Die Jahreszeiten eines Lebens - Jürgen Sester - E-Book

Die Jahreszeiten eines Lebens E-Book

Jürgen Sester

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Beschreibung

Der Journalist Lennard hat durch seinen fordernden Chef einen zwielichtigen Ruf. Seine unpopulären Artikel sorgen für Negativschlagzeilen und stoßen nicht selten auf wenig Gegenliebe. Auch seine Ehe mit Caroline leidet darunter, weil er seinen Beruf oft über seine Familie stellt. Als Lennard jedoch den Auftrag erhält, ein Interview mit dem fast 100-jährigen Hans Finkbeiner zu führen, um dessen Ehrenstatus zu hinterfragen, ändert sich alles. Die Gespräche mit dem weisen Mann, der auf ein erfülltes Leben zurückblickt, berühren Lennard tief. Sie öffnen seine Augen für das Wesentliche im Leben und bringen ihn dazu, über seine eigene Rolle und seine Entscheidungen nachzudenken. Als das Interview seinen Höhepunkt erreicht, steht Lennard vor einer schwierigen Wahl, die sein Leben und seine berufliche Integrität in Frage stellt. Wird er sich dem Druck beugen oder den Mut finden, seinen eigenen Weg zu gehen? Ein fesselnder Roman über Veränderung, Selbstreflexion und die Suche nach dem wahren Sinn des Lebens.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Jürgen Sester

Die Jahreszeiten eines Lebens

Liebesroman

Impressum

© 2023 Jürgen Sester

Lektorat von: Christien Marie Wach,

www.redemarie.de

Coverdesign von: Jürgen Sester

Satz & Layout von: Christien Marie Wach

Covergrafik von: Caroline Veronez

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH,

Heinz-Beusen-Stieg 5,

22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:

tredition

GmbH, Abteilung "Impressumservice",

Heinz-Beusen-Stieg 5

22926 Ahrensburg,

Deutschland.

ISBN: 978-3-384-00090-3

Zitate werden ausschließlich nach deutschem Urheberrecht für Zitate §51 UrhG (Stand: 1. März 2018), verwendet.

(Der Zitierzweck muss erkennbar sein. Das Zitat muss also in irgendeiner Beziehung zu der eigenen Leistung stehen, beispielsweise als Erörterungsgrundlage. Der Umfang des Zitats muss dem Zweck angemessen sein.)

Die Jahreszeiten eines Lebens

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Urheberrechte

Titelblatt

Prolog

Eingefahren

Der Artikel

Ein kleines bisschen Zweisamkeit

Ein Schritt zu weit

Das erste Treffen

Die goldenen 20er

Rosemarie 1

Wie alles begann

Die Jahre vor dem Krieg

Wann sind wir beide passiert?

Ist es schon zu spaet?

Liebe in Zeiten des Weltkrieges

Briefe

Heimaturlaub

Frueher war alles besser?

Hans im Krieg

Die Jahre der Gefangenschaft

Ein Versuch, es wieder gut zu machen

Wiedersehen

Die Hochzeit

Reumuetig

War frueher alles besser?

Leben in der Nachkriegszeit

Ein Anruf mit Folgen

Die Pressekonferenz

Sentimentales Wiedersehen

Zeitzeugen

Wer ist Hans Finkbeiner

Freunde

Rosemarie 2

Wie man liebt

Am Ende der Zeit

Am Scheidepunkt

Die Abrechnung

Abschied von Hans

Epilog 1 Jahr spaeter

Danksagung

Ueber den Autor

Buchempfehlungen

Eine kleine Anmerkung zum Schluss

Die Jahreszeiten eines Lebens

Cover

Urheberrechte

Titelblatt

Prolog

Eine kleine Anmerkung zum Schluss

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Prolog

»Spring an, du blöde Karre!«, fluchte Lennard und schlug mehrmals auf das Lenkrad ein. Noch einmal drehte er den Schlüssel um, sodass der Wagen ein paar weitere Sekunden leierte und dann schließlich ansprang.

»Na also, geht doch.« Er legte den Gang ein und ließ dabei sein Auto so schnell die Auffahrt zurückrollen, dass er an der Ausfahrt stark bremsen musste, um den Nachbarsjungen nicht umzufahren.

»Ach der schon wieder«, maulte Lennard vor sich hin und wartete, bis der Junge vorbeigegangen war. Dann fuhr er auf die Straße auf und schlug den Weg, direkt zur Redaktion ein.

Der Verkehr und alle Passanten der Welt hatten sich anscheinend an diesem Tag gegen Lennard verschworen, denn an jeder Ampel musste er warten. Mitunter mehrere Phasen. Fußgänger liefen über die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten. Das alles führte dazu, dass er keinen Zeitpuffer mehr hatte und auf die Minute pünktlich in seinem Büro war.

»Herr Schreiner, sind Sie auch endlich erschienen!«, rief ihm sein Chef durch das Großraumbüro zu und winkte ihn mit einer harten Geste zu sich ins Büro. Lennard legte seine Sachen auf dem Schreibtisch ab und ging zu seinem Chef.

»Ich habe mir Ihren Artikel durchgelesen«, eröffnete dieser ohne Umschweife.

»Welchen genau?«, fragte Lennard ratlos, während er sich setzte.

»Unser Oberbürgermeister.« Er legte ihm den Bericht vor.

>Oberbürgermeister Müller will im übernächsten Jahr nicht mehr antreten<

So viel steht jetzt schon fest: Unsere Stadt bekommt im übernächsten Jahr einen neuen Oberbürgermeister. Denn Amtsinhaber Julian Müller hat angekündigt, bei der Wahl im April 2024 nicht mehr anzutreten.

Schwaibingens Oberbürgermeister Julian Müller (CDU) will bei der im April 2024 anstehenden Wahl nicht mehr antreten. Das hat Müller im Rahmen der Gemeinderatssitzung am Dienstagabend bekanntgegeben. Damit endet Müllers Zeit als Oberbürgermeister im kommenden Jahr nach drei Amtszeiten. Zu dem Entschluss sei er nach langer und reiflicher Überlegung gekommen, erklärte Müller. »Den Hauptausschlag gaben die lange Amtszeit von acht Jahren und der hohe Einsatz, den meine Amtsführung zwangsläufig mit sich bringt«, heißt es in einer Mitteilung, die unmittelbar nach der Gemeinderatssitzung veröffentlicht wurde.

Mehr Zeit für Familie und Freunde

Müller verwies darauf, dass er im nächsten Jahr 64 Jahre alt werde. »Ich bin durchaus aufgeschlossen, etwas anderes zu tun«, erklärte Schwaibingens Oberbürgermeister. Außerdem wolle er künftig mehr Zeit mit seiner Familie und Freunden verbringen.

Er habe seine Entscheidung zum frühestmöglichen Zeitpunkt getroffen und diese nun öffentlich gemacht. »Damit alle beteiligten Seiten ausreichend Zeit haben, geeignete Kandidaten für die Nachfolge zu finden«, so Müller.

Mehr dazu in Kürze.

Lennard las den Artikel aufmerksam durch und sah schließlich seinen Chef fragend an. »Und was stimmt mit diesem Artikel nicht?«

Lennard hatte kaum ausgesprochen, da schlug sein Chef bereits mit der Faust auf den Tisch. »Was damit nicht stimmt? Sind wir hier ein neutrales Blatt? Wo sind die Skandale, die Meinungen, dass es endlich Zeit wurde, dass der abtritt? Jahre voller Fehlentscheidungen und und und.«

»Von welchen Skandalen reden Sie? Er war drei Amtszeiten komplett ohne?«

»WAR ER NICHT! Wir sind die Nachrichten. Die Lesenden schauen sich diesen Artikel nicht einmal an, wenn ich den so drucke. Herrgott. Wir reden hier von dem Oberbürgermeister. Wir wollen Dinge aufdecken, nicht einfach nur nach Schema F berichten.«

Lennard fühlte sich von Wort zu Wort unwohler. Ich wusste, dass das nicht mein Tag wird, dachte er sich, während die Tiraden seines Chefs auf ihn herabregneten. »Ich kann doch keine Skandale erfinden, die nie stattgefunden haben?«

»Eine Richtigstellung ist schnell geschrieben. Es geht mir um Verkaufszahlen, sonst um nichts.« Fuchs stand auf und lief um seinen Schreibtisch herum, blieb vor Lennard stehen, knibbelte an seiner Krawatte, drehte sich wieder um und ging zurück zu seinem Platz. Dort nahm er Lennard den Artikel ab. »Hmpf … Der Artikel soll morgen auf die Titelseite. Ich werde ihn selbst anpassen. Für alles andere reicht mir die Zeit nicht mehr.« Er legte ihn vor sich hin und zog dabei einen weiteren Zettel unter seiner Ablage hervor. Diesen überprüfte er kurz und legte ihn Lennard vor. Der ergriff ihn und las ihn kurz durch. »Hans Finkbeiner – Elysium Altenheim Schwaibingen.«

Mit einer Pobacke setzte sich Fuchs auf die Tischplatte und sah zu Lennard hinunter. »Hans Finkbeiner wird in wenigen Wochen stattliche 100 Jahre alt. Er ist unser ältester Bewohner der Stadt. Ich möchte, dass Sie ihn aufsuchen, interviewen und einen mehrseitigen Artikel über ihn schreiben. Und ich will nicht lesen, dass er in den 40er Jahren seinen Schulabschluss gemacht hat, in den 50ern geheiratet und was weiß ich noch. Ich will, dass die Stadt weiß, wen unser Ehrenbürger getötet hat. Ich will, dass sie graben. Nach allen Leichen in seinem Keller, wann er irgendwann zu wenig Steuern bezahlt hat und und und.«

»Sie wollen also schmutzige Wäsche waschen.«

»Verkaufszahlen, Schreiner, Verkaufszahlen!« Fuchs stieß sich vom Tisch ab, ging zur Bürotür und öffnete diese. Damit deutete er Lennard, das Büro zu verlassen.

Lennard schnappte sich die Notizen und verließ den Raum. Sein ungutes Gefühl begleitete ihn weiterhin. Er hängte seine Jacke über die Stuhllehne, räumte die Tasche beiseite und startete den Computer. In seiner Hosentasche vibrierte das Handy. Er zog es hervor und entsperrte das Gerät. Die Nachricht war von seiner Frau Caroline.

C: Du hast dein Pausenbrot hier liegen lassen.

Lennard schaute zu seiner Tasche hinüber und wieder auf das Display.

L: Egal … hab eh keinen Hunger.

Lennard drückte den Sperrbutton und schob das Handy über die Tischplatte bis fast zu den Lautsprechern. Er wusste, dass seine Frau sich morgens extra die Zeit dafür nahm, ihm Pausenbrot zu richten. Da er oft unterwegs war, fehlte ihm meistens die Zeit dazu, in der Kantine etwas zu essen. Doch nach der Ansage seines Chefs war Lennard der Appetit vergangen. Mit den Füßen zog er sich und den Stuhl näher an den Tisch heran. Die Karte vom Chef auf dem Tisch, öffnete Lennard den Browser und gab den Namen Hans Finkbeiner in die Suchmaschine ein. Diese fand in Sekundenbruchteile etliche Zeitungsartikel, alleine aus den letzten 15 Jahren.

Hans Finkbeiner war viele Jahre Lehrer am Schwaibinger Gymnasium gewesen, später Rektor. Er bekleidete unendlich viele Ehrenämter. Nach dem Tod seiner Frau im Jahre 2008 setzte er sich noch bis ins hohe Alter für verschiedene Projekte in der Stadt ein. Je mehr Lennard über diesen Mann las, desto höher stieg seine Hochachtung vor ihm. Fast den ganzen Vormittag verbrachte er damit, die Artikel über ihn zusammenzutragen, zu lesen, auszudrucken und in einer Mappe zu sortieren. Hans Finkbeiner war ein anständiger Mann, der von der Gesellschaft geschätzt wurde.

Und bei diesem Mann, der sein Leben lang gegeben hat, soll ich nun nach irgendwelchen faulen Eiern suchen? fragte er sich ernsthaft und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Das große Büro war längst verwaist, während Lennard immer noch im Internet recherchierte. Er genoss den Ruf, dass er gründlich bei seinen Recherchen war. Er ging niemals unvorbereitet zu einem Interview. Es lag aber ebenfalls in seiner Natur, die Zeit darüber zu vergessen.

Die Sonne war längst untergegangen. Erst nachdem er mehrmals hintereinander länger gähnen musste, fuhr er den Computer schließlich herunter. Als er nach seinem Smartphone griff, bemerkte er, dass er viele Nachrichten seiner Frau verpasst hatte.

C: Hast Du Dir etwas zu Essen geholt?

C: Bitte melde Dich kurz nach Deinem Termin.

C: Wie lange arbeitest Du heute?

C: Soll ich für Dich mitkochen?

L: Sorry, der Tag hat mir echt viel abverlangt. Ich komme jetzt nach Hause.

Am unteren Ende seiner Nachricht blieb nur ein Haken stehen. Lennard hoffte, dass die Nachricht noch zugestellt wurde, denn er wusste, dass Caroline auch einen harten Tag hatte. So verließ er das Büro und fuhr nach Hause.

Dort waren bereits sämtliche Lichter erloschen, die Küche aufgeräumt und Caroline lag bereits im Bett. Er wusste es nicht genau, aber da sie sich nicht im unteren Geschoss aufhielt, ging er davon aus.

Lustlos öffnete er die Kühlschranktüre, sah kurz in den Kühlschrank hinein und schloss ihn aber gleich wieder. Langsamen Schrittes ging er ins Wohnzimmer, legte sich auf die Couch und schlief innerhalb weniger Minuten ein.

Eingefahren

Die Smartwatch an Lennards Arm beendete eine ohnehin viel zu kurze Nacht und die Haltung, in der er eingeschlafen war, strafte ihn nun. Mühsam richtete er sich auf, lockerte die Krawatte, zog sie über den Kopf und knöpfte schließlich das Hemd auf.

»Papa … Papa …!«, rief plötzlich von der Treppe her eine aufgeregte Kinderstimme. Lennard drehte sich um und Lea, seine Tochter, kam ihm freudestrahlend entgegengesprungen. Obwohl er einen stechenden Schmerz in seinem Rücken spürte, hob er Lea an und nahm sie auf den Arm.

»Guten Morgen mein Schatz. Na, hast du gut geschlafen?«, fragte er sie in einem freundlichen und weichen Ton. Sie nickte nur lachend und spielte mit Lennards lockigen Haaren.

»Mama hat mich gestern alleine ins Bett gebracht«, sagte sie leise, während sie sich vom Spiel mit ihren Fingern nicht abbringen ließ.

»Ich weiß … ich hatte viel zu viel Arbeit. Heute Abend werde ich da sein, um dich ins Bett zu bringen.«

»Versprochen?«, fragte ihn Lea leicht schmollend.

»Versprochen.« Er setzte sie behutsam auf dem Boden ab. Lea rannte zurück zur Treppe, wo Caroline stand und dem Gespräch der beiden lauschte.

»Guten Morgen«, sagte Caroline verschlafen.

»Mama, Mama, Papa ist heute Abend da, um mich ins Bett zu bringen«, freute sich Lea im Vorbeigehen.

Caroline sah Lennard ernst an. »Du solltest ihr nichts versprechen, wenn du es nicht einhalten kannst.«

Entrüstet stand Lennard an der Couch. »Ich wollte gestern nicht so spät nach Hause kommen.«

Caroline lief an ihm vorbei in die Küche. »Wann wolltest du das denn jemals?«

Lennard ließ die Schultern sacken. »Es tut mir leid. Es war wirklich keine Absicht. Ich hatte gleich am Morgen ein Gespräch mit Fuchs. Danach war der Tag nur noch die Hölle.«

Caroline streckte den Kopf aus der Küchentür. »Ist das denn jemals anders gewesen? Aber du entscheidest dich viel lieber für diese Hölle als für die Menschen, die hier auf dich warten.«

Lennard streifte die Hose ab, klaubte seine Wäsche zu einem Bündel zusammen und ging ins Bad. Caroline blieb derweil in der Küche und richtete, wie jeden Morgen, das Frühstück.

Das heiße Wasser prasselte nur so auf Lennard hinunter, während er regungslos unter der Dusche stand. Der Tag, der nun vor ihm lag, lief ihm bereits wie ein Film vor seinem geistigen Auge ab.

Der Artikel! fuhr es ihm blitzartig durch den Kopf. Er wusste nicht, welche Worte Herr Fuchs zu seinem Text hinzugefügt oder weggenommen hatte. Wenn aber sein Name unter diesem Artikel stand, könnte es unter Umständen Ärger für ihn bedeuten.

»Hier, dein Kaffee.« Caroline stellte ihm die Tasse auf die Theke, als Lennard zurück aus dem Badezimmer kam. Sie selbst war schon wieder in der Küche verschwunden.

»Danke«, murmelte er leise und setzte sich auf den Hocker. Er zog sein Handy hervor und schaute auf das Display. Gut, bis jetzt noch keine Nachrichten. Vielleicht geht der Artikel auch einfach an mir vorbei, dachte er und trank einen Schluck Kaffee. Lennard klappte sein Notebook auf und ließ es hochfahren. Er öffnete das Programm, in dem er alles organisierte - seine Texte, Termine und Notizen. Bislang hatte er noch keine E-Mail erhalten, was er auch für ein gutes Zeichen hielt.

»Hast du heute viel zu tun?«, fragte Caroline, die nun ebenfalls mit einer Tasse Kaffee aus der Küche kam.

»Nein, nicht sehr. Ich muss später ins Altenheim und einen 100-Jährigen interviewen.«

»Oh wow. Zu welchem Anlass?«

Lennard starrte sie entgeistert an. »Zu seinem 100. Geburtstag. Der ist in ein paar Wochen.«

»Ach, der steht erst noch bevor?«

Lennard nickte. »Ist im Gegensatz zu den Gemeinderatssitzungen und Ausschüssen eine ganz willkommene Ablenkung.«

»Ja, tut dir vielleicht mal gut«, bemerkte sie und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

»Naja … ich glaube eher, dass es recht langweilig wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Mann mit seinen fast 100 Lenzen noch vieles aus seinem Leben weiß. Die meisten sind doch in diesem Alter schon weit über den Zenit.«

Caroline sah ihn mit großen Augen an. »Unterschätze diese Menschen nicht. Sie haben mehr zu sagen als man denkt. Man hört ihnen nur nie ernsthaft zu.«

Lennard klappte das Notebook wieder zu. »Fuchs will, dass ich bei diesem Mann nach Leichen im Keller suche.«

Caroline schüttelte entgeistert den Kopf. »Und was hast du vor?«

»Zuerst werde ich das Interview führen und meinen Beitrag verfassen. Wie immer.«

Mit der Tasse in der Hand stand Caroline auf und ging um Lennard herum, wobei sie ihm die Hand auf die Schulter legte. »Auch wenn ich deine Wege nicht immer verstehe - ich glaube du wirst das richtige tun.«

»Zu gegebener Zeit hoffe ich das«, entgegnete Lennard. Er packte das Notebook in die Tasche, trank seine Tasse leer und stand auf. Mit gewohnten Handgriffen suchte er die Schlüssel in seiner Tasche, den Koffer mit seinen Unterlagen und schob das Notebook in das dafür vorgesehene Fach. Flüchtig zog er sich die Krawatte über den Kopf und den Knoten zu, dann streifte er sein Jackett über. »Wir sehen uns heute Abend«, sagte er leise und gab Caroline einen flüchtigen Kuss.

Er war schon fast an der Haustür, als Caroline sich räusperte. Abrupt blieb Lennard stehen und drehte sich um.

»Willst du heute wieder nichts essen? Das kann nicht gesund sein!« In ihrer rechten Hand hielt sie eine Papiertüte, in der belegte Brote waren.

»Wenn ich dich nicht hätte«, stammelte er, nahm ihr die Tüte ab und verstaute diese in seinem Koffer.

»Dann wärst du längst verhungert. Eine gesunde Mahlzeit wäre auch mal wieder schön.« Caroline tippte ihm dabei mit dem Zeigefinder auf den Bauch.

»Ich werde es mir merken«, gab Lennard zurück und zwinkerte Caroline zu.

Caroline stand noch in der Haustür und sah ihm dabei zu, wie er das Auto aufschloss und sich hineinsetzte. Schon kurz darauf begann das allmorgendliche Leierkonzert eines in die Jahre gekommenen Autos, begleitet von den immer wiederkehrenden Begleitflüchen. »Spring an du blöde Karre!«

Der Artikel

Schon als Lennard das Büro betrat, bemerkte er die aufgeladene und hitzige Stimmung, die unter der Belegschaft herrschte. Mit einer Hand hakte er sich im Vorbeigehen bei der Sekretärin unter, sodass sie ihm direkt in die Augen sah. »Was ist denn los heute Morgen?«, fragte Lennard neugierig.

Jenny sah ihn überrascht an. »Na das solltest du doch am besten wissen? Oberbürgermeister Müller hat uns die Hölle heiß gemacht nach dem Artikel, den du über ihn geschrieben hast.«

Lennard richtete sich auf und schaute zur Tür seines Chefs. Es brannte noch kein Licht darin. Zumindest wirkte es aus dieser Entfernung so. »Mein Artikel war einwandfrei, bis Fuchs ihn in die Finger bekommen hat.«

»Den kannst du noch nicht fragen. Er war heute noch nicht da. Aber im Aufenthaltsraum wartet jemand auf dich. Und der ist nicht wirklich gut gelaunt.«

Lennard schluckte und bedankte sich bei Jenny. Er legte seine Tasche auf dem Schreibtisch ab und schaute unruhig zum Besprechungsraum. Die Glaswände waren zwar teilweise mit einer milchigen Schicht überzogen - dennoch konnte er erkennen, wer drinnen saß und auf ihn wartete.

Lennard setzte sich für einen kurzen Moment an den Computer und startete diesen. Er öffnete seine Ordner, um nach dem Artikel zu suchen, den er geschrieben hatte. Dieser Ordner war jedoch leer. Hat sich dieser Mistkerl doch tatsächlich Zugriff zu meinem PC verschafft, dachte er, während die Wut in ihm emporstieg. Zielsicher öffnete er seine Tasche und zog einige Dokumente hervor, in denen er blätterte. Das Dokument, welches er zu finden hoffte, befand sich aber nicht darunter. »Jetzt ist es mir auch egal!«, sagte er entschlossen vor sich hin, stand auf und lief zum Büro seines Chefs. Wie schon einige Minuten zuvor war dort kein Lebenszeichen zu erkennen. Er drückte den Türgriff nach unten und war überrascht, dass die Türe nicht verschlossen war. Fuchs hat echt nichts zu verlieren, oder? dachte Lennard, versicherte sich, dass ihn niemand beobachtete und trat ein.

»Wo hast du die Dokumente versteckt?«, murmelte er leise und suchte den Schreibtisch ab. Dieser war aber sauber. Lennard wollte schon enttäuscht seine Suche nach dem Dokument aufgeben, als sein Blick auf den Papierkorb fiel. Dort ragte ein Stück Papier über den Rand hinaus und anhand des Blocksatzes erkannte Lennard das Schriftstück sofort. Mit einem schnellen Handgriff zog er es heraus, warf einen flüchtigen Blick darauf, faltete es zusammen und verließ schnurstracks das Büro. Bevor er sich aber zu dem Besprechungsraum aufmachte, setzte er sich noch einmal an seinen Platz, faltete das Papier auseinander und begutachtete es. Dies war eindeutig der Artikel gewesen, den er verfasst hatte. Immer wieder wurden Wörter ausgegrenzt, durchgestrichen und umgebaut. Am Rand fand er mehrere Bemerkungen, die aber allesamt von Herrn Fuchs stammten. Mit diesem Schriftstück in der Hand ging er schließlich zum Besprechungsraum.

Oberbürgermeister Müller saß auf einem Stuhl und hatte ihm den Rücken zugekehrt. Als er das Öffnen der Türe bemerkte, stellte er die Kaffeetasse auf dem Tisch ab und drehte sich um. Bevor Lennard ihn begrüßen konnte, schnitt er ihm das Wort ab. »Herr Schreiner … In meinen langen Jahren als Oberbürgermeister, durfte ich Sie als geschätzten und seriösen Journalisten kennenlernen«, kam er direkt zum Punkt. Er zog die Tageszeitung hervor und warf sie Lennard auf den Tisch. »Dieser Artikel geht aber an der gewohnten Seriosität weit vorbei. Finden Sie nicht?«

Lennard blieb wie versteinert stehen und schaute den Oberbürgermeister ausdruckslos an. »Es tut mir leid. Aber …« Mehr brachte er nicht heraus und nahm die Zeitung in die Hand. Er überflog den Artikel, der nun um gut ein Drittel länger war als die finale Version von ihm.

»Ich wüsste gerne die Quellen,« fuhr der Oberbürgermeister fort, »aus denen hervorgeht, dass ich dem Alkohol so zugetan bin, dass ich fast jedes Wochenende in einschlägigen Etablissements nach Vergnügungen mit diversen Frauen suchte und dabei nicht einmal vor der Verantwortung zurückschreckte, danach noch Auto zu fahren. Außerdem wurden bei mir noch niemals Drogen gefunden, da ich überhaupt noch nie welche konsumierte. Wie kann die hiesige Polizei sich eine derartige Frechheit erlauben?«

Lennard blieb ruhig und las den Artikel aufmerksam zu Ende, zog seinen Zettel aus der Tasche heraus und setzte sich dem Bürgermeister gegenüber. »Herr Müller, es tut mir furchtbar leid. Bei diesem Artikel muss sich um ein Missverständnis handeln.« Er legte ihm das Papier vor. »Der hier ausgedruckte Artikel wäre derjenige gewesen, der in den Druck gehen sollte. Irgendjemand hat ihn abgefangen und verändert.«

»Und das soll Ihre Ausrede sein? Irgendjemand?« Julian Müllers Kopf war hochrot angelaufen und die Sehnen traten am Hals hervor.

Obwohl Lennard unruhig und innerlich aufgewühlt war, versuchte er Ruhe zu bewahren. »Wir werden den Artikel zurücknehmen und eine große Gegendarstellung herausgeben. Außerdem werde ich herausfinden, wer diesen Artikel verändert hat.«

Julian Müller hatte das Blatt zwischenzeitlich in die Hand genommen und die Bemerkungen durchgelesen. »Nun gut. Da wir schon öfter zusammengearbeitet haben, kenne ich Ihre Handschrift gut genug, um zu wissen, dass diese hier nicht Ihre ist.« Er gab Lennard den Artikel zurück und stand auf. »Klären Sie das bitte auf und geben Sie mir direkt Bescheid.«

Lennard sah dem Oberbürgermeister in die Augen.

»Das werde ich, danke schön.«

Julian Müller lief an Lennard vorbei und drehte sich auf der Türschwelle noch einmal um. »Es wäre eine Schande, wenn unsere gute Zusammenarbeit an diesem Artikel zerbrechen würde. Dies würde sich schließlich auch auf meine Nachfolger auswirken.«

Lennard kam nicht drum herum, den vorwurfsvollen Unterton zu bemerken.

Der Oberbürgermeister hatte das Bürogebäude längst verlassen, als Herr Fuchs endlich erschienen war.

Lennard hatte seine Utensilien gepackt und war auf dem Weg zum Ausgang, als ihn sein Chef abfing. »Na … Wie hat der Oberbürgermeister reagiert?«, fragte dieser scheinheilig.

»Das werden Sie ja wohl am besten wissen!«, raunte Lennard zurück. »Ich muss los, habe einen Termin!« Damit ließ er Fuchs stehen und verließ das Gebäude auf dem schnellsten Weg.

Ein kleines bisschen Zweisamkeit

»Ich kann es noch gar nicht glauben, dass du dir extra die Zeit genommen hast, mit mir zu Mittag zu essen«, schwärmte Caroline verhalten, während sie die Cola mittig vor sich stellte, die der Kellner soeben gebracht hatte. Lennard hatte es auf die Minute pünktlich zu dem kleinen Diner geschafft, in dem sie schon essen gewesen waren, lange bevor es ihre Tochter gab.

»Ja, aber heute ist kein guter Tag«, antwortete Lennard leise.

Caroline sah in mit ihren großen, braunen Augen an. »Wann sind die Tage denn je gut bei dir?«

Lennard zuckte resignierend mit den Schultern. »Weiß nicht, aber heute ist besonders mies.«

Caroline stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch, faltete die Hände und legte ihr Kinn darauf ab. »Nun sag schon, was ist los?«

»Ach«, stöhnte er. »Fuchs hat meinen Artikel über den Oberbürgermeister geändert und Herrn Müller Skandale angeheftet, die er gar nicht begangen hat. Dementsprechend gelaunt war dieser heute Morgen in der Redaktion.«

»Oh nein! Was hat Fuchs gesagt?«

Lennard lächelte müde. »Gar nichts. Er war ja nicht da. Zu allem Überfluss hat er die Originale von meinem Computer gelöscht.«

»Also stehen die Karten gegen dich?«

»Nicht so ganz. Herr Müller verlangt zwar Aufklärung, kennt mich aber gut genug, um zu wissen, dass ich das nicht war.«

Caroline lächelte warmherzig. »Na also. Wo ist dann das Problem?«

Lennard breitete seine Arme aus. »Glaubst du, dass Fuchs einen Fehler zugibt?« Er schüttelte theatralisch mit dem Kopf. »Nein. Eher rollen Köpfe.«

Langsam legte Caroline ihre Hand auf Lennards. »Na und? Komm nach Hause, lass diesen Laden endlich hinter dir. Du kannst mehr, du bist mehr. Und Lea kann es ohnehin nicht erwarten, bis du zur Tür hereinkommst. Sie schaut zu dir auf und du merkst es oft nicht einmal.«

»Oh ich merke das schon. Auch wenn mein Kopf oft zu voll ist, um angemessen darauf zu reagieren.«

»Da wären wir wieder bei der Hölle, was?«

Der Kellner brachte derweil zweimal Schnitzel mit Pommes und einem gemischten Salatteller.

»Das sieht ja köstlich aus«, bemerkte Lennard.

»Nach dem bisschen, was du in den letzten Tagen gegessen hast, müsste für dich doch alles lecker aussehen, oder?«

Lennard musste aufgrund dieser Bemerkung herzhaft loslachen. »Da hast du nicht ganz unrecht.«

Gemeinsam ließen sie sich das Essen munden. Für Caroline schmeckte es gleich doppelt so gut. Die gemeinsamen Mahlzeiten mit ihrem Mann waren zu einer Seltenheit geworden. Zudem war sie es nicht mehr gewohnt, in Ruhe etwas essen zu können, ohne nebenher ein Kind füttern zu müssen. Oder ständig aufzupassen, was Lea trieb.

»So eine Mittagspause geht doch oft viel zu schnell vorbei, was?«, bemerkte Lennard, als sie schließlich wieder auf der Straße standen.

»Das stimmt. Aber mit der neuen Energie solltest du den Tag doch gut hinter dich bringen können.«

»Energie? Ich würde jetzt gerne ins Suppenkoma fallen.«

Eigentlich wollte Caroline mit einem Lachen antworten … Doch mit dem nächsten Gedanken, der ihr in den Sinn kam, wurde sie wieder ernst. »Vergiss nicht, was du Lea versprochen hast. Sie nimmt dich beim Wort.«

»Ich habe es nicht vergessen«, versicherte ihr Lennard. Dann schnappte er seine Utensilien und stieg ins Auto.

Schwer seufzend ließ er seine Schultern sacken. »Und jetzt - wirst du anspringen, oder mich im Stich lassen?« Lennard steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte um. Zu seiner Überraschung startete der Wagen sofort. Bevor er jedoch den Gang einlegen konnte, leuchtete sein Handy auf. Es war eine Nachricht von Jenny, der Sekretärin.

J: Termin mit Hans Finkbeiner ist auf Morgen verschoben. Bitte zurück zur Redaktion, Besprechung mit Herrn Fuchs.

Lennards Puls schnellte augenblicklich nach oben, als er den Gang einlegte und losfuhr. Im Rückspiegel sah er Caroline auf dem Gehsteig stehen. Er schaute immer wieder in den Spiegel, bis er sie nicht mehr sah.

Die Gedanken schlugen Purzelbäume in seinem Kopf. Lennard wusste zwar, dass er sich nichts vorzuwerfen hatte, doch vor seinem Chef hatte er regelrecht Angst. Selbst für eine Kündigung war er zu feige. Er wollte sein Haus und seinen Job nicht wegen ein paar Meinungen, die auseinandergingen, verlieren. Artikel wie diesen hatte es in der Vergangenheit auch schon gegeben. Nur nicht bei so einflussreichen Personen. Und nicht mit Lennards Unterschrift darunter.

Der Annahmeschluss für Artikel, die am nächsten Tag erscheinen sollten, war bereits vorbei. Deshalb war die Redaktion ziemlich entvölkert. Im Büro von Herrn Fuchs allerdings brannte Licht. Lennard schluckte schwer und lief den Gang bis zur Tür hinunter.

Ein Schritt zu weit

»Herr Schreiner, ich habe Sie bereits erwartet!«, rief sein Chef schon von Weitem. Die Jalousien waren geschlossen, um das Tageslicht auszusperren. Somit wurde das Büro nur durch das Neonlicht an der Decke beleuchtet und dieses drückte die Stimmung. »Setzen Sie sich«, befahl er in barschem Ton und schloss die Tür hinter Lennard.

Wie schon am Vortag setzte sich Fuchs mit einer Pobacke auf die Kante des Schreibtisches und sah von oben herab auf Lennard. »Meine Strategie ist aufgegangen. Die Verkaufszahlen sind wie erwartet sehr viel besser als die gesamten Ausgaben des restlichen Monats.«

Lennard schluckte schwer. »Julian Müller war heute Morgen bei mir. Er fordert Aufklärung. So glatt ist es doch nicht gelaufen.«