Die Insel der Pinguine - Anatole France - E-Book

Die Insel der Pinguine E-Book

Anatole France

0,0

Beschreibung

Der Heilige Maël tauft aus Versehen ein paar Riesenpinguine, weil er sie aufgrund seiner Kurzsichtigkeit mit Menschen verwechselt. Eine schnell einberufene Versammlung im Paradies sieht sich daraufhin gezwungen den getauften Pinguinen Menschengestalt zu verleihen. Der Taufakt darf ja nicht aufgrund so einer "kleinen Verwechselung" seine Gültigkeit verlieren … Maël versucht den frischgebackenen Menschenkindern die Grundzüge der Zivilisation zu lehren. Doch leider ergreift auch der Teufel in Gestalt eines Mönches die Chance und mischt sich immer wieder störend ein. Die darauf folgende beschriebene Entwicklung des pinguinischen Volkes vom Altertum bis in die Zukunft weist natürlich nur "rein zufällig" immer wieder ironische Parallelen zur französischen Geschichte auf …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 383

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anatole France

Die Insel der Pinguine

Inhaltsverzeichnis
Vorrede
Erstes Buch
Der Ursprung
Erstes Kapitel
Das Leben des heiligen Maël
Zweites Kapitel
Des heiligen Maël apostolische Berufung
Drittes Kapitel
Des heiligen Maël Versuchung
Viertes Kapitel
Des heiligen Maël Fahrt übers Eismeer
Fünftes Kapitel
Die Taufe der Pinguine
Sechstes Kapitel
Eine Versammlung im Paradies
Siebentes Kapitel
Verwandlung der Pinguine
Zweites Buch
Die alte Zeit
Erstes Kapitel
Die ersten Hüllen
Zweites Kapitel
Begrenzung der Felder und Ursprung des Eigentums
Drittes Kapitel
Der erste pinguinische Ständetag
Viertes Kapitel
Die Hochzeit des Kraken und der Orberose
Fünftes Kapitel
Der Drache von Alka
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Drittes Buch
Mittelalter und Renaissance
Erstes Kapitel
Brian der Fromme und die Königin Glamorgane
Zweites Kapitel
Drako der Große. – Überführung der Reliquien der heiligen Orberose
Drittes Kapitel
Die Königin Crucha
Viertes Kapitel
Die schönen Wissenschaften: Johannes Talpa
Fünftes Kapitel
Die Künste: Die Primitiven der pinguinischen Malerei
Die Vision der Margaritone
Sechstes Kapitel
Marbod
Marbods Höllenfahrt
Siebentes Kapitel
Mondzeichen
Viertes Buch
Die neue Zeit: Trinko
Erstes Kapitel
Die rote Jule
Zweites Kapitel
Trinko
Drittes Kapitel
Die Reise des Doktors Obnubilis
Fünftes Buch
Die neue Zeit: Chatillon
Erstes Kapitel
Die ehrwürdigen Patres Agaric und Cornemuse
Zweites Kapitel
Prinz Crucho
Drittes Kapitel
Das geheime Konzil
Viertes Kapitel
Vikomtesse Olive
Fünftes Kapitel
Der Prinz Boscénos
Sechstes Kapitel
Der Sturz des Emirals
Siebentes Kapitel
Sechstes Buch
Die neue Zeit: Der Fall der achtzigtausend Heubündel
Erstes Kapitel
General Greatauk, Herzog von Skull
Zweites Kapitel
Pyrot
Drittes Kapitel
Graf Maubec von Dentdulynr
Viertes Kapitel
Colomban
Fünftes Kapitel
Die ehrwürdigen Patres Agaric und Cornemuse
Sechstes Kapitel
Die siebenhundert Pyrots
Siebentes Kapitel
Bidault-Coquille und Maniflore. Die Sozialisten
Achtes Kapitel
Der Prozeß Colomban
Neuntes Kapitel
Pater Douillard
Zehntes Kapitel
Staatsrat Chaussepied
Elftes Kapitel
Fünftes Buch
Die neue Zeit: Frau Ceres
Erstes Kapitel
Der Salon der Frau Clarence
Zweites Kapitel
Die Stiftung der heiligen Orberose
Drittes Kapitel
Hippolyt Ceres
Viertes Kapitel
Die Heirat eines Politikers
Fünftes Kapitel
Das Kabinett Visire
Sechstes Kapitel
Das Sofa der Favoritin
Siebentes Kapitel
Die ersten Folgen
Achtes Kapitel
Neue Folgen
Neuntes Kapitel
Die letzten Folgen
Der Höhepunkt der pinguinischen Zivilisation
Achtes Buch
Die Zukunft: Die Geschichte ohne Ende
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Impressum

Vorrede

Es mag scheinen, daß die Belustigungen sehr verschiedenartig sind, die offenbar Reiz für mich haben. Und dennoch kennt mein Leben nur einen Gegenstand, einem großen Plan ist es gänzlich unterworfen. Ich schreibe die Geschichte der Pinguine. Mit Fleiß arbeite ich daran, ohne mich durch die häufigen Schwierigkeiten abschrecken zu lassen, die oft für unüberwindlich gelten könnten.

Ich habe die Erde aufgewühlt, um die vergrabenen Denkmäler jenes Volkes zu entdecken. Die ersten Bücher der Menschen waren Steine. Ich habe die Steine durchforscht, die man als primitive Annalen der Pinguine betrachten mag. Am Gestade des Ozeans habe ich in einem noch unversehrten Totenhügel gestöbert. Darin fand ich, wie das so Brauch ist, Äxte aus Kieselstein, bronzene Schwerter, römische Münzen und ein Geldstück zu einem Franken mit dem Bildnis Ludwig Philipps des Ersten, des Frankenkönigs.

Für die geschichtlichen Zeiten hat die Chronik des Johannes Talpa, eines Mönches vom Kloster Beargarden, mich sehr gefördert. Dort stillte ich meinen Durst nach Wissen um so ergiebiger, als für das graue Mittelalter keine andere Quelle pinguinischer Historie aufzuspüren ist.

Reicher sind wir vom dreizehnten Jahrhundert ab, reicher zwar, doch nicht glücklicher. Es ist außerordentlich schwer, Geschichten zu schreiben. Nie weiß man genau, wie die Dinge sich zugetragen haben, und des Historikers Verlegenheit steigt mit der Dokumente Überfluß. Wenn ein Geschehnis durch eines einzigen Zeugen Mund bekannt ist, so vertraut man ihm, ohne lange zu schwanken. Ratlos wird man erst, wenn die Ereignisse von zwei oder mehr Zeugen berichtet werden; denn ihre Aussagen widersprechen einander stets und sind stets unverträglich.

Sicher ist, daß die wissenschaftlichen Gründe, ein Zeugnis einem anderen vorzuziehen, bisweilen sehr stark sind. Nie sind sie stark genug, unseren Leidenschaften, unseren Vorurteilen, unseren Interessen zu obsiegen, nie, jene Flüchtigkeit des Geistes zu überwinden, die allen ernsten Menschen gemein ist. Drum legen wir die Tatsachen beständig auf eigennützige oder frivole Weise dar.

Ich wollte etlichen gelehrten Archäologen und Paläographen meines Landes und des Auslandes das Ungemach eröffnen, das ich bei der Niederschrift der Geschichte der Pinguine hatte. Sie schenkten mir nur ihre Verachtung. Und sie besahen mich mit einem Lächeln des Erbarmens, das wohl heißen sollte: »Schreiben denn wir Geschichte? Versuchen wir, einem Text, einem Dokument das kleinste Stückchen Leben oder Wahrheit, abzugewinnen? Rein und einfach drucken wir die Texte ab. Wir halten uns an den Buchstaben. Der Buchstabe allein hat Wert und Bestimmtheit. Der Geist ist unbewertbar, unbestimmt, Trugbilder sind die Ideen. Wer Geschichte schreibt, muß höchst eitel sein und Freude am Erfinden haben.«

All das lag im Blick und im Lächeln unsrer Meister der Paläographie, und die Unterredung mit ihnen hat mich tief entmutigt. Eines Tags, nach einem Gespräch mit einem hervorragenden Siegelforscher, war ich noch betrübter als sonst. Und plötzlich entsann ich mich:

»Aber es gibt doch Historiker. Ihr Geschlecht ist ja nicht völlig ausgestorben. In der Akademie der Geisteswissenschaften werden fünf bis sechs konserviert. Sie drucken keine Texte; sie schreiben Geschichte. Sie zum mindesten werden mir nicht sagen, daß zu dieser Beschäftigung Eitelkeit gehört.«

Der Gedanke hob meine Zuversicht.

Tags drauf (wie man gewöhnlich sagt, oder Tages darauf, wie eigentlich gesagt werden müßte) stellte ich mich einem von ihnen vor, einem klugen Greise.

»Ich möchte,« so bemerkte ich, »bei Ihnen, dem Erfahrenen, mir Rat holen. Ich plage mich mit dem Entwurf eines Geschichtswerks und bringe es zu nichts.«

Achselzuckend erwiderte er:

»Weshalb, guter Herr, wollen Sie sich so anstrengen, weshalb wollen Sie eine Geschichte verfassen, indes Sie nach dem Brauch nur nötig hätten, die bekanntesten abzuschreiben? Hätten Sie eine neue Ansicht, eine ursprüngliche Idee, stellten Sie Menschen und Dinge in unerwartetem Lichte dar, so würden Sie den Leser überraschen. Und der Leser hat es nicht gern, wenn er überrascht wird. In einem Geschichtswerk sucht er stets nur Dummheiten, die er schon weiß. Wer sich müht, ihm Kenntnisse zu verschaffen, der wird ihn nur beschämen und ärgern. Streben Sie nicht, ihn aufzuklären. Er wird darüber schreien, daß Sie seinen Glauben beschimpfen.

Die Historiker schreiben einander ab. So sparen Sie sich Arbeit und vermeiden den Schein des Hochmuts. Folgen Sie ihrem Beispiel und seien Sie nicht original. Ein originaler Geschichtsschreiber fällt dem Mißtrauen, der Verachtung und dem Abscheu von überall her anheim. Meinen Sie, Herr,« fügte er hinzu, »ich wäre der geschätzte, geehrte Mann, der ich bin, wenn ich in meine Geschichtsbücher Neues gebracht hätte? Was ist denn das Neue? Unverschämtes Zeug.«

Er stand auf. Ich dankte ihm für seine Freundlichkeit und eilte zur Tür, er aber rief mich zurück:

»Noch ein Wort. Sofern Sie Ihrem Buch eine gute Aufnahme wünschen, versäumen Sie keinen Anlaß, darin die Tugenden zu preisen, die der Gesellschaften Stütze sind: die Botmäßigkeit gegen den Reichtum, die frommen Gefühle und insbesondere die Entsagung der Armen, diese Grundlage der Ordnung. Versichern Sie, daß in Ihrem Geschichtswerk der Ursprung des Eigentums, des Adels, der Schutzmannschaft mit der Achtung gewürdigt werden sollen, die jenen Einrichtungen zusteht. Bedeuten Sie, daß Sie das Übernatürliche, wenn es sich zeigt, anerkennen. Tun Sie dies, so werden Sie in den besseren Kreisen gefallen.«

Ich habe die weisheitsvollen Lehren erwogen und mich sehr nach ihnen gerichtet.

Mit den Pinguinen vor ihrer Verwandlung habe ich mich hier nicht zu beschäftigen. Mein Recht auf sie beginnt erst in dem Augenblick, wo sie die Zoologie verlassen, um in der Geschichte und der Theologie Bereich einzuziehen. Wirkliche Pinguine hat der große heilige Maël in Menschen umgewandelt. Jedoch einer Klärung bedarf es zunächst, denn heute könnte der Begriff uns verwirren.

Im Französischen wird ein Vogel der arktischen Gegenden, welcher der Gattung der Alke zuzurechnen ist, Pinguin genannt; unter Flossentaucher verstehen wir den Typus der Meergänse, welche die antarktischen Meere bewohnen. So verfährt etwa Lecointe in seinem Bericht über die Reise der »Belgica«. G. Lecointe, Im Lande der Flossentaucher. Brüssel 1904, 8°. »Von allen Vögeln,« sagt er, »die an der Gerlach-Straße verbreitet sind, sind die Flossentaucher zweifellos die interessantesten. Manchmal gibt man ihnen die ungenaue Bezeichnung Pinguine des Südens.« Doktor J. B. Charcot behauptet im Gegenteil, die echten, einzigen Pinguine seien jene Vögel der Antarktis, die wir Flossentaucher nennen, und er beruft sich darauf, daß sie von den Holländern, die 1598 zum Kap Magellan gelangten, den Namen Pinguinos, wohl um ihres Fettes willen, empfangen hätten. Doch wenn die Flossentaucher sich Pinguine heißen, was sollen dann künftig die Pinguine tun? Doktor J. B. Charcot sagt es uns nicht, und es scheint, als ob es ihn nicht ein bißchen gräme. J. B. Charcot, Tagebuch der französischen Südsee-Expedition 1903, 1905. Paris 8°.

Nun, daß seine Flossentaucher jetzt oder von neuem Pinguine werden, dawider ist nichts zu machen. Als er sie entdeckte, erwarb er sich auch die Befugnis, ihren Namen festzulegen. Aber er sollte doch wenigstens den Pinguinen des Nordens gestatten, Pinguine zu bleiben. So wird es südliche und nördliche Pinguine geben, antarktische und arktische, Alke oder ehemalige Pinguine und Meergänse oder ehemalige Flossentaucher. Vielleicht wird das den Ornithologen lästig sein, deren Sorge es ist, die Schwimmvögel zu beschreiben und zu klassifizieren. Gewiß werden sie sich fragen, ob fürwahr ein und derselbe Name für zwei Gattungen paßt, die an entgegengesetzten Polen sich aufhalten und mehrfach sich unterscheiden, zumal am Schnabel, den Floßfedern und den Pfoten. Ich für meinen Teil finde mit dieser Verwirrung mich ganz gut ab. Die Ähnlichkeiten zwischen meinen Pinguinen und denen des Herrn J. B. Charcot scheinen, so groß die Unähnlichkeit ist, doch zahlreicher und tiefer zu sein. Bei der einen wie der anderen Spielart sind ein ernster, sanfter Ausdruck zu beobachten, komische Wichtigkeit, selbstvergnügte Zudringlichkeit, breitspurige Laune, ein Gehaben, das tölpelhaft ist und feierlich zugleich. Die eine wie die andere liebt den Frieden, ist groß im Reden, nach Schauspielen lüstern, der öffentlichen Geschäfte beflissen und vielleicht ein wenig eifersüchtig auf überlegene Größe.

Freilich haben meine Hyperboräer nicht schuppige, sondern mit kleinen Federn bedeckte Flossen. Obwohl ihre Beine etwas weniger hinten ansetzen als die ihrer meridionalen Vettern, schreiten sie ebenso aus, die Brust hoch, den Kopf gereckt. Sie wiegen den Leib ebenso bedächtig, und ihr os sublime, ihr Überschnabel ist nicht zuletzt die Ursache des Irrtums, in den der Apostel versank, als er sie für Menschen hielt.

Das Werk, das hier vorliegt, ist, wie ich zugeben muß, ein Historienwerk alter Schule; derjenigen Schule, welche die Reihe der Begebnisse erzählt, die vom Gedächtnis aufbewahrt worden sind, und soweit als möglich Ursachen und Wirkungen vermeldet. Es ist das Kunst eher denn Wissenschaft. Man erklärt, dieses Verfahren genüge peinlichen Geistern nicht mehr, und die antike Clio ist heute als eine Klatschschwester aus der Spinnstube verrufen. Und wohl ist für künftige Zeit eine sichrer aufgebaute Geschichtsschreibung denkbar, eine Geschichte der Lebensbedingungen, die uns lehren könnte, was irgendein Volk zu irgendeiner Epoche in allen Gebieten seiner Tätigkeit hervorgebracht und vollendet hat. Diese Geschichtsschreibung wird keine Kunst mehr, sondern Wissenschaft sein und auf die Genauigkeit sich versteifen, die der Historie von ehemals fehlte. Doch zu ihrer Errichtung braucht sie eine Unzahl von Statistiken, die man bei allen Völkern und ganz besonders bei den Pinguinen bisher vermißt. Möglich, daß die Nationen der Gegenwart eines Tags die Elemente einer solchen Geschichtsschreibung liefern. Was die Menschheit betrifft, deren Schicksal abgelaufen ist, so hat man, fürchte ich, sich auf immer mit einer Chronik nach altem Muster zu bescheiden. Deren Reiz hängt namentlich vom Scharfsinn und dem guten Glauben des Erzählers ab.

Das Leben eines Volkes ist, wie ein großer Schriftsteller des Landes Alka gesagt hat, ein Gespinst von Verbrechen, Elend und Wahnwitz. Nicht anders steht es mit den Pinguinen als mit den übrigen Nationen. Jedoch enthält ihre Geschichte wunderbare Partien, die ich hell beleuchtet zu haben hoffe.

Die Pinguine blieben lange eine kriegerische Schar. Einer von ihnen, Jakob der Philosoph, hat ihren Charakter in einem kleinen Sittengemälde geschildert, das ich hier mitteile, und das man wohl nicht ohne Vergnügen beschauen wird:

»Zur Zeit der letzten Drakoniden reiste der weise Gratian durch Pinguinien. Als er einmal durch ein kühles Tal kam, wo Kuhglocken in die reinen Lüfte tönten, setzte er sich unter einer Eiche neben einer Hütte auf eine Bank nieder. An der Schwelle reichte eine Frau einem Kinde die Brust; ein Knabe spielte mit einem großen Hund; ein blinder Greis saß im Sonnenschein und trank mit halb offenen Lippen das Tageslicht.

Der Hausherr, ein kräftiger, junger Mann, bot Gratian Brot und Milch dar.

Der Philosoph aus Marsuinien nahm diese ländliche Atzung und sagte:

»Freundliche Bewohner eines freundlichen Landes, ich danke euch. Alles hier atmet Luft, Eintracht, Frieden.«

Während er so sprach, zog ein Hirt vorüber, der auf dem Dudelsack einen Marsch blies.

»Was ist das für eine lebhafte Melodie?« fragte Gratian.

»Es ist die Kriegshymne gegen die Marsuine,« antwortete der Landmann. »Ein jeder singt sie. Die Kindlein kennen sie, ehe sie noch reden. Wir alle sind gute Pinguine.«

»Ihr seid den Marsuinen nicht gewogen?«

»Wir hassen sie.«

»Warum hasset ihr sie?«

»Danach fragt Ihr? Sind die Marsuine nicht der Pinguine Nachbarn?«

»Gewiß.«

»Nun, deshalb hassen die Pinguine die Marsuine.«

»Ist das ein Grund?«

»Sicherlich. Nachbar heißt Feind. Betrachtet das Feld, das an das meine grenzt. Es ist das Feld des Menschen, den ich am grimmigsten hasse. Nächst ihm sind meine bösesten Feinde die Leute des Dorfes, das am anderen Hang des Tals, unter jenem Wäldchen von Weißbirken, emporkriecht. In diesem engen, auf allen Seiten geschlossenen Tal liegen nur jenes Dorf und meines; verfeindet also sind sie. Jedesmal wenn unsere Burschen denen von drüben begegnen, tauschen sie Schmähungen und Hiebe. Und Ihr verlangt, die Pinguine sollten der Marsuine Feinde nicht sein! Wisset Ihr denn nicht, was der Patriotismus ist? Aus meiner Brust dringen nur zwei Rufe: Hoch die Pinguine! Nieder mit den Marsuinen!«

Dreizehn Jahrhunderte hindurch befehdeten die Pinguine sämtliche Völker der Welt mit immer gleicher Hitze und launischem Erfolg. Dann wurden sie binnen wenigen Jahren dessen überdrüssig, was sie so lange geliebt hatten, und bezeigten eine sehr heftige Neigung zum Frieden, die sie wohl mit Selbstgenügen, doch im ehrlichsten Ton bezeugten. Ihre Feldherrn bequemten sich der neuen Stimmung an. Ihr ganzes Heer, Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, Rekruten und Veteranen, war seelenfroh. Nur Federfuchser und Bücherwürmer klagten, und Krüppel ohne Beine waren untröstlich.

Der nämliche Philosoph Jakob verfaßte eine Art moralischer Legende, worin er mit stark komischen Zügen die verschiedenen Handlungen der Menschen beschrieb, und flocht gewisse Umstände der heimischen Geschichte darein. Etliche Personen fragten ihn, warum er diese erdichtete Historie verfaßt habe, und welchen Nutzen für sein Vaterland er sich davon verspreche.

»Sehr großen,« erwiderte der Philosoph. »Wenn sie ihre Handlungen also travestiert und dessen, was ihnen schmeichelte, entblößt sehen, wird der Pinguine Urteilsgabe besser sein, und sie werden vielleicht an Weisheit zunehmen.«

In diesem Geschichtsbuch wollte ich nichts, was für Künstler reizvoll ist, fortlassen. Man wird ein Kapitel über die pinguinische Malerei im Mittelalter finden, und wenn es minder vollständig ist, als nach meinem Sinn gewesen wäre, so habe nicht ich die Schuld, wovon man sich durch die Lektüre des grauenhaften Berichts überführen kann, mit dem ich diese Vorrede beschließe.

Im Juni des vergangenen Jahres hatte ich den Einfall, nach Ursprung und Fortschritten der pinguinischen Kunst mich bei dem leider so früh verstorbenen Herrn Fulgentius Tapir zu erkundigen, dem gelehrten Urheber der »Allgemeinen Jahrbücher der Malerei, Skulptur und Architektur«.

In sein Arbeitszimmer geleitet, fand ich ein wunderbar kurzsichtiges Männchen, das vor einem Zylinderbureau saß, unter einer fürchterlichen Papierlast, und dessen Augenlieder hinter goldener Brille zuckten.

Zum Ersatz für die Sehfähigkeit, die ihm gebrach, schnüffelte seine unmäßig lange, bewegliche, mit dem köstlichsten Tastsinn ausgestattete Nase in der sichtbaren Welt umher. Durch dieses Organ setzte Fulgentius Tapir sich mit Kunst und Schönheit in Berührung. Man weiß, daß in Frankreich die Musikkritiker zumeist taub, die Kunstkritiker meist blind sind. So ist ihnen die Sammlung vergönnt, die für die ästhetischen Ideen notwendig ist. Glauben Sie, mit Augen, die geschickt gewesen wären, die Formen und die Farben wahrzunehmen, worein die rätselvolle Natur sich hüllt, hätte Fulgentius Tapir über Bergen gedruckter und handschriftlicher Dokumente den Gipfel des doktrinären Spiritualismus erklommen und jene gewaltige Theorie geahnt, die aller Länder und aller Zeiten Künste auf das Institut de France, ihren obersten Zweck, sich beziehen läßt?

Die Wände des Arbeitsraums, der Boden, die Decke sogar waren mit berstenden Bündeln Papiers vollgepackt, mit hochgeschwollenen Kartons, mit Schachteln, in denen unendliche Massen von Zetteln sich drängten. Und halb staunend, halb erschrocken blickte ich auf diese Katarakte von Bildung, die ihre Dämme zu zerreißen drohten.

»Meister,« sprach ich mit bewegter Stimme, »ich rufe Ihre Güte und Ihr Wissen an, die beide unerschöpflich sind. Wollen Sie in meinen beschwerlichen Forschungen über den Ursprung der pinguinischen Kunst mir Ihre Hilfe gewähren?«

»Werter Herr,« antwortete der Meister, »ich besitze die gesamte Kunst, wohlverstanden: die gesamte Kunst, in alphabetisch und nach den Materien geordneten Zetteln. Ich eile, Ihnen alles, was die Pinguine betrifft, zur Verfügung zu stellen. Klettern Sie auf die Leiter und ziehen Sie an der Schachtel, die Sie da oben sehen. Sie finden, was Sie brauchen.«

Zitternd gehorchte ich. Doch kaum hatte ich die verhängnisvolle Schachtel aufgeklappt, als ihr blaue Zettel entquollen und, durch meine Finger schlüpfend, herabzuregnen begannen. Alsbald öffneten sich, wie von Sympathie gelockt, die nächsten Schachteln, und Bäche rosiger, grüner, weißer Zettel flossen hervor, und Schlag auf Schlag entströmten sämtlichen Schachteln die bunten Zettel und rauschten wie im April die Wasserstürze über Bergeshang. In einer Minute war der Boden unter dicker Papierschicht verschwunden. Aus unerschöpflichen Vorratskammern sprudelten die Zettel mit immer wachsendem Getös, und ihr rasender Schwall ward von Sekunde zu Sekunde beschleunigt. Mit wachsamer Nase beobachtete Fulgentius Tapir das Wüten. Er erkannte die Ursache und ward blaß vor Angst.

»Wieviel Kunst!« schrie er auf.

Ich rief ihn mit Namen, ich beugte mich, um ihm beim Erklettern der Leiter zu helfen, die unter dem Platzregen wankte. Es war zu spät. Jetzt hatte er, niedergedrückt, verzweifelt, kläglich, seine Samtkappe und seine goldene Brille verloren. Umsonst stemmte er seine kurzen Arme gegen die Flut, die ihm bis zu den Achseln schwoll. Plötzlich stieg eine gräßliche Wasserhose von Zetteln auf und riß ihn in einen gigantischen Wirbel. Eine Sekunde lang sah ich im Schlund den glatten, blinkenden Schädel des Gelehrten und seine fetten Händchen, dann schloß sich die Tiefe, und über regungslosem Schweigen verbreitete sich die Sintflut. Da ich selbst in Gefahr war, mit meiner Leiter hinabgewälzt zu werden, entfloh ich durch des Fensterkreuzes höchste Scheibe.

Quiberon, 1. September 1907

Erstes Buch

Der Ursprung

Erstes Kapitel

Das Leben des heiligen Maël

Maël stammte aus einem kambrischen Königsgeschlecht und wurde mit neun Jahren schon zur Abtei Yvern geschickt, um dort die heiligen und die weltlichen Schriften zu studieren. Vierzehn Jahre alt, begab er sich seines Erbes und gelobte sich dem Dienst des Herrn. Der Regel gemäß verteilte er seine Stunden auf den Gesang der Hymnen, das Studium der Grammatik und die Versenkung in die ewigen Wahrheiten.

Bald verriet ein himmlischer Duft im Kloster des Heiligen Tugend. Und als der selige Gal, der Abt von Yvern, aus dieser Welt ins Jenseits entschlief, folgte der junge Maël ihm in des Klosters Verwaltung. Er gründete dort eine Schule, ein Krankenhaus, eine Herberge, eine Schmiede, Werkstätten jeder Art und Schiffsbauwerften und zwang die Mönche, das Land ringsum zu roden. Mit eigenen Händen pflegte er den Garten der Abtei, schmiedete er Metalle usw. Er lehrte die neuen Zöglinge, und sanft verrann sein Dasein wie ein Bach, der den Himmelsglanz spiegelt und Felder bewässert.

Im Abenddämmern setzte der Gottesmann sich nach seiner Gewohnheit an der Küste nieder, an jenem Ort, der heute noch der Stuhl des heiligen Maël genannt wird. Ihm zu Füßen starrten die Klippen, die schwarzen Drachen ähnlich und ganz mit grünen Algen und gelbem Tang überzogen waren, und ihre ungeheure Brustwehr trotzte dem Wellenschaum. Er sah die Sonne in den Ozean tauchen, wie eine rote Hostie, die mit ihres Blutes Glorie die Himmelswolken purpurn färbte und des Meeres gekräuselten Rand. Und dem frommen Mann schien es, als sehe er im Bild das Mysterium des Kreuzes, das über die Erde den Königspurpur des göttlichen Blutes legt. Draußen auf dem Meere zeichnete sich als dunkelblaue Linie das Gestade der Insel Gad, woselbst die heilige Brigitte die zu Sankt Malo den Schleier genommen hatte, ein Frauenkloster leitete.

Nun geschah es, daß Brigitta, die vom Schaffen des ehrwürdigen Maël erfuhr, ihn um ein Werk seiner Hände bitten ließ, das für sie ein reiches Geschenk sein würde. Maël goß eine eherne Glocke, und als diese fertig war, schleuderte er sie ins Meer. Und läutend schwamm sie zum Gestade von Gad. Dort nahm die heilige Brigitta, durch des Erzes Dröhnen über die Fluten hin benachrichtigt, mit Frömmigkeit die Glocke auf und trug sie, von ihren Mädchen geleitet, in feierlicher Prozession bei Psalmengesang zu des Klosters Kapelle.

So wandelte der fromme Maël von Tugend zu Tugend voran. Schon hatte er zwei Drittel der Lebensbahn durchmessen, und sänftiglich hoffte er, mitten unter seinen Brüdern im Geist, das irdische Ende zu erreichen. Da ward ihm ein Zeichen, daß Gottes Weisheit es anders beschlossen hatte, und daß ihn der Herr zu Arbeiten berief, die weniger friedlich waren, doch ebenso rühmlich.

Zweites Kapitel

Des heiligen Maël apostolische Berufung

Eines Tages erging er sich an einer stillen Bucht, die das ins Meer hinaus lagernde Felsgeröll mit einem wilden Deich umrahmte. Und da sah er einen Steintrog, der wie eine Barke auf dem Wasser schaukelte.

In einem solchen Bottich waren der heilige Quirin, der große heilige Colomban und viele Mönche aus Schottland und Irland nach Armorika übergesetzt, das Evangelium dort zu verbreiten. Noch jüngst fuhr die heilige Hedwig, die von Britannien kam, den Aurayfluß in einem Mörser aus rosafarbenem Granit hinauf, darein man später die Kindlein bettete, um sie zu kräftigen. Die heilige Vuga kreuzte von Hibernien nach Cornwallis auf einem Felsen, dessen Splitter künftig in Penmarch aufbewahrt werden, und die Pilger, die ihr Haupt daran lehnen, sollen vom Fieber geheilt werden. Der heilige Samson landete in der Bucht des Berges vom heiligen Michael in einem Granitbottich, dem dann die Benennung Samsonsnapf zuteil wurde. Deshalb verstand der fromme Maël, als er den steinernen Trog erblickte, daß der Herr ihn erwählt hatte zum Apostolat bei den Heiden, die an der Küste und auf den Inseln der Bretonen noch wohnten.

Er händigte seinen Eschenstab dem frommen Budok ein und betraute ihn also mit der Abtei Verwaltung. Dann stieg er, nur mit einem Brot, einer Tonne Süßwasser und dem Evangelienbuch versehen, in den steinernen Kübel, der ihn sacht zur Insel Hoedic brachte.

Sie wird beständig vom Sturm verheert. Arme Leute fischen dort zwischen den Felsenspalten, und mit hartem Fleiß bauen sie ihr Gemüse in sandigen, von Kieseln überschwemmten Gärten, die sie mit Mauern ohne Mörtel und mit Tamarindenhecken umfassen. In einem hohlen Tal der Insel wuchs ein Feigenbaum. Weithin streckte er seine Äste. Das Inselvolk verehrte ihn mit Gebet.

Und der fromme Maël sprach zu ihnen:

»Ihr betet zu diesem Baum, weil er schön ist. Also empfindet ihr Schönheit. Ich habe sie, die euch noch verborgen war, erschlossen.«

Und lehrte sie das Evangelium. Und als er sie darin unterwiesen hatte, taufte er sie mit Salz und Wassersflut.

Damals gab es in der Morbihan-Gruppe noch mehr Inseln als heute. Denn seitdem sind viele verschwunden. Der heilige Maël bescherte ihrer sechzehn das Evangelium. Sodann fuhr er in seinem Granittrog den Aurayfluß hinauf. Und nach dreistündiger Schiffahrt betrat er vor einem römischen Hause das Land. Ein leichter Rauch zog vom Dache empor. Der fromme Mann überschritt die Schwelle, in die ein Mosaikbild eingelassen war, das Bild eines Hundes mit gespannten Kniekehlen und gestülpten Lefzen. Der Heilige wurde von einem greisen Ehepaar aufgenommen, das dort vom Ertrag des Bodens lebte, Markus Combabus und Valeria Moerens. Den inneren Hof beherrschte ringsum ein Säulengang, dessen Säulen vom Fuß bis zur halben Höhe rot bemalt waren. Ein Brunnen mit Muschelzierat wölbte sich neben der Mauer, und unter dem Säulengang ragte ein Altar, in dessen Nische der Hausherr kleine, tönerne, mit weißem Kalk bestrichene Götterfiguren gelegt hatte. Die einen stellten geflügelte Kinder dar, andere den Apollo oder den Merkur, und etliche hatten die Form eines nackten Weibes, das sich das Haar wand. Jedoch der fromme Maël, der die Figuren betrachtete, entdeckte darunter das Bild einer jungen Mutter, die ein Kind im Schoße hielt.

Alsbald zeigte er auf das Bild und sprach:

»Dies ist die Jungfrau, die Mutter Gottes. Virgilius, der Dichter, hat sie in sibyllinischem Loblied angekündigt, eh sie geboren ward, und mit eines Engels Stimme Jam redit et virgo gesungen. Und die Heiden machten aus ihr prophetische Gestalten wie die hier auf deinem Altare, o Markus. Und gewißlich hat sie deine bescheidenen Laren geschützt. So bereiten diejenigen, die dem Gesetz der Natur getreu sind, sich auf die Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheiten vor.«

Durch diese Rede mit Einsicht begnadet, fielen Markus Combabus und Valeria Moerens dem christlichen Glauben zu. Sie empfingen die Taufe mit ihrer jungen Freigelassenen, Caelia Avitella, die ihnen lieber war als das Licht ihrer Augen. Dem Heidentum entsagten auch die Ackerpächter und wurden am selben Tage getauft.

Seitdem führten Markus Combabus, Valeria Moerens und Caelia Avitella ein verdienstreiches Leben. Sie entschliefen im Herrn und wurden den Heiligen zugezählt.

Noch siebenunddreißig Jahre evangelisierte der selige Maël die Heiden des Binnenlandes. Er baute zweihundertundachtzehn Kapellen und vierundsiebzig Abteien.

Eines Tags weilte er in der Stadt Vannes, wo er das Evangelium predigte. Da erfuhr er, daß die Mönche von Yvern in seiner Abwesenheit die Regel des heiligen Gal übertreten hätten. Sogleich begab er sich mit dem Eifer der Henne, die ihre Küchlein sammelt, zu seinen verirrten Kindern. Damals vollendete er sein siebenundneunzigstes Jahr. Sein Rücken war krumm, doch seine Arme waren stark geblieben, und sein Wort erbrauste wie in den Schlüften der Schnee zur Winterszeit.

Der Abt Budok lieferte dem heiligen Maël den Eschenstab zurück und erzählte ihm von der Bedrängnis der Abtei. Die Mönche hatten sich über das Datum gezankt, an dem Ostern gefeiert werden müsse. Die einen waren dem römischen Kalender zugeneigt, die anderen dem griechischen, und die Greuel eines chronologischen Schismas zerrissen das Kloster.

Noch bestand eine zweite Ursache der Zerrüttung. Die Nonnen der Insel Gad hatten ihre anfängliche Tugend auf traurige Weise vergessen und fuhren, beinah ohne Unterlaß, in einer Barke zur Küste von Yvern herüber. Die Mönche empfingen sie im Herbergshaus, und so gab es Ärgernisse, die fromme Seelen tief betrübten.

Der Abt Budok erstattete seinen wahrhaftigen Bericht und schloß:

»Seit der Nonnen Ankunft ist es um die Unschuld, ist es um die Ruhe der Mönche geschehen.«

»Gern glaube ich das,« erwiderte der selige Maël. »Denn das Weib ist eine Falle der Arglist. Wer daran schnuppert, ist alsbald gefangen. Ach! der Zauberreiz dieser Geschöpfe ist fern noch mächtiger als nahe. Sie erregen um so heftigeres Begehren, je weniger sie es stillen. Daher sagt der Poet von einem solchen Weibe:

Ich fliehe deine Gegenwart; wenn du Entrückt bist, halt' ich dich umklammert.

So sehen wir, mein Sohn, daß der Stachel der fleischlichen Liebe Einsiedlern und Mönchen schärfer zusetzt als Männern, die in der Welt stehen. Mein Leben lang hat der Dämon der Wollust mit verschiedenen Plagen mich versucht, und die größten Versuchungen kamen nicht etwa von der Begegnung einer Frau, mochte sie auch schön sein und duften. Sie kamen von dem Traumbild eines abwesenden Weibes. Noch jetzt, wo ich hochbetagt bin und fast achtundneunzig Jahre, werde ich vom Bösen oft verlockt, in Gedanken wenigstens gegen die Keuschheit zu sündigen. Nachts, wenn ich auf meinem Lager friere und meine alten, eiskalten Knochen mit dumpfem Geräusch aneinanderklappern, höre ich Stimmen, die den zweiten Vers des dritten Buches der Könige rezitieren: Dixerunt ergo et servi sui: Quaeramus domino nostro regi adolescentulam virginem, et stet coram rege et foveat eum, dormiatque in sinu suo, et calefaciat dominum nostrum regem. Und der Teufel zeigt mir ein Kind in der ersten Blüte, das zu mir spricht: ›Ich bin deine Abilag; ich bin deine Sunamitin. O Herr, räume mir einen Platz ein auf deinem Lager.‹«

»Glaube mir,« fügte der Greis hinzu, »nur durch des Himmels besonderen Beistand vermag ein Mönch seine Keuschheit in Werken und Gedanken zu wahren.«

Unverzüglich schickte er sich an, Reinheit und Frieden im Kloster wiederherzustellen. Er verbesserte den Kalender nach den Berechnungen der Chronologie und der Astronomie und gab ihn allen Mönchen zur Richtschnur. Er schickte die gefallenen Töchter der heiligen Brigitta in ihr Kloster. Aber er war weit entfernt, sie roh zu verjagen. Mit Psalmengesang und mit Litaneien ließ er sie aufs Schiff bringen.

»Wir wollen,« sagte er, »in ihnen die Töchter der Brigitta und die Bräute des Herrn achten. Hüten wir uns, die Pharisäer nachzuahmen, die sich mit der Verachtung der Sünderinnen spreizen. In ihrer Sünde, nicht ihrer Person müssen wir diese Frauen demütigen, sie für das beschämen, was sie getan haben, nicht für das, was sie sind; denn sie sind Geschöpfe Gottes.«

Und der fromme Mann ermahnte seine Mönche, die Regel des Ordens genau zu beobachten.

»Das Schiff,« sagte er, »das dem Steuer nicht gehorcht, gehorcht der Klippe.«

Drittes Kapitel

Des heiligen Maël Versuchung

Kaum hatte der selige Maël in der Abtei von Yvern die Satzung wiederhergestellt, da erfuhr er, daß die Bewohner des Eilands Hoedic, seine ersten und ihm teuersten Glaubenszöglinge, zum Heidentum zurückgekehrt waren, und daß sie Blumenkränze und Wollbändchen an die Zweige des geweihten Feigenbaumes hängten.

Der Fährmann, der diese Schmerzensbotschaft bestellte, äußerte zugleich die Besorgnis, daß diese verirrten Menschen die am Gestade ihrer Insel erhobene Kapelle mit Feuer und Schwert zerstören würden.

Der fromme Mann beschloß, ohne Zaudern nach seinen ungetreuen Kindern zu sehen, um sie dem Glauben wieder zu erobern und an gewaltsamer Heiligtumsschändung zu hindern. Als er sich zu der wilden Bucht begab, wo sein Steintrog im Ankergrund plätscherte, wandte er den Blick zu der Werft, die er dreißig Jahre früher zum Schiffbau an dieser Bucht errichtet hatte, und die um diese Stunde vom Geräusch der Sägen und Hämmer tönte.

Da schlich der Teufel, der nimmer müde wird, sich aus der Werft, nahte dem frommen Mann in Gestalt eines Mönches mit Namen Samson und versuchte ihn mit den Worten:

»Mein Vater, die Einwohner der Insel Hoedie begehen unablässige Übeltat. Jeder Augenblick, der verrinnt, entfernt sie von Gott. Bald werden sie mit Feuer und Schwert die Kapelle verwüsten, die Ihr mit Euren verehrungswürdigen Händen an der Insel Gestade gebaut habt. Die Zeit drängt. Denkt Ihr nicht, daß Euer Steinkübel Euch schneller zu ihnen führen würde, wäre er wie eine Barke gestaltet und hätte Steuerruder, Mast und Segel? Denn dann würdet Ihr vom Wind geschoben. Eure Arme sind noch stark und können ein Fahrzeug steuern. Ingleichen wäre es gut, einen scharfen Steven am Vorderteil eures apostolischen Troges anzubringen. Ihr seid ja weise und habt daran wohl schon gedacht.«

»Allerdings,« erwiderte der fromme Mann, »die Zeit drängt. Doch möchte ich deinem Wunsch willfahren, mein Sohn, hieße das nicht so handeln wie glaubensschwache Menschen, die dem Herrn nicht vertrauen? Hieße es nicht die Geschenke dessen mißachten, der mir den Steinbottich ohne Stricke und Segel gesandt hat?«

Auf diese Frage antwortete der Teufel, der ein großer Theologe ist, mit der zweiten Frage:

»Mein Vater, ist es löblich, mit verschränkten Armen der Hilfe von oben zu harren und alles von dem zu verlangen, der alles kann, statt nach menschlicher Klugheit zu tun und sich selbst zu helfen?«

»Gewiß nicht,« entgegnete der heilige Greis Maël, »und der versucht Gott, der nach menschlicher Klugheit zu tun versäumt.«

»Ist nicht,« stieß der Teufel ihn weiter, »in diesem Fall der Klugheit Gebot, den Trog zu betakeln?«

»Es wäre Klugheit, falls man anders nicht hinkommen könnte.«

»Hehe! ist Euer Trog denn so rasch?«

»Er ist so rasch, wie es Gott gefällt.«

»Was wisset Ihr? Er ist plump wie der Schuh des Abtes Budok. Ein richtiger Holzschuh ist es. Sollte es Euch verboten sein, ihn zu beschleunigen?«

»Mein Sohn, deine Reden sind mit Klarheit geschmückt, doch allzu spitzig. Bedenke, dieser Trog ist ein Wundertrog.«

»Das ist er, mein Vater. Ein Granittrog, der wie ein Korkpfropfen auf dem Wasser schwimmt, ist ein Wundertrog. Daran läßt sich nicht zweifeln. Was schließt Ihr daraus?«

»Ich bin in großer Verlegenheit. Darf man ein so wunderwirkendes Fahrzeug durch menschliche und natürliche Mittel vervollkommnen?«

»Verlöret Ihr, mein Vater, den rechten Fuß und Gott gäbe ihn Euch zurück, wäre dieser Fuß dann ein Wunderfuß?«

»Gewiß, mein Sohn.«

»Würdet Ihr einen Schuh über ihn ziehen?«

»Sicherlich.«

»Nun also! Wenn Ihr glaubt, man könne einem Wunderfuß einen natürlichen Schuh anlegen, so müßt Ihr auch glauben, daß man ein Wunderboot mit natürlichem Takelwerk versehen kann. Das leuchtet ein. Ach! warum müssen die größten Heiligen ihre müden und finsteren Stunden haben? Ihr könntet der berühmteste Apostel der Bretagne sein, Arbeiten vollbringen, die ewigen Lobes wert sind. ... Doch langsam ist der Geist und träg die Hand! Lebt wohl, mein Vater! Geht in kleinen Tagereisen hin, und wenn Ihr der Küste von Hoedie endlich Euch nähert, dann seht die von Eurer Hand aufgebaute und geweihte Kapelle in Trümmern und Rauch! Dann haben die Heiden sie eingeäschert, mit samt dem kleinen Diakonus, den Ihr dorthin gesetzt habt, und der schmoren wird gleich einer Wurst.«

»Meine Angst ist ungeheuer,« sprach der Diener Gottes und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der nassen Stirn. »Doch sage, mein Sohn Samson, es ist nicht leicht, den Steintrog zu betakeln. Und werden wir nicht, so wir es unternehmen, Zeit verlieren statt zu gewinnen?«

»Ach! mein Vater,« rief der Teufel, »wenn die Sanduhr ein einziges Mal ausläuft, ist das Werk geschafft. Die Stricke und Segel, die wir brauchen, finden wir in der Werft, die Ihr einst an dieser Küste errichtet habt, und in den Warenräumen, die durch Eure Vorsicht richtig gefüllt sind. Ich selbst will alles Schiffsgerät rüsten. Ehe ich Mönch war, war ich Matrose und Zimmermann; und auch viele andere Gewerbe habe ich betrieben. Wohlauf denn!«

Sofort schleppt er den frommen Mann in eine Scheune, die ganz voll war von Schiffsgerät.

Und über die Schulter wirft er ihm Linnen, Mast, Gaffel und Giekbaum.

Dann lädt er sich selbst einen Steven auf, Steuer, Zunder und Ruderpinne, ergreift einen Zimmermannssack mit Handwerkszeug, läuft zum Ufer und zerrt den frommen Mann am Rock hinter sich her. Und der selige Maël bückte sich, schwitzend und keuchend, unter der Last von Linnen und Holz.

Viertes Kapitel

Des heiligen Maël Fahrt übers Eismeer

Der Teufel, der seinen Kittel bis zu den Achseln aufgestreift hatte, zog den Bottich über den Sand und betakelte ihn, eh noch eine Stunde verging.

Sobald der fromme Maël eingestiegen war, entfaltete der Trog alle Segel und durchschnitt die Fluten dermaßen schnell, daß die Küste unmittelbar darauf verschwand. Der Greis lenkte südwärts, um Kap Land's End zu umsteuern. Doch eine übergewaltige Strömung riß ihn gen Südwest. Er fuhr die Südküste von Irland entlang und drehte schroff gegen Norden. Abends kam ein frischer Wind. Umsonst versuchte Maël das Segel einzuziehen. Unaufhaltsam floh der Bottich zu sagenhaften Meeren hin.

Im hellen Mondschein tauchten ringsum des Nordens fette Sirenen auf, mit hanfgelbem Haar, mit weißer Brust und rosigem Hinterteil. Und mit ihren smaragdenen Schwänzen klatschten sie auf das schaumige Meer und sangen im Takt:

Wohin, wohin so schnelle, O heil'ger Mann, im Meeresdrang? Es bläht dein Segel sich zur Welle Wie Junos Busen, als die helle Milchstraße draus entsprang.

Einen Augenblick verfolgten sie ihn unter den Sternen mit ihres Lachens Wohllaut. Doch der Trog schoß hundertmal rascher vorwärts als eines Wikings rotes Schiff. Und die Sturmvögel, die in ihrem Fluge überrascht wurden, verfingen sich mit den Klauen im Haar des frommen Mannes.

Bald erhob sich ein Orkan voll Dunkelheit und Ächzen, und der Bottich flog, von rasendem Wind gepackt, wie eine Möve durch Nebel und Gebraus.

Nach einer Nacht von dreimal vierundzwanzig Stunden zerriß plötzlich die Finsternis. Und der fromme Mann entdeckte am Horizont ein Gestade, das gleißender war denn Diamant. Mit Schnelligkeit wuchs es, und bald sah Maël in der Eisklarheit einer unbewegten, niederen Sonne eine weiße Stadt mit stummen Gassen dem Meer entsteigen. Größer als das hunderttorige Theben dehnte sie unabsehbar die Trümmer ihres schneeigen Marktplatzes aus, ihrer Paläste von Reif, ihrer kristallenen Triumphbögen und irisfunkelnden Obelisken.

Der Ozean war mit schwimmendem Eis überbreitet, um das Meermänner schwammen, wilden und sanften Blicks. Und der Leviathan wälzte sich vorbei und spritzte eine Wassersäule bis zu den Wolken.

Doch auf einem Eisblock, in des steinernen Troges Kielwasser, saß eine weiße Bärin, die ihr Junges zwischen den Pfoten hielt, und Maël hörte sie leise den Vers des Virgilius brummen: » Incipe parve puor.«

Und in Traurigkeit und Verwirrung weinte der Greis.

Beim Gefrieren des Süßwassers war die Tonne, die es umschloß, geborsten. Und Maël sog Eisstückchen, seinen Durst zu löschen. Und aß sein Brot mit Salzwasser getränkt. Wie Glas zerbrachen ihm Bart und Haar. Sein Rock, auf dem eine Eisschicht hing, sägte ihm bei jeder Bewegung tief ins Gelenk. Die Riesenwellen hoben sich, und ihre schäumenden Kinnbacken wollten den Greis verschlingen. Zwanzigmal füllten Sturzwogen das Boot. Und der Ozean fraß das heilige Evangelienbuch, das der Apostel in ein kostbares Purpurtuch mit einem goldenen Kreuz darauf gewickelt hatte.

Am dreißigsten Tag beruhigte sich das Meer. Da dringt mit Schreckgetös von Himmel und Wasser ein blendend weißer, dreihundert Fuß hoher Berg gegen den Steinkübel vor. Maël will zur Seite steuern; die Ruderpinne zerbricht in seiner Hand. Um seinen Anprall gegen den Eisberg zu verringern, sucht er noch einzureffen. Doch als er die Beschlagleinen knüpfen will, reißt der Wind sie ihm fort, und die Troß, die ihm entschlüpft, verbrennt ihm die Finger. Und er sieht drei Dämonen mit schwarzhäutigen, kralligen Flügeln am Takelwerk hängen und ins Segel pusten.

Bei diesem Anblick wird ihm bewußt, daß der Teufel in allen Dingen ihn gelenkt hat, und er waffnet sich mit dem Kreuzeszeichen. Da hebt ein irrer, schluchzender, heulender Windstoß den Steinbottich, raubt ihm Masten und Linnen, entführt ihm Steuer und Steven.

Und ziellos plantschte der Trog über die beruhigte Meerflut. Der fromme Mann kniete nieder und dankte dem Herrn, der ihn aus des Dämons Falle gerettet hatte. Da erkannte er die Bärenmutter, die während des Sturmes zu ihm gesprochen hatte. Sie saß auf einem Eisblock, drückte ihr vielgeliebtes Junges an sich und hielt in Händen ein Purpurtuch mit goldenem Kreuz. Sie trieb an den Granittrog heran und grüßte den frommen Mann mit den Worten:

»Pax tibi, Maël.«

Und gab ihm das Buch zurück.

Der fromme Mann erkannte sein Evangelienbuch, und staunend sang er hinaus in die erwärmte Luft ein Lied zum Preise des Schöpfers und der Schöpfung.

Fünftes Kapitel

Die Taufe der Pinguine

Nachdem er eine Stunde sich hatte treiben lassen, da landete der fromme Mann auf engem, durch spitze Berge abgesperrtem Strand. Einen Tag und eine Nacht ging er längs des Ufers und bog bei den Felsen aus, die einen unübersteigbaren Wall bildeten. Und so versicherte er sich, daß es ein rundes Eiland war, in dessen Mitte ein wolkengekrönter Berg sich türmte. Froh schlürfte er den frischen Atem der feuchten Luft. Regen sank, und dieser Regen war so mild, daß der fromme Mann zum Herrn sprach:

»Herr, hier ist die Insel der Tränen, der Zerknirschung.«

Der Strand war öde. Von Müdigkeit und Hunger geschwächt, kauerte er sich auf einen Stein nieder, in dessen Höhlungen gelbe, schwarzgesprenkelte Eier lagen, so groß wie Schwaneneier. Doch er rührte nicht daran und sagte:

»Die Vögel sind lebendige Lobpreisungen Gottes. Ich will nicht, daß durch meine Schuld eine einzige dieser Lobpreisungen fehlt.«

Und er zerbiß Tang, der in den Steinhöhlen wucherte. Der fromme Mann hatte die Insel fast gänzlich umkreist, ohne Bewohner zu treffen. Da gelangte er zu einem großen Rund, das von rotgelben Klippen eingefaßt war. Sie waren voll klingender Wasserbäche, und ihre Zacken standen in blauem Wolkendunst.

Der Abglanz des Polareises hatte des Greises Augen verbrannt. Doch stahl noch schwaches Licht sich durch seine geschwollenen Lider hindurch. Er unterschied beseelte Gestalten, die auf diesen Felsen sich geschichtet hatten wie eine Menschenmasse auf den Stufen eines Amphitheaters. Und zugleich hörten seine Ohren, die betäubt waren von des Meeres lang andauerndem Getös, ein schwaches Rufen. Er dachte, dort seien Menschen, die nach dem Naturgesetz lebten, und der Herr habe ihn hingeschickt, um sie Gottes Gesetz zu lehren. Und so predigte er ihnen das Evangelium.

Er stieg auf einen hohen Stein inmitten des wilden Runds und sprach:

»Bewohner dieser Insel! Zwar seid ihr klein gewachsen, doch scheint ihr minder ein Haufe von Fischern und Seeleuten zu sein als der Senat einer weisen Republik. Durch euern Ernst, euer Schweigen, eure ruhige Haltung stellt ihr auf diesem wilden Felsen eine Versammlung dar, ähnlich dem Rat von Rom, der in Victoriens Tempel tagte, oder den athenischen Philosophen, die auf dem Tempel des Areopag ihre Meinungen tauschten. Gewiß besitzt ihr weder ihr Wissen noch ihren Genius. Doch vielleicht übertrefft ihr sie vor Gott. Ich errate, daß ihr einfach und gut seid. Als ich eure Küste entlangschritt, habe ich kein Mordbild, kein Zeichen von Blutgemetzel gefunden, nirgends waren Köpfe oder Haarwülste von Widersachern auf eine Stange gesteckt oder an die Dorftore genagelt. Mir scheint, daß ihr keine Kunst habt und die Metalle nicht bearbeitet. Doch eure Herzen sind rein und eure Hände unschuldig. Und die Wahrheit wird leicht in eure Seelen einziehen.«

Aber was er für klein gewachsene Menschen von ernstem Betragen gehalten hatte, waren Pinguine, die der Lenz vereinte. Gepaart hockten sie auf den natürlichen Stufen des Felsens, und in der Majestät ihrer dicken, weißen Bäuche standen sie da. Mitunter spreizten sie ihre gefiederten Flossen wie Arme und stießen friedliche Schreie aus. Sie scheuten sich vor den Menschen nicht, weil sie sie nicht kannten und nie Unbill von ihnen erfahren hatten. Und in diesem Mönch war eine Sanftmut, die selbst die furchtsamsten Tiere beschwichtigte und den Pinguinen außerordentlich gefiel. Mit freundschaftlicher Neugier drehten sie sich zu ihm, und ihr kleines rundes Auge war vorne durch einen weißen ovalen Fleck verlängert, der ihrem Blick etwas Wunderliches, etwas Menschliches gab.

Von ihrem Lauschen angenehm betroffen, unterwies der fromme Mann sie im Evangelium.

»Bewohner dieser Insel! Der irdische Tag, der auf euren Felsen sich erhoben hat, ist das Abbild des geistigen Tages, der in euren Seelen aufsteigt. Denn ich bringe euch das innere Licht; ich bringe euch Licht und Wärme der Seele. Wie die Sonne das Eis eurer Berge schmilzt, wird Jesus Christus das Eis eurer Herzen schmelzen.«

Also sprach der Greis. Da überall in der Natur die Stimme andere Stimmen weckt, da alles, was im Tageslicht atmet, dem Wechselgesang zugeneigt ist, antworteten die Pinguine dem Greis durch die Klänge ihres Schlundes. Und ihre Stimmen wurden sanft dabei, denn sie waren in der Jahreszeit der Liebe.

Und der fromme Mann war überzeugt, sie gehörten irgendeinem götzendienerischen Volke an und bekehrten sich nun in ihrer Sprache zum christlichen Glauben. Und er lud sie ein, die Taufe zu empfangen.

»Ihr badet wohl oft,« sagte er. »Denn alle Höhlungen der Felsen sind reinen Wassers voll, und vorhin, als ich mich zu eurer Versammlung begab, sah ich mehrere von euch in diese natürlichen Badewannen getaucht. Die Reinheit jedoch des Leibes ist das Abbild der geistigen Reinheit.« Und er lehrte sie Ursprung, Natur und Wirkungen der Taufe.

»Die Taufe,« sagte er, »ist Kindschaft, Wiedergeburt, Erneuerung, Erleuchtung.«

Und legte ihnen der Reihe nach jeden dieser Begriffe dar. Dann segnete er zuvörderst das Wasser, das von den Kaskaden fiel, betete entzaubernde Sprüche her und taufte die, die er gelehrt halte. Jedem goß er einen Tropfen reinen Wassers aufs Haupt und sprach dazu die geweihten Worte.

Und so taufte er die Vögel drei Tage und drei Nachte lang.

Sechstes Kapitel

Eine Versammlung im Paradies

Als man im Paradies von der Taufe der Pinguine hörte, rief sie weder Freude noch Schmerz hervor, sondern erdenkliche Verblüffung. Der Herr selbst wußte nicht, wie er sich dazu stellen sollte. Er versammelte Kleriker und Doktoren und fragte sie, ob die Taufe sie gültig dünke.

»Nichtig ist sie,« sprach der heilige Patrick.

»Warum nichtig?« sprach der heilige Gal, der den Leuten in Cornwallis das Evangelium gebracht und den heiligen Maël für die apostolischen Pflichten vorgebildet hatte.

»Das Sakrament der Taufe,« entgegnete der heilige Patrick, »ist nichtig, wenn es Vögeln zuteil wird, wie das Sakrament der Ehe nichtig ist, wenn man es einem Verschnittenen spendet.«

Doch der heilige Gal erwiderte:

»Welche Beziehung wollt Ihr zwischen der Taufe eines Vogels stiften und der Ehe eines Verschnittenen? Das hat nichts miteinander zu tun. Die Ehe ist, wenn ich so sagen darf, ein konditionales, eventuales Sakrament. Der Priester segnet einen Akt im voraus. Es ist klar, daß, wenn der Akt nicht vollzogen wird, der Segen wirkungslos bleibt. Das springt doch in die Augen. Ich habe auf Erden, in der Stadt Antrim, einen reichen Mann namens Sadok gekannt, der eine Beischläferin hatte und sie zur Mutter von neun Kindern machte. An seines Lebens Neige willigte er auf meine Rüge hin ein, die Frau zu heiraten, und ich segnete ihm den Bund. Leider hinderte Sadoks hohes Alter ihn am Vollzug der Ehe. Bald darauf verlor er alle seine Güter, und Germana (so hieß die Frau), die sich unfähig fühlte, Armut zu ertragen, heischte die Aufhebung einer Ehe, die in Wirklichkeit keine war. Der Papst gewährte ihren Wunsch, denn dieser war billig. So steht es um die Ehe. Die Taufe jedoch wird ohn' etwelche Beschränkung verliehen, ohn' etwelchen Vorbehalt. Es läßt sich nicht daran zweifeln: die Pinguine haben ein Sakrament empfangen.«

Der heilige Damasus, der Papst, bemerkte, als man ihn aufrief, sein Gutachten mitzuteilen, folgendes:

»Um zu wissen, ob eine Taufe gültig ist und ihre Wirkung, das heißt die Heiligung, nach sich ziehen wird, muß man erwägen, wer sie gibt, und wer sie empfängt. In der Tat entsteht die heiligende Kraft dieses Sakramente aus der äußeren Handlung, wodurch es verliehen wird, ohne daß der Getaufte durch irgendeinen persönlichen Akt seiner eigenen Heiligung nachhilft. Wäre dem anders, so würde man die Taufe nicht den Neugeborenen spenden. Und um zu taufen, braucht es nicht der Erfüllung irgendeines besonderen Bedingnisses. Es ist nicht nötig, daß man im Zustand der Gnade ist, sondern es genügt, daß man die Absicht hat zu tun, was die Kirche tut, daß man die geweihten Worte ausspricht und die vorgeschriebenen Regeln beobachtet. Nun aber können wir nicht daran zweifeln, daß der ehrwürdige Maël nach diesen Bedingnissen verfahren ist. Also sind die Pinguine getauft.«