Die Helden-WG - Michaela Meyer - E-Book

Die Helden-WG E-Book

Michaela Meyer

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Beschreibung

Gemeinsam ist vieles einfacher. Egal, ob die Gründe dafür Verwandtschaftsverhältnisse, mangelnde Finanzen oder wenig heroische Notlagen sind: Wenn Helden sich zu Wohngemeinschaften zusammenschließen, ereignen sich manchmal merkwürdige Dinge. Vampirhühnchen, extradimensionale Schweinezwischenfälle oder ein kichernder Schimmelfleck können zum Schrecken für jede Hausverwaltung werden. Manche Helden wohnen bereits zusammen, andere finden noch zueinander. Unter 16 verschiedenen Geschichtendächern tummeln sich jeweils mindestens drei Bewohner, die mit Axt, Schwert und Magie jede Form der Hausratsversicherung ad absurdum führen.

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Seitenzahl: 255

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DIE HELDEN-WG

3 Zimmer, Küche, Axt

Die Deutsche Bibliothek und die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnen diese Publikation in der jeweiligen Nationalbibliografie. Bibliografische Daten:

http://dnb.ddp.de

http://www.onb.ac.at

© 2017 Verlag ohneohren, Ingrid Pointecker, Wien

www.ohneohren.com

ISBN: 978-3-903006-93-5

1. Auflage

Herausgeberin: Ingrid Pointecker

Covergestaltung: Verlag ohneohren

Covergrafiken: freepik.com

Lektorat, Korrektorat: Verlag ohneohren

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und/oder des entsprechenden Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Alle Personen und Namen in diesem E-Book sind frei erfunden.

Inhaltsverzeichnis

Michaela Meyer

Handwerker bevorzugt

Corinna Schattauer

Kevin

Marius Kuhle

Das sechsblättrige Kleeblatt

Isabel Schwaak

Drachentöter-Pension

Erya Veger

Drei sind einer zu viel

Yansa Brünnling

Ein Held von einem Barden

Sabrina Železný

Nur eine Formalität verwaltungstechnischer Art

Dahlia von Dohlenburg

Völlig versumpft

Magali Volkmann

Die Spinne im Schrank

Martin Ulmer

Helden, Henne und Helene

Robert von Cube

Schweine, Teller und Dämonen

Tina Skupin

Der Preis für Pizza

Matthias Ramtke

Ein Lied für Jamilla

Martin Riesen

HANDWERKER BEVORZUGT

Michaela Meyer

„Kein schlechter Kampf“, sagte Rolan und nahm einen Schluck aus seinem Becher. „Dass ein feiger Hund wie du, so austeilen kann … wenn die Gegner dicht dran sind, meine ich!“

Derwil, der Mann neben ihm, stellte seinen Becher sorgfältig ab, drehte sich lächelnd zu ihm um und fuhr ansatzlos die Faust aus. Er traf genau Rolans bereits blutende Nase!

Rolan stürzte und fiel rücklings auf einen am Boden liegenden Gast.

„Hey Jungs!“, rief eine Frauenstimme erbost. „Reicht es nicht, dass ihr meinen Laden komplett durcheinandergebracht habt?“ Lalina, die Chefin des Hurenhauses, erschien in Rolans Blickfeld. „Trinkt aus und verschwindet!“

Rolan rappelte sich auf und griff nach seinem Becher, Derwil, der Bogenschütze mit der kräftigen Faust, grinste in sein Bier.

Wochenlang waren sie gemeinsam im Namen irgendeines Adligen durch Matsch und Blut gewatet, hatten getötet und ums Überleben gekämpft.

Ehrenhafter Kampf? Quatsch! Während Rolan vier Gegner mit seinen Schwertern beschäftigt hatte, wollte ihn ein Soldat von hinten aufschlitzen. Nur Derwils scharfe Augen und sein Pfeil hatten ihn vor einer bösen Überraschung bewahrt …

Während die beiden Muskelpakete in Lalinas Diensten die bewusstlosen Gäste aus dem Raum schafften, wischten leichtbekleidete Mädchen das Blut der Schlägerei vom Fußboden.

Lalina lief herum und erfasste die Schäden am Mobiliar. „Fünf Stühle und zwei Tische sind nicht mehr zu gebrauchen, da lässt sich auch nichts mehr reparieren“, sagte sie, ging hinüber zur Theke und baute sich vor den Kämpfern auf. „Ihr habt die Keilerei angefangen, ihr zahlt“, betonte sie. „Zwanzig Silber und achtundfünfzig Kupfer.”

„Was?“, brüllte Rolan. Derwil hatte sich am Bier verschluckt und hustete.

„Vergesst nicht euer Schäferstündchen. Meine Mädels gibt es nicht umsonst.“ Lalina zwinkerte ihnen zu. „Das Bier, was noch in euch reingepasst hat, geht aufs Haus.“

Rolan zog seinen Geldbeutel heraus. Saufen und fressen hatten seinen Sold schon schmelzen lassen, bevor er ins Lalinas eingekehrt war. Trotzdem - Freudenhausschulden waren Ehrenschulden! Er legte zweiundzwanzig Silbermünzen auf den Tisch. Das war der Spaß echt wert gewesen! Derwil legte murrend seine Münzen dazu.

„Danke, Jungs“, sagte Lalina und fügte mit betörendem Lächeln hinzu: „Ihr seid hier immer herzlich willkommen - wenn ihr wieder Münzen im Geldbeutel habt …“

Also bestimmt nicht heute! Rolan trank aus und drehte sich zur Tür um. Hoppla! Da stand ein dürrer Mann doch direkt hinter ihm …

„Sieh an, da haben wir noch einen vergessen.“ Rolan runzelte die Stirn. „Wo hast du dich denn bis jetzt verkrochen?“

Stumm zeigte der Mann unter einen Tisch.

„Hey Derwil, das Bürschchen hier ist noch nicht von uns bedient worden!“ Rolan packte die mickrige Erscheinung, hob sie an und setzte sie auf den Schanktisch. Dabei zerknitterte er das seidene Rüschenhemd des Herrn.

„Scheint mir von edlem Blut, der feine Pinkel.“ Derwil rümpfte die Nase. „Da machen wir uns nur die Finger schmutzig.“ Er versetzte dem Mann mit spitzen Fingern einen Stoß, der Blaublütige verschwand hinter dem Tresen.

Rolan und Derwil lachten und schlugen sich gegenseitig auf die Schulter.

„Lalina, sag mal, kennst du nicht eine günstige Unterkunft für zwei … nicht mehr ganz nüchterne Kämpfer?“, rief Rolan.

„Hier in Brinil gibt es nur das Goldene Kissen und das ist sehr kostspielig. Erst in der nächsten Stadt findet ihr, was ihr sucht - zwei Tagesmärsche entfernt, immer am Brin entlang.“ Sie warf den Kopf mit der roten Lockenpracht zurück und lachte laut.

Rolan und Derwil sahen sich an.

„Na besten Dank auch“, maulte Derwil und Rolan zuckte mit den Schultern.

Beide Männer verließen das Haus und tauchten in die winterkalte Nacht ein. Es hatte nicht mehr geschneit, dafür war es viel zu eisig. Der Schnee krachte bei jedem Schritt, der die dünne Eisdecke über ihm durchbrach.

„Vielleicht sollten wir uns zusammentun“, überlegte Rolan. „Natürlich nicht für immer!“

„Natürlich nicht … nur so lange du es mit einem feigen Bogenschützen aushältst“, erwiderte Derwil höhnisch.

„Nimm´s nicht persönlich, aber wenn man einem Gegner in der Schlacht nicht Auge in Auge gegenübersteht …“

„So wie beim Schwertkampf, meinst du?“, unterbrach ihn Derwil.

„Genau!“

Die beiden gingen schweigend weiter.

„Das löst aber unser derzeitiges Problem nicht“, seufzte Derwil. „Wenn wir uns jetzt zusammen tun, erfrieren wir nur gemeinsam in dieser Nacht … Wir müssen irgendwo unterkriechen!“

Hinter ihnen räusperte sich jemand. Beide Männer drehten sich um, die Hand locker an Schwertknauf oder Dolch.

„Wie wird man einen Adligen los?“ Rolan verdrehte entnervt die Augen.

„Gar nicht“, antwortete Derwil trocken.

Hinter ihnen stand, in einen dicken Pelzmantel gehüllt und mit aufgeplatzter Lippe, der Blaublütige aus dem Lalinas.

„Meine edlen Recken“, sagte er. „Ich … ich könnte … die Lösung für euer Unterkunftsproblem haben.“ Ob er vor Kälte zitterte oder vor Furcht war schwer abzuschätzen.

„Hör dir das Bürschchen an!“, rief Rolan. „Vielleicht will er uns gar auf sein Schloss einladen!“ Die Kämpfer brachen in Gelächter aus.

Der Herr fuhr mit zittrigen Fingern durch sein spärliches Kopfhaar. „Schloss kann man es nicht nennen“, erklärte er leicht verschämt. „Es handelt sich um mein Landgut …“

„Vielleicht möchte der Herr Graf verkaufen?“ Derwil wischte sich Lachtränen aus den Augen.

„Der Kleine muss lebens-“

„Schenken“, unterbrach der vornehme Herr. „Ich möchte euch das Anwesen schenken!“

„-müde sein“, beendete Rolan seinen Satz und ließ anschließend den Mund offenstehen.

„Über diesem Anwesen liegt seit Generationen ein Fluch.“ Der Edle gewann offensichtlich an Selbstvertrauen. „Ich selbst wohne in einem schmucken Palais in der Residenzstadt. Doch jedes Jahr sind höhere Abgaben fällig.“ Er seufzte. „Und dann die Instandhaltung! Ich werde noch verarmen, wenn ich die alte Bruchbude … äh … den schönen Landsitz nicht loswerde!“

Rolan und Derwil starrten den Mann ungläubig an.

„Nun ja, ein Fluch kann doch so tapfere Männer wie euch sicher nicht schrecken!“

„Wenn das ein blöder Witz ist …” Rolan zog sein Schwert.

Der Hochwohlgeborene schrumpfte in sich zusammen. „Kein Scherz … Ich kann euch zum Anwesen führen. Wenn es euch nicht zusagt, könnt ihr ja immer noch …“ Er schloss schaudernd die Augen und zog seine rechte Hand mit Schwung über seine Kehle.

Obwohl Wohnhaus und Nebengebäude ziemlich vernachlässigt und zum Teil einsturzgefährdet schienen, beschlossen Rolan und Derwil, sich hier niederzulassen.

Sie bezahlten jeder eine Silbermünze - schenken ließen sie sich nichts - und bekamen die Besitzurkunde. Als Freiherr von Vellm, wie der Edelblütige hieß, sich fröhlich verabschiedete, schoss Rolan kurz durch den Kopf, dass etwas faul sein könnte.

Wenige Tage später war Rolan dabei, das Loch in der Wand des Schuppens zu schließen. In ihm gärte es - Reparaturarbeiten waren ihm zuwider! Als der Hammer erneut auf seinem Daumen landete, warf er das Werkzeug hin, spuckte die Nägel aus und rannte fluchend ins Wohnhaus.

Dort, auf dem längsten Flur des Hauses, übte Derwil Distanzschießen über achtzig Schritt. Sein Ziel war die wurmstichige Tür vor dem Durchgang zum Gebäude der Dienerschaft.

„Derwil!“, brüllte Rolan. „Wir haben beschlossen, den alten Kasten gemeinsam in Schwung zu bringen!”

„Tun wir doch“, der Bogenschütze deutete auf diverse Gefäße auf dem Boden. „Du reparierst den Schuppen und ich das Dach.“

Rolan versetzte dem nächstbesten Behälter einen kräftigen Tritt, Tauwasser des Schnees der vergangenen Nacht überspülte den Boden.

„Das nennst du reparieren?“ Rolan zog ein Messer aus der verborgenen Halterung seines Stiefels und richtete die Spitze auf den Mitbewohner. „Pack dein Zeug zusammen und verschwinde!“

Aufreizend langsam drehte Derwil sich mit gespanntem Bogen und aufgelegtem Pfeil zu ihm um. „Leg das Spielzeug weg.“ Er schien auf Rolans Herz zu zielen. „Mir gehört die Hälfte unseres wundervollen Heims - aber wenn du ausziehen willst, bitte!“

Was Rolan am meisten ärgerte - der Kerl hatte recht! Er steckte das Messer weg, drehte sich um und ging.

„Vergiss nicht - heute um Mitternacht bist du dran!“, rief Derwil ihm nach.

Rolan knirschte mit den Zähnen. Scheiß Fluch! Jede Nacht, Schlag zwölf, erschienen in der Speisekammer drei wurmartige Kreaturen und fraßen sich bis zum Morgengrauen voll. Nach mehrmaligem Verlust der Vorräte - der Freiherr hatte sie natürlich nicht entsprechend aufgeklärt - bewachten die Kämpfer die Lebensmittel umschichtig. Rolan bezweifelte inzwischen, ob es clever gewesen war, hier einzuziehen. Da wäre ein schnelles Erfrieren echt angenehmer gewesen.

Fünf Abende später saßen Rolan und Derwil in der großen Halle. Das lodernde Feuer im Kamin kämpfte tapfer gegen die Kälte an - ein Teil der Außenwand war inzwischen eingebrochen.

Beide waren übermüdet und schlecht gelaunt. Rolan, weil er vier Tage unterwegs gewesen war, um ein Bauerndorf von einem Werwolf zu befreien. Derwil, weil er in der Zeit allein gegen die Fluchwürmer gekämpft hatte.

„Und?“, fragte Derwil. „Wie viel hast du kassiert?“

„Nichts!“, antworte Rolan.

Da der Werwolf sich als halb verhungerter, etwas zu groß geratener Wildhund entpuppt hatte, waren ihm Lohn und Anerkennung verweigert worden. Alle Einwohner der Region hatten sich bewaffnet und ihn fortgejagt … Wenig heldenhaft! Derwil schien glücklicherweise keine weitere Erklärung zu erwarten.

„Ich hatte inzwischen lieben Besuch“, sagte Derwil und schenkte Kräuterschnaps ein, von dem der Freiherr sechs Fässer im Keller zurückgelassen hatte. „Einen Trupp königlicher Steuereintreiber, schwer bewaffnet.“ Er seufzte. „Die Abgaben … kurzum: Wir sind völlig pleite.“

Rolan nickte und starrte ins Feuer.

„Außerdem wollte ich dir schon lange etwas gestehen“, fuhr Derwil fort. „Ich tauge nichts als Handwerker.“

Ein müdes Lächeln huschte über Rolans Gesicht. „Ich auch nicht.“

„Meine Welt ist der Kampf“, sagten beide gleichzeitig und stürzten den Schnaps hinunter.

Plötzlich kam Rolan eine Idee. Er beugte sich im Stuhl vor und sagte aufgeregt: „Warum nehmen wir nicht noch einen bei uns auf? Einen mit Vermögen?“

Derwil brach in schallendes Gelächter aus. „Welcher … Kerl mit Gold … zieht denn … in so ein … Loch … ein?“, brachte er zwischen den Lachsalven hervor. „Aber”, gab Derwil zu, nachdem er sich wieder im Griff hatte, „die Idee ist nicht schlecht.” Er überlegte kurz. „Ein Handwerker, vielleicht ein Zimmermann oder ein Maurer, der würde uns weiterhelfen!“

„Na klar!“, rief Rolan begeistert. „Das ist die Lösung!“

Nachdem sie in dieser Nacht gemeinsam den gefräßigen Fluchkreaturen Einhalt geboten hatten, legten sie zunächst einige Regeln fest. Derwil wollte weiterhin auf dem langen Flur mit dem Bogen üben, Rolan wollte keine Tiere im Haus. Und das Wichtigste: Handwerkliche Begabung musste der Bewerber mitbringen. Konnte doch nicht so schwer sein, bei diesen Minimalanforderungen einen Mitbewohner zu finden!

Im Lalinas durften sie eine Notiz an die Eingangstür heften, die Lalina persönlich für sie formulierte. Dann hieß es abwarten!

Doch schon am folgenden Abend quietschte das eiserne Tor in der Steinmauer des Anwesens. Rolan und Derwal eilten hinaus und beobachten den Mann, der, begleitet von einer Unzahl verschiedener Geschöpfe, den Weg zum Haus nahm.

„Oh nein“, quetschte Rolan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Der Mann stellte sich als Bestienmeister Wenir vor. „Ich bin auf der Suche nach einer Unterkunft“, sagte der dünne Zweimetermann. „Ich weiß, keine Tiere, aber es sind ja nur sieben und sie sind alle ganz lieb.“

Rolan ließ seinen Blick über den Trupp Lebewesen schweifen. Ein Greifvogel, ein roter Rieseneber und ein kleiner Schlupfmarder. Die anderen Geschöpfe kannte er nicht einmal.

„Tut uns leid“, sagte Derwil mit einem spöttischen Seitenblick zu Rolan. „Es bleibt dabei - keine Tiere!“

Wenir wollte etwas erwidern, doch Rolan brüllte: „Hau schon ab - und vergiss ja nicht irgendeins deiner Viecher!“

Noch in derselben Nacht klopfte es energisch an der Tür. Rolan, aus dem Schlaf gerissen, öffnete missgestimmt.

„Nabend“, sagte eine Stimme durch dicke Felle hindurch und blies Rolan eine Mischung aus atemerwärmter Winterluft und purem Alkohol entgegen. „Ich nehm das Zimmer!“

„Komm erstmal rein, ich sage meinem Kampfgefährten Bescheid.“

Derwil war noch mit dem grünen Matsch der Vorratskammerwürmer besudelt, als er die große Halle betrat und sich neben Rolans Sessel aufbaute.

„Das ist Kutop.“ Rolan zeigte auf den Mann im anderen Sessel. „Er ist Axtkämpfer und hat unseren Anschlag im Lalinas gesehen.“

„Jo!” Kutop legte locker seine beiden Streitäxte auf dem Tisch ab.

„Axtkämpfer … hmmm“, überlegte Derwil. „Und wie steht es mit deiner handwerklichen Begabung?“

„Jo! Ich mach alles - Stein, Metall, Holz … Was ihr wollt!“ Liebevoll tätschelte er seine Äxte.

„Alles?“, rief Rolan begeistert und erhob sich. „Dann zeige ich dir dein neues Zim-“

„Moment!“ Derwil zeigte auf einen zierlichen Tisch, der in einer Ecke der Halle stand. Er hatte nur noch drei Beine, das Vierte wurde durch aufgestapelte Mauersteine ersetzt. „Zeig uns mal, was du drauf hast!“

Kutop stand auf, griff eine Axt und näherte sich leicht schwankend dem Tisch. Er schien ein paar Sekunden nachzudenken, dann stieß er einen Kampfschrei aus und schlug mit dem Axtstiel die Mauersteine weg. Bevor einer der Anwesenden einschreiten konnte, bearbeitete er das Holz mit der Axtschneide.

Derwil ging zu ihm, sammelte das Kleinholz ein und warf es ins Feuer des großen Kamins. „Das Zimmer ist nichts für dich“, sagte er mühsam lächelnd, gab Rolan ein Zeichen und sie warfen den schimpfenden Axtkämpfer kurzerhand durch den Mauerdurchbruch hinaus.

Einige Tage später sprang ein Pferd über die Mauer des Anwesens, auf seinem Rücken eine wunderschöne blonde Amazone. Sie brachte den Hengst vor den Männern zum Stehen und lächelte auf sie herab.

„Ihr habt ein Zimmer zu vergeben?”, fragte sie.

Beide nickten.

„Ich bin Haisi.“

Rolans Blick erfasste ihren gestählten und doch wohlgeformten Körper, ihr ebenmäßiges Gesicht mit den grünen Augen. Sie trug trotz der Eiseskälte nur einen kurzen Lederrock und eine schimmernde Bluse, die mehr enthüllte als verbarg.

Derwil schätzte offensichtlich die Vorzüge der neuen Mitbewohnerin ähnlich ein wie er, denn wie aus einem Munde hießen sie Haisi willkommen und baten sie ins Haus.

Seit dem Einzug der Amazone waren einige Wochen vergangen. Rolan saß im Garten und rührte in einer Eisenpfanne, die im Feuer stand. Es war bitterkalt.

So hatte er sich das alles nicht vorgestellt. Jeden Tag auf die Jagd gehen, die Beute in eine schmackhafte Mahlzeit verwandeln - alles für Haisi! Und was tat sie? Herumnörgeln, wenn es schon wieder Wildschwein gab!

Geschirr spülen, die Wäsche machen, sich jeden Tag waschen … Was für ein Leben!

„Bist du bald fertig?“, fragte Derwil und trat in den Lichtkreis des Feuers. „Du weißt, Haisi wird unangenehm, wenn sie hungrig ist!“

„Jaja“, knurrte Rolan.

Derwil setzte sich zu ihm, starrte ins Feuer und murmelte: „So geht es nicht weiter. Wir benehmen uns wie Vollidioten.”

„Was ist nun?“, keifte die liebliche Stimme Haisis. „Ich möchte noch in diesem Leben etwas essen - beeilt euch gefälligst, ihr Schlappschwänze!”

Die beiden Männer sahen sich gequält an.

„Wenn du es nicht tust, dann mach ich es“, sagte Derwil gepresst.

„Ich mach es.“ Rolan griff nach dem Dolch, mit dem er das Wildschwein zerteilt hatte. „Davon träume ich schon seit Tagen!“

Als kurze Zeit später ein Auftrag gutes Geld versprach, vertilgten die beiden Kämpfer den spärlichen Inhalt der Vorratskammer, um den Fluchtieren die Nahrung zu entziehen, und machten sich auf den Weg zum nahen Egresh-Gebirge. Dort trieb ein achtköpfiger Trollclan sein Unwesen, zerstörte Dörfer und schlachtete die Einwohner. Und da Trolle eine nette Abwechslung waren, zogen die beiden umgehend los.

Nur drei Wochen später waren die Trolle zerbröselt und sie machten sich auf den Heimweg - einen Beutel wertvoller Bergkristalle im Gepäck.

Schon aus der Ferne sahen sie die Rauchwolke über dem Anwesen …

Irgendetwas war anders. Das Tor quietschte nicht mehr in den Angeln, die Nebengebäude waren hergerichtet worden.

Der Rauch stammte auch nicht von einem Brand, wie sie befürchtet hatten, sondern kam aus einem neu gemauerten Abzug des Schuppens.

Als sie sich näherten, zog Rolan hastig sein Schwert und Derwil legte geschwind einen Pfeil auf. In einem steinernen Anbau des tadellos renovierten Schuppens hockte ein Drache und - spie Feuer! Es war ein recht kleines Exemplar, ein Jungdrache vielleicht …

Die Kämpfer schlichen näher, wohl wissend, dass ihre Chancen mehr als schlecht standen. Selbst ein Jungdrache konnte sie innerhalb eines Atemzuges zu Asche verbrennen.

Plötzlich, ein lauter Ruf! Das Drachenfeuer erlosch und ein verschwitzter bulliger Kerl mit nacktem Oberkörper kam hinter dem Drachenkörper hervor und rannte armwedelnd auf sie zu. „Nicht schießen!“, brüllte er. „Ich kann alles erklären!“

Der Mann wischte sich die verrußten Hände an einem Lappen ab, der halb in seinem Hosenbund klemmte. „Ich bin Lofur“, begann er das Gespräch. „Lalina hat mir erzählt, dass hier ein Zimmer frei ist.“

„Keine Tiere!“, schrie Rolan.

„Ich weiß“, gab Lofur zu, „aber ich hatte gehofft, euch von den Vorteilen Ragars zu überzeugen.“

„Ich bin nicht überzeugt!“ Rolans Fäuste krampften sich um den Schwertgriff. „Ganz und gar nicht!“

„Hast du den Schuppen so hergerichtet?“ Derwil musterte den massiven Anbau bewundernd. Der hölzerne Schuppen davor diente jetzt offenbar als Werkzeugkammer. „Ganz allein?“

„Nur mein Drache hat mir geholfen!“, sagte Lofur mit stolzgeschwellter Brust.

„Mir egal“, donnerte Rolan. „Verzieh dich - und zwar sofort!“

Derwil, der schon längst Pfeil und Bogen verstaut hatte, fragte: „Hast du … äh … haben du und Ragar noch etwas anderes gebaut?“

„Wir haben alles ein bisschen hergerichtet.“ Lofur streifte Rolan mit einem vorsichtigen Blick. „Aber das lässt sich wieder rückgängig machen.“

Derwil legte dem erstarrten Rolan einen Arm um die Schultern. „Vielleicht zeigt uns Lofur, was er hier verändert hat - was meinst du?“

„Der Drache bleibt draußen!“, knurrte Rolan, ließ sich aber mitziehen.

Es war eine Pracht! Das hochherrschaftliche Wohnhaus hatte wieder vier intakte Wände, es drang kein Tropfen Schmelzwasser mehr hinein und es gab einige neue Möbelstücke. Etwas klobig zwar, aber robust und bequem, musste Rolan zugeben.

„Bist du Maurer? Tischler?“, fragte Derwil.

Lofur kratzte sich verschämt über den Bauch. „Eigentlich bin ich Drachentöter, aber die Geschäfte laufen schlecht.“

„Drachentöter?“, fragte Rolan entgeistert. „Und wie nennst du dein Schoßtierchen da draußen?“

„Ragar, nenn ich ihn“, sagte Lofur. „Und ja, er ist ein Drache, aber ein sehr junger. Leider habe ich seine Mutter getötet - so etwas machen wir eigentlich nicht …“

„Natürlich nicht!“, sagte Rolan bissig. „Und jetzt bist du die Ersatzmutti, oder was?“

„Ersatzvati.“ Lofur schien gekränkt. „Das ist ja wohl auch meine verdammte Pflicht!“

„Nein, nein, nein!“ Rolan zog sein Schwert erneut aus der Scheide. „Das ist alles verrückt! Verrückt und widersinnig! Nicht mit mir!“, schrie er und ging auf Lofur los. Der wich geschickt aus. Derwil legte einen Pfeil auf, zögerte kurz und entschloss sich dann, Rolan anzuvisieren.

Lautes Stampfen und Krachen kündigten den Drachen an. Ein Feuerstrahl schoss auf Rolan zu, der sich blitzschnell zu Boden fallen ließ. Gleich darauf warf er fluchend das hellrot glühende Schwert von sich.

Lofur schnappte sich eine Decke vom Sessel, wand sich den Stoff um die Hand, griff das Schwert und rannte hinaus.

Rolan und Derwil - und der Drache - folgten ihm langsam zum Schuppen. Als sie ankamen, hämmerte und zischte es, Funken flogen.

„Mir sind die Scharten und Kerben aufgefallen, als du mich vorhin bedroht hast.“ Lofur zog das bearbeitete Schwert aus dem Wasserbottich und reichte es Rolan.

Der schaute mit leuchtenden Augen auf die makellose, funkelnde Klinge.

„Tut mir leid … wegen der Zerstörung“, sagte Lofur und nickte Richtung Haus.

„Schon in Ordnung. Die Türen hätten wir eh verbreitern müssen, wenn ihr bei uns einzieht“, erwiderte Derwil gelassen.

KEVIN

Corinna Schattauer

Rrrriiinnng. Rrrriiinnng.

Erst beim dritten Klingeln schwang die Wohnungstür auf, vor der Kevin nervös von einem Bein aufs andere trat. Verdutzt fiel sein Blick auf einen breiten Ledergürtel. Erst als Kevin den Kopf in den Nacken legte, konnte er dem Schrank von einem Mann, der in den Türrahmen getreten war, frei ins Gesicht sehen.

Der Hüne musste sich ein wenig seitlich stellen, damit seine Schultern in die Öffnung passten. Sein wallendes Haar fiel ihm weit über das breite Kreuz, der nicht minder imposante Bart hing bis zu seinem Gürtel hinunter. Verwirrt sah er sich um, bevor er daran dachte, den Blick zu senken. Etwa auf Höhe seines Bauchnabels entdeckte er schließlich Kevin, der mit bleichem, von Akne befallenem Gesicht zu ihm empor starrte. Für einen Moment herrschte ratloses Schweigen.

„Ich …“, versuchte es Kevin, bevor die Nervosität ihm die Kehle zuschnürte. Er räusperte sich umständlich und wollte erneut ansetzen, doch der Berg von einem Mann kam ihm zuvor.

„Kevin?“, donnerte er, woraufhin Kevin erschrocken zusammenzuckte, bevor er schließlich schüchtern nickte. Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht.

Doch der Hüne lachte bloß kehlig und klopfte ihm so hart auf die Schulter, dass Kevin fast vornüber kippte. „Ich bin Thorald“, fuhr er mit einem breiten Grinsen fort. „Wir haben geschrieben?“

„J-ja“, stotterte Kevin, während er von Thorald schon an der Schulter durch die Wohnungstür geschoben wurde.

„Komm rein, komm rein!“, forderte dieser ihn auf. „Wo sind deine ganzen Sachen? Coco und ich werden natürlich mit anpacken. Na?“

Schüchtern hielt Kevin die lederne Reisetasche hoch, die er in der Hand hielt.

„Das ist alles?“, wollte Thorald wissen und legte die Stirn in Falten.

„Sie … Sie schrieben, das Zimmer sei möbliert, also … Ich komme aus einem bescheidenen Elternhaus, müssen Sie wissen, und …“

„Sicher, sicher“, unterbrach Thorald überraschend sanft. „Dafür musst du dich nicht schämen, wir sind alle aus einem Grund hier. Habe ich recht, Coco?“, fragte er den Mann in Bademantel und Hausschuhen, der gerade aus einem Zimmer schlurfte.

Kevin verschlug es bei dessen Anblick plötzlich die Sprache, was ihn sehr verwirrte. Stets war er der holden Weiblichkeit zugeneigt gewesen (nun, theoretisch jedenfalls), doch dieser hochgewachsene, schlanke und doch muskulöse Mann mit seiner glänzenden Mähne silbernen Haars ließ sein Herz plötzlich schneller schlagen. Der eisige Blick aber, den der mit „Coco“ angesprochene Thorald zuwarf, ließ Kevin noch im gleichen Augenblick das Blut in den Adern gefrieren.

„Das ist der Spitzname, den meine geliebte, verstorbene Mutter mir gab und den ich dir in einem Moment der Verletzlichkeit anvertraut habe … “

„Dir ist im Suff rausgerutscht, dass du mal davon geträumt hast, dass du eine Stripperin namens Coco warst und …“

„Und überhaupt bin ich der Meinung, dass ich unserem neuen Mitbewohner angemessen vorgestellt werden muss!“

Das Abbild göttlicher Schönheit, das da vor Kevin stand, griff in die Tasche seines Bademantels und förderte einen fein gearbeiteten Goldreif mit eingelassenen Rubinen zutage. Coco platzierte ihn in einer grazilen Bewegung auf seinem eleganten Haupt. „Meine Name“, fuhr er fort, „lautet König Alasir Corelio III. von Manambur, Herrscher über die Völker von Idrim und Leahantor, Herzog von For, Mexa und Koralia, Großwesir der Vereinigten Wirrtiten, Oberhaupt der Kirche der Allmächtigen Chantal, Stifter einer Parkbank im Tempelgarten des Heiligen Dimm …“

„Du musst ihn irgendwann unterbrechen, sonst hört er gar nicht mehr auf“, fuhr Thorald schließlich dazwischen. „Ich weiß nicht, wie lange er noch weitermacht, wenn du es nicht tust.“

„Du wüsstest es, wenn du mich einmal aussprechen lassen würdest“, erwiderte König Alasir pikiert. Er steckte seine Krone wieder ein und verschwand im Badezimmer, nicht ohne die Tür vernehmlich hinter sich ins Schloss schlagen zu lassen.

„Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer“, brummte Thorald, während er den Flur entlangschritt. Kevin musste sich beeilen, um mitzuhalten – für jeden Schritt, den Thorald machte, benötigte er drei.

„Warum … Warum lebt ein König in einer Wohngemeinschaft?“, fragte er verdutzt.

„Weil er kein König mehr ist“, erwiderte Thorald, während er eine Tür am Ende des Flurs aufstieß. „Sein Volk hat ihn vom Thron geputscht. Er konnte fliehen und dabei ein paar Schätze einstecken, aber nicht viel. Also muss er mit seinem Geld haushalten. Von dem, was er in seiner Manteltasche mitgebracht hat, könnte er sein restliches Leben finanzieren, wenn er achtsam ist. Aber er will unbedingt den Thron zurück.“ Thorald seufzte. „Ich suche nicht gern nach neuen Mitbewohnern. Da draußen laufen viele Spinner rum, weißt du? Also, noch größere Spinner. Wie dem auch sei: Willkommen in deinem neuen Reich! Es muss noch ein wenig aufgeräumt werden, aber … naja.“

Vorsichtig lugte Kevin um den Türrahmen. Er musste zugeben, er hatte mit allerhand gerechnet, aber damit? Ein Bett gab es in dem kleinen Zimmer nicht, ebenso wenig einen Schreibtisch. In einer Ecke lag ein Haufen Stroh, von dem ein strenger, undefinierbarer Geruch ausging, in einer anderen stapelten sich haufenweise abgenagte Knochen. Mehr als die Hälfte des Raums wurde von einem monströsen Käfig eingenommen, in dem schwere Ketten ein beunruhigendes Bild seines einstigen Bewohners zeichneten. Kevin schluckte schwer.

„Daher die Vorschrift, dass Haustiere nicht erlaubt sind“, erläuterte Thorald. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er an Kevin vorbei ins Leere. „Nie wieder“, flüsterte er, während er den massigen Oberkörper rhythmisch vor und zurück wiegte. „Niemals wieder.“

„Th-Thorald?“, hauchte Kevin nach einer Weile, woraufhin der Hüne wie aus einer Trance erwachte.

„Das wird hier ruckzuck wohnlich!“, dröhnte er. „Du wirst schon sehen. Ich kümmere mich darum. Kaffee?“

Kevin nickte eifrig.

Nur wenig später saßen die beiden am Küchentisch, dampfende Tassen vor ihnen. Eins musste man Thorald lassen, stellte Kevin fest, sein Kaffee zog einem zwar die Schuhe aus, aber schlafen brauchte man in den nächsten 48 Stunden sicherlich nicht mehr.

„Probier von dem Kuchen!“, forderte Thorald ihn auf. „Hab ich selbst gebacken!“

Zögerlich griff Kevin nach einem Stück des über und über mit bunten Streuseln, Kügelchen und Zuckerguss dekorierten Gugelhupfes. Unter den wachsamen Augen Thoralds biss er hinein – und riss überrascht die Augen auf. Nie zuvor hatte er eine solch schokoladige Köstlichkeit gekostet! Genießerisch verdrehte er die Augen, während er schon den nächsten Bissen in sich hineinstopfte.

„Nun erzähl mal, Kleiner, was genau treibt dich her?“

Hastig kaute Kevin und schluckte. Etwas wehmütig schielte er auf den Rest des Kuchenstücks, das nun erst einmal liegen bleiben musste.

„Ich habe mich an der Heldenakademie eingeschrieben, Hauptfächer Jungfrauen in Nöten und Seilflechten. Meine Eltern waren außer sich. Mein Vater ist … sagen wir, Beamter, und hatte für mich ebenfalls eine Karriere im … ähm, öffentlichen Dienst vorgesehen, aber das bin ich einfach nicht, verstehst du? Wir haben gestritten und … nun ja … sie haben mich rausgeworfen. Jetzt muss ich erstmal sehen, wie ich mich finanziere.“

„Oh ja“, erwiderte Thorald. „Das kenne ich gut. Weißt du, mein Leben lang war ich Wikinger, wie mein Vater, wie meine Mutter, wie meine Schwestern. Ich habe mit ihnen geplündert und gemordet und geraubt, aber ich wusste einfach, dass das nicht das Leben war, das ich gerne führen wollte. Aber sie haben das nicht verstanden, also bin ich gegangen. Ich möchte mich als Innenausstatter selbstständig machen! Schon früher bin ich manchmal heimlich zu den ausgeraubten Leuten zurückgekehrt und habe ihnen geholfen, ihr Heim wieder einzurichten. Das hat Spaß gemacht, verstehst du? Aufbauen, nicht zerstören, das ist mein Ding!“

Laut wurde die Küchentür aufgestoßen und König Alasir schwebte herein. Sofort lief Kevin bis zu den Ohren rot an und wusste nicht recht, wo er hinsehen sollte. Der Monarch trug eine leichte Tunika, unter der sich seine Muskeln deutlich abzeichneten und die den Blick auf seine Brust und seine Unterschenkel freigab, die genauso gut aus Marmor hätten gehauen sein können. Das noch feuchte Haar lag ihm in einem seidigen Zopf über der Schulter.

„Kaffee!“, hauchte er aus seinen Lippen, zart und voll wie Rosenblätter, und sofort sprang Kevin auf, griff nach einer Kaffeetasse und wollte einschenken, als er eine schwere Hand auf der seinen spürte.

„Coco“, knurrte Thorald. „Lass das!“

Der ehemalige König verzog sein anmutiges Gesicht zu einem Schmollen. „Ich kann nichts dafür, dass ich diese Wirkung auf andere Menschen habe“, säuselte er, bevor er sich selbst Kaffee einschenkte.

Langsam sank Kevin auf seinen Stuhl zurück und starrte Alasir an. Hatte er schon einmal etwas Göttlicheres gesehen, als diesen jungen Mann, der einen Schluck Kaffee nahm? Alasir bemerkte Kevins Blick und zwinkerte ihm zu. „Das ist also der Neue, ja?“

„Er heißt Kevin“, erwiderte Thorald geduldig.

„Kevin, Schatz, würdest du mir wohl den Zucker rüberreichen?“

Sofort wollte Kevin aufspringen, doch erneut hielt Thorald ihn zurück. Seufzend beugte Alasir sich selbst zur Zuckerdose vor. „Du gönnst einem aber auch gar keinen Spaß“, beschwerte er sich, doch der ehemalige Wikinger ignorierte ihn.

„Keine Sorge“, versicherte er stattdessen dem schwärmenden Kevin. „Das geht vorbei. So fühlen sich alle, die ihm zum ersten Mal begegnen.“

Daraufhin zwinkerte Alasir und warf Thorald einen Luftkuss zu. Der Ex-Wikinger rollte mit den Augen. Voller Anmut ließ Alasir sich auf dem letzten freien Stuhl nieder.

„Weißt du, ich hab schon lange keinen Assassinen mehr gesehen, der meinen Kopf nach Manambur bringen sollte“, plauderte er. „Ist dir jemand untergekommen?“

Thorald schüttelte den Kopf, ein wenig betrübt, wie Kevin meinte. „Nein, alles ruhig. Aber du hast recht, ist schon etwas her.“

Vorsichtig stellte Kevin seinen Kaffee ab. „Ich … Ich ziehe mich zurück“, quetschte er hervor. „Falls ihr mich braucht, ich bin in meinem Zimmer und fege und … desinfiziere Dinge.“

Kopfschüttelnd sah Thorald dem schmächtigen Studenten nach. „Du hast ihn verschreckt, den armen Kerl.“

Alasir sah ihm nachdenklich hinterher. „Ich weiß nicht“, brummte er. „Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.“

Kevin schlug erleichtert die Zimmertür hinter sich zu. Er hastete zu seiner Reisetasche, durchwühlte sie, bis er das Porträt seines Vaters, das er stets mit sich führte, gefunden hatte. Seine Augen begegneten denen des streng dreinblickenden Mannes.

„Vater“, flüsterte er und das Porträt erwachte zum Leben.

„Ich höre dich, mein Sohn“, erwiderte das Abbild. „Moment … die Verbindung rauscht etwas … Warte … So, jetzt ist es besser. Erzähl, wie ist es dir ergangen?“

Mandor von Berenin der Jüngere, Codename Kevin, richtete sich auf. „Ich glaube nun zu wissen, warum unsere Assassinen nie zurückgekehrt sind“, flüsterte er. „Alasir vermag mit seinem Charme alle zu umgarnen und er hat einen kräftigen Freund, der Erfahrung darin hat, unliebsame Eindringlinge zu beseitigen; der erledigt vermutlich den Rest. Es war gut, dass ich mich getarnt eingeschleust habe, Vater. Aber was nun? Wie soll es mir gelingen, Alasir zu töten und am Leben zu bleiben, um seinen Kopf nach Manambur zu bringen? Wie?“

„Du wirst einen Weg finden, mein Sohn, darauf vertraue ich. Nun, du weißt, wie teuer diese Ferngespräche sind und wir wollen die Kosten für deinen Einsatz gering halten. Melde dich, sobald es Neuigkeiten gibt. Adieu!“