Die Grenze zwischen Licht und Dunkelheit - Petra Bunte - E-Book

Die Grenze zwischen Licht und Dunkelheit E-Book

Petra Bunte

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Beschreibung

Tom hätte niemals gedacht, dass er einmal in eine solche Situation geraten würde. Drei Jahre zuvor hat er doch alles, was er zum Glücklichsein braucht: eine Familie, Freunde, ein Haus, einen festen Job und glänzende Zukunftsaussichten, bis er durch ein tragisches Ereignis völlig aus der Bahn geworfen wird. Jetzt hat er nichts mehr. Rieke ist glücklich. In der Liebe und bei der Arbeit läuft gerade alles rund, und auch die langersehnte neue Wohnung scheint zum Greifen nah. Unvorstellbar, dass etwas oder jemand ihre Zukunftspläne durchkreuzen könnte, schon gar nicht ein Mensch wie Tom. In der Regel würde sie einen weiten Bogen um ihn machen, doch eines Morgens fällt sie ihm direkt vor die Füße und ist ausgerechnet auf seine Hilfe angewiesen. Eine schicksalhafte Begegnung, die das Leben der beiden gehörig durcheinanderbringt und alles infrage stellt, woran sie bisher glaubten.

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de© 2023 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comEpub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHISBN 978-3-8271-8446-7

Petra BunteDie Grenze zwischen Licht und Dunkelheit

Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden und eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen rein zufällig. Im Gegensatz zu meinen vorherigen Büchern gibt es eine persönliche Begegnung, die mich zu diesem Roman inspiriert hat. Mehr über Ronny, Freya und den Zündfunken zu dieser Geschichte können Sie gerne auf meiner Homepage www.petra-bunte.de in der Rubrik „Hinter den Kulissen“ nachlesen. Zum Schauplatz: Je nach Standort hat jede Leserin und jeder Leser möglicherweise einen anderen Blickwinkel und unterschiedliche Erfahrungen mit dem Thema Obdachlosigkeit. Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass diese Geschichte in einer mittelgroßen Stadt angesiedelt ist, in der Menschen, die auf der Straße sitzen und betteln, nicht ganz so massiv zum Straßenbild gehören wie in den Großstädten. Wie in Kapitel 5 erwähnt, gab es zum Zeitpunkt der Geschichte keine offizielle Statistik darüber, wie viele Menschen in Deutschland auf der Straße leben. Erst im Dezember 2022 legte das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erstmalig einen Bericht vor, laut dem zum 31. Januar dieses Jahres 263.000 Menschen wohnungslos waren. Die sechs Dinge, die du tun kannst, um Obdachlosen zu helfen, in Kapitel 9 wurden frei formuliert aus einem Artikel des Magazins „aware-online.de“ entnommen, mit freundlicher Genehmigung des aware-Teams der Malteser.Petra Bunte

„Denn die einen sind im Dunkeln,und die andern sind im Licht,und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“(Bertolt Brecht)

Rieke

„Hier, Schatz, wie findest du die?“ Aufgeregt tippte ich mit dem Finger auf den Angebotsprospekt eines Einrichtungshauses, um meinen Freund auf die traumhaft schöne Tapete darin aufmerksam zu machen.

Basti hob den Blick von seinem Smartphone und seufzte: „Ach Rieke. Wir haben noch keine Zusage für die Wohnung, und du fängst schon an zu renovieren. Kannst du nicht erst mal abwarten?“

„Ich guck doch nur“, maulte ich enttäuscht.

Seit Monaten träumte ich davon, aus meiner alten Bleibe herauszukommen, bei der allein beim Gedanken ans Tapezieren der Putz von der Wand bröckelte. Und jetzt, wo endlich die Aussicht darauf bestand, konnte ich es kaum erwarten, das schönste Zuhause aller Zeiten für uns zu planen.

Mein Freund dagegen behielt wie immer einen kühlen Kopf, nahm mir den Prospekt ab und drückte liebevoll meine Hand. „Sobald wir den Mietvertrag unterschrieben haben, fahren wir sofort in den nächsten Baumarkt und suchen etwas Schönes aus, okay? Aber jetzt ist es definitiv zu früh dafür.“

„Hmmm.“ Ernüchtert presste ich die Lippen aufeinander. Ich hasste es, daran erinnert zu werden, dass es möglicherweise wieder nicht klappen könnte mit der Wohnung. So wie beim letzten Mal, als sich der Vermieter kurzfristig für ein anderes Pärchen entschieden hatte.

„Hey.“ Basti strich mir zärtlich mit einem Finger über die Wange, beugte sich zu mir herüber und küsste mich. „Das wird schon. Und wenn es mit dieser Wohnung nicht klappt, dann mit einer anderen, die vielleicht noch besser ist.“

Ich zwang mich zu einem Lächeln und wollte ihm so gerne glauben. Dabei wussten wir beide, dass schöne und gleichzeitig bezahlbare Wohnungen in dieser Stadt rar gesät waren. Aus diesem Grund hatten Basti und ich uns in den vergangenen zwei Jahren zunächst in meinen bescheidenen vier Wänden arrangiert. Allein mit dem, was ich im Verlag verdiente, und seinem 450-Euro-Job neben dem Studium waren keine großen Sprünge möglich gewesen. Doch mittlerweile hatte mein Freund eine feste und gut bezahlte Vollzeitstelle, mit der uns die Welt offenstand. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Schnell wischte ich die Enttäuschung beiseite, drückte Basti einen Kuss auf den Mund und stand auf, um den Frühstückstisch abzuräumen. Als ich mir kurz darauf im Bad die Haare bürstete und ein leichtes Make-up auflegte, rief Basti quer über den Flur: „Kai fragt, ob wir heute Abend zum Essen kommen wollen. Svenja will ihr Curry kochen, aber alleine schaffen sie es nicht.“

Ich grinste mein Spiegelbild an und verdrehte amüsiert die Augen. Jeder normale Mensch würde die Reste am nächsten Tag essen oder einfrieren. Bastis Kumpel hatte allerdings die merkwürdige Angewohnheit, dass er angeblich nichts Aufgewärmtes aß. Und Svenjas Curry war nicht nur unglaublich lecker, sondern auch so aufwendig, dass sie sich weigerte, es in kleinen Mengen zu kochen, für die sich die Mühe nicht lohnte. Manchmal tat sie mir wirklich leid.

„Sag Kai, dass ich mich gerne opfere“, erwiderte ich schmunzelnd und fügte in Gedanken hinzu: Dann muss ich nachher wenigstens selbst nicht mehr kochen.

Gut gelaunt wickelte ich mir einen Schal um den Hals, schlüpfte in die Jacke und machte mich mit Basti zusammen auf den Weg zur Arbeit.

Draußen war es trotz des bisher relativ milden Winters ziemlich ungemütlich, und ich war wie so oft dankbar, dass Basti und ich ähnliche Arbeitszeiten hatten und ich bis zur Bushaltestelle mit ihm mitfahren konnte. Ich arbeitete im Vertrieb eines kleinen Verlages von Regionalliteratur im Zentrum, er bei einer IT-Firma am anderen Ende der Stadt, und zwei Autos waren finanziell leider nicht drin. Deshalb fügte ich mich wie an jedem Arbeitstag meinem Schicksal und nahm den Bus.

Es war Montagmorgen, und die Schüler gaben mal wieder lautstark ihre Wochenenderlebnisse zum Besten. Schnell steckte ich mir die Kopfhörer des Smartphones in die Ohren und ließ meine Playlist laufen, um das Geschrei damit zu übertönen. Während der Fahrt überlegte ich, was nachher im Verlag alles zu erledigen war. Die To-do-Liste war wie immer gut gefüllt, besonders jetzt, Ende Februar, wo unsere Neuheiten ausgeliefert wurden und die Leipziger Buchmesse kurz bevorstand. Zu allem Überfluss war in der vergangenen Woche der Illustrator für einen geplanten Kinderstadtführer kurzfristig abgesprungen. Wenn wir nicht schnellstmöglich Ersatz für ihn fanden, konnten wir den angesetzten Erscheinungstermin für das Projekt vergessen. Offiziell war ich im Verlag für den Vertrieb zuständig und hatte gar nichts damit zu tun. Aber mit acht Leuten war unser Team so klein, dass die Grenzen zwischen den Abteilungen oft fließend waren. Und genau diese Abwechslung liebte ich an meinem Job.

Seufzend wandte ich den Blick vom Fenster ab und schaute auf die Uhr. 8:12 Uhr. Das war sogar einigermaßen pünktlich.

Als der Bus auf den zentralen Busbahnhof abbog, warf ich einen prüfenden Blick zum Himmel und war froh, dass es nicht regnete oder schneite. Fröstelnd trat ich an der Haltestelle ins Freie, vergrub die Hände tief in den Jackentaschen und machte mich auf den Weg in die Innenstadt.

Bereits von Weitem sah ich, dass in der Unterführung zur Fußgängerzone wieder der Bettler herumlungerte, der vor etwa zwei Wochen zum ersten Mal hier aufgetaucht war. Seitdem gehörte er um diese Uhrzeit zum alltäglichen Erscheinungsbild. Er saß auf einem ausgebreiteten Schlafsack am Boden, hatte eine zerschlissene Decke über seine Beine gebreitet und kritzelte in einem Notizbuch herum, während er auf eine milde Gabe der Passanten hoffte. Neben ihm lehnte ein großer Rucksack an der Wand. Vor ihm stand ein kleiner Pappkarton mit ein paar wenigen Münzen darin. Zum Glück sprach er die Leute beim Betteln nicht auch noch direkt an.

In den ersten Tagen hatte es mich furchtbar genervt, dass er ausgerechnet diesen Ort zu seinem Stammplatz auserkoren hatte, wo ich zwangsläufig an ihm vorbeimusste. Konnte er nicht am Bahnhofsvorplatz oder in der Haupteinkaufsstraße betteln, wie alle anderen? Dort war es wesentlich leichter, diese Gestalten in der hektischen Betriebsamkeit zu ignorieren und ihnen aus dem Weg zu gehen. Und wären seine Chancen auf etwas Kleingeld nicht viel größer, wenn er sich dort hinsetzte, wo mehr Menschen vorbeikamen? Was wollte er dann hier?

Mittlerweile hatte ich die Hoffnung aufgegeben, dass er wieder dahin verschwinden würde, wo er hergekommen war. Stattdessen tat ich so, als gäbe es ihn gar nicht. Dabei wusste ich selbst nicht genau, warum mir die Anwesenheit dieses verwahrlosten Typen so unangenehm war. Einerseits hatte ich ja Mitleid mit ihm, vor allem, weil er relativ jung zu sein schien, soweit ich das nach einem flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel beurteilen konnte. Aber wenn ich ihm erst einen Euro in seine Bettelkiste warf, würde er dann nicht automatisch jeden Tag einen von mir erwarten? Außerdem hörte man doch immer, dass diese Bettler sich bloß Alkohol und Drogen davon kauften. Und das würde ich bestimmt nicht unterstützen. Also ignorierte ich ihn und beschleunigte meine Schritte, um so schnell wie möglich an ihm vorbeizukommen. Nicht, dass er doch noch auf die Idee kam, mich anzusprechen. Wie von selbst machten meine Füße einen weiten Bogen um ihn herum, als ich an der Gabelung den Weg Richtung Fußgängerzone und Verlag einschlug.

Doch dort sollte ich an diesem Tag nicht mehr ankommen.

Tom

Füße. Um mich herum nichts als Füße – in dicken Winterstiefeln, abgelatschten Turnschuhen, schicken Pumps, eleganten Tretern aus Leder oder kunterbunten Kinderschuhen. Das war es, was ich mit gesenktem Kopf am Boden sitzend hauptsächlich von meiner Umgebung wahrnahm. Große, kleine, breite, schmale Füße, die in hastigen, zielstrebigen, schlendernden, trippelnden oder gebrechlichen Schritten an mir vorbeizogen. Manche blieben kurz stehen, um ein paar Münzen in die ramponierte Pappschachtel zu werfen. Andere wurden schneller und schlugen einen Haken, um mir und meinem Bettelkasten auszuweichen. Die meisten setzten ihren Weg fort, als existierte ich gar nicht. Als wäre ich unsichtbar.

Wer hätte gedacht, dass ich einmal so tief sinken würde? Es war eine Sache, seit drei Jahren kein Zuhause mehr zu haben. Aber auf der Straße zu sitzen und zu betteln? Nein! Bei allem Scheiß, den ich bisher erlebt hatte, hatte ich es immer geschafft, mit dem knappen Geld vom Amt, diversen Notunterkünften und Essensausgaben über die Runden zu kommen. Bis dieses beschissene Schicksal vor zwei Wochen beschlossen hatte, mir einen weiteren Arschtritt zu verpassen und mich ins nächste Level Richtung Abgrund zu befördern. So, wie ich es verdient hatte. Hier saß ich nun. Ohne Geld, ohne Papiere, ohne Hoffnung. Und mit jeder Stunde, die ich mir weiter auf diesem abgewetzten Schlafsack den Arsch abfror, ging es auch mit meiner Würde bergab.

Natürlich gab es Stellen, wo man mir helfen konnte. Aber ausgerechnet jetzt war mein Sozialarbeiter nicht erreichbar. Und allein beim Gedanken daran, mich aufzuraffen und darum zu kümmern, anderweitig Hilfe zu finden, erfasste mich eine bleierne Müdigkeit. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie es weitergehen sollte. Fürs Erste wären ein paar Euro gut, um mir etwas zu essen kaufen zu können. Der Rest verbarg sich in der Dunkelheit, die mich seit Wochen und Monaten gefangen hielt.

Ich hatte es längst aufgegeben, zu hinterfragen, wie zum Teufel ich hier gelandet war oder wer die Schuld daran trug. Die Antwort darauf war mir leider allzu bewusst. Doch ich schaffte es nicht, weiter darüber nachzudenken, ohne in dieses schwarze Loch zu fallen, auf dessen Abbruchkante ich seit jenem Tag vor drei Jahren balancierte. Dummerweise sollte ich das jedoch tun, um einen Weg aus dieser Misere herauszufinden. Und damit begann ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien. Höchstens den Weg nach unten, auf die kalten Pflastersteine eines Fußgängertunnels.

Hoffnungslos betrachtete ich die wenigen Münzen in der Pappschachtel und versuchte, meinen knurrenden Magen zu ignorieren. Nachdem ich mich in der Nacht vor lauter Sorgen stundenlang ruhelos hin und her gewälzt hatte, hatte ich am Morgen verschlafen und musste in aller Eile die Notschlafstelle ohne Frühstück verlassen. Und mit den paar Cent, die ich vom Vortag übrig hatte, konnte ich mir den Weg zum Backshop sparen. Was für ein Scheißtag! Aber alles war besser, als bei der Kälte im Freien zu übernachten.

Mit einem dumpfen Plopp fiel ein 50-Cent-Stück vor mir in den Karton. Ich blickte auf in das unschuldige Gesicht eines vielleicht zwölfjährigen Mädchens.

„Danke“, sagte ich leise, lächelte sie an und war peinlich berührt, dass so ein junges Ding sein Taschengeld mit mir teilte. Ganz im Gegensatz zu den augenscheinlich gut verdienenden Bürohengsten, die hier vorbeikamen und mich lieber anranzten, dass ich mir gefälligst einen Job suchen sollte. Als ob ich das nicht versuchen würde. Aber leider gab es diverse Gründe dafür, warum diese Mission immer wieder scheiterte. Doch danach fragte niemand. Die Leute glaubten offenbar, dass ich es mir leicht machte, indem ich hier saß und versuchte, ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dabei hasste ich es, auf Almosen angewiesen zu sein, und scheute davor zurück, die Passanten aktiv anzubetteln. Stattdessen hoffte ich darauf, dass meine erbärmliche Gestalt und die alte Pappschachtel für sich sprachen.

Sehnsüchtig schaute ich dem Mädchen hinterher, das mit einer Schultasche auf dem Rücken hinter seiner Freundin her auf den Ausgang des Tunnels zuhüpfte. Ich wünschte, nur noch einmal so unbeschwert durchs Leben springen zu können. Aber die Zeiten waren ein für alle Mal vorbei.

Ich seufzte und griff nach dem zerfledderten Notizbuch, in dem ich nebenbei Zeichnungen von einem schöneren Leben anfertigte – als Zeitvertreib und um nicht völlig in der Trostlosigkeit um mich herum zu versinken. Doch in dem Moment, in dem ich den Blick vom Tunnelausgang abwenden wollte, entdeckte ich dort die junge Frau, die jeden Morgen zur selben Zeit hier entlangkam und eilig an mir vorbeihastete. Alles an ihrer Körperhaltung schrie danach, dass ich sie bloß nicht ansprechen und mich am besten in Luft auflösen sollte. Dabei hatte ich ihr nichts getan. Sie hatte mich bisher nicht einmal richtig angeschaut. Und das war das Schlimmste überhaupt: dass sie und viele andere so taten, als gäbe es mich und meine Probleme nicht, wenn sie nur angestrengt genug wegguckten. Glaubten die denn ernsthaft, dass ich mir dieses Leben ausgesucht hatte? Dass es so schön war, nicht zu wissen, wo man etwas Warmes zu essen oder eine dauerhafte Schlafmöglichkeit herbekam, dass ich lieber hier herumsaß und mitleidige oder verächtliche Blicke erntete, statt alles dafür zu geben, diesem Sumpf zu entkommen? Aber so leicht war das leider nicht. Davon hatten diese Menschen allerdings keine Ahnung, und ihr Verhalten signalisierte deutlich, dass sie es auch nicht wissen wollten. Weil sie die Augen davor verschlossen, dass ihnen eines Tages durch einen blöden Schicksalsschlag etwas Ähnliches widerfahren könnte. Sie lebten lieber in ihrer heilen Welt und flohen an mir vorbei in die schützenden vier Wände ihrer Traumschlösser. Und wenn ich ehrlich zu mir war, musste ich mir eingestehen, dass ich bis vor wenigen Jahren nicht anders gewesen war.

An den meisten Tagen akzeptierte ich es und ignorierte diese Leute genauso wie sie mich. An anderen wollte ich sie schütteln und anschreien: „Ich bin hier, ein Mensch aus Fleisch und Blut und mit Gefühlen, genau wie du. Also behandel mich nicht wie den letzten Dreck oder wie Luft und sieh mich wenigstens an!“ Doch letztlich fehlte mir die Kraft dazu, physisch und vor allem psychisch.

Heute war einer dieser Tage, an denen es in mir brodelte. Deshalb wandte ich mich nicht meinen Zeichnungen zu, sondern starrte der jungen Frau herausfordernd entgegen. Ich hatte sie im Stillen „das Mäuschen“ getauft, weil sie immer so flink an mir vorbeihuschte und wahrscheinlich vor Schreck tot umgefallen wäre, wenn ich sie angesprochen hätte. Dabei war sie optisch alles andere als eine graue Maus. Im Gegenteil. In einem früheren Leben hätte ich sie mit ihren schulterlangen, leuchtend rotblonden Haaren für einen echten Hingucker gehalten. Jetzt dagegen war es lediglich ein Merkmal, an dem ich sie schon aus der Ferne wiedererkannte, und ich wusste, dass ich nichts zu erwarten hatte. Sie würde mir sowieso keinen Blick geschweige denn einen Cent gönnen.

Frustriert beobachtete ich, wie das Mäuschen näher kam und um die Ecke huschte. Um einen möglichst weiten Haken um mich herum zu schlagen, lief sie wie immer ganz an der gegenüberliegenden Wand entlang. Doch ausgerechnet das, was sie vor mir gemeingefährlichem Penner schützen sollte, wurde ihr jetzt zum Verhängnis, denn im Gegensatz zu mir sah sie das Unheil, das auf sie zuraste, nicht kommen. Rücksichtslos preschten zwei Jugendliche mit ihren Fahrrädern in den Tunnel hinein, obwohl man hier absteigen und schieben sollte, und sausten Richtung Busbahnhof. Genau dorthin, wo die junge Frau herkam.

„Pass auf!“, rief ich ihr zu, doch es war zu spät. Mit einem Sprung zur Seite brachte sie sich haarscharf in Sicherheit, um nicht von den Rädern erwischt zu werden. Allerdings war der Boden von der Reinigung am Morgen noch nass, sie rutschte aus, knickte um und stürzte. Wie in Zeitlupe sah ich sie fallen, während die Jungs auf ihren Rädern nur kurz ins Schlingern gerieten und abhauten.

„Hey!“, schrie ich ihnen hinterher, aber ohne sich überhaupt umzuschauen, bogen sie um die Ecke und waren verschwunden.

Fassungslos rappelte ich mich von meinem Platz auf. Die Verunglückte saß vier Schritte von mir entfernt am Boden und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den rechten Knöchel. Sie war so auf ihren Fuß konzentriert, dass sie erschrocken zusammenzuckte, als ich mich zu ihr hinunterbeugte und fragte: „Ist alles okay? Kann ich dir helfen?“

Ihr vernichtender Blick sagte alles und bezog sich ausnahmsweise nicht ausschließlich auf meine abgewrackte Erscheinung. Natürlich war gar nichts okay und meine Frage selten dämlich.

„Zeig mal her!“, forderte ich sie auf, und nach kurzem Zögern nahm sie ihre Hand ein Stück zurück, um mich gucken zu lassen. Wie erwartet bildete sich oberhalb der Schuhkante eine ordentliche Schwellung.

„Kannst du aufstehen?“

„Ich weiß nicht“, antwortete sie mit zittriger Stimme. „Es tut so weh.“ Ihr ganzer Körper bebte, und ich war nicht sicher, ob es vom Schock war oder von der Kälte, die über die eisigen Pflastersteine in sie hineinkroch.

„Hier kannst du jedenfalls nicht sitzen bleiben“, bemerkte ich. „Wenn ich dich stütze, schaffst du es dann zu meinem Platz rüber?“

Die junge Frau schaute erst zu meinem ärmlichen Lager am Boden und dann zu mir. Ihr widerwilliger Gesichtsausdruck sagte alles und zeigte ungefiltert ihre Ablehnung gegen mich, meinen alten Schlafsack und die ganze beschissene Situation, in die sie geraten war. Die Schmerzen und Hilflosigkeit waren jedoch stärker, und außer mir war momentan niemand hier, der ihr helfen konnte. Stumm kniff sie die Lippen zusammen und nickte.

Ich legte mir ihren Arm um den Nacken, umschlang ihre Taille und zog sie hoch. Keine Ahnung, woher ich die Kraft nahm, wo ich es manchmal kaum schaffte, mich selbst auf den Beinen zu halten. Und zum Glück war ich gestern erst im Franziskushaus gewesen und hatte geduscht.

Etwas wackelig kam sie zum Stehen und stützte sich mit der freien Hand an der Wand ab.

„Alles okay?“

Diesmal sendete sie keinen giftigen Blick auf mich ab, sondern nickte tapfer. Prüfend stellte sie den verletzten Fuß auf den Boden auf, versuchte aufzutreten und stieß einen unterdrückten Schmerzensschrei aus.

In einem anderen Leben hätte ich sie mir jetzt kurzerhand über die Schulter geworfen und die drei Meter zu meiner Decke getragen. Aber für solche Aktionen fehlte mir seit Monaten die Kraft. Und mein Quartier auf diese Seite des Tunnels umzulagern war eine schlechte Alternative, denn um die Ecke herum pfiff ein lausiger Wind. Die einzige Möglichkeit war, sie so gut es ging zu stützen. Dabei war ich so auf die Verletzte in meinem Arm konzentriert, dass ich erst zu spät den Mann bemerkte, der an uns vorbeilief und angewidert den Kopf schüttelte. Es war offensichtlich, was er dachte: Guck dir diese Penner an. Die Frau ist so voll, dass sie nicht mal mehr alleine stehen kann.

Ich hätte ihm hinterherrufen können, ob er uns bitte helfen würde. Aber ich war mir sicher, die Antwort zu kennen, und ersparte uns diese Schmach.

Behutsam setzte ich meinen Schützling auf der Decke ab und holte die Tasche, die sie beim Sturz verloren hatte. Anschließend angelte ich meinen großen Rucksack heran und schob ihn der jungen Frau unter den verletzten Fuß, um den Knöchel etwas höher zu lagern. Bei der kleinsten Bewegung zuckte sie zusammen, und ich rechnete damit, jeden Moment eine gescheuert zu kriegen. Doch nichts dergleichen passierte. Stattdessen lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand und schloss erschöpft die Augen.

„Warte!“, sagte ich und zog vorsichtig meinen zweiten Pullover aus dem Rucksack hervor. „Hier. Den kannst du dir hinter den Rücken stecken, sonst wird es zu kalt da an der Wand.“

Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie groß die Verlockung war, sich daran anzulehnen. Aber spätestens nach fünf Minuten fühlte es sich an, als kuschelte man mit einem Eisblock.

„Danke.“ Sie brachte sich und den Pullover etwas umständlich in die richtige Position, legte den Kopf in den Nacken und starrte die defekte Neonröhre an der Decke an. „Scheiße“, flüsterte sie verzweifelt, und ich sah eine Träne ihre Wange hinabrollen. Von dem überheblichen Mäuschen, das mit Scheuklappen an mir vorbeihastete, war nicht mehr viel übrig geblieben, und wir saßen im wahrsten Sinne des Wortes zusammen am Boden. Doch sie musste dringend hier weg und ärztlich untersucht werden.

„Gib mir mal dein Handy“, forderte ich sie auf. „Du hast doch sicher eins dabei, oder?“

Sie zögerte mit der Antwort, und als ich sie anschaute, entdeckte ich eine nachdenkliche Furche auf ihrer Stirn. „Was willst du damit?“, fragte sie misstrauisch.

„Es dir klauen und damit abhauen natürlich“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und unterdrückte den Drang, sie anzuschreien, dass sie sich ihre verdammten Vorurteile sonst wohin stecken sollte. Ich sah, wie sie unter meiner sarkastischen Spitze zusammenzuckte, und fühlte eine gewisse Genugtuung.

„Nein“, stammelte sie beschämt. „Das wollte ich doch gar nicht ...“

„Vergiss es“, unterbrach ich sie knapp. „Was ist nun? Soll ich dir Hilfe rufen, oder willst du lieber weiter mein gemütliches Plätzchen belagern und vor Schmerzen jaulen?“

„Nein. Ich meine ... das kann ich auch selbst“, widersprach sie trotzig, zog ihr Smartphone aus der Jackentasche und tippte auf dem Display herum. Ihre Finger zitterten allerdings so stark, dass sie es nicht schaffte, die richtigen Zahlen zu treffen, um den Bildschirm zu entsperren.

Einen Moment lang beobachtete ich sie dabei, dann stieß ich genervt die Luft aus und knurrte: „Darf ich?“

Ohne mich anzuschauen, reichte sie mir das Gerät.

„Den Sperrcode musst du mir auch verraten, sonst wird das nichts.“

„2605“, sagte sie leise.

„Und wen willst du anrufen?“ Herrgott, der musste man aber auch alles aus der Nase ziehen.

„Basti.“

Wortlos gab ich die Zahlen ein, entdeckte in der Kontaktliste einen Bastian Sprenger, tippte das Telefonsymbol an und gab ihr das Handy zurück.

„Danke“, nuschelte sie, presste sich das Telefon ans Ohr und nahm es kurz später unverrichteter Dinge wieder herunter.

„Mailbox“, erklärte sie niedergeschlagen. Beim zweiten Versuch schaffte sie es selbst, den Kontakt von wem auch immer aufzurufen, doch das Ergebnis war dasselbe. Entmutigt unterbrach sie die Verbindung, starrte einen Augenblick ratlos auf das Handy und fragte dann zaghaft: „Wen wolltest du anrufen?“

„Den Rettungsdienst“, gab ich sachlich zurück. „Anders kriegen wir dich eh nicht hier weg.“

Ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Nein, Quatsch. Das geht gleich wieder.“

„Pfff“, machte ich, fassungslos über so viel Naivität. „Wenn du mich fragst, ist da wahrscheinlich was gebrochen oder gerissen. Damit wirst du auf keinen Fall weiter rumlaufen.“

Das Mäuschen presste die Lippen aufeinander und verkniff sich jegliche Bemerkung, dass sie mich garantiert nicht danach fragen würde. Die Schmerzen waren anscheinend so stark, dass sie mir resigniert das Smartphone reichte. Ich spürte ihren Blick auf mir, während ich den Notruf wählte und hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie sehr meine eigenen Finger plötzlich bebten. Tief in meinem Unterbewusstsein erwachte eine Erinnerung an das letzte Mal, als ich die 112 gerufen hatte. Als ...

Stopp!!! Konzentrier dich, Tom! Andere Zeit, anderer Ort, andere Situation.

Ich schüttelte mich innerlich und fing mich gerade rechtzeitig wieder, um bei der Notrufzentrale die richtigen Angaben zu machen.

Wenn ich gedacht hatte, dass Madame sich nach diesem Vorfall dazu herablassen würde, mit mir zu reden, hatte ich mich getäuscht. Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, murmelte sie ein leises Danke und nahm das Handy entgegen. Statt es wieder einzustecken, wählte sie erneut eine Nummer und rief bei ihrer Arbeitsstelle an, um Bescheid zu geben, dass sie einen Unfall gehabt hatte und heute nicht kommen würde. Anschließend herrschte Funkstille.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie sie sich mit der linken Hand den rechten Arm hielt. Wie es aussah, hatte er bei dem Sturz ebenfalls etwas abbekommen, was mich ein wenig versöhnte. Möglicherweise war sie doch nicht so abweisend, wie ich dachte, sondern hatte bloß schreckliche Schmerzen. Ich hätte gerne irgendetwas für sie getan, wusste aber nicht was. Kaffee und Kuchen waren momentan leider nicht drin. Ich hatte ja nicht einmal gefrühstückt.

„Du solltest die Jungs wegen fahrlässiger Körperverletzung anzeigen“, bemerkte ich in das Schweigen hinein. „Hier sind überall Schilder, dass man im Tunnel vom Fahrrad absteigen soll.“

„Und was soll das bringen?“, gab sie wenig begeistert zurück. „Die sind doch längst über alle Berge. Oder weißt du etwa, wer die sind?“

„Nein. Aber ich könnte sie zumindest beschreiben. Die kommen öfter hier vorbei.“

Sie schaute mich an, doch als sich unsere Blicke trafen, wandte sie sich schnell ab und brütete ohne ein weiteres Wort still vor sich hin.

„War ja nur ein Vorschlag“, knurrte ich mürrisch, weil sie mich offenbar nicht für voll nahm. Frustriert kratzte ich mich am Kinn, und plötzlich störte es mich, dass ich mich seit Tagen nicht rasiert hatte. Nicht, dass das viel geändert hätte, aber zumindest hätte ich mich besser gefühlt. Der Grat zwischen dem „sozial bedürftigen Menschen“, der ich war, und dem heruntergekommenen Penner, den die Leute in mir sahen, war manchmal verdammt schmal.

Die folgenden Minuten, während wir auf den Rettungsdienst warteten, zogen sich wie Kaugummi in die Länge. Ab und zu kamen ein paar Passanten vorbei und warfen uns neugierige, mitleidige oder abweisende Blicke zu. Alle, bis auf eine. Eine ältere Dame, die einen Einkaufs­trolley hinter sich herzog, blieb kurz stehen und drückte mir mit einem aufmunternden Nicken einen Zwanzigeuroschein in die Hand. Vor Verblüffung vergaß ich beinah, mich zu bedanken.

Nachdem die Frau weitergezogen war, drehte ich mich zu meinem Schützling um, hielt den Schein in die Höhe und sagte: „Du bringst mir anscheinend Glück.“ Und weil ich es mir nicht verkneifen konnte, sie zu provozieren, fügte ich hinzu: „Machen wir fifty-fifty?“

Wenn Blicke töten könnten, wäre mir mein armseliges Dasein anschließend erspart geblieben. In meinem Magen fing es an zu rumoren, und das lag nicht allein an der freudigen Aussicht auf ein Frühstück. Alles in mir drängte, sie weiter herauszufordern und ihr klarzumachen, dass ich ganz bestimmt nicht freiwillig hier saß. Doch im selben Augenblick hielt vor dem Tunnel ein Rettungswagen.

Beim Anblick des leuchtend roten Fahrzeugs schoss mein Puls in die Höhe, aber irgendwie schaffte ich es, die Schreie in meinem Kopf zum Verstummen zu bringen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Einatmen, ausatmen und bloß nicht denken.

Ich machte den Sanitätern Platz und beobachtete, wie einer von ihnen vor der jungen Frau in die Hocke ging und sich mit ruhiger Stimme erkundigte, was passiert war. Sein Kollege rollte eine Trage heran. Während sich die beiden um die Verletzte kümmerten, schaute plötzlich jeder der Passanten hin, was auf meiner schäbigen Decke vor sich ging. Ich hätte zu gerne gewusst, was in ihren Köpfen ablief. Brachten sie das Mäuschen mit meinem Bettelplatz in Verbindung und hielten sie für eine Pennerin? Das würde ihr ganz und gar nicht gefallen. Aber die Wahrscheinlichkeit war größer, dass sie mich als Randgestalt auf einmal wahrnahmen und sich fragten, was ich der armen Frau getan hatte.

Ich schnaubte verächtlich, fuhr mir mit den Händen müde über das Gesicht und hoffte, dass der Spuk so schnell wie möglich vorbei sein würde. Im Stillen verfluchte ich die Fahrradrowdys, die für diese Bescherung verantwortlich waren. Hatte ich nicht genügend eigene Probleme? Da konnte ich es echt nicht brauchen, mich um so einen Scheiß zu kümmern.

Als die Sanitäter die junge Frau zu ihrem Rettungswagen mitnahmen und sie in ihr Fahrzeug schoben, fiel mein Blick auf die Tasche am Boden. Schnell griff ich danach und hastete ans Ende des Tunnels, wo einer der Retter gerade die hinteren Türen schließen wollte.

„Wartet!“, rief ich, reichte ihm die Tasche und musste mich kurz am Fahrzeug abstützen, weil mir schwindelig wurde. Shit! Ich hätte mir heute Morgen wenigstens ein trockenes Brötchen besorgen sollen, statt mit leerem Magen herzukommen und später auf Größeres zu hoffen. Aber ich biss die Zähne zusammen und bemühte mich, mir die Schwäche nicht anmerken zu lassen.

Dem wachsamen Auge des Retters entging jedoch nichts. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er besorgt und duzte mich dabei ganz selbstverständlich – wie so viele. In seinem Fall fand ich das allerdings völlig okay.

„Ja, alles gut“, antwortete ich schnell. „Ich habe nur länger nichts gegessen.“

Der Sanitäter musterte mich einen Augenblick wortlos und forderte mich dann auf, mich vorne in den Rettungswagen zu setzen und den Arm frei zu machen.

„Aber ...“, setzte ich an, doch er ließ mich gar nicht erst ausreden.

„Ich will nur deinen Blutdruck messen und sichergehen, dass du nicht umkippst, sobald wir weggefahren sind. Also setz dich.“

Ergeben ließ ich mich auf dem Beifahrersitz nieder und befreite meinen Arm aus zwei Lagen dünner Jacken und einem Pullover. Prompt fing ich vor Kälte an zu zittern. Verdammter Schlafmangel und Hunger!

„Wie heißt du?“, wollte der Sanitäter wissen, während das Blutdruckgerät meine Werte ermittelte.

„Tom.“

„Okay, Tom. Wo hast du heute Nacht geschlafen?“

Ich schluckte trocken. Jetzt wollte er es aber genau wissen. „Schillerstraße“, antwortete ich verlegen, weil ich davon ausging, dass ihm die Adresse bekannt war.

„Notschlafstelle oder Notunterkunft?“, hakte er nach. Natürlich! Ich hatte nicht bedacht, dass es dort beides gab. Aber wie oft kam es schon vor, dass ein Normalsterblicher überhaupt den Unterschied kannte? Der wusste, dass Notschlafstellen kurzfristige Lösungen waren, wo man mit zig anderen auf engstem Raum zusammengepfercht wurde und die man spätestens nach ein paar Wochen wieder verlassen musste. Dagegen waren die Notunterkünfte angenehmer und für länger.

„Notschlafstelle“, nuschelte ich. „In meiner Unterkunft gab es neulich ein Problem, und meinen Sozialarbeiter kann ich zurzeit nicht erreichen.“

Keine Ahnung, warum ich ihm das erzählte. Vielleicht, weil er so etwas Vertrauenerweckendes an sich hatte.

Das Blutdruckgerät piepte. „Etwas niedrig, aber noch im Rahmen.“ Der Sanitäter nahm mir die Manschette ab und kontrollierte dabei nicht sehr unauffällig meine Armbeuge auf Einstichstellen, die er jedoch nicht finden würde.

„In welcher Unterkunft warst du vorher?“, wollte er wissen, während ich mich wieder anzog und aus dem Wagen stieg.

„Bismarckstraße.“

Er sah mich an, verschwand dann wortlos mit dem Oberkörper im Fahrzeug und tauchte mit einer Brötchentüte und einer Visitenkarte in der Hand wieder daraus auf.

„Das sind die Kontaktdaten eines Freundes, der als Streetworker arbeitet. Auf der Rückseite findest du seine Bürozeiten. Das sind allerdings nur ein paar Stunden in der Woche, denn die meiste Zeit ist er auf der Straße unterwegs. Geh dorthin und sag, Moritz schickt dich. Dann wird er dir weiterhelfen.“

Verblüfft nahm ich das Pappkärtchen entgegen. „Danke“, stammelte ich, völlig überfordert von dieser unverhofften Hilfe. Und der Sanitäter setzte sogar noch einen drauf, indem er mir seine Brötchentüte entgegenstreckte.

„Vorher solltest du unbedingt etwas essen. Nimm das fürs Erste. Meine Pause fällt eh grad aus, und ich besorge mir dann nachher was Neues.“

Ich starrte erst die Tüte und dann ihn überrascht an und wäre am liebsten im Boden versunken. Ich sollte dem Retter sein Pausenbrot wegfuttern? Doch ich wusste, dass Protest zwecklos sein würde, besonders als sich mein knurrender Magen in die Unterhaltung einmischte. Beschämt griff ich zu und gab ein weiteres kleinlautes „Danke“ von mir.

Der Sanitäter klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und öffnete die Seitentür des Rettungswagens, um endlich den Job zu machen, wegen dem er eigentlich hier war. Für einen kurzen Moment hatte ich freie Sicht in das Innere. Dort wandte das Mäuschen gleichzeitig den Kopf, um zu schauen, was schräg hinter ihr passierte. Diesmal schreckte sie nicht sofort vor mir zurück, sondern sah mich zum ersten Mal wirklich an. Sie schien nicht überrascht zu sein, dass ich noch da war, und ich fragte mich, wie viel sie von dem mitbekommen hatte, worüber dieser Moritz mit mir gesprochen hatte. Nichts an ihrem Blick ließ erkennen, was sie dachte oder fühlte, aber zumindest die grundsätzliche Abneigung gegen mich war daraus verschwunden.

Hinter mir erklang ein aufforderndes Räuspern.

„Alles Gute für den Fuß“, rief ich der jungen Frau zu, doch eine Antwort hörte ich nicht mehr, falls es eine gab.

Der Sanitäter stieg ein, redete kurz mit seinem Kollegen, kam wieder hervor und schloss die Tür. Bevor er um das Fahrzeug herumging, warf er mir einen prüfenden Blick zu und sagte mit ernster Miene: „Pass auf dich auf! Nicht, dass wir beim nächsten Mal dich aufsammeln müssen.“

Ich nickte verlegen und beobachtete, wie er sich ans Steuer setzte und losfuhr. Nachdenklich schaute ich dem Rettungswagen hinterher, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden war, und schüttelte verwundert den Kopf. Die ganze Szene kam mir so surreal vor. Aber die Brötchentüte und Visitenkarte in meiner Hand waren genauso echt wie die zerwühlte Decke und der Pullover auf dem Boden des Fußgängertunnels.

Gedankenverloren packte ich meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg, um mir einen heißen Kaffee zu besorgen und einen Platz zum Frühstücken zu suchen. Als ich schließlich mit einem erleichterten Seufzen in das Brötchen biss, spukte mir weiterhin dieser eindringliche Blick der jungen Frau im Kopf herum. Aber wahrscheinlich würde ich sie sowieso nie wiedersehen, denn bis sie wieder richtig laufen und zur Arbeit gehen konnte, hatte ich meinen Bettelposten hoffentlich längst nicht mehr nötig. Und trotzdem fragte ich mich, wie die nächste Begegnung mit ihr ablaufen würde. Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, dass sie in Zukunft nicht mehr an mir vorbeihuschen würde, als gäbe es mich nicht. Aber sicher war ich mir nicht.

Rieke

Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals solche Schmerzen gehabt zu haben. Wenn ich den Fuß still hielt, war es okay, aber bei der kleinsten Bewegung hätte ich an die Decke gehen können. Nur wegen dieser rücksichtslosen Jungs auf ihren Fahrrädern. Und dann musste das Ganze ausgerechnet vor der Nase dieses Bettlers passieren. Ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, als ich dort neben ihm auf dem schäbigen Schlafsack gesessen hatte, als gehörte ich dazu.

Erst später, in der Sicherheit und Wärme des Rettungswagens und geschützt vor den Blicken der Passanten, wurde mir bewusst, was er für mich getan hatte. Er hätte mich auch dort liegen lassen können, an der zugigen Ecke auf dem kalten, nassen Boden der Unterführung. Aber egal, wie zickig ich gewesen war, er hatte unbeirrt damit weitergemacht, sich um mich zu kümmern und mir Hilfe zu rufen. Wenn ich mich schämen musste, dann für mein eigenes peinliches Verhalten. Beinah hätte ich ihn sogar von mir gestoßen, weil ich vollkommen naiv gedacht hatte, dass er unglaublich stinken würde und wer weiß was für Krankheiten an sich hatte vom Leben auf der Straße. Dabei war das Gegenteil der Fall. Er roch vielleicht nicht gerade frisch geduscht, aber sonst ganz normal. Und seine Kleidung schien auch vor nicht allzu langer Zeit gewaschen worden zu sein. Einzig seine ungeschnittenen Haare, die ihm strähnig in die Stirn fielen, sowie seinen Fünf-bis-sechs-Tage-Bart konnte man ihm als Zeichen seiner Verwahrlosung vorwerfen. Und die Tatsache, dass er für seine Körpergröße zu mager war. Da war nicht viel gewesen, woran ich mich festhalten konnte, während er mich gestützt hatte, um zu seinem Platz rüberzuhumpeln. Der Sanitäter hatte ihm anscheinend sogar sein Brötchen geschenkt, weil er vor Hunger schwächelte.

Mir wurde immer elender zumute. Hatte ich wirklich so vorschnell geurteilt und ihn in eine Schublade gesteckt, in die er nicht passte? Bettelte er etwa gar nicht für Alkohol oder Ähnliches, sondern war so sehr in Not, dass er nicht einmal etwas zu essen hatte?

In meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos, sodass ich es völlig verpasste, mich bei ihm zu bedanken. Und nachdem ich mir in den letzten Tagen gewünscht hatte, dass er verschwinden würde, hoffte ich jetzt darauf, dass er noch da wäre, wenn ich wieder zur Arbeit gehen konnte. Wann immer das sein würde, denn die Schmerzen im Fuß verhießen nichts Gutes.

Ich beantwortete dem Sanitäter ein paar Fragen zu meinen persönlichen Daten und kramte die Krankenversichertenkarte aus dem Portemonnaie hervor. Währenddessen ging mir der Bettler nicht aus dem Kopf. Bevor wir von der Tür des Rettungswagens getrennt wurden, hatte ich ihn zum ersten Mal richtig angesehen und festgestellt, dass er weit jünger sein musste, als ich gedacht hatte. Vielleicht Mitte oder Ende dreißig und demnach kaum älter als ich. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schock. Was hatte so ein junger Kerl auf der Straße zu suchen? Waren das nicht normalerweise alte Männer, die keine andere Perspektive mehr hatten?

Ein stechender Schmerz schoss mir durch den Knöchel, als der Rettungswagen durch ein Schlagloch fuhr. Ich zog zischend die Luft ein und biss mir auf die Unterlippe.

Ganz ruhig, Rieke! Denk an was anderes und atme tief ein und aus!

Das war leichter gesagt als getan, doch als der Schmerz etwas nachließ, wanderten meine Gedanken von alleine zurück zu dem Mann in der Unterführung. Und ehe ich wusste, was ich tat, hörte ich mich sagen: „Dieser Bettler vorhin ... haben Sie öfter mit dem zu tun? Sie scheinen sich ganz gut zu kennen.“

Der Sanitäter schaute von seinem Tablet auf, in das er meine Daten eingegeben hatte, und antwortete: „Tom? Nein. Nicht persönlich jedenfalls. Ich weiß nur von meinen Kollegen, dass er seit ein paar Monaten in der Stadt ist und schon öfter unsere Hilfe gebraucht hat, weil er mit ein paar Problemen zu kämpfen hat.“

„Nimmt er Drogen?“, entschlüpfte es mir. Gleich darauf hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen, als mir klar wurde, dass das wahrscheinlich ebenfalls ein typisches Vorurteil war.

Und wie erwartet erwiderte der Mann vom Rettungsdienst: „Nein, auf den ersten Blick nicht. Aber es ist leider die gängige Meinung der Leute, dass alle Obdach- bzw. Wohnungslosen Alkoholiker oder Junkies sind oder im schlimmsten Fall beides.“

Ich senkte ertappt den Blick und wurde im selben Moment von einer erneuten Schmerzwelle abgelenkt.

„Aber so ist es nicht?“, hakte ich mit etwas Verzögerung nach, weil es mich plötzlich wirklich interessierte.

„Nein. Für viele mag das vielleicht zutreffen, aber selbst dann hat es oft seine Gründe“, erklärte er. „Diese Menschen verlieren meist nicht ihren Job und ihre Wohnung, weil sie abhängig sind, sondern es ist eher andersrum. Durch einen Schicksalsschlag verlieren sie alles und landen auf der Straße. Und das Leben dort ist hart, weshalb viele resignieren und es ohne Alkohol oder andere Betäubungsmittel irgendwann nicht mehr aushalten.“

„Hmmm“, murmelte ich und musste das Gehörte erst mal sacken lassen. Anschließend fragte ich zögernd: „Und dieser Tom? Er ist doch gar nicht so alt, oder? Warum sitzt er auf der Straße und bettelt, statt sich um seine Probleme zu kümmern?“

Der Sanitäter musterte mich etwas irritiert, sodass ich beschämt den Blick senkte und meine dumme Frage sofort bereute. Erstens unterstellte ich dem Bettler damit unterschwellig schon wieder etwas, wozu ich absolut kein Recht hatte, und zweitens ... woher sollte der Mann vom Rettungsdienst das wissen, wenn er Tom gar nicht kannte?

„Er wird seine Gründe dafür haben“, sagte er ohne den geringsten Vorwurf in der Stimme. „Und wenn man erst einmal in diese Abwärtsspirale reingerät, ist es schwer, da wieder rauszukommen. Aber wir können diesen Menschen leider nur helfen, wenn sie dazu bereit sind, sich helfen zu lassen.“

„Und das ist er nicht?“, wollte ich nachhaken, aber natürlich konnte er die Antwort darauf ebenfalls nicht kennen.

Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe und fragte mich, was die Geschichte von diesem Tom war. Lebte er komplett auf der Straße? Oder bettelte er allein aus dem Grund, um sich ein wenig zu seiner Sozialhilfe, oder was immer er bekam, hinzuzuverdienen? Der Schlafsack und der große Rucksack deuteten allerdings auf Ersteres hin.

„Sprechen Sie mit ihm, wenn Sie ihn wiedersehen“, unterbrach der Sanitäter meine Gedanken, als hätte er mir geradewegs in den Kopf geguckt. „Er wird Ihnen sicher ein bisschen aus seinem Leben erzählen, denn nichts ist für diese armen Seelen schlimmer, als ignoriert und wie Luft behandelt zu werden.“

Wenn das ein Zaunpfahl sein sollte, traf er sein Ziel mit der Wucht einer ganzen Gartenumrandung. Ich erstarrte innerlich und spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht schoss.

„Na, das wird ja wahrscheinlich nicht so bald sein“, gab ich ausweichend zurück und deutete zur Erklärung auf meinen schmerzhaft pochenden Knöchel.

„Erst mal abwarten“, beruhigte er mich. „Vielleicht ist es bloß eine Verstauchung. Aber das werden die Ärzte gleich schnell herausfinden.“

Ich wollte ihm gerne glauben, doch die Realität war leider eine andere. Es fing damit an, dass „gleich“ ein äußerst dehnbarer Begriff war. Da ich keine lebensbedrohliche Verletzung hatte, wurde ich zunächst in einem Rollstuhl in den Wartebereich geschoben, wo ich geschlagene drei Stunden ausharren musste. In der Zwischenzeit versuchte ich erneut, Basti zu erreichen, und war erleichtert, dass er diesmal sofort an sein Handy ging und versprach, so bald wie möglich zu kommen.

Als ich endlich an der Reihe war, wurden Röntgenaufnahmen von meinem Knöchel gemacht. Gebrochen war zum Glück nichts, aber der Arzt in der Notaufnahme vermutete einen Bänderriss. Für ein MRT musste allerdings erst die Schwellung abklingen. Deshalb legte er den Fuß mit einer Orthese, die fast bis zum Knie reichte, still und beschwor mich, in den nächsten zwei Wochen nicht damit aufzutreten, sondern mich ausschließlich mit den verordneten Gehhilfen fortzubewegen.

Niedergeschlagen humpelte ich mit Basti zum Auto. Jeder Schritt schmerzte, weil die Krücken gegen die Prellung am Arm drückten. Ich wollte bloß nach Hause, mich auf meinem Sofa in eine Decke kuscheln und nicht mehr von der Stelle rühren. Dummerweise mussten wir vorher jedoch noch beim Hausarzt vorbei, um eine Krankmeldung zu holen, und die Treppen zu unserer Wohnung im ersten Stock bewältigen.

Wir brauchten drei Anläufe, bis wir den Dreh raushatten, wie Basti mich stützen musste, damit ich auf dem gesunden Fuß hüpfend die Stufen raufkam. Während ich mich an seiner sportlich-muskulösen Taille festklammerte, wanderten meine Gedanken für einen kurzen Augenblick zurück zu dem mageren Bettler. Dann forderte die Treppe meine volle Konzentration.

Oben angekommen liefen mir nicht nur Schweißperlen den Rücken runter, sondern auch die Tränen übers Gesicht. Von der Anstrengung und den Schmerzen, aber vor allem von der bitteren Erkenntnis, dass unsere Wohnung für die nächsten Wochen mein Gefängnis war.

Basti, der gerade seinen Schlüssel aus der Hosentasche gezogen hatte und die Tür aufschließen wollte, bremste mitten in der Bewegung ab, hob die Hand und wischte mir zärtlich die Wangen trocken. „Was ist los? Hast du solche Schmerzen?“

„Nein ... ja ... auch“, stammelte ich. „Es ist nur ... Wie soll das hier funktionieren, wenn ich in nächster Zeit nichts machen kann und es höchstens vom Sofa bis zum Klo schaffe?“ Hilflos deutete ich auf die Krücken und warf ihm einen verzweifelten Blick zu.

„Hey“, sagte er liebevoll. „Wir kriegen das hin. Und ehe du dich versiehst, springst du wieder rum wie ein junges Reh.“

Ich zog schniefend die Nase hoch und zwang mich zu einem Lächeln. „Schön wär’s.“

„Na komm. Lass uns reingehen, und dann ruhst du dich schön mit einer Tasse Tee und deinem Schmöker auf dem Sofa aus, bis ich nachher zurückkomme.“

„Musst du noch mal los?“, fragte ich erschrocken.

Basti machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ja, tut mir leid. Ich habe heute Nachmittag einen wichtigen Termin mit einem Kunden, den ich nicht absagen konnte. Und es war leider auch nicht möglich, ihn an jemand anderen abzugeben.“

„Okay“, flüsterte ich geknickt. Mir war klar, dass mein Freund arbeiten musste und mich nicht schlagartig rund um die Uhr bemuttern konnte. Besser, ich gewöhnte mich gleich daran. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, wenigstens heute nicht mehr alleine zu sein.

„Ruf doch Jasmin an“, schlug Basti vor. „Hast du nicht erzählt, dass sie diese Woche Urlaub hat?“

„Hmhmm.“ Vom Sofa aus beobachtete ich, wie er in der Küche mit dem Wasserkocher hantierte und im Schrank nach dem Tee suchte. „In der Box neben dem Messerblock!“, rief ich ihm zu und fragte mich, wie es sein konnte, dass er das nach zwei Jahren immer noch nicht wusste.

Weil die Küche bisher allein dein Revier war, gab ich mir selbst die Antwort. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass uns in den kommenden Wochen eine echte Herausforderung bevorstand, denn wenn Basti eins überhaupt nicht konnte, dann war es kochen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, bemerkte er auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer: „Ich rufe nachher Svenja an und frage sie, ob sie mir das restliche Curry einpackt. Dann ist sie es los und du brauchst dich wenigstens nicht mehr ums Essen zu kümmern.“

Ich lachte überrascht auf. „Nee, wie auch?“, erwiderte ich mit leisem Spott. „Ich fürchte, da werden wir uns echt was überlegen müssen.“

Basti verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln und erklärte unbeschwert: „Wir werden schon nicht verhungern. Eine Tiefkühlpizza kriege ich auch hin.“

„Oh, toll“, murmelte ich wenig begeistert.

Er beugte sich lachend zu mir herunter und küsste mich. „Hast du alles, was du brauchst? Dann fahre ich jetzt zurück ins Büro. Umso früher kann ich nachher zurück sein.“

Das glaubte auch nur er. Mein Freund war ein Workaholic, der sich oft schwer von seinen IT-Projekten in der Firma trennen konnte. Doch ich verkniff mir jeglichen Kommentar und nickte.

Basti strich mir zärtlich eine Haarsträhne von der Wange, gab mir einen letzten Kuss und ging. Plötzlich war die Wohnung viel zu leer. Normalerweise hatte ich kein Problem damit, alleine zu sein. Doch heute erdrückte mich diese Stille und ich griff zum Handy, um meine beste Freundin anzurufen und ihr zu erzählen, was passiert war. Gleichzeitig schweiften meine Gedanken wieder zu dem Bettler. Was er wohl gerade machte? Ob er immer noch dort in der kalten Unterführung saß oder sich mittlerweile ein wärmeres Plätzchen gesucht hatte?

Auf einmal wurde mir klar, was für Luxusprobleme ich doch hatte. Tiefkühlpizza statt frisch gekochtem Essen? Ans Haus gefesselt, statt draußen herumlaufen zu können? Eine neue Wohnung mit schicken Tapeten statt meiner in die Jahre gekommenen Behausung? Was war ich doch für eine verwöhnte Prinzessin! Andere wären froh, wenn sie überhaupt eine Pizza oder ein Dach über dem Kopf hätten.

Eine knappe Stunde später kam meine Freundin mit Einkaufstaschen beladen bei mir an und marschierte direkt durch in die Küche, während ich umständlich zurück ins Wohnzimmer humpelte. Ich hatte sie gebeten, mir ein paar Dinge zu besorgen, mit denen Basti garantiert heillos überfordert wäre. Ich wollte mir lieber gar nicht vorstellen, wie mein Freund vor dem Regal mit den Tampons verzweifelte, und bekam allein beim Gedanken daran einen Lachanfall.

Wie es aussah, hatte Jasmin sogar mehr gekauft, als ich ihr aufgetragen hatte. „Seelenfutter“, erklärte sie augenzwinkernd und stellte einen Teller mit portugiesischen Puddingtörtchen vor mir auf den Tisch.

„Oh, du bist ein Schatz“, seufzte ich glücklich. „Kommst du jetzt jeden Tag vorbei?“

Jasmin lachte. „Klar. Aber glaub bloß nicht, dass ich dir jedes Mal diese Dinger mitbringe. Ich will nicht schuld sein, wenn du nach ein paar Wochen ohne Bewegung kugelrund bist.“

Ich gab ein unwilliges Murren von mir. „Erinnere mich nicht daran.“

„So schlimm?“, fragte sie mitfühlend.

„Schlimmer“, bekräftigte ich, und nachdem sie uns einen Cappuccino aus Bastis Hightech-Kaffeemaschine gezaubert hatte, machten wir es uns gemütlich, und ich berichtete ihr ausführlich, was mir am Morgen widerfahren war.

„Wow“, meinte sie, gleichermaßen erschüttert und beeindruckt. „Und da war echt nur dieser Typ, der dir geholfen hat?“

Ich dachte nach und nickte langsam. „Zuerst ja. Und die, die danach vorbeigekommen sind, dachten wahrscheinlich, dass wir zusammengehören.“

„Uhhh.“ Jasmin zog eine Grimasse und schüttelte sich. „Vor dem Bahnhof lungert auch immer so ein Kerl rum, der jeden anschnorrt. Der ist total dreckig und stinkt nach Alkohol. Wenn ich mir vorstelle, dass der mich anfassen würde ... brrr.“

„Nein, so ist Tom nicht“, verteidigte ich meinen Retter und verdrängte den Gedanken daran, dass meine erste Reaktion nicht anders gewesen war.

„Tom?“, sagte meine Freundin erstaunt. „Du kennst sogar seinen Namen?“

Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache, dabei wunderte ich mich selbst darüber, wie selbstverständlich mir sein Name über die Lippen gekommen war. „Der Rettungssanitäter hat es erwähnt.“

„Aha. Ja, und? Erzähl! Wie ging es dann weiter?“

Mit großen Augen hörte Jasmin mir zu, und ich konnte ihr am Gesicht ablesen, was sie dabei dachte. Sie war für mich schon immer ein offenes Buch gewesen und schaffte es nie, ihre Emotionen vor mir zu verbergen. Sei es das kritische Stirnrunzeln über Toms Sarkasmus, das empörte Schnauben über seinen Vorschlag, den erbettelten Zwanziger zu teilen, oder das mitleidige Seufzen, als ich ihr von der gespendeten Brötchentüte des Sanitäters erzählte.

„Verrückt“, fasste sie meinen Bericht zusammen. „Aber Hauptsache, dir ist nichts Schlimmeres passiert.“

Damit war die Sache für sie offenbar erledigt, und wir wandten uns anderen Themen zu. Doch kaum, dass meine Freundin nach Hause gefahren war, holte mich der Vorfall in der Unterführung wieder ein. Ich musste daran denken, was mir der Sanitäter über Tom erzählt hatte, und an das, was Jasmin über den Kerl am Bahnhof gesagt hatte. Beide waren offenbar obdachlos oder zumindest bedürftig, doch unterschiedlicher hätten sie kaum sein können. Alles in mir kribbelte vor Ungeduld, weil ich plötzlich mehr wissen und mich vor allem für mein mieses Verhalten entschuldigen wollte. Doch die Schmerzen im Fuß erinnerten mich hartnäckig daran, dass daraus so bald nichts werden würde.

Niedergeschlagen hielt ich Ausschau nach der Packung mit den Schmerztabletten und stöhnte auf, als mir bewusst wurde, dass Basti sie in der Küche liegen gelassen hatte. Gezwungenermaßen kämpfte ich mich erneut vom Sofa hoch und humpelte hinüber.

Die Medikamente lagen auf dem Küchentisch, zusammen mit der Krankmeldung. Mist! Die hätte Basti direkt mit zum Postkasten nehmen können.

Erschöpft ließ ich mich auf einen Küchenstuhl fallen und streckte die Krücken und den eingeschienten Fuß von mir. War es wirklich erst ein paar Stunden her, seit ich hier wie jeden Morgen mit Basti gesessen und gefrühstückt hatte? Es kam mir vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen. Sechs bis acht Wochen Zeit für die Heilung hatte mir der Arzt prophezeit, wenn sich sein Verdacht auf einen Bänderriss bestätigen sollte. Und mir fiel bereits jetzt die Decke auf den Kopf.

Den Rest des Tages dämmerte ich von den Schmerzmitteln benebelt auf dem Sofa vor mich hin, bis Basti gegen halb sieben nach Hause kam. Und er hatte nicht nur das Essen mitgebracht, sondern Svenja und Kai gleich mit dazu. Nachdem sie gehört hatten, was passiert war, hatten sie sich zu einem spontanen Krankenbesuch entschlossen.

„Hey, du Arme, was machst du denn für Sachen?“, begrüßte Svenja mich mit einer gut gemeinten Umarmung, bei der sie schmerzhaft gegen die Prellung an meinem Arm stieß.

Ich sog zischend die Luft ein.

„Oh nein, sorry!“, rief sie erschrocken und behandelte mich den Rest des Abends wie ein rohes Ei. Es fehlte eigentlich nur, dass sie mich fütterte.

Ihr Curry schmeckte wie immer unglaublich lecker, und trotzdem bekam ich kaum etwas davon hinunter. Unsere Freunde hatten wie erwartet bereits zu Hause gegessen, um Kai kein aufgewärmtes Essen zumuten zu müssen. Prompt wurde wieder darüber gelästert, doch mir war heute gar nicht danach, dabei mitzumachen.

„Andere wären froh, wenn sie überhaupt etwas Warmes zu essen hätten.“

Svenjas Lachen verstummte, und Basti warf mir einen überraschten Blick zu. Upps! Hatte ich das etwa laut ausgesprochen? Natürlich wusste ich, woher dieser Einwand kam, war allerdings selbst erstaunt, wie sehr dieser Tom plötzlich die Kontrolle über meine Gedanken übernommen hatte.

Kai gab ein verzweifeltes Stöhnen von sich. „Jetzt fang du nicht auch noch von den Kindern in Afrika an. Das musste ich mir lange genug von meiner Mutter anhören.“

Svenja gluckste amüsiert, und Basti sah aus, als wollte er seinem Kumpel ein High-Five geben für diesen geilen Spruch.

In mir dagegen regte sich der Widerstand, und ich konterte trotzig: „Wer redet denn von Afrika? So weit brauchst du dafür gar nicht zu gehen.“

„Oh, oh. Da hat aber jemand schlechte Laune heute“, bemerkte Kai grinsend.

Ich gab ein verächtliches Schnauben von mir, griff nach den Krücken und rappelte mich mühsam vom Küchenstuhl hoch. Während ich mich umdrehte und zurück ins Wohnzimmer humpelte, spürte ich die irritierten Blicke der anderen in meinem Rücken.

„Lass sie“, hörte ich Basti sagen. „Rieke hatte einen Scheißtag und muss den Schreck erst mal verdauen.“

Wenn es doch so einfach wäre. Aber zumindest war das Thema damit erledigt, und die Männer wandten sich ihren Fußballwetten zu.

Erst später im Bett kam mein Freund auf meine seltsame Reaktion zurück und sagte: „Was war da vorhin los beim Essen?“

„Ich weiß nicht“, versuchte ich mich zögernd an einer Erklärung. „Ich muss immer an diesen Bettler denken, der mir geholfen hat. Es kann doch nicht sein, dass so jemand wirklich nichts hat und auf der Straße lebt, oder?“

„Daran ist er wahrscheinlich selbst schuld“, erwiderte Basti ungerührt. „Ich meine, wir leben in einem Sozialstaat. Da kriegst du doch immer von irgendwoher Geld und Unterstützung. Es sei denn, du hast keinen Bock und verweigerst jedes Jobangebot oder andere Vorgaben.“

„Hm.“ Ich runzelte nachdenklich die Stirn. „So schätze ich ihn eigentlich gar nicht ein.“

„Du kennst ihn doch überhaupt nicht“, bemerkte er skeptisch.

„Nein. Aber ... Ich weiß nicht ... Es ist nur so ein Gefühl.“

„Ach Rieke.“ Basti drehte sich auf die Seite und strich mir liebevoll mit der Hand über die Wange. Viel mehr Nähe war wegen meiner Verletzungen leider nicht drin. Sanft hob er mit dem Finger mein Gesicht an und küsste mich. „Vergiss den Typen. Es ist nett, dass er dir geholfen hat, aber mit seinem Leben muss er selbst klarkommen. Du hast grad deine eigenen Sorgen.“

Ich schmiegte mich, so weit es ging, an ihn und schwieg einen Augenblick. Dann sagte ich in die Stille hinein: „Ich habe mich nicht einmal bei ihm bedankt.“

„Damit wird er schon klarkommen.“

„Er vielleicht. Aber ich fühle mich so mies dabei“, erklärte ich. „Schlimm genug, dass ich ihn vorher die ganze Zeit wie Luft behandelt habe.“

„Und was willst du jetzt tun?“, erwiderte Basti. „Ich fürchte, es wird schwierig, einem Obdachlosen eine Danksagungskarte zu schicken.“

Im Dunkeln konnte ich leider nicht erkennen, ob er das ernst meinte oder sich über mich lustig machte. Mir lag eine empörte Antwort auf der Zunge, doch letztlich hatte er ja recht. Im selben Moment fiel mir etwas anderes ein.

„Apropos“, sagte ich. „Die Krankmeldung muss noch zum Verlag. Kannst du die morgen bitte wegschicken?“

„Hmhmm“, machte er. „Ich bin ab Mittwoch für ein paar Tage im Stadtbüro und kann sie auch direkt abgeben. Schneller ist die Post ja auch nicht.“

„Oder so“, stimmte ich zu. Dann hatte ich eine Idee und fügte zögernd hinzu: „Sag mal, dann parkst du doch am Busbahnhof, oder?“

„Ja, wieso?“

„Könntest du dann vielleicht mit dem Bettler sprechen und dich in meinem Namen bedanken? Um die Uhrzeit müsstest du ihn eigentlich in der Unterführung antreffen, da war er zuletzt immer dort.“

Basti gab ein unwilliges Brummen von sich. „Meinst du nicht, dass du das lieber selbst machen solltest? Kommt doch auf einen Tag nicht an, wenn er ständig da sitzt.“

Beinah hätte ich gelacht. Ein Tag? Der war lustig. Wir redeten hier von sechs bis acht Wochen. Aber ich spürte seinen Widerwillen und wusste, dass Diskutieren zwecklos war.

„Und wenn ich ihm ein paar Zeilen schreibe und du ihm einfach den Zettel gibst?“, schlug ich deshalb vor.

„Wenn es dir so wichtig ist“, seufzte er.

Ja, das war es. Weil ich es hasste, wenn jemand ungerecht behandelt wurde, und ich leider viel zu spät bemerkt hatte, dass ich genau das getan hatte. Da waren ein Dankeschön und eine Entschuldigung das Mindeste, was ich tun konnte. Ich war allerdings nicht sicher, ob Basti das verstehen würde, deshalb sparte ich mir eine Erklärung und beschränkte mich auf ein: „Danke.“

Ich beugte mich zu ihm rüber und küsste ihn, woraufhin er mich liebevoll an sich ziehen wollte. Damit war mein verletzter Arm leider überhaupt nicht einverstanden und protestierte mit einem stechenden Schmerz. Fluchend rollte ich mich wieder auf den Rücken und ahnte, dass diese Nacht alles andere als erholsam werden würde.

Nachdem Basti am nächsten Morgen zur Arbeit aufgebrochen war, richtete ich mich mit Schreibblock und Stift bewaffnet auf dem Sofa ein und zermarterte mir stundenlang das Hirn darüber, was ich dem Bettler schreiben sollte. Es gab so viel mehr als ein Danke, was ich ihm sagen wollte, aber mir fehlten die passenden Worte, um zu erklären, warum ich mich so idiotisch verhalten hatte. Ich konnte es ja selbst kaum begreifen. Stattdessen tappte ich gleich in das nächste Fettnäpfchen, als ich überlegte, was wäre, wenn er gar nicht lesen konnte.

So ein Schwachsinn! Natürlich konnte er das. Er war vielleicht arm, aber das hatte doch nichts mit seinen Fähigkeiten zu tun. Ich musste echt an meinen Vorurteilen arbeiten.

Also, auf ein Neues: Lieber Tom ...

Zumindest wusste ich seinen Namen, das war einfacher, als „Lieber Unbekannter“ oder so etwas zu schreiben. Und wie weiter?

Danke für deine Hilfe gestern und sorry, dass ich so blöd zu dir war, aber woher hätte ich denn wissen sollen, dass nicht alle Bettler ein paar stinkende und alkoholsüchtige Penner sind? Na ganz bestimmt nicht.

Ich stieß geräuschvoll die Luft aus, fuhr mir erschöpft mit der Hand über die Stirn und brütete weiter. Mir bereitete es doch sonst keine Probleme, Texte zu formulieren. Warum war das hier dann so schwer? Genervt schloss ich die Augen und rief mir jede Einzelheit vom Vortag noch einmal ins Gedächtnis. Besonders der letzte Blick dieses Bettlers, bevor der Sanitäter die Tür vom Rettungswagen geschlossen hatte, war bei mir hängen geblieben. Dunkelbraune Augen voller Melancholie, die in totalem Gegensatz zu seinem triefenden Sarkasmus stand. Und plötzlich war ich mir sicher, dass er weder bösartig noch nachtragend sein würde, solange ich ehrlich zu ihm war.

Ich atmete tief durch, fing an zu schreiben, und auf einmal flossen die Worte wie von selbst aus mir heraus.

Entschlossen faltete ich den Zettel zusammen, humpelte rüber zum Schreibtisch, um ihn in einen Umschlag zu stecken, klebte ihn zu und war mit mir zufrieden. Jetzt musste Basti den Brief morgen bloß noch an den Bettler übergeben, und dann hatte ich zumindest fürs Erste meinen Seelenfrieden zurück. Alles Weitere musste warten, bis ich selbst wieder laufen konnte.

Kurz überlegte ich, ob ich auf den Umschlag seinen Namen schreiben sollte, entschied mich aber dagegen. Entweder traf Basti Tom an und drückte ihm den Brief direkt in die Hand, oder es gab sowieso keine Möglichkeit, ihn loszuwerden. Aber er war in den letzten Tagen immer da gewesen. Warum sollte es dann ausgerechnet morgen nicht so sein?

Guter Dinge ließ ich mich zurück aufs Sofa plumpsen und griff nach dem Tablet auf dem Tisch, um ein bisschen zu lesen. Ich öffnete eins der beiden Manuskripte, die mir meine Kollegin zum Korrekturlesen geschickt hatte. So konnte ich mich wenigstens ein bisschen nützlich machen, während ich im Verlag ausfiel. Das war zwar eigentlich nicht mein Job im Vertrieb, aber für einen letzten prüfenden Blick, ob die Korrekturen richtig eingearbeitet worden waren, mussten wir alle herhalten. Und mir kam diese Aufgabe trotz Krankschreibung sehr gelegen, denn der Tag war lang, und ich musste mich dringend mit irgendetwas ablenken. Außerdem freute ich mich schon auf den neuen Regionalkrimi einer meiner Lieblingsautorinnen bei uns im Programm.

Am späten Nachmittag kamen meine Eltern vorbei und brachten einen Auflauf mit, den meine Mutter für das Abendessen vorbereitet hatte. Außerdem hatte sie meinen Lieblingseintopf gekocht, den ich mir auf Vorrat einfrieren konnte.

„Du bist die Beste!“, bedankte ich mich bei ihr und warf ihr vom Sofa aus eine Kusshand zu.

Auch Basti wirkte erleichtert, als er nach Hause kam, und freute sich sehr, dass der Auflauf für den nächsten Tag gleich mit reichte. Ich zwickte ihn liebevoll in die Seite und sagte: „Gewöhn dich lieber nicht daran. Mama hatte heute zufällig frei, aber wenn sie arbeiten muss, wird das nichts mit Essen auf Rädern.“

Er stieß ein theatralisches Seufzen aus und meinte: „Dann also doch Tiefkühlpizza.“

Ich zog eine Grimasse, woraufhin er sich zu mir rüberbeugte, mich küsste und an meinen Lippen nuschelte: „Es gab mal Zeiten, da haben dir Luft und Liebe gereicht.“

„Aber nicht sechs bis acht Wochen lang“, gab ich lachend zurück.

Basti riss entsetzt die Augen auf. „Aber irgendwann kannst du doch auch vorher wieder rumlaufen und was machen, oder?“

„Der Arzt hat fürs Erste von zwei Wochen gesprochen. Was danach kommt, weiß ich nicht.“