Die Jackie Dupont Reihe Band 1 und 2: Die Tote mit dem Diamantcollier/ Mord beim Diamantendinner (2in1-Bundle) - Eve Lambert - E-Book
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Die Jackie Dupont Reihe Band 1 und 2: Die Tote mit dem Diamantcollier/ Mord beim Diamantendinner (2in1-Bundle) E-Book

Eve Lambert

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Beschreibung

Glamour-Detektivin Jackie Dupont ermittelt im Monaco und London der Zwanzigerjahre

Lesen Sie zwei Kriminalromane von Eve Lambert in einem Band

Monaco 1920: Der attraktive englische Adlige Christopher besucht eine Party an Bord einer mondänen Yacht. Die Gäste tanzen zu den Klängen einer Jazzband, trinken Champagner – doch plötzlich wird eine Leiche entdeckt, und ein kostbares Diamantcollier ist spurlos verschwunden. Die Polizei ruft Jackie Dupont zu Hilfe, Privatdetektivin mit Vorliebe für glamouröse Abendroben, schnelle Autos und ungewöhnliche Ermittlungsmethoden. Einer der Gäste muss der Täter sein, somit steht auch Christopher unter Verdacht. Und tatsächlich hütet er ein dunkles Geheimnis ...

London 1920: Während einer rauschenden Party in den goldgeschmückten Räumlichkeiten von Buckingham Palace wird eine kostbare Krone gestohlen. Das Königshaus ruft Jackie Dupont auf den Plan, Privatdetektivin mit Spezialgebiet Diamantenraub. Diese hat nicht nur eine Schwäche für tiefroten Lippenstift und edle Abendroben, sondern auch für äußerst eigenwillige Ermittlungsmethoden. So lädt sie alle Verdächtigen kurzerhand übers Wochenende in ein kleines Jagdschlösschen auf dem Land ein. Doch schon am ersten Abend bricht einer der Gäste tot zusammen – vergiftet! Und bald schwebt auch Jackie selbst in großer Gefahr ...

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Die Tote mit dem Diamantcollier: Monaco 1920. Der attraktive englische Adlige Christopher besucht eine Party an Bord einer mondänen Yacht. Die Gäste tanzen zu den Klängen einer Jazzband, trinken Champagner – doch plötzlich wird eine Leiche entdeckt, und ein kostbares Diamantcollier ist spurlos verschwunden. Die Polizei ruft Jackie Dupont zu Hilfe, Privatdetektivin mit Vorliebe für glamouröse Abendroben, schnelle Autos und ungewöhnliche Ermittlungsmethoden. Einer der Gäste muss der Täter sein, somit steht auch Christopher unter Verdacht. Und tatsächlich hütet er ein dunkles Geheimnis ...

Mord beim Diamantendinner: London 1920. Während einer rauschenden Party in den goldgeschmückten Räumlichkeiten von Buckingham Palace wird eine kostbare Krone gestohlen. Das Königshaus ruft Jackie Dupont auf den Plan, Privatdetektivin mit Spezialgebiet Diamantenraub. Diese hat nicht nur eine Schwäche für tiefroten Lippenstift und edle Abendroben, sondern auch für äußerst eigenwillige Ermittlungsmethoden. So lädt sie alle Verdächtigen kurzerhand übers Wochenende in ein kleines Jagdschlösschen auf dem Land ein. Doch schon am ersten Abend bricht einer der Gäste tot zusammen – vergiftet! Und bald schwebt auch Jackie selbst in großer Gefahr ...

Eve Lambert ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin. Genau wie ihrer Titelheldin Jackie Dupont wurde ihr das Reisen in die Wiege gelegt: 1979 im Tessin geboren wuchs sie in Hamburg, Italien und Großbritannien auf. Heute lebt sie wieder in Hamburg. Wenn sie nicht gerade schreibt, arbeitet sie als Gästeführerin und begleitet Touristen aus aller Welt durch die Hansestadt.

Eve Lambert

Zwei Romane in einem Band

Die Tote mit dem DiamantcollierMord beim Diamantendinner

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» Die Tote mit dem Diamantcollier«

Copyright © 2019 Penguin Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Favoritbüro

Umschlagmotiv: © Ilina Simeonova/Trevillion Images; inblack/photo one/Andrey Bayda/Aleksei Gurko/Shutterstock

Redaktion: Angela Troni

Satz: Greiner & Reichel, Köln

»Mord beim Diamantendinner«

Copyright © 2020 by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: Favoritbüro

Umschlagmotiv: © ILINA SIMEONOVA/Trevillion Images; tomertu/shutterstock; Disavorabuth/shutterstock; Vaclav Volrab/shutterstock; Janis Smits/shutterstock; Gordon Bell/shutterstock

Redaktion: Angela Troni

Satz: Greiner & Reichel, Köln

978-3-641-28570-8V001

www.penguin-verlag.de

EVE LAMBERT

DIE TOTE MIT DEMDIAMANT-COLLIER

Ein Fall für Jackie Dupont

Roman

Für meine Eltern

New York, 14. April 1913

Sir,

ein Jahr ist es nun her, dass die RMS Titanic in den eisigen Fluten des Atlantiks versank und Ihre junge Gemahlin Diana mit ihr. Groß war die Anteilnahme am Tod der Duchess of Surrey. Ein so unschuldiges, zartes Geschöpf, dessen Schicksal grauenvoll, dessen Tod sinnlos war.

Dazu der Verlust Ihres Schwiegervaters, dessen Vermögen mitsamt dem gewaltigen Eisenbahnimperium nun Ihnen gehört. Großzügig haben Sie an die Hinterbliebenen der armen Familien gespendet, die einen Ernährer durch dieses Unglück verloren. Als tragischer Held stehen Sie nun da, unermesslich reich, unermesslich geschätzt. Sie, der kultivierte, der begabte, der edle Duke of Surrey.

Eines sollten Sie jedoch wissen: Wir kennen die Wahrheit. Wir haben gesehen, wie die junge Duchess an der Reling stand, einen Hundewelpen auf dem Arm, in einen weißen Pelzmantel gehüllt. Wir haben gehört, wie Ihr Schwiegervater, der wusste, er würde in jener Nacht den Tod finden, seine Tochter anflehte, an Bord unseres Rettungsbootes zu gehen. Doch sie weigerte sich standhaft, ihn zu verlassen. Wir haben miterlebt, wie Mister Henry Gould sich in den Kopf schoss, um seine Tochter daran zu hindern, bei ihm zu bleiben. Nie werden wir vergessen, wie Diana, schön wie ein Engel, mit entrücktem Blick zu uns sagte: »Richten Sie bitte Christopher aus, er sei nun frei für Rose Munroe, und sagen Sie ihm auch, es tue mir unendlich leid, dass er mich nicht lieben konnte. Ich habe alles versucht.«

Nie werden wir vergessen, wie sie nach einem letzten Blick in die Ferne mit wehendem Haar davonlief, ihrem Untergang entgegen.

Mögen auch Sie, Sir, an diesem Wissen zugrunde gehen. Wann immer Sie die Früchte Ihres Erbes und die Bewunderung dieser Welt genießen, denken Sie daran: Wir kennen die Wahrheit.

Die Damen von Rettungsboot X

1.

Monaco im Februar 1920

Christopher St. Yves sprang behände an Bord der Celluloid, drehte sich um und reichte seiner Begleiterin die Hand. Miss Fortescue oder vielmehr Anne, wie der Duke of Surrey sie seit einiger Zeit nennen durfte, stieß sich ebenfalls ab, und er fing sie galant auf. Sie salutierten dem Kapitän des Schleppers, der sie vom Hafen zur schneeweißen Motorjacht ihrer Gastgeber gebracht hatte. Wie ein Eisberg lag die Celluloid in der Bucht von Monaco, und Christopher konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass es der Amerikaner bedurfte, um mit einem derartigen Ungetüm an der Riviera aufzukreuzen.

Einmal an Bord, ging der Eindruck verloren, und die erhöhte Position gewährte dem Besucher einen unverstellten Blick auf das funkelnde kleine Fürstentum, in dem elegante Damen und vermögende Herren gerade auf dem Weg ins Casino waren, um dort weiterzumachen, wo sie vor dem Krieg aufgehört hatten.

»Guten Abend, Sir.«

Ein streng dreinblickender Herr war an Deck erschienen und musterte die Neuankömmlinge in einer Art und Weise, die ihn als britischen Butler auswies. Christopher, von guten Freunden Kit genannt, griff in die Innentasche seines Smokings und holte seine Karte hervor. Der Butler blickte weitaus weniger streng drein, kaum dass er den Namen las, der in zart geschwungenen Lettern auf das dicke Papier gestanzt war. Er verneigte sich.

»My Lord Duke … Madam.«

»Miss«, korrigierte Anne ihn lachend.

Kit küsste ihr die Hand. »Noch.«

Erneut verbeugte sich der Butler.

Im selben Moment erklang eine durchdringende Frauenstimme. »Christopher! Christopher! Jetzt komm schon her!«

»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend, Sir«, gelang es dem Butler noch zu sagen, bevor eine goldblonde Frau in einem ebenso goldenen Kleid und mit einem beachtlichen Diamantcollier mit ausgebreiteten Armen über das hintere Deck gelaufen kam.

»Was für eine Freude, Christopher!« Carla Tush ließ sich von Kit die behandschuhte Hand küssen. »Herrlich, endlich wieder hier zu sein und dich zu sehen … älter zwar, aber nach wie vor im Besitz sämtlicher Körperteile. Das kann man heutzutage nicht gerade über viele Männer deines Alters sagen.«

Kit lachte. »Du bist frech wie eh und je. Die meisten meiner Soldaten waren deutlich jünger als ich. Mittlerweile bin ich eher vierzig als dreißig.«

Er stellte seine Verlobte vor, und die amerikanische Gastgeberin brach erneut in Freudengeschrei aus.

»Anne, Verehrteste! Herzlich willkommen! So ein Glück! Was für eine eine reizende junge Dame, very british. Wie heißt es noch? Gleich und Gleich gesellt sich gern. Kommt, kommt mit, ihr seid beinahe die Letzten. Die anderen können es kaum erwarten, dich in die Arme zu schließen, Christopher. Zumindest diejenigen, die dich kennen. Wissen Sie, Anne, Ihr Verlobter war in seiner Jugend jeden Winter hier, mit seiner Frau Mama. Die beiden haben Tag und Nacht gemalt. Das waren Zeiten! Wir waren zwar ärmer, aber wir waren guter Dinge.«

»Liebe Carla, ich war arm. Du nicht.«

Sie winkte ab. »Auf Geld kam es doch damals nicht an.«

Anne hakte sich bei Kit ein. »Das muss wunderbar gewesen sein. Meine Eltern haben mich immer in England gelassen, wenn sie an die Riviera gefahren sind.«

»Wie es sich für ein Mädchen aus gutem Hause gehört. Unsere Kinder hätten sich gefreut, wenn wir sie in Amerika gelassen hätten. Seit wir von New York nach Kalifornien gezogen sind, wollen sie gar nicht mehr verreisen. Sie sind mittlerweile erwachsen und haben uns gefragt, warum wir überhaupt noch nach Europa fahren wollen, wo wir doch das Meer direkt vor der Haustür haben. Dabei ist es die Kultur, verstehen Sie, Anne? Die Kultur, die Leute! Außerdem liebe ich die Seefahrt! Die großen Schiffe. Ich stamme aus einer Reederfamilie. Ohne unsere Schiffe könnten Sie heute keine Filme im Filmtheater ansehen. Glauben Sie mir, ich habe das Geld in diese Familie gebracht.« Sie zwinkerte verschwörerisch. »Und dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Alkohol. Sie wissen sicher, dass wir drüben keinen mehr bekommen. Jedenfalls nicht so leicht.«

»Natürlich.«

Wie schon viele Male zuvor erfreute es Kit, mit welcher Leichtigkeit Anne sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte. Sie war höflich und stets für einen humorvollen Kommentar zu haben, ohne jemals gewöhnlich oder gar laut zu werden. Als Tochter eines Barons aus einer Familie mit langer Tradition, besaß sie das der britischen Upperclass quasi angeborene Gefühl der Zugehörigkeit und Selbstsicherheit. Dazu sah sie hübsch aus und war von wachem Verstand. Ja, mit Anne hatte er eine gute Wahl getroffen.

Carla führte Kit und Anne eine Treppe hinauf, die zu dem großen Deck am Heck des Schiffes führte, wo eine amerikanische Jazzband spielte. Carla ist offenbar immer noch auf der Höhe der Zeit, dachte Kit amüsiert. Überhaupt zeugte die Ausstattung der Jacht davon, dass Carla weder Kosten noch Mühen gescheut hatte, um sich einen schwimmenden Palast zu schaffen. Sogar die Reling war vergoldet.

»Champagner. Ihr braucht Champagner!« Carla sah sich um, als würde der Perlwein auf Zuruf zwischen den Edelholzplanken des Decks hervorsprudeln. »Oder möchtet ihr lieber etwas Stärkeres?«

Kit lachte. »Champagner ist wunderbar, Carla.«

Die Gastgeberin eilte in Richtung Bar davon.

»Sieh nur, ist das da drüben nicht Maya Fay, die Schauspielerin?«, flüsterte Anne. Mit einer Kopfbewegung machte sie Kit auf ein junges Paar aufmerksam, das schwungvoll über die Dielen tanzte.

»Ich glaube schon.«

»Sie ist wirklich hinreißend schön.«

Kit winkte ab. »Nicht mein Typ.«

Das stimmte nicht ganz. Maya Fay war der Typ eines jeden Mannes: die klassische Filmgöttin mit rabenschwarzem Haar und kohlumrandeten Augen, exotisch und ein wenig schlangenhaft in ihren Bewegungen. Dennoch war Kit die natürliche Anne, grauäugig, unaffektiert und ohne jegliche Umrandungen, um ein Vielfaches lieber. Frauen wie Maya Fay trieben Männer in den Wahnsinn. Das wusste Kit nur zu gut.

»Wer ist ihr Tanzpartner?«, fragte Anne.

»Das ist Graf Yuri Balaton. Ein Ungar.«

»Kennst du ihn?«

»Flüchtig«, log Kit und hoffte, Anne bemerkte das leichte Zittern seiner Stimme nicht. »Wir haben uns selten in denselben Kreisen bewegt.«

Erinnerungen an lange Nächte im Casino von Monte Carlo stiegen in ihm auf, an schöne Frauen, an viel zu schnelle Fahrten über kurvige Straßen. An Yuri, ihn selbst und die vielen anderen jungen Männer, die einander nur wenige Jahre später im Kugelhagel der Maschinengewehre gegenüberstehen sollten. Es waren unbeschwerte Zeiten für ihn und seine Freunde gewesen. Die Aristokratie und der Geldadel hatten sich unbeobachtet und verschworen gefühlt. Hier, an der bezaubernden Riviera, hatten die gut betuchten Urlauber sich als Weltbürger verstanden. Russen, Ungarn und Deutsche. Amerikaner, Briten und Franzosen. Südamerikaner, Australier, Skandinavier, ja sogar indische Radjas wollten die Wintermonate in den prächtigen Villen und luxuriösen Hotels verbringen, die sich an die Klippen der französischen Mittelmeerküste schmiegten. In den Gärten funkelten inzwischen wieder die Lampions, wie in den Jahren vor dem Krieg.

Kits Gedanken drifteten ab zu einer Nacht in Nizza, erleuchtet von ebensolchen Lampions. Damals hatte sich die wesentlich jüngere Carla Tush ihre Kette vom Hals gerissen, die einzelnen Perlen ins Meer geworfen und behauptet, in fünfzehn Jahren würde man die Perlen im Inneren einiger Muscheln wiederfinden, doppelt so groß. Ob eine dieser Perlen unter der Celluloid lag und auf dem stillen Meeresboden unaufhörlich wuchs?

Anne kniff ihn sanft in den Arm. »Alles in Ordnung, Kit? Du bist so seltsam …« Sie lächelte ihn fragend an, und er küsste sie rasch auf die Wange.

»Danke, Anne, alles bestens.« Er sollte besser nicht mehr über den Meeresboden nachdenken. Dort unten lauerten Gedanken, mit denen er diesen schönen Abend nicht trüben wollte.

»Champagner!«

Carla kam wie gerufen.

Die Amerikanerin reichte ihnen jeweils ein Glas und betrachtete nun ebenfalls das tanzende Paar. »Yuri ist mittlerweile verheiratet. Seine Frau leidet an Migräne und geht abends nicht aus dem Haus, während er sich ständig die Nächte um die Ohren schlägt. Trotzdem bekommt sie ein Kind nach dem anderen.«

»Oh?« Anne hob eine Augenbraue.

Carla lachte reumütig. »Die Kleinen sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Leider. Es gibt viel zu wenig Klatsch und Tratsch in diesem Jahr, der Krieg hat uns alle geläutert. Na ja, wer weiß, was sich noch so ans Tageslicht bringen lässt. Ich bin ein guter Spürhund, wenn es um Geheimnisse geht, müssen Sie wissen, Anne.«

Kit war erleichtert, dass Carla keine Anstalten machte, die Tanzenden zu unterbrechen. Jetzt war nicht der Moment, um gemeinsam in Erinnerungen an geteilte Jugendsünden zu schwelgen. Er wollte mit Anne ein neues Leben anfangen, da musste das alte nicht unbedingt ausgegraben werden.

»Christopher!« Ronald Tush, der wichtigste Filmproduzent Hollywoods, schüttelte ihm zur Begrüßung die Hand und drückte sie dabei so fest, dass Kit die Zähne zusammenbeißen musste. »Und Sie, junge Dame, sind die Auserwählte? Gratulation, alter Junge. Du hast schon immer Geschmack bewiesen, sei es in der Kunst oder in der Liebe … Sie wissen sicher, dass Ihr Verlobter den Gainsborough restauriert hat, den wir bei Rotherhithe’s in London ersteigert haben. Das Porträt der Duchess of Devonshire.«

»Oh, ja. Christopher findet großen Gefallen an seiner Tätigkeit für Rotherhithe’s«, antwortete Anne. »Gelegentlich muss ich ihn allerdings dazu zwingen, sich eine Pause zu gönnen.«

Carlas Ehemann schmunzelte. »Granatsplitter, nicht wahr, mein Junge?«

Kit nickte.

»Wenigstens hatte deine Rekonvaleszenz etwas Gutes. Wenn ich es richtig verstanden habe, hast du deine entzückende Verlobte im Sanatorium kennengelernt.«

Anne lachte glockenhell. »Das Sanatorium war mein Elternhaus, und wäre es nach uns gegangen, wäre das auch so geblieben. Die Armee war da anderer Meinung. Sagen wir mal, es war Glück im Unglück.«

»Reden wir nicht länger von diesem schrecklichen Krieg!«, rief Carla und zog Kit mit sich. »All die Toten, das Elend. Ich will nichts davon wissen. Hören wir uns dieses törichte Gerede nicht weiter an. Da vorne steht dein alter Freund Heinrich Weidemann. Er hat mittlerweile großen Erfolg mit seiner Kunst. Diese grauenhaft verstörenden Bilder … Wenn du mich fragst, ist er ein Kriegsgewinnler, aber er trifft den Geschmack der Zeit.«

Weidemann war ebenfalls ein Bekannter aus früheren Tagen, ein stiller, durchaus begabter Maler. Kit hatte sich in den letzten Jahren hin und wieder gefragt, was im Elend von Verdun wohl aus Weidemann geworden war. Ein zartbesaiteter Mensch wie er musste daran eigentlich zugrunde gegangen sein.

Die beiden Männer begrüßten sich förmlich. Weidemanns Hand war eiskalt und klamm, und Kit erkannte in ihm auf der Stelle einen Kriegsversehrten. »Zitterer« wurden sie gelegentlich genannt, jene Soldaten, die einen Explosionsschock erlitten hatten. Ein Kribbeln lief Kit den Rücken hinunter. In Fortescue Hall, Annes Familiensitz und dem improvisierten Sanatorium der britischen Streitkräfte, waren ihm viele Opfer mit diesem Krankheitsbild begegnet, und Kit dankte dem Herrgott jeden Tag, dass der Kelch an ihm vorübergegangen war. Schließlich war er selbst in jedes Feuer gerannt, auf der Suche nach dem Tod. Oder dem Vergessen. Oder neuer Ehre. Nach dem Schock über den Verlust seiner Frau und den nie enden wollenden Schuldgefühlen und Zwangsvorstellungen von Henry Gould mit der Waffe am Kopf und Diana in den eisigen Tiefen des Ozeans.

Kit zwang seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Immerhin schien Weidemann in der Lage, sein Leben erfolgreich weiterzuführen. Vielen anderen blieb eine Rückkehr in den Alltag auf ewig verwehrt. Kit selbst hätte es um Haaresbreite in tausend Stücke zerrissen.

Carla zog schon wieder an ihm. »Da drüben sind Ségolène und Zelda, unsere Suffragetten der Extraklasse.«

»Meine Güte«, hauchte Anne, »ich werde Schwierigkeiten haben, mir alle Namen zu merken.«

»Mach dir nichts daraus«, beruhigte Kit sie flüsternd. »Die haben vermutlich schon so viel Sherry intus, dass sie selbst nicht mehr wissen, wie sie heißen.«

Ségolène Pistou und Dame Zelda Monteserra saßen an einem kleinen Tisch und sahen in freudiger Erwartung zu ihm auf. Kit war erleichtert, nach Heinrich Weidemann und Yuri auf zwei Menschen zu treffen, mit denen er nur Angenehmes verband.

»Der schönste Duke von ganz Britannien!« Dame Zelda sprang auf und warf sich Kit in die Arme.

Ist es möglich, fragte er sich, dass sie in den vergangenen Jahren noch kleiner und runder geworden ist? Ihr Kopf reichte kaum an seine Brust. Er kannte die große Diva seit frühester Kindheit, sie war für ihn so etwas wie eine extravagante Tante. Stets trug sie die opulentesten Juwelen. Auch an diesem Abend funkelten und strahlten Edelsteine – in ihren Haaren, an den Ohrläppchen, dem Hals, den Handgelenken und an jedem einzelnen ihrer kurzen Finger.

»Eine Wonne, mein Junge, eine Wonne!«

»Die beste Opernsängerin, die die Welt je hervorgebracht hat«, sagte Kit gleichermaßen verzückt und küsste die ältere Frau aufs schwarze Haupt.

»Mein Junge, mein guter Junge. Wie geht es deiner lieben Mutter?« Ihr spanischer Akzent war kaum mehr herauszuhören. Dame Zelda hatte über Jahrzehnte in London gelebt, bis sie zum Ausbruch des Krieges nach New York gezogen war.

»Danke, ausgezeichnet. Sie wäre selbst liebend gerne gekommen, wenn unsere alte Nanny nicht so schlecht beieinander wäre. Du weißt, wie sehr sie Mama nach Vaters Tod zur Seite stand. Aber Mama wird sich unendlich freuen, wenn ich ihr schreibe, dass wir beide uns einmal mehr die Nacht miteinander um die Ohren geschlagen haben.«

Dame Zelda hob mahnend den Zeigefinger. »Daraus wird nichts, du Wildfang. Ich singe morgen vor der Fürstenfamilie in der Oper, und als ob das nicht genug wäre, wird Puccini höchstpersönlich anwesend sein. Was glaubst du, was er mir antut, wenn ich seine Arien verschandele? Nein, nein, ich werde gleich nach dem Dinner abgeholt.«

»Liebe Zelda, noch nie hast du eine Arie verschandelt.«

»Alter Charmeur! Und eine junge Dame hast du uns auch mitgebracht. Dass ich das noch erleben darf.« Tränen füllten ihre Augen, und sie legte Anne eine mit Edelsteinen besetzte Hand auf die Wange. »Sie ahnen nicht, mein Kind, wie glücklich mich das macht. Seine Mutter und ich wurden zur gleichen Zeit Witwen, viel zu jung. Das hat uns eng verbunden.«

»Ich habe davon gehört, Dame Zelda. Wir werden morgen Abend übrigens auch in der Oper sein, es ist für mich das erste Mal, dass ich Sie singen höre … hören darf. Ich kann es kaum erwarten.«

Eine tiefe Frauenstimme unterbrach das ausgelassene Geplänkel. »Wenn wir den morgigen Tag überhaupt erleben.«

»Guten Abend, Ségolène.« Kit beugte sich vor und küsste die Hand der hohlwangigen Französin.

Ségolène Pistou war eine – ihrer Meinung nach – bedeutende Romanautorin. Unglücklicherweise fanden in jedem ihrer Werke sämtliche Charaktere nach fürchterlicher, detailliert beschriebener Läuterung ein frühes Ende unter Schmerzen. Seit Kit sich erinnern konnte, wartete sie mit ungebrochener Zuversicht auf den Tag des Jüngsten Gerichts. Dazu aß und trank sie wie ein Scheunendrescher und bestand trotzdem nur aus Haut und Knochen. Zu ihrem Glück hatte sie ein Vermögen geerbt und war auf die Einkünfte aus ihren – verständlicherweise schwer verkäuflichen – Werken nicht angewiesen.

»Wie ihr so ausgelassen feiern könnt«, hauchte sie.

»Liebe Ségolène, ich habe den Weltuntergang mit eigenen Augen gesehen. Er kann überhaupt nicht mehr eintreten. Wir haben ihn bereits hinter uns.«

»Ach, ihr Jungen, ihr seid ahnungslos.«

Kit ging nicht weiter darauf ein. »Das ist meine Verlobte, Miss Anne Fortescue.«

»Das habe ich gehört, ich bin ja nicht taub. Sie müssen eine sehr mutige und leichtsinnige junge Frau sein. Seine erste Ehefrau ist ertrunken, und Rose Munroe wurde von der Spanischen Grippe dahingerafft, was ihr übrigens ganz recht geschah.«

Kit erstarrte innerlich, denn er befürchtete, hilflos dabei zusehen zu müssen, wie Ségolène leichtfertig das dunkelste Kapitel seiner Vergangenheit zutage brachte. In Annes Augen war er ein Kriegsheld, ein tragischer Witwer, und so sollte es auch bleiben. Die Rolle des ehebrecherischen Lebemanns wollte er endlich hinter sich lassen.

»Ségo!« Zelda stieß einen spitzen Schrei aus und biss sich danach mädchenhaft auf die Unterlippe. »Das gehört nicht hierher.«

Doch die Französin ließ sich nicht beirren. »Eine Dirne wird stets die Früchte ihrer Sünde ernten. Sie wird …«

»Apropos Früchte«, unterbrach Zelda sie. »Ich habe festgestellt, dass der Saft der Passionsfrucht meiner Stimme überhaupt nicht guttut.«

Leider blieben Zeldas ehrenwerte Bemühungen ohne Erfolg, denn prompt fragte Anne: »Rose Munroe? Wer ist Rose Munroe?«

Carla Tush erkannte die Gefahr. »Eine Bekannte aus früheren Zeiten, für die Kit als Jugendlicher geschwärmt hat. Wir hatten schon seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr zu ihr. Kommen Sie weiter, Anne. Es sind auch Gäste hier, die Ihren Verlobten noch nicht seit einer halben Ewigkeit kennen.« Sie legte Anne die Hand auf den Rücken und schob sie vor sich her.

Kit blieb einen Moment bei Zelda und Ségolène stehen. »Also wirklich, Ségolène«, seufzte er. »Musste das sein?«

»Ich wollte das arme Kind nur warnen.«

»Dazu besteht überhaupt kein Anlass. – Ach, was soll’s? Wir sprechen uns nachher.«

»Wenn wir bis dahin …«

»Ja, ja, wenn wir bis dahin noch am Leben sind.«

»Jetzt komm schon.« Carla hatte sich seiner erneut bemächtigt. »Lord und Lady Wrexley, sehen Sie nur, wen ich Ihnen hier bringe.« Zu Kit und Anne sagte sie leise: »Lord Wrexley war bis vor Kurzem Vizekönig von Indien.«

Kit wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Auch Anne hüstelte, als versuchte sie, ein albernes Kichern zu unterdrücken.

»Das ist uns durchaus bewusst«, erklärte Kit der Gastgeberin und bemühte sich, dabei nicht allzu überheblich zu klingen.

Die Wrexleys machten allerlei freundliche Bemerkungen über Kits Familie, stellten Anne allerlei Fragen zu ihrer Herkunft, sprachen über Indien und das englische Wetter und waren alles in allem genau so, wie man sich britische Kolonialherren vorstellte: selbstsicher, von stählerner Konstitution und irgendwie beige.

»Sind Sie auch zum ersten Mal an der Riviera, Miss Fortescue?«, wollte Lady Wrexley wissen. »Wir kommen ja jetzt erst in den Genuss. Davor waren wir immer in Kalkutta oder Neu-Delhi. Kaum zurück in England, da brach auch schon der Krieg aus, und niemand konnte mehr verreisen.«

»Ja, ich war auch noch nie in Monaco«, erwiderte Anne, »aber der Duke kommt seit seiner Kindheit hierher.«

»Ich hoffe, er ist in der Zwischenzeit erwachsen geworden«, sagte eine Männerstimme hinter Kit.

Yuri Balaton hatte seine Partnerin von der Tanzfläche geführt, und die beiden hatten sich zur Gruppe gesellt.

»Duke«, säuselte Maya Fay und legte ihm sanft eine Hand auf den Arm. »Es ist mir eine Ehre.«

Kit gelang es, seine Befangenheit halbwegs abzuschütteln. »Mir ebenfalls. Wann lernt man schon ein Juwel der Leinwand kennen?«

Zum Dank schenkte sie ihm ein Strahlen für die Ewigkeit. »Mit Carlas Juwelen kann ich kaum mithalten.«

Die Gastgeberin legte demonstrativ die Hand an den Hals, wo das Collier aus weißen Diamanten glitzerte. Die Steine waren von überragender Qualität und identischer Größe; ein perfekter Kranz, zweifelsohne einzigartig und vor allem unbezahlbar.

Der ungarische Graf legte den Kopf schief und betrachtete das Schmuckstück genauer. »Im Schloss Schönbrunn in Wien hing einst ein Porträt von Désirée Bernadotte. Es zeigt sie, kurz nachdem sie zur Königin von Schweden gekrönt wurde. Auf dem Bild trägt sie ein Diamantcollier, das deinem zum Verwechseln ähnlichsieht.«

Carla spitzte den Mund. »Yuri, Yuri, was du alles weißt.«

»Es heißt, das Collier sei ein Geschenk von Napoleon gewesen, aus Reue, weil er seine Verlobung zu ihr aufgekündigt hatte.«

Lord Wrexley rümpfte die Nase, was allerdings nichts Schlechtes zu bedeuten hatte, denn er entrüstete sich keineswegs über Napoleons Benehmen, sondern wollte sich lediglich weiter über die Riviera unterhalten. »Die Gegend hier muss vor dem Krieg noch eindrucksvoller gewesen sein. Als die Russen noch herkamen. Nicht wahr?«

Carla, die gerade mit Yuri Balaton getuschelt hatte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Lasst uns bitte nicht davon sprechen. So viele gute Freunde, die uns fehlen. Diese armen Menschen! Furchtbar! Sie mussten alles verkaufen, um etwas zu essen zu haben. Es ist unendlich traurig. Betrachtet doch nur mal die Bucht. Die Villen, in denen die Fenster dunkel bleiben, haben allesamt russischen Familien gehört. Wer weiß, ob sie überhaupt noch leben. So eine schreckliche Revolution!«

»Immerhin haben wir dank der schrecklichen Revolution dein Erbstück wiederbekommen«, rief ihr Mann von seinem Tisch herüber und zündete sich eine Zigarre an.

»Du sollst nicht vor dem Essen rauchen, Ronny.«

»Ein Erbstück?«, fragte Anne interessiert.

Ronald Tush rauchte fröhlich weiter. »Das Collier.«

Carla juchzte wie ein junges Mädchen. »Eigentlich wollte ich mit der Geschichte bis zu unserem Rundgang über die Jacht warten, aber es stimmt. Yuri hat natürlich recht … Hörst du, Yuri? Es ist das Collier von Désirée Bernadotte. Mein Vater erstand es seinerzeit in New York und schenkte es meiner Mutter zur Hochzeit. Es war ihr liebstes Stück, bis es eines Tages gestohlen wurde. Wir glaubten es auf ewig verloren, doch vor einigen Monaten erreichte uns ein Brief von einer Detektei aus Boston. Darin teilte man uns mit, dass das gestohlene Collier in Paris zum Verkauf stehe. Es war all die Jahre im Besitz einer russischen Adelsfamilie gewesen, die es nach ihrer Flucht aus Russland veräußern musste. Wir haben es den armen Leuten selbstverständlich abgekauft, sie waren schließlich unschuldig an seinem Verschwinden. Ihr seid die Ersten, die davon erfahren.«

Maya Fays dunkelroter Mund verzog sich zu einem gequälten Lächeln, und die Stimme der Schauspielerin war neiderfüllt, als sie sagte: »Liebste Carla, was für ein Glück, dass dein Mann sich so eine Kostbarkeit leisten kann.«

»Mein Mann, Schätzchen?« Carla reagierte merklich verschnupft. »Was glaubst du, wer das hier alles bezahlt hat?« Sie zeigte auf die Holzdielen zu ihren Füßen, meinte damit aber wohl die gesamte Jacht. »Mein Ehemann ist nur gut darin, mein Geld für viel zu teure Filme auszugeben.«

Ronald erhob sich und küsste seine Frau auf die Wange. »Man sollte eben ein goldenes Händchen haben, auch bei der Wahl seiner Liebsten.«

»Na …«

»Ich für meinen Teil bin froh, dass meine Erinnerung mich nicht täuscht.« Yuri schob Ronald beiseite und küsste Carla mit einer galanten Verbeugung die Hand. »Ein herrliches Juwel, das dank seiner Trägerin nur noch schöner wird.«

Carla senkte verschämt den Blick. »Da fühlt man sich ja wie ein Schulmädchen.«

»Welche Detektei war es, Ronald?« Ein Neuankömmling trat der Gruppe bei.

»Ach!«, rief der Gastgeber erfreut. »Ihr Lieben, das ist mein guter Freund Samuel Greenberg aus New York. Er ist Bankier und ein bedeutender Kunstsammler, Kit. Ihr beide habt euch bestimmt eine Menge zu erzählen.«

»Es ist mir eine große Ehre, Mister Greenberg«, sagte Kit. »Ich kenne Ihre Sammlung. Ich habe sie im Metropolitan Museum in New York gesehen.«

»Die Ehre ist ganz meinerseits, Duke. Ronald hat kürzlich erwähnt, dass Sie Experte bei Rotherhithe’s sind. Ich bin schon ganz gespannt auf Ihren Gainsborough.«

Fast wäre Kit das Glas aus der Hand gefallen. »Meinen was?«

»Na, den Gainsborough. Er ist doch an Bord … oder nicht?«

»Ach so? Das wusste ich gar nicht.« Kit spürte ein plötzliches Unwohlsein und stellte mit einem Seitenblick auf Anne beruhigt fest, dass sie es nicht mitbekam. So hatte er sich den Abend nicht vorgestellt.

»Carla kann gar nicht mehr ohne das Bild leben.« Ronald Tush grinste. »Ich habe ihr mehrfach gesagt, wir sollten es lieber zur Bank bringen, aber sie hat darauf bestanden, es mitzunehmen.«

Kits Knie wurden immer weicher. Das Gemälde war an Bord? Nicht in einem Safe irgendwo in Kalifornien?

Es gab einen guten Grund, warum ihn diese Information derart aus der Bahn warf. Das Original, der echte Gainsborough, hing nämlich gänzlich unrestauriert im Keller seines eigenen Hauses in London, und zwar neben einem weniger bekannten Stillleben von Turner und einem Landschaftsbild von Fragonard. Kit hatte nach seiner Rückkehr aus dem Sanatorium ein altes Hobby wieder aufgenommen: das Fälschen von Kunstwerken. Ein Talent, das seine Familie in den schlechten Jahren vor seiner Heirat mit Diana Gould über Wasser gehalten hatte.

Er hatte anfangs gehadert, ob er das Risiko eingehen sollte, sich an ein so berühmtes Bild wie Gainsboroughs Porträt der Duchess of Devonshire heranzuwagen, zumal er im Krieg an Feinmotorik eingebüßt hatte. Bis zum Schluss hatte er nicht geglaubt, dass er es wirklich tun würde. Als Rotherhithe’s ihm das herrliche Kunstwerk dann aber zur Restaurierung lieferte, konnte er der Verlockung nicht widerstehen. Immerhin war er in der glücklichen Lage gewesen, die Echtheit des Bildes vor der Auktion selbst beurkunden zu können. Niemand, wirklich niemand, würde ihn, den steinreichen Duke of Surrey, des Kunstfälschertums verdächtigen. Nach der Auktion hatte er die Tat bereut, denn die Käufer Ronald und Carla Tush waren gute Freunde seiner Familie. Immerhin würde das Bild weit, weit weg hängen, und er konnte es vergessen. Sein schlechtes Gewissen war eben der Preis für das Vergnügen, die eigene Fälschung für eine Rekordsumme unter den Hammer kommen zu sehen und das Original zu behalten. Nie hätte er damit gerechnet, dass Carla und Ronald dieses – vermeintlich – unschätzbar wertvolle Kunstwerk auf ihrer Jacht durch die Welt schippern und es so mir nichts, dir nichts ihren Besuchern zeigen würden.

Der Bankier Samuel Greenberg wollte längst wieder mit Ronald über Carlas kürzlich aufgetauchtes Collier sprechen.

»Nun sag schon, Ronald, welche Detektei hat die Halskette aufgetrieben? Dupont & Dupont?«

»Ja genau.« Ronald paffte an seiner Zigarre. »Kennst du sie?«

»Natürlich. Es hätte mich gewundert, wenn es jemand anderes gewesen wäre. Wir haben sie selbst mehrfach in Anspruch genommen.«

Heinrich Weidemann, der bislang blass und still an der Reling gestanden hatte, ergriff das Wort. »Miss Dupont … weilt gegenwärtig in Monaco. Sie wohnt für einige Zeit … im Fürstenpalast.«

Greenberg drehte sich um. »Sie kennen Jackie Dupont? Miss Dupont ist hier? In Europa?«

Heinrich fuhr sich über die Stirn. »Ich … ja … Ich … ich verehre sie sehr. Ich … durfte im letzten Jahr in Boston ausstellen … und dort habe ich … sie getroffen.«

»Sie sind nicht der Einzige, der Miss Dupont verehrt. Was macht sie hier?«

»Ein Auftrag … für das Fürstenhaus, nehme ich an?«, stotterte Heinrich.

»Ich kenne Jackie Dupont ebenfalls«, zischte Maya Fay und machte sich in Richtung Bar davon.

»Da wird wohl jemandem zu wenig Beachtung geschenkt«, raunte Anne Kit ins Ohr und kicherte leise.

Kit entspannte sich ein wenig. Es gefiel ihm, dass seine Verlobte sich im Kreis seiner Freunde wohlfühlte. Immerhin waren einige von ihnen echte Paradiesvögel, also nicht unbedingt das, womit der biedere britische Landadel sich umgab.

»Die Frau ist die Expertin für Juwelen schlechthin, Ronald.« Greenberg war noch nicht fertig mit Miss Dupont. »Sie besitzt ein enzyklopädisches Wissen, was Diebesgut angeht, und ein unfassbares Auge.«

»Vielleicht kommen wir ja noch in den Genuss von Miss Duponts Anwesenheit«, sagte Carla strahlend. »Ich habe sie natürlich ebenfalls eingeladen, aber sie diniert heute Abend mit dem Prinzen und hat es sich offengehalten, zu späterer Stunde noch vorbeizuschauen. Ihre Zeit ist zwar knapp bemessen, aber sie hat allergrößtes Interesse daran zu sehen, was Christopher aus dem Bild gemacht hat.«

Kit wurde flau im Magen. War diese mysteriöse Jackie Dupont ihm etwa auf der Spur? Einige seiner Fälschungen aus der Zeit vor dem Krieg hingen mittlerweile in berühmten Museen. War sie ihm auf die Schliche gekommen? Nein, ausgeschlossen. War die Echtheit eines Gemäldes erst einmal beurkundet, wurde sie nicht so bald erneut überprüft. Ohnehin zweifelte niemand an der Echtheit jener Bilder, die aus dem britischen Hochadel stammten, schon gar nicht, wenn es sich um Porträts von Reynolds aus der Ahnengalerie oder um Pferdebilder von Stubbs handelte. Nur warum hatte eine Detektivin ein so großes Interesse an seiner Arbeit?

»Es wäre mir eine ganz besondere Freude, Miss Dupont wiederzusehen«, sagte Greenberg, der von Kits innerem Aufruhr keine Ahnung hatte. »Es überrascht mich nicht, dass sie vom Collier deiner Mutter weiß.«

Carla hakte sich bei ihrem Mann ein. »Ich habe die Kette als Kind über alles geliebt und immer davon geträumt, sie bei meinem ersten Ball zu tragen. Dieser Wunsch blieb mir leider verwehrt.«

»Es ist aber auch wirklich ein herrliches Stück«, bestätigte Dame Zelda, während Ségolène Pistou sinnend über das Meer in die Dunkelheit blickte und schwieg – kein außergewöhnlicher Zustand für die Schriftstellerin. Zelda trällerte weiter: »Abgesehen davon ist es eine Schande, dass die Russen nicht mehr kommen, gerade wegen des Schmucks. Der Zar hat mir bei meinem ersten Gastspiel in Sankt Petersburg meine berühmte Rubintiara geschenkt. Seitdem ich weiß, dass die Roten ihn erschossen haben, kann ich sie nicht mehr tragen. Ach, keiner war je so großzügig wie er.«

Kit hörte die Stimmen wie aus der Ferne. Sein Herz schlug wild. Was sollte er tun, wenn die Detektivin noch vorbeikam? Ruhe bewahren. Er musste vor allen Dingen Ruhe bewahren.

»Zum Glück hast du genug Juwelen zur Auswahl, liebste Zelda«, sagte Carla lachend. »Ich weiß, du würdest dich nur unter größten Schmerzen von ihnen trennen. Obschon dein schönster Schmuck deine unvergleichlichen Augen sind. Schwarz wie die Perlen der Südsee …«

»Die ihr die Bolschewiken eines Tages auskratzen werden«, raunte Ségolène.

Carla eilte zu der mittlerweile schluchzenden Opernsängerin und nahm sie in den Arm. »Hab keine Angst, Zelda. Niemand wird dir etwas antun.«

»Alberne Weiber!«, schimpfte Ronald Tush vergnügt. »Gibt es jetzt endlich etwas zu essen?«

Newport, Rhode Island, 12. Mai 1911

Werte Mama,

ich schreibe Dir aus einer unglaublichen Gegend. Dieser Reichtum! Diese vulgäre Angeberei! Ich glaube, die Leute hier in Newport haben mehr Porträts von unserer Familie an den Wänden hängen als wir selbst. Ich habe mindestens einen Reynolds sowie diverse Gainsboroughs und Raeburns gesehen, ja, sogar einen Turner mit der Aussicht von Deinem Schreibtisch. Zu wissen, dass diese Gemälde verkauft wurden, um das Dach in Seventree zu erneuern, tut mir in der Seele weh. Ich könnte jedes einzelne an nur einem Tag kopieren, und keiner von diesen Philistern hier würde etwas bemerken. Warum Papa nicht weise genug war, eine amerikanische Erbin zu heiraten, anstelle einer blendend aussehenden armen Aristokratin mit Kunstverstand, ist mir ein Rätsel. (Du weißt, ich scherze. Keine andere Mutter wäre mir lieber als Du.)

Damit zu den Neuigkeiten, die mit diesem unglücklichen Umstand zu tun haben. Ich habe in New York den Eisenbahnmagnaten Henry Gould kennengelernt. Ein Cowboy, wie er im Buche steht, blond, rosig, self-made … und einer der reichsten Männer überhaupt. Wie in Amerika üblich, öffnet ihm das alle Türen. Seine Frau, eine Erbin aus dem Hause Dalton (genau, Mama, die Zeitungseigentümer), starb nach wenigen Ehejahren bei einem Geländeritt. Seine Tochter, die siebzehnjährige Diana, ist soeben aus der Schweiz zurückgekehrt, wo sie eine höhere Schule für junge Damen besuchte. Ohnehin hat Gould an der Vervollkommnung dieses Kindes nicht gespart. Britische Nanny, französische Gouvernante, Klavier, Harfe, Zeichnen, Tennis … Sie ist von außergewöhnlicher Schönheit: blondes Haar, lange, zarte Glieder, und wenn sie spricht, gleicht es einem andächtigen Hauchen. Die ganze Welt scheint für sie voller Wunder zu sein, und das größte bin aktuell ich. Wenn ich außen vor lasse, dass ihr Vater früher Rinderherden durch Texas getrieben hat, könnte ich sie mir durchaus als meine Duchess vorstellen. Denk nur an die Erbschaftssteuer, die Dächer, die Stallungen, die Kunstwerke … Deinen Schmuck!

Miss Gould würde Dir aufgrund ihres schüchternen, zurückhaltenden und versöhnlichen Wesens gewiss nicht die Stellung streitig machen, wie es so oft geschieht, wenn man sich eine amerikanische Erbin ins Haus holt.

Selbstverständlich erwarte ich Deinen Kommentar, bevor ich um ihre Hand anhalte. Gönne Dir jedoch bitte ausnahmsweise ein Telegramm.

Küsse an die Hunde und Pferde, grüß mir das Personal.

Dein Dich vermissender Sohn

Kit

2.

»Wir sehen uns morgen Abend, Schätzchen.« Dame Zelda gab ihr Bestes, um Kit auf die Wange zu küssen, auch wenn es für sie bedeutete, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und auf seine Mithilfe zu hoffen.

»Bis morgen, Zelda. Und flirte nicht so heftig mit dem Schlepperkapitän.«

Die Sängerin hob den Zeigefinger. »Du Schlingel.«

Kit half ihr von Bord und winkte dem Schlepper noch so lange nach, bis er das Hafenbecken erreicht hatte und hinter den unzähligen Segeljachten und Motorbooten verschwunden war. Dabei hielt ihn weniger seine Zuneigung zu Zelda hier als vielmehr der Wunsch, nach einem sich nähernden Boot Ausschau zu halten. Diese verfluchte Detektivin musste, wie alle anderen Gäste auch, per Schlepper zur Celluloid kommen. Zu Kits Beruhigung war jedoch weit und breit kein Boot mit Kurs auf die Jacht in Sicht.

»Komm endlich, Christopher, wir wollen anfangen.« Carla wedelte ungeduldig mit den Armen.

Kit schloss sich den anderen Gästen an, die zur Besichtigungstour über die Jacht aufbrachen.

Anne lehnte sich gegen ihn und flüsterte: »Du hast den Vortrag über die Bauweise der Jacht verpasst. Sehr modern und für mich völlig unverständlich. Offenbar fährt sie mit Petroleum, wie ein Automobil.«

»Man nennt das einen Schiffsdieselmotor.«

»Du bist ja ein wahrer Kenner.«

Carlas Stimme war durchdringend. »Ich liebe diese Jacht zwar, aber auf hoher See fühle ich mich auf einem wirklich großen Schiff geborgener. Die Ozeanriesen sind heutzutage ja absolut sicher … Um Himmels willen! Entschuldige bitte, Christopher, ich vergaß.«

Kit räusperte sich. »Nicht doch, Carla. Ein tragisches Unglück. Lange her.«

Samuel Greenberg legte die Stirn in Falten. »Wir alle haben damals mit Ihnen gelitten, Duke. Zwar haben die meisten von uns an jenem schrecklichen Tag Freunde verloren, aber Ihr Verlust muss der schlimmste gewesen sein.«

Lord und Lady Wrexley murmelten ihre Zustimmung, ebenso Yuri Balaton.

Anne drückte Kit die Hand, und er war froh, dass nun eine Weile niemand von ihm erwartete, gepflegte Konversation zu betreiben. So konnte er sich darauf konzentrieren, ob ein herannahendes Schiff zu hören war. Dabei hätte er nach Carlas unüberlegter Äußerung durchaus die Gelegenheit nutzen, Unwohlsein vortäuschen und das Weite suchen können.

Maya Fay zog ihre Stola fester um die Schultern. »Ich bin zum Glück zu jung, um damals Freunde gehabt zu haben, die auf der Titanic hätten umkommen können. Ein kleines Ding auf einer Farm in Ohio war ich.«

»Ist es wahr, Miss Fay«, fragte Lady Wrexley, die Kit wohl den Wunsch nach einem Themenwechsel von den Augen abgelesen hatte, »dass Sie bei einer Wahl zur Maiskönigin entdeckt wurden? Ich habe darüber in einer Zeitschrift im Zug von Calais hierher gelesen.«

»Oh ja.« Die Schauspielerin lachte laut auf. »Ein verrückter Filmproduzent, der unbedingt mit dem Auto von New York nach Chicago fahren wollte, hatte in der Nähe meines Dorfes eine Reifenpanne.«

»Was für ein Glücksfall!«

»Absolut.«

»Nicht wahr?« Carla Tush lachte ebenfalls. »Es muss nur der richtige Mann bei einem liegen bleiben, und schon klappt es mit der Weltkarriere. Hab ich recht, Maya? Hier entlang bitte, als Erstes zeige ich euch den großen Salon. Bei schlechtem Wetter hätte das Dinner hier stattgefunden. Ich denke, wir werden die Party später nach drinnen verlegen.«

Begleitet von anerkennendem Raunen präsentierte Carla den pompösen Saal. Hätte Kit nicht gewusst, dass er sich auf einer Motorjacht befand, er hätte geglaubt, in einem barocken Lustschloss zu stehen. Angesichts der typisch amerikanischen Geschmacklosigkeit entspannte er sich. Was verstand eine Detektivin aus Boston schon von der britischen Malerei des achtzehnten Jahrhunderts? Nur warum wollte sie unbedingt das Bild sehen? War es Neugier? Oder doch ein Verdacht?

Während Kit seinen unausgegorenen Gedanken nachhing, wies Carla mit ausladender Geste auf die edlen Louis-quinze-Möbel und die eigens für sie in Paris entworfene Tapete.

»Mit echten Goldfäden, behauptet jedenfalls der Hersteller.«

»Ein … ein … schwimmendes Versailles«, stotterte Heinrich Weidemann, und die Anwesenden lachten höflich.

Carla zwinkerte ihm zu. »So kann man es auch sagen.«

»Und der Gainsborough?« Samuel Greenberg sah sich um. »Wo hängt er denn nun?«

»Nicht hier, Samuel. Dafür müssen wir in mein Schlafzimmer. Ich möchte gar nicht mehr aufwachen, wenn ich nicht als Allererstes einen Blick auf meine geliebte Georgie werfen darf.«

»Georgie?« Maya Fay verschränkte die Arme. »Wer ist Georgie?«

Kit wollte gerade zu einer Erklärung ausholen, da legte Lady Wrexley auch schon los, und zwar in durchdringender Tonlage.

»Die Duchess of Devonshire, Georgiana Cavendish, wer denn sonst! Das ist ein sehr berühmtes Porträt, das Sie da haben, Carla. Kompliment. Gainsborough war einer der wichtigsten Maler aller Zeiten und selbstverständlich Brite.« Der Stolz in ihrer Stimme war kaum zu überhören.

Dabei hatte sie das Bild weder gemalt noch dafür Modell gestanden. Das wusste Kit aus erster Hand. Aber Lady Wrexley gehörte wohl zu jenen Damen, die bei jeder Gelegenheit aufsprangen, um »God save the King« zu schmettern.

Carla führte die Gäste über eine Treppe zu einem Balustradengang, der mit einem roten Läufer ausgelegt war und an dessen Ende sich eine imposante Flügeltür befand. Ebenfalls barock. Mit großer Geste stieß sie die Tür auf, hinter der ihr Schlafgemach lag. Es handelte sich um einen Rokoko-Albtraum in Rosa und Gold, dessen Höhepunkt ein Himmelbett in der Form eines Schwanes war.

»Ich glaube, das Bett hat früher Marie Antoinette gehört«, wisperte Anne.

Kit warf ihr einen scherzhaft mahnenden Blick zu, auch wenn sein Herz seit Betreten des Zimmers heftig pochte.

»Hast du denn keine Angst, dass hier jeder hineinsehen kann?« Ségolène trat an die Fensterfront, die sich über die gesamte Breite des Raumes erstreckte.

»Es gibt doch Vorhänge. Seht her, sie sind in der Decke versteckt. Mit der Kurbel da hinten lässt das Zimmermädchen sie herunter, bevor ich zu Bett gehe. Auf hoher See ist der Blick einfach himmlisch.«

»Da ist sie ja!«

Greenberg schenkte dem Panorama keine Beachtung. Immerhin hing an der Wand, gegenüber von Carlas Schwanenbett, das berühmte Porträt der Duchess of Devonshire, gemalt von Thomas Gainsborough im Jahre des Herrn 1785. Jedenfalls glaubten das die Anwesenden. Alle, außer Kit, der eindeutig wusste, dass Gainsborough nicht einen Strich auf der Leinwand gemacht hatte. In seinem Hals bildete sich ein Kloß. Zum Glück war die Detektivin noch nicht da.

»Ist sie nicht hinreißend?« Carla eilte zu Greenberg, der vor dem Kunstwerk stand, und bedeutete allen anderen mit einer Handbewegung, es ihr gleichzutun. »Als sie auf den Markt kam, wusste ich sofort, dass ich sie haben muss. Dieser Blick! Dieser Mund! Dieser Hut! Und wie fantastisch Kit sie wieder hinbekommen hat.«

»In der Tat«, sagte der Bankier und kniff die Augen zusammen. »Wie schön die Farbtöne zum Vorschein gekommen sind, sie strahlen wie neu. Gute Arbeit, Sir.«

»Vielen Dank«, entgegnete Kit, den es überhaupt nicht wunderte, dass die Farben derart strahlten. Schließlich war dieser »Gainsborough« keine sechs Monate alt.

Ronald Tush verschränkte die Arme und berichtete stolz von der Versteigerung des Bildes. Wen er alles ausgestochen hatte: Prinz sowieso und Baronin sowieso, sogar diesen schrecklich geschmacklosen Menschen aus Chicago. »Dieses Gemälde ist nun schon zum zweiten Mal in seiner Geschichte das teuerste, das jemals bei einer Auktion unter den Hammer gekommen ist.«

»Beeindruckend.« Auch Yuri Balaton sah gebannt auf die schöne Georgiana. »Sie war eine echte Ikone ihrer Zeit, eine Freidenkerin. Ihre politischen Salons und Feiern sind unerreicht.«

Heinrich Weidemann wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch. »Dieser … dieser … dieser göttliche Strich. Einmalig.«

Kit konnte sich nur mit Mühe beherrschen, sich nicht bei Heinrich für diese Einschätzung zu bedanken.

»Georgiana Cavendish war eine tragische Figur, so viel Eros, so viel Tod!«, erklärte Ségolène Pistou, ohne hinzusehen. Wie immer hatte sie eine düstere Prophezeiung zur Hand. »Es kommt der Tag, an dem wirst du durch eines dieser Fenster stürzen, Carla, und niemand wird deine Schreie hören. Georgiana Cavendish wird dir da nicht helfen können.«

Niemand reagierte auf die Bemerkung, und Lord Wrexleys Interesse war ohnehin rein technischer Natur.

»Und Sie, verehrter Duke, haben das Bild gereinigt? Wie geht man denn da vor? Ist das nicht sehr zeitaufwendig?«

Kit erinnerte sich mit einigem Unbehagen daran, wie er die leere Leinwand auf den Holzrahmen gespannt, die Farben angerührt und langsam, aber sicher das Antlitz der schönen Georgiana von Gainsboroughs Original abgemalt hatte. »Ich hatte nicht allzu viel zu tun. Eigentlich habe ich nur mit Lösungsmittel und weichen Tüchern gearbeitet. Eine staubige Fettschicht lag auf der Farbe, ansonsten war das Gemälde intakt. Meine Mutter hat mir schon als Kind beigebracht, wie man so etwas macht. In unserem Stammsitz in Seventree hängen unzählige Kunstwerke, die der dauernden Instandhaltung bedürfen. Auch wenn es nicht mehr dieselben sind wie zu unseren Glanzzeiten.«

Greenberg faltete die Hände und feixte. »Wissen Sie eigentlich, mein lieber Duke, dass wir einen Rembrandt in der Bank hängen haben, der ursprünglich im Besitz der herzöglichen Familie von Surrey war?«

»Ja, das ist mir bekannt, und ich gebe zu, es versetzt mir einen Stich. Meine Großeltern väterlicherseits waren leider beide der Spielsucht verfallen und verschwendeten ihre Mittel. Sie machten alles zu Geld, was sie in die Finger bekamen, nur um beim nächsten Kartenspiel erneut alles zu verlieren. So manche Wand jenseits des Atlantiks wird von unserem ehemaligen Eigentum geschmückt.«

Greenberg lachte schallend. »Wollen Sie den Rembrandt zurückkaufen? Sie könnten ihn sich heute durchaus leisten, Gould Iron & Railways geht es schließlich besser denn je. Die Aktie steigt bis in den Himmel. Sie wissen bestimmt gar nicht, wohin, vor lauter Profit.«

Kit spürte die Röte in die Wangen steigen. »Damit befasse ich mich kaum, muss ich gestehen. Die Großmutter meiner verstorbenen Frau leitet die Geschäfte.«

»Haha, die alte Maria! Das sieht ihr ähnlich. Und Sie kassieren nur? Clever. Sehr clever.«

Kit hatte wenig Interesse an einem vulgären Gespräch über Geld, aber so waren die Amerikaner, und er wollte es sich mit Samuel Greenberg auf keinen Fall verscherzen. Eigentlich sollte er sich darüber freuen, dass es dem Bankier wichtiger war, über den monetären Aspekt des Kunstwesens zu reden als über die Kunst selbst, denn so schenkte er dem Bild weniger Beachtung. Kit überlegte, dass es ein kluger Schachzug wäre, das Gespräch zu vertiefen, bevor Greenberg noch einfiel, die Fälschung aus nächster Nähe zu betrachten. Der Mann galt zwar als Experte für Alte Meister, aber Kits Nervosität hatte mittlerweile die Oberhand gewonnen.

»Ich kaufe im Moment nur moderne Kunst«, sagte er daher im Brustton der Überzeugung. »Das ist für mich die aufregendere Investition.«

Greenberg sprang wie erhofft auf den Köder an. »Impressionisten müssen Sie kaufen, mein Lieber, wenn es Ihnen um Investitionen geht. Die werden in ein paar Jahren alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Aber was erzähle ich Ihnen, Sie sind schließlich der Profi von Rotherhithe’s.«

Kit winkte ab. »Ein angenehmes Hobby, mehr nicht.«

»Vielleicht überlasse ich die Bankgeschäfte in Zukunft ebenfalls anderen und mache es Ihnen nach.«

»Dazu kann ich Ihnen nur raten.«

Ronald Tush gefiel es gar nicht, dass die Herren Experten seinen Erfolg bei der Auktion unerwähnt ließen. »Wie euch hinlänglich bekannt sein dürfte, wurde dieses Gemälde 1876 gestohlen und ist erst vor knapp zwanzig Jahren wiederaufgetaucht. Es hat einiges durchgestanden, und niemand weiß, wo es gewesen ist. Bei einem Bild wie diesem bezahlt man nicht nur für die Kunst selbst, sondern auch für die provenance.« Er tat sich mit dem französischen Fachbegriff sichtlich schwer. »Damit ist die Herkunft eines Bildes gemeint. Seine Geschichte, nicht wahr? Mit einer aufregenden Story gewinnt ein Gemälde eben an Wert.«

»Genau wie deine Diamanten, Carla«, kommentierte Maya Fay. Das Bild übte auf sie offenbar weniger Faszination aus als die glitzernden Steine am Hals der Gastgeberin. »Sind die nicht zur selben Zeit verschwunden?«

»Ganz so alt bin ich nun auch wieder nicht.«

»Wann war es denn? 1886?«

»Ach je, mein liebes Kind, sonne dich nur im Glanze deiner Jugend … Du wirst auch noch erfahren, dass es gewisse Vorzüge hat, eine reife Frau zu sein.«

»Sollte sie jemals so alt werden.« Der Einwand kam, selbstverständlich, von Ségolène. »Schauspielerinnen ereilt stets ein grauenhafter Tod im Zenit ihres Erfolges.«

Anne stieß einen Schrei aus. »Sie sind makaber, Madame Pistou!«

»Ich sage nur die Wahrheit, wo ich sie sehe.«

Carla richtete den Blick auf eine verschnörkelte Standuhr in einer Ecke. »Schon so spät! Na, dann wird Jackie Dupont wohl nicht mehr vorbeikommen. Sie sagte, wenn sie bis elf nicht hier sei, schaffe sie es nicht mehr.«

Kit fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen. Er atmete einige Male tief durch, dann erst wagte er es, sein Werk in Ruhe zu betrachten. Samuel Greenberg hatte die Frische der Farbe auf die Reinigungsarbeiten zurückgeführt, und Heinrich Weidemann schien kein wirklicher Kenner der britischen Porträtmaler zu sein, sonst hätte er sicherlich Vergleiche zu anderen Gemälden angestellt. Ohne das Damoklesschwert der Entdeckung über sich zu wähnen, erkannte Kit, dass seine Fälschung wirklich perfekt war. Eine Glanzleistung. Ein Kunstwerk für sich.

Ein Zucken umspielte seine Mundwinkel, und er fühlte Stolz. Ja, Stolz, Genugtuung und sogar Freude.

Freude? War etwa die diebische Freude seiner Jugend zu ihm zurückgekehrt? Konnte das sein? Jenes Gefühl, das sich ihm so lange entzogen hatte? Das Gefühl, das ihn als Kind schon überkam, wenn er wieder mal mit einem seiner Streiche davongekommen war? Die Genugtuung, die er empfunden hatte, als er nach seiner Hochzeit mit Rose …

Eine Wand aus Eis raste auf ihn zu. Eine tosende Welle brach über seinem Kopf zusammen. »Diana!«, hörte er sich noch rufen, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

»Mein lieber Duke? Alles in Ordnung?«

Lord Wrexley packte ihn mit kräftiger Hand an der Schulter, und Kit kam wieder zur Besinnung.

»Gleich vorbei«, keuchte er. »Gleich vorbei.«

»Du brauchst sofort einen Brandy«, befahl Anne. »Komm mit nach unten. Das ist die Verletzung, die dich plagt. Du setzt dich jetzt erst mal hin.«

Kit versuchte die Panikattacke zu überspielen, indem er lächelte. »Zu Befehl, Darling.«

Trotzdem ließ die Kälte ihn nicht los, die eisigen Wellen rollten über ihn hinweg, unaufhörlich. Lange hatte er keinen solchen Anfall mehr gehabt. Lag es daran, dass er an Bord eines Schiffes war, oder daran, dass er seine alten Freunde wieder traf? Eine wohlbekannte Angst bemächtigte sich seiner: dass auf den Schlachtfeldern von Frankreich nicht nur sein Körper Schaden genommen hatte, sondern auch sein Geist, dass er langsam wahnsinnig wurde, wie so viele seiner Kameraden.

Er sank auf eines der Sofas im Salon, und der Butler brachte ihm den von Anne georderten Brandy. Einen dreifachen, wenn er das richtig sah.

Der Alkohol tat seine Wirkung schnell, und schon bald kamen Kit seine Ängste albern vor. Natürlich war er längst nicht ganz auf der Höhe, noch vor einem Jahr hatte er nicht aus dem Bett aufstehen können. Und das entsetzliche Schicksal seiner jungen Ehefrau würde er wohl niemals verwinden. Er durfte nicht so ungeduldig sein. Immerhin war er nach Frankreich gereist, um wieder zu Kräften zu kommen, um sich zu erholen, um die Sonne und die Leichtigkeit des Lebens an der Riviera zu genießen und dem feuchten, kalten englischen Winter zu entfliehen.

Nach einer halben Stunde ging es ihm wieder so gut, dass er aufstand und sich zu den anderen Gästen gesellte, die sich bereits zu den Klängen der Jazzband übers Parkett bewegten. Bald vergaß Kit seine Sorgen, und er tanzte, trank und lachte, er rauchte mit den Männern an Deck kubanische Zigarren, erzählte Geschichten vom Krieg, schlürfte edlen Whisky und wurde mit der Zeit immer betrunkener.

So glitt der Abend in die Nacht hinüber, und das fröhliche Treiben wäre wohl bis zum Morgengrauen weitergegangen, hätte nicht plötzlich Ronald Tush am Fuße der Treppe des Salons gestanden und geschrien: »Carla ist tot!«

Newport, Rhode Island, 7. Mai 1911

Liebste Großmama,

ich habe mich verliebt! So sehr!

Es geschah gestern Abend beim Empfang. Eigentlich hatte ich gar keine Lust hinzugehen, es ist immer so langweilig bei den Astors, aber dann stand auf einmal ein Märchenprinz vor mir. Er ist sogar beinahe ein echter Prinz, ein englischer Herzog: Christopher St. Yves, der Duke of Surrey.

Noch nie bin ich einem so gut aussehenden Mann begegnet. Er ist groß, schlank, hat glänzendes, fast schwarzes Haar, strahlend weiße Zähne, und seine Augen sind so dunkel wie die eines spanischen Stierkämpfers. Dabei ist er überaus kultiviert und charmant, nicht wie die aufgeblasenen Kerle hier aus der Gegend. Er konnte mir die Namen jedes einzelnen Werkes nennen, das bei Tante Astor an der Wand hängt, mitsamt der Biografie des Künstlers. Er hat mit mir getanzt, und als seine Hand die meine berührte, fühlte ich einen elektrischen Schlag!

Ich konnte kaum mit ihm sprechen, so sehr hat er mich verzaubert. Es war Liebe auf den ersten Blick, Großmama, und ich werde nie mehr einen anderen lieben können. Niemals! Ich habe Daddy gebeten, Christopher unter einem Vorwand nach Newport einzuladen, damit Großpapa und Du ihn bald kennenlernt, und wie Du weißt, schlägt Daddy mir keinen Wunsch ab. Wie herrlich das wird!

O Großmama, vielleicht werde ich bald seine Duchess und reite mit ihm über seine Ländereien. Sein Anwesen soll wunderschön sein, ein richtiges Schloss. Seventree heißt es, und es ist gar nicht weit von London entfernt. Was für ein Leben das wäre, was für ein Glück!

Ich hoffe, es geht Dir weiterhin blendend und Du genießt die gute Luft.

Bis sehr bald.

Deine Dich liebende Enkelin

Diana

3.

»Was sagst du da?«, fragte Samuel Greenberg.

»Tot!«, kreischte Ronald. »Sie ist tot!«

Die Band hörte auf zu spielen.

Lord Wrexley machte einige Schritte auf Ronald zu und griff ihn fest am Arm. »Tush! Was ist passiert?«

»Carla ist tot!«, keuchte der Gastgeber, riss sich los und deutete die Treppe hinauf. »Dort oben!«

»Greenberg. Balaton. Surrey. Weidemann … Sie!« Lord Wrexley zeigte auf den Butler. »Kommen Sie mit. Die Damen bleiben hier. Passen Sie auf Tush auf, er soll sich hinsetzen. Er hat offensichtlich einen Schock erlitten.«

Wie in Trance eilte Kit hinter den anderen Männern her. Die hatten sich bereits in Bewegung gesetzt und erklommen die Stufen zum Balustradengang.

Die Flügeltür zu Carlas Schlafzimmer stand offen, und schon von Weitem konnte Kit ein Paar Damenschuhe sehen. Damenschuhe, in denen Füße steckten. Keine Frage, da lag jemand. Er verspürte den Wunsch, stehen zu bleiben, doch da winkte Lord Wrexley ihn auch schon durch die Tür.

Carla lag regungslos auf dem Rücken, die Augen weit aufgerissen und von knallroten Adern durchzogen. Heinrich Weidemann sank neben der Tür auf die Knie und fing hemmungslos an zu schluchzen.

Kit zog ihn wieder auf die Beine. »Komm, Heinrich, dort drüben ist ein Stuhl. Setz dich.«

Lord Wrexley kniete sich neben Carla auf den Boden. Seine langjährige Kommandoerfahrung zahlte sich aus. Zu Kits Erleichterung war er vollkommen handlungsfähig.

»Sie, Butler.«

»Jawohl, Sir.«

»Das hier ist doch ein neues Schiff. Hat es Funk?«

»Jawohl, Sir.«

»Veranlassen Sie, dass der Kapitän dem Hafenlotsen funkt, damit er sofort die Polizei verständigt. Hier hat ein Verbrechen stattgefunden.« Er wies auf die bläulichen Markierungen an Carlas nacktem Hals.

»Mord«, wisperte Yuri Balaton, und Greenberg bediente sich eines Fäkalausdrucks.

Kit sah sich um. Alle wirkten betroffen und schockiert, und er selbst fühlte sich eigenartig taub. Eigentlich empfand er gar nichts. Da war nur ein Rauschen in seinen Ohren.

Lord Wrexley erhob sich. »Wir sollten den Raum so schnell wie möglich verlassen. Die zuständigen Behörden werden ihn auf Spuren untersuchen.«

»Mord!«, stieß Yuri Balaton abermals hervor. »Wie kann das sein? Carla? Carla!«

Greenberg raufte sich die Haare. »Die Diamanten. Die Diamanten sind weg.«

»Ja.« Lord Wrexley teilte Greenbergs Verdacht. »Es sieht nach Raubmord aus. Kommen Sie, meine Herren.«

Anne war, Lord Wrexleys Anweisung zum Trotz, die Treppe hinaufgekommen. »Ich dachte, vielleicht irrt er sich und Carla braucht Hilfe … Aber … um Himmels willen.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Hier kommt jede Hilfe zu spät.«

Kit und Greenberg halfen Weidemann auf die Beine und schleppten ihn aus dem Zimmer. Yuri Balaton wankte hinter ihnen her die Treppe hinunter, wo Lord Wrexley die übrigen Damen über Fund und Zustand der Leiche in Kenntnis setzte. Zeitgleich war von draußen ein Knarren zu hören. Maya Fay begann zu weinen.

»Das ist der Anker, Miss Fay«, erklärte Lord Wrexley. »Wir fahren in den Hafen ein, wo die Polizei an Bord gehen wird … Wie geht es Mister Tush? Wo ist er?«

Der Gastgeber saß auf einem Stuhl, zitternd und schluchzend. Anne fühlte seinen Puls.

»Nicht gut«, sagte sie ernst. »Er braucht ein Sedativum, vermute ich.«

Der Motor der Celluloid fing an zu brummen, und bald setzte sich die Jacht in Bewegung.

»In wenigen Minuten laufen wir in den Hafen ein«, erklärte Lord Wrexley. »Ich schlage vor, dass wir uns bis auf Weiteres im Salon aufhalten und warten, bis die Polizei eintrifft. Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass sich ein Mörder an Bord befindet.«

»Bitte nehmen Sie Platz. Sie werden einzeln von den Messieurs der Polizei und der Sûreté befragt. Es ist Ihnen verboten, miteinander zu sprechen. Sollten Sie dagegen verstoßen, müssen wir Sie leider in Gewahrsam nehmen. Ein Gendarm wird Sie beaufsichtigen. Wenn Sie etwas benötigen, sprechen Sie am besten mit ihm. Wir danken Ihnen für Ihre Kooperation.«

Die Crew, die Bandmitglieder und die Gäste setzten sich auf die ihnen zugewiesenen Holzbänke in dem kleinen Wartezimmer des Polizeipräsidiums von Monaco. Ségolène Pistou und Lady Wrexley hatten die Beamten aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters gehen lassen, und Ronald Tush war mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht worden.

Kit versuchte sich die Stunden in Erinnerung zu rufen, die zwischen seinem Schwächeanfall und der Entdeckung von Carlas Leiche vergangen waren.

Die Band, drei schwarze Musiker, die Carla angeblich auf der Überfahrt von Amerika für den Abend angeheuert hatte, war während der Besichtigungstour der Gäste in den Salon umgezogen. Kaum waren die anderen vom Oberdeck heruntergekommen, hatte Yuri Balaton die Gastgeberin zum Tanz aufgefordert, während Anne sich zu einer Runde mit Lord Wrexley und anschließend Samuel Greenberg hinreißen ließ.

Kit selbst war irgendwann aufgestanden und hatte Samuel Greenberg abgelöst. Die Musik war ohnehin zu laut gewesen, um sich zu unterhalten, deshalb hatten sie unbekümmert ihre Kreise gedreht, in dem Glauben, sich später noch ausgiebig über die anderen Gäste austauschen zu können. Was für ein Irrtum!

Nach dem Tanz mit Anne hatte Kit erst Lady Wrexley, dann Carla und schließlich Maya Fay aufs Parkett geführt, nur um anschließend wieder von vorne zu beginnen. Zwischendurch war er mit einigen Herren zum Rauchen an Deck gewesen. Wann, um Himmels willen, hatte bei all dem Trubel jemand die Gelegenheit gehabt, sich unbemerkt nach oben zu stehlen, um dort die arme Carla zu strangulieren?

Nun denn, es war an den Behörden, dies herauszufinden, und wie immer, wenn man es mit Behörden zu tun hatte, war wohl auch der Prozess der Wahrheitsfindung in einem Mordfall ein zäher Vorgang. Einer nach dem anderen forderte ein Gendarm die Wartenden dazu auf, ihm zu folgen. Erst kamen Besatzung und Musiker an die Reihe, danach die Gäste. Die meisten wirkten beim Warten einigermaßen gefasst, nur Heinrich Weidemann saß blass und zitternd in einer Ecke, was Kit allerdings keinen Hinweis auf sein Innenleben gab, denn Weidemann war ständig blass und zitterte pausenlos.

Maya Fays Blick ruhte, bis sie an der Reihe war, ununterbrochen auf Anne. In ihren Augen stand die Frage, die Kit in jüngerer Vergangenheit häufig in den Augen der glamourösen Schönheiten dieser Welt gesehen hatte, wenn er in Begleitung seiner neuen Verlobten unterwegs war: Was wollte dieser Mann, der unermesslich reich war, mit dieser zwar hübschen, aber wenig aufregenden Frau? Wo waren die Pelze, wo die Juwelen?

Kit wünschte, er könnte Anne vor dieser Missgunst abschirmen, doch er vermochte nichts zu tun. Nichts, außer zu warten.

Manchmal dauerte es nur wenige Minuten, bis jemand aufgerufen wurde, manchmal eine halbe Ewigkeit. Kit war entsetzlich müde. Immer wieder sank ihm das Kinn auf die Brust, immer wieder fuhr er zusammen und wachte auf, weil ihm im Halbschlaf das schreckliche Bild der toten Carla vor Augen trat. Im Krieg hatte er unzählige Leichen gesehen, doch war ihm keine so kläglich, so überflüssig vorgekommen wie Carlas regloser Leib in dem goldenen Kleid. Gerade so wie die zerfallenen Mumien im British Museum, umgeben von Reichtum und doch tot.

Nach unendlichen Stunden des Schweigens, mäßigen Kaffees und noch mäßigeren Keksen, die der Gendarm als lebenserhaltende Maßnahme verteilte, saßen nur noch Anne und Kit auf den Stühlen im Warteraum.

Eine weitere Ewigkeit geschah nichts. Was hatte das zu bedeuten? Zuletzt hatten sie Heinrich mitgenommen, aber der konnte nun wirklich nichts mit der Sache zu tun haben. Oder etwa doch? Waren sie bei der Spurensuche dem gefälschten Gemälde und damit ihm auf die Spur gekommen? Kit spürte, wie die Müdigkeit mit seinem Verstand spielte. Er konnte nicht mehr klar denken.

Eine weitere Stunde verging. Die arme Anne saß zusammengekauert in einer Ecke und döste unruhig. Allein diesem Umstand war es geschuldet, dass die Polizei von Monaco nicht ihr blaues Wunder erlebte, denn Kit war drauf und dran, die Fassung zu verlieren und lauthals nach dem Polizeipräsidenten zu verlangen. Aber solange Anne sich ausruhte, würde er sich beherrschen.

»Mademoiselle Fortescue.«

Endlich trat der zweite Gendarm ins Wartezimmer.

Anne öffnete die Augen, seufzte erleichtert, erhob sich und warf Kit einen bedauernden Blick zu. Er hob die Hand zum Gruß und salutierte ihr in bester Offiziersmanier. Kit wusste, dass es eine zynische Geste war, aber das stundenlange Herumsitzen hatte ihm die Pietät ausgetrieben.

»Hier entlang bitte, Mademoiselle.«

Anne verschwand hinter der inzwischen vertrauten Tür des Wartezimmers, die sich in Kits Vorstellung immer mehr in ein von seinem Idol, dem mittlerweile zu großer Bekanntheit gelangten Pablo Picasso, gemaltes Höllenloch verwandelte.

Er verschränkte die Arme und streckte die Beine aus. Der wachhabende Gendarm – ein neuer Mann, da der vorherige seine Pflicht, im Gegensatz zu Kit, offenbar schon getan hatte – begann Zeitung zu lesen. Seine Aufgabe beschränkte sich nunmehr darauf, eine eventuelle Flucht des Dukes zu verhindern, und bestand nicht mehr darin, jegliche Gespräche zwischen den Zeugen zu unterbinden.