Aus Liebe wurde Hass - Britta Winckler - E-Book

Aus Liebe wurde Hass E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Die Vorlesung war beendet, und ­Alice Mangold verstaute ihre Hefte und die paar Bücher in ihrer Umhängetasche. Minuten später verließ sie den Hörsaal der Universität. Als sie an der Cafeteria vorbeikam, verspürte sie plötzlich Durst. Kurz entschlossen trat sie ein, ließ sich eine Cola geben und stellte sich an einen der Stehtische. Lächelnd erwiderte sie die Grüße einiger Kommilitonen, die ebenso wie sie Kunstgeschichte studierten. Es war erst ihr zweites Semester, das sie an der Münchener Universität begonnen hatte. »Hallo, Alice …« Zwei junge Männer, beide erst knapp zwanzig Jahre alt, traten an den Tisch heran. »Hallo – Peter …, Harry«, erwiderte Alice und warf ihren Kopf mit der Pferdeschwanzfrisur in den Nacken. Ihr Gruß klang nicht gerade sehr freundlich. Zumindest bezog sich das auf Harry Büchner. Den konnte sie nicht besonders leiden. Er war ihr zu aufdringlich. Jede Gelegenheit nahm er wahr, um mit ihr anzubandeln. Alice hatte ihn jedoch bisher immer wieder abblitzen lassen. Da war Peter Steinach anders. Ihn konnte Alice schon besser leiden. Er war ein ruhiger und besonnener Typ, redete wenig und war im Vergleich zu Harrys aufdringlicher Art geradezu schüchtern. Alice war es natürlich nicht unbemerkt geblieben, dass Peters Augen immer glänzend wurden, wenn er sie ansah. Sie wusste natürlich, was das bedeutete. Peter war ganz einfach in sie verliebt, hatte aber bisher noch nie den Versuch einer vertraulichen Annäherung unternommen. Ihr gefiel das nicht nur, sondern es erleichterte sie auch, denn sie wusste, dass sie ihm eine Abfuhr hätte erteilen müssen. Sie mochte Peter zwar, unterhielt sich

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Die Klinik am See – 19–

Aus Liebe wurde Hass

Er sollte büßen, weil er sie abwies

B. Winckler

Die Vorlesung war beendet, und ­Alice Mangold verstaute ihre Hefte und die paar Bücher in ihrer Umhängetasche. Minuten später verließ sie den Hörsaal der Universität. Als sie an der Cafeteria vorbeikam, verspürte sie plötzlich Durst. Kurz entschlossen trat sie ein, ließ sich eine Cola geben und stellte sich an einen der Stehtische. Lächelnd erwiderte sie die Grüße einiger Kommilitonen, die ebenso wie sie Kunstgeschichte studierten. Es war erst ihr zweites Semester, das sie an der Münchener Universität begonnen hatte.

»Hallo, Alice …« Zwei junge Männer, beide erst knapp zwanzig Jahre alt, traten an den Tisch heran.

»Hallo – Peter …, Harry«, erwiderte Alice und warf ihren Kopf mit der Pferdeschwanzfrisur in den Nacken. Ihr Gruß klang nicht gerade sehr freundlich. Zumindest bezog sich das auf Harry Büchner. Den konnte sie nicht besonders leiden. Er war ihr zu aufdringlich. Jede Gelegenheit nahm er wahr, um mit ihr anzubandeln. Alice hatte ihn jedoch bisher immer wieder abblitzen lassen. Da war Peter Steinach anders. Ihn konnte Alice schon besser leiden. Er war ein ruhiger und besonnener Typ, redete wenig und war im Vergleich zu Harrys aufdringlicher Art geradezu schüchtern. Alice war es natürlich nicht unbemerkt geblieben, dass Peters Augen immer glänzend wurden, wenn er sie ansah. Sie wusste natürlich, was das bedeutete. Peter war ganz einfach in sie verliebt, hatte aber bisher noch nie den Versuch einer vertraulichen Annäherung unternommen. Ihr gefiel das nicht nur, sondern es erleichterte sie auch, denn sie wusste, dass sie ihm eine Abfuhr hätte erteilen müssen. Sie mochte Peter zwar, unterhielt sich auch gern mit ihm, aber seine Freundin zu werden, hatte sie nicht im Sinn. Gewiss, er sah gut aus – besser als Harry – und es gab einige gleichaltrige Mädchen an der Uni, die recht gern mit ihm zusammen gewesen wären. Doch Peter schien nur Augen für sie, Alice, zu haben. Auf eine ganz bestimmte Weise schmeichelte ihr das natürlich. In seiner Gesellschaft fühlte sie sich wirklich wohl, zu ihm hatte sie Vertrauen. Das war aber auch alles. Nicht zuletzt auch schon deshalb, weil es einen anderen jungen Mann gab, der ihr Interesse geweckt hatte. Volker Reinegger hieß er und studierte ebenfalls Kunstgeschichte. Es war allerdings nicht so, dass sie sich in ihn verliebt hatte, aber sie gestand sich ein, dass sie nicht ungern mit ihm in Kontakt gekommen wäre.

»Übrigens, Alice …«, unterbrach Harry Alices Gedanken und holte aus seiner Tasche eine Zeitschrift hervor, die er aufgeschlagen auf den Tisch legte. Mit dem Finger deutete er auf ein Bild mit darunterstehenden kurzen Text. »… ich habe da etwas entdeckt. Sieh mal! Fast hätte ich geglaubt, dass du das bist.«

Alice versteifte sich ein wenig. Sie ahnte etwas, und ihre Ahnung bestätigte sich, als sie das Bild sah und den dazugehörigen Text las.

»Die Ähnlichkeit ist verblüffend«, ergriff Harry wieder das Wort und lächelte faunisch. »Man könnte dich und die hier abgebildete Frau für Schwestern halten, wenn nicht …«

»Spar dir die Worte, Harry«, unterbrach Alice den jungen Mann. »Du weißt sehr gut, dass das hier meine Mutter ist.«

»Ja, das weiß ich«, räumte Harry ein. »Eine tolle Frau übrigens, und wenn sie nicht so alt wäre, könnte ich mich glatt in sie verlieben.« Sinnend betrachtete er das Foto in der Zeitschrift, deren Auflage wegen der interessanten Klatschreportagen ziemlich hoch war.

»Meine Mutter ist nicht alt«, erwiderte Alice. »Mit dreiundvierzig ist eine Frau …«

»Schon verstanden«, fiel Harry dem langbeinigen Mädchen grinsend ins Wort. »Ihren Aktivitäten entsprechend scheint sie sogar noch sehr jung zu sein.« Er hatte damit gar nicht einmal so unrecht. Der unter dem Zeitungsfoto stehende Artikel des Klatschreporters schien das nur zu bestätigen. Er beinhaltete nicht mehr und nicht weniger, als das die gerade während eines verrückten Tanzes abgelichtete Katharina Helbrecht in punkto Esprit und Lebenslust trotz ihrer bereits überschrittenen vierzig den jüngeren Altersstufen noch einiges voraus habe und ganz abgesehen von ihrem wirklich rassigen Aussehen auf dem besten Wege war, die Partylöwin der Münchener Schickeria zu werden.

Sinnend und nachdenklich betrachtete Alice das Foto in der Zeitschrift. Irgendwie tat die Mutter ihr leid. Andererseits aber ärgerte sie sich auch über sie.

Nur wenige Sekunden hatten all ihre augenblicklichen Überlegungen gedauert, da riss sie Harrys Stimme wieder aus ihren Gedanken. »Du kannst das Blatt gern behalten, wenn du willst«, sagte er und lächelte verschmitzt. »Vielleicht inspiriert dich das Bild und der Artikel ein …«

»Hör auf, Harry!«, fiel Peter dem Studienfreund energisch ins Wort. »Du siehst doch, dass du Alice damit ärgerst.«

»Ja, ja, schon gut …«, murmelte Harry und schob Alice das Blatt hin.

»Danke«, gab Alice zurück und verstaute es in ihrer Tasche. »Ich muss jetzt aber weiter«, fügte sie hinzu und wollte gehen.

Peter hielt sie zurück. »Ach, bevor ich’s vergesse, Alice«, sagte er, »ich wollte dich für den kommenden Samstag zu einer Fete einladen.« Bittend sah er Alice an.

Fragend gab sie den Blick zurück. »Fete? Wo? Bei wem und weshalb?«, kam es leise über ihre Lippen.

»Tja, eigentlich gibt es dafür keinen besonderen Anlass«, erwiderte Peter. »Volker Reineggers Eltern reisen am Freitag in die Ferien, und Volker meint, dass man das ausnützen müsse, wenn man das ganze Haus für sich allein hat. Er hat schon entsprechende Vorbereitungen getroffen.«

»Wo soll das denn stattfinden?«, wollte Alice wissen, die bei der Nennung des Namens Volker Reinegger aufgehorcht hatte.

»In Hausham, das ist unweit von Schliersee«, kam die Antwort. »Volkers Eltern haben dort ein großes Haus mit Swimmingpool.«

Alice überlegte kurz. Solche Feten hatte sie schon öfters mitgemacht, und es war immer sehr lustig und unterhaltsam gewesen. Man war schließlich jung, und es war ja auch nichts dabei, wenn man das Leben ein wenig genießen wollte. Weshalb sollte sie nicht auch diesmal mitmachen? Es störte sie zwar ein wenig, dass das außerhalb Münchens sein sollte. In der gleichen Sekunde fiel ihr aber ein, dass Schliersee beziehungsweise Hausham gar nicht so weit vom Tegernsee entfernt war, von der Südspitze, da wo bei Rottach ihre Mutter in ihrem Bungalow lebte. Gar nicht so übel, sinnierte sie weiter. Da konnte sie nach langer Zeit am darauffolgenden Sonntag wieder einmal bei der Mutter zu Hause sein. Ausschlaggebend für ihre dann folgende Entscheidung aber war, dass Volker Reinegger mit dabei war.

»Nun, was ist?«, fragte Peter in Alices Gedanken hinein.

»Okay, ich mache mit«, erwiderte Alice. »Wie komme ich aber dahin?«, wollte sie wissen. »Du weißt, dass ich kein Auto, sondern nur einen Motorroller habe.«

»Kein Problem – ich hole dich ab und fahre dich hin …«

»Auch wieder nach Hause?«

Peter nickte nur.

Damit war für Alice dieses Thema erledigt. Sie wollte nur noch wissen, zu welcher Uhrzeit am Samstag sie sich bereithalten sollte.

»Gegen sechs am Abend hole ich dich ab«, antwortete Peter. »Du hast ja noch die gleiche Adresse?«, vergewisserte er sich.

Alice bestätigte es, nickte den beiden jungen Männern verabschiedend zu und verschwand mit elastischem Gang aus der Kantine, bald darauf auch aus dem Universitätsgebäude. Als sie dem Parkplatz zuschritt, auf dem ihr Motorroller stand, fiel ihr noch ein, dass sie eigentlich hätte fragen müssen, ob Harry Büchner etwa auch an dieser Fete teilnahm. Begeistert davon war sie nicht. Dafür aber verspürte sie eine leise erwartungsvolle Freude bei dem Gedanken, dass Volker Reinegger anwesend sein würde. Dabei müsste sich doch bestimmt die Möglichkeit eines Kontaktes ergeben.

Wenige Minuten nach zwei Uhr nachmittags war es, als sie in ihrem in jungmädchenhaften Stil eingerichteten kleinen Appartement in München-Sendling eintraf und ihre Umhängetasche leerte. Dabei fiel ihr wieder das Magazin in die Hände, das sie von Harry Büchner bekommen hatte und in dem ihre Mutter abgebildet war. Über Alices Nase bildete sich eine kleine Unmutsfalte. »Ich muss einmal ernsthaft mit ihr reden«, murmelte sie vor sich hin, »ob ihr das nun gefällt oder nicht. Ja, am Sonntag nach der Fete, werde ich es tun.«

Dieser Entschluss brachte sie gleichzeitig auf den Gedanken, die Mutter anzurufen und ihr mitzuteilen, dass sie den Rest der Nacht vom Samstag auf Sonntag und auch den gesamten Sonntag im Haus am Tegernsee bleiben wolle. Sie ließ diesem Gedanken auch sofort die Tat folgen, griff zum Telefon und rief ihre Mutter an.

Etwas enttäuscht legte sie nach einer Weile wieder auf, denn es meldete sich niemand am anderen Ende der Leitung. »Mama ist wieder einmal unterwegs«, flüsterte sie. »Es würde mich nicht wundern, wenn sie jetzt schon in München ist und sich auf den Abend einstellt.« Wahrscheinlich mit ihrem jetzigen jungen Freund, fügte sie in Gedanken hinzu.

Wie mag dieser Mann wohl aussehen, fragte sie sich im nächsten Augenblick neugierig. Was hatte er Besonderes an sich, dass Mutter ihn zu ihrem Favoriten gemacht hatte? War es nur der Umstand, dass er dreizehn Jahre jünger war? Alice kannte den Mann nicht. Sie hatte ihn noch nie gesehen und wusste nur, dass er Fotoreporter für einige Blätter war und Rolf Sternau oder Sterneck oder so ähnlich hieß.

Eine ganze Weile beschäftigte sie sich in Gedanken noch mit ihrer Mutter, während sie sich in der winzigen Küche etwas Essbares zubereitete. »Na, auf jeden Fall werde ich Sonntag mit ihr reden«, stieß sie hervor. »Morgen werde ich noch einmal versuchen, sie anzurufen. Bis Samstag sind ja noch fast drei Tage. Einmal muss sie ja zu Hause sein.« Mit diesen Worten beendete sie ihre Überlegungen um die Mutter und deren jüngeren Freund und begann zu essen, weil sie sich anschließend einige vorgegebene Lektionen vornehmen wollte.

*

Abschätzend sah Katharina Helbrecht, die in ihrem roten Ferrari saß, den jungen Mann an, der vor der noch geöffneten Wagentür stand und prüfend auf sie herunterblickte. Bis vor wenigen Minuten war sie noch mit ihm im Haus gewesen und hatte seine drängenden Fragen über sich ergehen lassen. Eine Viertelstunde lang hatte es gedauert, und sie war sich wie jemand vorgekommen, der verhört wurde. Kurzerhand hatte sie der Unterhaltung ein Ende gesetzt, denn die Zeit wurde ihr knapp. Um halb drei wollte sie wie abgesprochen in der Klinik am See sein. Das sagte sie jetzt, als sie bereits startbereit im Auto saß, auch ihrem Besucher, dem jungen Fotoreporter Rolf Sternau, den sie sich vor einigen Wochen als ihren Freund ausgewählt hatte.

»Rolf, bitte begreife doch – ich muss zur Behandlung in die Klinik«, stieß sie hervor. Mit einer unnachahmlichen Handbewegung strich sie über ihr fast schulterlanges kastanienbraunes Haar.

»Das begreife ich ja auch, Liebling«, gab Rolf Sternau leicht gereizt zurück. »Was ich nur gern wissen möchte, ist, weshalb du seit fast zwei Wochen irgendwie anders geworden bist mir gegenüber.«

»Wie, anders?« Ein kaum erkennbares Lächeln kräuselte sich um die vollen Lippen Katharinas, die man auf höchstens Mitte dreißig schätzte. Zu ihrem gepflegten Äußeren in Verbindung mit ihrer gewählten Ausdrucksweise und der Art, sich zu bewegen, passte der Begriff »Dame« im wahrsten Sinne des Wortes.

»Nun, ich deutete es schon an – irgendwie kühler bist du zu mir«, erwiderte Rolf, in dessen Augen es verlangend glühte. Seit er Katharina kannte, sah er keine anderen Frauen oder Mädchen an. Mit anderen Worten – er war drauf und dran, alle seine bisherigen Prinzipien, sein Junggesellenleben so lange wie nur möglich weiterzuführen, über Bord zu werfen und mit Katharina in den Ehehafen einzulaufen. Lieber heute als morgen. Er, der eigentlich nie an die sogenannte große Liebe geglaubt hatte, gestand sich ein, dass er diese Frau liebte. Zumindest bildete er sich das ein. Dass Katharina um dreizehn Jahre älter war, störte ihn überhaupt nicht.

»Liebst du mich denn noch?«, unterbrach Rolf Sternau die blitzartigen Gedankengänge Katharinas.

Die sah den jungen Mann fest an. »Rolf, was soll diese Frage?«, gab sie zurück. »Ich mag dich, das weißt du. Ich mag dich sogar sehr.«

»Du hast mir aber auch, und das nicht nur einmal, zugeflüstert, dass du mich liebst«, konterte Rolf. »Mehr noch – wir haben sogar schon von einer festen Verbindung, von einer Ehe also, gesprochen, und du warst nicht abgeneigt.«

»So? Meinst du?«, gab Katharina leise zurück. Natürlich erinnerte sie sich an ein solches Gespräch. Oder waren es zwei gewesen? Sie wusste es nicht mehr.

»Ja, das meine ich«, stieß Rolf hervor. Um Antwort bittend sah er die Frau an, deren Mann er nur zu gern werden wollte. Nicht wegen des enormen Vermögens, das sie nach dem Tode ihres zweiten Mannes geerbt hatte, nein, sondern einzig und allein wegen ihrer Ausstrahlung und ihrer Fähigkeit, einem Mann schon auf Erden den Himmel zu geben.

»Lassen wir doch bitte jetzt dieses Thema«, ergriff Katharina wieder das Wort. Sie war es plötzlich leid, darüber weiterzudiskutieren. »Denke einmal darüber nach, dass ich dreizehn Jahre älter bin und auch eine schon erwachsene Tochter habe.«

»Die hast du mir bisher vorenthalten«, entgegnete Rolf mit einem leisen Vorwurf in der Stimme. »Ich hätte sie gern einmal kennengelernt, denn immerhin gehört sie zu dir, die ich ja liebe.« Über seine Lippen kam ein leiser Knurrlaut. »Sag mir bitte, gibt es etwa einen anderen Mann, den ich als Rivalen zu betrachten habe?!« Funkelnd sah er Katharina an.

»Rede keinen Unsinn«, erwiderte sie ausweichend, griff nach der Seitentür und zog sie zu. Durch das heruntergekurbelte Seitenfenster sagte sie: »Jetzt muss ich aber fahren, sonst komme ich zu spät.«

Rolf schluckte. »Sehen wir uns heute am Abend?«, fragte er. »In München oder bei dir zu Hause?«

Katharina überlegte nur ganz kurz. »Nein, heute nicht, Rolf«, antwortete sie. »Ich habe mir vorgenommen, das begonnene Bild endlich fertig zu malen.«

»Ach ja, deine Malerei«, murmelte er, »die ist auch zu einer Art Rivale für mich geworden.« Er wusste, dass Katharina bereits seit einem Jahr ihrem Hobby, der Malerei, nachging, obwohl sie seines Wissens bisher noch kein einziges von ihren gemalten Bildern verkauft hatte. Nun ja, es war eben nur ein Hobby von ihr. Sie hatte es nicht nötig, damit Geld zu verdienen. Von dem besaß sie genug. »Also, wann sehen wir uns wieder?«, wollte er wissen. »Ich muss leider für zwei oder auch drei Tage wegen einer größeren Fotoreportage nach Berlin …«

»Wir können ja nächste Woche miteinander telefonieren«, erklärte Katharina und drückte auf den Anlasser. Es passte ihr gut, dass Rolf für drei Tage außer Reichweite war, denn sie hatte für das kommende Wochenende schon etwas vor – zusammen mit Dr. Lindau. Sie hoffte, dass er mitmachte. »Er muss …«, entfuhr es ihr.

»Wer muss was?«, fragte Rolf, der die Worte vernommen hatte.

Keineswegs verlegen, erwiderte Katharina: »Der Motor muss anspringen.« Das geschah auch im gleichen Augenblick. »Also dann …«, rief Katharina und gab Gas.

*

Mit nachdenklicher Miene verließ Dr. Lindau, Chefarzt der Klinik am See, das Untersuchungszimmer der Chirurgie. Dr. Reichel, der Leiter der Station für innere Krankheiten, der bei der eben beendeten Untersuchung der Patientin dabei gewesen war, folgte ihm.

»Einwandfrei eine Achalasie«, ergriff er als Erster das Wort, als er wenig später mit dem Klinikchef das Stationszimmer betreten hatte.

Dr. Lindau nickte zustimmend. »So ein anhaltender Krampf des Mageneingangs kommt eigentlich relativ selten vor«, entgegnete er, »und ist auch normalerweise durch eine Drehung der Speiseröhre zu beseitigen.«

»In diesem Fall aber war es ohne Ergebnis.« Fragend sah Dr. Reichel den Chefarzt an. »Operation?«

Wieder nickte Dr. Lindau zustimmend. »Die halte ich für erforderlich«, erwiderte er. »Wir müssen den Muskelmantel der unteren Speiseröhre spalten.«

»Wann?«, fragte Dr. Reichel.

Dr. Lindau überlegte kurz. »Ich denke an morgen oder spätestens übermorgen«, erklärte er. »Wir besprechen das morgen bei der Ärztekonferenz mit dem Kollegen Hoff. Ich möchte keine Zeit verlieren.«

»Sie befürchten Komplikationen?«

»Die sind nicht auszuschließen«, antwortete Dr. Lindau. »Ich denke dabei auch an die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Speiseröhrenkrebs. Lassen Sie also die vorhin entnommene Gewebeprobe darauf besonders untersuchen und analysieren, und zwar noch heute!«, bat er Dr. Reichel.

»Ich veranlasse das gleich«, versprach der.

In diesem Augenblick schrillte das Telefon im Stationszimmer. Schwester Marianne, die dem Pflegepersonal der Station vorstand, meldete sich und reichte dann Dr. Lindau den Hörer. »Für Sie, Herr Chefarzt«, sagte sie. »Frau Stäuber ist am Apparat.«

Dr. Lindau drückte den Hörer ans Ohr. »Ja, was gibt es?«, fragte er.

»Die Frau Konsulin ist hier und wartet auf Sie«, meldete die Sekretärin. »Sie hat ja heute einen Behandlungstermin.«

Dr. Lindau verzog das Gesicht. Daran hatte er gar nicht gedacht.

»Ich bin schon auf dem Wege«, gab er zurück. »Im Übrigen, Frau Stäuber – betiteln Sie Frau Helbrecht nicht immer mit Konsulin! Sie ist nur die Witwe des Konsuls. Sagen Sie ihr also, dass ich in wenigen Minuten unten bin!« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, legte er auf und wandte sich wieder an Dr. Reichel. »Wir sind uns also einig«, meinte er.

»Vollkommen«, bestätigte Dr. Reichel.

»Ja, dann also bis später …« Dr. Lindau entfernte sich aus dem Stationszimmer und fuhr mit dem Aufzug ins Erdgeschoss.

»Sie sitzt schon bei Ihnen drin«, empfing die Sekretärin ihren Chef, als der das Vorzimmer betrat. »Ich meine Frau Helbrecht«, fügte sie betont hinzu. »Die Krankenakte habe ich bereits auf Ihren Schreibtisch gelegt.«

Dr. Lindau feixte verstohlen, als er merkte, dass sein vorheriger Hinweis auf den Konsul-Titel Marga Stäuber anscheinend ein wenig zu schaffen machte. Er kannte seine Sekretärin. Sie war eine verlässliche Kraft und kannte sich in ihrem Metier wirklich gut aus. Aber für sie war eben die Frau eines Konsuls die Frau Konsul, ebenso wie die Gattin eines Arztes oder eines Professors eben die Frau Doktor oder die Frau Professor war. »Danke, Frau Stäuber«, murmelte er und betrat sein Zimmer, das Büro und Sprechzimmer in einem war.