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Beschreibung

Die Märchen dieses Buches spielen in einem kleinen Dorf mit großer Bibliothek. Der Bibliothekar, Heiner ist der Held dieser Märchen. Er löst Probleme oder gestellte Aufgaben nicht mit dem Schwert, sondern mit Köpfchen. Heiner hat in jeden der Märchen eine Rolle, mal ist er der Held, mal nur Berater. Andere Figuren tauchen auch mehrmals in verschiedenen Märchen auf. Trotzdem ist jedes der Märchen eine abgeschlossene Erzählung. Die Märchen sind für Selbstleser jeden Alters gedacht.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ines Franke

Die goldenen Federn

9 spannende Märchen vom Bibliothekar Heiner

Märchen sind seit Menschengedenken unvergänglicher Begleiter in allen Kulturen.Die Märchenwelt mit ihren magischen Landschaften, geheimnisvollen Wesen und spannenden Heldengeschichten fasziniert seit jeher Kinder und Erwachsene im gleichen Maße.  

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Ines Franke

Die

goldenen

Federn

Ein spannendes Märchenbuch

für Jung und Junggebliebene.

Vorwort

Märchen sind seit Menschengedenken unvergänglicher Begleiter in allen Kulturen.

Die Märchenwelt mit ihren magischen Landschaften, geheimnisvollen Wesen und spannenden Heldengeschichten fasziniert seit jeher Kinder und Erwachsene im gleichen Maße.

Deshalb kommt mit in eine längst vergangene Zeit, als in den Wäldern noch Hexen lebten, Zwerge und Zauberer ihr Unwesen trieben und als Drachen noch ihr Feuer in den Himmel spuckten.

Zu dieser Zeit lebte in einer kleinen Ortschaft der Bauer Liekusen mit seiner Frau und seinem Sohn Heiner.

Das kleine Gehöft der Liekusens, mit seinem saftigen Beerensträuchern, Obstbäumen, frischen Gemüse, der dicken Milchkuh Elvira und allem was noch zu einem richtigen Bauernhof gehört, ist der ganze Stolz des Bauern. Während Herr Liekusen und seine Frau jede Minute auf dem heimischen Hof verbringen, träumt Heiner lieber auf dem Heuboden und verschlingt ein Buch nach dem anderen. Manchmal schleicht er auch heimlich durchs Tor zu seinem Lieblingsort, der Bibliothek.

„Ich weiß nicht was mit dem Jungen nicht stimmt!“, schimpft der Bauer Liekusen.

„Die Schweine sind nicht ausgemistet, der Zaun ist kaputt, die Beeren sind überreif und unser Sohn sitzt seit Stunden im Stall und liest der dicken Elvira aus einem Buch vor.“

„Er ist halt anders, besänftigt die Bäuerin ihren Mann, unser Heiner ist ein Bücherwurm.“

Aber der Bauer schimpft weiter: „Ständig rennt er in die Bibliothek, vielleicht sollte ich es ihm verbieten.“

Die Bäuerin lächelt und zieht ihren Mann die Mütze ins Gesicht. „Das bringt doch nichts, er hat keine Freude an der Arbeit hier. Nicht jeder liebt ein Leben zwischen Mistgabel und Melkschemel. Du solltest es nicht erzwingen.

Er ist sehr schlau, weißt du das? Ich glaube die vielen Bücher werden sich eines Tages als nützlich für uns alle erweisen.“

Impressum

Texte: © Copyright by Ines Franke

Umschlaggestaltung: © Copyright by Ines Franke

Illustrationen: © by Copyright Ines Franke

Erscheinungsjahr: 2023

Verlag: Ines Franke

Köthener Str. 15a

06188 Landsberg

Druck:

Inhaltsverzeichnis

Die goldenen Federn

Die drei goldenen Schuppen Seite 4

Der Vollgrimm Seite 18

Die mutige Luisa Seite 26

Drachentöten ist nicht schwer Seite 34

Die Kristallprinzessin Seite 40

Die schreckliche Lassa Seite 48

Das verführerische Buch Seite 56

Urmas Suche Seite 64

Fünf Federn Seite 72

𝔇ie drei Goldenen Schuppen

"Heiner, Heiner, wo steckt der Taugenichts schon wieder?", der alte Bauer Liekusen fuchtelt mit der Mistgabel und flucht. "Heiner, hast du die Enten gefüttert?"

Heiner verdreht die Augen, er sitzt mit dem Tagesanzeiger auf dem Donnerbalken und liest.

"Heiner, jetzt reicht es mir, komm endlich und miste die Schweine aus, du Nichtsnutz", brüllt Heiners Vater, Herr Liekusen.

Heiner schiebt widerstrebend die knarrende Holztür auf, im Rausgehen liest er einen Artikel. 'Bekanntmachung' steht da in dicken Lettern, 'Der König wird sich morgen nach Sonnenaufgang auf dem Schlossplatz mit einem Auftrag an das Volk wenden.

Alle Männer zwischen 18 und 80 sind aufgerufen, sich einzufinden und der geforderten Aufgabe zu stellen.'

"Heiner, mir platzt gleich der Kragen", schreit der Vater.

Heiner schleicht hinter der Scheune entlang und schlüpft ungesehen in den Schweinestall.

Die Schaufel bewegt sich rasch durch den Mist, die Schweine reiben grunzend ihre Borsten an Heiners Stiefeln.

Er denkt über des Königs Anliegen nach. 'Was wird es wohl sein?'

Heiner hat sich die ganze Nacht im Bett gewälzt, die Neugier auf den Auftrag ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Weit bevor sich die Sonne am Horizont zeigt, steht er auf dem Schlossplatz.

Hunderte Männer unterschiedlichen Alters und aus allen Schichten des Volkes warten bereits ungeduldig auf des Königs Anliegen. Pünktlich mit dem ersten Sonnenstrahl erscheint der König auf dem goldenen Balkon. Obwohl tausende Männer angereist sind, ist es auf dem Platz mucksmäuschenstill. Der König begrüßt seine Untertanen und beginnt unverzüglich sein Anliegen vorzutragen: "Derjenige unter euch, welcher in der Lage ist, mir in elf Tagen und elf Stunden, drei goldene Schuppen vom Funkelfisch zu bringen, dem sei sein größter Herzenswunsch erfüllt."

Sofort rennen die Männer los, die Ritter zu ihren Pferden, die Rocker zu ihren Harleys, die Ökos sausen mit Rädern und Elektrorollern davon, ein Tierpfleger galoppiert sogar mit einem gestohlenen Kamel in Richtung Weltenmeer. Jeder gesunde Mann macht sich umgehend auf den Weg, um den sagenumwobenen Funkelfisch zu finden. Mit allem, was sich bewegt, geht es in Richtung Meer. Als sich die riesige Staubwolke auf dem Schlossplatz gelegt hat, steht dort nur noch ein einzelner Mann.

Es ist Heiner.

Heiner überlegt: 'Herzenswunsch? Was könnte ich mir denn wünschen?’ Während er noch nachdenkt, hält er sich zum Schutz vor dem Sonnenlicht die Hand über die Augen und schaut verträumt den winzigen Wölkchen nach. Dann spaziert er gemütlich in Richtung Stadt.

Das ehrwürdige Gebäude mit der schweren, verzierten Flügeltür liegt fast am Ende der Hauptstraße. Frau Bibol sitzt wie jeden Wochentag neben einem steinernen Jüngling auf den breiten Marmorstufen, die zum Eingang führen.

"Hallo Heiner." Frau Bibol hievt sich ächzend auf. "Hallo." Der schweigsame Heiner und Frau Bibol gehen in das Gebäude, in dem tausende Bücher und Medien in mehrgeschossigen Regalreihen auf Kundschaft warten. Die bunte Verglasung und die gewölbte Decke erinnern an eine historische Klosterbibliothek. Bei jedem Besuch ist Heiner von großer Ehrfurcht ergriffen.

Die Bibliothek ist Heiners Lieblingsort.

"Was suchst du denn heute, Heiner?" Frau Bibol ist hinter ihrer Theke verschwunden und schielt über den Rand ihrer Nickelbrille.

In 2 Sätzen schildert Heiner der Leiterin der Bibliothek sein Anliegen und 5 Minuten später sitzt er hinter zwei Stapeln dicker Bücher. Der erste Stapel brachte keinerlei Erkenntnisse, der zweite Stapel allerdings offenbarte ihm, was er suchte. 'Mythische Wesen' steht in Gold auf dem ledernen Einband. Trolle, Drachen, Orks und Mischwesen, die aus 2 oder gar 3 Tieren zusammengesetzt waren, fand er in dem Buch und einen Absatz über den geheimnisvollen Funkelfisch nebst einem Querverweis zu einer Mediendatei. Nach einer Stunde Recherche ging Heiner pfeifend zurück auf den elterlichen Bauernhof.

Auf dem Weg zum Weltenmeer dachte jeder der Schatzsucher über seinen Herzenswunsch nach. 'Gold, dass es bis an mein seliges Ende reicht.' Das war der Wunsch eines Bäckergesellen.

'Eine Herde rassige Pferde', wünschte sich der Rittmeister der Kavallerie.

'Einen Hyazinth-Ara', 'einen eigenen Turm', 'eine Fahrt mit einem Ballon', das und eine Vielzahl anderer Wünsche keimten in den Köpfen der Männer, welche sich auf die Suche nach dem Funkelfisch begaben.

Alle Boote sind in See gestochen, beinahe alle Bäume in Ufernähe wurden gefällt und zu einer Art Floß zusammen gewerkelt. Surfbretter, Luftmatratzen und sogar Strohballen sind in See gestochen. Viele Männer treiben auf umfunktionierten Gegenständen im Wasser. Ein junger Mann sitzt in einer Badewanne und paddelt mit einem Teller, ein anderer Mann steht mit einem Fischernetz bewaffnet in einer verbeulten Regentonne, die bedenklich auf den Wellen tanzt. Ein dicker Glatzkopf treibt auf einer rotlackierten Holztür aufs offene Weltenmeer hinaus und um den letzten verbliebenen Rettungsring prügeln sich 4 kräftige Kerle. Jeder dieser Männer hofft oder ist sogar überzeugt, er wäre derjenige, welcher den goldenen Funkelfisch finden und ihm die 3 Schuppen stibitzen kann.

"Der Junge ist nicht ganz in Ordnung." Bauer Liekusen reicht seiner Frau einen Korb Kirschen vom Baum. "Irgendwas ist da schief gegangen, seit gestern Mittag pfeift er ununterbrochen." Heiners Mutter zuckt mit den Schultern und geht wortlos mit den Kirschen in die Waschküche.

Heiner sitzt derweil pfeifend auf dem wackligen Melkschemel. Kräftig zieht er an den Zitzen der dicken Elvira. Elvira ist ein Braunvieh und liefert täglich 20 Liter Milch, obwohl sie schon das vierte Jahr als Milchkuh im Stall steht. "So meine Liebe", Heiner schlägt mit der flachen Hand sanft auf Elviras mächtiges Hinterteil, "in den nächsten Tagen kümmert sich wohl der Alte um dich, ich habe nämlich etwas Wichtiges zu erledigen."

Heiner gießt die Milch durch ein Sieb in die Milchkannen und geht anschließend pfeifend über den Hof zu Tornado. Tornado ist ein schwarzer Hengst.

Naja, eigentlich ist er auf Grund seines fortgeschritten Alters bereits ein ergrauter Klepper. Er ist das einzige Pferd der Familie und eher ein laues Lüftchen als ein Tornado.

"Hallo mein Alter." Heiner begrüßt den alten Gaul mit einem Apfel. "Es wird nochmal ernst, wir beide haben etwas zu erledigen."

Tornado nickt ahnungslos. Eine Stunde später schleichen sich Heiner und Tornado vom Hof.

Die letzten Sonnenstrahlen krauchen über die hinter ihnen liegende Bergkuppe. "Weißt du, soweit war ich noch nie von zu Hause weg!"

Tornado nickt, als hätte er die Worte verstanden. Heiner zögert kurz, geht dann aber ohne sich umzuschauen entschlossen weiter.

Obwohl Heiners Vater weiß, dass es zwecklos ist, ruft er immer und immer wieder nach seinem Sohn.

"Er ist wegen deiner ständigen Meckerei fort gegangen." Heiners Mutter sieht ihren Mann vorwurfsvoll an. Mit hängendem Kopf geht der alte Bauer Liekusen zu Elvira. "Da wollen wir mal meine Dicke, du musst wohl jetzt mit mir vorliebnehmen." Mit tränennassen Augen ruckt sich der Bauer den Melkschemel zurecht.

Seit zwei Tagen laufen Heiner und Tornado nun schon. Sanfte grüne Hügel mit saftigen Weiden und dichte schwarzgrüne Wälder wechseln sich ab. Manchmal läuft Heiner neben Tornado her und erzählt ihm glühend Geschichten von Abenteurern, wie Odysseus oder Sindbad. Meist aber pfeift er unentwegt die gleiche Melodie.

"Hier werden wir rasten."

Heiner hat ein schattiges Plätzchen an einer klaren Quelle ausgewählt.

"Morgen früh müssen wir pünktlich 7:00 Uhr am grünen See sein." Tornado nickt.

Noch vor dem Morgengrauen machen sich Heiner und Tornado wieder auf den Weg.

7:00 Uhr, genau zur rechten Zeit erreichen sie den grünen See.

"Fährmann, hol über", ruft Heiner laut auf den See hinaus.

Wie aus dem Nichts taucht das Fährboot am Ufer auf.

Am Ruder sitzt ein kleiner hässlicher Kobold. "Du hast nach mir geschickt?", krächzt der Kobold, "sag schnell, was ist dein Begehr?"

"Ich möchte ans andere Ufer."

"So, so, und wie willst du mich entlohnen?"

"Ich habe 3 Taler", antwortet Heiner mit fester Stimme.

"Pah", lacht der Kobold, "3 Taler? Das ist lächerlich."

"Was verlangst du?“ fragt Heiner.

Der Kobold tut, als müsste er darüber nachdenken, dann sagte er: "Gut, spielen wir Schach." "Wenn du gewinnst, bringe ich dich zum anderen Ufer, verlierst du aber, gehört dein Pferd mir."

"Abgemacht."

Auf dem feinen Kieselstrand am Seeufer steht plötzlich ein riesiges Schachbrett, König und Dame wurden durch zwei grässliche Kobolde ersetzt, die übrigen Figuren sind eher klassisch. Nach gut 10 Minuten ist bereits die Hälfte der Figuren verschwunden, so wie sie zu Beginn des Spiels aufgetaucht sind.

"Schach", frohlockt Heiner. "Schach", jubelt der Kobold, während er aufgeregt um das ganze Brett tanzt.

"Schach matt“, flüstert Heiner. Der Kobold kann keinen Zug mehr machen, um seinen König aus der misslichen Lage zu befreien.

Er flucht mit hochrotem Gesicht und stampft mit den Füßen auf den Boden. Dann bringt er Heiner und Tornado wortlos auf die gegenüberliegende Insel.

Die beiden rennen einmal quer über die Insel an das andere Ufer.

Punkt 9:00 Uhr ruft Heiner über das grasgrüne Wasser: "Fährmann hol über", und wie an der anderen Anlegestelle taucht auch hier das Fährboot aus dem Nichts auf. "Du hast nach mir geschickt? Sag schnell, was ist dein Begehr?"

Der Kobold am Ruder ist noch hässlicher und boshafter als der zuvor.

"Ich möchte ans andere Ufer."

Der Kobold springt an Land. "Für eine Überfahrt musst du ein Rätsel lösen."

Noch bevor Heiner antworten kann, hebt der Kobold seinen knochigen Finger: "Bedenke, du hast für die Aufgabe 10 Minuten Zeit, verlierst du, muss dein Gaul bis an sein Ende für mich schuften. Wenn du es jedoch schaffst", der Kobold lacht hinterlistig, "dann bringe ich euch hinüber". Heiner überlegt nicht lange, auch aus Mangel an Alternativen willigt er ein.

Der Kobold stellt 2 Behälter vor Heiners Füße.

Einer der Behälter fasst fünf, der andere drei Liter.

"Bring mir in 10 Minuten genau vier Liter Wasser zum Boot."

Der Kobold hüpft jubelnd am Ufer auf und ab, dabei streckt er siegessicher seine dürren Finger in die Höhe. Heiner füllt nacheinander beide Gefäße mit Wasser, gießt sie wieder aus, füllt sie erneut und lehrt sie anschließend wieder.

"Naaa", der Kobold kichert und tanzt und sein zotteliger roter Bart flattert dabei im Wind.

Heiner schaut ängstlich zu seinem Pferd.

Tornado scharrt mit dem Huf und tippt an den 5 Liter Behälter.

Heiner füllt ihn.

Tornado tippt an den 3 Liter Behälter.

Heiner gießt das Wasser in dieses Gefäß.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Heiner gießt die 3 Liter wieder aus. Die restlichen 2 Liter aus der 5 Liter Kanne gießt er nun in das 3 Liter Gefäß. Das Rätsel ist gelöst, er macht den großen Behälter nochmals voll, gießt einen Liter in das 3 Liter Gefäß und rennt mit den übriggebliebenen 4 Litern Wasser zum Boot.

Der Kobold tobt und flucht. Sein Kopf scheint jeden Moment zu explodieren, so feuerrot leuchtet er.

Vor Wut schnaubend bringt er Heiner und Tornado auf die nächste Insel.

"Hat es geläutet?"

Zum 9. Mal fragt der König seinen Butler. Wortlos geht der Butler nach draußen, um nachzuschauen. "Nein, es steht niemand vor dem Tor, eure Majestät."

Nervös läuft der König durch seine Gemächer. Überall in den Räumlichkeiten hängen skurrile, seltene Dinge, sind Vitrinen mit kostbaren Einzelstücken und in den Ecken stehen seltene ausgestopfte Wesen.

Der König hat kein Auge mehr für seine Sammlung von Raritäten. Hat er einen gewünschten Gegenstand in seinen Besitz gebracht, ist er anschließend für ihn belanglos. Nun will er aber endlich die goldenen Schuppen haben. In einer seiner Glasvitrinen hat er bereits einen schönen Platz dafür geschaffen, zwischen dem Stück eines Dracheneis und dem Hufeisen eines Satyrs. Zum 10. Mal an diesem Tag ruft der König: "Hat es geläutet?"

Heiner und Tornado gehen gemächlich über die saftig grüne Wiese der Insel. Die Insel hat denselben kräftigen Farbton wie der See, in dem sie liegt. "Wir können uns Zeit nehmen." Heiner teilt sich die letzte Karotte mit seinem Pferd. "Wir müssen genau 11:00 Uhr am anderen Ufer sein, das habe ich mal in dem Buch 'Die Sage vom Grünen See' gelesen." Tornado kaut geräuschvoll die Karotte und Heiner pfeift den Rest des Weges wieder die vertraute Melodie.

Als sie sich dem Ufer nähern, hat das Fährboot bereits angelegt. Ein alter, schauriger Kobold mit zwei großen Warzen im Gesicht scheint bereits auf sie zu warten. "Naa, ihr wollt wohl ans andere Ufer?", krakeelt er schon von weitem.

"So ist es!" Heiner antwortet mit fester Stimme, auch wenn ihm beim Anblick dieser widerlichen Gestalt das Herz in die Hose gerutscht ist.

"Nun gut, so soll es sein. Aber zuvor ein Rätsel", feixt der Kobold. Heiner willigt ein.

"Wenn du verlierst, werde ich deinen Gaul fressen."

"Aber wenn ich gewinne", sagt Heiner etwas unsicher, "bringst du uns zur anderen Seite!"

"Ja natürlich, aber das wird nicht passieren", jubilierte der Widerling.

"Du siehst hier mein quadratisches Maisfeld", der Kobold deutet mit dem Finger neben Heiner und aus dem Nichts schieben sich prächtige Maispflanzen aus dem Boden.

An jeder Ecke des Quadrates schob sich gleichzeitig ein großer Baum mit feuerroten Blättern aus der Erde, "du musst die Fläche meines Feldes verdoppeln."

"Ja gut", so schwer kann es ja nicht sein, denkt Heiner.

Der Kobold spottet laut: "Aber seine quadratische Form muss das Feld behalten und es darf kein Baum gefällt oder verpflanzt werden. In 20 Minuten hast du das neue Feld abgesteckt, sonst lass ich mir das Pferdchen schmecken." Bei diesen Worten läuft dem Kobold der Speichel aus dem Mund.

Angewidert dreht sich Heiner in Richtung Maisfeld. Vor ihm liegen plötzlich eine Rolle Strick, ein paar Pflöcke und eine Messlatte. Der hässliche Kobold schlürft zurück zum Boot.

5 Minuten sind vergangen und Heiner ist der Lösung keinen Schritt nähergekommen.

Kleine Schweißtröpfchen dekorieren seine Stirn, während er zum dritten Mal um das Maisfeld rennt. 'So werde ich das Rätsel nicht lösen.' Heiner ist besorgt. 'Ich brauche eine andere Strategie.'

In den feinen Kies am Feldrand zeichnet er ein Quadrat □ und ein zweites □ und ein drittes □. Nichts, er kann das Rätsel nicht lösen.

Heiner hört das Schnarchen des Kobolds bis zum Feld. In seinen Gedanken sieht er ihn schon schmatzend an den Knochen seines Pferdes nagen.

Die Zeit drängt.

Heiner läuft panisch um seine Zeichnung. Er zeichnet noch ein viertes Quadrat □. Läuft wieder um die Zeichnung. "Hah", ruft er erleichtert. "Ich habe es“, und mit den Hilfsmitteln bewaffnet, rennt er um das Feld, rammt die Pflöcke an den neuen Positionen in die Erde und spannt den Strick. Das Quadrat steht nun optisch auf einer Spitze ◇ und die rot belaubten Bäume stehen nicht mehr an den Ecken, sondern mittig an den Rändern des Feldes.

Heiner hastet zum Boot.

"Fertig", brüllt er.

Der widerliche Kobold springt in einem Satz auf seine dicken Füße und rennt nun vor Wut schnaubend zu dem neu markierten Feld.

Nachdem er 10 Minuten um sein Feld getobt ist, bringt er Heiner und sein Pferd schließlich zum gegenüberliegenden Ufer.

"Wir haben es geschafft." Kaum hat Heiner diese Worte ausgesprochen, schläft er auf dem Rücken seines treuen Pferdes ein.

"Die dicke Elvira hat gerade noch 6 Liter Milch gegeben." Bauer Liekusen deutet auf eine Milchkanne. Die Bäuerin schaut auf die Kanne, dann sieht sie ihren Mann an. "Vielleicht solltest du ihr etwas vorlesen? Das hat Heiner immer getan." Die Bäuerin schluckt und kämpft gegen die aufsteigenden Tränen.

Der alte Bauer schaut seine Frau nachsichtig an: "Ihr etwas vorlesen? Ja, okay, ich mach auch gleich noch einen Termin im Kosmetiksalon für sie fest." Frau Liekusen schaut ihren Mann irritiert an, dann prustet sie los. Beide lachen so herzlich, dass sie sich ihre Bäuche halten müssen.

Frau Bibol stöhnt, sie schaut zum Hochregal, dann wieder zu der schweren Kiste Neuankömmlinge. Einige der neuen Bücher müssten in die obersten Regalreihen sortiert werden. 'Wenn nur der Heiner mal wiederkäme.' Frau Bibol richtet sich ächzend auf. 'Ich bin zu alt für dieses Amt.' Es muss sehr bald ein Nachfolger her, aber wer wäre geeignet. Fachkräftemangel überall. Es gibt schon einige Interessenten, aber nach Frau Bibols Einschätzung sind diese eher Hinterwäldler und Kulturbanausen, die glauben, sie könnten zwischen den langen Regalreihen eine ruhige Kugel schieben. Frau Bibol hält sie für gänzlich ungeeignet. Einzig der stille Heiner, ein Bücherwurm, ist gesegnet mit Verstand und Scharfsinn. Ein Nerd. Sie hatte gehofft, er würde ihre Nachfolge antreten, doch seit Tagen hat sie ihn nicht mehr gesehen.

Der Wald wird dichter und grüner. Die Baumstämme sind mit dickem Moos bewachsen. Mannshohe Farne ragen auf den schmalen Pfad und Nebelschwaden krauchen dicht über dem Boden. Heiner schlängelt sich vor Tornado durch das üppige grüne Labyrinth. Der alte Gaul kommt nur noch mit einer halben Pferdestärke voran.

Heiner bangt um seinen eng gesteckten Zeitplan. 'Wenn Tornado noch langsamer wird, ist die Aufgabe nicht zu schaffen.' "Wir rasten hier." Heiner lässt sich auf einem bemoosten Findling nieder.

Auf der winzigen Lichtung schafft es die Sonne bis zum Boden und trocknet sein vom Nebel durchnässtes Gewand. Heiner pfeift wieder die bekannte Melodie, er wird auf keinen Fall aufgeben, nicht so kurz vor dem Ziel.

Plötzlich! Was war das?

Heiner lauscht in dem Wald, in dem es von jedem Baum zwitschert.

'Da', Heiner verharrt, 'da ist es wieder.' Es ist dieselbe Melodie, die Heiner seit Tagen pfeift. Das Pfeifen ist sehr leise, es kommt aus einiger Entfernung. Aufgeregt hüpft er von dem Stein "Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft", er umarmt vor Freude sein Pferd.

In der Heimat sind derweil die ersten Enttäuschten Schatzsucher zurückgekehrt. Mancher jammert um die verlorene Zeit, andere sind froh, das Abenteuer überlebt zu haben. "Ich glaube nicht, dass der blöde Fisch überhaupt existiert", knurrt Leopold, der Sohn des Schreiners. Frau Bibol, die wie jeden Tag auf der Steintreppe zur Bibliothek sitzt, antwortet: "Möglich, vielleicht hast du aber an der falschen Stelle gesucht", antwortet die Bibliothekarin.

"Pffft!" Leopold geht zornig weiter und grummelt: "Was weiß die Alte denn schon?"

Feuchte Äste peitschen Heiner ins Gesicht. Der grüne Dschungel ist beinahe undurchdringlich und kostet vor allem Tornado einiges an Kraft. "Das Pfeifen kommt näher." Heiner lauscht in das grüne Dickicht.

Unbeirrbar kämpft er sich weiter voran, als sich völlig überraschend der Wald verändert. Riesige Bäume mit ausladenden Blattkronen überspannen saftige Blumenwiesen. Schmetterlinge so groß wie Kürbisse flattern in allen Farben über den Blumenteppich. Die Luft ist voll von Vogelgezwitscher.

'Was für eine wundersame Welt?' Heiner steht mit offenem Mund inmitten dieser bezaubernden Landschaft. Er kann sich nicht sattsehen an der Vielzahl bunter Blüten und seltsamer Tiere.

Heiner beginnt zu pfeifen. Es ist dieselbe Melodie, die er seit Tagen auf den Lippen hat, dieselbe Melodie wie auf der Mediendatei der Bibliothek.

Kaum hat er begonnen, erhebt sich in den Bäumen ein mächtiges Rauschen.

"Du hast mich gerufen?" Ein prächtiger goldener Vogel hat sich auf einem Ast unweit von Heiner niedergelassen: "Was willst du Fremder?"

Heiner bestaunt den Vogel, dessen Gefieder golden schillert und dessen gleichmäßig angeordnete Federn wirken wie die Schuppen eines Fisches. "Ich habe von eurer Pracht gelesen und wollte eure Schönheit mit meinen eigenen Augen bewundern."

"Und?" Der Vogel fühlt sich offenbar durch Heiners Worte geschmeichelt.

"Ihr seid in der Tat noch viel prunkvoller, als ich es mir vorgestellt habe."

Der Vogel plusterte sich auf und stolzierte auf dem Ast umher.

"Ich habe den König kürzlich von eurer Einzigartigkeit berichtet, aber er hat mich nur ausgelacht und behauptet, solch wunderschöne Wesen gibt es nur im Märchen."

Heiner schmeichelt weiter. "Er hat ja beinahe Recht, wenn ich euer prachtvolles Federkleid nicht mit meinen eigenen Augen sehen würde, ich würde es auch nicht glauben."

Der goldene Vogel streckt seine Brust nach vorn, so dass er beinahe vom Ast kippt.

"Schade, ich würde dem König gern von eurem Zauber und eurer Herrlichkeit berichten, nur befürchte ich, dass es keine Worte gibt, eure Schönheit zu beschreiben."

Heiner hofiert den Vogel so gut er kann.

Der goldene Vogel badet sich in Heiners Lobeshymnen. Er ist sehr eitel und möchte von der ganzen Welt bewundert werden.

"Ich würde dir gern helfen, den König von meiner Existenz zu überzeugen, ich könnte dir ein paar Federn von meinem herrlichen Gefieder geben. Was meinst du? Würde das den König überzeugen?"

Heiner tut, als würde er darüber nachdenken. "Ich denke, dass es eurer gesamten Pracht nicht nahekommt, aber vielleicht sind 3 Federn ein ausreichender Beweis für eure wunderbare Existenz."

Die 3 schillernden Federn gleiten sanft zu Boden.

"Hier, geh zu deinem habsüchtigen König, du bist clever, Heiner", der Vogel spricht nun sehr ernst. "Nur deshalb habe ich dir die drei Federn gegeben. Nimm auch diese drei Nüsse, du brauchst sie für den Fährmann." Mit diesen Worten fliegt der Vogel geräuschlos davon.

Heiner nimmt Nüsse und Federn an sich.

"Wir müssen zurück." Tornado nickt zustimmend.

Schnell erreichen sie den dichten Wald mit seinen Moosen und riesigen Farnen. 'Es darf nichts dazwischenkommen, 11 Tage und 11 Stunden.' "Tornado, mein Getreuer, wir können uns keine Pausen mehr erlauben. Sonst war das alles hier umsonst."

"Fährmann hol über", ruft Heiner am Ufer der grünen See. Der hässliche Kobold mit den Warzen erscheint sogleich mit seinem Boot, "Naaa, wollt ihr hinüber?" Seine krächzige Stimme jagt Heiner Schauer über den Rücken.

"Ja", antwortet Heiner zaghaft. "Wie willst du mich denn entlohnen?" Der boshafte kleine Wicht hüpft von seinem Kahn und nähert sich den beiden Abenteurern.

"Wie wäre es damit?" Heiner kramt eine der Nüsse aus seinem Beutel und hält sie den Kobold vor seine fiese Fratze.

Aber anstelle der Nuss liegt ein glänzender Smaragd in Heiners Hand.

Des Kobolds Augen funkeln vor Habgier. Rasch und ohne Gezeter bringt er Heiner und Tornado auf die gegenüberliegende Insel.

Für die nächste Überfahrt wurde aus einer der Nüsse ein Saphir und der letzte der Kobolde wurde mit einem funkelnden Rubin entlohnt und brachte Heiner und Tornado ohne Murren zum gegenüberliegenden Ufer.

"Hallo Elvira", Herr Liekusen setzt sich auf einen Strohballen und schlägt den Tagesanzeiger auf: "Aus welcher Rubrik soll ich dir heute vorlesen? Lokales? Also gut, ohh, das scheint ein interessanter Artikel zu sein! Der königlichen Justiz ist ein Schlag gegen eine länger bekannte Fälscherbande gelungen. In den gestrigen Abendstunden wurden 2 junge Männer wegen Fälschung von Kuriositäten von den königlichen Gendarmen festgenommen. Gewöhnliche Fischschuppen zu frisieren, um ihnen ein goldenes Aussehen zu verleihen, war ihr neuester und vorerst auch letzter Coup. Noch vor Ort wurde ihnen der Prozess gemacht. Aufgrund ihres umfangreichen Geständnisses wurde das Strafmaß auf 5 Jahre im Verlies festgesetzt.“ Liekusen dachte kurz nach. „Weißt du meine Dicke", der Bauer tätschelt das mächtige Hinterteil der Kuh, "ich denke die Welt ist verrückt, wofür sollen Schuppen gut sein? Ich habe da keine Erklärung für dich."

Der Bauer rückt sich den Melkschemel zurecht. Elvira gibt ein langgezogenes 'Muhhh' von sich, als der Bauer kräftig nach ihren Zitzen greift. „Ich vermisse Heiner auch.“

Heiner und Tornado sind wieder auf den saftigen Weiden nahe ihrer Heimat angekommen. Tag 10, die Zeit drängt, immer schlechter kommt der alte Gaul voran. Besonders die kleinen Erhebungen der hügeligen Landschaft bereiten ihm Probleme.

"Vielleicht schaffen wir es doch nicht, mein Alter." Heiner zuckt mit den Schultern. "Dann war es halt nur ein großes Abenteuer und wir haben ja immerhin noch die Federn."

Heiner holt die Federn aus seiner Tasche und hält sie gegen das Sonnenlicht. "Schau dir das an, Tornado." Noch nie zuvor hatte Heiner etwas Schöneres gesehen. "Irgendwer wird uns sicher ein paar Taler dafür geben."

"Auf dem Schlossplatz stehen zwar einige Menschen, aber es scheint mir, niemand von denen hat die Schuppen gefunden, eure Majestät." Der Butler schließt die Balkontür und macht sich bereit für den kommenden Wutausbruch. Wüste Beschimpfungen und Erniedrigungen prasseln auf den Butler nieder. Mit hochrotem Gesicht schreit der König: "Alles Taugenichtse und Schmarotzer, dieses faule, wertlose Pack, verrotten sollen sie alle…"

Tatsächlich finden sich seit einigen Stunden immer mehr Leute auf dem Schlossplatz ein. Neugierige, Missgünstige oder auch gescheiterte Schatzsucher. Auch Frauen und Männer, die sich nicht an der Schatzsuche beteiligt haben, wollen sehen, ob irgendjemand mit den Schuppen des wundersamen Fisches auftaucht.

Es wird getuschelt, philosophiert und geschimpft. "Meine 2 jüngeren Söhne sind von der Suche nicht zurückgekehrt", weint eine alte, bucklige Frau.

"Mir ist eine riesige Seeschlange begegnet", prahlt ein tätowierter Muskelprotz.

"Und, hatte sie goldene Schuppen?", kichern zwei junge Frauen.

"Hey, mein Alter, wir sollten uns sputen." Heiner schaut besorgt in Richtung der schwarzen Wolken. "Es braut sich was zusammen." Die Felder und Wiesen bieten den beiden keinen Schutz, nur vereinzelt steht mal ein Baum. "Wir müssen es in den Wald schaffen." Heiner treibt Tornado an.

Heftiges Donnern folgt den grellen Blitzen, die sich in rascher Folge in die Erde bohren.

Der Sturm peitscht den Regen beinahe waagerecht über das Land.

Unweit kracht es. Ein Blitz ist eingeschlagen.

Unter das Grollen des Donners mischt sich ein weiteres tosendes Geräusch.

Heiner schaut ängstlich zurück. "Lauf, Tornado, lauf!" Heiner schreit. "Laaaauuuuf!" Heiner und das Pferd rennen einen Hang hinunter.

Hinter ihnen rollt krachend ein riesiger Baumstamm.

"Laaauuuf!" Der Baum kommt näher und näher.

Tornado wird langsamer, er ist am Ende seiner Kräfte. "Komm schon!" Heiner rennt um sein Leben.

Heiner krabbelt aus einer schlammigen Senke. Der riesige Baum hat ihn nur knapp verfehlt und ist unweit von ihm liegen geblieben.

Immer noch erhellen Blitze die Umgebung und der Wind peitscht den Regen über das Land.

'Tornado, wo ist Tornado.' Heiners Gedanken überschlagen sich vor Angst, laut ruft er in das prasselnde Geräusch des Regens: "Tornado, Tooornaadooo!"

In der Ferne das letzte Grollen von Donner und das monotone Plätschern des Regens. "Tornado", schreit Heiner so laut er kann.

Tränen der Verzweiflung mischen sich mit dicken Regentropfen und rinnen ihm übers Gesicht. Kopflos läuft Heiner hin und her.

"Mein treuer Gefährte, hätten wir uns nie darauf eingelassen." Immer wieder ruft er sein Pferd.

Aber da ist nichts außer dem Geräusch des Regens. Resigniert lässt er die Schultern sinken. "Heiner, Heiner." Heiner schreckt auf. "Heiner, nimm die Füße in die Hand und bring deinem König die goldenen Federn."

Glasklar hört Heiner die Stimme in seinem Kopf.

Es ist die Stimme des wundersamen Vogels Funkelfisch. "Spute dich Heiner, du kannst es noch schaffen, sonst war all das umsonst."

Der Vogel ist nirgends zu sehen, nur seine Stimme fordert ihn auf, die Reise fortzusetzen.

"Du hast Recht", ein letztes Mal schaut Heiner sich um, "ich komme zurück, Tornado", dann rennt Heiner los.

So schnell wie ihn seine Füße tragen können, läuft er in Richtung Heimat.

Gustav, des Königs Butler, denkt seit einer geraumen Weile darüber nach, sein Arbeitsverhältnis zu beenden. Je näher die anberaumte Deadline kommt, desto ungehaltener der König. Er flucht, stampft mit den Füßen und hat Gustav seinen goldenen Kelch an den Kopf geworfen.

Gustav kühlt seine Stirn, die seit dem späten Vormittag mit einer dicken blauen Beule dekoriert ist.

"Geh raus, du Versager, und schau nach, ob mir jemand die Schuppen bringt", beschimpft der König zum x-ten Male seinen Butler.

Immer mehr Leute verlassen den Schlossplatz. "Ich sag’s euch, solch einen Fisch gibt es nicht." Der augenscheinliche Anführer einer Gruppe Halbstarker ruft über den Platz: "Lasst uns abhauen." Kurz darauf ist die krakeelende Horde abgezogen. Auf den Stufen einer riesigen Löwenstatue sitzt Frau Bibol und sieht ungeduldig zum schmiedeeisernen Eingangstor, welches auf den Schlossplatz führt.

Bauer Liekusen kommt mit einem Körbchen frischer Hühnereier in die Küche. "Oh, hier riecht es aber lecker, seit wann backst du unter der Woche Kuchen?" fragt er die Bäuerin.

"Es ist Kirschkuchen, Heiners Lieblingskuchen", flüstert Frau Liekusen und kämpft gegen die aufsteigenden Tränen. Wortlos nimmt der Bauer seine Frau in den Arm.

Heiner rennt. Er rennt wie er in seinem Leben noch nie gerannt ist. Er springt über Pfützen und Steine. Immer wieder stürzt er. Er schleppt sich mühsam den letzten Berg hinauf, dann taucht im Tal winzig klein der heimatliche Kirchturm auf. Heiner mobilisiert die letzten Kräfte. Die Sonne steht tief am Horizont und er weiß, dass er alle Kraft aufbringen muss, um die Federn innerhalb des gesteckten Zeitraums zu überbringen.

Widerstrebend öffnet Gustav die Tür, die zum großen königlichen Balkon führt. Er beugt sich weit über das goldene Geländer und lässt seinen Blick über den Schlossplatz schweifen. Inständig hofft er, dass es einem dieser Trottel gelungen ist, die Schuppen zu finden.

Sein Blick ruht auf einer kleinen Gruppe von Leuten, die wohl auch bis zum Ablauf der Frist ausharren. Nichts, niemand nähert sich dem Eingangsportal.

Gustav stößt sich zaghaft von der Brüstung ab und macht sich bereit für das nächste Donnerwetter seiner Majestät.

Als er sich schon abwendet, hört er plötzlich das Raunen der Wartenden. Da kommt eine Gestalt über den Platz gehetzt, ein völlig zerlumpter junger Mann. Überall an ihm klebt getrockneter Schlamm.

Er rennt und reißt dabei beide Arme in die Luft.

"Eure Majestät!" Gustav weiß nicht, ob er sich über die Ankunft des lumpigen Gesellen freuen soll, "unten ist ein Mann, offenbar hat er die gewünschten Gegenstände."

"Nun", der König betrachtet abwertend den verlotterten Heiner. "Du hast also die Schuppen des Funkelfisches gefunden?"

"Ja, eure Majestät." Heiner holt die goldenen Federn aus seiner Tasche und streckt sie dem König entgegen. Der König sieht die glänzenden Federn, seine Augen leuchten vor Habgier. "Das sind Federn, ich wollte Schuppen", schon wollte der König nach den Federn greifen, aber Heiner zieht schnell seine Hand zurück und spricht: "Der Funkelfisch ist in Wirklichkeit ein Vogel, so wie die Seeschwalbe eine Qualle ist, das habe ich in einem Buch gelesen".

"Blödsinn", keift der König mit hochrotem Gesicht.

"Nun gut, eure Majestät." Heiner tut, als wolle er die Federn wieder einstecken. "Dann geh ich halt wieder."

Der raffgierige König will sich nun aber nicht die schillernden Federn entgehen lassen.

"Warte! Du sagst also die Schuppen sind in Wirklichkeit Federn?"

Der König heuchelt listig, "wenn das so ist, werde ich sie dennoch nehmen und dich auch entsprechend entlohnen."

"Gustav", der König blafft seinen Butler an. "Hol den jungen Mann einen Taler."

Heiner überlegt kurz: "Danke eure Majestät, wenn es für die Federn nicht die versprochene Belohnung gibt, dann behalte ich sie."

Zähneknirschend lenkt der König ein.

Heiner nennt seinen Herzenswunsch: "Ich möchte ein Pferd für unseren Bauernhof und einen Knecht."

Heiner schaut zu Frau Bibol. "Ich möchte in Zukunft in der Bibliothek arbeiten."

"Gut, so soll es sein", triumphiert der König und greift gierig die goldenen Federn.

Lasse ist ein Hüne, ein junger, kräftiger Bursche, der keine Arbeit scheut. So hat der König den Knecht beschrieben, der nun fortan Heiners Eltern auf dem Hof unterstützen wird. In der Tat ist der mit Muskeln bepackte Lasse eine beeindruckende Erscheinung und auch bei dem Pferd hat sich der König nicht lumpen lassen. Der gescheckte Hengst ist groß, muskulös und wirkt robust und ausdauernd. Heiner überlegt welchen Namen zu dem Pferd passen könnte:

"Wie gefällt dir Passat?"

"Gustav!" des Königs Ruf schallt durch die Gemächer. "Hol mir jemanden vom Tagesanzeiger! Ich will einen neuen Aufruf inserieren." Der König stiert auf den freien Platz in der Glasvitrine. "Jemand soll mir endlich die goldenen Schuppen dieses Funkelfischs bringen." "Sehr wohl, eure Majestät."

Gustav geht erhobenen Hauptes über den Schlossplatz, die Dorfstraße entlang, über die Brücke hinter der Biegung. Es war das letzte Mal, dass Gustav gesehen wurde.

Der elterliche Hof empfängt Heiner mit leckerem Duft von frisch gebackenen Kirschkuchen und jeder Menge Freudentränen. "Er kam vor einer Stunde durchs Tor", sagt der Bauer Liekusen und nickt in Richtung Koppel. Da steht er, Tornado, unversehrt den Kopf tief in der Heuraufe. Heiner rennt überglücklich zu seinem treuen Gefährten, an dessen Halfter eine goldglänzende Feder schimmert.

Von diesem Tag an arbeitete Heiner an seinem Lieblingsort, der Bibliothek, und wenn er nicht gestorben ist, dann arbeitet er dort noch immer.

𝔇er Vollgrimm

"Es ist ein Mädchen", die Hebamme hält das plärrende Würmchen in die Luft. Wütend verlässt der Dorfschmied Ludger das kleine Haus und grummelt: "Wieder ein Mädchen", er tritt zornig vor einen Stein, der trotzig auf der Stelle verharrt. Ludger stöhnt auf und humpelt fluchend in Richtung seiner Schmiede.

"Wir brauchen endlich einen Erben."

Laut schluchzend streichelt Angela das winzige Köpfchen und jammert, "Ach Fine, wärst du doch ein kleiner Bub geworden? Was soll ich denn nur mit dir machen?"

Mit lautem Zischen und Rauch taucht im Zimmer eine winzige Gestalt auf.

Unter einem dunkelgrünen, spitzen Hut versteckt sich ein graues, faltiges Gesicht mit einer großen Warze am Kinn. Die zwergenhafte Gestalt steckt in einem zerschlissenen Gewand und stützt sich auf einen wurzelartigen Stock.

"Höre, Frau", krächzt der hässliche Zwerg. "Du willst einen Jungen, einen Erben, der die Schmiede deines Mannes weiterführt? Dann höre mein Angebot." Angela schaut ängstlich zu dem Zwerg. "Gib mir eine deiner Töchter und das nächst geborene wird ein Junge. In drei Tagen komme ich wieder, dann will ich deine Antwort." Mit diesen Worten ist der Zwerg wieder verschwunden.

Sofort fällt Angela erschöpft in einen tiefen Schlaf.

'Eine meiner Töchter? Wen sollte ich tauschen? Welche sollte ich dem grausligen Zwerg überlassen.

Alicia? Sie ist die Älteste und wunderschön. Ihr welliges goldenes Haar reicht ihr bis zu den Hüften, ihr herzliches Lachen ist ansteckend und hat sie im gesamten Dorf beliebt gemacht. Kommenden Monat wird sie 16 Jahre und egal wo sie auftaucht, schauen ihr die jungen Burschen hinterher. Aber sie selbst hat nur Augen für Hinnerk, den Sohn des Bäckers. Sie ist der Sonnenschein der Familie. Ich kann sie nicht weggeben.

Die zweite ist Birte.

---ENDE DER LESEPROBE---