Die Göttliche Komödie: Paradies - Dante Alighieri - E-Book

Die Göttliche Komödie: Paradies E-Book

Dante Alighieri

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Beschreibung

Eine neue, gut lesbare Übersetzung, klar und genau, in natürlicher Sprache. Sie wird ergänzt durch: Zahlreiche knappe Erläuterungen und Lesehilfen, eine Einführung in die Göttliche Komödie und in Dantes Zeit, eine Biographie des Dichters, eine Übersicht über seine sonstigen Werke und ein ausführliches Register. Dantes Göttliche Komödie ist ein Höhepunkt der Weltliteratur. Obwohl im Mittelalter geschrieben, ist sie immer noch lebendige Lektüre. Doch ist es keine Komödie. Es ist die Schilderung einer ungewöhnlichen Reise, die der Pilger Dante antreten muss. Ihren Anfang nimmt sie bei einer „midlife crisis“, wo „der rechte Weg“ verlorengeht. Die Reise führt ihn hinab in die Hölle, dann hinauf auf den Läuterungs-berg und schliesslich ins Paradies. Ganz am Schluss wird ihm ein Blick auf das Licht Gottes zuteil. Aber er muss wieder zur Erde zurück. Es ist der Weg eines Menschen zu immer grösserer Selbsterkenntnis. (Man kann die Göttliche Komödie durch-aus auch psychologisch lesen.) Spirituelle Einsichten und konkrete, überraschende Geschehnisse mischen sich. In zahlreichen Begegnungen mit namhaften Persönlichkeiten im Jenseits erfahren wir von diesseitigen Schicksalen. Ein reiches Panorama des weltlichen Geschehens entfaltet sich. Es zeigen sich Höhen und Tiefen der Gesellschaft, der Politik, aber auch des familiären Lebens. Neben Vorbildlichem ist da auch Betrug, Verrat, Gewalt, Habgier und Machtstreben. In Dantes unnachahmlicher Sprache werden selbst schwierigere Themen fasslich und Abstraktes anschaulich. Im Italienischen ist die Göttliche Komödie in Versen mit kunstvollen Reimen gehalten. Sie im Deutschen zu imitieren, wirkt gezwungen und unbefriedigend. Diese Übersetzung strebt eine natürliche Sprache an, mit der Möglichkeit, die Zeilen als Verse zu lesen.

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Das Bild auf dem Einband stammt aus den berühmten 135 Holzstichen zu Dantes „Göttlicher Komödie“ des genialen französischen Illustrators Gustave Doré (1832–1883). Dante und Beatrice betrachten die Engelreigen, die um Gott kreisen.

Inhaltsverzeichnis Band 3

Paradies

(Text und Anmerkungen)

Dantes Paradies: Schema (Graphik)

Einführung 2. Teil

Geschichtlicher Hintergrund

Ghibellinen – Guelfen, „Schwarze“ – „Weisse“

Heinrich VII. in Italien

Dantes Leben

Biographische Daten tabellarisch

Andere Werke Dantes

Gedichte

Vita Nuova (Neues Leben)

Convivio (Das Gastmahl)

De Vulgari eloquentia (Von der Beredsamkeit der Volkssprache)

Monarchia (Von der Monarchie)

Bibliographie (Verwendete Ausgaben)

Inhaltsverzeichnis Band 1

Dank

Widmung

Vorwort

Zu dieser Übersetzung

Zu den Anmerkungen

Verzeichnis der Abkürzungen

Einführung 1. Teil (für den 2. Teil: siehe Band 3)

Der Inhalt der Göttlichen Komödie – kurz und knapp

Einige Vorbemerkungen zur Lektüre

Die Göttliche Komödie

Hölle

(Text und Anmerkungen)

Dantes Hölle: Schema (Graphik)

Inhaltsverzeichnis Band 2

Läuterungsberg

(Text und Anmerkungen)

Dantes Läuterungsberg: Schema (Graphik)

Paradies

Die Herrlichkeit dessen …: Den Schlussteil der Göttlichen Komödie, das „Paradies“, beginnt Dante sinngemäss mit der Nennung des höchsten Ziels seiner Jenseitsreise – die Herrlichkeit Gottes zu schauen. Dem nie dagewesenen, kühnen Versuch einer Darstellung des himmlischen Paradieses entsprechend – einem göttlichen Bereich, der das Zeitliche und Irdische, das geschichtlich und menschlich Begrenzte hinter sich lässt (ausser in den Rückblicken) – setzt Dante zu einem ausgedehnten (fast ein Drittel des 1. Gesangs umfassenden), erhabenen Prolog an (es lohnt sich, einen ausführlicheren Kommentar dazu zu lesen). Der Autor Dante redet auch von der Schwierigkeit solcher dichterischer Darstellung, bis er dann – immer noch mit grossen Bildern – allmählich überleitet zur Handlung, die in Zeile 43 einsetzt.

an einem Ort mehr …: je nach Bereich des Weltalls (die obersten Himmelssphären am nächsten bei Gott sind die hellsten, vgl. Z. 4), und je nach der Fähigkeit der Geschöpfe im Universum, dieses Licht aufzunehmen

In dem Himmel: im obersten Himmel, dem Empyreum

seinem Verlangen: dem höchsten Ziel seiner Wünsche, d. h. Gott zu schauen

dass das Gedächtnis ihm nicht folgen kann: Das Gedächtnis kann nach Aristoteles und den Scholastikern nur sinnlich Wahrnehmbares behalten, dagegen nicht kontemplativ oder mystisch Erfahrenes.

vom heiligen Reich (das Dante besucht hat): vom Paradies

Apoll(o): u. a. auch Gott der Dichtkunst

den geliebten Lorbeer: den Lorbeer des Dichterkranzes. „Geliebter“ Lorbeer, weil Apollo mit seiner Liebe der Nymphe Daphne nachstellte, die sich auf der Flucht in einen Lorbeerbaum verwandelte, und auch dem Lorbeer galt noch Apollos Liebe (Ovid, Met 1. Buch, 452–565).

der eine Gipfel des Parnass: der griechische Berg Parnass(us) war der Hort der Dichtkunst. In Dantes Vorstellung hat das (in Wirklichkeit vielgipflige) Parnassgebirge zwei Gipfel, Parnass und Cirrha (Z. 36) – der eine Gipfel als Ort der Musen, während der zweite traditionell als der Sitz Apollos galt. Für die ersten beiden Teile „Hölle“ und „Läuterungsberg“ reichten die Musen (der eine Gipfel) aus, doch für die noch schwierigere Aufgabe des „Paradieses“, des göttlichen Bereichs, braucht es auch noch den Beistand des Gottes Apollo (den zweiten Gipfel). – Die Musen werden aber auch dem Helikongebirge (wie in Par 29, 40) zugeordnet.

die Arena, die noch verbleibt: Arena als Ort des Wettkampfs – hier ein Bild für den Ort der höchsten dichterischen Herausforderung, das Ringen um die Darstellung des Paradieses, die dem Autor Dante jetzt bevorsteht

wirke du (zu Z. 19–21): Bei Dante „hauche du“ (= inspiriere mich), d. h. verleihe mir (für die Abfassung des „Paradieses“) solche Kraft, wie du sie damals zeigtest, als du den Satyr

Paradies, 1. Gesang

Anrufung Apollos um Beistand – Dante steigt mit Beatrice in die Himmelssphären auf – das Licht wird viel stärker –Beatrice erklärt, wie der Aufstieg geschieht – von der göttlichen Ordnung des Weltalls

Die Herrlichkeit dessen, der alles bewegt,

durchdringt das Weltall und erglänzt

an einem Ort mehr, an andern weniger.

In dem Himmel, der am meisten von Seinem Licht empfängt,

war ich und sah Dinge, die wiederzugeben

keiner weiss noch kann, der von dort oben herunterkommt,

denn seinem Verlangen sich nähernd,

gerät unser Geist in solche Tiefe,

dass das Gedächtnis ihm nicht folgen kann.

Doch was ich vom heiligen Reich

in meiner Erinnerung sammeln konnte als Schatz,

wird nun der Gegenstand meines Gesanges sein.

O guter Apoll, für die letzte Mühe

mach aus mir ein solches Gefäss deiner Kraft,

wie du verlangst, um den geliebten Lorbeer zu vergeben.

Bis hierher war der eine Gipfel des Parnáss

mir genug, doch muss ich jetzt mit beiden

eintreten in die Arena, die jetzt noch verbleibt.

Komm in meine Brust und wirke du,

wie damals, als du Mársyas

aus der Scheide seiner Glieder zogst.

O göttliche Kraft, wenn du dich so weit mir leihst,

dass ich den Schatten des seligen Reichs,

der meinem Haupte eingeprägt ist, offenbare,

so wirst du mich zum Fuss deines geliebten Baumes

Marsyas im musikalischen Wettstreit besiegtest, zu dem er dich so vermessen herausforderte! Zur Strafe dafür häutete ihn Apollo (er zog ihn „aus der Scheide seiner Glieder“).

den Schatten: das schwache Abbild

meinem Haupte eingeprägt: in Erinnerung geblieben

deines geliebten Baumes: vgl. Anm. 15

mein Gegenstand (vgl. Z. 12): das Paradies, welches das Thema dieses dritten Teils der Göttlichen Komödie ist

Vater: Apollo als Gott der Dichter

Selten … pflückt man von ihm (= dem Lorbeer) (Z Z. 28–30): Selten geschieht etwas Ruhmreiches (dass z. B. ein Kaiser oder ein Dichter gekrönt wird), denn das gewöhnliche „menschliche Streben“ geht nicht nach Rühmenswertem. Diese Unterlassung bringt „Schuld und Schande“ und verdient Tadel.

das peneische Laub: der Lorbeer; Penéios, ein Fluss, war der Vater Daphnes (s. Anm. 15)

nach ihm dürstet: danach strebt

bei der frohen delphischen Gottheit: Apollo, da der Tempel von Delphi ihm geweiht war

nach mir mit besserer Stimme: Dante hofft auf eine Erneuerung der Dichtkunst und dass andere, bessere Dichter ihm folgen werden.

Cirrha: wie Dante den zweiten Gipfel des Parnass nennt (s. Anm. 16). Dante übernahm den Namen „Cirrha“ offenbar aus der „Thebais“ des Statius, missdeutete ihn aber als Berggipfel des Parnass. In Wirklichkeit war es die einstige Hafenstadt des antiken Delphi, das am Fuss des Parnass lag.

aus verschiedenen Toren (bei Dante „Mündungen“): Die Sonne kommt beim Aufgehen jeden Tag aus einem „verschiedenen Tor“ am Horizont hervor, d. h. der Ort, wo die Sonne aufgeht, verschiebt sich von Tag zu Tag.

aus dem (Tor): das „Tor“ zur Zeit der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, immer noch im Zeichen des Widders

die Leuchte der Welt: die Sonne

vier Kreise … mit drei Kreuzen: Die vier Kreise sind 1. Ekliptik, 2. Himmelsäquator, 3. Meridian während der Tag- und Nachtgleiche, und 4. der Horizont. In den Dante-Kommentaren war die herkömmliche Erklärung, dass die Schnittpunkte der (ersten drei) Kreise drei Kreuze bildeten, was aber nicht zutrifft. Nach einer astronomischen Ausführung bei Chiavacci (mit Graphik) bilden die sich überschneidenden Durchmesser der vier Kreise (und nicht die Kreise selbst) drei genaue Kreuze am Tag der Tag- und Nachtgleiche – und nur dann. – Kreis und Kreuz: Symbole, die das Göttliche und das Menschliche in Christus bezeichnen.

mit besserem Lauf und besserem Gestirn: Das „bessere Gestirn“ ist der Widder, weil in seinem Zeichen der Frühlingsanfang ist und weil nach mittelalterlicher Ansicht die Sonne bei der Erschaffung der Welt im Zeichen des Widders stand. – „mit besserem Lauf“, weil dann der Frühling beginnt und die Tage länger und wärmer werden und die Natur sich belebt kommen sehen und mich mit den Blättern krönen,

für die mein Gegenstand und du mich würdig machen.

So selten, Vater, pflückt man von ihm,

beim Triumph eines Kaisers oder eines Dichters

– Schuld und Schande des menschlichen Strebens –,

dass das penéische Laub, wenn jemand nach ihm dürstet,

bei der frohen delphischen Gottheit

Freude hervorrufen müsste.

Einem kleinen Funken folgt ein grosses Feuer:

Vielleicht wird man nach mir mit besserer Stimme

bitten, dass Cirrha antworten möge.

– Für die Sterblichen steigt aus verschiedenen Toren

die Leuchte der Welt empor, doch aus dem,

das vier Kreise verbindet mit drei Kreuzen,

kommt sie hervor mit besserem Lauf

und mit besserem Gestirn vereint, und das Wachs der Welt

formt und prägt sie dann mehr nach ihrer Weise.

Gebracht hatte nun dieses Tor dort den Morgen

und hier den Abend, und dort war jene Hemisphäre

fast ganz weiss, und der andere Teil war schwarz,

als ich Beatrice nach der linken Seite

gewendet und in die Sonne blicken sah –

sie formt … das Wachs der Welt: weil im Frühling die Materie („das Wachs der Welt“) nicht mehr winterstarr und deshalb formbarer ist

dort den Morgen und hier den Abend: „Dort“ auf dem Läuterungsberg (in der Wasser-Hemisphäre) hatte der Morgen schon vor einigen Stunden begonnen; „hier“ auf der Land-Hemisphäre (= der Erde) war es Abend geworden.

fast ganz weiss: Fast überall auf der Wasser-Hemisphäre war es hell („weiss“) vom Tageslicht, auf der Land-Hemisphäre (dem „anderen Teil“) hingegen Nacht („schwarz“). Im Irdischen Paradies, von wo Dante und Beatrice ihre Reise aufwärts durch die Himmel gleich beginnen werden, ist es jetzt Mittag. Der Eintritt in die Hölle geschah damals am Abend, derjenige zum Läuterungsberg am Morgen: Dante gibt den Tageszeiten auch eine symbolische Bedeutung.

kein Adler blickte je so fest auf sie: Man glaubte, der Adler könne in die Sonne blicken.

ein zweiter (Licht-)Strahl: Ein von oben einfallender Lichtstrahl (= der „erste“) wird als „zweiter“ Strahl wieder nach oben zurückgeworfen.

heimkehren: Gleich dem Strahl, der wieder zu seinem Ausgangsort zurückkehrt, kehrt der irdische (und jetzt himmlische) Pilger wieder „heim“, zu Gott „empor“.

entstand aus ihrem Tun das meine: Dante macht nach, was Beatrice tut.

durch die Augen (Dantes)

Wahrnehmung: bei Dante „Vorstellung(skraft)“

dort: in Eden

hier: auf der Erde

dank dem Ort: weil sie in Eden, dem Irdischen Paradies, sind

sie: die Sonne

Tag zum Tag hinzugefügt: Die Lichtintensität verstärkt sich rapid – es scheint, als ob die Tageshelle doppelt sei („Tag zum Tag hinzugefügt“) oder die Sonne sich verdoppelt habe („eine zweite Sonne“, Z. 63), weil Dante, noch ohne es zu wissen, sich sehr schnell auf die Sonne zu bewegt.

die ewigen Räder: die sich drehenden Himmelssphären

auf sie: auf Beatrice

wie Glaucus wurde: Beim Kosten eines Wunderkrautes verwandelte sich der griechische Fischer Glaucus in eine Meeresgottheit (s. Ovid, Met 13. Buch, 904–966), und ähnlich fühlte sich Dante in einen übernatürlichen, göttlichen Zustand versetzt.

zum Gefährten machte der andern (Meer-)Götter: den anderen Meergöttern gleich

diese (zukünftige) Erfahrung (noch) bereithält

das …, was du zuletzt erschufst: die Seele, die Gott zuletzt dem neugeschaffenen Leib einhaucht. Dante weiss nicht, ob er all dies nur als Seele oder als Mensch mit seiner Körperlichkeit erlebt hat. (Der Anklang ist an Paulus in 2 Kor 12,3–4: „Und ich weiss, dass dieser Mensch [= Paulus] in das Paradies entrückt wurde; ob es mit dem Leib oder ohne den Leib geschah, nur Gott weiss es.“)

o Liebe: Gott

mit deinem Licht mich erhobst: durch das göttliche Licht der Liebe (= Gottes), das sich für Dante in Beatrices Augen widerspiegelt

ewig kreisen lässt: Das Kreisen des Primum Mobile entsteht aus dem Verlangen, sich mit dem höchsten Himmel, wo Gott ruht, zu vereinen, und es überträgt sein ewiges Kreisen auf die anderen Himmelssphären, die ebenfalls kreisen müssen.

nach dir: nach der „Liebe“ (Z. 74 ), d. h. nach Gott

kein Adler blickte je so fest auf sie.

Und so, wie stets ein zweiter Strahl

hervorgeht aus dem ersten und wieder emporsteigt,

gleich einem Pilger, der heimkehren will,

so entstand aus ihrem Tun das meine – durch die Augen

eingegossen in meine Wahrnehmung–, und ich heftete

die Augen länger auf die Sonne als nach unsrer Gewohnheit.

Vieles ist dort möglich, was hier unsern Kräften

nicht vergönnt ist, dank dem Ort,

geschaffen eigens für das Menschengeschlecht.

Ich hielt sie nicht lange aus, doch auch nicht so kurz,

dass ich sie nicht hätte ringsum Funken sprühen sehen,

wie Eisen, das glühend aus dem Feuer kommt,

und auf einmal schien Tag zum Tag

hinzugefügt zu sein, als hätte Er, der es kann,

den Himmel mit einer zweiten Sonne geschmückt.

Beatrice stand da und hatte den Blick

ganz auf die ewigen Räder gerichtet; ich aber richtete

auf sie die Augen, von droben abgewendet.

Bei ihrem Anblick wurde ich im Innern so,

wie Glaucus wurde beim Kosten des Krautes,

das ihn im Meer zum Gefährten machte der andern Götter.

Das Menschliche übersteigen – das lässt sich mit Worten

nicht beschreiben, darum soll das Beispiel genügen

für den, dem die Gnade diese Erfahrung bereithält.

Ob ich von mir nur das war, was du zuletzt

erschufst, o Liebe, die den Himmel lenkt –

du weißt es, die du mit deinem Licht mich erhobst.

Als das Rad der Sphären, das du ewig kreisen lässt

durch die Sehnsucht nach dir, meine Aufmerksamkeit auf sich zog

mit der Harmonie, die du abstimmst und unterscheidest,

mit der Harmonie …: die „Sphärenharmonie“, in der nach Gottes Willen jede Himmelssphäre durch ihr Kreisen einen eigenen Klang erzeugt („unterscheidest“ untereinander) und sie doch harmonisch zusammenklingen („abstimmst“ mit den andern)

ein Verlangen nach ihrem Grund: Dante möchte ihren Ursprung kennen lernen.

sie: Beatrice

die mich sah: in mich hineinsah

vom eigenen Ort: vom Ort, wo er seinen Ursprung hat und zu dem er seinem Wesen nach hingehört. Der Blitz hat als „eigenen Ort“ die Feuersphäre; indem er zur Erde niederfährt, „flieht“ er von ihr. Beim Menschen ist dieser Ort der Himmel, die eigentliche Heimat der menschlichen Seele, von wo sie ausging. Dante „eilt“, ohne es selbst wahrzunehmen, schneller als ein Blitz hinauf, um zum Himmel („zu ihm“, Z. 93) zurückzukehren.

vom ersten Zweifel: der Frage, was der Grund für den Klang und das grosse Licht war. Dante hat sich vom Läuterungsberg, der noch Erde ist, gelöst und befindet sich im Himmel, wo er sich mit grosser Schnelligkeit dem göttlichen Licht entgegenbewegt und wo er die Sphärenharmonie vernimmt. Die Reise begann – ohne dass Dante (oder der Leser) es bemerkte – mit der Konzentration Beatrices und Dantes auf das Licht der Sonne (Z. 49 „Und so …“).

in einen neuen (Zweifel) verstrickt

ruhte ich mich zufrieden aus: nachdem Beatrices Antwort Dantes Zweifel zu beseitigen schien

diese leichten Körper: die Sphären der Planeten, bestehend aus Luft und Feuer

eine Ordnung untereinander: Die harmonische Ordnung ist das Grundprinzip („die Form“), das sowohl für das Weltall wie auch für Gott selber gilt, der die vollkommene Ordnung ist.

die höheren Geschöpfe: Menschen und Engel

der ewigen Kraft: Gott

die genannte Regel: die harmonische Ordnung

In der Ordnung … (zu Z. 109–114): Der folgende philosophische Exkurs inspiriert sich an Gedanken von Thomas von Aquin, die Dante z. T. in Bilder umsetzt. – Alle geschaffenen Wesen, ob belebt (Tiere, Menschen, Engel) oder unbelebt (Steine, Pflanzen) sind in „natürlicher“, angeborener Liebe mit ihrem Schöpfer verbunden („ihrem Ursprung näher“, Z. 111). Sie finden je nach ihrer Art verschiedene Bedingungen vor (ein „verschiedenes Los“, Z. 110), und sie haben unterschiedliche Ziele („verschiedene Häfen“, Z. 112), denen sie zustreben. Doch alle haben sie einen natürlichen „Trieb“ (Z. 114), der ihnen ihre Bewegung und ihre Richtung gibt, wobei dieser Trieb unbewusst im Grunde immer zum „Guten“ hinstrebt. In der hierarchischen Ordnung der Schöpfung sind einige Geschöpfe, gemäss ihrer Empfänglichkeit für das Göttliche, ihrem Ursprung näher, d. h. höher und näher bei Gott.

da schien mir vom Himmel so viel von der Flamme der Sonne

entzündet, dass kein Regen oder Fluss

je einen See von solcher Ausdehnung schuf.

Die Neuheit des Klangs und das grosse Licht

entfachten in mir ein Verlangen nach ihrem Grund,

in so noch nie empfundener Schärfe.

Darum öffnete sie (die mich sah, wie ich mich selbst),

um meine bewegte Seele zu beruhigen,

den Mund, bevor ich es tat, um zu fragen,

und begann: „Du selber machst dich stumpf

mit falscher Vorstellung, so dass du nicht siehst,

was du sähest, wenn du sie abgeschüttelt hättest.

Du bist nicht auf der Erde, wie du glaubst,

sondern es würde ein Blitz, der vom eigenen Ort entflieht,

nicht so eilen wie du, der du zu ihm zurückkehrst.“

Wenn ich nun vom ersten Zweifel entkleidet war

durch die lächelnd gesagten kurzen Wörtchen,

so wurde ich noch mehr in einen neuen verstrickt

und sagte: „Schon ruhte ich mich zufrieden aus

von grossem Staunen, doch jetzt staune ich,

wie ich diese leichten Körper im Steigen durchdringen kann.“

Worauf sie, nach einem mitleidigen Seufzer,

die Augen auf mich richtete mit dem Ausdruck

einer Mutter über dem Kind, das im Fieber redet,

und begann: „Die Dinge haben allesamt

eine Ordnung untereinander, und dies ist die Form,

die das Weltall Gott ähnlich macht.

In ihr erkennen die höheren Geschöpfe die Spur

der ewigen Kraft, die das Ziel ist,

auf das hin die genannte Regel geschaffen wurde.

In der Ordnung, von der ich rede,

sind alle Wesen, je nach ihrem verschiedenen Los,

ihrem Ursprung näher und weniger nah;

daher bewegen sie sich nach verschiedenen Häfen

über das grosse Meer des Seins, und jedes Wesen

mit dem ihm verliehenen Trieb (zu Z. 114–117): Der natürliche Trieb ist ständig in Bewegung; das Feuer (Z. 115) strebt empor zu der ihm eigenen Feuersphäre unterhalb des Mondes; die Tiere (diejenigen mit „den sterblichen Herzen“ (Z. 116), aber ohne unsterbliche Seele) bewegen sich gemäss ihrem Instinkt; die Erde (Z. 117) durch ihre Schwerkraft zum Zusammenhalt hin und zum Erdmittelpunkt usw.

sterblicher Wesen: der Tiere, deren Empfindungsseele man im Herz annahm. (Die Menschen sind zwar auch sterblich, aber durch ihre Seelen haben sie Anteil an der Unsterblichkeit).

Geschöpfe, die ohne Vernunft sind: unbelebte Wesen und Tiere

schiesst dieser Bogen los: Bei der Schöpfung erscheint hier Gott als Bogenschütze, dessen Bogen die Geschöpfe losschnellt (vgl. Z. 124–126), die ihr „Trieb“ (Z. 114) oder Instinkt dann in Richtung eines Ziels gehen lässt.

die Verstand und Liebe haben: Menschen und Engel, „die höheren Geschöpfe“ (Z. 106), deren Liebe nicht nur der „natürliche“ Trieb ist, sondern eine ihnen bewusste Liebe

Die Vorsehung: Gott

erhält … jenen Himmel ewig unbewegt: Das Empyreum, die äusserste Himmelssphäre, wo Gottes Wohnung ist, verweilt in vollkommener Ruhe („ewig unbewegt“), da hier die Sehnsucht nach Gott gestillt ist und nicht zu kreisen braucht (vgl. Z. 76–77).

jener (Himmel), der die grösste Eile hat: das Primum Mobile, das am schnellsten kreist und vom Empyreum umschlossen ist („in dem sich jener dreht“)

dorthin: in das Empyreum, den Sitz Gottes und der Seligen

jener Sehne: des Bogens in Z. 119

zu einem frohen Ziel: zu jenem „ewig unbewegten“ Himmel (vgl. Z. 122)

taub ist: der Absicht des Künstlers nicht entgegenkommt und deshalb nicht die gewollte Form annimmt

weil es (= das Geschöpf ) die Macht hat abzubiegen: Dieses Geschöpf ist der Mensch, der wegen seiner Willensfreiheit (= „die Macht abzubiegen“, d. h. sich anders zu entscheiden) eine ungünstige Richtung einschlagen kann, statt instinktiv („dahin gerichtet“) dem guten Weg zu folgen.

wie Feuer aus der Wolke fällt: Das Feuer des Blitzes handelt gegen seine emporstrebende Natur, indem es fällt, und ähnlich kann „der erste Trieb“ – der auch hinauf, zum ewigen Guten streben müsste – den Menschen zur Erde niederziehen, weil ihn irdische Verlockung von seiner Richtung „ablenkt“.

durch falsches Gefallen: vgl. Läut 18, 19–21: „Die Seele … bewegt sich hin zu allem, was gefällt, sobald ein Gefallen sie zum Tun erweckt.“

frei von Behinderung: von allen schlechten Neigungen gereinigt

mit dem ihm verliehenen Trieb, der es tragen soll.

Einer trägt das Feuer zum Mond hin,

einer ist der Antrieb in den Herzen sterblicher Wesen,

ein andrer hält die Erde in sich zusammen und eint sie,

und nicht nur die Geschöpfe, die ohne

Vernunft sind, schiesst dieser Bogen los,

sondern auch die, die Verstand und Liebe haben.

Die Vorsehung, die all dies ordnet, lässt

mit ihrem Licht jenen Himmel ewig unbewegt sein,

in dem sich jener dreht, der die grösste Eile hat,

und dorthin, als dem vorbestimmten Ort,

trägt uns jetzt die Kraft jener Sehne,

die, was sie losschnellt, lenkt zu einem frohen Ziel.

Zwar ist es so – wie oftmals die Form

mit der Absicht der Kunst nicht übereinstimmt,

weil das Material taub ist für eine Antwort –,

dass sich zuweilen das Geschöpf entfernt

von seiner Bahn (obschon dahin gerichtet),

weil es die Macht hat, abzubiegen in eine andere Richtung;

und wie man sehen kann, wie Feuer

aus der Wolke fällt, so zieht der erste Trieb

das Geschöpf zur Erde, abgelenkt durch falsches Gefallen.

Du darfst – wenn ich richtig sehe – dich über dein Aufsteigen

nicht viel mehr verwundern als über einen Bach,

wenn er vom hohen Berg hinab zur Tiefe fliesst.

Verwunderlich wäre an dir, wenn du, frei

von Behinderung, dich unten hingesetzt hättest,

wie, am Boden ruhend, ein lebendiges Feuer es wäre.“

Dann wandte sie wieder den Blick zum Himmel.

ein lebendiges Feuer: Es muss seiner Natur nach emporstreben und kann deshalb nicht „am Boden ruhen“.

in eurer kleinen Barke: dem Schifflein eurer menschlichen Weisheit

hinter meinem Schiff (= meiner Darlegung), das singend (= dichtend) weiterzieht

Begebt euch nicht aufs offene Meer: eine Anspielung auf die Fahrt des Odysseus (= Ulysses, vgl. Hölle 26, 100–142), der dabei unterging

wenn ihr mich (aus den Augen) verliert

Das Wasser, das ich mir vornehme: das Thema des Paradieses

Minerva …, Apollo …, neun Musen: Es braucht die Hilfe aller hohen Mächte für dieses unerhörte Unternehmen sowohl in der Dichtung, wie auch auf einer Schiffsreise (dem von Dante dafür verwendeten Bild). Minerva, die Göttin des Wissens, gibt den Wind für die Segel und damit die Bewegung; Apollo verleiht die dichterische Inspiration (vgl. die Anrufung Apollos in Par 1, 13–36), und er ist zugleich Steuermann; die neun Musen vermitteln das dichterische Können, das Handwerk, und sie zeigen die Bären, d. h. die Sternbilder des Grossen und des Kleinen Bären, nach denen die Schiffer ihren Kurs richteten (vor allem nach dem Polarstern im Kleinen Bären). Das Wissen ist die Voraussetzung, und es bedient sich der Dichtung, um von den göttlichen Dingen zu sprechen.

den Hals gereckt habt nach dem Brot der Engel (zu Z. 10–14): als ihr nach himmlischem Wissen (dem „Brot der Engel“) strebtet, für das es ein stetes Bemühen braucht, ohne dass man es „hier“ auf Erden je ganz erfassen kann („von dem man nie satt wird“, Z. 12). (Der Ausdruck „Brot der Engel“ findet sich in Ps 78,25 [in der lateinischen Übersetzung]: „Menschen assen Brot der Engel [= Manna], Zehrung sandte er ihnen in Fülle.“) Doch nur „wenige andere“ (Z. 10) sind bereit, diese Mühen auf sich nehmen. Dante hat dabei die Rolle eines Wegbereiters („wenn ihr in meiner Furche folgt“, Z. 14).

bevor das Wasser sich wieder glättet: in nahem Abstand, um Dantes Schiff nicht aus den Augen zu verlieren

Jene Ruhmreichen (zu Z. 16–18): die Argonauten, die als erste das offene Meer befuhren. Ihr Anführer Jason musste in Kolchis (in der Antike ein Gebiet an der Ostküste des Schwarzen Meers) schwierige Prüfungen bestehen, um das Goldene Vlies zu erlangen, u. a. mit zwei flammenspeienden Stieren ein Feld pflügen als „Ackersmann“ (s. Ovid, Met 7. Buch, 104–119). Auch wir Leser („ihr“) werden staunen (Z. 17) über die schwierige Aufgabe, das Paradies dichterisch wiederzugeben.

nach dem Reich, geschaffen nach Gottes Abbild (= dem Empyreum): als Fernziel

trifft …, fliegt …, sich löst: Die Handlung wird vom Ende her beschrieben; ihre Schnelligkeit wird dadurch betont, dass zuerst das Resultat sichtbar und erst dann der Ablauf bewusst wird.

angelangt: bei der ersten, untersten Himmelssphäre (im folgenden verdeutlicht)

jene: Beatrice

Paradies, 2. Gesang

Der Dichter mahnt die Leser, dass es um hohe Dinge geht – zur 1. Himmelssphäre: dem Mondhimmel – Dante fragt nach dem Ursprung der Mondflecken

O ihr, die ihr in eurer kleinen Barke,

begierig zuzuhören, gefolgt seid

hinter meinem Schiff, das singend weiterzieht –

kehrt um, um eure Ufer wiederzusehen:

Begebt euch nicht aufs offene Meer, denn vielleicht,

wenn ihr mich verliert, würdet ihr irregehen.

Das Wasser, das ich mir vornehme, wurde noch nie befahren;

Minerva lässt wehen, und es führt mich Apollo,

und neun Musen zeigen mir die Bären.

Ihr wenigen andern, die ihr von jeher den Hals

gereckt habt nach dem Brot der Engel, von dem

man hier lebt, aber von dem man nie satt wird –

wagen könnt ihr euch wohl auf die hohe See

mit eurem Schiff, wenn ihr in meiner Furche folgt,

bevor das Wasser sich wieder glättet.

Jene Ruhmreichen, die nach Kólchis fuhren,

staunten nicht so sehr – wie ihr es tun werdet –,

als sie Jáson sahen, der zum Ackersmann geworden war.

Der angeborene und immerwährende Durst

nach dem Reich, geschaffen als Gottes Abbild, trug uns

fast so schnell empor, wie ihr den Himmel kreisen seht.

Beatrice schaute nach oben, und ich auf sie,

und in so viel Zeit vielleicht, in der ein Pfeil ins Ziel trifft

und fliegt und sich vom Bogen löst,

sah ich mich angelangt, wo Wunderbares

mein Auge auf sich zog, und jene daher,

der meine Regung nicht verborgen sein konnte,

sagte, so heiter wie schön, zu mir gewendet:

„Richte den Sinn dankbar zu Gott,

mit dem ersten Stern (= dem Mond, „etwas Wunderbares“, Z. 25). Dante und Beatrice sind im (untersten) 1. Himmel, dem Mondhimmel, angelangt.

dass eine Wolke uns bedeckte: Es ist die Mondmaterie, in die sie eingetreten sind.

Der ewige Edelstein: der Mond

Wenn ich ja ein Körper war (zu Z. 37–45): Dante sagt sich, dass er doch mit seinem irdischen Körper in den Mondkörper eingetreten sei, aber dass nach physikalischem Gesetz zwei feste Körper („die eine Ausdehnung die andere“, Z. 38) sich gegenseitig verdrängen müssten. Auch die Beschaffenheit des Mondkörpers („leuchtend, dicht und fest und glatt“, Z. 32) ist nicht zu erfassen. Das Unbegreifliche der beiden sich durchdringenden Körper lässt Dante an das noch grössere Wunder denken, wie sich die menschliche und die göttliche Natur, Körperliches und Unkörperliches, in der Person Christi („jene Wesenheit“, Z. 41) vereinigen konnten. Auf Erden ist diese unbegreifliche Verbindung nur dem Glauben zugänglich („was wir im Glauben für Wahrheit halten“, Z. 43), im Himmel aber wird dies unmittelbar sichtbar sein („durch sich selber kund“, Z. 44).

hier: auf Erden

Dort (im Himmel)

gleich einer ersten Wahrheit: einem Axiom, das man nicht hinterfragen kann

die dunklen Flecken: die Mondflecken. Dieses Thema, das hier so viel Raum einnimmt (von Z. 48 bis Ende des Gesangs), scheint heute nebensächlich. Es beschäftigte jedoch bedeutende Philosophen und Wissenschaftler (u. a. Galilei, der eben diese Frage stellte), denn es ging darum, die Verschiedenartigkeit in der Einheit der Schöpfung zu erklären und die Abweichungen von ihrer Vollkommenheit (wie z. B. die Mondflecken).

dieses (Himmels-)Körpers: des Mondes

Kain: Er wurde nach einer italienischen Legende auf den Mond verbannt, wo er ein Dornenbündel trägt (vgl. Hölle 20, 126).

wo nicht der Schlüssel der Sinne aufschliesst: wo nicht die Sinne als „Schlüssel“ zum Verständnis dienen

der Verstand, folgt er den Sinnen: Nach Aristoteles und der Scholastik nehmen zuerst die Sinne auf, was der Verstand dann verarbeitet. Aber hier reicht der Verstand nicht aus, er kann mit seinen „kurzen Flügeln“ nicht folgen.

was uns (auf der Erde) hier oben (am Himmel) verschieden erscheint: im Himmel, wo sich Dante jetzt befindet

von den dünnen und dichten Körpern: Die verschiedene Dichte der Himmelskörper – ob von Stern zu Stern oder hier innerhalb des einen, des Mondes – ist nach der Meinung Dantes der Grund für die unterschiedliche Helligkeit. Es war eine schon in der Antike und noch zu Dantes Zeit weitverbreitete Theorie.

der uns mit dem ersten Stern vereinigt hat.“

Es schien mir, dass eine Wolke uns bedeckte,

leuchtend, dicht und fest und glatt,

wie ein Diamant, den die Sonne trifft.

Der ewige Edelstein nahm uns

in sich auf, wie Wasser einen Lichtstrahl

aufnimmt und doch vereinigt bleibt.

Wenn ich ja ein Körper war – und hier ist es unbegreiflich,

wie eine Ausdehnung eine andere vertrug,

was doch sein muss, wenn Körper durch Körper dringt –

so müsste uns noch mehr die Sehnsucht entflammen,

jene Wesenheit zu sehen, in der man sieht,

wie unsre Natur und Gott sich vereinigten.

Dort wird man sehen, was wir im Glauben für Wahrheit halten,

nicht bewiesen, sondern durch sich selber kund,

gleich einer ersten Wahrheit, die der Mensch glaubt.

Ich erwiderte: „Herrin, so ergeben,

wie ich‘s nur sein kann, danke ich Ihm,

der mich aus der sterblichen Welt entrückt hat.

Doch sagt mir: Was sind die dunklen Flecken

dieses Körpers, die dort unten auf der Erde

die Leute von Kain fabeln lassen?“

Sie lächelte ein wenig, und dann: „Wenn die Meinung

der Sterblichen“, sagte sie mir, „sich irrt,

wo nicht der Schlüssel der Sinne aufschliesst,

so sollten die Pfeile der Verwunderung

dich jetzt gewiss nicht treffen, da du siehst, wie der Verstand,

folgt er den Sinnen, nur kurze Flügel hat.

Doch sag mir, was du von dir aus darüber denkst.“

Und ich: „Was uns hier oben verschieden erscheint,

das kommt, glaube ich, von den dünnen und dichten Körpern.“

Und sie: „Gewiss wirst du sehen, wie deine Meinung

wie deine Meinung im Irrtum versunken ist: Dante als Autor vertrat diese Meinung in seinem früheren Werk „Das Gastmahl“ und widerlegt sich hier selber im Mund Beatrices.

Die achte Sphäre (zu Z. 64–72): der Fixsternhimmel, dessen Sterne („Lichter“) Beatrice zum Vergleich in ihrer Darlegung verwendet. Es geht um die Frage, ob ihre unterschiedliche Helle (und Grösse) – wie auch das Hellere und Dunklere beim Mond – lediglich auf eine einzige Formkraft (die Dichte, in verschieden starker Ausprägung) zurückzuführen sei, wie der Pilger Dante behauptet (Z. 59–60). Dies kann nicht richtig sein, denn da – astrologisch gesehen – je nach Gestirn die Einflüsse auf die Erde und ihre Wesen ganz unterschiedlich sind, müssen sie auch von verschiedenartigen Formkräften der Planeten und Sterne herrühren. Die Hypothese des Pilgers Dante von der einen Formkraft als Ursache würde aber alle anderen „Formprinzipien“ (Z. 71) negieren, sie „zunichtemachen“.

sei es an Helle, sei es an Grösse: bei Dante „im Wie und im Wieviel“

„dünn und dicht“: verschiedene Dichte

Früchte: Ergebnisse

Wenn „dünn“ die Ursache jenes Dunklen wäre: wenn „dünne“ (= geringere) Materie das Sonnenlicht weniger reflektierte und jene Stelle dadurch dunkler würde

dort: bei der dunklen Stelle

bis zur andern Seite … so karg an Materie: d. h. durchgehend „dünn“

wie … in einem (lebendigen) Körper: z. B. bei einem Tier

sich dick und dünn abwechseln: d. h. nicht durchgehend „dünn“ sind (was von aussen nicht erkennbar ist)

wie (Pergament-)Blätter in einem Folianten (die unterschiedlich dick sind). – ein „Foliant“: ein altes grosses Buch. Dante verwendet, mit einem Wortspiel, „volume“, was sowohl ein „grosses Buch“ wie auch „Masse“ (auf die Masse des Planeten bezogen) heissen kann.

das erste: vgl. Z. 74–75

würde es deutlich bei einer Sonnenfinsternis: Wenn der Mond vor der Sonne steht und sie verdeckt, würde die Sonne durch die „dünne“ dunkle Seite hindurchscheinen.

das andre (Z. 76–78): die Annahme einer schichtweisen Verteilung („das Fette und Magere“)

sein Gegenteil: das Dichte

so wie Farbe aus dem (Spiegel-)Glas wiederkehrt: d. h. vom Spiegelglas reflektiert wird

Glas …, das hinter sich Blei verbirgt: Spiegel waren auf der Rückseite mit Blei beschlagen.

Nun wirst du sagen (zu Z. 91–93): Der Einwand könnte sein, dass es an der hypothetischen „Grenze“ (Z. 80) im Innern – also weiter weg – dunkler sei, weil das Licht „von weiter hinten zurückgeworfen wird“. Die „andern Stellen“ aber, die näher oder auf der Oberfläche liegen, im Irrtum versunken ist, wenn du den Beweisen

gut zuhörst, die ich dagegen vorbringen werde.

Die achte Sphäre zeigt euch viele Lichter,

die man, sei es an Helle, sei es an Grösse,

verschieden wahrnehmen kann in ihrer Erscheinung,

Wenn nur „dünn und dicht“ dies bewirkten,

so wäre in allen eine einzige Kraft,

mehr oder weniger oder gleich verteilt.

Verschiedenartige Kräfte aber müssen Früchte sein

von Formprinzipien, und diese – ausser einem –

würden, nach deiner Erklärung, zunichte gemacht.

Ferner: Wenn „dünn“ die Ursache jenes Dunklen wäre,

nach der du fragst, so wäre entweder dort, bis zur andern Seite

der ganze Planet so karg an Materie, oder aber

– wie fett und mager in einem Körper verteilt sind –

würden in diesem Planeten sich „dick und dünn“–

abwechseln, wie Blätter in einem Folianten.

Wäre das erste der Fall, so würde es deutlich

bei einer Sonnenfinsternis, weil das Licht

durchschiene, wie es durch andres Dünnes dringt.

Das ist nicht so: Darum heisst es, das andre zu betrachten,

und wenn es geschieht, dass ich auch dies andre beseitige,

hat deine Ansicht sich als falsch erwiesen.

Wenn es so ist, dass dieses Dünne nicht hindurchgeht,

muss da eine Grenze sein, über die hinaus

sein Gegenteil das Licht nicht mehr vordringen lässt,

und von da wird der Sonnenstrahl zurückgeworfen,

so wie Farbe aus dem Glas wiederkehrt,

das hinter sich Blei verbirgt.

Nun wirst du sagen, dass sich der Strahl

reflektierten das Licht heller. Durch den Unterschied wären also die dunklen Flecken physikalisch erklärt.

von weiter hinten: von weiter innen im Körper

erproben: durch ein Experiment

Erfahrung – die Quelle: Erfahrung als Ausgangspunkt („Quelle“) für die verschiedenen Wissenbereiche („Ströme eurer Künste“), von Aristoteles in seiner Philosophie vertretene Ansicht

der dritte … zwischen den ersten beiden: ebenfalls vor deinem Blick, aber „weiter entfernt“ (Z. 98)

das entfernteste Abbild (des Lichts)

in gleicher Weise (= gleich hell) leuchten muss: Folglich erklärt die unterschiedliche Distanz die Flecken nicht.

der warmen (Sonnen-)Strahlen

von der Farbe: dem Weiss des Schnees

wie du verblieben bist: d. h. „entblösst“ von irrigen Meinungen

will ich dich versehen mit Licht: will ich jetzt dein Verständnis erhellen. Beatrice gibt im folgenden (Z. 112 bis Schluss) eine ausführliche Darlegung, in der sie die knappe Aussage von Z. 70–72 differenziert.

flimmert: wie die Sterne flimmern

im Himmel des göttlichen Friedens: im Empyreum

dreht sich ein Körper: das Primum Mobile, das vom (unbewegten) Empyreum umfasst wird

von allem, was er enthält: alle anderen, unteren Himmelskreise, die er konzentrisch umfasst

Der folgende (= nächstuntere) Himmel: der Fixsternhimmel

Bilder: Sterne

auf verschiedene Wesenheiten: auf die Fixsterne

Die anderen Kreise: die unteren sieben Himmelssphären

die Eigenheiten: ihre spezifischen Kräfte

auf ihre Ziele und ihre Samen (zu Z. 118–120): vieldiskutierte Zeilen, nicht eindeutig übersetzbar oder fassbar. Allgemeiner Sinn etwa: Die sieben unteren Himmelssphären geben ihre „Eigenheiten“, d. h. ihre differenzierten Kräfte, an „ihre Samen“ weiter, aus denen dann Lebewesen entstehen. Auch auf deren Anlagen wirken sie ein, diese sind die „Ziele“ der Himmelskräfte.

dort dunkler als an andern Stellen zeigt,

weil er da von weiter hinten zurückgeworfen wird.

Von diesem Einwand kann dich

die Erfahrung befreien (wenn du es je erproben willst),

die für die Ströme eurer Künste ja die Quelle ist.

Drei Spiegel nimm, und zwei entfernst du

von dir gleich weit, und der dritte, weiter entfernt,

soll zwischen den ersten beiden deinem Blick begegnen.

Ihnen zugewendet, lass hinter deinem Rücken

dir ein Licht hinstellen, das die drei Spiegel beleuchtet

und, von allen zurückgeworfen, zu dir zurückkehrt.

Obwohl in der Grösse das entfernteste Abbild

den andern nicht gleichkommt, wirst du da sehen,

wie es in gleicher Weise leuchten muss.

Jetzt, wie wenn bei den Streichen der warmen Strahlen

das, was darunter lag, entblösst verbleibt

vom Schnee, von der Farbe und der Kälte von vorher –

wie du so verblieben bist in deinem Verständnis,

will ich dich versehen mit so lebendigem Licht,

dass es dir vor den Augen flimmert bei seinem Anblick.

Drinnen im Himmel des göttlichen Friedens

dreht sich ein Körper, in dessen Kraft

das Sein beruht von allem, was er enthält.

Der folgende Himmel, der so viele Bilder hat,

verteilt dieses Sein auf verschiedene Wesenheiten,

die in ihm enthalten und doch von ihm verschieden sind.

Die anderen Kreise verteilen in vielfältiger Unterscheidung

die Eigenheiten, die sie in sich haben,

auf ihre Ziele und ihre Samen.

Diese Organe der Welt gehen,

wie du jetzt siehst, so von Stufe zu Stufe,

Diese Organe der Welt: die Himmelssphären, die gewissermassen „Organe“ des göttlichen Wirkens in der Welt sind

von dieser Stelle (in Beatrices Darlegung) … zur Wahrheit: zur eigentlichen Antwort, d. h. zur Lösung des Rätsels um die Mondflecken

die Furt: den Übergang zur Erkenntnis

der heiligen Kreise: der Himmelssphären

von den seligen Bewegern her: Der Autor Dante (durch den Mund Beatrices) differenziert hier ein weiteres Mal. Zur göttlichen Kraft, die durch die Himmelssphären hindurch nach unten dringt, lässt er noch die Kraft der Engel hinzukommen, die sie den Himmelssphären verleihen, indem sie sie bewegen (wobei jedem Himmelskreis eine andere Engelhierarchie zugeordnet ist – dem 9. (oder Kristall-)Himmel die Seraphim, dem 8. (oder Fixstern-) Himmel die Cherubim usw., hierarchisch absteigend).

der (Fixstern-)Himmel

Lichter: Sterne

dem tiefen Geist (der Cherubim)

entnimmt … das Bild: Der Fixsternhimmel empfängt sein „Bild“ (sein Muster oder Vorbild) auch aus der Kraft der Engel; nach ihm formt er sein eigenes „Siegel“, mit dem er dann seinerseits weiterprägt.

in eurem irdischen Staub (biblisch): in eurem Leib

in mannigfachen Gliedern: Die menschliche Seele bildet im Leib des Menschen „Glieder“ aus und auch Organe mit „verschiedenen Fähigkeiten“ wie z. B. Hören und Sehen.

die Geisteskraft (der Engel)

in den Sternen: in den Planeten

kreist … um sich selbst: Das Kreisen ist auch ein Ausdruck dafür, dass „die Geisteskraft“ (Z. 136) der Engel sich selbst reflektiert und begreift; sie bleibt eine „Einheit“, obwohl sie ihre Kraft verteilt.

Verschiedene Kraft: Nicht alle Sterne erhalten dieselbe Kraft, und so ergibt sich jedesmal eine unterschiedliche Verbindung zwischen der mit der Engelskraft vereinten göttlichen Kraft und der Himmelssphäre („mit dem kostbaren Körper“, Z. 140). Ähnlich verbindet sich die Lebenskraft von oben mit dem Menschen („mit euch“, Z. 141).

leuchtet die hineingemischte Kraft: Die ursprünglich von Gott stammende, stufenweise weitergegebene Kraft ist auch göttliches Licht, dem sich noch die Freude der Engel (aus ihrer „frohen Natur“, Z. 142) beimischt. Wie in einer „lebendigen Pupille“ (Z. 144) durch die „Freude“ gewisse Teile der Pupille heller aufleuchten, so erscheint auch im Mond – und hier kehrt die Darstellung zur eigentlichen Frage nach den Mondflecken zurück – das göttliche Licht bald heller, bald dunkler. Dies rührt also nicht von der Dichte (einem materiellen Grund) her, sondern (als einem spirituellen Grund) davon, dass die Kraft von oben nicht gleichmässig in den Mondkörper „hineingemischt“ (Z. 143) ist.

dass sie von oben nehmen und nach unten wirken.

Betrachte nun recht, wie ich

von dieser Stelle jetzt zur Wahrheit gehe, die du begehrst,

so dass du dann allein die Furt bewältigen kannst.

Die Bewegung und die Kraft der heiligen Kreise,

muss – wie vom Schmied her die Kunst des Hammers –

von den seligen Bewegern ausgehen,

und der Himmel, den so viele Lichter schmücken,

entnimmt aus dem tiefen Geist, der ihn dreht,

das Bild und macht sich daraus das Siegel.

Und wie die Seele in eurem irdischen Staub

sich verbreitet in mannigfachen Gliedern,

die verschiedenen Fähigkeiten zugeordnet sind,

so entfaltet die Geisteskraft ihre Macht,

vervielfacht in den Sternen,

und kreist doch um sich selbst in ihrer Einheit.

Verschiedene Kraft schafft verschiedene Verbindung

mit dem kostbaren Körper, den sie belebt,

mit dem sie sich, wie die Lebenskraft mit euch, verbindet.

Durch die frohe Natur, aus der sie stammt,

leuchtet die hineingemischte Kraft im Körper,

wie die Freude in der lebendigen Pupille.

Von ihr kommt das, was von Licht zu Licht

verschieden erscheint, und nicht von „dicht und dünn“;

sie ist das Formprinzip, das je nach seiner Stärke

das Dunkle und das Helle hervorbringt.“

Von ihr: der unterschiedlichen „hineingemischten Kraft“ (Z. 143), mit der die Sterne von oben her „belebt“ (Z. 140) werden, „von Licht (= Stern) zu Licht verschieden“ (Z. 145–146)

sie ist das Formprinzip: Die Antwort auf die scheinbar unwesentliche Frage nach den Mondflecken und die zunächst dürre, scholastische Erörterung mündet im letzten Drittel überraschend im eigentlichen Anliegen des Autors Dante – in einen grossen theologischen Diskurs über das Wirken des göttlichen Universums, über die Entstehung der Lebewesen und die Herausbildung einer Vielfalt, obwohl diese doch von einem Schöpfer abstammt. Die Darlegung bereitet das Verständnis vor für den himmlischen Bereich, in dem sich Dante von jetzt an befindet.

Jene Sonne: Beatrice

zuerst mein Herz mit Liebe wärmte: für die Dante zum ersten Mal Liebe empfand, als er sie mit neun Jahren sah. – „mein Herz“: bei Dante „die Brust“ (die das Herz umfasst)

von der schönen Wahrheit: vom wahren, geistigen Ursprung der Mondflecken

mit Beweisen und Widerlegen: im vorherigen 2. Gesang

mein Bekenntnis: das er ablegen wollte

eine Perle auf weisser Stirn: wie sie Frauen nach der damaligen Mode trugen, an einem Band oder am Haarnetz befestigt, von wo die Perle auf die Stirne hing. – Das Auge („unsre Pupillen“) nimmt sie wegen des schwachen Kontrasts nicht so schnell wahr.

wiederkehren: widergespiegelt werden

so: so schwach (im Mondlicht) wie Spiegelbilder

den entgegengesetzten Irrtum: Der Irrtum, „der Liebe entfachte“, war jener des Narziss. Er meinte, als er sein schönes Spiegelbild in einer Quelle erblickte, es sei ein anderes Wesen (in das er sich leidenschaftlich verliebte, vgl. Ovid, Met 3. Buch, 407–510). Dante aber glaubt im Gegenteil, die anderen, wirklichen Wesen seien Spiegelbilder.

wandte ich … die Augen: Dante wandte sich um, um hinter sich die Personen zu sehen, die sich vor seinen Augen zu spiegeln schienen.

in das Licht: in ihren leuchtenden Blick

das Wahre: dass es sich um übernatürliche Erscheinungen handelt, während Dante sogar im Paradies noch versucht, das, was er sieht, nach irdischen Naturgesetzen (Bild und Abbild) sinnlich zu erfassen

der (= dein Gedanke), der dich … zum Leeren wendet: der dir keinen Aufschluss gibt

hierher verwiesen: zum Mondhimmel. Der unbeständige, d. h. wechselnde Mond entspricht den Unbeständigen, die hier erscheinen. Doch alle Seligen wohnen, mit verschiedenem Grad der Seligkeit, im Empyreum (wie im 4. Gesang erklärt).

glaube (das, was sie sagen)

Paradies, 3. Gesang

Die Seligen im Mondhimmel – Gespräch Dantes mit Piccarda: ihr Gelübde – ihr Schicksal – das ähnliche Schicksal der Kaiserin Konstanze

Jene Sonne, die mir zuerst mein Herz mit Liebe wärmte,

hatte mir von der schönen Wahrheit,

mit Beweisen und Widerlegen, den lieblichen Anblick enthüllt,

und ich, um mich selbst als berichtigt und überzeugt

zu bekennen, hob, so weit es sich schickte,

den Kopf aufrechter, um zu sprechen,

doch da zeigte sich eine Erscheinung, die mich so eng

an sich fesselte, damit ich sie sehen sollte,

dass ich nicht mehr an mein Bekenntnis dachte.

Wie von durchsichtigem, klarem Glas

oder von reinen, ruhigen Wassern

(die nicht so tief sind, dass sich der Grund verliert)

die Züge unsrer Gesichter so schwach

wiederkehren, dass eine Perle auf weisser Stirn

nicht weniger schnell unsre Pupillen erreicht –

so sah ich mehrere Gesichter bereit zu reden,

weshalb ich in den entgegengesetzten Irrtum verfiel

zu dem, der Liebe entfachte zwischen Mensch und Quelle.

Sobald ich sie gewahrte,

wandte ich – da ich sie für Spiegelbilder hielt –

die Augen, um zu sehen, von wem sie seien,

und ich sah nichts und wandte sie wieder nach vorn,

geradewegs in das Licht der holden Führerin,

die lächelnd glühte in ihren heiligen Augen.

„Verwundere dich nicht, dass ich lächle“,

sagte sie zu mir, „bei deinem kindlichen Gedanken,

da er sich noch nicht getraut, den Fuss auf das Wahre zu setzen,

sondern der dich wie gewöhnlich zum Leeren wendet:

Wirkliche Wesen sind es, was du siehst,

hierher verwiesen wegen des Versagens im Gelübde.

Darum sprich mit ihnen und höre und glaube,

das wahrhaftige Licht: Gott

nicht abwenden: von Gott und vom Wahren

mit lachenden Augen (vor paradiesischer Seligkeit)

jene (göttliche) Liebe

ihr ganzer Hof: alle um Gott versammelten Seligen

in sich schaut: in der Erinnerung nachforscht – Dante kannte sie in Florenz

mich nicht vor dir verbergen: Ihre neue, überirdische Schönheit (die der Seligen) wird die Identität ihrer Person nicht vor Dante verbergen.

Piccarda (Donati): die Schwester von Forese Donati, Dantes Jugendfreund, den er in Läut 4, 10–15 nach ihr fragte (Dante war durch seine Frau, Gemma Donati, mit ihr verschwägert)

in der langsamsten Sphäre: im Mondhimmel. Er ist am langsamsten, weil er der Erde am nächsten ist, um die sich alles dreht, und weil er somit den kleinsten Umlauf hat. Zugleich bedeutet die langsame Bewegung symbolisch das geringere Mass an erreichter Liebe und Seligkeit.

entflammt: für das, was dem Heiligen Geist wohlgefällt

dieses Los: dieser niedrige Rang der Seligkeit, der dem untersten Himmel entspricht

leer: unerfüllt

gegenüber den ersten Bildern: die Bilder, die Dante von ihnen von der Erde her im Gedächtnis hat

mit Ihm euch mehr zu befreunden: um der Liebe Gottes näher zu sein

denn das wahrhaftige Licht, das sie befriedigt,

lässt sie die Füsse nicht von ihm abwenden.“

Und zum Schatten, der am begierigsten schien

zu reden, wandte ich mich und begann,

fast wie ein Mensch, den zu starkes Verlangen verwirrt:

„O du zum Heil geschaffener Geist, der du in den Strahlen

des ewigen Lebens die Süsse verspürst,

die, ungekostet, keiner je begreift –

angenehm wird es mir sein, wenn du mich zufriedenstellst

mit deinem Namen und eurem Los.“

Worauf er, willig und mit lachenden Augen:

„Unsre Liebe verschliesst keine Tür

vor einem gerechten Verlangen, so wenig wie jene Liebe,

die will, dass ihr ganzer Hof ihr ähnlich sei.

Ich war in der Welt eine jungfräuliche Nonne,

und wenn dein Gedächtnis recht in sich schaut, so wird,

dass ich jetzt schöner bin, mich nicht vor dir verbergen,

sondern du wirst erkennen, dass ich Piccárda bin,

die ich, hierher versetzt mit diesen andern Seligen,

selig bin in der langsamsten Sphäre.

Unsere Wünsche, die nur im Wohlgefallen

des Heiligen Geistes entflammt sind,

freuen sich, mit seiner Ordnung übereinzustimmen.

Und dieses Los, das so niedrig scheint,

ist uns darum gegeben worden, weil unsere Gelübde

vernachlässigt und teilweise leer geblieben sind.“

Darauf ich zu ihr: „In eurem wunderbaren Anblick

glänzt ich weiss nicht was an Göttlichem,

das euch verwandelt gegenüber den ersten Bildern:

Deshalb war ich nicht so schnell im Erinnern,

doch jetzt hilft mir, was du mir sagst,

so dass mir das Erkennen leichter ist.

Doch sage mir: Ihr, die ihr hier glücklich seid,

wünscht ihr euch einen höheren Ort,

um mehr von Gott zu schauen und mit Ihm euch mehr zu befreunden?“

im ersten Feuer: in der Flamme des Heiligen Geistes als Ausdruck der Liebe Gottes

die Kraft der Liebe (zu Gott)

nicht vorkommt in diesen Kreisen: Eine Nichtübereinstimmung (ein fehlender „Einklang“) zwischen Gottes Willen und dem der Seligen ist in diesen Himmelssphären (in „diesen Kreisen“) ausgeschlossen.

das Wesen dieser Liebe: ihr „Einklang“ (wie in Z. 71–75 beschrieben)

zu einem einzigen werden: ganz mit der göttlichen Liebe übereinstimmen

von Stufe zu Stufe: in verschiedenen Himmelssphären und entsprechend auf verschiedener Rangstufe

dem König: Gott

der uns einwilligt (so bei Dante): dass wir mit Gottes Willen übereinstimmen (vgl. Z. 81)

Er: Gott oder Sein Wille

zu dem sich alles hinbewegt: zu ihm wieder zurückkehrt

was er selbst erschafft: den Menschen

was die Natur hervorbringt: alle anderen irdischen Geschöpfe

jeder (unterschiedlich hohe) Ort

nicht für alle gleich: vgl. Z. 82 und Anm.

satt von einer Speise, doch nach einer andern noch Gelüste: das Bild eines Festmahls. Dante ist „satt von einer Speise“, d. h. Piccarda hat ihm Antwort auf seine Frage (Z. 64–66) gegeben, aber jetzt möchte er noch eine Erklärung zu Piccardas Bemerkung über die vernachlässigten Gelübde.

von ihr: von Piccarda

was für ein Gewebe: entweder das Gelübde (Z. 56–57), das sie nicht vollendete („bei dem sie das [Weber-]Schiffchen nicht bis zum Ende gezogen hatte“) oder aber die Aussagen Piccardas über sich (Z. 46–51 und Z. 55–57), von denen Dante die Fortsetzung hören möchte

eine Frau in den Himmel versetzt: die Hl. Klara

nach deren Regel: nach der Ordensregel der Hl. Klara (1194–1253), Jüngerin des Hl. Franz von Assisi, mit dem sie zusammen den Orden der Klarissinnen gründete.

Kleid und Schleier: die Ordenstracht

bei jenem (himmlischen) Bräutigam: Christus

Mit jenen andern Schatten lächelte sie zuerst ein wenig,

dann erwiderte sie mir so heiter,

dass sie vor Liebe im ersten Feuer zu glühen schien:

„Bruder, unsern Willen beruhigt ganz

die Kraft der Liebe, die uns nur wollen lässt,

was wir haben, und uns nicht nach anderem durstig macht.

Wenn wir wünschten, höher zu sein,

wären unsere Wünsche nicht im Einklang

mit dem Wollen dessen, der uns hier zuweist,

was, wie du sehen wirst, nicht vorkommt in diesen Kreisen,

wenn in Liebe zu sein hier ein Muss ist,

und wenn du das Wesen dieser Liebe recht betrachtest.

Vielmehr gehört es zu diesem seligen Sein,

sich innerhalb des göttlichen Willens zu halten,

wodurch unsre eigenen Willen zu einem einzigen werden,

so dass es – wie wir verteilt sind von Stufe zu Stufe

in diesem Reich – dem ganzen Reich gefällt,

wie auch dem König, der uns in seinen Willen einwilligt.

Und in seinem Willen ist unser Friede:

Er ist das Meer, zu dem sich alles hinbewegt,

was er selbst erschafft oder was die Natur hervorbringt.“

Da wurde mir klar, wie jeder Ort

im Himmel Paradies ist, auch wenn die Gnade

des höchsten Gutes dort nicht für alle gleich herunterregnet.

Doch wie es geschieht, wenn wir satt sind von einer Speise,

doch nach einer andern noch Gelüste bleibt,

dass man um diese bittet und für jene dankt,

so tat ich es mit Gebärde und mit Wort,

um von ihr zu erfahren, was für ein Gewebe es war,

bei dem sie das Schiffchen nicht bis zum Ende gezogen hatte.

„Vollkommenes Leben und hohes Verdienst haben höher oben

eine Frau in den Himmel versetzt“, so sagte sie mir, „nach deren

Regel man drunten in eurer Welt das Kleid und den Schleier trägt,

damit man bis zum Sterben wacht und schläft

bei jenem Bräutigam, der jedes Gelübde annimmt,

in ihr (Ordens-)Gewand: Sie trat in ein Kloster der Klarissinnen in der Nähe von Florenz ein.

Männer: ihr zweiter Bruder, der brutale Corso Donati, Anführer der „Schwarzen“, der sie zusammen mit Kumpanen aus dem Kloster „raubte“, um sie mit einem seiner Parteigänger zu verheiraten. – Sie starb bald darauf.

Gott (allein) weiss: Sie verzichtet demütig darauf, die Last ihres erzwungenen weltlichen Lebens zu schildern.

dieser andere Glanz: ein weiteres seliges Wesen

versteht bei dem … auch sich selbst: Ihr Geschick war ähnlich.

Schwester: Ordensschwester, Nonne

der Schatten des heiligen Schleiers weggenommen: Auch sie wurde aus dem Kloster geholt und des Schleiers (als Zeichen der Gott geweihten Nonne) beraubt.

nie vom Schleier des Herzens gelöst: Im Herzen blieb sie dem Gelübde treu.

Konstanze: Kaiserin Konstanze, die nach dem Tod ihres Gatten Heinrich VI. („dem zweiten Sturmwind“, Sohn von Friedrich I. Barbarossa) eine Zeitlang allein regierte, bis ihr Sohn Friedrich II. (der „dritte Sturmwind“) das Regierungsalter erreicht hatte. Friedrich II. war zugleich der letzte Kaiser der Hohenstaufen („seine letzte Macht“), der Italien regierte. Die Bezeichnung „Sturmwind“ deutet wohl auf die starke, aber kurz währende Macht der Hohenstaufen hin, die aus Schwaben stammten. – Dass Konstanze Nonne gewesen, aus dem Kloster geholt und 52-jährig mit Heinrich VI. verheiratet worden sei, war eine Erfindung der kaiserfeindlichen guelfischen Partei, die damit die Herkunft Friedrichs II. (von einer ehemaligen Nonne und schon alten Frau) als unnatürlich und gottlos diskreditieren wollte. Dante glaubte offensichtlich an diese Fabel, er stellt aber Konstanze als grosse moralische Persönlichkeit dar.

nachzufragen: eine Frage, die Dante im nächsten Gesang dann stellt

das durch die Liebe seinem Gefallen entspricht.

Um dieser Frau zu folgen, floh ich als junges Mädchen

aus der Welt und schloss mich ein in ihr Gewand

und gelobte, dem Weg ihres Ordens zu folgen.

Dann raubten mich Männer, mehr ans Böse

als an Gutes gewöhnt, aus dem trauten Kloster:

Gott weiss, wie dann mein Leben wurde.

Und dieser andere Glanz, der sich dir zeigt

an meiner rechten Seite und der

mit dem ganzen Licht unserer Sphäre sich entzündet,

versteht bei dem, was ich von mir sage, auch sich selbst;

auch sie war Schwester, und auch ihr wurde

vom Haupt der Schatten des heiligen Schleiers weggenommen.

Doch selbst als man sie in die Welt zurückholte

– gegen ihren Willen und gegen gute Sitte –,

war sie doch nie vom Schleier des Herzens gelöst.

Dies ist das Licht der grossen Konstanze,

die durch den zweiten Sturmwind Schwabens

den dritten, und seine letzte Macht gebar.“

So sprach sie zu mir, und dann begann sie „Ave,

Maria“ zu singen, und singend entschwand sie

wie im tiefen Wasser etwas Schweres.

Mein Blick, der ihr so weit folgte,

wie es möglich war, wandte sich, als er sie verlor,

zum Ziel des grösseren Verlangens,

und auf Beatrice richtete er sich ganz,

sie aber blitzte so in meinen Blick,

dass es das Auge anfangs nicht ertrug,

und das liess mich noch mehr zögern nachzufragen.

ein freier Mensch: mit freiem Willen

zwischen zwei Rachen: bei Dante „zwischen zwei Begierden“ („due brame“)

zwischen zwei Rehen: bei Dante „Damhirsche“

wenn ich schwieg: bezieht sich auf den Schluss des 3. Gesangs

Beatrice tat so, wie Daniel tat: Sie beruhigte Dante, indem sie seine unausgesprochenen Fragen beantwortete, wie seinerzeit der Prophet Daniel (Dan 2. Kap.) „Nebukadnezar vom Zorn befreite“. Daniel erriet seinen Traum und deutete ihn, was seine Weisen nicht vermocht hatten, weshalb Nebukadnezar sie im Zorn töten wollte.

dein (Wissens-)Drang

bindet: blockiert

nicht nach aussen dringt: Dantes Übereifer, seine zwei ganz verschiedenen Fragen beantwortet zu bekommen, hindern ihn daran, sie überhaupt in Worte zu fassen (sein Wissensdrang „bindet“ ihn).

Wenn doch der gute Wille weiter dauert: Dante denkt bei seinem ersten Zweifel an Piccarda und an Konstanze, die „nie vom Schleier des Herzens gelöst“ war (Par 3, 117), d. h. die beide innerlich an ihrem Gelübde festhielten. Beatrice beantwortet diese erste Frage erst später (Z. 64 ff.).

mir (allgemein für): jedermann

die Seelen kehrten zu den Sternen zurück: Anlass zum Zweifel gaben die Worte Piccardas im 3. Gesang (Z. 50–51), die zu besagen schienen, dass ihre himmlische Wohnung die Mondsphäre sei. Das würde der Meinung Platos entsprechen, dass die menschliche Seele vor ihrem irdischen Leben auf einem Stern wohne, von dort auf die Erde komme und einen Körper annehme und nach dem Tod wieder zu ihrem Stern zurückkehre (vgl. unten Z. 49–54). Da dies aber der kirchlichen Lehre widerspricht, wonach jede Seele von Gott geschaffen ist, wurde Platos Theorie auf dem Konzil zu Konstantinopel 540 für häretisch erklärt.

jene (Frage): den zweiten Zweifel (Z. 22–24)

mehr Galle hat: Platos Theorie wird von Beatrice als „Galle“, d. h. als Gift bezeichnet, weil seine Lehre ausschliesslich den (astrologischen) Einfluss der Sterne gelten lässt und den freien Willen des Menschen ausschliesst.

Seraph: einer aus dem höchsten Engelschor der Seraphim

welchen: Johannes den Täufer oder den Evangelisten

Paradies, 4. Gesang

Beatrice beantwortet den Zweifel Dantes betr. den eigentlichen Wohnsitz der Seligen – sie geht auch auf Platos Theorie ein

Zwischen zwei Speisen, gleich entfernt und gleich verlockend,

würde ein freier Mensch eher Hungers sterben,

als dass er eine zu den Zähnen führte;

ebenso stünde ein Lamm zwischen zwei Rachen

wilder Wölfe und fürchtete beide gleich;

so stünde ein Hund zwischen zwei Rehen –

weswegen ich mich, wenn ich schwieg, nicht tadle,

von meinen Zweifeln bedrängt in gleicher Weise,

und mich nicht lobe – es musste notgedrungen so sein.

Ich schwieg, doch mein Verlangen war mir

ins Gesicht gemalt und mit ihm das Fragen,

viel heisser, als durch Worte ausgedrückt.

Beatrice tat so, wie Daniel tat,

als er Nebukadnézar vom Zorn befreite,

der ihn zu Unrecht so grausam gemacht hatte,

und sagte: „Ich sehe wohl, wie ein Wunsch dich hierhin zieht

und dorthin ein andrer, so dass dein Drang

sich selbst so bindet, dass er nicht nach aussen dringt.

Du denkst: ‚Wenn doch der gute Wille weiter dauert,

aus welchem Grund vermindert die Gewalt von andern

mir das Mass meines Verdienstes?’

Ferner gibt dir Anlass zu zweifeln,

dass es scheint, die Seelen kehrten zu den Sternen zurück,

nach der Meinung Platos.

Dies sind die Fragen, die auf deinem Willen

gleich schwer lasten, und daher will ich zuerst

jene behandeln, die mehr Galle hat.

Derjenige Seraph, der sich am meisten in Gott versenkt,

und Moses, Samuel und welchen der beiden Johannes

du nehmen willst, ja, ich sage, selbst Maria –

sie haben ihre Sitze nicht in einem andern Himmel

diese Geister (zu Z. 28–39): Auch Piccarda und Konstanze wohnen – wie die aufgezählten hohen Gestalten – nicht in unterschiedlichen Himmeln, sondern alle bei Gott im Empyreum, d. h. anders als bei Plato, der die Seelen auf verschiedenen Sternen wohnen lässt. – In unteren Himmelssphären zeigen sie sich Dante lediglich, um ihm anzugeben, welche ihrem Grad an Seligkeit, ihrer Rangstufe, entspricht.

mehr oder weniger Jahre: „Ihr seliges Dasein“ ist nicht unterschieden nach Verdienst, sondern zeitlos und ewig.

den ersten (obersten Himmels-)Kreis: das Empyreum

mehr oder weniger: in unterschiedlicher Intensität

diese (Mond-)Sphäre

der die geringste Höhe hat: Der unterste himmlische Rang entspricht der untersten Himmelssphäre, der des Mondes.

So (anschaulich) muss man zu eurem Geiste reden

lässt sich die Schrift herab: Auch die Heilige Schrift verwendet solche leib- und bildhafte Darstellungen, um eine geistige Wirklichkeit („etwas andres“, Z. 45) zu vermitteln.

zu eurer (beschränkten) Möglichkeit des Verstehens

den andern: den dritten Erzengel, Raphael

Tobias: Der Erzengel Raphael half Tobias, die Blindheit seines Vaters Tobias (oder Tobit) zu heilen (Tob 11,1–14).

Was Timaios (bzw. Plato) über die Seelen lehrt: Timaios, ein griechischer Philosoph, ist in Platos gleichnamigem Werk die Hauptfigur; ihr legt Plato seine Lehre (s. Anm. 23) in den Mund.

was man hier sieht: dass Seelen hier im Mondhimmel sind, doch wohnen sie nicht hier (vgl. Z. 37–39 und Anm. 32)

so (wörtlich) scheint er es zu meinen: Platos Lehren gaben stets Anlass zur Frage, wie weit sie wörtlich zu verstehen seien. Auch in Beatrices Worten zeigt sich diese Fragestellung.

vergab: einem Körper zuteilte, um ihn zu formen

vielleicht ist seine Meinung anders (zu Z. 55–60): Dante verwirft zwar (im Munde Beatrices)Platos Theorie, räumt aber vorsichtig ein, dass sie als Aussage im übertragenen Sinn vielleicht doch eine gewisse Gültigkeit haben könnte: dass zwar nicht die Seelen selbst, wohl aber die Einflüsse der Sterne auf ihr irdisches Handeln – positive, denen „Ruhm“ (Z. 59) zukommt, oder negative, mit „Tadel“ behaftete – wieder zu den Sternen als ihrem Herkunftsort zurückkehren könnten. – Dantes Verteidigung Platos entspricht der scholastischen Philosophie.

die Stimme (des Timaios bzw. Platos): der Wortlaut bei Plato

sein Bogen: der Pfeil von seinem Bogen (= seiner Erörterung)

als diese Geister, die dir jetzt erschienen sind,

noch haben sie für ihr seliges Dasein mehr oder weniger Jahre,

sondern alle zieren den ersten Kreis,

und verschieden ist ihr seliges Leben nur darin,

dass sie den ewigen Hauch mehr oder weniger spüren.

Hier haben sie sich gezeigt, nicht weil ihnen diese Sphäre

zugewiesen ist, sondern um dir ihren himmlischen Rang

zu bezeichnen, der die geringste Höhe hat.

So muss man zu eurem Geiste reden,

denn nur durch die Sinne nimmt er auf,

was er dann des Erfassens würdig findet.

Deshalb lässt sich die Schrift herab

zu eurer Möglichkeit des Verstehens, und Füsse und Hände

schreibt sie Gott zu und meint etwas andres,

und die Heilige Kirche stellt mit menschlichem Antlitz

Gabriel und Michael euch vor

und den andern, der den Tobias heilte.

Was Timáios über die Seelen lehrt,

ist dem nicht ähnlich, was man hier sieht,

denn so, wie er es sagt, so scheint er es zu meinen.

Er sagt, die Seele kehre zu ihrem Stern zurück,

und er glaubt, sie sei von dort herabgekommen,