Die Kinder vom Silbertal - Anni Tag - E-Book

Die Kinder vom Silbertal E-Book

Anni Tag

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Beschreibung

Bereits zum vierten Mal verbringen die Geschwister Paul und Laura die Sommerferien bei ihren Verwandten im Silbertal, wo sie mit ihrer Cousine Marie und ihren Cousins Klaus und Robert schon mehrere spannende Abenteuer erlebt haben. In diesem Jahr wollen die fünf gemeinsam zelten gehen. Voller Vorfreude schlagen sie ihr Lager auf. Doch die Kinder sind nicht die Einzigen, die im Silbertal unterwegs sind, und bald machen sie eine aufregende Entdeckung und geraten in ein Abenteuer, das gefährlicher wird als alle, die sie bereits erlebt haben, und ihnen ihren ganzen Mut abverlangt.

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Seitenzahl: 220

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Anni Tag wurde 1991 in Wels geboren. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Salzburg und ist seither als Schriftstellerin, Lektorin und Historikerin tätig.

Inhaltsverzeichnis

Ein munteres Frühstück

Ein spontaner Ausflug

Auf dem Mittelhorn

Eine unheimliche Begegnung

Ein glückliches Beisammensein

Eine großartige Idee

Nächtlicher Spaß

Neue Pläne

Eine unerwartete Wendung

Eine unglaubliche Entdeckung

Gefährliche Verfolger

Auf der Flucht

Eine böse Überraschung

Im Verlies

Ein schwieriger Auftrag

In den Höhlen

Ein bedeutsamer Fund

Interessante Neuigkeiten

Dringende Hilfe

Eine raffinierte List

Die Ruine der Abenteuer

Die Kinder vom Silbertal

Ein munteres Frühstück

An einem sonnigen Morgen Anfang August saßen die drei Geschwister Robert, Marie und Klaus mit ihren Eltern am Frühstückstisch und ließen sich leckeres, selbstgebackenes Brot mit Butter, Marmelade und Honig schmecken. In der Mitte des Tisches stand ein Strauß voll herrlich duftender, bunter Wiesenblumen, die Marie am Vortag gepflückt hatte.

„Ich freue mich schon so auf heute Abend, wenn Paul und Laura kommen“, bemerkte Klaus vergnügt und biss genüsslich von seinem Honigbrot ab. Er hatte seine Brotscheibe so dick mit Honig bestrichen, dass die klebrige, goldene Flüssigkeit an den Seiten hinunterlief und auf seine Finger und seinen Teller tropfte.

Klaus war ein fröhlicher, gutmütiger Junge von knapp zehn Jahren mit dunkelbraunen Locken, blauen Augen und einem Gesicht voller Sommersprossen. Er lebte mit seinen Eltern Barbara und Herbert Lindner und seinen beiden älteren Geschwistern in einem alten Landhaus im Silbertal. Das Silbertal war ein überaus idyllischer Ort. Es gab hier einen See, den Silbersee, der von einem dichten, weiten Wald umgeben war, und dahinter erstreckten sich die Berge, die das Tal säumten. Das Silbertal war nahezu unbewohnt, außer dem Haus der Lindners gab es nur zwei Bauernhöfe, ansonsten lebte niemand hier. Etwa eine halbe Stunde Fußweg vom Haus der Lindners entfernt lag das nächste Dorf, Seeburg. Hier gingen Robert, Marie und Klaus zur Schule, und ihr Vater Herbert arbeitete in der Bank. Herbert hatte das Landhaus von seinen Großeltern, die einst darin gelebt hatten, geerbt. Die ganze Familie war überaus glücklich, auf einem so schönen Fleckchen Erde zu leben, und niemand von ihnen hätte sich vorstellen können, irgendwo anders zu wohnen. Denn so schön wie im Silbertal konnte es nirgendwo sonst auf der Welt sein, darin waren sich alle fünf einig.

„Ja, ich kann es auch kaum erwarten, bis Laura und Paul endlich da sind“, meinte Marie und wippte ungeduldig mit den Beinen unter dem Tisch auf und ab.

Marie hatte blaue Augen und feuerrote, schulterlange Locken, die sie zu einem kecken Pferdeschwanz gebunden trug, der bei jeder Bewegung fröhlich hin und her schwang. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen geradezu übersät, und sie trug eine blaue Brille mit runden Gläsern. Sie hasste es, dass sie eine Brille brauchte, weil sie sie beim Schwimmen abnehmen musste und ihre Umgebung dann nur ganz verschwommen wahrnehmen konnte. Aber daran ließ sich leider nichts ändern.

Obwohl Marie im April bereits dreizehn Jahre alt geworden war und ihr Körper erste Ansätze einer weiblichen Figur zeigte, war sie immer noch ein richtiger Wildfang. Sie besaß ein ungestümes Temperament und konnte sehr schnell wütend werden, aber sie beruhigte sich meist auch rasch wieder. Außerdem war Marie stets auf der Suche nach einem Abenteuer. Sie liebte es, mit ihren Brüdern draußen herumzutoben, im Wald ausgiebige Spaziergänge zu machen, auf Bäume zu klettern und im Silbersee zu baden oder Ausfahrten mit ihrem kleinen Ruderboot zu unternehmen. Das Mädchen war äußerst begabt im Klettern, Schwimmen und Rudern und konnte nicht lange stillsitzen. Wenn Ferien waren und draußen die Sonne schien, so wie an diesem Morgen, dann konnte nichts und niemand sie im Haus halten – dann lief sie nach draußen, streifte durch den Wald, badete im See und hielt Ausschau nach Bäumen, die sich gut zum Klettern eigneten. Dafür wurde man einfach nie zu alt, fand Marie, und sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, eines Tages vielleicht einmal andere Interessen zu entwickeln. Manche Mädchen in ihrer Klasse hatten sich im vergangenen Schuljahr nur noch für Kleidung, Schminke, Schauspieler und Jungen interessiert, doch Marie fand all diese Dinge langweilig. Sie dachte lieber an die herrlichen Abenteuer, die sie gemeinsam mit ihren Brüdern, ihrem Cousin Paul und ihrer Cousine Laura bereits erlebt hatte. Das waren schließlich wirklich aufregende Erlebnisse gewesen. Welche Bedeutung hatten im Vergleich dazu schon schöne Kleider oder irgendwelche Filmstars, die ja nicht einmal wussten, dass sie, Marie Lindner, überhaupt existierte?

„Ich freue mich auch schon sehr darauf, wenn Paul und Laura heute Abend kommen. Es ist toll, dass sie wieder drei ganze Wochen hierbleiben werden“, meinte Robert, während er sich eine weitere Brotscheibe mit Marmelade bestrich.

Robert war Ende Juni bereits fünfzehn Jahre alt geworden und in den letzten Monaten stark gewachsen. Inzwischen war er fast so groß wie sein Vater und vom vielen Rudern und Klettern auch kräftig. Marie fand es manchmal unfair, dass ihr Bruder nun über einen Kopf größer war als sie und sie ihn bei einem Wettlaufen oder Wettschwimmen nicht mehr einholen konnte. Aber so war nun einmal der Lauf der Dinge.

Robert hatte, genau wie sein kleiner Bruder Klaus, dunkelbraune Locken, blaue Augen und ein sommersprossiges Gesicht. Die beiden Brüder ähnelten einander wirklich sehr. Hätte nicht ein Altersunterschied von über fünf Jahren die beiden getrennt, hätte man sie glatt für Zwillinge halten können. Im Gegensatz zu seiner Schwester Marie war Robert ein besonnener, vernünftiger Junge mit einem ausgeglichenen Wesen. Er dachte stets nach, bevor er etwas sagte oder tat, und war immer darauf bedacht, höflich und gerecht zu sein. Bei ihren vergangenen Abenteuern war er stets derjenige gewesen, der die anderen vor möglichen Gefahren gewarnt und auf Risiken hingewiesen hatte. Doch Marie und auch sein Cousin Paul waren beide so ungestüm und unternehmungslustig, dass sie seine Warnungen jedes Mal in den Wind geschlagen und sich Hals über Kopf ins Abenteuer gestürzt hatten. Dann hatte Robert die anderen trotz seiner Bedenken stets begleitet, denn es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, seine Geschwister und seinen Cousin und seine Cousine alleine zu lassen. Da er der Älteste war, fühlte er sich für die Sicherheit der anderen verantwortlich, und er bewahrte stets einen kühlen Kopf, wenn es brenzlig wurde. Auf Robert konnte man sich wirklich immer verlassen.

„Ja, es wird bestimmt wieder eine schöne Zeit werden, wenn Laura und Paul hier sind“, meinte auch Herbert und schenkte sich noch Kaffee nach.

Herbert hatte genau wie seine beiden Söhne dunkelbraune Locken und blaue Augen, nur die Sommersprossen hatten die Kinder von ihrer Mutter geerbt. Er war ein gutmütiger, lebenslustiger Mann Anfang vierzig, der seine drei Kinder über alles liebte und immer zu einem Scherz aufgelegt war.

„Ja, gewiss. Aber ich hoffe nur, dass ihr nicht wieder ein Abenteuer erleben werdet, so wie in den letzten Jahren. Ich will mir nämlich nicht wieder Sorgen um euch machen und Angst haben, dass ihr gefährlichen Verbrechern in die Hände gefallen sein könntet“, erklärte Barbara mit besorgter Miene.

Barbara hatte ebenso feuerrote, lockige Haare wie ihre Tochter und auch genauso viele Sommersprossen. Sie war eine fröhliche, lebhafte Frau Ende dreißig, die ihren Kindern gerne viele Freiheiten gewährte, aber sich auch oft um sie sorgte.

„Also, ich hätte nichts gegen ein neues Abenteuer einzuwenden“, behauptete Marie grinsend, während sie ihr Brot mit der cremigen Butter bestrich. „Seit unserem letzten Abenteuer ist immerhin schon ein Jahr vergangen, ich finde, da hatten wir alle lange genug eine ruhige Zeit. Jetzt möchte ich endlich einmal wieder etwas Aufregendes erleben.“

„Aber Marie!“ Barbara bedachte ihre Tochter mit einem strengen Blick und schüttelte missbilligend den Kopf. „Also wirklich! Wie kannst du nur so etwas sagen? Ich hatte gehofft, du würdest ein wenig ruhiger und vernünftiger werden, wenn du älter wirst, aber meine Hoffnung scheint sich nicht zu erfüllen. Du bist der gleiche Wildfang wie eh und je.“ Barbara seufzte, konnte sich dann jedoch ein nachsichtiges Lächeln nicht verkneifen. Sie liebte ihre drei Kinder sehr, und sie war stolz auf ihre unerschrockene Tochter, die sich durch nichts so leicht einschüchtern ließ und in ihren vergangenen Abenteuern schon oft bewiesen hatte, wie tapfer sie war. Doch leider war sie auch leichtsinnig, und ihr unstillbarer Hunger nach Abenteuern verleitete sie so manches Mal dazu, etwas Riskantes zu tun, und das bereitete Barbara Sorgen. Bis jetzt waren zum Glück alle Abenteuer der Kinder gut ausgegangen, aber das musste ja nicht immer so bleiben. Es bestand die Möglichkeit, dass sie einmal nicht heil aus einer gefährlichen Situation herauskamen, und davor hatte Barbara große Angst.

Robert schien die ernste Sorge in den Augen seiner Mutter zu bemerken, denn er legte sein Brot, von dem er gerade abbeißen wollte, zurück auf den Teller, griff nach der Hand seiner Mutter und drückte sie.

„Mach dir keine Sorgen, Mutti, ich werde schon auf die anderen aufpassen und zusehen, dass sie keine Dummheiten machen. Immerhin bin ich jetzt wirklich kein Kind mehr. Ich werde dafür sorgen, dass niemand von uns in diesen Ferien in Gefahr gerät, das verspreche ich“, verkündete der Junge ernst.

Barbara schenkte ihrem Ältesten ein dankbares Lächeln und erwiderte seinen Händedruck. „Ja, zum Glück bist du so vernünftig, Robert“, sagte sie erleichtert.

„Ich bin auch vernünftig, Mutti!“, wandte da Klaus mit gespielter Empörung ein.

Herbert lächelte und fuhr seinem Jüngsten mit der Hand durch die wuscheligen Locken. „Natürlich bist da das, mein Kleiner“, stimmte er ihm zu.

„Ich bin nicht mehr klein! Ende des Monats werde ich schon zehn!“, rief Klaus entrüstet.

Klaus war ein wirklich gutmütiger Junge, doch wenn es eine Sache gab, die ihn regelmäßig wütend machte, dann war es der Umstand, dass er jünger und kleiner war als seine Geschwister und nicht immer alles konnte und durfte, was sie konnten und durften. Das war ungerecht, fand Klaus und wünschte sich sehnlichst, älter und größer zu sein. Aber immerhin war er nun schon fast zehn und hatte bereits die Volksschule beendet. Da durfte einfach niemand mehr behaupten, er sei noch klein, fand Klaus.

„Entschuldige, Klaus, ich weiß doch, dass du schon groß bist“, beteuerte Herbert reumütig und hob begütigend die Hände. „Ich hoffe, du kannst mir verzeihen“, bat er in gespielter Demut.

Da musste Klaus grinsen, und er nickte eifrig. „Natürlich, Papa“, sagte er großmütig und griff nach dem Honigglas, um sich seine dritte Brotscheibe damit zu bestreichen. Von Süßem konnte Klaus nämlich nie genug bekommen.

„Also, Klaus ist nicht mehr klein, und ich bin auch nicht so unvernünftig, wie du denkst, Mutti“, behauptete Marie ernsthaft. „Ich werde mich nämlich bestimmt nicht freiwillig in irgendeine Gefahr begeben. Aber falls wir zufällig in ein Abenteuer geraten sollten, hätte ich eben nichts dagegen. Und da wir schon fünf Abenteuer unbeschadet überstanden haben, würden wir bestimmt auch ein sechstes erfolgreich meistern, daran habe ich überhaupt keine Zweifel“, fügte sie selbstbewusst hinzu.

„Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ihr würdet vermutlich wieder die Verbrecher überlisten und irgendwo einsperren, wie ihr es schon oft getan habt“, stimmte Barbara ihrer Tochter mit einem Schmunzeln zu.

„Ganz genau, du brauchst dir also wirklich keine Sorgen zu machen, Mutti“, bekräftigte sie Klaus und biss herzhaft von seinem dick bestrichenen Honigbrot ab.

Barbara lachte und griff nach ihrer Kaffeetasse. „Ist ja schon gut, Kinder, ihr habt mich davon überzeugt, dass ich keine Angst um euch haben muss“, erklärte sie schmunzelnd.

„Außerdem werden sich ja nicht schon wieder irgendwelche finsteren Gestalten hier in unserem schönen Silbertal herumtreiben. In der Verbrecherwelt muss sich mittlerweile ja schon herumgesprochen haben, dass es hier ein paar pfiffige junge Leute gibt, die allen Halunken eine Falle stellen und dafür sorgen, dass sie ins Gefängnis wandern. Da traut sich gewiss kein zwielichtiger Geselle mehr in unser Tal“, scherzte Herbert mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Bei diesen Worten mussten alle lachen.

„Ja, Papa, da hast du sicher recht“, pflichtete ihm Robert bei und grinste ebenfalls. „Mit uns fünf wird es kein Verbrecher freiwillig aufnehmen. Wir sind schließlich klüger als sie.“

„Oh ja, das sind wir“, meinte auch Marie mit einem schelmischen Grinsen. „Wir sind klüger und mutiger als alle Verbrecher auf dieser Welt!“

Ein spontaner Ausflug

Habt ihr nicht Lust, heute die Stadlers zu besuchen? Dann seid ihr abgelenkt, und die Zeit, bis Laura und Paul ankommen, vergeht schneller“, schlug Barbara ihren Kindern vor, als sie den Frühstückstisch abgeräumt hatten.

„Oh ja, das ist eine gute Idee“, freute sich Klaus sogleich, und auch Robert und Marie waren einverstanden.

Die Stadlers waren ein älteres Ehepaar, das auf einem der beiden Bauernhöfe im Silbertal wohnte. Der Hof der Stadlers lag sehr weit abgelegen am anderen Ende des Tals. Vom Haus der Lindners aus musste man etwa eine Dreiviertelstunde lang zu Fuß gehen, um ihn zu erreichen. Die Stadlers bekamen deshalb nicht oft Besuch, und sie freuten sich jedes Mal sehr, wenn sie die Kinder sahen. Es waren nette, herzliche Leute, und Robert, Marie und Klaus mochten die Stadlers gern.

„Nehmt aber etwas zu trinken mit, der Weg ist weit“, riet Barbara den Kindern.

„Natürlich, Mutti“, sagte Robert und füllte eine Flasche mit Wasser, während Klaus einen Rucksack holte.

„Was haltet ihr davon, wenn wir unseren Besuch bei den Stadlers gleich mit einem Ausflug verbinden und zu Mittag dort in der Gegend ein Picknick machen?“, schlug Marie vor, und ihre blauen Augen funkelten hinter ihren Brillengläsern, wie sie es immer taten, wenn sich das Mädchen besonders freute.

„Das ist eine tolle Idee!“, rief Klaus sofort, der gerade mit dem Rucksack in der Hand in die Küche gestürmt kam. „Wir dürfen doch, Mutti, oder?“ Klaus blickte flehend zu seiner Mutter hoch, und Barbara nickte lächelnd.

„Natürlich dürft ihr“, sagte sie freundlich. „Ich bin ganz froh, wenn ihr heute unterwegs seid und mir nicht den ganzen Tag lang damit in den Ohren liegt, dass die Zeit so langsam vergeht und ihr es nicht erwarten könnt, bis Laura und Paul endlich ankommen“, gab sie lachend zu.

Marie grinste und fiel ihrer Mutter stürmisch um den Hals. „Oh danke, Mutti! Das wird bestimmt ein toller Tag!“, rief sie begeistert und strahlte über das ganze sommersprossige Gesicht.

Klaus hüpfte derweil jubelnd um sie herum, und Robert freute sich ebenfalls, auch wenn er das nicht ganz so lautstark kundtat wie seine beiden jüngeren Geschwister.

„Aber geht nicht zu weit fort, hört ihr?“, ermahnte sie Herbert, der soeben in die Küche trat.

„Nein, gewiss nicht, Papa“, versicherte Robert und packte noch eine zweite Wasserflasche in den Rucksack.

„Wir brauchen auch etwas zu essen, wenn wir über Mittag wegbleiben“, stellte Klaus fest und überlegte bereits, welche Köstlichkeiten sie für das Picknick einpacken sollten.

„Ja, natürlich braucht ihr das. Aber ihr werdet euch euer Picknick diesmal selbst herrichten müssen. Ich will noch ein wenig aufräumen und saubermachen, bevor Paul und Laura ankommen“, erklärte Barbara.

„Das ist kein Problem, Mutti. Wir sind schon lange groß genug, um uns selbst ein Picknick zu richten“, erwiderte Marie unbekümmert.

„Ja, selbstverständlich seid ihr das. Aber wir sind eben alle verwöhnt von Helga“, erwiderte Herbert schmunzelnd.

Helga war die Köchin und Haushälterin der Familie. Sie war eine fröhliche, rundliche, kleine Frau von fünfundsechzig Jahren, die schon seit vielen Jahren bei den Lindners arbeitete und von allen sehr geschätzt wurde. Helga war beinahe so etwas wie ein Familienmitglied, denn sie hatte sogar ein eigenes Zimmer im Haus der Lindners und wohnte hier. Das Zimmer war jedoch durch eine Mauer vom Wohnbereich der Lindners abgetrennt und konnte nur über die Hintertreppe erreicht werden. Zurzeit hatte Helga gerade Urlaub und war seit einer Woche bei ihrer Schwester auf Besuch. Doch sie würde noch an diesem Abend wieder zurückkommen, und zwar mit dem gleichen Zug wie Paul und Laura. Die Kinder freuten sich bereits, die freundliche Haushälterin wiederzusehen. Denn niemand auf der Welt buk bessere Kuchen als Helga oder vermochte köstlichere Picknicks zusammenzustellen als sie.

Doch die Kinder schafften es natürlich auch ohne Helgas Hilfe, ein schmackhaftes Picknick zu richten. Sie schnitten dicke Brotscheiben ab, bestrichen sie mit Butter und belegten sie mit Schinken, Käse und aufgeschnittenen, hartgekochten Eier. Dazu packten sie Tomaten und Gurken ein sowie für jeden einen Apfel, ein paar Kirschen und eine Tüte mit Keksen.

„So, ich glaube, das ist genug“, meinte Robert und schnürte den randvollen Rucksack zu.

„Ja, ich denke auch, dass wir heute nicht verhungern werden“, bemerkte Marie grinsend.

Die drei Geschwister verabschiedeten sich von ihren Eltern und machten sich gutgelaunt auf den Weg. Sie spazierten fröhlich plaudernd die ungepflasterte Straße entlang, die von Seeburg ins Silbertal führte. Die Augustsonne schien von einem strahlendblauen Himmel, und ein laues Lüftchen regte sich und strich den Kindern sanft übers Gesicht. Klaus pfiff glücklich vor sich hin und ließ seinen Blick über die Wiesen schweifen, die die Straße zu beiden Seiten säumten. Die Gräser wuchsen hoch, und zwischen ihnen blühten zahlreiche bunte Wiesenblumen, die von Bienen umschwärmt wurden. Hinter den Wiesen erstreckte sich der Wald, und dahinter erhoben sich die Berge. Die Gegend war wirklich wunderschön, und die Geschwister dachten wieder einmal, wie gut sie es doch hatten, hier inmitten dieser malerischen Landschaft aufwachsen zu dürfen.

Nach einer Weile wurde die Straße schmäler, und bald bestand sie nur noch aus zwei schmalen Fahrspuren, zwischen denen Unkraut wucherte. Der Weg führte schließlich durch ein lichtes Waldstück, und die Geschwister atmeten tief die frische, klare Waldluft ein. Hinter dem Waldstück lag eine Wiese, die von einem munter vor sich hin plätschernden Bach durchzogen wurde, und am anderen Ende der Wiese befand sich bereits der Bauernhof der Stadlers.

„Seht doch nur, Herr Stadler ist gerade auf der Weide!“, rief Klaus fröhlich und winkte dem Bauern, während sie näherkamen.

Herr Stadler, der gerade nach seinen Schafen sah, die auf der Weide vor dem Hof grasten, blickte auf und winkte fröhlich zurück.

„Robert, Marie, Klaus, wie schön, dass ihr uns besucht!“, grüßte der Bauer erfreut und trat an den Weidezaun heran.

Herr Stadler war ein drahtiger Mann Anfang sechzig mit grauen Haaren, grauem Bart und freundlich dreinblickenden, braunen Augen.

„Guten Tag, Herr Stadler, wir dachten uns, wir statten Ihnen mal wieder einen Besuch ab“, sagte Robert höflich, und auch Marie und Klaus grüßten den Bauern.

„Über Besuch freue ich mich immer“, meinte Herr Stadler vergnügt. „Möchtet ihr mal die Schafe streicheln? Die Lämmer sind schon ein schönes Stück gewachsen, seit ihr drei das letzte Mal hier wart.“

„Ja, das sind sie tatsächlich“, stellte Marie fest und betrachtete verzückt die niedlichen Lämmer.

Die drei Kinder kletterten geschickt über den Weidezaun und streichelten die weiche Wolle der Schafe. Eines der Lämmer leckte Klaus keck über die Hand, und der Junge lachte vergnügt. Es gab doch wirklich nichts Niedlicheres auf der Welt als verspielte Lämmer, fand er.

Die Geschwister hielten sich eine Weile bei den Schafen auf und gingen dann zum Bauernhaus hinüber, um Frau Stadler zu begrüßen. Das Haus der Stadlers war in einem hübschen Hellgrün gestrichen und hatte braune Fensterläden und eine braune Haustür, die tagsüber niemals abgesperrt wurde. Die Kinder klopften an und traten ein.

„Guten Tag Frau Stadler!“, rief Marie fröhlich.

Die Bauersfrau trat aus der Küche und wischte sich eilig die Hände an der mehlbestaubten Schürze ab.

„Oh, hallo Kinder! Das ist aber eine nette Überraschung!“, freute sie sich.

Frau Stadler war eine zierliche, kleine Frau mit aufgesteckten grauen Haaren und blauen Augen. Sie war ein ebenso herzensguter Mensch wie ihr Mann, und die Kinder mochten sie sehr.

„Ich bin gerade dabei, einen Kuchen zu backen. Wollt ihr ein Stück haben, wenn er fertig ist?“, fragte sie freundlich.

Klaus lief bei diesen Worten sogleich das Wasser im Mund zusammen, doch zu seinem Bedauern erwiderte Robert: „Es tut uns leid, Frau Stadler, aber so lange können wir nicht bleiben. Wir wollen heute nämlich noch einen Ausflug machen und zu Mittag picknicken.“

„Ich verstehe. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr ja nach eurem Ausflug noch ein Stück Kuchen haben und euch für den Heimweg stärken“, bot die Bauersfrau lächelnd an.

„Oh ja, prima! Das machen wir!“, freute sich Klaus und grinste von einem Ohr bis zum andern. Er liebte Kuchen über alles, und die Kuchen von Frau Stadler schmeckten fast ebenso lecker wie die von Helga.

Die Bauersfrau strahlte. „Fein, dann kommt einfach nach eurem Ausflug in die Küche herein. Wollt ihr vielleicht noch ein Glas Milch trinken, bevor ihr aufbrecht?“

„Oh ja, bitte“, sagte Marie, und die Kinder folgten Frau Stadler in die Küche, wo sie ihnen aus einem Krug cremige Milch in drei Becher einschenkte.

Die Milch schmeckte bei den Stadlers immer besonders gut, weil sie nicht in einem Laden gekauft wurde, sondern von ihrer eigenen Kuh stammte.

Als die Geschwister ihre Milch ausgetrunken hatten, plauderten sie noch eine Weile mit Frau Stadler, dann traten sie wieder in den Hof hinaus. Eine getigerte Katze räkelte sich genüsslich in der Sonne, und Marie hockte sich neben sie und kraulte sie zwischen den Ohren. Das mochte die Katze der Stadlers besonders gern, und sie stieß ein zufriedenes Schnurren aus.

„Was haltet ihr davon, wenn wir heute auf das Mittelhorn steigen?“, schlug Marie vor und blickte zu ihren Brüdern auf.

„In Ordnung“, sagte Robert. „Wir könnten auf dem Berg oben unser Picknick machen. Da haben wir eine herrliche Aussicht.“

„Ja, das wird sicher toll!“, stimmte Klaus begeistert zu und beugte sich ebenfalls zu der Katze hinab, um sie zu streicheln.

„Aber dann sollten wir jetzt losgehen, immerhin dauert es etwa eineinhalb Stunden, bis wir auf dem Berg oben sind“, bemerkte Robert.

„Ich weiß gar nicht, ob ich es so lange aushalte, ohne etwas zu essen“, wandte Klaus ein.

Marie lachte. „Na, du hast ja heute auch nur fünf Honigbrote zum Frühstück vertilgt. Kein Wunder, dass du da bald wieder Hunger hast“, neckte sie ihren kleinen Bruder.

Klaus grinste verschmitzt. „Ja, da muss ich bald wieder etwas essen“, erklärte er mit gespieltem Ernst. „Aber es waren übrigens nur drei Honigbrote.“

„Na, auch recht“, erwiderte Robert lachend. „Kommt, verabschieden wir uns von Herrn Stadler und gehen wir los. Sonst bekomme ich auch noch Hunger, bevor wir die Lichtung auf dem Berg erreicht haben.“

Die Geschwister liefen zu dem Bauern, der gerade von der Schafweide zurückkam, und wünschten ihm einen schönen Tag. Dann machten sie sich voller Vorfreude auf ihr Picknick auf den Weg. Vor ihnen lagen ein paar herrliche Stunden mitten in der Natur, und am Abend würden Laura und Paul kommen. Dieser Tag würde wirklich wunderbar sein, da waren sie sich einig.

Auf dem Mittelhorn

Gleich hinter dem Bauernhof der Stadlers begann der Wald. Er war an dieser Stelle viel dichter bewachsen als das Waldstück, das sie vorhin durchquert hatten. Der Wald verlief nur ein kleines Stück eben, dann wurde es bereits hügelig, da sich hier die ersten Ausläufer der Berge erstreckten. Robert, Marie und Klaus kannten sich in dieser Gegend zwar nicht so gut aus wie in dem Waldstück, das in der Nähe ihres Zuhauses lag, doch sie waren schon mehrmals auf dem Mittelhorn gewesen und kannten den Weg, der den Berg hinaufführte, genau.

Robert ging voran, und Klaus und Marie folgten ihm, denn der Waldweg war viel zu schmal, als dass sie nebeneinander hätten gehen können. Die Vögel zwitscherten munter in den Bäumen, und von Zeit zu Zeit sah man ein Eichhörnchen flink von Ast zu Ast hüpfen. Die drei Geschwister genossen es, im Wald unterwegs zu sein. Ein Waldspaziergang an einem sonnigen Ferientag war eines der schönsten Dinge, die es im Leben gab, fanden sie.

Sie folgten dem Lauf des Baches, der sich mitten durch den Wald schlängelte, und schritten den Hügel hinauf. Das Gelände wurde zunehmend steiler, und der Wasserlauf des Baches verschwand schließlich unter der Erde. Nach einer guten Stunde hatten sie die Lichtung erreicht, die sich bereits ziemlich weit oben auf dem Mittelhorn befand. Oberhalb der Lichtung wuchsen nur noch vereinzelt Bäume, und es wurde steiler und felsiger.

„Geschafft!“, rief Klaus und ließ sich ins Gras plumpsen. „Mein Magen knurrt bereits.“

Robert lachte und nahm den Rucksack mit dem Proviant ab. „Ich bin inzwischen auch hungrig geworden“, verkündete er und ließ sich neben seinem Bruder ins Gras sinken.

„Ja, ich ebenfalls“, sagte Marie und setzte sich zu den Jungen. „Von hier oben hat man wirklich eine herrliche Aussicht“, schwärmte sie. „Es ist nur schade, dass wir kein Fernglas haben, damit könnten wir noch viel weiter sehen.“

„Paul hat sein Fernglas immer dabei“, bemerkte Klaus und sah ungeduldig zu, wie sein Bruder den Rucksack öffnete und die Wasserflaschen und Jausenpakete hervorholte.

„Ja, das stimmt. Wenn Paul und Laura hier sind, müssen wir noch einmal herkommen, dann können wir durch Pauls Fernglas hindurchsehen und die Aussicht bewundern“, beschloss Marie und ließ ihren Blick über den dicht bewaldeten Hügel hinab ins Tal schweifen.

„Wisst ihr noch, wie wir letztes Jahr in den Osterferien hier auf dem Mittelhorn ein aufregendes Abenteuer erlebt haben?“, fragte Klaus und nahm die Wasserflasche entgegen, die Robert ihm reichte. Der Junge trank gierig und wischte sich dann mit dem Handrücken über die feuchten Lippen.

„Oh ja, natürlich wissen wir das noch“, sagte Marie und wickelte ein Brot, das mit aufgeschnittenen Eiern belegt war, aus dem Backpapier. „Das war ein tolles Abenteuer!“

„Ja, es war wirklich aufregend, was wir damals erlebt haben, und es war auch ganz schön gefährlich. Wenn ich daran denke, wie diese Doris Paul und mich damals mit ihrer Pistole bedroht hat, läuft es mir immer noch kalt über den Rücken. Es ist ein Wunder, dass ich davon keine Albträume bekommen habe“, erwiderte Robert und biss herzhaft in ein Schinkenbrot.

„Aber es war ja zum Glück nur eine Spielzeugpistole“, erinnerte sich Marie.

„Ja, aber das wussten wir nicht, als sie uns damit bedroht hat. Ich habe noch nie in meinem Leben solche Angst ausgestanden wie damals“, erklärte Robert und schüttelte sich bei der schaurigen Erinnerung. „Ich hoffe, dass ich nie wieder mit einer Waffe bedroht werde.“

„Das wirst du bestimmt nicht“, meinte Marie unbekümmert. „Habt ihr Lust, dass wir nachher noch einen Abstecher in die Höhlen machen?“ Sie blickte fragend zu ihren Brüdern, und ihre blauen Augen funkelten vor Unternehmungslust hinter ihren Brillengläsern.