Vergeltung - Frank Wells - E-Book

Vergeltung E-Book

Frank Wells

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Drei Monate im Jahr ist Wells City eine wilde Stadt. Dann lösen drei Town-Marshals sich ständig ab, um die losgelassenen Männer der Treibherdenmannschaften halbwegs im Zaum zu halten. Wells City ist nämlich eine Rinderstadt, die Endstation der North-Western-Railway und Verladestation für zigtausend Rinder, die von allen Seiten herbeigetrieben werden. Die Stadt lebt von der Eisenbahn und von den Rindern. Die Leute leben vom Schnaps, vom Poker, von Tanzhallen und allen jenen Vergnügungen, die ausgehungerte Cowboys ersehnen. Drei Monate im Jahr ist Wells City das Eldorado der Glücksspieler und krummen Existenzen. Aber die übrigen neun Monate döst die Stadt vor sich hin und wartet auf die neue Saison. Die Sonne malt goldene Reflexe in den Fensterscheiben. Der Wind fährt mit streichelnder Hand durch Lightnings silberne Mähne. Der Hengst spielt ungeduldig mit den Ohren und bleckt die Zähne zu Cliff Barker herauf. Sie sehen beide nicht besonders gut aus nach diesem Ritt über fünfhundert Meilen. Ein bißchen mager und struppig sind sie beide, den rotbraunen Staub des Felsengebirges und der Alkali-Wüste in jeder Falte und Ritze, auf jedem Haar – bedeckt sie einfach überall. Und wenn alles stimmt, was Cassy Barker vor Jahr und Tag über das Puma-County geschrieben hat, dann ist es das Land, in dem Milch und Honig fließt. Cassy, das ist Cliffs Bruder. Genauer gesagt, sein Zwillingsbruder. Früher waren sie immer ein Herz und eine Seele – bis die Frau dazwischen kam. Cassy Barker hat sie geheiratet und ist glücklich. Virginia hat den ruhigen und besonnenen Mann gewählt, nicht den wilden Rowdy, der Cliff Barker damals gewesen ist. Das ist jetzt sieben Jahre her. Zeit genug, um zu vergessen.

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Die großen Western – 307 –

Vergeltung

Frank Wells

Drei Monate im Jahr ist Wells City eine wilde Stadt. Dann lösen drei Town-Marshals sich ständig ab, um die losgelassenen Männer der Treibherdenmannschaften halbwegs im Zaum zu halten. Wells City ist nämlich eine Rinderstadt, die Endstation der North-Western-Railway und Verladestation für zigtausend Rinder, die von allen Seiten herbeigetrieben werden.

Die Stadt lebt von der Eisenbahn und von den Rindern. Die Leute leben vom Schnaps, vom Poker, von Tanzhallen und allen jenen Vergnügungen, die ausgehungerte Cowboys ersehnen.

Drei Monate im Jahr ist Wells City das Eldorado der Glücksspieler und krummen Existenzen.

Aber die übrigen neun Monate döst die Stadt vor sich hin und wartet auf die neue Saison.

Die Sonne malt goldene Reflexe in den Fensterscheiben. Der Wind fährt mit streichelnder Hand durch Lightnings silberne Mähne. Der Hengst spielt ungeduldig mit den Ohren und bleckt die Zähne zu Cliff Barker herauf. Sie sehen beide nicht besonders gut aus nach diesem Ritt über fünfhundert Meilen. Ein bißchen mager und struppig sind sie beide, den rotbraunen Staub des Felsengebirges und der Alkali-Wüste in jeder Falte und Ritze, auf jedem Haar – bedeckt sie einfach überall.

Und wenn alles stimmt, was Cassy Barker vor Jahr und Tag über das Puma-County geschrieben hat, dann ist es das Land, in dem Milch und Honig fließt.

Cassy, das ist Cliffs Bruder. Genauer gesagt, sein Zwillingsbruder. Früher waren sie immer ein Herz und eine Seele – bis die Frau dazwischen kam.

Virginia…

Cassy Barker hat sie geheiratet und ist glücklich. Virginia hat den ruhigen und besonnenen Mann gewählt, nicht den wilden Rowdy, der Cliff Barker damals gewesen ist.

Das ist jetzt sieben Jahre her. Zeit genug, um zu vergessen. Die alte Wunde schmerzt nicht mehr.

Und doch schlägt Cliff Barkers Herz einen Takt schneller, wenn er an Virginia denkt. Er hat sie geliebt, wie ein Mann nur einmal lieben kann.

Sie wird es nie erfahren. Auch Cassy wird es nie erfahren, denn sie sind die besten Menschen, die Cliff kennt – und sie verdienen alles Glück dieser Erde.

Sie haben sich im Schweiße ihres Angesichts eine neue Existenz aufgebaut, in einem neuen Land. Und Cliff ist in all diesen Jahren ruhelos von Ort zu Ort gezogen – ein Mann mit dem traurigen Ruf, schnell mit dem Revolver zu sein.

Wells City döst träge im Mittagsschlaf vor sich hin. Auf der Main-Street reiht sich Bar an Bar, Saloon an Sa­loon, Hotel an Hotel. Vor dem erstbesten Restaurant sitzt Cliff ab und führt seinen silbergrauen Hengst in den Stall.

Es scheint keines der üblichen Nepp-Lokale zu sein. Außer Cliff sind nur noch drei Gäste da, die ihn zunächst groß anstarren und dann weiter ihre Suppe löffeln.

Der behäbige Wirt kommt gemächlich hinter der Theke hervor und nimmt Cliffs Bestellung entgegen. Auch er mustert den Stranger scharf, schüttelt endlich den Kopf und sagt dann: »Ich will doch auf der Stelle tot umfallen, wenn Sie nicht Mr. Barker sind!«

»Hm«, brummt Cliff heiser, denn der Staub von fünfhundert Meilen kratzt in seiner Kehle, »und was wäre dabei?«

Der Wirt hebt die Schultern.

»Nichts natürlich. Nur, ich hätte tausend Dollar gewettet, daß Sie vor ’ner guten Stunde aus der Stadt geritten sind.«

Cliff grinst und schaut unwillkürlich in den großen Spiegel hinter der Theke. Früher einmal hat es kaum einen Menschen gegeben, der Cassy und ihn auseinanderhalten konnte.

Sogar ihre Mutter hat sich oft vertan. Cassy hat oft Prügel eingesteckt für die dummen Streiche, die Cliff ausgeheckt hatte. Das war ein Mordsspaß.

Well, jetzt liegt sein Gesicht unter einer dicken Staubschicht verborgen. Deshalb haben diese braven Leute ihn wohl auch alle so angestarrt. Sie sehen Cassy in ihm. Nun, warum soll er ihnen den Spaß verderben.

»Und wohin bin ich geritten?« fragt Cliff harmlos.

Auf die Art erfährt er auch gleich, wo die Ranch Cassys liegt.

Der Wirt ist ein wenig ratlos.

»Auf den Weg nach Altadena natürlich. Aber ich muß mich doch wohl geirrt haben. Natürlich habe ich mich geirrt, denn Sie sind ja ganz anders gekleidet als der Mann, den ich für Sie gehalten habe. Und außerdem so verstaubt. Wenn Sie sich vor dem Essen säubern möchten? War wohl ein schneller Ritt, wie?«

Wenn Cassy wirklich in der Stadt gewesen und jetzt auf dem Heimweg ist, kann er ihn vielleicht noch einholen. Es wäre schön, wenn sie die erste Stunde ganz für sich hätten.

»Geht’s schnell mit dem Essen?« fragt Cliff.

Der Wirt nickt. Cliff folgt ihm, um sich ein bißchen menschlich herzurichten.

Als er gewaschen und frisch rasiert in den Spiegel schaut, kommt er sich direkt zehn Jahre jünger vor. Nur in seiner Lederkleidung nistet noch der Staub.

Er nimmt seinen Fensterplatz wieder ein und macht sich über das Essen her.

Ein paar Reiter kommen den Weg von Westen herunter, von den sonnenverbrannten gelben Hügeln. Sie reiten struppige Gäule. Ihre Art, im Sattel zu sitzen, hat etwas Besonderes, das sofort Cliffs Aufmerksamkeit erregt.

»Stinger Dunn«, murmelt der Wirt neben ihm. »Ich wundere mich sehr, daß Sie ihn im Puma County dulden, Mr. Barker. Dem steht doch das Gewerbe auf dem Gesicht geschrieben!«

Cliff nickt automatisch.

Stinger Dunn! Der Name löst ein Alarmsignal in ihm aus, und die Narbe an seinem Hals beginnt wieder zu brennen. Dort hat ihn Dunns Kugel getroffen. Drei Jahre ist es her. Vor drei Jahren auf der Straße nach Silver Bow. Sie waren zu dritt, aber nur Stinger Dunn hat es überlebt – und Cliff Barker. Wenn dieses verdammte Loch in seinem Hals nicht gewesen wäre, hätte er sich auf Dunns Fährte gesetzt.

Stinger Dunn! Er ist ein Satan, nicht nur mit dem Colt. Er hat seinen Weg durch den Westen mit blutigen Meilensteinen markiert. Und jetzt ist er also im Puma County.

Es gibt keinen Zweifel darüber, daß er etwas im Schilde führt. Diese Sorte führt immer etwas im Schilde, so wie damals in Silver Bow, als Dunn mit seiner Bande der Schrecken der Prärie war.

Seine Suppe ist gegessen, als die vier Reiter auf der Straße vorbeiziehen.

Stinger Dunn reitet eine halbe Länge vor den drei anderen. Er ist wie damals in schwarzes glänzendes Leder gekleidet. Sein kaltes, arrogantes Gesicht mit dem dünnen Bart auf der Oberlippe sieht eher wie das eines erfolgreichen Geschäftsmannes als das eines Killers aus. Nur die harten kieselsteinartigen Augen verraten etwas von der Brutalität, die in ihm steckt. Er ist ein gnadenloser Mann.

Die drei Männer hinter ihm stehen ihm kaum nach. Ihre Kleidung ist allerdings verlotterter als die ihres Chefs. Sie sitzen sorglos in den Sätteln, aber ihre Augen wandern wachsam umher.

*

Es geschieht eine Viertelstunde später. Es geschieht ohne jede Vorankündigung, wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Cliff Barker sieht es von seinem Fensterplatz aus und kann gar nichts tun, gar nichts. Ein Mann mit leerer Hüfte ist in solcher Situation hilfloser als ein Baby.

Stinger Dunn und seine Komplicen sind in einem Hotel zwei Häuser weiter abgestiegen. Ihre Broncos stehen mit hängenden Köpfen an der Haltestange in der glühenden Mittagssonne.

Die Luftklappe am Fenster ist geöffnet, so daß jedes Geräusch ganz deutlich von der Straße hereinkommt.

So hört Cliff auch das Klappern der Tür, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein großer, wuchtiger Mann ein Haus verläßt. Das Schild an dem Haus kündet an, daß dort Otto Preminger, seines Zeichens Viehhändler, wohnt.

Aber der Mann, der die Straße jetzt überquert und zum Restaurant kommt, ist kein Viehhändler. Er ist Cowboy oder Rancher, das sieht man auf den ersten Blick.

Der schwere Mann ist noch drei Schritte von der Veranda entfernt, als Cliff die harte Stimme hört, die er seit Jahren im Ohr trägt und nie vergessen wird.

Stinger Dunns Stimme.

»Hallo – Dick Gregory!« sagt die Stimme. »Wenn du mich suchst – hier stehe ich.«

Der Schwere Mann bleibt plötzlich stehen und wirft den stiernackigen Schädel herum. Cliff sieht, wie er die Schultern vorschiebt, wie jäher Zorn sein Gesicht überflutet. Dieser Dick Gregory ist genau der Mann, der auf Dunns Herausforderung reinfallen muß.

»Dunn!« Die brüchige Stimme des Hünen Gregory dröhnt über die Straße. »Du hast meine Rinder gestohlen, Dunn! Du elende Beutelratte kommst nicht damit durch, nicht bei mir!«

»Wirklich nicht, Dick?«

Obwohl Cliff Stinger Dunn nicht sehen kann, weiß er, daß der Bandit jetzt wölfisch lächelt. Er sieht es, als stände er neben ihm. Er haßt diese Visage, diese gemeine Stimme, die gedehnt fortfährt: »Und deine Beweise?«

Dick Gregory dreht sich langsam. Die Sonne sticht ihm schräg von vorn ins Gesicht. Er achtet aber nicht darauf. Neben Cliff atmet der Wirt hastig und gepreßt. Er murmelt: »Mein Gott – er ist verloren! Sieht denn der Narr nicht, daß es eine Falle ist?«

Männer, die so zornig sind wie Dick Gregory, sehen nie eine Falle. Selbst wenn sie sie sehen könnten, würden sie stur weitermarschieren, denn Männer seiner Art haben Stolz, und ihr Stolz duldet nicht, daß sie auch nur einen Schritt zurückweichen.

»Ich habe Beweise!« brüllt Gregory. »Ich trage sie auf meiner Hüfte spazieren. Komm und hol sie dir!«

Well, das ist genau das, was Stinger Dunn sich vorgestellt hat. Jetzt tritt er hervor.

Er kommt vom Hotel und geht mitten auf die Straße. Er bewegt sich langsam, breitbeinig und ungeheuer selbstsicher. Er lächelt…

Nein, das ist kein Lächeln. Er zeigt nur alle Zähne wie ein Wolfsrüde, der schon Blut leckt, wenn er nur die Fährte des Schafes riecht. Er kommt drei Schritte auf Dick Gregory zu, dann noch einen und noch einen. Seine Hände gleiten im Takt der Schritte immer Millimeter über die Kolben der Colts dahin. Er sagt leise: »Das interessiert mich, Dick. Zeig mir, was du kannst.«

Dick Gregory jagt die Luft in einem pfeifenden Atemzug aus den Lungen. Vielleicht hat er jetzt Angst. Vielleicht kommt ihm in dieser Sekunde zum Bewußtsein, daß sein Weg hier im Staub der Straße zu Ende geht.

Dann stößt er die Rechte zum Revolver hinunter und zieht. Er ist etwas schneller, als Cliff Barker gedacht hat. Seine Kugel schlägt zwischen Dunns Beinen auf.

Stinger Dunns Methode kennt Cliff genau, deshalb wendet er sich ab, als er die Colts aufbrüllen hört.

Dunn schießt beidhändig, und er schießt beide Magazine leer.

Dick Gregory stirbt ohne Schmerzen. Er braucht nicht mehr zu stöhnen, zu schreien, zu winseln. Das ist die einzige Gnade, die Stinger Dunns Kugeln ihm gewähren – wenn man es eine Gnade nennen will.

Der Wirt an Cliffs Seite ist grau im Gesicht. Er starrt auf das zuckende Bündel dort im Staub, starrt auf Stinger Dunn, der seelenruhig die Revolver entlädt und blickt dann auf Cliff und sagt tonlos mit zuckenden Lippen: »Ich hab’s gewußt. Mein Gott, warum haben Sie ihm nicht geholfen, Barker? Er war Ihr Nachbar und…«

Cliff Barkers Augen sehen nicht besonders gut aus, als er den Wirt anblickt. Auch seine Stimme klingt nicht besonders herzerfrischend, als er sagt: »Und warum haben Sie ihm nicht geholfen, Mister? Sollte ich vielleicht auf Mr. Dunn mit Steinen werfen?«

Er steht auf, zeigt auf seine leeren Hüften, wirft ein Geldstück auf den Tisch und geht zur Hintertür hinaus. Ihm ist übel, wenn er nur an das denkt, was vor ihm liegt.

Aber nun kann er nicht mehr zurück.

Nun darf er nicht mehr zurück. Er muß zu Cassy, muß ihm helfen?

Denn nichts ist gewisser als dies: Stinger Dunn hat seine Katze aus dem Sack gelassen.

Cliff Barker nimmt den Mantelsack vom Sattel und wickelt den Waffengurt und die Colts aus. Er schnallt sie um und lädt die Trommeln der Waffen.

Dann geht er zur Straße hinüber und sieht gerade noch, wie vier Reiter auf dem Weg nach Norden die Stadt verlassen. Stinger Dunn hat es mächtig eilig.

Cliff ist um das Vergnügen gekommen, ihn schon hier begrüßen zu können.

*

Eine Traube von Menschen steht um den Toten. Der Mann mit dem Stern schaut dem Arzt zu, der sich gerade aus dem Staub erhebt, die Achseln zuckt und murmelt: »Zu spät. Jede der Kugeln hätte ihn töten können.«

»Okay«, sagt der Town-Marshal knapp.

Dann wendet er sich an einen hageren, weißhaarigen Mann dicht neben ihm.

»Sie waren Zeuge, Mr. Preminger?«

»Ja«, nickt der hagere Mann, aus dessen Haus der getötete Gregory gekommen ist. Der Viehhändler Otto Preminger. »Ich habe es aus dem Fenster gesehen. Es ging so verdammt schnell. Dick hatte keine Chance.«

»Wer hat zuerst gezogen, Mr. Preminger?«

»Ich glaube, Dick Gregory. Aber was heißt das schon! Dunn ist schließlich ein Mann, der täglich den Revolver schwingt und…«

Der Marshal zieht die Schultern hoch.

»Sie kennen den Notwehrparagraphen, nicht wahr? Es tut mir leid. Wenn Gregory zuerst gezogen hat, kann ich nichts gegen Dunn unternehmen. Wer hat es anders gesehen?«

Niemand meldet sich. Es ist nun mal Tatsache, daß Dunn erst gezogen hat, als Gregory schon die Waffe in der Hand hielt. Notwehr!

Cliff lehnt an der Hausecke, als Premingers Blick auf ihn fällt. Preminger stutzt, schüttelt den Kopf und kommt auf ihn zu.

»Barker? Sie sind noch in der Stadt? Sie wollten doch heute morgen schon reiten.«

»Wie Sie sehen, bin ich noch hier, Preminger«, sagt er deshalb ruhig.

»Gut, daß ich Sie noch treffe. Was sagen Sie jetzt, he? Ich habe Sie gewarnt, und ich habe Gregory gewarnt. Jetzt ist Gregory erledigt. Sie fühlen sich alle zu sicher drüben im Puma County. Ich sage Ihnen, wenn Stinger Dunn loslegt, gehen Ihnen die Augen über.«

Cliff wiegt den Kopf.

»Wir werden sehen. Eine Gefahr, die man kennt, ist keine Gefahr mehr.«

»Sie sind ein kompletter Narr, wenn Sie so denken. Wer gesehen hat, wie Gregory in den Staub gelegt wurde, der gibt Ihnen keine Chance mehr. Und das ist der Grund, weshalb ich Ihnen die zweitausend Dollar Kredit nicht gegeben habe. Wenn Sie in einem halben Jahr noch leben, können wir uns wieder darüber unterhalten.«

Cliff mustert den Händler mit einem langen, kalten Blick. Cassy hatte ihn also um ein Darlehen ersucht. Es ist gut, das zu wissen. Jetzt braucht Cassy nicht mehr danach zu suchen, denn Cliff wird ihm das Geld geben.

»In einem halben Jahr brauche ich Ihr Geld nicht mehr«, sagt er. »Und wenn Sie auf Dunns Karte setzen…«

»Quatsch!« faucht Preminger. »Aber ich habe Augen im Kopf. Ich werfe mein Geld nicht zum Fenster hinaus. Wir haben uns gestern lange genug über das Thema unterhalten. Sie glauben, daß die Welt nur aus anständigen und wunderbaren Menschen besteht. Vielleicht glauben Sie es jetzt nicht mehr, da Ihr Freund Gregory dort liegt. Ich wünschte, ich hätte nicht so schnell recht bekommen.«

»Schon gut. Ich werde jetzt besser reiten. Sorgen Sie für Dick Gregory?« Preminger nickt düster.

»Ja. Natürlich. Ich werde ihn mit einem Wagen nach Altadena schicken. Bereiten Sie die Leute schon schonend vor. Nur gut, daß er keine Familie hat.«

»Ja, das ist wirklich gut. Und das mit dem Kredit – vergessen Sie es, Preminger. Ich werde schon klarkommen.«

Staunend schüttelt der Händler den Kopf.

»Nanu! Gestern abend waren Sie anderer Meinung. Glauben Sie, daß die dreitausend genügen, die ich Ihnen für die Herde gegeben habe?«

Das Alarmsignal in Cliff schlägt wieder an. Cassy hat also dreitausend Dollar in der Tasche. Und er ist vor zwei Stunden aus der Stadt geritten.

Wenn Stinger Dunn etwas von dieser Summe weiß…

Cliff nickt dem Viehhändler nur noch kurz zu und geht in den Stall zurück. Er zieht den Hengst aus der Box, zurrt den Sattel fest und schwingt sich hinauf.

Im Galopp jagt er an Preminger und der Menschengruppe vorbei.

*

Lightning heißt Blitz.

Der Mann, der Cliff Barkers Hengst so getauft hat, konnte wirklich keinen besseren Namen finden. Wie ein silbergrauer Pfeil fliegt Blitz die lange Steigung empor und den westwärts liegenden Höhen zu.

Immer muß Cliff an Stinger Dunn denken und an die dreitausend Dollar in Cassys Brieftasche.

Der Schuß ist wie ein Ausrufungszeichen hinter Cliffs Befürchtungen. Er kommt hohl und trocken durch die Waldgasse vor ihm. Es klingt, als wäre in einiger Entfernung eine Tür laut zugeschlagen worden.

Nur der Schuß, dann nichts mehr. Kein Schrei, kein Ruf, kein Antwortschuß.

Jemand kann eine Antilope geschossen haben. Es kann auch das Zeichen eines Cowboys sein, der einen anderen begrüßt. Cowboys schießen oft und gern, aber dazu nehmen sie meistens den Colt und nicht die Büchse.

Dies hier war ein Schuß aus einer Winchester. Der sonore trockene Knall hat es Cliff gesagt. Höchstens eine halbe Meile vor ihm hat die Kugel den Lauf verlassen – und sein Herz jagt plötzlich hoch oben im Hals.

Es bleibt das einzige Geräusch, bis auf das weiche Galoppieren seines Hengstes. Sie jagen schnell zwischen dem verfilzten Gestrüpp dahin, nehmen drei oder vier scharfe Biegungen, und dann zieht Cliff mit hartem Griff die Zügel an.

Ihm entgegen kommt mit langem Hals ein durchgehendes Pferd. Im trügerischen Licht der Dämmerung sieht die flatternde Mähne gespenstisch aus.

Cliff drückt »Blitz« an die Seite und ist schon aus dem Sattel. Der Bronco vor ihm bockt plötzlich, will seitlich ausbrechen, doch da hat Cliff ihn mit drei langen Sätzen erreicht und am Zügel.

Er braucht eine Minute, um das Tier halbwegs zu beruhigen. Dann schlingt er den Zügel um eine Esche und zurrt ihn fest. Als seine Hand über den Sattel gleitet, fühlte sie sich feucht und klebrig an. Blut!

Cliff Barker braucht nicht auf das Brandzeichen auf der Flanke des Pferdes zu schauen, um zu wissen, wessen Blut es ist.

*

Die Lichtung öffnet sich nach zweihundert Schritt. Sie ist nur klein. Unzählige Mücken tanzen im schwindenden Tageslicht ihren Reigen über dem verdorrten Gras.

Eine Gruppe von Rindern steht zusammengedrückt in einer Ecke der Lichtung. Etwa dreißig Rinder.

Der Mann liegt mitten auf dem Weg. Er liegt auf dem Gesicht, die Arme unter dem Kopf vergraben. In dem grauen Zwielicht ist es nicht mehr als ein Häufchen toter Gliedmaßen.

Cliff sitzt zwanzig Schritt vorher ab und bindet den Hengst mit mechanischen Bewegungen an einen Baum. Die Sorge würgt ihm die Kehle zu.

Durch die von allen Seiten tiefan­kriechenden Schatten geht er zögernd ein paar Schritte. Er kniet neben dem Mann nieder, da hört er das Brechen im Unterholz jenseits der Lichtung.

Er drückt das Ohr auf den Boden – ein Reiter prescht durch das Dickicht davon. Merkwürdig, daß es ihn völlig kalt läßt.

Nein, nicht merkwürdig, denn der Mann, der vor ihm liegt, ist sein Bruder.

Die Kugel des Mörders war schneller als Cliff Barker.

Alles versinkt neben dieser fürchterlichen Erkenntnis. Der Mörder?

Oh, der Mörder hat Zeit. Er wird ihn sich schon greifen, zu gegebener Zeit. Alles hat jetzt Zeit. Nur sie beide sind auf der Welt: Cassy und Cliff Barker.

Denn noch ist Cassy auf der Welt. Noch atmet er.

Und einige verrückte Sekunden lang glaubt Cliff tatsächlich, daß Cassy es überstehen kann. Bis er das Loch in seiner Brust sieht, dicht über dem Herzen.

Eine Winchester reißt große Löcher, Freunde. Zu große Löcher.