht. Aber es machte mir Spaß, an der Staffelei zu stehen und mich für ein paar Stunden wie eine Künstlerin zu fühlen. Wenn ein Bild fertig war, übermalte ich es mit weißer Grundierung und fing ein neues an.

Ansonsten ging ich shoppen oder zum Friseur, bummelte durch exklusive Möbelhäuser – ich langweilte mich keinen Augenblick. Besonders gern saß ich im Café, das konnte ich stundenlang. Ich wohnte noch nicht lange genug in dieser Stadt, um ein erklärtes Lieblingscafé zu haben – ich war noch in der Probierphase. Es gab aber schon zwei oder drei, die in der engeren Auswahl waren. Und wenn ich mich dann entschieden hätte, würde ich dort Stammgast werden, in Tageszeitungen blättern und Passanten beobachten.

Manchmal dachte ich darüber nach, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich Harald nicht kennengelernt hätte und nicht kurz nach unserer Heirat mit Amelie schwanger geworden wäre.

Er hatte in seiner Bank schon damals eine kleine Karriere hingelegt und sich nach Feierabend weitergebildet, um sich als Finanzberater selbstständig zu machen. Er hatte Biss, war zäh und kompetent. Amelie war gerade geboren, als seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Harald erbte zwar kein Vermögen, aber eine Summe, die ihm die Selbstständigkeit früher ermöglichte, als wir je zu hoffen gewagt hatten.

Dann ging alles ganz schnell.

Er baute sich rasch einen Kundenstamm auf, erarbeitete sich einen guten Ruf, der sich herumsprach, wir mieteten erst ein kleines Haus, dann ein größeres, konnten uns Dinge leisten, von denen wir nicht zu träumen gewagt hatten. Amelie war drei Jahre alt, als Frau Bartels bei uns anfing, zuerst stundenweise, dann konnten wir sie fest einstellen.

Mit unserem jetzigen Haus hatten wir uns vor ein paar Monaten einen Lebenstraum erfüllt. Dafür hatten wir die Beschaulichkeit des Münsterlands verlassen und waren ins Ruhrgebiet gezogen. Für Harald bedeutete es zwar mehr Aufwand, seine alten Kunden zu besuchen, aber dafür gewann er in unserem Umfeld neue dazu.

Und ich?

Ich hatte mich an den immer selbstverständlicher werdenden Luxus gewöhnt, ganz klar.

KAPITEL 6

Maren

Der Supermarktparkplatz war gut gefüllt, aber ich fand einen freien Parkplatz ganz in der Nähe des Eingangs. Ich holte die beiden riesigen, aber verblüffend leichten Taschen mit dem Leergut aus dem Kofferraum und stand dann vor den langen Reihen aneinandergeketteter Einkaufswagen. Erst hier fiel mir ein, dass ich einen Euro brauchte, um einen Wagen zu bekommen. In der hinteren Jeanstasche fand ich die passende Münze und steckte sie in den Schlitz am Handgriff. Ich musste ein paar Mal probieren, bis ich endlich den Trick heraushatte, den Wagen von der Kette zu lösen (warum gab es dafür eigentlich kein einheitliches System?), aber es gelang mir schließlich, bevor es vollends peinlich für mich werden und ich womöglich jemanden um Hilfe bitten musste.

Ich ging Richtung Eingang und blieb vor einem großen Schaukasten stehen, in dem die Angebote der Woche ausgehängt waren. Verblüfft stellte ich fest, dass momentan Kleinmöbel und Gartenzubehör zum Verkauf standen, und dass der geneigte Kunde sich in der folgenden Woche auf englische Lebensmittelspezialitäten und Bürobedarf freuen durfte. Wer, um Himmels willen, kaufte einen Sofatisch im Supermarkt? Und mit welcher Qualität durfte man beim angekündigten »original englischen« Cheddar wohl rechnen? Wenn ich Appetit auf Cheddar hatte, ging ich in den Feinkostladen – da konnte ich mich immerhin darauf verlassen, dass der Käse wirklich aus England kam.

Ich betrat den Laden durch die automatisch auseinandergleitenden Glastüren. Als Erstes wollte ich mich der Pfandflaschen in meinem Einkaufswagen entledigen. Suchend umkurvte ich lange Regale voller Waren, auf der vergeblichen Suche nach einem Schalter oder einer Stelle, wo ich das Leergut gegen den von Frau Bartels erwähnten Bon eintauschen könnte. Schließlich entschied ich mich, jemandem vom Personal um Hilfe zu bitten, und sprach eine Frau in blaurot gemustertem Kittel an, die gerade ein Regal einräumte.

»Entschuldigen Sie bitte? Ich brauche Hilfe.«

Die Frau drehte sich um und lächelte freundlich. Sie war ungefähr in meinem Alter, pummelig und ungeschminkt, mit blondierten Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. »Ja, bitte?«

Ich entdeckte am Kittel der Frau ein Namensschild, das sie als Roswitha Döring auswies. »Frau ... Döring, richtig?« Die Frau nickte. »Mein Name ist Behringer. Ich suche jemanden, der mir mein Leergut abnimmt. Könnten Sie vielleicht ...?«

Sie zog erstaunt die Augenbrauen hoch und musterte mich, als wäre sie sich nicht sicher, ob ich sie mit dieser Frage nicht vielleicht foppen wollte. Dann entschied sie wohl, dass meine Frage ernst gemeint war, und sagte: »Dafür haben wir einen Automaten, dort kann man die Flaschen ...« Ihr Blick ging über meine Schulter. Sie winkte jemandem hinter mir zu und rief: »Stef, Schatz, hast du noch ein paar Minuten? Komm doch mal eben, und hilf der Dame mit dem Leergut, ja?«

Ich drehte mich nach »Stef, Schatz« um und sah einen jungen Mann auf mich zukommen.

»Das ist mein Sohn Steffen. Der zeigt Ihnen alles«, sagte Roswitha Döring.

»Aber das ist doch nicht nötig«, murmelte ich verlegen. Irgendwie war mir die Sache plötzlich peinlich. »Vielleicht erklären Sie mir einfach nur schnell, wo ...« Oder ich gab die blöden Flaschen halt nicht zurück, das würde wohl kein Drama sein. Es war ja schließlich nicht so, als brauchte ich den Flaschenpfand als Budget für meinen Einkauf! Ich konnte das Plastikzeug genauso gut im Kofferraum lassen, und Frau Bartels würde sie dann halt einfach beim nächsten Mal

Aber Steffen Döring hatte sich schon meinen Einkaufswagen geschnappt und war in Richtung Ausgang unterwegs. Was sollte das denn jetzt? »Wo will er denn hin?«, fragte ich unsicher.

»Nach draußen, dort ist ein Extra-Eingang für die Leergut-Annahme. Gehen Sie mit, Steffen zeigt Ihnen alles.« Als sie meine Verlegenheit sah, fügte Roswitha Döring hinzu: »Ist ganz neu, das mit den Automaten. Danach fragen mich viele Kunden.« Sie lächelte aufmunternd. »Kein Problem, Steffen hilft Ihnen gern.«

Ich bedankte mich und dackelte peinlich berührt dem jungen Mann hinterher, der vor dem Eingang auf mich wartete.

Er führte mich zu den beiden Leergutautomaten, von denen gerade einer frei wurde. Er zog eine Flasche aus einer der Taschen, grinste und sagte: »Haben Sie ein bisschen Zeit mitgebracht? Das könnte dauern, bei der Menge ...«