Die großen Western 158 - G.F. Barner - E-Book

Die großen Western 158 E-Book

G. F. Barner

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Beschreibung

Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Es ist Roscoe, als wäre die Nacht voller Augen, die ihn beobachten. Das Gefühl ist seit einigen Stunden da. Und wenn er sich auch hundertmal oder noch öfter umgesehen hat, er kann dennoch keinen Menschen sehen, der hinter ihm her ist. Das Feuer, das Roscoe absichtlich klein hält, wird erlöschen, wenn kein Holz nachgelegt wird. Es knackt und knistert. Und Roscoe, der auf den Knien vor seiner Pfanne kauert, die er über die beiden Steinplatten gestellt hat, blickt sich wieder um. Das verdammte Gefühl, einen Verfolger im Rücken zu haben, sitzt zu tief, als dass es Roscoe verlassen könnte. Er steht auf. Er nimmt die Pfanne vom Feuer, geht dann, sein Gewehr am Feuer lassend, auf die Senke zu und hält hinter den ersten Büschen an. Die Nacht ist kühl, Roscoe fröstelt leicht. Er bückt sich, um nach Holz zu suchen. In dem Augenblick, in dem sich Roscoe bückt, liegt der Mann still. Er bewegt nur den Kopf, sieht aus dem Busch auf Roscoe hervor, hat die Hand am Abzug des Gewehres und zaudert … Der Mann hat sein Pferd oben hinter dem Hang gelassen. Das Tier ist müde. Und er weiß, dass er nichts als Glück gehabt hat, wenn dieser Mann dort vorn, der nun Holz für sein Feuer sucht, selber langsam geritten ist. Das Pferd dort auf der Lichtung zwischen den Büschen ist nicht müde. Und genau das ist es, was dieser Mann braucht – ein frisches Pferd. Seit anderthalb Stunden steht es unten, hat sein Wasser bekommen, Gras gefressen und wird jetzt fit für sechzig

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Die großen Western – 158 –

Der Gefangene

G.F. Barner

Es ist Roscoe, als wäre die Nacht voller Augen, die ihn beobachten.

Das Gefühl ist seit einigen Stunden da. Und wenn er sich auch hundertmal oder noch öfter umgesehen hat, er kann dennoch keinen Menschen sehen, der hinter ihm her ist.

Das Feuer, das Roscoe absichtlich klein hält, wird erlöschen, wenn kein Holz nachgelegt wird. Es knackt und knistert. Und Roscoe, der auf den Knien vor seiner Pfanne kauert, die er über die beiden Steinplatten gestellt hat, blickt sich wieder um.

Das verdammte Gefühl, einen Verfolger im Rücken zu haben, sitzt zu tief, als dass es Roscoe verlassen könnte. Er steht auf. Er nimmt die Pfanne vom Feuer, geht dann, sein Gewehr am Feuer lassend, auf die Senke zu und hält hinter den ersten Büschen an.

Die Nacht ist kühl, Roscoe fröstelt leicht. Er bückt sich, um nach Holz zu suchen.

In dem Augenblick, in dem sich Roscoe bückt, liegt der Mann still. Er bewegt nur den Kopf, sieht aus dem Busch auf Roscoe hervor, hat die Hand am Abzug des Gewehres und zaudert …

Der Mann hat sein Pferd oben hinter dem Hang gelassen. Das Tier ist müde. Und er weiß, dass er nichts als Glück gehabt hat, wenn dieser Mann dort vorn, der nun Holz für sein Feuer sucht, selber langsam geritten ist. Das Pferd dort auf der Lichtung zwischen den Büschen ist nicht müde.

Und genau das ist es, was dieser Mann braucht – ein frisches Pferd.

Seit anderthalb Stunden steht es unten, hat sein Wasser bekommen, Gras gefressen und wird jetzt fit für sechzig Meilen sein.

Roscoe hat den Arm voller Knüppelholz, kehrt zum Feuer zurück, schiebt einige der Knüppel nach und stellt dann die Pfanne wieder zwischen die Steine.

Einmal lauscht Roscoe, sieht sich um, aber er kann keinen Menschen in seiner Nähe ausmachen.

Ich hätte umdrehen sollen, denkt Roscoe bitter. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht wegzulaufen. Kneifen ist sonst nicht meine Art, aber die Sache war nicht gerecht für mich.

Er ist gerade dabei, die Speckscheiben in der Pfanne umzudrehen, als der Mann hinter ihm am Rand der Büsche auftaucht. Er hat seine Sporen abgeschnallt und ist ganz langsam gekrochen, um nicht über das von der Schneeschmelze des vorigen Monats oben vom Hang herabgeschwemmte Knüppelholz zu treten.

Und er ist nun weit genug.

Ganz langsam wächst der Schatten des Mannes hinter dem Busch hoch, Feuerschein fällt auf sein Gesicht, auf ein Gesicht, das jung ist – sehr jung! In dem Moment, in dem Roscoe sein Messer einsteckt, steht der junge Bursche hinter ihm auf. Er hat eine hohe durchdringende Stimme.

Und er sagt, während sein Gewehr auf Roscoes Schultern deutet: »Keine Bewegung! Nicht rühren!«

Es ist Roscoe, als wenn ihm jemand einen Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf gießt.

Roscoe sitzt ganz still, beide Hände sind erstarrt. Der Mann ist hinter ihm. Und das Gefühl, dass dieser Mann schießen wird, verstärkt sich in Roscoe.

Er wird schießen, wenn ich etwas tue, denkt Roscoe bitter. Wer ist es? Wer soll mir so weit gefolgt sein? Einer von Gispels Leuten, den ich nicht kenne? Ich kenne den Burschen nicht, ich würde mich an die Stimme erinnern, aber ich habe noch niemals …

»Nimm die Hände über den Kopf, Mann! Schnell, ich drücke sonst ab!«

Roscoe hebt gehorsam die Arme hoch, will den Kopf wenden und hört dann den Mann auch schon scharf sagen: »Sieh dich nicht um, ich schieße dich sonst mittendurch, Mister! Nicht umsehen – ganz ruhig bleiben!«

Er scheint Erfahrung zu haben – er bleibt am Rand der Lichtung und ist gut zwanzig Schritt entfernt. Ein Mann ohne Erfahrung würde vielleicht kommen und näher herantreten. Dieser Bursche aber bleibt, wo er ist – er wird ein Gewehr haben und kann zweimal schießen, ehe der schnellste Mann auch nur seinen Revolver herausgeholt und sich umgedreht hätte.

»Hör mal, Freund!«, sagt Roscoe knapp und ganz kühl, denn Situationen wie diese sind ihm nicht ganz neu. »Wenn Gispel dich geschickt hat, dann lass dir gesagt sein, dass ich glaube, genau das Richtige getan zu haben. Wenn sich zwei Narren streiten, dann sollen sie ihren Streit allein, aber niemals mit ihren Mannschaften austragen. Ich habe genug gehabt. Wenn Lee mir in die Quere kam und ich schießen musste …«

»Halt den Mund!«

Der Bursche scheint seine Sache wirklich zu verstehen. Er unterbricht barsch Roscoes langsame und absichtlich umständliche Erklärung und sagt danach: »Nimm die linke Hand herunter und mach die Gurtschnalle auf. Versuchst du einen Trick, dann drücke ich sofort ab! Mach sie jetzt auf, Mann!«

»Hör mal …!«

»Du sollst sie aufmachen, zum Teufel!«

Warte, Bursche, denkt Roscoe grimmig, erwische ich dich bei einem Fehler, dann hörst du die Zähne klappern – deine eigenen und bei dir im Bauch, das verspreche ich dir!

Er schleudert den Gurt mit seinem Revolver im Bogen über das Feuer hinweg. Einen Augenblick sieht er auf den Qualm, der vom verbrannten Speck aus der Pfanne kommt, und zieht dann den linken Arm wieder hoch.

»Noch was?«, fragt er dann und stellt sich jetzt ängstlich, lässt seine Stimme etwas zittern und zieht den Kopf leicht ein.

»Hör mal, Bruder, ich habe dir nichts getan, was ist los? Was willst du? Wenn du Geld brauchst – ich habe fünfzig Dollar, wir können teilen.«

»Halte den Mund und steh still! Ich schieße, sobald du zuckst, Mann!«

Der Mann geht jetzt.

Roscoe hört deutlich das Schaben der Hosen. Es müssen Cordhosen sein.

»Steh still, keinen Trick, sonst bist du tot!«

»Verteufelte Geschichte«, sagt Roscoe und würgt zweimal laut – so laut, dass der Bursche es hören muss. »Mann, was willst du?«

»Mit dir einen Spaziergang machen«, entgegnet der Bursche hinter ihm schnappend und ist ihm bereits auf zehn Schritt nahe gekommen. »Woher kommst du?«

»Aus der Nähe von Pueblo!«

»Also, du warst unten in Pueblo und hast – einen umgebracht – erschossen, was?«

»Nein, ich habe ihn nur angeschossen«, sagt Roscoe finster. »Ich hatte einen Job auf einer Ranch. Mein Rancher lag sich mit seinem Nachbarn in den Haaren. Ich sollte Krieg anfangen, aber ich tat es nicht. Ich sollte auf die Leute des Nachbarranchers losgehen. Als es zu einer Prügelei zwischen den beiden Mannschaften kam, griff ich nicht ein. Ich wartete und wusste, sie würden sich vertragen, sobald sie sich geschlagen hatten. Als mein Rancher das merkte, jagte er mich weg und nahm sich einen Revolvermann an, dem es nichts ausmachte, auf einen Cowboy zu feuern. Ich kaufte mir den Burschen, als er mich einen Feigling nannte und mir in den Weg trat! Das ist alles – ich habe ihn nur angeschossen und bin weggeritten.«

»Sieh mal an, aber schnell mit dem Revolver bist du also?«

»Kann sein, dass ich das bin«, erwidert Roscoe kühl.

»Vielleicht bluffst du nur, aber ich werde es herausfinden«, sagt der Mann hinter ihm knapp. »Bleib so stehen. Wenn du etwas versuchst, und du bist wirklich nicht da oben gewesen, dann stirbst du vielleicht als Unschuldiger, was?«

»Ich bin nicht verrückt«, meint Roscoe knapp und hört den Mann kommen. »Bist du Sheriff oder Deputy?«

»Deputy-Sheriff«, erwidert der Mann nach kurzem Zögern und steht jetzt sehr nahe hinter Roscoe. »Bleib ruhig, ich gehe kein Risiko ein, ich drücke ab. Du willst doch nicht umsonst sterben, was?«

Sein Gewehrlauf berührt Roscoe in der nächsten Sekunde. Der Lauf drückt sich Roscoe hart zwischen die beiden untersten Rippen.

»Wir gehen jetzt nach links«, sagt der Mann glatt. »Wir werden den Hang hinaufsteigen und drüben …«

Es sollte Roscoe auffallen, aber – es fällt selbst einem Mann wie Roscoe nicht ein, dass alles Bluff sein könnte.

In derselben Sekunde, in der der Mann jäh seinen gleichmäßigen Redeschwall unterbricht, hört Roscoe das knappe Schaben.

Und dann prallt ihm etwas auf den Kopf.

Roscoe kommt es vor, als wenn die Flammen himmelhoch aus seinem Feuer schießen.

Er fällt mitten in die Flammen hinein. Dies ist sein letzter Eindruck! Und danach ist alles tot und still …

*

Sein erstes Empfinden ist die eisige Kälte. Er stöhnt einmal, er friert jämmerlich und klappert mit den Zähnen. Und er begreift nicht, was eigentlich geschehen ist.

Die Schmerzen stecken in seinem Hinterkopf, es bohrt und sticht. Es kommt ihm vor, als wenn jemand mit einem kleinen Hammer auf seinem Kopf herumtrommelt.

Roscoe blinzelt, starrt auf das Feuer. Dann zuckt er zusammen und fasst dann stöhnend an seinen Kopf.

Das Feuer ist niedergebrannt es glimmt nur noch.

In dieser Sekunde wacht Roscoe auf.

Was er sieht, das kann nicht wahr sein. Er reißt die Augen ganz weit auf, er blickt verstört auf das Pferd und vergisst, Luft zu holen.

Das ist gar nicht sein Pferd, es ist auch nicht sein Sattel. Es ist ein braunes Pferd mit weißen Hacken, einem weißen Brustfleck und einem langen Schweif, der genauso hell ist wie die Mähne.

»Ich träume bloß«, sagt Roscoe mühsam. »Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten? Das kann doch nicht stimmen. Unmöglich, wie kommt das Pferd hierher?«

Er will sich aufrichten, er kommt auch auf die Knie und hat plötzlich ein verrücktes Gefühl an seinen Füßen.

Im nächsten Augenblick sieht er an sich herab.

Danach erstarrt Roscoe völlig, seine Kopfschmerzen nehmen zu. Er glaubt verrückt zu werden.

Roscoe starrt auf seine Socken, auf seine Unterhose und die Beulen vorn an den Knien. Danach begreift er endlich, warum er so friert.

Er kauert, nur mit seiner Unterhose und einem Unterhemd bekleidet, vor dem Feuer und hat nicht einmal mehr Stiefel. Nach und nach erinnert er sich. Der Mann fällt ihm wieder ein. Und die einzige Feststellung, die Roscoe treffen kann, ist die, die er laut äußert: »Das war weder ein Deputy, noch hatte der Kerl sonst etwas mit dem Gesetz zu tun. Alle Teufel, ich bin einem Buschräuber in die Hände gefallen!«

Klüger aber wird er darum nicht. Er hat den Mann nicht gesehen – er würde vielleicht die Stimme wiedererkennen, aber auch nur vielleicht, denn der Mann kann durchaus seine Stimme verstellt haben.

»Und das …«, sagt Roscoe, während er sich umblickt und die Luft anhält, denn auch sein Packen ist fort, dafür liegt ein anderer dort und daneben Kleidungsstücke, »das hat der Lump mir hiergelassen!« Roscoe flucht. »Der hat mir ja alles weggenommen und … Da liegt sein Gurt!«

Dort liegt der Waffengurt, ein schwarzer, mit Silbernägeln verzierter Gurt, in dessen Halfter ein Revolver steckt. Die Winchester, die noch am Sattel hängt, scheint tatsächlich Roscoe zu gehören. Also wenigstens das Gewehr hat der Kerl nicht mitgenommen.

Roscoe fasst sich an den Kopf, sitzt still und denkt nach. Die Verpflegung reicht nicht einmal mehr für eine anständige Mahlzeit, Patronen hat er auch nicht – und Geld …

Der Gedanke macht Roscoe jäh munter. Wenn der Kerl seine Hose genommen hat, dann hat er auch sein Geld entführt!

Vor sich hin fluchend trottet Roscoe zu den Sachen, hebt die Cordhose hoch und greift in die Tasche. Er hat seinen Geldbeutel gleich darauf in der Hand, macht ihn auf und starrt bestürzt auf die Scheine, die ihm geradezu entgegenquellen. Wenn Roscoe fünfzig Dollar besessen hat, dann ist er jetzt um dreihundert Dollar reicher. Dreihundert Dollar in Scheinen hat der Kerl in seinen Beutel gestopft und ist mit dem Geld für die genommenen Sachen nicht gerade kleinlich gewesen.

Roscoe hockt sich wieder am Feuer hin, wäscht das Hemd mit dem Stück Seife, das neben dem Handtuch im Packen gelegen hat, und hängt das Hemd dann an zwei Stöcken an der Gegenwindseite des Feuers auf.

»Bezahlt hat er«, sagt Roscoe grimmig, »aber wenn er denkt, dass er mir so leicht davonkommt, dann hat er sich geirrt, der verdammte Vagabund. Ich wollte eigentlich nach Cheyenne oder Laramie gehen, aber – den Teufel werde ich tun! Wer weiß, was der Bursche ausgefressen hat. Ich muss schleunigst in das nächste Nest und mir andere Sachen kaufen. Dieser Gaul da ist zu müde, um einen scharfen Ritt durchzuhalten, und das hat der Bursche gewusst. Darum der Pferdetausch, darum ist er verschwunden. Und darum kann ich ihm auch nicht nach!«

Roscoe, ein zäher, falkenäugiger und sehr schneller Mann mit dem Revolver, fährt sich durch die Haare, kratzt sich am Kopf und sagt grimmig: »Du kannst gar nicht so weit rennen, wie du es müsstest, Halunke. Warte, morgen hänge ich auf deiner Spur. Und dann wirst du eine ganze Reihe von Fragen beantworten müssen!«

*

Dieses Nest, denkt Roscoe und reitet in der vollen Morgensonne auf dem braunen Gaul langsam auf die ersten Häuser zu, ist klein und gerade richtig für mich. Ich möchte wetten, dass hier nur alle halbe Jahr ein Sheriff herkommt, aber vielleicht wird der Bursche gesucht. Nun gut, wenn das so ist, dann werde ich es bald erfahren!

Er kommt an die Schmiede, sieht auf dem Hof einen Wagen stehen, schaut in den offenen Schmiedeschuppen hinein und erblickt zwei Männer dort mit einem Pferd, das gerade beschlagen wird.

Der eine Mann wendet den Kopf, sieht zu ihm hin, blickt dann wieder fort und hält den linken Vorderhuf des Pferdes hoch. Am Huf ist der Schmied mit der Raspel dabei, das Horn abzuschaben.

Na also, denkt Roscoe zufrieden – der sieht mich, aber ich errege nicht seine Aufmerksamkeit!

Im gleichen Moment wendet er noch einmal den Kopf. Er ist nun bereits am dritten Haus, blickt zurück und sieht, dass der Mann den Huf losgelassen und der andere seine Raspel gesenkt hat.

Jetzt blicken sie ihm beide nach.

In einem Moment steigt in Roscoe das verdammte Gefühl hoch, mitten in eine Schlangengrube zu reiten. Er ist jedoch schon zu weit auf die Höhe des Saloon gekommen, vor dem vier Pferde stehen.

Aus den Augenwinkeln beobachtet Roscoe den Saloon, aber die Tür bewegt sich nicht. Niemand stürzt heraus, um ihn anzugaffen.

Lediglich in dem Haus vor dem Store öffnet sich die Tür. Eine Frau tritt heraus, hat ein Kind an der Hand, bleibt jäh stehen und zieht das Kind mit einer entsetzten Bewegung zu sich heran. Dann sieht die Frau unverwandt auf Roscoe. Ihr Gesicht ist blass, sie starrt Roscoe wie einen Geist an und rührt sich nicht vom Fleck.

Zum Teufel, denkt Roscoe bestürzt, die Frau sieht ja so aus, als sähe sie den Teufel leibhaftig durch die Straße reiten. Wegreiten, schnell wegreiten, dem Gaul die Hacken geben und aus der Stadt jagen?

Er denkt nach, während er sich langsam dem rechten Gehsteig und dem Store nähert. Dann aber sagt er sich, dass es keinen Zweck hat, jetzt zu verschwinden. Man hat ihn gesehen. Und wenn der Kerl, dessen Sachen er trägt, gesucht wird, dann wird man ihn mit Sicherheit verfolgen.

»Well«, sagt sich Roscoe leise, »ich muss erst herausbekommen, wer dieser Bursche ist, und was mit ihm los ist. Schließlich sehe ich nicht wie er aus – so etwas gibt es nicht.«

Er hält vor dem Balken des Store, steigt ab, schaut sich nach der Frau um und sieht drüben beim Barbier zwei Männer die Nasen an der Scheibe des Fensters platt drücken. Hinter den Fenstern des Saloon aber ist eine Bewegung, die er nur wegen des im Saloon herrschenden Dämmerlichtes nicht klar genug erkennen kann.

Ruhig steigt Roscoe ab, bindet sein Pferd an und geht dann schnell auf den offenen Eingang des Store zu.

Er hört bereits aus vier Schritt Entfernung einige Männer reden. Eine Frau sagt etwas und lacht danach.

»… möchte wissen, ob Bill heute noch kommen wird. Vielleicht hat er …«

Bei dem letzten Wort stößt Roscoe an die Tür. Er tritt ein, sieht drei Männer, zwei vor dem Tresen, einen dahinter und weiter drüben eine Frau, die sich Kattunhemden aussucht.

»Hallo«, sagt Roscoe ruhig, als der eine Mann, der gerade gesprochen hat, ihn nur anstarrt und sich nicht mehr bewegt, noch weiterspricht. »Hallo, Madam.«

»Hal…« Die Frau sagt nicht einmal das eine Wort. Sie verschluckt sich und lässt das Hemd, dessen Stoffqualität sie gerade prüft, fallen.

Der Mann aber, der nicht mehr redet und Roscoe anstarrt, hebt ganz langsam die Hände über den Kopf.

Der andere hinter ihm reißt seine Arme so blitzschnell in die Höhe, dass es aussieht, als sei er ein Hampelmann, und jemand zöge seine Arme an einer Strippe hoch. Der Mann wird kreidebleich und schluckt verzweifelt.

Der Keeper hinter dem Tresen, der auf die Ellbogen gestützt auf dem Holztisch lehnt, nimmt hastig die Hände vom Kinn und klatscht dann beide Hände platt auf den Tresen.

So bleiben sie alle vier stehen und sehen Roscoe erstarrt und voller Furcht an.

»Hallo«, sagt Roscoe nach seinem ersten Schreck und nimmt den Hut ab, während bei seiner Handbewegung alle vier Menschen vor ihm Zuckungen zu bekommen scheinen. »Was ist denn hier los, ist jemand hinter mir, Leute?« Er nimmt den Hut in die linke Hand, sieht sich um und lächelt dann.

Roscoe kann prächtig lächeln, das muss man ihm schon lassen. Er lächelt so freundlich und harmlos, dass selbst ein Richter von seiner Harmlosigkeit überzeugt sein müsste. Hier jedoch hat das Lächeln keine Wirkung.

Der Keeper stößt fauchend den Atem aus, stiert ihn an und leckt sich dann nervös die Lippen.

»Was ist – warum nehmt ihr die Hände hoch?«, fragt Roscoe erstaunt. »Habe ich euch was getan?«

»Nein, nein!«, beeilt sich der erste Mann hastig zu versichern. »Du hast uns nichts getan, mein Freund, wirklich nicht. Ich werde gehen, Louis, ich gehe – ich werde gehen!«

Er marschiert wie ein Krebs seitlich auf die Hintertür zu.

»Ja – ich – ich muss noch nach meinen Hähnen sehen!«

»He«, sagt Roscoe, als auch der zweite Mann den Rückwärtsgang bekommt und lostrabt, als wenn ihn jemand vor den Bauch getreten hätte. »Freunde, was ist mit euch los? Ich bin nicht der für den ihr mich haltet. Kannst du nicht warten, Mann?«

Der Mann bleibt ruckhaft stehen und sagt, wobei er auch den letzten Tropfen Blut aus den Wangen verliert: »Ich – ich tue nichts, Mister. Nicht schießen – nicht schießen!«

»Habe ich vielleicht einen Revolver in der Hand?«, fragt Roscoe kühl. »Mann, du siehst doch, dass ich gar nicht daran denke, zu schießen. Was ist los, für wen haltet ihr mich?«

»Für – für – niemanden«, sagt der Mann stotternd. »Ich bin dein Freund, wirklich, ich schwöre, ich bin immer dein Freund gewesen!«

»Dann nimm die Hände herunter Mensch!«

»Ja, ja, ich nehme sie herunter! Aber meine Hähne …«