Die Insel des Dr. Moreau - H. G. Wells - E-Book + Hörbuch

Die Insel des Dr. Moreau Hörbuch

H G Wells

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Beschreibung

Auf einer Insel hört ein Schiffbrüchiger grässliche Schreie, dann begegnet er bizarren Mischwesen aus Mensch und Tier. Was treibt Dr. Moreau, der Herrscher über dieses abgelegene Reich, hinter den Mauern seines Labors? Die Wahrheit ist grausam und rüttelt an den Grundfesten der Zivilisation.

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Zeit:5 Std. 9 min

Sprecher:Friedrich Frieden

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H.G. Wells

Die Insel des Dr. Moreau

Aus dem Englischen von Felix Paul Greve

Anaconda

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Titel der englischen Originalausgabe:

The Island of Doctor Moreau (London 1898)

Die deutsche Übersetzung folgt der Ausgabe H. G. Wells:

Doktor Moreaus Insel. Ins Deutsche übertragen von Felix Paul Greve. Minden/Westf.: Bruns Verlag 1904. Orthografie und Interpunktion wurden auf neue Rechtschreibung umgestellt.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 Anaconda Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlagmotiv: Henri J. F. Rousseau (Le Douanier) (1844 –1910),»The Snake Charmer« (1907), Musee d’Orsay, Paris, France / Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: www.paque.de

ISBN978-3-641-29992-7V001

www.anacondaverlag.de

[email protected]

Einleitung

Am 1. Februar 1887 ging die Lady Vain durch Kollision mit einem Wrack verloren, als sie sich etwa auf 1 ° südlicher Breite und 107 ° westlicher Länge befand.

Am 5. Januar 1888 – das heißt, elf Monate und vier Tage darauf – wurde mein Onkel Edward Prendick, ein Privatmann, der sicher in Callao an Bord der Lady Vain gegangen war und für ertrunken gehalten wurde, unter 5° 3′ südlicher Breite und 101 ° westlicher Länge in einem kleinen, offenen Boote aufgefischt, dessen Name unlesbar war, das aber vermutlich zu dem vermissten Schoner Ipecacuanha gehört hatte. Er gab einen so seltsamen Bericht von sich selber, dass man ihn für wahnsinnig hielt. Später erklärte er, vom Moment des Verlassen der Lady Vain an sei eine Lücke in seiner Erinnerung. Sein Fall wurde damals als ein merkwürdiges Beispiel für das Verlöschen des Gedächtnisses infolge von physischer und geistiger Überanstrengung unter Psychologen viel besprochen. Die folgende Erzählung fand der Unterzeichnete, sein Neffe und Erbe, unter seinen Papieren, jedoch von keiner definitiven Bitte um Veröffentlichung begleitet.

Die einzige Insel, von der man in der Gegend, wo mein Onkel aufgefischt wurde, weiß, ist Nobles Isle, eine kleine unbewohnte vulkanische Insel. Sie wurde 1891 von I. M. S. Scorpion besucht. Eine Schar von Matrosen landete, fand aber nichts Lebendiges außer gewissen merkwürdigen, weißen Nachtschmetterlingen, einigen Schweinen und Kaninchen und ein paar ziemlich eigentümlichen Ratten. Von diesen sicherte man sich keine Proben. Also bleibt diese Erzählung in ihrem wesentlichsten Punkte unbestätigt. Dies wohl verstanden, scheint es mir ungefährlich, diese unheimliche Geschichte, im Einklang, wie ich glaube, mit den Absichten meines Onkels, vor das Publikum zu bringen. Wenigstens das lässt sich für sie sagen: Mein Onkel verschwand auf etwa 5 ° südlicher Breite und 105 ° westlicher Länge aus den Augen der Menschen, und er erschien nach elf Monaten in derselben Gegend des Ozeans wieder. Während der Zwischenzeit muss er auf irgendeine Weise gelebt haben. Und es hat sich herausgestellt, dass ein Schoner namens Ipecacuanha mit einem betrunkenen Kapitän John Davis tatsächlich im Januar 1887 mit einem Puma und gewissen anderen Tieren an Bord von Arica ausgelaufen ist: Das Fahrzeug war in verschiedenen Häfen der Südsee wohlbekannt, und es verschwand (mit einer beträchtlichen Ladung Kopra an Bord) endgültig aus diesen Meeren, als es im Dezember 1887, einem Datum, das völlig zu meines Onkels Erzählung stimmt, von Banya aus seinem unbekannten Schicksal entgegensegelte.

Charles Edward Prendick.

1Im kleinen Boot der Lady Vain

Ich habe nicht die Absicht, dem, was bereits über den Verlust der Lady Vain geschrieben ist, noch etwas hinzuzufügen. Wie jedermann weiß, kollidierte sie zehn Tage nach ihrer Ausfahrt aus Callao mit einem Wrack. Das Langboot wurde nach achtzehn Tagen von I. M. Kanonenboot Myrtle mit sieben Mann von der Mannschaft aufgefischt, und die Geschichte ihrer Entbehrungen ist fast ebenso bekannt geworden wie der weit schrecklichere Fall der Medusa. Ich habe jedoch jetzt der veröffentlichten Geschichte der Lady Vain eine andere ebenso grauenhafte und jedenfalls viel merkwürdigere hinzuzufügen. Man hat bisher angenommen, die vier Leute, die im kleinen Boot waren, seien umgekommen. Aber das ist nicht richtig. Ich habe den besten Beweis für diese Behauptung: Ich bin einer von den vier Leuten.

Aber zunächst muss ich feststellen, dass im kleinen Boote niemals vier Leute gewesen sind; die Zahl betrug drei. Constans, den »der Kapitän in die Gig springen sah«, (Daily News, 17. März 1887), erreichte uns zu unserm Glück, zu seinem Unglück nicht. Er sprang aus dem Gewirr von Tauen unter den Streben des zerschmetterten Bugspriets heraus; ein kleines Tau fasste seinen Absatz, als er lossprang, und er hing einen Augenblick mit dem Kopf nach unten, dann fiel er und schlug auf einen Block oder Ballen, der im Wasser schwamm. Wir ruderten zu ihm, aber er kam nicht wieder an die Oberfläche empor.

Ich sage, zum Glück für uns erreichte er uns nicht, und ich könnte beinahe hinzufügen, zum Glück für ihn, denn wir hatten nur ein kleines Fass Wasser und ein paar nass gewordene Schiffsbiskuits bei uns – so plötzlich war der Alarm gewesen, so unvorbereitet das Schiff auf jeden Unglücksfall. Wir meinten, die Leute im Langboot seien besser versehen (freilich scheint es, das war nicht der Fall), und wir versuchten, sie anzurufen. Sie hätten uns nicht hören können, und als sich am andern Tag der Sprühnebel aufklärte – was erst nach Mittag geschah – konnten wir nichts mehr von ihnen sehen. Wir konnten wegen des Schaukelns des Bootes nicht aufstehen, um uns umzublicken. Die See lief in großen Rollwogen, und wir hatten viel Arbeit, um ihnen die Spitze des Boots entgegenzuhalten. Die zwei anderen Leute, die so weit mit mir davongekommen waren, waren ein Mann namens Helmar, wie ich ein Passagier, und ein Matrose, dessen Namen ich nicht mehr weiß, ein kurzer, stämmiger Mann, der stotterte.

Wir trieben hungernd und, nachdem uns das Wasser ausgegangen war, von einem unerträglichen Durst gequält, acht Tage lang so umher. Nach dem zweiten Tag legte sich die See zu glasiger Ruhe. Der Durchschnittsleser kann sich diese acht Tage unmöglich vorstellen. Er kennt – zum Glück für ihn – in seiner Erinnerung nichts, mit dessen Hilfe er sie sich vorstellen könnte. Nach dem ersten Tag sprachen wir wenig mehr miteinander; wir lagen auf unsern Plätzen im Boot und starrten auf den Horizont oder beobachteten mit Augen, die von Tag zu Tag weiter und hohler wurden, das Elend und die Schwäche, die unsere Gefährten überwältigten. Die Sonne wurde erbarmungslos. Das Wasser war am vierten Tag zu Ende, und wir dachten schon unheimliche Dinge und sagten sie mit unsern Augen; aber ich glaube, erst am sechsten gab Helmar dem Ausdruck, woran wir alle dachten. Ich entsinne mich, unsere Stimmen waren trocken und dünn, sodass wir uns zueinander hinneigten und mit den Worten sparsam umgingen. Ich widersetzte mich mit all meiner Macht, wollte lieber, wir bohrten das Boot an und kamen zusammen unter den Haien um, die uns folgten; aber als Helmar sagte, wenn man seinem Vorschlag folge, hätten wir zu trinken, schloss der Matrose sich ihm an.

Ich wollte aber kein Los ziehen, und nachts flüsterte der Matrose immer wieder mit Helmar, und ich saß im Bug, mein Einschlagemesser in der Hand – freilich zweifle ich, ob ich das Zeug zum Kampf in mir hatte. Und am Morgen stimmte ich Helmars Vorschlag bei und wir warfen einen Groschen, um den Überzähligen zu finden.

Das Los fiel auf den Matrosen, aber er war der Stärkste von uns und wollte sich nicht fügen und griff Helmar mit den Händen an. Sie rangen miteinander und standen fast auf. Ich kroch durchs Boot zu ihnen hin und wollte Helmar helfen, indem ich den Matrosen am Bein packte; aber der Matrose stolperte durch das Schwanken des Bootes und die beiden fielen auf den Rand und rollten zusammen über Bord. Sie sanken wie die Steine. Ich erinnere mich, dass ich darüber lachte und mich wunderte, warum ich lachte. Das Lachen fasste mich wie etwas von außen.

Ich lag, ich weiß nicht wie lange, auf einer der Ruderbänke und dachte, wenn ich nur die Kraft hätte, wollte ich Meerwasser trinken und mich wahnsinnig machen, um schnell zu sterben. Und während ich noch so dalag, sah ich mit nicht mehr Interesse, als wenn es ein Bild gewesen wäre, ein Segel über den Horizont zu mir heraufkommen. Mein Geist muss gewandert sein, und doch besinne ich mich ganz deutlich auf alles, was geschah. Ich erinnere mich, wie mein Kopf mit den Wellen schwankte, und wie der Horizont mit dem Segel darüber auf und nieder tanzte. Aber ich entsinne mich nicht minder deutlich, dass ich überzeugt war, ich sei tot, und dass ich dachte, welch ein Scherz es sei, dass sie um so wenig zu spät kommen mussten, um mich noch im Leibe vorzufinden.

Eine endlose Zeit, so schien es mir, lag ich mit meinem Kopf auf der Ruderbank und beobachtete den tanzenden Schoner – es war ein kleines Schiff, vorn und hinten wie ein Schoner getakelt – der aus dem Meer heraufkam. Er lavierte in immer weiteren Bogen hin und her, denn er segelte tot in den Wind. Es fiel mir keinen Augenblick ein, den Versuch zu machen, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und ich besinne mich nach dem Anblick seiner Langseite auf nichts mehr deutlich, bis ich mich in einer kleinen Kabine am Stern wiederfand. Ich habe eine dunkle Halberinnerung, dass ich das Fallreep hinaufgehoben wurde und ein großes, rotes Gesicht sah, das mit Sommersprossen bedeckt und von rotem Haar umgeben war und mich über die Reeling her anstarrte. Ich hatte auch den zusammenhanglosen Eindruck eines dunklen Gesichtes mit merkwürdigen Augen, die mir ganz nahe waren; aber das hielt ich für einen Alp, bis ich es wiedersah. Mir ist, als entsinne ich mich, dass mir irgendetwas zwischen die Zähne gegossen wurde. Und das ist alles.

2Der Mann, der nirgends hinging

Die Kabine, in der ich mich befand, war klein und ziemlich unsauber. Ein noch junger Mann mit Flachshaar, einem borstigen, strohfarbenen Schnurrbart und hängender Unterlippe saß bei mir und hielt mein Handgelenk. Eine Minute lang blickten wir einander an, ohne zu sprechen. Er hatte wässerige, graue, merkwürdig ausdruckslose Augen.

Dann kam von grade über uns ein Geräusch, wie wenn eine eiserne Bettstelle umhergeworfen wird, und dann das leise, wütende Knurren eines großen Tieres. Zugleich sprach der Mann wieder.

Er wiederholte seine Frage: »Wie fühlen Sie sich?«

Ich glaube, ich sagte, ich fühlte mich ganz wohl. Ich konnte mich nicht besinnen, wie ich dahin gekommen war. Er muss mir die Frage vom Gesicht abgelesen haben, denn meine Stimme war mir unerreichbar.

»Sie wurden in einem Boot gefunden – am Verhungern. Auf dem Boot stand der Name Lady Vain, und auf dem Bordrand waren Blutflecken.« Zu gleicher Zeit fiel mein Blick auf meine Hand: Sie war so dünn wie ein schmutziger Hautsack voll loser Knochen, und die ganze Sache mit dem Boot fiel mir wieder ein.

»Nehmen Sie etwas hiervon«, sagte er und gab mir eine Dosis von einem gefrorenen roten Zeug.

Es schmeckte wie Blut und gab mir das Gefühl größerer Kraft.

»Sie haben Glück gehabt«, sagte er, »dass Sie von einem Schiff mit einem Arzt an Bord aufgefischt wurden.« Er sprach mit schlabbernder Artikulation und einer Spur von Lispeln.

»Was für ein Schiff ist dies?«, sagte ich langsam, von meinem langen Schweigen heiser.

»Es ist ein kleiner Kauffahrer von Arica und Callao. Ich habe nicht gefragt, woher er ursprünglich gekommen ist. Aus dem Land der geborenen Narren, vermutlich. Ich selber bin Passagier von Arica. Der alberne Esel, dem es gehört – er ist zugleich Kapitän, heißt Davis – er hat sein Attest verloren oder sowas. Sie kennen die Art Mann – nennt das Ding die Ipecacuanha – von allen albernen, verdammten Namen – freilich, wenn viel See ist und kein Wind, da arbeitet sie entsprechend.«

Da begann oben der Lärm von Neuem, ein knurrendes Brummen und zugleich die Stimme eines menschlichen Wesens. Dann sagte eine andere Stimme einem »gottverlassenen Idioten«, er solle auf hören.

»Sie waren fast tot«, sagte mein Gegenüber. »Es hing wirklich an einem Haar. Aber ich habe Ihnen einiges Zeug eingegeben. Sehen Sie die Armwunden? Einspritzungen. Sie sind seit fast dreißig Stunden ohne Besinnung gewesen.«

Ich dachte langsam. Jetzt lenkte mich das Bellen einer Anzahl Hunde ab. »Kann ich feste Nahrung zu mir nehmen?«, fragte ich.

»Und mir haben Sie’s zu danken«, sagte er. »Das Hammelfleisch kocht schon.«

»Ja«, sagte ich mit Zuversicht. »Ich könnte ein wenig Hammelfleisch essen.«

»Aber«, sagte er mit momentanem Zögern, »Sie wissen, wie es kam, dass Sie allein in dem Boot waren.« Ich glaubte in seinen Augen einen gewissen Verdacht zu entdecken.

»Verdammtes Heulen!«

Er verließ die Kabine plötzlich, und ich hörte ihn in heftigem Streit mit jemandem, der ihm in Rotwelsch zu antworten schien. Es klang, als endete die Sache mit Schlägen, aber darin, glaubte ich, täuschten meine Ohren sich. Dann rief er den Hunden zu und kam in die Kabine zurück.

»Nun?«, sagte er in der Tür. »Sie wollten gerade anfangen, mir zu erzählen.«

Ich nannte ihm meinen Namen, Edward Prendick, und sagte ihm, wie ich mich auf die Naturwissenschaft verlegt hatte, um die Langeweile meiner behaglichen Unabhängigkeit loszuwerden. Das schien ihn zu interessieren. »Ich habe selber ein wenig Naturwissenschaft getrieben – habe meine Biologie auf der Universität gemacht – dem Regenwurm den Eierstock rausgeholt und der Schnecke die Radula und all das. Himmel! Es sind zehn Jahre her. Aber fahren Sie fort, fahren Sie fort – erzählen Sie mir vom Boot.«

Er war offenbar in Betreff der Aufrichtigkeit meiner Erzählung befriedigt, obgleich ich sie in ziemlich konzisen Sätzen erzählte – denn ich fühlte mich furchtbar schwach, und als sie zu Ende war, kam er sofort auf das Thema der Naturwissenschaft und seine eigenen biologischen Studien zurück. Er begann mich genau nach dem Tottenham Court Road und der Gow er Street zu befragen. »Blüht Cablatzi noch? Was für ein Laden das war!« Er war offenbar ein sehr durchschnittlicher Student der Medizin gewesen, und er trieb unaufhaltsam aufs Thema der Varietés los. Er erzählte mir ein paar Anekdoten. »Alles verlassen«, sagte er. »Vor zehn Jahren. Wie ulkig alles war! Aber ich habe einen jungen Esel aus mir gemacht … Hab mich rausgespielt, eh ich einundzwanzig war. Ich kann mir denken, jetzt ist alles anders … Aber ich muss mal nach dem Esel von Koch sehen, was er mit Ihrem Hammelfleisch macht!«

Das Knurren oben begann so plötzlich und mit so wilder Wut von Neuem, dass es mich erschreckte. »Was ist das?«, rief ich ihm nach, aber die Tür hatte sich geschlossen. Er kam mit dem gekochten Hammelfleisch zurück, und ich war von dem anregenden Duft so erregt, dass ich den Lärm des Tieres alsbald vergaß.

Nach einem Tag abwechselnden Schlafens und Essens war ich so weit erholt, dass ich aus meiner Koje an das Ochsenauge treten konnte und die grünen Wellen sehen, die mit uns Schritt zu halten versuchten. Montgomery – so hieß der flachshaarige Mann – kam wieder herein, als ich dort stand, und ich bat ihn um ein paar Kleider. Er lieh mir ein paar Segeltuchsachen von sich, denn die, die ich im Boot getragen hatte, waren über Bord geworfen worden. Sie saßen mir ziemlich lose, denn er war breit und langgliedrig.

Er sagte mir gelegentlich, der Kapitän läge dreiviertel betrunken in seiner Kabine. Als ich die Kleider annahm, begann ich ihn über das Ziel des Schiffes zu befragen. Er sagte, das Schiff sei nach Hawaii bestimmt, aber es habe ihn erst zu landen.

»Wo?«, fragte ich.

»Es ist eine Insel … Ich lebe da. Soweit ich weiß, hat sie keinen Namen.«

Er starrte mich mit hängender Unterlippe an und sah plötzlich so eigensinnig borniert aus, dass mir schien, er wolle meine Fragen vermeiden. Ich war so diskret und fragte nicht weiter.

3Das unheimliche Gesicht

Wir verließen die Kabine und fanden einen Mann im Schott, der uns den Weg versperrte. Er stand, den Rücken gegen uns gekehrt, auf der Schiffsleiter und spähte über die Scherstöcke der Luke. Ich konnte sehen, es war ein missgestalteter, kurzer, breiter, plumper Mann mit einem Buckel, behaartem Nacken und zwischen die Schultern gesunkenem Kopf. Er war in dunkelblaue Serge gekleidet und hatte merkwürdig dickes, grobes, schwarzes Haar. Ich hörte die unsichtbaren Hunde knurren, und alsbald duckte er sich zurück und stieß gegen die Hand, die ich ausgestreckt hatte, um ihn abzuwehren. Er drehte sich mit tierischer Behändigkeit herum.

Auf irgendeine unbestimmte Weise widerte mich dieses Gesicht, das mich so anblitzte, in der Tiefe an. Es war ein seltsam entstelltes. Das Gesicht sprang vor und bildete etwas, was dunkel an eine Schnauze erinnerte, und der große, halb offene Mund zeigte so starke, weiße Zähne, wie ich sie nur je in einem menschlichen Mund gesehen hatte. Seine Augen waren an den Rändern blutunterlaufen, und kaum ein Streif Weiß blieb um die nussbraunen Pupillen. In seinem Gesicht lag eine seltsame Glut der Aufregung.

»Zum Henker!«, sagte Montgomery. »Was gehst du nicht aus dem Wege?« Der Mann mit dem schwarzen Gesicht fuhr ohne ein Wort zur Seite.

Ich stieg das Schott weiter und starrte ihn dabei instinktiv an. Montgomery blieb einen Moment am Fuß stehen. »Du weißt, du hast hier nichts zu suchen«, sagte er in überlegtem Ton. »Dein Platz ist vorn.«

Der Mann mit dem schwarzen Gesicht kauerte nieder. »Sie … wollen mich vorn nicht haben.« Er sprach langsam, mit einem wunderlichen, heiseren Klang in der Stimme.

»Wollen dich vorn nicht haben!«, sagte Montgomery mit drohender Stimme. »Aber ich sage dir, du gehst!« Er war nahe daran, noch etwas hinzuzufügen, blickte aber plötzlich zu mir auf und folgte mir die Leiter hinauf. Ich war, halbwegs die Luke hinauf, stillgestanden und blickte zurück, noch immer über die Maßen über die groteske Hässlichkeit dieses schwarzgesichtigen Geschöpfes erstaunt. Ich hatte nie zuvor ein so abstoßendes und außerordentliches Gesicht gesehen, und doch – wenn der Widerspruch zu glauben ist – hatte ich zu gleicher Zeit die merkwürdige Empfindung, als sei ich irgendwie doch schon genau den Zügen und Gesten begegnet, die mich jetzt entsetzten. Später fiel mir ein, dass ich ihn wahrscheinlich gesehen hatte, als ich an Bord gehoben wurde, doch befriedigte das meinen Argwohn einer früheren Bekanntschaft kaum. Aber wie man ein so eigentümliches Gesicht vor Augen gehabt und die genaue Gelegenheit vergessen haben kann, das ging über meine Vorstellung hinaus.

Die Bewegung, die Montgomery machte, um mir zu folgen, spannte meine Aufmerksamkeit ab, und ich wandte mich und sah mich auf dem glatten Deck des kleinen Schoners um.

Ich war durch die Töne, die ich gehört hatte, schon halb auf das, was ich sah, vorbereitet. Jedenfalls hatte ich noch kein so schmutziges Deck gesehen. Es war mit Rübenabfall, Fetzen von grünem Zeug und unbeschreiblichem Schmutz bedeckt. An dem Hauptmast waren mit Ketten eine Anzahl grauer Hetz hunde gefesselt, die jetzt gegen mich zu springen und zu bellen begannen, und am Besanmast war ein riesiger Puma in einen kleinen eisernen Käfig gesperrt, der viel zu eng war, um ihm auch nur Raum zum Wenden zu lassen. Ferner standen auf Steuerbord unter dem Geländer einige große Ställe, die eine Anzahl Kaninchen enthielten, und ein einzelnes Lama war vorn in einen bloßen Kasten von einem Käfig gequetscht. Die Hunde hatten Lederriemen um die Schnauzen. Das einzige menschliche Wesen auf Deck war ein hagerer, schweigsamer Seemann am Steuer.

Die geflickten, schmutzigen Treibsegel standen straff vor dem Wind, und oben schien das kleine Schiff all seine Segel draußen zu haben. Der Himmel war klar, die Sonne halbwegs den westlichen Horizont hinunter, lange Wogen, denen die Brise eine Schaumkappe gab, liefen mit uns. Wir gingen am Steuermann vorbei zum Backbord und blickten auf das Wasser, das schäumend unter den Stern lief, und auf die Blasen, die im Kielwasser tanzten und verschwanden. Ich drehte mich um und blickte das ekelhafte Schiffsdeck entlang.

»Ist dies eine Meeresmenagerie?«, sagte ich.

»Sieht fast so aus«, sagte Montgomery.

»Wozu sind die Bestien? Ware? Meint der Kapitän, er wird sie irgendwo in der Südsee loswerden?«

»Es sieht so aus, nicht wahr?«, sagte Montgomery und wandte sich wieder gegen das Kielwasser.

Plötzlich hörten wir von der Schottluke her einen Schrei und eine Ladung von Flüchen, und der ungestalte Mensch mit dem schwarzen Gesicht kletterte eilig herauf. Dicht hinter ihm folgte ein schwerer, rothaariger Mann mit weißer Mütze. Beim Anblick des ersteren wurden die Hetzhunde, die mittlerweile alle des Bellens müde geworden waren, wütend aufgeregt, heulten und sprangen gegen ihre Ketten. Der Schwarze zögerte vor ihnen, und das gab dem Rothaarigen Zeit, ihn einzuholen und ihm einen furchtbaren Stoß zwischen die Schulterblätter zu versehen. Der arme Teufel flog hin wie ein gefällter Ochs und rollte unter die wütend aufgeregten Hunde. Es war sein Glück, dass ihnen das Maul verbunden war. Der Rothaarige grunzte triumphierend und stand taumelnd, und, wie mir schien, in ernstlicher Gefahr da, entweder rückwärts die Luke hinunterzustürzen, oder vorwärts über sein Opfer.

Sobald der zweite Mann erschien, war Montgomery heftig aufgefahren. »Sachte da vorn!«, rief er im Ton der Warnung. Ein paar Matrosen erschienen am Bug.

Der Mann mit dem schwarzen Gesicht rollte unter den Füßen der Tiere umher und heulte mit merkwürdiger Stimme. Niemand versuchte ihm zu helfen. Die Tiere taten ihr Bestes, um ihn zu zerreißen, indem sie mit den Schnauzen nach ihm stießen. Ihre geschmeidigen, grauen Leiber vollführten einen behänden Tanz über der plumpen, gestürzten Gestalt. Die Matrosen vorn riefen ihnen zu, als sei es ein ausgezeichneter Ulk. Montgomery stieß einen zornigen Ausruf aus und ging das Deck hinauf. Ich folgte ihm.

In der nächsten Sekunde hatte sich der Mann mit dem schwarzen Gesicht aufgerafft, und er taumelte vorwärts. Er stolperte gegen die Reeling bei den Wanten, wo er keuchend stehen blieb und sich über die Schulter weg nach den Hunden umsah. Der Rothaarige lachte ein befriedigtes Lachen.

»Hören Sie, Kapitän«, sagte Montgomery mit etwas akzentuiertem Lispeln, indem er den Rothaarigen bei den Ellenbogen packte: »Das geht nicht.«

Ich stand hinter Montgomery. Der Kapitän drehte sich halb um und sah ihn mit den stumpfen und feierlichen Augen eines Betrunkenen an. »Was geht nicht?«, sagte er; und nachdem er Montgomery eine Minute lang schläfrig ins Gesicht geblickt hatte, fügte er hinzu: »Verdammter Knochensäger!«

Mit einer plötzlichen Bewegung versuchte er die Arme freizuschütteln, und nach zwei wirkungslosen Versuchen steckte er die mit Sommersprossen bedeckten Hände in die Seitentaschen.

»Der Mann ist Passagier«, sagte Montgomery. »Ich rate Ihnen, die Hände von ihm zu lassen.«

»Gehen Sie zur Hölle!«, rief der Kapitän laut. Plötzlich drehte er sich um und taumelte zur Seite. »Tu was ich will auf meinem eigenen Schiff«, sagte er.

Ich meine, Montgomery hätte ihn jetzt lassen können – da der Kerl einmal betrunken war. Aber er wurde nur um einen Schatten blasser und folgte dem Kapitän zur Reeling.

»Hören Sie, Kapitän«, sagte er. »Der Mann da soll nicht misshandelt werden. Er ist geschunden worden, seit er an Bord kam.«

Eine Minute lang hielten den Kapitän alkoholische Dünste sprachlos. »Verdammter Knochensäger!«, war alles, was er für nötig hielt.

Ich konnte sehen, dass Montgomery eins jener langsamen, hartnäckigen Temperamente besaß, die Tag für Tag wärmer werden, bis sie zur Weißglut kommen, und die sich nie wieder bis zur Verzeihung abkühlen; und ich sah auch, dass dieser Streit seit einiger Zeit gewachsen war. »Der Mann ist betrunken«, sagte ich, vielleicht aufdringlich. »Sie werden nichts ausrichten.«

Montgomery zog seine hängende Lippe hässlich schief. »Er ist immer betrunken. Meinen Sie, das entschuldigte ihn, wenn er seine Passagiere an greift?«

»Mein Schiff«, begann der Kapitän, indem er die Hand unsicher gegen die Käfige hob, »war ein sauberes Schiff. Sehen Sie’s jetzt an.« Es war sicherlich alles eher als sauber. »Mannschaft«, fuhr der Kapitän fort, »saubere, ehrenwerte Mannschaft.«

»Sie waren bereit, die Tiere mitzunehmen.«

»Ich wollt, mir wär Ihre höllische Insel nie vor Augen gekommen. Was zum Teufel … brauchen Sie Tiere für solche Insel? Und dann Ihr Mann da … Wohlverstanden, wenn er ’n Mann war. Er ist ’n Verrückter. Und er hatte hinten nichts zu suchen. Meinen Sie, das ganze Satansschiff gehört Ihnen?«

»Ihre Leute begannen den armen Teufel zu schinden, sowie er an Bord kam.«

»Das ist er grad – er ist ’n Teufel, ’n hässlicher Teufel. Meine Leute können ihn nicht ausstehn. Ich kann ihn nicht ausstehn. Keiner von uns kann ihn ausstehn. Und Sie auch nicht.«

Montgomery wandte sich ab. »Sie lassen den Mann auf jeden Fall in Ruhe«, sagte er und nickte beim Sprechen mit dem Kopf.

Aber jetzt wollte der Kapitän streiten. Er erhob die Stimme: »Wenn er noch mal auf dieses Ende vom Schiff kommt, kehr ich ihm die Gedärme nach außen, sage ich Ihnen. Schneid ihm seine verdammten Gedärme heraus. Wer sind Sie, dass Sie mir sagen wollen, was ich tun soll? Ich sage Ihnen, ich bin Kapitän auf dem Schiff – Kapitän und Eigentümer. Ich bin das Gesetz hier, sag ich Ihnen – das Gesetz und die Propheten. Ich hab abgeschlossen, einen Mann und seinen Diener nach und von Arica zu bringen und ein paar Tiere mit zurückzunehmen. Ich hab nie abgeschlossen, einen tollen Teufel und einen albernen Knochensäger zu transportieren, einen …«

Nun, einerlei, wie er Montgomery nannte. Ich sah, dass der letztere einen Schritt vorwärts tat, und ich trat dazwischen. »Er ist betrunken«, sagte ich. Der Kapitän begann noch schlimmer zu schimpfen. »Hören Sie auf«, sagte ich, indem ich mich scharf zu ihm wandte, denn ich hatte in Montgomerys weißem Gesicht Gefahr gesehen. Damit lenkte ich den Guss auf mich selber.