Der Umweg ins Glück - Britta Winckler - E-Book

Der Umweg ins Glück E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. In dem roten Backsteingebäude nahe der Kirche von Schliersee herrschte eine geradezu wohltuende Stille und Ruhe. Von den darin befindlichen Schülerinnen und Schülern der Grundschule und des Gymnasiums war weder etwas zu hören noch zu sehen. Es war gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm, der wenige Minuten später auch schon ausbrach. Das Schrillen der Schulklingel beendete die Stille des Hauses. Aus allen Klassenzimmern stürmten die Mädchen und Jungen und beeilten sich mit viel Hallo und Geschrei, auf die Straße und damit auf dem Heimweg zu kommen. Es war kein Wunder, daß die Stimmung der kleinen Grundschüler so hohe Wellen schlug, denn es war der letzte Unterricht vor den am nächsten Tag beginnenden Ferien gewesen. Doch nicht nur die Kleinen waren von der Freude auf die bevorstehenden Ferien erfaßt, sondern auch die Größeren, die Gymnasiasten. So jedenfalls erging es auch Sabine Wegener mit ihren 17 Jahren. Einerseits fühlte sie sich noch oft als kleines Mädchen, reagierte aber andererseits bereits wie eine junge Dame auf äußere Einflüsse und auf Verlockungen der Erwachsenenwelt, die an sie herantraten. Das wiederum hatte zur Folge, daß sich in dem hübschen Mädchen mit der rotblonden Pferdeschwanzfrisur immer öfter ein Zwiespalt der Gefühle meldete. Bei Sabine wog das noch um einiges schwerer, weil sie immer noch nicht die Trennung ihrer Eltern verkraftet hatte. Sie liebte ihren Vater ebenso wie ihre Mutter. Seit sich die Eltern vor nunmehr sieben Monaten hatten scheiden lassen, war für sie die Welt etwas in Unordnung geraten. Ihr fehlte auf jeden Fall die frühere Zuneigung der

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Die Klinik am See – 13–

Der Umweg ins Glück

Bevor Sabine wieder lachen lernte, durchlebte sie eine schwere Zeit

Britta Winckler

In dem roten Backsteingebäude nahe der Kirche von Schliersee herrschte eine geradezu wohltuende Stille und Ruhe. Von den darin befindlichen Schülerinnen und Schülern der Grundschule und des Gymnasiums war weder etwas zu hören noch zu sehen. Es war gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm, der wenige Minuten später auch schon ausbrach. Das Schrillen der Schulklingel beendete die Stille des Hauses. Aus allen Klassenzimmern stürmten die Mädchen und Jungen und beeilten sich mit viel Hallo und Geschrei, auf die Straße und damit auf dem Heimweg zu kommen. Es war kein Wunder, daß die Stimmung der kleinen Grundschüler so hohe Wellen schlug, denn es war der letzte Unterricht vor den am nächsten Tag beginnenden Ferien gewesen.

Doch nicht nur die Kleinen waren von der Freude auf die bevorstehenden Ferien erfaßt, sondern auch die Größeren, die Gymnasiasten.

So jedenfalls erging es auch Sabine Wegener mit ihren 17 Jahren. Einerseits fühlte sie sich noch oft als kleines Mädchen, reagierte aber andererseits bereits wie eine junge Dame auf äußere Einflüsse und auf Verlockungen der Erwachsenenwelt, die an sie herantraten. Das wiederum hatte zur Folge, daß sich in dem hübschen Mädchen mit der rotblonden Pferdeschwanzfrisur immer öfter ein Zwiespalt der Gefühle meldete. Bei Sabine wog das noch um einiges schwerer, weil sie immer noch nicht die Trennung ihrer Eltern verkraftet hatte. Sie liebte ihren Vater ebenso wie ihre Mutter. Seit sich die Eltern vor nunmehr sieben Monaten hatten scheiden lassen, war für sie die Welt etwas in Unordnung geraten. Ihr fehlte auf jeden Fall die frühere Zuneigung der Mutter und des Vaters. Bis noch vor einem knappen Jahr hatte sie stets mit ihren Jungmädchenproblemen zur Mutter kommen können und hatte immer wieder Ratschläge und auch Trost von ihr erhalten. Auch vom Vater manchmal, wenn der zwischen seinen beruflichen Reisen für kurze Zeit zu Hause in Aurach gewesen war.

Das alles war nun vorbei. Der Vater wohnte in der Nähe von München, und die Mutter hatte immer weniger Zeit für sie. Schuld daran war Mutters Freund, der Mann, um dessentwillen es überhaupt zur Scheidung der Eltern gekommen war, und von dem sich die Mutter geradezu beschlagnahmen ließ.

Sabine hatte aber noch ein anderes Problem, mit dem sie nicht fertig wurde. Seit sechs Monaten hatte sie es und seither als Geheimnis für sich behalten müssen, weil es niemanden gab, dem sie sich hätte anvertrauen können. Dem Vater etwa, der wohl kaum das richtige Verständnis dafür aufbringen würde? Oder der Mutter, deren Interessen ja nur auf den Freund und Liebhaber gerichtet waren?

Bitterkeit überkam Sabine. Mit gesenktem Kopf verließ sie als eine der letzten das Klassenzimmer der 6b und ließ sich von den anderen Mitschülerinnen und Mitschülern aus dem Gebäude schieben.

»Hallo, Sabine, warte!«

Sabine schreckte bei dem Ruf aus ihren trüben Gedanken hoch. Sie blieb stehen und blickte der auf sie zukommenden Mitschülerin und gleichzeitigen Freundin, die sich aus einer der herumstehenden kleinen Gruppen gelöst hatte, teilnahmslos entgegen. »Ja, Annemarie?« fragte sie nur verhalten.

Annemarie Lemmer, gleichaltrig mit Sabine, warf mit einer unnachahmlichen Kopfbewegung ihr langes schwarzes Haar zurück und lachte leise, wurde aber sofort wieder ernst und sah die Freundin forschend an. »Was ist los mit dir?« fragte sie. »Anstatt dich auf die Ferien zu freuen, machst du ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter. Hast du Sorgen wegen des Abiturs?«

Sabine schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, wehrte sie ab. »Das Abi schaffe ich leicht.«

»Freut mich für dich«, gab Annemarie zurück. »Aber irgend etwas bedrückt dich doch«, setzte sie hinzu, und es klang ehrlich besorgt. »Ist es wegen deiner Eltern?« wurde sie neugierig. Sie wußte natürlich, daß Sabines Eltern sich getrennt hatten, und konnte sich gut vorstellen, daß diese darunter litt.

»Nein«, erwiderte Sabine. »Zu meinem Vater habe ich immer noch einen guten Kontakt und zu meiner Mutter auch.« Sie wußte, daß das nicht ganz stimmte, aber was hätte sie der Freundin sonst antworten sollen?

»Das ist schön«, meinte Annemarie und seufzte verhalten. »So gesehen bist du etwas besser dran als ich, denn du hast wenigstens noch Vater und Mutter. Ich dagegen…«, sie winkte ab, »… habe nur noch meine Großmutter und meinen Bruder Achim. Ich muß allerdings zugeben, daß ich… hm… daß wir eine sehr liebe Oma haben und…« Sie unterbrach sich und klopfte sich mit der linken Hand an die Stirn. »Fast hätte ich’s vergessen«, kam es sprudelnd über ihre Lippen, »ich soll dich von Achim herzlich grüßen.«

»Danke«, murmelte Sabine, die Annemaries Bruder noch aus ihrer Kinderzeit kannte und ihn immer sehr sympathisch gefunden hatte. »Wie geht es ihm? Ist er immer noch in Afrika?« fragte sie.

»Achim war doch gar nicht in Afrika, Sabine«, belehrte Annemarie die Freundin. »Seine Entwicklungshelferzeit hat er in Südamerika verbracht, und morgen ist er wieder da. Gestern abend kam noch ein Telegramm«, fuhr sie fort. »Aus Hamburg. Heute morgen wollte er von dort nach München fliegen.« Fragend sah sie die Freundin an. »Habe ich gesagt, daß er morgen hier sein wird? Irrtum«, berichtigte sie sich sofort selber. »Heute schon kommt er wieder nach Hause.« Mit einem Blick auf ihre Uhr setzte sie hinzu: »Es ist ja schon Mittag, da müßte er eigentlich schon in München gelandet sein.«

Sabine hörte gar nicht mehr richtig zu, was die Freundin sagte. Sie sah an Annemarie vorbei, hin zu einer kleinen Gruppe von zwei Mädchen und zwei Jungen. Besonders auf den einen, den hochaufgeschossenen, war ihre Aufmerksamkeit gerichtet. Dieter Fehring war sein Name. Er war der einzige Sohn der Hotel-Pensionsinhaberin Martha Fehring in Schliersee. Obwohl er erst 19 Jahre alt war, wirkte er in seiner ganzen Erscheinung und seinem Verhalten – das letzte insbesondere der Weiblichkeit gegenüber sehr männlich und weltgewandt. Hervorstechend an ihm war sein umwerfender Charme, der nicht ohne Wirkung auf so manchen Teenager des Ortes blieb.

Sabine war davon nicht ausgeschlossen. Mit seiner charmanten Art hatte er vor nunmehr sechs Monaten ihr Herz erobert. Bei einer Disco-Party war es gewesen. Im Zeitraffertempo zogen Sabine die Erinnerungen an jenen Abend durch den Kopf. Jenes Abends, an dem sie sich in Dieter verliebt hatte und sie zur Frau geworden war. Glücklich war sie gewesen, und das nicht nur die halbe Stunde, die sie mit ihm zusammen in seiner kleinen Mansardenwohnung der Hotelpension seiner Mutter verbracht hatte. Ihr Glücksgefühl hatte noch Wochen, ja, fast Monate angehalten. In dieser Zeit war es für sie auch unwichtig gewesen, ob die eigene Mutter für sie Zeit hatte oder sich lieber um ihren eigenen Freund kümmerte. Es hatte ja Dieter für sie gegeben, von dem sie sich ebenso geliebt glaubte, wie sie ihn liebte. Daran hatte sich auch nichts geändert, als ihr bewußt wurde, daß sie Mutterfreuden entgegen sah, Zuerst war sie erschrocken gewesen darüber. Tagelang hatte sie mit sich gekämpft, ob sie Dieter in ihr süßes Geheimnis einweihen sollte, hatte es dann aber doch nicht fertiggebracht. Auch dann noch nicht, als Dieters Interesse an ihr rapide abnahm und er seine Fühler nach anderen Mädchen ausgestreckt hatte.

Es war für Sabine eine bittere Erkenntnis gewesen, als sie merkte, daß Dieter sich von ihr zurückzog, und daß sie für ihn nur eine vergnügliche Episode gewesen war.

»Du hörst mir ja gar nicht zu«, unterbrach Annemarie die blitzschnellen Gedanken der Freundin. »Wo schaust du denn hin?« fragte sie neugierig und drehte sich um. Verstehend blitzte es in ihren Augen auf, als auch sie die vier sah, die sich gerade in Bewegung setzten und in Richtung Rathaus davongingen. »Sag’ bloß, du bist an dem Dieter interessiert«, wandte sie sich wieder der Freundin zu. Natürlich kannte sie Dieter Fehring und wußte auch von seine Casanova-Allüren.

»Wie kommst du darauf, daß ich mich für ihn interessieren könnte?« gab Sabine mit verhaltener Stimme fragend zurück.

»Na ja, weil das ja viele tun«, erwiderte Annemarie trocken.

»Du auch?« Sabines Blick verschleierte sich ein wenig. Sie fühlte plötzlich das leichte Schwächegefühl in sich, das sie in letzter Zeit schon öfter verspürt hatte.

»Ich?« Annemarie schüttelte den Kopf. »Da bist du auf dem Holzweg, Sabine«, fuhr sie fort. »Er sieht zwar ganz gut aus, ist aber nicht mein Typ. Er ist mir zu glatt und zu übertrieben charmant. Außerdem ist er hinter fast jedem Rock her. Nein, nein, mir kann er gestohlen bleiben«, betonte sie. »Aber etwas anderes, Sabine«, fuhr sie in ihrem Redefluß fort. »Kommst du mit in die Eisdiele?«

Sabine schüttelte den Kopf. »Nein, heute nicht«, antwortete sie. »Ich muß zum Bus, damit ich nach Hause komme.«

Annemarie zuckte mit den Schultern. »Schade«, sagte sie. »Was hast du übrigens in den Ferien vor?« wechselte sie das Thema. »Fährst du fort?«

Erneut schüttelte Sabine den Kopf. »Nein«, antwortete sie. »Das heißt, ich werde wahrscheinlich in einigen Tagen zu meinem Vater nach München fahren und eine Weile bei ihm bleiben.«

»Dann wünsche ich dir viel Spaß«, entgegnete Annemarie lächelnd. »Wenn du zwischendurch aber Zeit und Lust hast, dann besuche mich mal. Ich bleibe in den Ferien zu Hause und werde einmal richtig faulenzen. Mein Bruder wird sich bestimmt sehr freuen, wenn du kommst. Du weißt doch, daß er dich sehr mag. Also dann…« Sie tätschelte Sabines Wange und schritt davon.

»Tschüß, Annemarie«, murmelte Sabine und machte sich auf den Weg zum Bus, der sie nach Aurach bringen sollte, heim zur Mutter, die sie trotz allem liebte, die aber wenig Zeit für sie fand.

*

»Wollen wir noch lange warten, Charlotte?« Der Mann, der das fragend hervorstieß, verzog unwillig sein Boxergesicht. »Ich habe nämlich Hunger und muß in einer guten halben Stunde wieder zum Dienst.«

»Sabine muß jeden Augenblick kommen«, erwiderte Charlotte Wegener. Sie trat dicht an den Mann heran und legte ihre Hände auf seine Schultern. »Gedulde dich noch ein paar Minuten, Horst«, sagte sie. »Ab und zu muß ich auf das Kind ein wenig Rücksicht nehmen.«

»Kind? Wenn ich das schon höre«, brummte Horst Kießling. »Sabine ist mit ihren siebzehn Jahren kein kleines Mädchen mehr. In diesem Alter verdienen sich viele schon ihr erstes Geld und haben oft sogar ihre eigene Bude.« Besänftigt durch einen liebevollen Blick der attraktiven Frau legte er besitzergreifend seinen Arm um sie und zog sie an sich.

»Nicht, Horst!« flüsterte Charlotte Wegener. »Sabine…«

»Sabine, Sabine«, fiel Horst Kießling der Frau, die seit nun schon fast einem Jahr seine Freundin war, knurrend ins Wort. »Ist sie dir denn so wichtig?« setzte er fragend hinzu. »Ich meine, wichtiger als ich?«

»Immerhin ist sie meine Tochter«, entgegnete Charlotte ausweichend. »Natürlich bist du mir auch wichtig«, fuhr sie fort. »Was glaubst du wohl, weshalb sich mein Mann von mir hat scheiden lassen?«

»Schön und gut«, lenkte Horst Kießling ein. »Ich erinnere mich aber, daß du bisher relativ wenig die Mutter hervorgekehrt hast.«

»Das war und ist deine Schuld…«

»Ach, sieh an«, schnaubte der bullige Mann, seines Zeichens wohlbestallter Forstaufseher im Auracher Forst. »Weshalb soll das nun auf einmal meine Schuld sein?«

Charlotte lächelte. »Wenn du es nicht weißt, dann muß ich es dir wohl sagen…«

»Ich bitte darum«, gab Horst Kießling zurück. Fragend sah er die ein wenig füllige Charlotte an, deren Äußeres nicht verriet, daß sie schon auf die Vierzig zuging. Man konnte sie gut und gern für höchstens Anfang dreißig halten. Sie wirkte gepflegt, und ihr von dunkelblondem Haar umgebenes Gesicht war faltenlos. Ihr ein wenig sinnlich anmutender Mund signalisierte Lust und Sinnesfreude. Sie war zwar nicht schlank wie ein Mannequin, aber ihre ein wenig mollige Gestalt hatte jenes gewisse Etwas, das bei einem Mann ankam und Wünsche weckte.

»Ganz einfach, mein Lieber«, ergriff Charlotte wieder das Wort. »Ich habe dich von Anfang an sehr gemocht, und aus diesem Grund wollte ich eben so oft und so viel wie möglich mit dir zusammen sein. Deshalb habe ich Sabine sehr häufig sich selbst überlassen.«

Horst Kießling schmeichelten solche Worte natürlich. »Ich habe das selbstverständlich sehr genossen, Charlotte«, bekannte er. »Unser Zusammensein könnte aber noch viel schöner sein, wenn ich ganz offiziell mit dir zusammenleben könnte, hier, in deinem Haus.«

»Aber Horst, was soll das?« Charlotte lächelte. »Du bist doch mehr oder weniger hier zu Hause«, erklärte sie. »Die meisten Abende beziehungsweise Nächte verbringst du doch hier – zusammen mit mir. Ist das nicht genug?«

»Nein, ich möchte mehr, Charlotte.«

»Ich weiß, Horst.« Charlotte trat ans Fenster und blickte hinaus, während sie weitersprach. »Ich kann ja verstehen, daß du liebend gern in mein Einfamilienhaus einziehen möchtest. Ich gestehe, daß ich das auch gern möchte. Aber ich muß bei aller Liebe etwas realistisch denken…«

»Inwiefern?« fragte Horst Kießling dazwischen.

»Begreif es doch endlich«, erwiderte die Frau des Hauses. »Ich habe es dir doch schon einige Male erklärt. Du weißt, daß mir das Haus zugesprochen wurde, als mein Mann sich von mir scheiden ließ – zusätzlich zu der nicht gerade geringen Unterhaltszahlung. Ich kenne meinen Exmann und weiß, daß er eine Reduzierung dieser Unterhaltszahlung durchsetzen würde, wenn er wüßte, daß wir beide in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben.«

»Na und?« warf Horst die Frage auf. »Mit meinem Einkommen könnten wir doch auch ganz gut leben«, fügte er hinzu.

Charlottes Lächeln verlor sich. Sie schüttelte den Kopf. »Mir wäre es aber nicht genug, Horst«, erklärte sie ernsthaft. »Ich will auf keinen Fall eine Kürzung der Unterhaltszahlung riskieren. Kannst du das nicht verstehen?«

Hinter der Stirn des Mannes arbeitete es. Sicher, verstehen konnte er das schon, wollte es aber nicht zugeben. Ihm ging es in erster Linie darum, mit Charlotte, die er wirklich sehr mochte, in einer eheähnlichen Partnerschaft in diesem Haus zusammenleben zu können. Das fand er nicht nur wesentlich angenehmer, sondern er sah darin auch nicht zuletzt einige wirtschaftliche und auch finanzielle Vorteile. Gerade als er Charlotte antworten und ihr entgegenhalten wollte, daß die Nachbarn ohnehin wußten, daß er in diesem Haus aus und ein ging, bei Tag wie auch bei der Nacht, öffnete sich die Tür und Sabine trat ein.

»Hallo, Mutti«, grüßte sie mit schwacher Stimme.

»Grüß dich, Sabine«, erwiderte Charlotte den Gruß. »Du kommst gerade recht zum Essen. Wir haben schon auf dich gewartet.«

»Ich… ich… habe keinen Hunger, Mutti…«

»Was ist mit dir, Sabine?« meldete sich Horst Kießling. »Gibt es für mich keinen Gruß?«

»Entschuldigung – guten Tag,

Herr Kießling«, stieß Sabine hervor.

Unwillig blitzte es In Horst Kießlings Augen auf. »Ich möchte gar zu gern wissen, weshalb du mich immer noch mit ›Herrn Kießling‹ anredest«, fuhr er Sabine an. »Immerhin kennst du mich doch schon fast ein Jahr, und da sollte ich doch für dich kein Fremder sein.«

»Sie sind der Freund meiner Mutter«, gab Sabine gleichmütig zurück, »aber nicht der meine.«

Horst Kießling lief dunkelrot an und wollte aufbrausen, wurde aber in letzter Sekunde von Sabines Mutter daran gehindert, indem diese kurzerhand das Wort ergriff und sich an ihre Tochter wandte. »Weshalb willst du denn nichts essen?« fragte sie.

»Weil ich keinen Hunger habe«, kam die Antwort, die fast ein wenig aufsässig klang.

»Bist du krank, Mädchen?« fragte Charlotte und sah ihre Tochter besorgt an. Jetzt erst fiel ihr auf, daß Sabine blaß aussah.

»Ich bin nicht krank, Mutti«, antwortete Sabine. »Nur ein wenig unwohl fühle ich mich und werde mich gleich hinlegen.«

»Verstehe«, murmelte die Mutter. »Hm, mir fällt gerade ein, daß du ja ab morgen Ferien hast«, wechselte sie das Thema. »Wo willst du sie verbringen?« wollte sie wissen.

»Ich hatte daran gedacht, in ein paar Tagen für zwei Wochen zu Vati zu fahren«, erwiderte Sabine.

»Wie du meinst«, entgegnete die Mutter. »Wenn ich dir aber vorher mit irgend etwas helfen kann, so sage es mir bitte.«

Das könntest du, ging es Sabine durch den Sinn. Sie war dabei, die innerliche Hemmschwelle zu überwinden und sich der Mutter mitzuteilen. Es drängte sie geradezu danach, ihr ihren Kummer zu erzählen, ihr von den Problemen zu berichten, die mit jedem Tag drückender wurden. Doch da war dieser Mann, der Freund der Mutter, der durch seine Anwesenheit dieses Verlangen unterdrückte. »Ja, Mutti…«, murmelte sie nur und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum, um sich Minuten später in ihrem Zimmer auf das Bett fallen zu lassen und leise schluchzend ihr Gesicht in das Kopfkissen zu verbergen.

»Ich glaube wirklich, daß sie krank ist«, meinte Charlotte und trug das Mittagessen auf.

»Ach was, junge Mädchen haben in dem Alter ihre Zicken«, kommentierte Horst, der sich an den Tisch gesetzt hatte und sich nun das Essen schmecken ließ. Er aß hastig, denn er mußte schnellstens wieder zum Dienst. »Vielleicht ist sie unglücklich verliebt«, redete er kauend weiter. »Oder vielleicht ist ihr ein erstes Liebeserlebnis nicht gut bekommen. Wäre doch möglich, oder? Siebzehnjährige sind heutzutage ja keine Unschuldslämmer mehr, und da Sabine ja ein ganz hübsches Mädchen mit sehr ansprechenden Proportionen ist, da wäre es doch…«

»Hör auf!« fiel Charlotte ihrem Freund und Geliebten heftig ins Wort. Sie konnte diese halb zynischen und halb lächerlich machende Ausdrucksweise von Horst nicht leiden. Bisher hatte sie daran kaum Anstoß genommen, wenn er in solcher Weise über andere redete. Doch diesmal sprach er von ihrer Tochter, und das regte sie doch etwas auf. »Sabine ist nicht das, was du von ihr vielleicht denkst.«