Der letzte Ausweg einer Mutter - Britta Winckler - E-Book

Der letzte Ausweg einer Mutter E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Susanne Brühl starrte auf ihren Teller. Sie konnte den Brechreiz kaum noch unterdrücken. Ihre Augen füllten sich nun mit Tränen. Sie hatte sich so auf diesen Ausflug gefreut. In den letzten Wochen hatte Ralf sich kaum noch um sie gekümmert. Sie hatte allein im Zimmer gesessen und nicht gewußt, wie sie die Zeit totschlagen sollte. Ihr Kopf sank tiefer. Sie konnte Ralf ja verstehen. Er mußte viel unterwegs sein, die letzten Vorbereitungen für die Schallplattenaufnahme mußten getroffen werden. Daß er sie jetzt, wo ihr Zustand schon deutlich zu erkennen war, nicht gern mitnahm, war verständlich. »Warum ißt du denn nicht? Schmeckt es dir nicht?« Wie häufig in den letzten Wochen klang Ralfs Stimme gereizt. »Es ist ausgezeichnet.« Susanne hob den Kopf, sie versuchte zu lächeln. »Warum ißt du dann nichts? Ich wollte dir eine Freude machen.« Ärgerlich zuckte Ralf Klein die Achseln. »Du hast dich beklagt, daß du kaum noch aus dem Haus kommst. Deswegen sind wir an den See gefahren. Ich hätte wirklich etwas anderes zu tun.« Susanne sah in sein Gesicht. Jede Linie dieses Gesichtes konnte sie nachzeichnen, wenn sie die Augen schloß. Sie liebte ihn so sehr, seine Augen, die so zärtlich blicken konnten, sein unbeschwertes, fröhliches Lachen. Jetzt jedoch stand über seiner Nasenwurzel eine tiefe Falte. Seine Lippen waren zusammengepreßt, seine Mundwinkel nach unten gebogen. Rasch senkte Susanne wieder den Blick. Da waren auch wieder die Tränen, sie brannten hinter ihren Augenlidern. »Gefällt es dir hier nicht?« hörte sie ihn fragen. Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, setzte er

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Die Klinik am See – 11–

Der letzte Ausweg einer Mutter

Sie wollte nur das Beste für ihr Kind

Britta Winckler

Susanne Brühl starrte auf ihren Teller. Sie konnte den Brechreiz kaum noch unterdrücken. Ihre Augen füllten sich nun mit Tränen. Sie hatte sich so auf diesen Ausflug gefreut. In den letzten Wochen hatte Ralf sich kaum noch um sie gekümmert. Sie hatte allein im Zimmer gesessen und nicht gewußt, wie sie die Zeit totschlagen sollte. Ihr Kopf sank tiefer. Sie konnte Ralf ja verstehen. Er mußte viel unterwegs sein, die letzten Vorbereitungen für die Schallplattenaufnahme mußten getroffen werden. Daß er sie jetzt, wo ihr Zustand schon deutlich zu erkennen war, nicht gern mitnahm, war verständlich.

»Warum ißt du denn nicht? Schmeckt es dir nicht?« Wie häufig in den letzten Wochen klang Ralfs Stimme gereizt.

»Es ist ausgezeichnet.« Susanne hob den Kopf, sie versuchte zu lächeln.

»Warum ißt du dann nichts? Ich wollte dir eine Freude machen.« Ärgerlich zuckte Ralf Klein die Achseln. »Du hast dich beklagt, daß du kaum noch aus dem Haus kommst. Deswegen sind wir an den See gefahren. Ich hätte wirklich etwas anderes zu tun.«

Susanne sah in sein Gesicht. Jede Linie dieses Gesichtes konnte sie nachzeichnen, wenn sie die Augen schloß. Sie liebte ihn so sehr, seine Augen, die so zärtlich blicken konnten, sein unbeschwertes, fröhliches Lachen. Jetzt jedoch stand über seiner Nasenwurzel eine tiefe Falte. Seine Lippen waren zusammengepreßt, seine Mundwinkel nach unten gebogen. Rasch senkte Susanne wieder den Blick. Da waren auch wieder die Tränen, sie brannten hinter ihren Augenlidern.

»Gefällt es dir hier nicht?« hörte sie ihn fragen. Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, setzte er hinzu: »Dir kann man in letzter Zeit wirklich nichts mehr recht machen.«

Susanne schluckte und schluckte. »Es ist sehr schön hier. Ich freue mich so. Es ist lieb von dir, daß du mit mir an den See gefahren bist.« Sie stammelte es unter gesenkten Lidern. »Nur, ich kann nicht mehr essen. Bitte, sei nicht böse.« Sie legte die rechte Hand auf ihren Leib.

»Schade um das teure Essen. Billig ist es hier wirklich nicht.« Ralf sah sich um. Seine Laune hatte den Nullpunkt erreicht. Er mußte endlich Schluß machen. Es war an der Zeit, daß er Bayern den Rücken kehrte. Hamburg, dorthin wollte er schon lange, oder noch besser, gleich nach Kanada. Dort hatte er einen Schulkameraden, der es verstanden hatte, etwas aus sich zu machen. Bei dem konnte er sicher unterschlupfen.

Susannes Magen hatte sich soweit beruhigt, daß sie den Kopf heben konnte. Unsicher sah sie ihren Freund an. Sie bemerkte, daß er mit seinen Gedanken weit weg war. Zögernd legte sie ihre Hand über die seine. Ralf zuckte zusammen, da strich sie liebevoll über seinen Handrücken.

»Ralf, ich danke dir für diesen Ausflug. Es ist so schön. Alles grünt und blüht.«

Er wich ihren großen, etwas schräg stehenden grünen Augen, die ihn dankbar ansahen, aus. »Es ist Frühling«, brummte er. Dabei dachte er: Sie ist wirklich sehr schön. Schade, eigentlich hatte ich vorgehabt, diesen Sommer noch mit ihr zu verbringen. Wie dumm von ihr, sich ein Kind anhängen zu lassen!

»Ralf, ich werde dich nicht enttäuschen.« Ihre Hand kam zu ihm herüber. »Ich kann singen. Mit meinem Zustand hat es nichts zu tun. Du bist ja so oft nicht da, und da übe ich.«

Ralf lachte auf. Du ahnungsloser Engel! dachte er. Dann fing er ihren erstaunten Blick auf, und ehe sie fragen konnte, meinte er: »Schon gut! Du wirst es schon schaffen.« Er sah über sie hinweg. Es fiel ihm immer schwerer, sie zu belügen.

Susanne nagte an ihrer Unterlippe. Unsicher schob sie den Teller noch weiter von sich. Schließlich heftete sie den Blick auf sein Gesicht. Sie schluckte, dann stieß sie gepreßt hervor: »Es müßte aber bald sein. Ich meine, zu lange können wir mit der Schallplattenaufnahme nicht mehr warten.«

Ralf fuhr auf. »Ich kann nicht zaubern!«

Susannes Kopf sank auf die Brust. »Ich meine nur.« Erneut schluckte sie, nahm dann allen Mut zusammen und fuhr fort: »Schon vor Monaten hätte ich ins Aufnahmestudio gehen sollen.«

»Ja, ja! Ich habe dir doch gesagt, daß es in dieser Branche kein Kinderspiel ist. Da muß man warten können. Verstehst du, auf den richtigen Moment muß man warten.«

»Aber… allzulange kann ich nicht mehr warten.« Unwillkürlich sah Susanne an sich hinunter.

»Ich weiß«, knurrte Ralf. Bisher hatte er es nicht wahrhaben wollen, aber es war wirklich höchste Zeit, daß er verschwand.

»Ralf!« Sie drückte seine Hand. »Entschuldige, ich will dir nicht lästig fallen. Du warst doch einige Tage in München.« Sie hielt kurz inne, dann gab sie sich einen Ruck. »Wir haben noch nicht darüber gesprochen. Hast du denn nichts erreicht?«

Ralf brachte es nicht fertig, ihrem Blick auszuweichen. Ihre Augen schimmerten feucht, ihre Lippen zitterten leicht. Sie sah phantastisch aus und sie hatte Talent. Schade, er konnte ihr nicht helfen. Sekundenlang schämte er sich. Dies passierte ihm sonst nie. Er war es gewohnt, von den Frauen zu leben. Er mußte sich räuspern, und dann belog er sie ein letztes Mal.

»Ende dieser Woche findet die Aufnahme statt.«

Er sah es in ihren Augen aufleuchten. Das Lächeln griff auf ihr Gesicht über. Dann jedoch stutzte sie. »Sagtest du, Ende dieser Woche? Machen die am Wochenende auch Aufnahmen?«

»Ich meine natürlich am Freitag oder Samstag«, wich Ralf aus. »Den genauen Tag erfahre ich, wenn ich morgen noch einmal vorspreche.«

Das Lächeln erlosch in ihrem Gesicht. »Du willst noch einmal nach München?«

»Ich muß! Es gibt noch einiges zu besprechen. Die Plattenfirma will dich gleich groß herausbringen.«

Susanne hielt die Luft an, dann stieß sie hervor: »Bist du sicher, daß es diesmal klappen wird?«

»Ganz sicher«, bestätigte er, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Ralf, warum hast du das nicht gleich gesagt?« rief sie erfreut. Sie war nur noch glücklich. Ein Jahr war es her, daß er ihr zum ersten Mal davon erzählt hatte, daß er Beziehungen zur Schallplattenbranche hatte. Er hatte bekannte Namen genannt und behauptet, daß er diese Leute gemanagt hatte. Ihr hatte er ebenfalls Hoffnungen gemacht, und sie hatte geduldig gewartet.

»Nicht so laut«, mahnte Ralf. Er lächelte. Sie war wirklich leicht zufriedenzustellen. Er tätschelte ihre Hand. Irgendwie würde sie ihm fehlen. Dann merkte er, daß Susannes Blick auf einen Mann gerichtet war, der gerade das Restaurant betreten hatte. Er runzelte die Stirn. Woher kannte Susanne diesen Mann? Seine angegrauten Schläfen verrieten, daß er die Vierzig bereits überschritten hatte. Seine Bewegungen jedoch waren jugendlich, elastisch. Das Mädchen an seiner Seite konnte man hübsch nennen.

»Kennst du ihn nicht?« fragte Susanne leise.

Ralf zuckte die Achseln. War der Kerl ein Filmschauspieler? Irgendwie kam er ihm bekannt vor.

»Das ist Dr. Lindau! Hast du noch nie von ihm gehört? Ihm gehört die Klinik am See.« Sie seufzte. »Dort möchte ich unser Kind zur Welt bringen. Hast du noch nie über ihn in der Zeitung gelesen? Er ist ein phantastischer Arzt!«

Jetzt erinnerte Ralf sich. »Sprichst du von der Klinik, die früher ein Schloß war?«

»Richtig!« Susanne nickte. »Niemand hier wußte, daß die Besitzerin die bekannte Operndiva Sonja Parvelli war. Dr. Lindau hatte sie behandelt, und zum Dank hatte sie ihm das Schloß geschenkt.«

»Wie romantisch«, spottete Ralf.

»Dr. Lindau hat bereits sehr vielen Frauen geholfen. Die Klinik am See, wie sie genannt wird, ist eine Klinik für Frauenleiden.«

Ralf interessierte dies wenig. Sein Interesse galt der Frau an der Seite des Chefarztes. »Ist sie seine Geliebte?«

Susanne lachte. »Sie ist seine Tochter und ebenfalls Ärztin, Kinderärztin. Daher wurde der Klinik auch eine Kinderstation angegliedert. Ihr Mann ist übrigens auch Kinderarzt und Leiter dieser Abteilung.«

»Schade«, entfuhr es Ralf.

Irritiert sah Susanne ihren Freund an. Dieser grinste. »Daß schöne Frauen immer so schnell heiraten müssen!«

Susanne mochte es nicht, wenn er so sprach. So drehte sie den Kopf zur Seite.

»Komm, es war doch nur Spaß«, sagte Ralf. So wie es aussah, war dies der letzte Tag, den sie gemeinsam verbrachten, und den wollte er sich nicht verderben lassen.

Zögernd wandte sie sich ihm wieder zu. »Glaubst du, daß ich in der Klinik entbinden kann?«

Ralf unterdrückte einen Seufzer. Dieses Thema gefiel ihm noch weniger. So zuckte er nur die Achseln und unterzog die Tochter des Chefarztes erneut einer Betrachtung.

Susanne nagte an ihrer Unterlippe. »Ralf«, begann sie schließlich. »Ich will dich wirklich nicht drängen, aber es wäre sicher alles einfacher, wenn wir vorher heiraten würden. Ich meine… ich bin natürlich deiner Ansicht, daß ein Ring kein Liebesbeweis ist, aber Dr. Lindau könnte doch denken…«

Mit einem Blick brachte Ralf seine Freundin zum Schweigen. Spöttisch meinte er: »Ich dachte, dein Dr. Lindau hat schon so vielen Frauen geholfen?«

»Doch nicht so!« Susannes Wangen röteten sich. Sie senkte den Kopf. »Ich dachte auch nur, es wäre einfacher…«

»Schon gut! Wenn dir so viel daran liegt!« Ralf lächelte sie an. »Deswegen wollen wir wirklich nicht streiten. Bring die Schallplattenaufnahme hinter dich, dann suchen wir die nötigen Papiere zusammen.«

»Ja?« Ihre grünen Augen leuchteten auf. »Und die Aufnahme wird am Freitag oder Samstag sein?«

»Genau!« Ralf legte sich zurück. Armes Kind! dachte er. Sie war noch immer so leichtgläubig wie am ersten Tag.

»Ralf, wir werden sehr glücklich werden«, hauchte Susanne. »Ich werde es trotz des Kindes schaffen!« Sie sah Ralf an und begann mit offenen Augen zu träumen. Von einer Karriere hatte sie bereits geträumt, ehe sie ihm begegnet war. Sie war überglücklich gewesen, als sie merkte, daß auch er an ihr Talent glaubte. Sie würde ihm beweisen, daß er sich nicht geirrt hatte. Nicht umsonst hatte sie ihre Arbeit aufgegeben und nur noch geprobt, sogar Tanzunterricht hatte sie genommen.

»Wenn du hier fertig bist, können wir gehen«, sagte Ralf knapp.

Susanne fühlte Ernüchterung. »Du bist mir doch nicht böse, weil ich nicht aufgegessen habe? Es war wirklich sehr gut, nur…«

»Schon gut!« Ungeduldig hob Ralf die Hand und winkte dem Kellner. »Wenn du dich besser fühlst, können wir ja einen Spaziergang machen.«

»Mir geht es ausgezeichnet«, versicherte Susanne rasch.

*

Im Vorraum des Entbindungsraumes wartete bereits Schwester Bärbel auf den Chefarzt.

Sie war noch jung und obwohl sie bereits verlobt war, hatte sie eine Schwäche für den Chef. So hatte sie für ihn die sterile Kleidung bereitgelegt und stand mit dem Handtuch lächelnd hinter ihm, während er sich die Hände unter dem fließenden Wasser schrubbte.

»Ist Dr. Hoff hier?« fragte der Chefarzt.

»Er ist schon drin, auch Herr Burger ist im Kreißsaal. Er besteht darauf, bei seiner Frau zu bleiben.«

Dr. Lindaus Gesichtsausdruck wurde abweisend. Das hatte er befürchtet. Er reichte der Schwester das Handtuch zurück und ging auf die Verbindungstür zu. Beflissen eilte Schwester Bärbel vor ihm her, um sie ihm zu öffnen.

»Frau Burger leidet sehr«, flüsterte sie ihm noch rasch zu, ehe sie zur Seite trat. Der Chefarzt quittierte ihre Worte mit hochgezogenen Augenbrauen. Dann jedoch beachtete er Schwester Bärbel nicht weiter. Mit einem kurzen Gruß trat er in den Raum. Auf den ersten Blick erkannte er, daß seine Befürchtungen sich bestätigten. Frau Burgers Gesicht war hochrot, ihre Lippen waren aufgesprungen, und obwohl sie bemüht war, sich zu beherrschen, entschlüpfte ihr in unregelmäßigen Abständen ein Schmerzensschrei.

Herr Burger eilte auf ihn zu, erregt griff er nach seinem Arm und verkrallte seine Hand in dem weißen Stoff. »Herr Doktor, Sie müssen etwas tun! Das Kind, meine Frau…« Seine Stimme überschlug sich fast.

Dr. Hoff, der diensthabende Frauenarzt – er hatte auch eine chirurgische Fachausbildung – verließ das Bett, auf dem die Gebärende lag, und trat zum Chefarzt. »Ich habe Herrn Burger bereits mehrmals gebeten, den Kreißsaal zu verlassen«, sagte er mit umwölkter Stirn.

»Das ist unerhört!« Der Gutsbesitzer schnappte nach Luft. »Mir wurde zugesichert, bei der Geburt zugegen sein zu können. Was ist hier eigentlich los?«

»Sehen Sie das nicht?« fragte Dr. Lindau ruhig. »Wir müssen das Kind holen. Ich muß schneiden. Ich sagte Ihnen bereits gestern abend, daß ich dies befürchtet habe.«

»Das ist ausgeschlossen!« fuhr Herr Burger auf. »Meine Frau und ich haben uns für eine natürliche Geburt entschlossen.«

»Unter diesen Umständen ist das leider nicht möglich.« Während die Gebärende stöhnte, versuchte Dr. Lindau ruhig zu bleiben. »Bei einer Sectio müssen wir eine Anästhesie vornehmen.«

»Ich werden nicht zulassen, daß meine Frau betäubt wird.« Brüsk wandte Herr Burger sich dem Bett zu. »Nicht wahr, Lisa, wir haben uns monatelang auf dieses Ereignis vorbereitet. Nun wollen wir auch jede Phase miterleben.«

Seine Frau bäumte sich auf. Für Sekunden öffnete sie die Augen. Ihr flehender Blick traf den Chefarzt. »Helfen Sie mir, bitte!« stieß sie gepreßt hervor.

Dr. Lindau trat ebenfalls an das Bett heran. »Bitte, bleiben Sie ruhig! Wir bringen Sie gleich in die Anästhesie hinüber. Sie werden von dem Eingriff nichts spüren.«

Frau Burger nickte. Sie schloß wieder die Augen. Sie vertraute Dr. Lindau.

»Und das Kind?« Einen Moment lang sah es so aus, als würde der Gutsbesitzer den Chefarzt von der Liege drängen. »Eine Narkose schadet dem Kind. Wir haben uns genau informiert. Ich werde nicht dulden…«

Dr. Lindaus Geduld war zu Ende, er fiel dem Mann ins Wort: »Sehen Sie denn nicht, daß Ihre Frau Schmerzen hat? Wir müssen sofort handeln. Es könnte sonst für das Kind zu spät sein.«

»Bitte, Arthur!« Mühsam versuchte Lisa Burger sich aufzurichten. »Ich halte es nicht mehr lange aus.« Als ihr Mann noch immer zögerte, setzte sie hinzu: »Dr. Lindau weiß schon, was er tut.«

Der Chefarzt nickte Dr. Hoff zu. »Dr. Reichel wartet bereits«, sagte dieser, und auf sein Zeichen wurde die Liege mit Frau Burger aus dem Zimmer gerollt.

Arthur Burger wollte hinterher, doch Dr. Lindau vertrat ihm den Weg. »Glauben Sie mir, es gibt keine andere Möglichkeit. Wir gefährden sonst nicht nur das Leben des Kindes, sondern auch das der Mutter.«

Der Gutsbesitzer wurde unsicher. »Lisa hat sich bereit erklärt, alle Schmerzen auf sich zu nehmen.«

»Es ist eine Situation eingetreten, wo dies unmöglich ist. Sie müssen sich aber keine Sorgen machen. Wir tun nichts, womit wir dem Ungeborenen Schaden zufügen könnten. Ihre Frau bekommt keine Vollnarkose. Es wird nur eine Lumbalanästhesie vorgenommen. Ich muß Sie jetzt jedoch bitten, den Kreißsaal zu verlassen. Ich muß mich auf die Operation vorbereiten.« Dr. Lindau sah den Mann so fest an, daß dieser schließlich die Achseln zuckte und sich von der Schwester zur Tür bringen ließ. Raschen Schrittes ging der Chefarzt noch einmal in den angegliederten Waschraum. Mit der Hilfe von Schwester Bärbel zog er die Operationshaube über das Haar und legte die Maske vor, so daß man nur noch seine Augen sehen konnte. Dr. Hoff, der ihm gefolgt war, tat es ihm nach. Sie waren ein eingespieltes Team, und so bedurfte es zwischen ihnen kaum noch der Worte.

Inzwischen war an der Patientin eine Lokalanästhesie vorgenommen worden. Sie wurde wieder in den Operationssaal gerollt. Aufmunternd nickte der Chefarzt ihr zu, dann streckte er die Hand nach der Pinzette aus. Nach wenigen Minuten hatte er sich davon überzeugt, daß seine Befürchtungen stimmten. Die Nabelschnur war bereits nach vorn gefallen, das Leben des Ungeborenen hing an einem seidenen Faden. Sie mußten sich beeilen! Doch zum Entsetzen der Ärzte reagierte die Patientin mit einem Schmerzenslaut, als sie mit der Pinzette berührt wurde. Vorsichtiger zupfte Dr. Lindau mit der Pinzette an der Haut der Gebärenden, wieder zuckte diese zusammen. Es gab keinen Zweifel, mit der Lumbalanästhesie hatte es nicht geklappt. Unter dem Mundschutz preßten sich die Lippen des Chefarztes aufeinander. Seine Augen verengten sich. »Holen Sie Dr. Reichel«, sagte er, dann beugte er sich wieder über den Operationstisch.

Er mußte rasch eine Entscheidung treffen. Es blieb keine Zeit für lange Überlegungen. Drei Finger breit über der Schambeinfuge war die Patientin noch immer empfindlich. Er konnte so keine Sectio vornehmen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Dr. Reichel herangekommen war.

»Das verstehe ich nicht! Ich habe das örtlich betäubende Mittel durch Lumbalpunktion in den lumbalen Rückenmarksack eingespritzt.«

Kurz hob der Chefarzt den Blick. Es hatte keinen Sinn, weitere Fragen zu stellen. Er mußte handeln.

»Wir müssen eine Vollnarkose machen«, sagte Dr. Hoff.

Der Chefarzt schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu gefährlich für das Ungeborene. Es muß eine andere Möglichkeit geben.«

Lisa Burger stöhnte. Die Wehen hatten wieder eingesetzt, aber durch die Querlage bestand nicht die geringste Chance, das Kind herauszupressen. Der Chefarzt zögerte nicht länger. »Novocain«, stieß er hervor. Er hob den Kopf und sah Dr. Reichel an. »Die Haut für den Einschnitt muß mit Novocain betäubt werden. Bitte, Kollege, beeilen Sie sich!«

»Aber…«

Dr. Lindau machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich muß es versuchen.« Leiser, nur noch für die Ärzte hörbar, fügte er hinzu: »Es kann sonst zu spät sein.«

Während die örtliche Betäubung vorgenommen wurde, nahm Dr. Lindau der Schwester das Tuch aus der Hand und wischte Frau Burger selbst die Schweißtropfen von der Stirn.

»Gleich ist es soweit. Sie müssen sich entspannen. Bitte, versuchen Sie es! Ich hole jetzt Ihr Kind. Sie können mir helfen, indem Sie versuchen, sich nicht zu verkrampfen.«

Lisa Burger nickte. »Sie schaffen es, Herr Doktor«, flüsterte sie, dann schloß sie die Augen. Es tat gut, seine Hand zu spüren, die ihr das Haar aus der Stirn strich. Gleich würde er ihr helfen. Er würde ihr Baby holen, und es würde ein gesundes Kind sein. Sie vertraute ihm. Zu Hause hatten sie und ihr Mann bereits alles für das Kind vorbereitet. Sie würde eine gute Mutter sein. Sie malte sich das zukünftige Leben zu dritt in den schönsten Farben aus. Darüber vergaß sie ihre Schmerzen.