Die großen Western 335 - Frank Wells - E-Book

Die großen Western 335 E-Book

Frank Wells

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Der Regensturm, der seit Mittag gegen die schwankenden Wagen des Zuges gedrückt hatte, hörte kurz vor Arva plötzlich auf. Letzte schwere Tropfen rannen wie Tränen über die Fensterscheiben. Weit konnte der Blick über die Hochebene von Oklahoma schweifen, über die kahle, baumlose Steppe bis zu den fernen Hügeln der Black Mesa. Sie hatten schwarze ­Wolkenkappen übergezogen. Rasend schnell trieb graues Gewölk – vom peitschenden Wind zerrissen – über den Himmel. Der schrille Pfiff der Lok riß mich aus der Betrachtung dieser eigenartig reizvollen Landschaft. Arva, die Endstation einer Tausendmeilenfahrt. Wenn alles geklappt hatte, konnte ich schon heute, schon in wenigen Minuten, das Wiedersehen mit meinen Leuten feiern. Und morgen schon konnte ich den Treck nach Norden beginnen, in eine neue Heimat, in ein unberührtes Land mit großartiger Weide unter hohem Himmel, mit Gras, das den Rindern bis zum Bauch wuchs, und mit mehr Wasser, als eine Million Tiere saufen konnten. Ich nahm mein karges Gepäck aus dem Netz, während der Zug über die Weichen ratterte und die Bremsen quietschten. Ein paar dürftige Baracken huschten vorüber, dann riesige Korrals und Verladerampen und dichtgedrängte Massen von Rindern. Ob auch unsere Herde schon dabei war? Sie mußte vor über zwei Wochen in Encino aufgebrochen und eigentlich hier sein. Ich sprang ab, ehe der Zug hielt. Freude beflügelte meine Schritte, doch unter den wenigen Leuten auf dem Bahnsteig war kein bekanntes Gesicht. Natürlich hatte das nichts zu bedeuten, denn niemand konnte wissen, daß ich schon heute ankam. Der Bahnhofsvorsteher lief mir in den Weg, und ich fragte ihn: »Hallo, Mister – ist in diesen Tagen eine Mannschaft aus Encino, Texas, angekommen?« »Eine«, sagte er knapp. »Gestern.

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Die großen Western – 335 –

Die Bande des Satans

Frank Wells

Der Regensturm, der seit Mittag gegen die schwankenden Wagen des Zuges gedrückt hatte, hörte kurz vor Arva plötzlich auf. Letzte schwere Tropfen rannen wie Tränen über die Fensterscheiben. Weit konnte der Blick über die Hochebene von Oklahoma schweifen, über die kahle, baumlose Steppe bis zu den fernen Hügeln der Black Mesa. Sie hatten schwarze ­Wolkenkappen übergezogen. Rasend schnell trieb graues Gewölk – vom peitschenden Wind zerrissen – über den Himmel. Der schrille Pfiff der Lok riß mich aus der Betrachtung dieser eigenartig reizvollen Landschaft.

Arva, die Endstation einer Tausendmeilenfahrt. Wenn alles geklappt hatte, konnte ich schon heute, schon in wenigen Minuten, das Wiedersehen mit meinen Leuten feiern. Und morgen schon konnte ich den Treck nach Norden beginnen, in eine neue Heimat, in ein unberührtes Land mit großartiger Weide unter hohem Himmel, mit Gras, das den Rindern bis zum Bauch wuchs, und mit mehr Wasser, als eine Million Tiere saufen konnten.

Ich nahm mein karges Gepäck aus dem Netz, während der Zug über die Weichen ratterte und die Bremsen quietschten. Ein paar dürftige Baracken huschten vorüber, dann riesige Korrals und Verladerampen und dichtgedrängte Massen von Rindern. Ob auch unsere Herde schon dabei war? Sie mußte vor über zwei Wochen in Encino aufgebrochen und eigentlich hier sein.

Ich sprang ab, ehe der Zug hielt. Freude beflügelte meine Schritte, doch unter den wenigen Leuten auf dem Bahnsteig war kein bekanntes Gesicht. Natürlich hatte das nichts zu bedeuten, denn niemand konnte wissen, daß ich schon heute ankam.

Der Bahnhofsvorsteher lief mir in den Weg, und ich fragte ihn: »Hallo, Mister – ist in diesen Tagen eine Mannschaft aus Encino, Texas, angekommen?«

»Eine«, sagte er knapp. »Gestern. Und bestimmt die letzte für lange Zeit.«

»Hei! Das ist prächtig. Wissen Sie zufällig den Namen des Bosses?«

»Sicher – Jay Marvin.«

»Marvin? Nicht Owen – Laurence Owen mit dem Zwillingsbrand?«

Er schüttelte den Kopf und ließ mich stehen. Gesprächig war der Mann wirklich nicht. Nun, vielleicht hatte er den Namen vergessen oder noch gar nicht gehört. Schließlich war Arva eine Rinderstadt, in der täglich mehrere Mannschaften mit Tausenden von Tieren ankamen. Selbst wenn der Boy einen Kopf wie ein Rathaus gehabt hätte, könnte er nicht alle Namen kennen. Ich schulterte also mein Gepäck und marschierte in die Stadt. Wenn ich Jay Marvin traf, würde ich schon Auskunft über meine Leute bekommen.

Böiger Wind faßte mich, als ich in die Bronco Street einbog. Er zerrte an der breiten Krempe des Stetson und preßte das Halfter mit dem schweren 44er Colt gegen den rechten Oberschenkel. Vorsichtig umschritt ich einige große Pfützen und war froh, als ich den Anfang des Brettergehsteiges erreicht hatte, denn auf der Straße versanken die Stiefel bis zu den Knöcheln im Schlamm. Tausende von Hufen hatten die Straße zertreten und in einen Morast verwandelt. Was es hier zuviel geregnet hatte, fehlte uns seit Jahren im südlichen Texas. Die Dürre von sechs Sommern hatte unsere Weide in Wüste verwandelt.

Suchend prüfte ich die Brandzeichen der Pferde an den Haltegeländern mehrerer Bars und Saloons. Auf der Veranda des Bronco-Hotels drängte sich eine dreckbespritzte Mannschaft durch die Schwingtür hinaus, sprang in die Sättel und donnerte durch den spritzenden Schlamm zu den Korrals am Bahnhof. Kein bekanntes Gesicht darunter.

Für Sekunden wischte die starke Faust des Windes den Wolkenvorhang beiseite, und gebündelte Sonnenstrahlen spiegelten sich in dem Schaufenster des Stores, an dem ich vorüberschritt. Ein vierschrötiger Mann mit einem Achttagebart und dem verwilderten Aussehen eines Reiters, der viele Tage nicht aus dem Sattel gekommen war, rempelte mich an, als er den Store verließ. Er trug zwei Revolver und ein Gewehr in der Armbeuge. Er sah nicht gerade friedfertig aus.

»Oh – Pardon!« murmelte ich und ging weiter. Eine Schnapsfahne wehte mich an.

»He, Cowboy«, knurrte der Mann. »Paß gefälligst auf, wo du hintrittst!«

Ich ging weiter, ohne mich umzudrehen. Ich hatte wahrhaftig keine Lust, mich mit einem Betrunkenen herumzuschlagen.

»Ich rede mit dir«, dröhnte die grobe Stimme mir nach – und dann polterten schwere Schritte hinter mir auf dem Gehsteig.

Ich blieb stehen und schaute zurück. Männer wie dieser waren unberechenbar. Natürlich blieben gleich einige Leute stehen und blickten neugierig herüber. Andere hatten es merkwürdig eilig, weiterzukommen.

»Ich sage dir…« Er war bis auf zwei Schritte herangekommen und verzog den häßlichen Mund zu breitem Grinsen, das plötzlich erstarrte. Irgend etwas hinter mir mußte seine Aufmerksamkeit erregt haben. Mitten im Wort brach er ab, murmelte einen Fluch und sprang an mir vorbei an die nächste Hausecke.

Verwundert schaute ich ihm nach. Was mochte diese jähe Veränderung bei dem Mann bewirkt haben? Etwa die beiden Reiter, die in ruhigem Trab die Straße herabkamen? Oder die beiden Männer, die gerade über die Veranda der Longhorn-Bar gingen, jetzt plötzlich stutzten und stehenblieben?

Etwas an der Geschichte stimmte nicht.

Eine ganze Menge stimmte nicht – und ich sollte nur zu schnell merken, daß es nach Blut roch und nach Haß. Jeder Mann, der eine Weile im Westen ist und rauhe Camps kennengelernt hat – jeder Mann weiß, wann es raucht.

Allein das Benehmen des vierschrötigen Kerls, der mich völlig vergessen hatte, sprach Bände. Direkt hinter dem Store, vor dem ich noch stand, mündete eine schmale Seitengasse in die Bronco-Street. Und an die Ecke des jenseits der Gasse gelegenen Hauses drückte sich der vierschrötige Kerl und schaute vorsichtig zur Bar hinüber.

Ich drückte mich ein wenig beiseite und lehnte mich an das zweite Schaufenster des Stores. Ein Mann hinter mir stöhnte leise und murmelte: »Hölle und Pest! Jack Canby läßt die Teufel los!«

Ich wußte, wer Jack Canby war – den Namen kannte ich. Jedes Kind in Texas kannte ihn, denn er war von Legenden ohne Zahl umwoben. Jack Canby, der Buscadero – der Zweirevolvermann. Erstaunliche Dinge erzählte man sich an den Lagerfeuern des weiten Westens von ihm und seinem Freund Big Job Daniels.

Diesen Geschichten zufolge mußte Big Job ein Riese von gewaltigen Ausmaßen sein, der mit bloßer Faust einen Stier niederzwingen und Eisenstangen krummbiegen konnte. Er ganz allein sollte eines Tages gegen zehn ausgewachsene Männer angetreten sein und sie zusammengeschlagen haben. Das konnte man glauben oder auch nicht – ich hatte bisher nichts davon geglaubt, denn an Lagerfeuern werden aus Flöhen zu leicht Elefanten.

Well – die beiden Männer dort auf der Veranda mußten es sein. Jack Canby, der Revolvermann, wirkte geradezu zierlich neben dem breitbrüstigen Riesen, der gut und gern sieben Fuß hoch in den Stiefeln stand.

Big Job Daniels legte beide Fäuste – fast so groß wie ausgewachsene Kinderköpfe – auf die Brüstung der Veranda und starrte zu den beiden Reitern hinüber. Dann drehte er gemächlich den Kopf zu seinem Gefährten und sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Schließlich hob er gemächlich die gewaltige Büffelflinte hoch, ohne die er in allen Erzählungen nicht zu denken war.

Und nun ging alles rasend schnell. Jack Canby sprang schnell und gewandt wie ein Panther quer über den Gehsteig mitten in den Schlamm der Straße. Breitbeinig blieb er dort stehen, und seine Stimme klang scharf wie ein Messer.

»Stop, Lou Finlo! Hier endet dein Weg!«

»Das Leben am Rande der Straße erstarrte. Plötzlich wehte der Atem des Todes durch die Stadt. Düster wie die schwarze Wolkenwand, die sich soeben vor die Sonne schob, lastete das Verhängnis über den vier Menschen, die sich in tödlichem Haß gegenüberstanden: die beiden Reiter, Jack Canby mitten auf der Straße, Big Job Daniels auf der Veranda. Und selbst ich vergaß den verwilderten Kerl, der mich angepöbelt hatte und wie ein Luchs an der Straßenecke auf der Lauer lag. Auch ich wurde von Erregung geschüttelt und hatte nur Augen für das, was sich gleich vor mir abspielen mußte.

Lou Finlo – hatte Jack Canby gerufen! Und auch dieser Name war ein Begriff. Auch er wurde nur im Flüsterton genannt, und mancher harte Mann schaute sich scheu um, wenn er von ihm sprach. Denn Lou Finlo sagte man nach, daß er ein unbarmherziger Töter sei, gefährlicher als der graue Wolf. Dem Vernehmen nach hatte er lange Zeit einer Bande angehört, die vom Rinderdiebstahl lebte und mancher braven Mannschaft die Hölle bereitet hatte. Mehr wußte ich nicht von ihm.

Wer der zweite Reiter war, sollte ich auch gleich erfahren, denn jetzt dröhnte Big Jobs Stimme über die Straße. Sie klang, wie die Posaunen von Jericho geklungen haben mußten.

»Rock Ryan, du bist gedeckt! Versuch es, und du kriegst deinen Teil! Hier geht’s fair zu!«

Rock Ryan? Der Name kam mir bekannt vor, aber ich wußte nicht, wo ich ihn unterbringen sollte. Nun, es tat nichts zur Sache. An der Reaktion der beiden Reiter konnte ich erkennen, daß Ryan der größere war. Ein Mann mit hängenden Schultern, einem sandfarbenen Schnurrbart und grauer Gesichtsfarbe. Er legte die Hand vorsichtig über den Sattelknopf und sagte mit knarrender Stimme. »Es ist gut, Big Job. Ich habe nichts gegen euch.«

Finlo saß zusammengekrümmt im Sattel. Sein gelbgetöntes Gesicht mit den schrägstehenden Wieselaugen zuckte nervös. Ich sah, wie seine rechte Hand in der Schwebe hing, etwa in Gürtelhöhe – und wie sie sich krampfhaft öffnete und schloß. Er war völlig überrascht worden. Er kämpfte gegen seine Unsicherheit, die stärker war als sein Wille und sein Haß.

»Du kannst wählen, wie du es haben willst, Finlo«, sagte Jack Canby. »Steig ab oder bleib im Sattel – aber entschließ dich schnell. Und ehe du stirbst, will ich dir sagen, warum ich hier stehe. Du hast meinen Freund Jonny ermordet! – Ryan, gegen Sie habe ich nichts – noch nicht.«

Ich sah, wie Lou Finlo dem Mustang die Hacken gab und gleichzeitig den Zügel zurückriß. Das Pferd stieg kerzengerade in die Luft und gab dem Mann so mit Kopf und Hals Deckung. Finlo duckte sich noch mehr zusammen, gleichzeitig verschwand seine Hand nach unten. Alle Vorteile lagen bei ihm – bis auf den einen, daß er nicht so sicher zielen und schießen konnte wie ein Mann im Stehen.

Schnell, in einer fließenden Bewegung, zog Jack Canby die Waffe. So schnell, daß die Hand nicht mehr als ein huschender Schatten war. Als Finlos Colt aufbrüllte, hatte Canby die Waffe längst im Anschlag – aber er schoß nicht. Er wartete eine tödliche Sekunde lang ab. Dann klatschten die Vorderhufe des Pferdes wieder in den Schlamm, und Finlos Kopf und Schultern wurden voll sichtbar.

Jack Canby schoß einmal, und das Krachen vermischte sich mit den zweimal hintereinander detonierenden Schüssen Finlos. Das Pferd tat einen gewaltigen Seitensprung und bäumte sich auf, und Lou Finlo wurde wie eine gewichtslose Puppe durch die Luft und in den Schlamm der Straße gewirbelt.

Meine Erregung löste sich in einem Atemzug. Es war, als erwachte ich aus einem bösen Traum. Jetzt erst registrierte mein Blick auch andere Einzelheiten – zum Beispiel, daß Big Job die Büffelflinte behutsam absetzte, und auch wie Jack Canby die Trommel des Revolvers rotieren ließ, die leere Hülse auswarf und durch eine frische Patrone ersetzte, und die völlig erstarrte Haltung Rock Ryans, des zweiten Reiters.

Ich bemerkte die jähe Aktion, mit der jener rüde Bursche an der Straßenecke das Steuer herumreißen und die Lage völlig verändern wollte. Er arbeitete mächtig fix und dabei so verstohlen wie der Dieb in der Nacht. Mir fiel es erst auf, als der Hahn seines Gewehrs knackte. Mein Kopf ruckte automatisch zu ihm herum.

Seine Absicht war klar… Blitzartig ging mir auf, weshalb er vorhin so erschrocken gewesen war und mich total vergessen hatte. Dieser Bursche gehörte zu Lou Finlo und Rock Ryan. Zumindest kannten sie sich gut genug, daß dieser Kerl den Tod seines Genossen Finlo rächen wollte – jetzt auf der Stelle. Aus dem Hinterhalt.

Ich hielt weder von Jack Canby und seinen Revolvermanieren etwas noch von Lou Finlo. Für mich gehörten diese Männer einer Sorte von Wölfen an, und es konnte mir wie jedem ehrlichen Menschen nur recht sein, wenn sie sich gegenseitig um die Ecke brachten. Was ging mich Jack Canby an? Die Geschichten, die ich von ihm gehört hatte, waren blutig genug. Mitleid konnte ich nicht mit ihm haben. Auch nicht mit dem riesigen Kerl auf der Veranda, mit Big Job Daniels.

Aber eines hatte ich nie vertragen können – daß ein Mann aus dem Hinterhalt und ohne Chance abgeschossen werden sollte. So was nennt man Mord, und Mord ist das Gemeinste auf Gottes Erdboden. Sollte ich tatenlos zusehen, wie einem Mann ein Loch in den Rücken fabriziert wurde? Auch wenn der Mann mich nichts anging und mir eigentlich unsympathisch war?

Ich ließ mein Gepäck fallen, als der Bursche an der Ecke das Gewehr hochzog und anlegte. Ich schrie: »Achtung, Canby!« und zog den 44er. Der Bursche erschrak mächtig, und wohl nur deshalb pfiff seine erste Kugel weit an Jack Canby vorüber. Dann schoß ich. Es wäre ein Kinderspiel gewesen, den Kerl zu töten, aber ich hatte noch nie das Blut eines Menschen vergossen und wollte es auch hier nicht tun, obwohl seine Mordabsicht auf der Hand lag.

Ich schoß in den Schaft des Gewehres. Meine Kugel versengte dem Burschen die Finger. Er ließ die Flinte fallen und wollte davonrennen. Er hätte die Beine eines Hasen haben müssen, um Big Job Daniels zu entkommen.

Der Riese war schon fast an der Ecke, als ich ihn sah. Er schwang die gewaltige Büffelflinte wie ein Kinderspielzeug in der Faust. Er brüllte: »Steh, Bronx!«

Bronx lief um sein Leben. Er hatte es ein bißchen zu eilig und übersah deshalb die Treppenstufe vor dem Haus. Er segelte in den Dreck, sprang wieder auf – und Big Jobs gewaltige Pranke griff nach seinem Nacken.

Bronx wurde mit einem Griff herumgewirbelt. Er winselte wie ein getretener Hund. Sein ganzer Mut, seine ganze Großmäuligkeit ging unter vor diesem Riesen, der ihn aus lodernden Augen anstarrte.

»Du Satan!« brüllte Big Job. Er riß den Waffengurt von der Lende des Mannes, packte Bronx am Hosenbund, riß ihn hoch über den Kopf und schleuderte ihn von sich wie ein schmutziges Bündel Lumpen. Mitten auf der Bronco Street, kaum zwanzig Schritt hinter Jack, spritzte der Schlamm auf. Bronx wälzte sich ächzend und stöhnend, bis er wieder auf die schwankenden Füße kam, starrte zu Big Job, riß beide Hände über den Kopf und rannte torkelnd die Straße hinab.

Er rannte, stolperte, fiel, raffte sich wieder auf, fiel wieder, kroch durch eine Pfütze und lief weiter, bis eine Straßenecke ihn verschluckte.

Es war ein so komisches Bild, daß ich lachen mußte, ob ich wollte oder nicht. Und nicht nur ich, sondern alle Menschen lachten, die bis jetzt verängstigt oder erregt und neugierig an die Häuser gedrückt gestanden hatten. Und in diesem Gelächter löste sich die Spannung, löste sich das Grauen über den Tod eines Mannes, der diesen Tod tausendfach verdient hatte – aber auch er war ein Mensch gewesen! Ein Mensch wie wir alle.

Eine schwere Faust fiel auf meine Schulter. Erschreckt fuhr ich herum und schaute in ein grimmiges Gesicht, das sich jetzt langsam aufheiterte. Klare, graue Augen senkten sich in die meinen, und Big Jobs tiefe Stimme klang seltsam weich: »Okay, mein Junge. Wenn dich mal was beißt, komm zu Big Job Daniels. Fremd hier?«

»Ja, das heißt…«, stotterte ich verlegen, »das heißt, ich erwarte meine Mannschaft. Eigentlich müßte sie schon hier sein. Owens Mannschaft aus Encino, Texas. Wenn Sie sie gesehen haben, Daniels…«

»Ich heiße Big Job für meine Freunde. Owen aus Encino? Nein, Boy. Wie rufen sie dich?«

»Terry, Mr… äh, Big Job, Terry Owen.«

»Gut, Sohn. Wir sehen uns noch!«

Er schritt hinüber zu Jack Canby. Da stieg Rock Ryan aus dem Sattel und hob den toten Lou Finlo auf sein Pferd. Er sprach kein Wort, saß wieder auf und trabte aus der Stadt.

*

Daß ich Big Job und Jack Canby in diesem Augenblick aus den Augen verlor, lag an der hellen Stimme, die mich über die Straße hinweg anrief. Es war Alexis, meine Zwillingsschwester. Sie stand, offenbar auch von den Schüssen angelockt, auf der Veranda des Hotels und winkte herüber. Neben ihr erkannte ich Jay Marvins schlanke Gestalt.

Ich vergaß im gleichen Augenblick Canby und alle Revolvermänner der Welt, raffte mein Gepäck auf und rannte hinüber. Der Schlamm spritzte mir bis in den Nacken.

»Alexis, Gott sei Dank!« rief ich atemlos. »Wo sind die anderen? Wo ist Dad, wo die Mannschaft?«

Sie fiel mir um den Hals, und ich mußte mich wieder, wie schon so oft, fragen, wie der liebe Gott aus Zwillingen zwei so verschiedene Geschöpfe hatte formen können. Alexis war ein Bild von einer Frau, schön wie ein Frühlingstag – ich dagegen sah struppig aus und alles andere als hübsch. Sie war einen guten Kopf kleiner als ich. Ich war mächtig stolz auf mein Schwesterherz.

»Ich erwarte sie stündlich, Terry«, sagte Sie. »Ich hoffe sehr, daß sie den Canadian schon überquert haben, denn nach diesen Regengüssen geht der Fluß bestimmt sehr hoch. Gestern hatte Jay mit seiner Herde schon Mühe.«

Ich schüttelte Jay Marvin kurz die Hand.

»Du, Terry«, fiel Alexis ein, »du mußt gleich berichten, wie es in Wyoming war. Ich platze vor Neugier. Ist wirklich alles so, wie Milt Rattigan es geschildert hat?«

»Besser, viel besser! Es ist ein Paradies, das uns erwartet – und wir haben den besten Teil des Paradieses erwischt.«

Wir gingen ins Hotel, fanden einen günstigen Tisch und ließen nicht nur eine Flasche, sondern auch eine anständige Mahlzeit für mich auffahren. Während ich zulangte, berichtete Alexis über das Treiben der Herde.

»Wir sind, wie du weißt, vor vierzehn Tagen aufgebrochen. Es war eine höllische Hitze.«

»Keine Schwierigkeiten gehabt?« erkundigte ich mich. »Waren die Indianer ruhig?«

»Ja. Frag Jay, er hat mit einem Häuptling der Kiowas verhandelt, der ziemlich gefährlich aussah.«

»Halb so wild«, brummte Marvin. »Die Menschen muß man nur zu nehmen wissen. Ich habe ihnen ein paar Stiere geschenkt und ein paar Revolver. Sie waren froh, daß sie sich mal wieder richtig sattessen konnten.«

»Glück gehabt«, sagte ich. »Mit den Kiowas ist sonst nicht gut Kirschen essen. Aber wie kommt es, daß ihr so weit auseinandergerückt seid? In Encino sind doch alle Herden fast gleichzeitig aufgebrochen. Ich dachte, ihr wäret zusammengeblieben.«

»Das wollten wir auch«, knurrte Marvin, »aber mit den verrückten Pattersons kommt kein Mensch zurecht. Muß mich wundern, daß dein Vater es noch aushält und sie bei sich duldet. Der alte Guy Patterson bildet sich anscheinend ein, ich hätte ein Auge auf seine Tochter geworfen. Der Trottel!«