Die kleine Strandbar - Fenna Janssen - E-Book
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Die kleine Strandbar E-Book

Fenna Janssen

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Beschreibung

Ein Sommer voller Liebe, Limetten und frischer Minze.

Als ihre Chefin Vroni ihr Schuhgeschäft in Bayern schließen muss, wagt Sara einen Neuanfang auf Langeoog. Vielleicht gelingt es ihr hier, endlich über ihren eigenen Schatten zu springen und ihren Traum, Cocktails zu mixen, zu verwirklichen. Weil Vroni sie nicht allein an die Nordsee ziehen lassen kann, kommt sie kurzerhand einfach mit. Denn Sara hängt noch immer ihrem Urlaubsflirt von vor fünf Jahren nach. Doch Keno erinnert sich nicht an sie und dann steht plötzlich auch noch Benedikt, ein ehemaliger Kunde, vor ihr ...

Vom Allgäu an die Nordsee. Romantisch und voller Witz – das perfekte Lesevergnügen für den Strandkorb.

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Über das Buch

Ein Sommer voller Liebe, Limetten und frischer Minze

Als ihre Chefin Vroni ihr Schuhgeschäft in Bayern schließen muss, wagt Sara einen Neuanfang auf Langeoog. Vielleicht gelingt es ihr hier, endlich über ihren eigenen Schatten zu springen und ihren Traum, Cocktails zu mixen, zu verwirklichen. Weil Vroni sie nicht allein an die Nordsee ziehen lassen kann, kommt sie kurzerhand einfach mit. Denn Sara hängt noch immer ihrem Urlaubsflirt von vor fünf Jahren nach. Doch Keno erinnert sich nicht an sie und dann steht plötzlich auch noch Benedikt, ein ehemaliger Kunde, vor ihr.

Vom Allgäu an die Nordsee

Romantisch und voller Witz – das perfekte Lesevergnügen für den Strandkorb

Über Fenna Janssen

Fenna Janssen wurde in Lübeck geboren und wuchs in Hamburg auf. Viele Jahre war sie als Journalistin für diverse Zeitungen tätig. Inzwischen arbeitet sie erfolgreich als Autorin und bleibt auch in ihren Büchern ihrer norddeutschen Heimat treu.

Im Aufbau Taschenbuch sind bereits ihre Romane »Der kleine Inselladen« und »Das kleine Eiscafé« erschienen.

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Fenna Jannsen

Die kleine Strandbar

Roman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Teil 1 Mojito – süß wie die Sehnsucht

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Teil 2 Cosmopolitan – herb wie Kummer

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Teil 3 Capirinha und Liebe

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Impressum

Teil 1 Mojito – süß wie die Sehnsucht

1. Kapitel

Hoffentlich ging der Mann da draußen vor dem Schaufenster bald weiter! Er stand mit zur Seite geneigtem Kopf da, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und schien konzentriert ein Paar dunkelbraune Wildlederschuhe zu betrachten. In Wahrheit hielt er jedoch im Inneren des Ladens Ausschau nach Sara – das wusste sie genau. Um ihn herum floss das entspannte Leben in der Füssener Altstadt wie ein stetiger, ruhiger Strom – aber dieser Kerl rührte sich nicht vom Fleck, die Passanten mussten ihm ausweichen wie einem Tisch in einem Café.

»Der schon wieder!«, sagte Sara seufzend.

»Wer?«, fragte Vroni und sah von dem dicken Briefumschlag hoch, den sie seit zehn Minuten ungeöffnet in den Händen hielt. Dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Wie nett! Der reizende Benedikt Hoffmann!«

Vroni redete ihre Stammkunden ausschließlich mit Vor- und Zunamen an und fand sie allesamt entweder nett, reizend oder charmant – wobei die Zahl ebendieser geschätzten Stammkunden von Vronis Schuheck in den letzten Jahren rapide zurückgegangen war. Vielleicht, so dachte Sara, war ihre Chefin ja deshalb so begeistert von diesem einen Mann, der mindestens einmal im Monat vorbeikam.

»Der ist nicht reizend«, murmelte sie und senkte den Blick wieder auf den Schuhkarton in ihren Händen. »Der ist seltsam.«

»Unsinn, Kind. Das redest du dir ein!« Vroni Schwarz war 62 und damit fast dreißig Jahre älter als Sara – ein Umstand, der sie ihrer Meinung nach dazu befähigte, ihrer Angestellten und besten Freundin gute Ratschläge fürs Leben zu geben.

Einen weiteren Seufzer unterdrückte Sara lieber. Sie legte sich nicht gern mit Vroni an. Eigentlich stritt sie sich grundsätzlich nicht mit anderen Leuten, lieber ließ sie jedem seine Meinung und hielt den Mund.

Im Stillen jedoch dachte sie: Dieser Mann ist wirklich seltsam!

Vor ziemlich genau einem Jahr war er zum ersten Mal aufgetaucht. Es war ein ähnlich warmer Junitag wie heute gewesen, leicht verwirrt hatte er nach dem hellen Sonnenschein draußen in das Dämmerlicht geblinzelt und sich dann umgesehen. Er war ein großer, schlaksiger Typ mit hängenden Schultern, die ihn kleiner wirken ließen. Schöne Haare, hatte Sara damals gedacht und einen zweiten Blick auf die schwarzen, schulterlangen Locken geworfen. Und schöne schwarze Augen.

Dann hatte sie schnell weggesehen, weil sie gespürt hatte, wie sie vor lauter Verlegenheit rot angelaufen war. Und während sie nach hinten ins Lager geflüchtet war, hatte sie gehört, wie Vroni ihn nach seinen Wünschen fragte.

»Ein sehr netter junger Mann«, hatte die Chefin eine halbe Stunde später zu ihr gesagt. »Geradezu reizend. Er hat dir übrigens nachgeschaut.«

Sara war lieber nicht weiter darauf eingegangen.

Seitdem kam Benedikt Hoffmann regelmäßig in den Laden, redete nur wenig, wirkte auf seltsame Weise fast durchsichtig, blickte Sara aber stets an und kaufte ein Paar Schuhe nach dem anderen. Mittlerweile hatte er bestimmt genug für den Rest seines Lebens.

Sara linste kurz zum Schaufenster und sah, dass er immer noch draußen stand. Dann bemerkte sie den teils resignierten, teils hoffnungsvollen Blick ihrer Chefin – und schämte sich augenblicklich für ihre abfällige Bemerkung über diesen Kunden. Sie wusste ja, es stand nicht gut um Vronis Schuheck.

Um es wiedergutzumachen nahm Sara ihren ganzen Mut zusammen, ging zur Ladentür und öffnete sie.

»Grüß Gott …«, brachte sie hervor, bevor sie erschrocken abbrach. Herzlich willkommen, treten Sie ein, hatte sie noch hinzufügen wollen, aber die Worte erstarben in ihrer Kehle, bevor sie ausgesprochen werden konnten, weil Benedikt Hoffmann sie regelrecht erschrocken, fast abgestoßen anschaute.

Augenblicklich trat Sara den Rückzug an. Sie eilte durch den Laden und machte erst hinten im Lager Halt. Zwischen hohen Regalen und verstaubten Kartons fühlte sie sich einigermaßen sicher. Sie hasste es, so angestarrt zu werden! Sie fühlte sich einfach nicht wohl, wenn sie die Aufmerksamkeit anderer Leute auf sich zog. Sara litt unter extremer Schüchternheit, und in schlimmen Momente half nur die Flucht.

Was war denn bloß mit dem los?, dachte sie. So hässlich bin ich nun auch wieder nicht. Sara war 35 Jahre alt und hielt sich für nicht besonders hübsch. Alles an ihr war mittelmäßig, die geringe Größe, das schmale Gesicht, die knabenhafte Figur, die braunen Augen und die Haare, die nur einen halben Ton heller waren.

Trotzdem! Er hätte wenigstens freundlich nicken oder zumindest lächeln können!

Was glaubte der denn, wer er war? Ein Märchenprinz von einer der berühmten Allgäuer Burgen? Gar eine Art moderner Ludwig II, der auf einem weißen Ross von Schloss Neuschwanstein nach Füssen galoppiert kam, um eine holde Maid zu entführen?

Pah! Er war bloß ein langweiliger Mann mit hängenden Schultern.

Maximal ein Erdbeer-Tonic.

Augenblicklich fühlte Sara sich ein bisschen besser. Hier, wo niemand sie sehen konnte, grinste sie sogar breit. Sie liebte es, Cocktails zu mixen. Und Menschen, so hatte sie schon vor Jahren festgestellt, ähnelten manchmal auf beinahe unheimliche Weise einem bestimmten Drink. Dieser Benedikt Hoffmann hatte nicht einmal genug Temperament für einen Schuss Rum, Gin oder Champagner. Der war alkoholfrei – wie ein Erdbeer-Tonic.

Immer noch grinsend setzte sie sich auf einen ausrangierten Hocker und ging im Geiste die Zutaten durch: 8 cl Tonic Wasser, 4 cl Erdbeersirup, 2 cl frischer Zitronensaft, ein paar Erdbeeren und Eiswürfel. Sirup und den Saft in ein mit Eiswürfeln gefülltes imaginäres Longdrinkglas geben, ein paar Erdbeeren dazu – dann wurde die Mischung mit Tonic gestreckt und noch einmal vorsichtig verrührt. Fertig. Mehr war nicht dran an dem Cocktail – und an dem Mann auch nicht. Sara nickte zufrieden. Benedikt Hoffmann würde niemals davon erfahren, aber sie hatte sich für seinen entsetzten Blick gerächt!

Während sie nebenan Vroni freundlich mit ihm sprechen hörte, stand sie auf und suchte nach der Lieferung vom Vormittag. Einmal pro Woche schickte ein Schuhmachermeister aus Kempten die bestellte Ware – Maßanfertigungen für die wenigen Kunden, die sich einen solchen Luxus leisten konnten. Der Paketbote war eingetroffen, kurz bevor sie Benedikt Hoffmann vor dem Schaufenster entdeckt hatte. Aber wo war die Lieferung?

Heute war Freitag, und freitags kam immer ein Paket aus Kempten. Sara runzelte die Stirn, als ihr wieder einfiel, dass der Bote nur einen dicken Briefumschlag für Vroni dabeigehabt hatte.

Die Stimme ihrer Chefin riss sie aus ihren Überlegungen.

»Sara, kommst du mal bitte?«

Der Kunde war bestimmt noch da, deshalb zögerte Sara auch sehr lange, bevor sie reagierte. Sie stellte sich vor, wie sie mit stolz erhobenem Kopf in den Verkaufsraum stolzieren würde und diesen Benedikt Hoffmann mit einer scharfen Bemerkung für seinen entsetzten Gesichtsausdruck strafen würde. Bei der Gelegenheit konnte sie auch noch den ausgedachten Erdbeer-Tonic über seinem Kopf ausgießen.

Als Vroni zum zweiten Mal rief, ging sie schließlich hinüber – mit vor der Brust verschränkten Armen, den Blick fest auf den abgetretenen Linoleumboden geheftet, alles andere als stolz und streitlustig. Innerlich zitterte sie vor Verlegenheit, und ihr Hals war schrecklich trocken.

»Herr Hoffmann fragt, ob wir die Wildlederschuhe noch eine halbe Nummer größer dahaben«, sagte Vroni, und ihrer Stimme war nicht anzuhören, ob sie sich über Sara ärgerte. »Ich habe ihm versprochen, du kümmerst dich darum. Ich muss mal kurz weg.«

Sie wedelte mit dem Briefumschlag und verließ den Laden, bevor Sara irgendetwas erwidern konnte.

Benedikt Hoffman hockte auf einem altmodischen Anprobierstuhl. Der linke Fuß steckte in einem Wildlederschuh, der rechte nur in einer schwarzen Socke. Seine langen Gliedmaßen wirkten irgendwie zusammengeklappt, den Kopf hielt er gesenkt. Er machte den Eindruck, als würde er sich am liebsten auch hinten im Lager verstecken. Fast gegen ihren Willen fand Sara ihn in dieser Haltung ein wenig sympathisch.

»Haben wir nicht«, murmelte sie.

»Wie bitte?« Er sprach mindestens genauso leise wie sie.

»Die Schuhe. Es gibt nur dieses Paar.«

»Oh, dann gehen die hier auch. Ganz wunderbar sogar. Bestimmt weiten sie sich noch beim Tragen.«

»Was haben Sie denn eigentlich für Füße?«

Wie er da so vor ihr saß, fühlte sie sich nicht ganz so befangen wie sonst. Bis zu diesem Tag hatte sich stets Vroni um ihn gekümmert, weil Sara ihm und anderen Kunden lieber aus dem Weg ging. Mit weiblicher Kundschaft kam sie besser zurecht, vor allem mit älteren Frauen. Auch bei Kindern konnte sie ihre Hemmungen ablegen. Aber Männer, vor allem sehr große, schüchterten sie ein.

Es sei denn, sie sitzen, fügte sie in Gedanken hinzu. Diese Erkenntnis war ihr schon vor Jahren gekommen, hatte ihr bislang jedoch keine wesentlichen neuen Möglichkeiten eröffnet.

Sara widmete sich wieder ihrem Kunden, der noch nicht auf ihre Frage reagiert hatte. »Nun?«

»Bedaure. Ich verstehe nicht …«

»Na, haben Sie besonders breite Füße? Oder schmale? Haben Sie schiefe Zehen? Oder ein Überbein?«

Mit fachmännischen Blick prüfte sie seinen bestrumpften rechten Fuß. Der sah eigentlich ganz normal aus.

»Nichts von alldem«, gab Benedikt Hoffmann irritiert zurück.

»Und warum … warum kaufen Sie dann bei uns?«

»Oh, ich …«

Er verstummte, beeilte sich, den neuen Schuh auszuziehen, und schlüpfte wieder in ein Paar leichte Mokassins, die er ebenfalls hier erstanden hatte.

Sara sagte nichts, wartete ab. Vermutlich war ihr Verhalten geschäftsschädigend, aber dieser Mann brachte sie einfach durcheinander.

»Ich … schätze gute Qualität«, brachte er schließlich hervor.

»Aha.«

»Und die reizende persönliche Beratung.« Er rang die Hände.

»So.« Täuschte sie sich oder zeichneten sich da Schweißperlen auf seiner Stirn ab?

Bevor Sara zu einem Ergebnis kommen konnte, stand Benedikt Hoffmann auf und überragte sie wieder um Haupteslänge. Seine Stirn konnte sie jetzt nicht mehr so gut sehen.

Eine Erinnerung stieg plötzlich in ihr auf, eine an einen anderen Mann, der noch ein Stück größer war als dieser hier, mit ungefähr doppelt so breiten Schultern. Ein Mann, stark wie seine norddeutsche Heimat. Für einen Moment sah sie wieder die Stranddünen vor sich, auf denen das lange Gras sanft im Wind schaukelte; im Geiste lief sie über einen Bohlenweg nach oben und blickte weit hinaus auf die glitzernde Nordsee, wo sich am Horizont die riesigen Containerschiffe klein wie Spielzeugboote abzeichneten; und sie atmete tief die gesunde, salzhaltige Luft ein.

»Keno«, flüsterte sie, und ihre Träume flogen über ganz Deutschland hinweg bis zur kleinen Insel Langeoog. Keno, daran erinnerte sie sich plötzlich, hatte bei ihrer ersten Begegnung im Sand gesessen.

»Verzeihung?«, fragte Benedikt Hoffmann.

Da war sie schlagartig wieder im Laden, der nach Leder und Schuhcreme roch – und bei ihr war nicht der fantastische Nordmann, sondern ein dünner, schwächlicher Kerl, den die erste steife Brise wahrscheinlich umpusten würde.

»Keno?«, wiederholte er. »Ist das eine neue Schuhmarke?«

Beinahe hätte Sara gelacht.

Sie bückte sich, packte die Wildlederschuhe zurück in den Karton und hob ihn hoch.

»Möchten Sie die kaufen?« Sie hatte es jetzt eilig, ihn loszuwerden. Es war nicht mehr lang bis zum Feierabend, und sie sehnte sich danach, allein zu sein und ihren Träumen nachzuhängen. Außerdem hatte sie jetzt wirklich genug von diesem Kunden. So viel wie an diesem Nachmittag hatten sie im gesamten vergangenen Jahr nicht miteinander geredet.

»Sehr gern«, sagte er.

Also ging sie zur Kasse, zog den Barcode über den Scanner und schaute zu, wie er sorgfältig die passende Summe abzählte.

Der Typ war auch noch richtig altmodisch, stellte sie fest. Wer zahlte heutzutage noch ohne Karte? Erst nach einem Moment bemerkte sie, dass sie fasziniert seine Hände beobachtete. Lang und schmalgliedrig waren sie, nicht breit und voller Schwielen wie Kenos Hände. Trotzdem strahlten sie etwas ausgesprochen Männliches aus.

Okay, entschied Sara. Jetzt bin ich es, die seltsam ist.

Sie beeilte sich, den Schuhkarton in eine Papiertüte zu stecken, und reichte sie über den Tresen.

»Auf Wiedersehen«, sagte sie noch.

»Hoffentlich recht bald«, murmelte Benedikt Hoffmann, lächelte flüchtig und verließ den Laden.

Sara schüttelte den Kopf. Dann beeilte sie sich, Ordnung zu schaffen, und wartete auf Vronis Rückkehr.

Eine ganze Stunde verging, bis die Chefin endlich wieder da war. Sara wunderte sich gewaltig, denn normalerweise ließ Vroni sie nie lange allein im Laden – sie wusste ja um Saras Schüchternheit und fürchtete stets, ihre Verkäuferin könnte die Kunden vergraulen. Sara rechnete es ihr hoch an, dass sie ihr trotzdem nie gekündigt hatte, und sie gab ihr Bestes, um für Vroni keine Last zu sein.

»Herr Hoffmann hat die Wilderlederschuhe gekauft«, sagte sie daher als Erstes.

Vroni nickte nur, und Sara wunderte sich noch mehr. Normalerweise konnte nichts die fröhliche Grundstimmung ihrer Chefin verderben. Sie mochte über sechzig sein, aber sie besaß die Lebensfreude und den Optimismus einer Zwanzigjährigen. Zu Saras leisem Staunen kleidete und stylte sie sich auch so und stieß damit im bürgerlichen Füssen auf so manch unverständlichen Blick. Heute trug sie knallenge schwarze Jeans und ein Top mit Spaghettiträgern, das ihre zahlreichen Tattoos zur Geltung brachte.

Sara hätte sich im Leben nicht in die Haut stechen lassen, aber Vroni liebte das. Sie behauptete, jedes neuen Tattoo mache sie ein Jahr jünger.

Sie war fast so etwas wie eine zweite Mutter für Sara. Deren Eltern waren bei einer Bergwanderung ums Leben gekommen, als sie noch ein Kleinkind gewesen war. Ihre Großmutter Maria hatte sie dann aufgezogen, und als Sara mit sechzehn bei Vroni in die Lehre gegangen war, hatte die Ladenbesitzerin sie unter ihre Fittiche genommen.

Ungefähr zur selben Zeit, vor fast zwanzig Jahren, hatte Vroni sich auf Komfortschuhe spezialisiert – ein Ausdruck, den sie hübscher fand als »orthopädische Schuhe«. Ihr Geschäft florierte, denn es gab keinen Spreiz-, Platt- oder Senkfuß im ganzen Allgäu, der bei ihr im richtigen Schuhwerk nicht Erleichterung fand. Mit den immer billigeren Angeboten im Internet konnte sie allerdings nicht konkurrieren, und ihren Kunden schien es inzwischen gleichgültig zu sein, ob ihre Füße wie auf Wolken liefen, oder ob der ein oder andere Spezialschuh doch hie und da drückte.

Sara ahnte, dass Vroni die größten Sorgen vor ihr verborgen hielt. Manchmal wünschte sie sich, mehr wie eine gleichberechtigte Partnerin behandelt zu werden.

»Wo warst du eigentlich?«, fragte sie daher.

Vroni schüttelte ihren Kopf, und ihre knallrot gefärbten Haare tanzten um ihre Schultern. »Nicht so wichtig. Hast du mit dem reizenden Benedikt Hoffmann endlich Freundschaft geschlossen?«

»Selbstverständlich nicht«, gab Sara empört zurück.Vroni warf ihr einen langen Blick zu. »Schade. Ihr zwei würdet wunderbar zusammenpassen.«

»Du machst Witze!«

»Nein.« Vronis Augen blitzten jetzt. »Ihr wärt ein tolles Paar.«

»Im Leben nicht!« Sie fragte sich, woher sie den Mut nahm, zu diskutieren. Aber diese Behauptung war wirklich zu lächerlich.

»Maria hätte mir zugestimmt«, setzte Vroni ruhig hinzu.

Sara musste schlucken. Ihre Großmutter war im vergangenen Jahr im stolzen Alter von 94 Jahren gestorben. Sara hatte es nicht leicht bei ihr gehabt. Maria Wegner hatte ihre Enkelin von Herzen geliebt, war aber auch eine strenge Frau gewesen und hatte jegliche Eitelkeit für Firlefanz gehalten. Auch deshalb war Sara wohl zu einer so schüchternen Frau geworden. Dennoch war sie die einzige Familie gewesen, die Sara je gekannt hatte, und es schmerzte sie noch immer, dass Maria nicht mehr da war.

»Tut mir leid«, sagte Vroni schnell, die Saras Gesichtsausdruck ganz richtig deutete. »Aber es stimmt. Vor Marias Augen hätte dieser freundliche und zurückhaltende Mann bestimmt Gnade gefunden.«

Sara zuckte nur mit den Schultern. Dann sagte sie: »Er hat mich im Laufe eines ganzen Jahres nicht ein einziges Mal um ein Date gebeten.«

»Vielleicht ist er genauso schüchtern wie du«, gab Vroni ungerührt zurück. »Ihr seid eben zwei scheue Rehe, und irgendjemand müsste euch mal auf die Sprünge helfen.«

»Untersteh dich!«, rief Sara aus. »Ich kann schon selbst für mein Liebesglück sorgen.«

Vroni rollte nur mit den Augen, ließ aber endlich von dem Thema ab.

»Lass uns für heute den Laden zusperren und eine Kleinigkeit essen gehen«, schlug sie vor. »Ich muss mit dir über etwas ganz anderes reden.«

Sara spürte auf einmal ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Sie wollte fast fragen, worum es ging, aber dann sagte sie doch nichts, nickte nur und folgte ihrer Chefin.

2. Kapitel

Die beiden Frauen machten sich auf den Weg in ein Café. Vroni wählte einen Tisch draußen, und Sara zögerte kurz. Lieber wäre sie hineingegangen, wo sich angesichts der milden Abendluft vermutlich niemand aufhielt. Aber sie gab schnell nach und setzte sich zu ihrer Chefin, behielt jedoch aufmerksam im Auge, was um sie herum passierte.

Die Reichenstraße war Füssens Herzstück mitten in der Altstadt. Sie wurde gesäumt von mittelalterlichen Bürgerhäusern und prächtigen Barockkirchen. Die Besucher dieser Gegend liebten das Allgäu, diese sanfte Landschaft zwischen Gebirgsriesen, glitzernden Seen, dunklen Wäldern und hellen Wiesen. Viele von ihnen blieben der Region ein Leben lang treu, und Sara hatte im Laufe der Jahre erlebt, wie Kinder, die einst mit ihren Eltern hier Urlaub gemacht hatten, später mit dem eigenen Nachwuchs zurückkehrten.

»Beruhige dich, niemand tut dir was«, sagte Vroni.

Erst da bemerkte Sara, dass sie sich hektisch umsah, die Leute an den Nachbartischen abschätzte und die Passanten nicht aus den Augen ließ.

»Ich finde, das wird immer schlimmer mit dir«, fuhr Vroni fort. »Eines Tages wirst du so menschenscheu sein, dass du nicht mehr vor die Tür gehst.«

Sara stellte sich augenblicklich eine solche Zukunft vor. Allein im Häuschen ihrer Großmutter am Stadtrand, vielleicht mit ein paar Katzen als Gesellschaft. Oder nein, lieber mit einem Hund! Sie liebte Hunde, obwohl sie nie einen besessen hatte. Großmutter Maria war allergisch gewesen.

Der Gedanke, ihre Tage geruhsam in Gesellschaft eines treuen Vierbeiners zu verbringen, gefiel ihr gar nicht mal so schlecht.

Sie nippte an ihrem Radler, das Vroni für sie bestellt hatte. Ein kräftigerer Drink als Bier mit Zitronenlimonade wäre ihr im Augenblick lieber gewesen, denn ihr Magendrücken war geblieben. Ein Gin-Tonic oder ein Mojito mit einem extra Schuss weißem Rum hätten wenigstens die Nerven beruhigt. Dummerweise trank Sara selbst nur selten Alkohol, obwohl sie so gern Cocktails mixte – der Spaß der Zubereitung war alles für sie. Bei den Kursen für Barkeeper, die sie in Kempten besucht hatte, war sie die einzige Teilnehmerin gewesen, die anschließend nicht mit den anderen in fröhlicher Runde zusammengesessen und ihre Kreationen probiert hatte. Ihre Angst, sich irgendwie danebenzubenehmen, war größer als der Spaß an dem einen oder anderen Gläschen.

Auch das Essen hatte Vroni schon für sie beide bestellt: Eine große Brotzeit mit würzigem Obazda, Wurstsalat und Presskopf.

»Lang zu!«, sagte sie nun. »Du bist viel zu dünn geworden.«

Zögerlich nahm sich Sara eine Brezel und knabberte daran. Vroni tat es ihr mit einer Scheibe Kümmelbrot nach. Offensichtlich hatte sie auch keinen Appetit. Schließlich holte sie den Briefumschlag aus ihrer großen Umhängetasche und hielt ihn hoch.

»Ich muss mit dir darüber reden.«

Sara schwieg, schaute sie nur an.

Vroni räusperte sich umständlich. »Du weißt, dass ich seit Jahresbeginn keinen Gewinn mehr mache.«

Langsam nickte Sara. Natürlich war sie im Bilde. Die letzten Jahre waren schon schwierig gewesen, aber seit Januar glich Vronis Schuheck einem Museum, in dem sich die Leute vielleicht umschauten und die schönen Stücke bewunderte, aber niemand kaufte mehr etwas – mit Ausnahme von ein paar wenigen älteren Stammkundinnen und Benedikt Hoffmann. Auch das Geschäft mit den Schuhen nach Maß war rapide zurückgegangen.

»Erst hatte ich auf den Frühling gehofft«, fuhr Vroni fort. »Die Wandertouristen sind immer gute Kunden gewesen. Aber es kam kaum jemand ins Geschäft. Und der Sommer macht es jetzt auch nicht besser. Wir müssen schließen, Sara, bevor ich mich hoch verschulde. Ende des Monats machen wir zu.«

Wir müssen schließen, wiederholte Sara in Gedanken. Wir müssen schließen … schließen … schließen …

»Alles in Ordnung?«, fragte Vroni. »Hast du verstanden, was ich gesagt habe?«

Offenbar hatte sie laut vor sich hingeredet. Sara riss sich zusammen, blickte ihrer Chefin fest in die Augen und sagte: »Ich wüsste eine Lösung.«

Vroni verengte ihre Augen zu Schlitzen. »Nämlich?«

»Ich … verkaufe Großmutters Haus. Mit dem Geld …«

Vroni hob die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. »Nein! Denk nicht einmal dran! Das kommt nicht infrage!«

»Aber …«

Vroni beugte sich vor und sah sie streng an. »Hör zu, Sara. Wenn du das tust, entsteigt deine Großmutter ihrem Grab und dreht mir persönlich den Hals um.«

Sara fuhr erschrocken zusammen.

»Wie kannst du so etwas sagen«, murmelte sie.

»Reg dich ab, ich wollte dich nur aufrütteln.«

Vroni lehnte sie sich wieder zurück, schüttelte ihr rotes Haar und lachte. Es klang ein bisschen schrill. Am Nebentisch saßen drei Männer mittleren Alters und beobachteten sie fasziniert. Vroni sonnte sich in der Bewunderung, ließ sich aber nicht ablenken.

Sie wurde wieder ernst und sagte: »Die liebe Verstorbene bleibt wo sie ist, und dein Heim wird nicht verhökert, um meinen Laden über ein weiteres Jahr zu retten. Das ist er nicht wert.«

Sara dachte an das Haus, in dem sie aufgewachsen war. Es lag direkt am Forggensee und war im Stil eines typisch bayerischen Bauernhauses erbaut worden, mit einem hölzernen Obergeschoss und einem geweißelten steinernen Untergeschoss. Es war nicht übermäßig groß, bot aber genug Platz für eine vier- oder fünfköpfige Familie. Sara hatte immer gern dort gelebt und frühmorgens die Aussicht auf den glitzernden See genossen, doch seit dem Tod ihrer Großmutter hatte sie manches Mal daran gedacht, auszuziehen.

»Ich will es aber sowieso verkaufen und lieber in der Stadt wohnen«, sagte sie. Die Vorstellung, dort allein mit einem Hund zu leben, gefiel ihr doch nicht so gut wie eben noch geglaubt.

Vroni hob die Augenbrauen. »Tatsächlich? Das wäre eine ziemlich große Veränderung für dich. Wie auch immer – das Geld wird nicht in meinen Laden gesteckt. Außerdem fällt dir vielleicht noch etwas Besseres ein.«

»Was denn zum Beispiel?«

Vroni legte den Kopf schief. »Du könntest eine eigene Bar eröffnen. Ich wäre deine beste Kundin.«

Sara ließ den Kopf hängen. »Du weißt doch, dass ich das nicht kann.«

Es wäre ein Traum, dachte sie bei sich. Ich würde es lieben, die schönsten Cocktails zu mixen. Aber wie soll ich eine Bar betreiben, wenn ich Angst vor fremden Menschen habe?

»Eine Sitzbar«, schlug Vroni vor. Sie kannte Sara sehr gut. »Alle Gäste, besonders die männlichen, werden verpflichtet, sich sofort nach Eintritt hinzusetzen. Und hohe Barhocker gibt es natürlich keine.«

»Sehr lustig«, erwiderte Sara dumpf.

»Entschuldige.« Vroni griff über den Tisch und legte ihre Hand auf Saras. »Ich verstehe dich ja. Aber irgendwas musst du tun! Auf Dauer wirst du vom Verkaufserlös nicht leben können, und falls du irgendwann Vater Staat auf der Tasche liegen solltest, wird Maria wirklich wiederauferstehen und dir den Hals umdrehen.«

»Vroni!«

Ihre Chefin zog die Hand zurück. »Entschuldige«, sagte sie erneut. »Ich bin selbst ziemlich durcheinander.« Sie starrte auf den Briefumschlag. »Damit war ich vorhin bei meinem Anwalt. Das Angebot ist gut.«

»Angebot?«, fragte Sara nach, obwohl sie die Antwort schon ahnte.

»Eine Fast-Food-Kette bietet mir genug für den Laden, dass ich mir von nun an ein sorgenfreies Leben machen kann.«

»Und …« Sara musste sich räuspern. »Und was wirst du tun?«

Vroni ließ sich Zeit mit der Antwort. Sie aß etwas von dem Wurstsalat, spülte mit Radler nach und sagte schließlich: »Ich würde gern auf Reisen gehen. Die tollsten Städte der Welt will ich sehen. New York, Rio de Janeiro, Sydney, Tokio …«

»Mhm.« Sara brauchte einen Moment, um die Neuigkeit zu verarbeiten. Nicht nur ihren Job würde sie verlieren, sondern auch ihre Chefin und beste Freundin.

Auf einmal fiel ihr ein Cocktail ein, der zu Vroni passte – das lenkte sie ein wenig von ihrem Kummer ab. Seit Jahren dachte sie schon darüber nach, war mit ihren Einfällen aber nie zufrieden gewesen.

Pineapple Fizz, ganz klar. Exotisch, spritzig, und doch auch süß und liebenswert. 5 cl weißer Rum, 6 cl Ananassaft, 3 cl Zitronensaft, 2 cl Zuckersirup und Eiswürfel. In Gedanken füllte Sara alle Zutaten samt Eiswürfeln in einen Shaker und schüttelte sie sehr gut durch. Danach seihte sie die Mischung in ein Glas ab und füllte mit Sodawasser auf. Ihre Chefin mochte eine Ladenbesitzerin in Füssen sein, aber gleichzeitig war sie exotisch und voller Überraschungen.

Sie war so zufrieden mit dem Ergebnis, dass Sara fast vergessen hätte, warum sie hier saß, bis Vroni fragte: »Und du? Hast du keine Träume? Gibt es nichts, was du unbedingt mal machen möchtest, wenn es schon keine Cocktailbar sein soll? Hast du einen Ort, an den du gern reisen würdest?«

Sara spürte, dass Vroni sich schlecht fühlte, weil sie ihr kündigte.

»Doch«, erwiderte sie daher schnell. »Es gibt einen solchen Ort. Langeoog!«

Vroni verzog das Gesicht zu einer gespielt verzweifelten Miene. »Nicht diese Insel schon wieder!«

»Aber da habe ich mich sehr wohl gefühlt.«

»Das ist fünf Jahre her, Sara, und du redest noch immer davon.«

»Weil es so schön war.« Und weil die Menschen dort besonders sind, fügte sie in Gedanken hinzu. Ruhiger als die Leute in Bayern, nahezu wortkarg. Diese ostfriesische Art, nur das Nötigste zu sagen, war ihr damals sehr entgegengekommen.

»Momentchen«, bat Vroni, ehe Sara weiterreden konnte. »Bevor du jetzt wieder von deinem Wikinger anfängst, brauche ich was Stärkeres.«

Sie winkte der Bedienung und bestellte zwei Obstler. Einer der Männer vom Nebentisch erkundigte sich, ob er die Damen dazu einladen dürfe.

»Nein, Schätzchen«, erklärte Vroni ihm ernsthaft. »Das dürfen Sie nicht. Wir haben wichtige Sachen zu besprechen und keine Zeit für Spielchen.«

Beleidigt wandte der Mann sich ab. Die Kellnerin kam mit der Bestellung, Vroni kippte ihren Obstler, Sara nippte nur daran. Ein sattes Birnenaroma entfaltete sich in ihrem Mund, und sie überlegte, zu welchem Cocktail er passen könnte. Statt Wodka vielleicht, oder statt Gin … Sie kam nicht weit, denn Keno drängte sich in ihre Gedanken, zum zweiten Mal an diesem Nachmittag. Das musste etwas zu bedeuten haben!

»Hör sofort auf damit, so verträumt nach Norden zu gucken!«, befahl Vroni. »Das hast du lange genug gemacht. Außerdem ist das die falsche Himmelsrichtung.« Sie zeigte mit dem ausgestreckten Arm in Saras Blickrichtung. »Das ist Südosten, Süße. Da liegt Österreich. Da willst du bestimmt nicht hin. Noch mehr Berge und weit und breit kein Wattenmeer.«

Sie lachte wieder, und Sara stellte ihren eigenen kaum angerührten Obstler außerhalb von Vronis Reichweite an die Tischkante. Die schien es nicht zu bemerken.

»Am besten bleibst du sowieso hier in Füssen, heiratest den reizenden Benedikt Hoffmann und bekommst ein halbes Dutzend Kinder mit perfekten Füßen.«

»Ich denke gar nicht daran! Niemals! Ich … ich will nur Keno!«

»Pfft!«, machte Vroni. »Du hattest vor Urzeiten mal einen Urlaubsflirt – was bei deiner Schüchternheit an sich ja schon ein Wunder ist! Glaubst du im Ernst, du kannst da einfach wieder anknüpfen? So ein Krabbenfischer hat doch bestimmt haufenweise Touristinnen im Netz.«

»Keno ist kein Fischer«, widersprach Sara. »Er heißt nur mit Nachnamen so. Von Beruf ist er Fährkapitän und Wattführer.«

»Ist doch egal. Du weißt schon, was ich meine.«

»Und warum bist du dir da so sicher?«

»Glaub mir, ich kenne die Männer.« Dabei warf Vroni einen Seitenblick zum Nebentisch, wo man so tat, als würde man nicht lauschen.

Ziemlich abrupt stand sie auf. »Komm, wir müssen hier weg. Zu viele große Ohren.« Sie gab der Kellnerin ein Zeichen, zahlte und zog Sara mit sich mit.

Vroni ging voran und machte erst Halt, als sie am Ufer des jadegrünen Wildflusses Lech angekommen waren.

»Da«, sagte sie und zeigte auf das rasch dahinfließende Wasser. »Flüsse, Seen, Berge, Hügel, Täler und Wiesen. Das ist deine Welt. Keine einsame Insel inmitten der grauen Nordsee.«

Sara musste lachen, und aus Gründen, die sie selbst nicht verstand, fühlte sie sich auf einmal leicht und frei. »Die Nordsee ist nicht immer grau, und Langeoog ist keineswegs einsam. Es gibt rund 2 000 Einwohner, und eine Viertelmillion Urlaubsgäste im Jahr. Aber wer will, kann auch für sich bleiben.«

Sie dachte daran, wie sie damals auf einer Wanderung plötzlich auf eine große Gruppe singender Menschen gestoßen war. Im Dünental zwischen Hauptbad und Wasserturm waren stimmungsvolle Lieder in den Abendhimmel geflogen. Wie verzaubert war Sara stehengeblieben und hatte gelauscht. Mitzusingen hatte sie sich nicht getraut, vor allem, nachdem sie diesen unfassbar gutaussehenden blonden Mann im Sand hatte sitzen sehen. Er hatte sie nicht aus den Augen gelassen und am lautesten gesungen: »Dat du min Leevsten bist.« Da war es um Sara geschehen gewesen, und erst viel später hatte sie erfahren, wie das Lied auf hochdeutsch hieß: »Dass du meine Liebste bist.«

»Ich war seine Liebste«, sagte sie nun träumerisch.

»Kruzifix!«, stieß Vroni aus. »Bist du auf einmal verhext, oder was? Du hast seit Monaten nicht mehr von deinem Wikinger gesprochen. Warum jetzt?«

Sara musterte die Freundin lange und nachdenklich. »Vielleicht«, sagte sie schließlich und zog die Schultern ein, »vielleicht würde ich ihn gern mal wiedersehen.«

Vroni schüttelte den Kopf. »Komm mir bloß auf keine dummen Ideen, Süße.«

Wenig später verabschiedete Sara sich von Vroni und fuhr in ihrem Kleinwagen heim. Sie redete sich ein, sie müsse verzweifelt sein, weil sie zum Monatsende keine Arbeit mehr haben würde. Stattdessen lächelte sie die ganze Zeit vor sich hin. Erst als sie schon fast zu Hause war, überlegte sie es sich noch einmal anders, blieb auf der Bundesstraße und fuhr nach Rieden am Forggensee. Dort folgte sie den Hinweisschildern zum Tierheim.

»Und Sie sind sich ganz sicher?«, fragte eine halbe Stunde darauf eine Mitarbeiterin, während sie Sara an Zwingern und größeren Ausläufen vorbeiführte. »Normalerweise wünschen sich die Leute süße kleine Welpen.«

»Absolut«, erwiderte Sara leise. »Ich möchte einen Hund, den sonst niemand haben will. Der am dringendsten ein neues Zuhause braucht.«

Es würde schön sein, ein wenig Gesellschaft zu haben.

»Tja, da habe ich genau das richtige Tier für Sie.«

Die Mitarbeiterin blieb vor einem der kleineren Zwinger stehen. »Sie heißt Lotte und ist schon seit drei Jahren bei uns. Leider wird sie von den anderen Hunden im Rudel nicht akzeptiert, deswegen muss sie allein bleiben.«

»Arme Lotte«, murmelte Sara und dachte: Sie ist wie ich. Eine Einzelgängerin. Unwillkürlich empfand sie Zuneigung für die Hündin – und zwar noch bevor sie sie entdeckte.

Was vermutlich ein großes Glück für das Tier war, sollte sich Sara später sagen. Denn hätte sie Lotte zuerst gesehen, wäre sie möglicherweise schnell weitergegangen.

»Da ist sie«, sagte die Mitarbeiterin und deutete auf die kleine Hundehütte im Zwinger. Sie fischte ein Leckerli aus der Hosentasche und stieß kleine Lockrufe aus.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Lotte heraustraute.

Und sie auch ist genauso schüchtern wie ich, überlegte Sara liebevoll, und dann erschrak sie heftig.

Lotte war ungefähr der hässlichste Hund, den sie je gesehen hatte. Nur so groß wie ein ausgewachsener Hauskater, mit einer platten Schnauze, riesigen Glubschaugen und abgeknickten Ohren. Die Rute war lang und haarlos. Das Fell war vielleicht weiß, vielleicht grau – jedenfalls dort, wo es überhaupt welches gab. An vielen Stellen schimmerte ihre kahle, schweinchenrosa Haut durch.

»Mein Gott!«, entfuhr es Sara.

Die Mitarbeiterin tat lässig. »Wir schätzen, sie ist eine Mischung aus Mops, Spitz und irgendwas sehr Kleinem. Schätzungsweise Chihuahua. Das mit dem Haarausfall ist uns ein Rätsel. Wir haben Lotte auf alles Mögliche untersucht, aber es fehlt ihr nichts. Wir glauben, es ist der Stress. Weshalb sie so keucht, konnte uns der Tierarzt auch nicht sagen.«

In derselben Sekunde ließ Lotte eine Art asthmatisches Bellen vernehmen, das Sara durch Mark und Bein fuhr.

»Ich nehme sie«, hörte sie sich selbst sagen. »Das ist genau der Hund, den ich gesucht habe.«

»Wunderbar.« Die Mitarbeiterin strahlte.

»Was meinen Sie, würde das Nordseeklima dem Hund guttun?«

»Ähm ... bestimmt. Planen Sie einen Urlaub?«

»Ganz genau«, erwiderte Sara, aber in Wahrheit ging ihr bereits eine wilde Idee durch den Kopf.

3. Kapitel

Zwei Wochen später war Sara auf dem Weg in den Norden. Ihre neue vierbeinige Freundin lag in einem speziellen Hundegeschirr angeschnallt auf der Rückbank. Sie keuchte schwer, und ihre Glubschaugen quollen noch weiter heraus als sonst. Aus der platten Schnauze hing eine lange, rosafarbene Zunge.

»Das Vieh ist mir unheimlich«, sagte Vroni, die auf dem Beifahrersitz saß.