Die kleinen Momente des Glücks - Patrick Hinz - E-Book
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Die kleinen Momente des Glücks E-Book

Patrick Hinz

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Beschreibung

Eine Komödie mit Tiefgang, eine Tragödie mit Herz: Das einfühlsame Lesevergnügen „Die kleinen Momente des Glücks“ von Patrick Hinz als eBook bei dotbooks. Wenn das Schicksal zweimal klingelt … Es gibt Menschen, die gerne über Gefühle sprechen – und zu dieser Sorte gehört Herr S. eindeutig nicht. Ganz im Gegenteil: Herr S. lässt niemanden an sich heran und hat es sich in seinem stacheligen Schutzpanzer sehr bequem gemacht. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem zwei Menschen vor seiner Tür stehen, zu denen er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Der eine ist sein Cousin, ein nerviger Eso-Fuzzi. Die andere ist seine Mutter. Und die ist sterbenskrank. Nein, Herr S. ist wirklich kein Mann, der gerne über seine Gefühle spricht – aber das heißt nicht, dass er keine hat. Denn nun holen sie ihn mit erstaunlicher Geschwindigkeit ein … Von verletzten Gefühlen und neuen Chancen: Ein bewegender Roman über die Fallstricke des Schicksals und den Wahnsinn, den man Leben nennt. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die kleinen Momente des Glücks“ von Patrick Hinz. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 275

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Über dieses Buch:

Wenn das Schicksal zweimal klingelt … Es gibt Menschen, die gerne über Gefühle sprechen – und zu dieser Sorte gehört Herr S. eindeutig nicht. Ganz im Gegenteil: Herr S. lässt niemanden an sich heran und hat es sich in seinem stacheligen Schutzpanzer sehr bequem gemacht. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem zwei Menschen vor seiner Tür stehen, zu denen er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Der eine ist sein Cousin, ein nerviger Eso-Fuzzi. Die andere ist seine Mutter. Und die ist sterbenskrank.

Nein, Herr S. ist wirklich kein Mann, der gerne über seine Gefühle spricht – aber das heißt nicht, dass er keine hat. Denn nun holen sie ihn mit erstaunlicher Geschwindigkeit ein …

Von verletzten Gefühlen und neuen Chancen: Ein bewegender Roman über die Fallstricke des Schicksals und den Wahnsinn, den man Leben nennt.

Über den Autor:

Patrick Hinz, Jahrgang 1973, lebt in München und arbeitet als freier Wortjongleur: Er ist als Autor von Sachbüchern sowie als Werbetexter, Redakteur und Marketing-Berater erfolgreich.

Bei dotbooks veröffentlichte Patrick Hinz bereits die Romane »Ich bin Paul« und »Pennys Fest«.

***

Originalausgabe November 2016

Dieses Buch erschien bereits unter dem Titel »Herr S. bekommt Besuch« bei dotbooks GmbH.

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendungvon shutterstock/Oliver Hofmann, silvionka, Sanit Fuangnakhon und rdonar

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-798-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

Besuchen Sie uns im Internet:

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www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Patrick Hinz

Die kleinen Momente des Glücks

Roman

dotbooks.

Für Lulu.

Prolog

Ich bin ein Voyeur, ein Beobachter. Ich betrachte Menschen. Sogar in meinen Träumen werde ich zum Zeugen von Eitelkeiten, gelebtem Egoismus, dem Wahnsinn, den man Leben nennt, und manchmal sogar von purer Menschlichkeit. Ich mache das ganz beiläufig, obwohl es ein Zwang ist.

Ich gehe subtil vor. So, dass es keinem auffällt. Ich schaue unauffällig über den oberen Rand meiner schwarzen Lesebrille und erblicke Lebensläufe, kleine und große Schicksale, die sich hinter schlecht sitzenden Anzügen, improvisierten Business-Kostümen oder hipper Mode, die Individualität vortäuschen soll, aber letztendlich nur eine andere Art von Uniform ist, verbergen. Die allesamt vorgeben, etwas zu sein, ohne es zu haben. Die so tun, als gäben sie jeden Tag 100 Prozent, und in Wirklichkeit steht vor dem Komma eine 0.

Ich bin kein Pessimist. Ich habe auch keine schlechte Laune. Ich kann mich an Sonnenuntergängen, einem Sieg meines Lieblingsfußballvereins und gelegentlich sogar Katzenvideos bei YouTube erfreuen – wie alle anderen auch. Aber was meine Mitmenschen angeht, nun, das ist eine andere Sache.

Es passiert jeden Tag aufs Neue, in der U-Bahn, im Taxi, im Büro, während des Joggens im Park und beim Essen mit Freunden. Oft reicht der Bruchteil einer Sekunde, und ich durchschaue Menschen, blicke in die Untiefen ihrer Seelen. Betrüger, Rassisten, Lügner, Hohlköpfe, der ein oder andere Freigeist und hin und wieder tatsächlich auch ein Gutmensch. Ein blödes Wort, ich weiß, doch sagt es genau das aus, was ich an diesen Menschen bewundere: Sie tragen nichts – oder sagen wir mal: wenig – Schlechtes in sich. Gutmenschen bilden das Gegengewicht zu Schlechtmenschen, denn die gibt es natürlich auch. Wobei Schlechtmenschen nicht zwangsläufig Monster sind. Oftmals kann der Schlechtmensch nicht aus seiner Haut, bleibt mit seinen Problemen zwangsläufig ein sogenanntes Nightmare-Team, kann die eigenen Defizite nicht ablegen. Wie ein Alkoholiker, der sich jeden Morgen aufs Neue schwört, mit dem Trinken aufzuhören.

Ich teile Menschen in Kategorien ein. Ja, ich bin ein Schubladiseur. Es macht das Leben so viel einfacher, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat. Auch wenn man diesen Menschen nie wiedersieht. Auch wenn man noch nie ein einziges Wort gewechselt hat und nie ein einziges Wort wechseln wird. Ich muss stets wissen, woran ich bin. Muss den anderen immer einen Schritt voraus sein. Dieses Ass im Ärmel zu haben, diese potenzielle Waffe, die mir im Verteidigungsfall von Nutzen sein könnte. Nur ganz selten werde ich überrascht. Das Lesen von Menschen ist für mich mittlerweile so einfach geworden wie das Abrufen der neuesten Nachrichten auf meiner Tagesschau-App.

Habe ich den Menschen, mit dem ich mich in diesem Moment beschäftige, zu Ende kategorisiert, stecke ich ihn in die dafür vordefinierte Schublade, atme tief durch und gehe weiter. Um kurz den Kopf frei zu bekommen, um Kraft zu sammeln für die eigentliche Hauptaufgabe, der ich mich abschließend stets widme: Ich vergleiche diesen Menschen – mit mir.

Wenn ich andere beobachte, beobachte ich mich selbst.

Denn ich weiß nicht, wer ich bin.

Kalter Entzug

Ich möchte über Ellen reden, denn ich weiß zumindest, wer sie ist. Ellen ist wunderbar. Ellen hat alles, was ich mir an einer Frau wünsche. Ellen sieht toll aus, Ellen ist blitzgescheit, und Ellen hat ein Lachen, das es mit jedem Superlativ dieser Welt aufnehmen kann. Die letzten vier Wochen, die ich mit ihr verbringen durfte, waren erfüllt von Wertschätzung, Humor und Leidenschaft, für beide von uns, dessen bin ich mir sicher.

Ein Beispiel für Wertschätzung: Ich habe für Ellen mein Lieblingsrisotto zubereitet, mit echten Safranfäden, einer von mir eigens aus Kalbsknochen ausgekochten Brühe, mit der ich ganz vorsichtig den Reis aufquellen lasse, damit er die perfekte Schlonzigkeit erreicht, frischen Steinpilzen und dem Brät italienischer Würste mit Fenchelaroma. Der Zubereitungsprozess lief gewohnt reibungslos ab, zu reibungslos, denn anstatt Parmesan zu reiben und auf die Uhr zu sehen, fand die Reibung während des Köchelns auf meiner Couch statt. Ich rieb mich an Ellen und sie sich an mir, und so ergab eine Reibung die andere, und als ich nach einer halben Stunde in die Küche zurückkehrte – ich hatte zwar instinktiv und Sex witternd die ganze Brühe in den Risottotopf geschüttet und den Reis sowohl auf Deutsch als auch auf Italienisch gebeten, sich selbst zu helfen, da ich mich um eine dringende Angelegenheit kümmern müsse –, war das Risotto verkocht. Von der Konsistenz her ein für die Geriatrie konzipierter und zu Tode geschlonzter Pudding mit salzigem Abgang. Und was tat Ellen? Sie schlürfte tapfer das Risotto-Massaker und attestierte mir ungeahntes Spitzenkoch-Potenzial.

Ein Beispiel für Humor: Sie aß mein Risotto, das schlechteste Risotto aller Zeiten, und attestierte mir ungeahntes Spitzenkoch-Potenzial.

Ein Beispiel für Leidenschaft: Während ich Risotto zubereitete, hatten wir unglaublich tollen Sex auf meiner Couch.

Ellen kommt in die Schublade mit der Aufschrift besonders wertvoll. Außer ihr stecken dort nur Nelson Mandela, außerdem mein ehemaliger Lateinlehrer, der mir durch eine gnadenlos ungerechtfertigte und von Wohlwollen nur so strotzenden Vier die Versetzung in die neunte Klasse ermöglichte (ich gab regelmäßig, mit Tränen der Verzweiflung in den Augen, Arbeiten ab, deren Übersetzungen eher etwas mit Usbekisch als mit Latein zu tun hatten), und Erna, meine Lieblings-Omi, die nun neben Herrn Schmidbauer auf einer schlohweißen Wolke sitzt und für mich Apfelpfannküchlein zubereitet, während Nelson die Teller mit Vanilleeis und Schlagsahne dekoriert.

Um es kurz zu machen: Ellen ist die Inkarnation des fleischgewordenen Lottogewinns, ein Sechser plus Zusatzzahl, kein Dreier oder die letzten zwei Ziffern von Spiel 77. Ein Jackpot, den man sich in Raten auszahlen lässt, um ein Leben lang davon zu profitieren.

Und genau aus diesen Gründen habe ich Schluss gemacht.

Zum einen, weil ich sie mit mir verglichen und mich natürlich nicht gefunden habe. Ich halte mich selbst für alles andere als besonders wertvoll, und schon nach kurzer Zeit war mir daher klar, dass ich vieles sein mochte, aber eins definitiv: ihrer nicht würdig. Und zum anderen, weil Ellen vorgestern etwas getan hat, mit dem ich nicht zurechtkomme. Man könnte es einen unbedachten Fehler ihrerseits nennen, allerdings bin ich nicht sicher, ob sie das auch so sehen würde.

Ellen sagte, dass sie mich liebe.

Ja, tatsächlich. Einfach so. Mir nichts, dir nichts. Wir lagen zusammen im Bett, hatten uns gerade eine gute Nacht gewünscht und sie ihren Kopf an mich gekuschelt. Ich war schon fast abgetaucht in eine andere Bewusstseinsebene, da hauchte Ellen ein »Herr S., ich liebe dich« in meine Richtung und schlief ein. Und da lag sie nun, offensichtlich im Reinen mit sich und der Welt nach dieser schonungslosen Beichte. Ihr nach Shampoo und Parfum duftender Kopf lastete auf meinen Schultern – und noch so vieles mehr.

Ellen kam mir in diesem Moment vor wie der Oberarzt, der bei der Visite im Krankenhaus für drei Sekunden ins Zimmer hineinrauscht, dem Patienten, der wegen eines eingewachsenen Nagels vorsprach, ein »Sie haben noch vier Wochen zu leben« ins Gesicht schmettert, sich verabschiedet und mit seiner Entourage an Lemmingen in Weiß das Weite sucht.

Ich liebe dich?

In my face!

Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu. Auch wenn ich mir geschworen hatte, nie wieder in das alte Mühlrad zu geraten und meine alles andere als ruhmreichen Verhaltensmuster zu aktivieren, so konnte ich einfach nichts dagegen tun. Ellen hatte die Worte gesagt, die in mir einen übermächtigen Fluchtinstinkt auslösten. Eine Antilope läuft ebenfalls davon, wenn sie einem hungrigen Löwen begegnet, auch wenn er freundlich mit den Augen klimpert.

Ich musste da raus, komme, was wolle. Aber diesmal wollte ich empathisch ans Werk gehen – im Vergleich zu früher. Vor ein paar Jahren noch hatte ich Liebesbekunderinnen am Morgen danach mit einem innigen Kuss ins Treppenhaus verabschiedet, dem vorgeschobenen Geschäftstrip nach Übersee und meiner Daumen-und-kleiner-Finger-Geste: »Ich melde mich«. Nur um mich dann nie wieder zu melden. Anrufe und wutentbrannte SMS blieben unbeantwortet. So lange, bis sie es aufgaben und der letzte Rest an Würde und Selbsterhaltungstrieb sie dazu zwang, meine Nummer aus dem Handy zu löschen. Ich erinnere mich noch gut an Tanja, eine Berlinerin, die ich während eines Ski-Wochenendes in St. Johann kennenlernte. Wir hatten eine tolle Zeit – an diesen drei Tagen. Aber mehr als diese drei Tage wollte ich nicht. Doch sie schien nicht zwischen den Zeilen lesen zu können und dachte, wir wären ein Paar. Die Distanz half mir, mich aus der Affäre zu ziehen, aber sie ließ nicht locker, bombardierte mich mit Nachrichten und Anrufen, die allesamt auf meiner Mailbox landeten. Es ging so weit, dass ich mir eine neue Handynummer zulegen musste, um Ruhe vor ihr zu haben.

Heutzutage habe ich eine bessere, eine durch und durch erwachsene und meiner physischen und geistigen Reife angemessene Strategie. Ich greife in diesem Zusammenhang auf meine jahrzehntelangen Studien amerikanischer Serien und Filme zurück. Denn besser als die Drehbuchautoren könnte ich es selbst nicht formulieren.

Eigentlich war ich also gut vorbereitet. Aber trotzdem stand mir der Angstschweiß auf der Stirn.

Ich hatte in jener Nacht kein Auge zugetan und mich so gut wie nicht bewegt. Die Zimmerdecke war zu meinem stummen Gesprächspartner geworden. Die Hintergrundmusik zu unserem einseitigen Dialog (»Wie komme ich da wieder raus?«, »Ich muss doch da raus, oder?«) war Ellens regelmäßiges Atmen.

Das Klingeln meines Weckers war der Startschuss. Nun war es also so weit. Mein Auftritt begann. Ich durfte mir keine Nervosität anmerken lassen. Vor allem war ich um Authentizität bemüht. Ellen war etwas Besonderes, daher musste ich mich konzentrieren, mich noch mehr ins Zeug legen als sonst.

Ich räusperte mich. »Guten Morgen, Schlafmütze.«

Ellen erhob ihren Kopf, drehte sich von mir weg und legte sich auf den Rücken. Sie streckte sich. »Wie spät ist es?«

Hoffentlich noch nicht zu spät.

»Es ist sieben Uhr.«

»Ich muss erst um neun im Büro sein. Stell den Wecker doch auf 7.30 Uhr …«

Sie hatte ihre kurzzeitige Abnabelung beendet und schmiegte sich wieder an mich. Ihr Knie rieb sich an meinem Oberschenkel; das war das Zeichen, dass sie bereit war, den Grausamkeiten des Morgens mit körperlichen Liebesbekundungen entgegenzutreten, doch mir war nicht danach. Ich hatte eine Mission.

»Ich muss leider schon früher los«, behauptete ich und strich – diese verdammten Angewohnheiten, sie pfuschen einem immer dazwischen! – über ihr langes braunes Haar. »Außerdem muss ich mit dir reden.«

Ellen erhob den Kopf und sah mich fragend an. Dabei spitzte sie ihren Mund und kräuselte die Nase. Ich war mir unsicher, ob sie jeden Moment einen Witz zum Besten geben würde oder wirklich besorgt war. Zumindest waren das keine leichten Arbeitsbedingungen für mich. Alles, was ich mir in den letzten Stunden so sorgsam zusammengelegt hatte, war weg. Welche Trennungsvariante sollte ich bei ihr anwenden? Das klassische »Du bist zu gut für mich«, das latent Schuld zuweisende »Ich bin zwar schon Anfang 40, aber noch nicht so weit wie du« oder »Ich befinde mich gerade im Umbruch, es liegt also keineswegs an dir«?

Ihr unschlüssiger Blick war der Sand in der Uhr, der bald gänzlich aus der oberen in die untere Hälfte gerieselt sein würde. Er berührte, er verunsicherte mich. Wenn ich nicht bald begann, würde mich der Mut verlassen und die Kraft, sie zu verletzen. Ich musste mich beeilen. Und entschied mich für ein Best-of meiner erfolgreichsten Trennungsmonologe. Sicher ist sicher. Doch ich kam gar nicht erst dazu, mit meinem Medley loszulegen. Ellens fragender Gesichtsausdruck hellte sich auf, die Falten auf ihrer Stirn glätteten sich von allein, und ihre Miene wechselte von Verunsicherung zu Erheiterung.

»Denkst du, ein Espresso ist noch drin, bevor du mich hinauswirfst?«

Meine aufgesetzte Ernsthaftigkeit wich ehrlicher Verunsicherung. Ellen verblüffte mich, das konnten nur wenige. Nicht umsonst war sie in meinem Schubladensystem eine menschliche Brahmanin, oberste Kaste in Reinkultur.

»Geht’s dir gut, Herr S.?«

»Ja, ja, ich … also, ich sollte in die Gänge kommen …«

Sie lachte und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Das sagtest du bereits. Du musst gleich los. Ich habe verstanden. Wir sprechen die gleiche Sprache.«

Ich fürchte, das tun wir nicht.

»Na gut, dann spring du schon mal unter die Dusche. Du traust einer emanzipierten Frau wie mir doch bestimmt zu, deine Kaffeemaschine allein zu bedienen?«

Ich traute ihr alles zu. Und noch viel mehr.

Ehe ich es verhindern konnte, nahm ich ihre Hand und zog sie an mich, küsste sie. Wie nur konnte ich etwas, das ich so begehrte, freiwillig ziehen lassen?

Warum genau, wusste ich nicht.

Aber ich wusste, ich musste.

Sie zwinkerte mir zu, schälte sich aus dem Bett und entschwand in die Küche, mit nichts bekleidet außer ihrer Anmut, Schönheit und Würde. Ich blickte ihr hinterher und war verblüfft. Über mich. Denn sie war einer der wenigen Menschen in meinem Leben, die es schafften, mich zu berühren.

Wenn ich Menschen wie Ellen beobachte, weiß ich noch weniger, wer ich bin.

Ich flüchtete ins Badezimmer; sie folgte mir ein paar Minuten später. Wir liebten uns in der Dusche. Es war anders als sonst. Ungestümer. Tiefer. Leidenschaftlicher. Das warme Wasser lief an uns herunter und umspielte unsere Körper wie ein seidenes Tuch, das uns von der Außenwelt abschirmte, uns Schutz gewährte, das die Zeit stehen bleiben ließ. Ich wollte mich mit Ellen vereinigen, ihr so nahe sein wie möglich. Ich wollte, dass sie mich so intensiv in sich spürte wie noch nie einen anderen Mann zuvor. Ein paarmal erwachte sie aus ihrer Ekstase und schenkte mir diesen zweifelnden Blick. Als würde sie sich fragen, was hier los sei, und ahnen, dass dies das letzte Mal war, dass wir uns liebten. Als würde ich mich gebührend von ihr verabschieden wollen. Und sie hatte recht.

Als ich im Schlafzimmer nach einem frischen Hemd griff, zitterte ich. Je mehr Zeit verstrich, desto schwerer fiel es mir. Ich konnte Ellen nicht länger im Unklaren lassen, musste ihr gegenüber ehrlich sein. Meinem Zwang nachgeben. Mich trennen.

»Soll ich auf dich warten?« Wie immer war sie schneller als ich gewesen und bereits fertig angezogen.

»Ja. Ich bin jetzt so weit.«

Bin ich das?

Hand in Hand gingen wir im Treppenhaus der Tür entgegen. Nun müsste es passieren.

»Sieht nach Regen aus. Was meinst du?« Ellen sah gen Himmel, als wir auf die Straße hinaustraten. Ein Himmel, der grau verhangen war und die gleiche Beklemmung ausstrahlte, die ich in mir trug.

»Ellen, ich muss noch etwas loswerden. Ich …«

Sie sah mich an mit ihren hellwachen, am Leben und ihrer Umwelt interessierten Augen. Es schien, als wollte sie mir helfen, meinen Satz zu beenden, als versuchte sie zu ergründen, was in mir vorging. Sie las mich. Und ich hoffte, sie verstand.

Mit einem Mal änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie wirkte wie jemand, der soeben eine Erleuchtung hatte, wie eine Person, der es wie Schuppen von den Augen fiel. Ellen wich zurück und fuhr sich durch ihr frisch gewaschenes, duftendes Haar.

»Dann habe ich mich also nicht getäuscht, oder, Herr S.?«

Hast du nicht. Du hast mich richtig gelesen.

»Ich … ich, was soll ich sagen … ich bin einfach nicht …«

Ich kam mir vor wie ein kleiner Junge, der seiner Mutter eingestehen musste, soeben das Küchenfenster des Nachbarn mit einem Stein eingeworfen zu haben. Meine Zunge und mein Gehirn schienen gelähmt, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, kein weiteres Wort herausbringen, das einen Sinn ergab. Wahrscheinlich war ich in diesem Augenblick ehrlich, denn was ich von mir gab, spiegelte wider, was in mir herrschte: Chaos. Verwirrung. Zerrissenheit.

Nun tauschten wir die Rollen. Auf einmal war Ellen die Weisere von uns beiden, was sie höchstwahrscheinlich ohnehin immer gewesen war. Sie beendete meinen erbärmlichen Monolog, bevor er richtig begonnen hatte.

»Herr S., ich sollte jetzt wahrscheinlich wütend sein. Und verletzt. Aber …« Sie kam ganz nah an mich heran und umfasste mein Gesicht mit ihren zarten Händen, tastete es behutsam ab, indem sie mit den Fingern die Linien meiner Falten entlangfuhr, so, als würde sie mich wie eine Blinde ein letztes Mal lesen wollen, um eventuell doch noch zu erkennen, dass sie sich verlesen hatte, doch dann hielt sie inne. »Ich spüre, dass du rauswillst. Ich kenne dich zu wenig, um zu ahnen, warum. Auf jeden Fall finde ich es traurig. Unendlich traurig sogar. Aber ich bin zu stolz, um dich vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Außerdem spüre ich, dass es nichts bringen würde.« Sie zog meinen Kopf an ihr Gesicht und küsste mich auf die Stirn. »Mach’s gut, Herr S. Hoffentlich findest du, was du suchst.«

Sie drehte sich um und ging. Aufrecht, wie eine Siegerin. Ich sah einem Traum hinterher. Und hatte nicht den Mut, ihn zu Ende zu träumen.

Pass auf dich auf, Ellen.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, schloss meine Augen und verscheuchte die Dämonen aus meinem Kopf. Es war an der Zeit, den Tag zu beginnen und in mein normales Leben zurückzukehren, in dem ich alles unter Kontrolle hatte und keine Frau, keine Zeit zu zweit und keine drei Worte mich aus dem Gleichgewicht bringen konnten.

Pascal

Meiner Freundin Penny bin ich für zwei elementare Dinge dankbar.

Zum einen für die gute Freundschaft, die uns verbindet. Sie ist von kumpelhafter Natur, ohne Unausgesprochenes, ohne die üblichen Spannungen, die oft zwischen Frau und Mann herrschen. Kryptisches ist uns fremd. Zwischen ihr und mir verläuft alles geradeaus, ich verstehe Penelope Nick auch ohne Enigma-Maschine. Wenn sie sagt »Mir ist nicht kalt«, dann ist ihr wirklich nicht kalt. Wenn sie sagt »Geh ruhig ohne mich«, dann will sie ihre Ruhe und nichts anderes. Penny erwartet nicht, dass ich zwischen den Zeilen genau das Gegenteil lese und ihre wahren Bedürfnisse erkenne. Geheimnisse haben wir keine mehr voreinander, und es knistert auch nichts mehr, denn wir hatten bereits einmal Sex miteinander. Der war gut. Nicht mehr und nicht weniger. Wir waren beide betrunken auf der Weihnachtsfeier von gemeinsamen Freunden, und deren Badezimmer schrie förmlich unsere Namen, also folgten wir dem Hall der Fliesen und vergnügten uns dort eine Weile.

Der zweite Punkt, der auf ihr Konto geht, ist mein Name. Nicht der, der in meinen Papieren steht, ich spreche von dem, mit dem mich heutzutage alle anreden: Herr S. Ursprünglich wollte Penny mich mit diesem »Herr S.« auf Distanz halten, nachdem wir miteinander geschlafen hatten; ein Zeichen ihrerseits, so erklärte sie mir später, dass aus uns nie mehr würde als Freunde. Meines Erachtens nach eine Überreaktion, denn ich hatte ohnehin nicht vorgehabt, nach unserem Koitus um ihre Hand anzuhalten. Aber kaum nannte sie mich auf jener Party vor versammelter Mannschaft so, kam Herr S. in Mode. Nicht nur bei ihr, sondern auch bei meinem gesamten Bekannten- und Freundeskreis. Selbst Kollegen fingen auf einmal an, mich als Herr S. anzusprechen. Bis ich mich eines Tages selbst so vorstellte.

Herr S. gab mir die Distanz, die ich gegenüber anderen brauchte, innerhalb der ich klammheimlich auf Tauchstation gehen konnte, nur um aus einem toten Winkel heraus Menschen zu erforschen. Herr S. gab mir die Freiheit, Dinge zu tun, die mein altes Ich aus purem Anstand heraus nie getan hätte. Einem Herrn S. fällt es einfach leichter, eine unpopuläre Meinung zu vertreten oder sich von einer allzu anhänglichen Liebschaft zu trennen. Herrn S. ist es egal, was andere von ihm denken. Herr S. erlaubt es mir, beides zu sein: Kumpel und Charakterschwein. Herr S. ist mein ganz persönlicher, individuell auf mich zugeschnittener Chitinpanzer.

Penny ist im Gegensatz zu mir übrigens durchaus in der Lage, eine Person an sich heranzulassen, auch wenn sie es bei mir gar nicht erst probiert hatte. Vielleicht hat sie eine besonders gute Menschenkenntnis. Sie hat ihr Herz stattdessen an Max verschenkt und ist mit ihm verheiratet – mit dem Richtigen, wie ich finde.

Ich bedauerte es nicht, nie eine solche Verbindung haben zu können. Es war besser so. Und mein neuer Name half mir dabei.

Leider hielt das »Herr S.« meinen Cousin nicht davon ab, nach langer Abstinenz wieder in mein Leben zu treten. In gewohnt distanzloser Manier stand er einfach so mir nichts, dir nichts vor meiner Tür. An einem Dienstagabend um 19 Uhr, ohne Vorwarnung. Kein Anruf, keine SMS, weder Telegramm noch Brieftaube. Er und sein gekünsteltes Hare-Krishna-Lächeln.

Ich mag keine Überraschungen. Herr S. bekommt keinen Besuch. Schon gar nicht, wenn er unangemeldet ist. Außer, ich lade ein, oder eine Frau mit Traummaßen steht vor der Tür. Ein ungeschriebenes Gesetz, an das sich alle hielten. Nur Pascal nicht. Pascal hielt ohnehin nicht viel von Konventionen und weltlichen Dingen, musste als Kind bereits aus der Reihe tanzen und die merkwürdigsten Dinge anstellen. Mit vier rettete er Kaulquappen aus öligen Straßenpfützen und verhalf ihnen zu langen, sinnentleerten Leben als Frösche. Und mit gleicher Hingabe rettete er kleine Spatzenbabys, die aus ihrem Nest geplumpst waren, und verwaiste Katzen, deren Flöhe er vermutlich auch noch dressiert hätte, wenn seine Mutter nicht schnell genug entsprechende Mittel aus der Apotheke zum Einsatz gebracht hätte. Meine Tante hasste die Menagerie ihres Sohnes und setzte sie regelmäßig im nahe gelegenen Wald aus. Wenn Pascal aus dem Kindergarten kam, behauptete sie, seine kleinen Freunde wären vom Kranich-Express abgeholt worden und auf Weltreise gegangen. Pascal fand das toll. Und schleppte meist innerhalb von wenigen Tagen ein neues Tier an, das sich schleimend, pickend oder kratzend in sein Herz geschlichen hatte.

Als er sieben war, fand Pascal eine andere Obsession: Er gründete den Löwenzahn-Fanclub und organisierte mithilfe seiner Mutter sogar ein Treffen mit Peter Lustig, dem Moderator dieser TV-Sendung. Da der aber nicht immer verfügbar war, wurde ich mehr als einmal zwangsverpflichtet, bei einem der Clubtreffen mitzumachen, auf denen Pascal und ein paar andere Hirnis tolle Experimente nachstellten, wie man beispielsweise aus einer Kartoffel Strom gewinnen konnte oder im Handumdrehen einen Komposthaufen anlegte.

Grauenhaft.

Die Fotos davon musste ich mir jedes Jahr mindestens einmal ansehen, bis er endlich in die Pubertät kam und ich seinen Hormonhaushalt mit Penthouse-Ausgaben, die ich unter meinem Pullover in sein Zimmer schmuggelte, bestechen konnte, dieses elendige Album einfach im Regal stehen zu lassen, wenn wir bei seiner Familie zu Besuch waren.

Mit 16 wollte Pascal dem Friedenschor beitreten. Nach dem Abitur wurde er aktives Mitglied im Naturschutzbund, weil er sich seiner alten Liebe zu schleimigen Vierbeinern erinnerte, und war bald einer der erfolgreichsten Kröten-Umsiedler aller Zeiten; ich bin sicher. Einige von ihnen hätten es vermutlich vorgezogen, von einem BMW platt gewalzt zu werden, als Pascals Singsang zu ertragen, von dem er meinte, dass er »Schwester Kröte« und »Bruder Kröterich« beruhigen würde. Danach studierte er Politikwissenschaften, um die Welt zu retten. Letzteres gelang ihm nicht, weder der Abschluss noch der globale Frieden.

Pascal gab mir als junger Mensch, bis wir uns in unseren Zwanzigern aus den Augen verloren und von da an nur noch alle Jubeljahre sahen, stets das Gefühl, ein verkommenes Individuum zu sein. Er war diese Art Gutmensch, den ich betrachtete, nur um dann zu begreifen, dass ich, wenn überhaupt, ein Schlechtmensch war. Denn weder hatte ich große geschweige denn löbliche Ambitionen – egal in welche Richtung –, noch wollte ich jemals die Welt retten. Ich wollte einfach nur das, wonach die meisten Jungen in meinem Alter strebten: Sex, Drugs and Death Metal. Außerdem den Ranglistenplatz in der Jugendauswahl meines Tennisvereins verbessern, Geld sammeln für meine erste eigene Vespa, und ich wollte um jeden Preis Nadine von Wallenstein an die Wäsche. Sie war ganz anders, als ihr Name vermuten ließ: Sie trug Doc Martens zu schwarzen Jeans, hörte Tom Waits und The Cure und empfand Tanzkurse als ein gesellschaftliches Korsett mit rostigen Nägeln in der Innenseite, die sich so lange ins Revoluzzer-Fleisch bohrten, bis man seinen eigenen Willen an der elterlichen Garderobe abgab und sich gebrochen dem Patriarchat unterwarf. Aber sie hatte wunderschöne Augen und eine noch wunderschönere Oberweite, eine echte »von« eben.

Glasnost, Mauerfall und Jugoslawienkrieg waren für mich nur Hintergrundgeräusche. Ich weiß, spricht alles nicht für mich. Aber ich bin ehrlich. Das ist doch immerhin schon etwas.

Mein Cousin, mit dem ich nach wie vor die Zeichentrickfigur Herr Rossi verbinde – das ist der, der stets das Glück sucht –, verurteilte mich nie öffentlich für meine Weltlichkeit. Im Gegenteil, Pascal erkundigte sich bei den Familienfeierlichkeiten, denen ich nicht entkommen konnte, immer nach meinen Hobbys und ob ich schon wieder eine neue Freundin hätte. Doch ich durchschaute ihn. Das war sein perfider Plan, mir das Gefühl zu geben, ein gewöhnlicher Teenager zu sein. Sein Hare-Krishna-Lächeln und sein »Hey, das sind doch super News!« konnten mir nichts vormachen. Trotz seines Helfersyndroms und all den anderen unerträglich positiven Eigenschaften hatte ich bei ihm unentwegt das Gefühl, als sähe er auf mich herab.

Heute war es umgekehrt. Nicht nur, weil ich einen Kopf größer war als er. Da stand er, der ehemalige Weltverbesserer und Möchtegern-Gandhi. Die Vierziger hatten ihm reichlich zugesetzt. Mindestens 30 Pfund zu viel auf den Rippen, eine Platte, die Bruce Willis schmeichelte, aber auch nur Bruce Willis, dafür aber ein noch dichter, grau-schwarzer Vollbart, der seine feinen, nach wie vor bübischen Konturen ummantelte. Die prall gefüllte Reisetasche, die er in der rechten Hand hielt, irritierte mich.

»Na, sieh mal einer an. Pascal. Womit habe ich denn das unerwartete Vergnügen?«

Ich unternahm nicht einmal den Versuch, meine ausbleibende Begeisterung zu verbergen, und spickte meine Betonung auf »Vergnügen« mit einer solch missfallenden Zweideutigkeit, dass ein Taubstummer zwischen den Zeilen hätte lesen und erkennen können, was ich ihm zu suggerieren versuchte: Herr S. mag keinen unangemeldeten Besuch. Deswegen bekommt er auch keinen!

»Überraschung!«

Da war es wieder, sein Hare-Krishna-Lächeln.

Ich hatte einen langen Tag im Büro gehabt. Ich war müde. Und hungrig. Ich war gerade im Begriff gewesen, mich noch einmal aufzuraffen, um entweder beim Inder um die Ecke Chicken Korma zu essen oder eine meiner zahlreichen Bekannten zu besuchen, mit telefonischer Vorankündigung wohlgemerkt, um unverfänglichen Sex im gegenseitigen Einvernehmen zu haben und damit Ellen aus meinem Kopf zu verdrängen. Oder beides nacheinander. Dann aber erst den Sex und als Abrundung des Tages das Huhn in Sahnesoße.

»Na, da hast du ja Glück, mich noch zu Hause erwischt zu haben. Ich bin nämlich auf dem Sprung. Ich …«

Weiter kam ich nicht. Ich kann nämlich nicht damit umgehen, wenn Menschen in meiner Nähe Gefühlsausbrüche bekommen, auf die ich nicht vorbereitet bin. Und Pascal bekam so einen. Zuerst verwandelte sich sein Lächeln in ein verstörendes Zucken der Mundwinkel. Dann begann sein Kinn zu wackeln. Und er fing an zu weinen. Er weinte nicht, er winselte. Wie ein kleines Hündchen. Einfach so. Er blieb aufrecht stehen, ließ das Wackelkinn auf seine Brust sinken und gab kleine, fiepsende Welpenlaute von sich, die in einem wiederkehrenden Turnus in Schluchzern endeten. Nur um dann wieder von Neuem mit dem Fiepsen zu beginnen.

Wieso hast du das nicht kommen sehen, du Idiot?

Ich wurde hinterrücks in diese Situation gelockt. Nun war ich gefangen auf der Schwelle meiner Haustür und sah einem entfernten Verwandten, für den ich keinerlei familiäre Gefühle hegte, dabei zu, wie er in sich zusammenfiel – ähnlich einem Kartenhaus, dem man ohne Vorwarnung das Fundament entzogen hatte. Aus dem kleinen Hobby-Dalai-Lama war wieder Herr Rossi geworden, der das Glück suchte und offenbar nicht fand. Und für mich gab es keine unbehaglichere Situation, außer, ich trenne mich gerade von einer tollen Frau. Wie Ellen. Keine zwei Wochen war das her. Ich bildete mir ein, ihr Parfum noch immer in meiner Wohnung zu riechen.

»Es ist alles aus.«

Muss ich da jetzt wirklich durch?

»Aus? Du meinst zwischen dir und …?«

Ich nahm mal an, er hatte eine Freundin oder Frau. Einen Freund oder Mann. Keine Ahnung, wie gesagt, wir hatten uns acht Jahre nicht gesehen.

»Ja, Ortrud hat sich von mir getrennt.«

Ortrud also, na gut, es kann ja nicht jede Frau Constanze, Amelie oder Yvette heißen. Oder Ellen.

»Das tut mir leid.« Tut es nicht.

»Du glaubst nicht, was sie gesagt hat.«

Und es interessiert mich auch nicht. »Das behältst du doch besser für dich, das ist doch sehr intim, da muss ich gar nicht …«

»Sie sagte, sie … sie spürt die kosmische Verbundenheit nicht mehr …«

Kosmische was? Versuch nicht zu lachen, Herr S., nicht lachen!

»Die kosmische Verbundenheit? Zwischen ihr und Gott?«

»Nein!« Meine sarkastische Frage riss ihn offenbar aus seiner Trauerstarre. Pascal zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich. Sein Kinn beendete das Tremortänzchen. »Die kosmische Verbundenheit zwischen ihr und mir.«

»Verstehe.« Nein, tu ich nicht.

»Und nun stehe ich vor dem Scherbenhaufen meines emotionalen Kosmos und habe das Gefühl zu ersticken.«

Jetzt muss ich ihn aber nicht hineinbitten, oder?

»Das tut mir sehr leid. Lass uns doch mal die Tage auf ʼnen Kaffee treffen und darüber in Ruhe reden. Ich muss jetzt wirklich …«

»Ich dachte allen Ernstes, sie ist diejenige.«

Pascal schien sich wieder gefangen zu haben. Er sah mir in die Augen, sein Ausdruck, der eines ernsthaften und zutiefst unglücklichen erwachsenen Mannes, verunsicherte mich.

Anscheinend ist sie es nicht. Sonst wärst du jetzt nicht hier.

Es entstand diese peinliche Stille, mit der ich nicht besonders gut umgehen konnte. Pascal sah mich einfach nur an. Ich im Gegenzug starrte zurück und sendete ihm telepathisch die Bitte, mich nun endlich in Ruhe zu lassen. Ob sie wirklich so bei ihm ankam, weiß ich bis heute nicht. Entweder hatte er sie erhalten und ignorierte sie, oder Telepathie ist definitiv nur fauler Zauber.

»Kann ich ein paar Tage bei dir wohnen?«

Ich wusste nicht einmal, dass du meine Adresse hast, und nun bittest du mich um Asyl?

»Tja, das kommt jetzt ziemlich spontan, ich …« Hast du denn keine Freunde?

»… ich bekomme wahrscheinlich Besuch die Tage …« Bekomme ich nicht.

»… daher ist es gerade ein bisschen blöd …«

Auf einmal veränderte sich das Puddinggesicht. Das bärtige Kinn reckte sich geradezu kämpferisch vor. »Ich weiß, ich verlange hier einiges von dir, aber ich habe keine andere Wahl.«

Keine andere Wahl? Was in aller Welt hat das denn zu bedeuten? »Und wieso …?«

»Weil ich seit einem Jahr keinen Auftrag mehr hatte und pleite bin, arm wie eine Kirchenmaus. Meine Taschen sind leer.«

Nun war ich noch perplexer. Denn in der Tat wollte ich ihn fragen, warum er nicht für ein paar Tage in ein Hotel ging. Also gab es wirklich eine andere Ebene der Kommunikation, die ohne Worte auskam. Pascal arbeitete als Reiki-Meister, er therapierte gestresste Manager und bewahrte sie mit seiner Radiance-Technik vor dem gefürchteten Burn-out. Es lief in den späten Neunzigern und frühen Nullern richtig gut für ihn. Aber offensichtlich fraß die Rezession nicht nur ihre Kinder, sondern knabberte auch an den Geldbeuteln der Manager, Entscheidungsträger, Politiker, CEOs, CFOs, UFOs, und wie sie alle hießen. Ich schmunzelte innerlich bei der Vorstellung, wie Pascal in den letzten Monaten vergeblich in den Einkaufszentren und Fußgängerzonen der Stadt mit einem Plastikschild und improvisiertem Pendelbrettchen um Kundschaft gebuhlt hatte. »Reiki für jedermann! Ich lege Ihnen die Hände auf für einen Euro die Minute!«