Neubeginn am Tegernsee - Britta Winckler - E-Book

Neubeginn am Tegernsee E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Edda Kröger sah sich um, sie konnte ihren Sohn nirgends entdecken. Ärgerlich legte sie die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief: »Bastian! Sebastian!« Es verging einige Zeit, bis Sebastian unter den Bäumen auftauchte. Die Haare hingen ihm ins Gesicht, sein Atem ging schnell. Er war gelaufen. »Wo steckst du denn? Ständig läufst du weg!« Kopfschüttelnd streckte Edda ihrem achtjährigen Sohn die Hand entgegen. Sebastian blieb vor der Mutter stehen, er versteckte seine Hände auf dem Rücken. »Mami, ich bin doch schon groß.« »Du bist mein großer Junge«, bestätigte Edda, ohne zu zögern. »Warum muß ich dir dann immer die Hand geben?« Sebastian schnitt eine Grimasse. Seine Mutter wurde unsicher. Sie biß sich auf die Unterlippe, wich seinem fragenden Blick aus. »Wenn du nicht immer davonläufst, dann mußt du es auch nicht.« »Es ist doch langweilig!« maulte Sebastian. »Mit dir muß ich immer auf dem Weg bleiben. Ich möchte lieber am Ufer entlanggehen.« »Dann stolperst du und fällst in den See.« »Aber Mami! Ich doch nicht! Ich bin doch kein Baby mehr.« Nun war Sebastian wirklich empört. Behandelte sie ihn wirklich wie ein Baby? Sie hatte Angst davor, daß er größer wurde, denn dann würde sie noch mehr allein sein. Sie strich ihm über das Haar, merkte, daß er zurückzuckte. Gleich darauf lächelte er sie aber wieder an. »Mami, da hinten ist ein schöner Park. Vielleicht gibt es einen Kinderspielplatz. Darf ich hingehen?« »Bastian…«, begann Edda. »Mami!« Energisch fiel ihr ihr Sohn ins Wort. »Ich will doch nur schauen gehen.« »Du kannst doch nicht in irgendeinen fremden Park hineingehen.« Edda unterdrückte nur

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Die Klinik am See – 14–

Neubeginn am Tegernsee

Eine Ehekrise muss nicht das Ende sein

Britta Winckler

Edda Kröger sah sich um, sie konnte ihren Sohn nirgends entdecken. Ärgerlich legte sie die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief: »Bastian! Sebastian!«

Es verging einige Zeit, bis Sebastian unter den Bäumen auftauchte. Die Haare hingen ihm ins Gesicht, sein Atem ging schnell. Er war gelaufen.

»Wo steckst du denn? Ständig läufst du weg!« Kopfschüttelnd streckte Edda ihrem achtjährigen Sohn die Hand entgegen.

Sebastian blieb vor der Mutter stehen, er versteckte seine Hände auf dem Rücken. »Mami, ich bin doch schon groß.«

»Du bist mein großer Junge«, bestätigte Edda, ohne zu zögern.

»Warum muß ich dir dann immer die Hand geben?« Sebastian schnitt eine Grimasse.

Seine Mutter wurde unsicher. Sie biß sich auf die Unterlippe, wich seinem fragenden Blick aus. »Wenn du nicht immer davonläufst, dann mußt du es auch nicht.«

»Es ist doch langweilig!« maulte Sebastian. »Mit dir muß ich immer auf dem Weg bleiben. Ich möchte lieber am Ufer entlanggehen.«

»Dann stolperst du und fällst in den See.«

»Aber Mami! Ich doch nicht! Ich bin doch kein Baby mehr.« Nun war Sebastian wirklich empört.

Behandelte sie ihn wirklich wie ein Baby? Sie hatte Angst davor, daß er größer wurde, denn dann würde sie noch mehr allein sein. Sie strich ihm über das Haar, merkte, daß er zurückzuckte. Gleich darauf lächelte er sie aber wieder an.

»Mami, da hinten ist ein schöner Park. Vielleicht gibt es einen Kinderspielplatz. Darf ich hingehen?«

»Bastian…«, begann Edda.

»Mami!« Energisch fiel ihr ihr Sohn ins Wort. »Ich will doch nur schauen gehen.«

»Du kannst doch nicht in irgendeinen fremden Park hineingehen.« Edda unterdrückte nur mühsam einen Seufzer. Heute fehlte es ihr einfach an Geduld. Zwei Wochen war sie nun schon am Tegernsee, und ihr Mann hatte sich noch nicht blicken lassen. Sie langweilte sich genauso wie Se­bastian. Doch dafür konnte Bastian nichts. Sie bemühte sich um ein Lä­cheln.

»Was hältst du davon, wenn wir am Nachmittag eine Bootsfahrt machen?«

Sebastians Mundwinkel sanken nach unten. Deutlich war zu sehen, daß er davon nicht viel hielt.

»Was willst du dann machen?« Ungeduld schwang wieder in Eddas Stimme mit.

»Ich will Tarzan spielen!«

»Tarzan?« Eddas Stirn runzelte sich. Was hatte Bastian nun schon wieder vor? Nicht zum ersten Mal überlegte sie, ob sie dem Tegernsee nicht einfach den Rücken zukehren sollte. Obwohl sie hier ihr Ferienhaus hatten, wo sie seit Jahren ständig viele Wochen des Jahres verbrachten, hatte Bastian hier keine Freunde. Auch ihre Bekannten hielten sich nicht am Tegernsee auf, sondern an der Côte d’Azur oder an der Costa del Sol.

»Weißt du nicht, wer Tarzan war?« hörte sie ihren Sohn ungeduldig fragen. »Er ist der Herrscher des Urwalds. Er macht immer neue Entdeckungen.«

»Und was soll ich dabei tun?«

»Du?« Sebastian schob seine Unterlippe nach vorn. Er musterte seine Mutter. Er konnte sie nicht in sein Spiel einbauen. Sie trug ein elegantes Sommerkleid und hohe Schuhe. Damit konnte sie weder auf Bäume klettern noch über eine Mauer steigen. Wie jedoch sollte er seiner Mutter das beibringen? Erleichtert stellte er gleich darauf fest, daß seine Mutter gar nicht auf eine Antwort wartete, sie hatte Christa Bauer entdeckt. Mit einer Einkaufstasche kam sie den Weg entlang.

»Komm!« Edda griff nach der Hand ihres Sohnes. »Wir wollen nachsehen, was Christa eingekauft hat.«

Nur widerwillig ließ Sebastian sich mitziehen. Er schielte dabei nach rückwärts. Dort lag dieser schöne Park. Man hätte sich so schön hinter Sträuchern und Bäumen verstecken können. Dann wurde sein Interesse jedoch von der Einkaufstasche der Haushälterin in Anspruch genommen.

»Hast du auch Negerküsse gekauft?« Als Christa Bauer nickte, fragte er gleich weiter: »Und Eis?«

»Nein«, meinte die Haushälterin. Sie sah Sebastians enttäuschtes Gesicht, fuhr ihm rasch liebevoll durch das Haar. »Dazu ist es zu heiß, es wäre mir sonst zerronnen. Aber du kannst ja mit deiner Mami nach dem Mittagessen eine Eisdiele aufsuchen.«

»Okay, das können wir«, stimmte Bastian zu, dann entdeckte er die Bananen. »Die passen zu Tarzan«, verkündete er. »Bekomme ich eine?«

Christa Bauer nickte. Sie konnte Sebastian sowieso keinen Wunsch abschlagen. Der Kleine war ihr im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen. Bereits als er noch ein Baby war, hatte sie ihn in den Armen gewiegt. Da sie sonst allein in dem Ferienhaus der Familie Kröger am Tegernsee lebte, war sie stets glücklich, wenn Sebastian da war. Sie verwöhnte dann Sebastian und seine Mutter nach Strich und Faden. Christa Bauer war ein junges Mädchen gewesen, als sie in die Dienste von Edda Krögers Eltern getreten war. Daher kannte sie Edda auch sehr gut, die beiden Frauen verband ein fast freundschaftliches Verhältnis.

»Tante Christa, hast du Zeit?« fragte Sebastian.

»Nun, wenn wir nicht Punkt zwölf Uhr zu Mittag essen wollen, dann pressiert es mir noch nicht«, meinte Christa lächelnd. Sie war eine sehr mütterlich wirkende fünfzigjährige Frau. Sie war nie verheiratet gewesen und hatte daher keine eigenen Kinder.

»Dann setz dich doch mit Mami auf die Bank. Ihr könnt doch ein wenig in der Sonne sitzen und euch unterhalten. Hunger habe ich überhaupt keinen. Wir können ruhig später essen.«

»Und warum?« fragte Christa. Sie begriff sofort, daß Bastian noch etwas vorhatte.

Bastian stieß einen markerschütternden Schrei aus, und als ihn beide Frauen erschrocken ansahen, erklärte er seelenruhig: »Begreift ihr nicht? Ich bin Tarzan!«

»Ach so!« Erklärend wandte sich Edda an Christa Bauer. »Bastian hat irgendeinen Park entdeckt. Wie du siehst, hat dies seine Phantasie sehr angeregt.«

»Dort hinten ist die Klinik am See. Sie gehört Dr. Lindau. Erinnerst du dich nicht an den Arzt? Er hatte mitten im Ort seine Praxis, im sogenannten Doktorhaus.«

»Ich mußte Dr. Lindau nie aufsuchen, daher kenne ich ihn nicht persönlich.«

»Er ist ein sehr netter Mann, sehr sympathisch. Mich wundert es nicht, daß die Klinik am See so einen Zuspruch hat. Es ist eine Frauenklinik. Zu diesem Mann hätte ich auch Vertrauen.« Christa Bauers Augen bekamen einen schwärmerischen Glanz.

Edda nickte zerstreut. Sie wandte den Kopf, aber Bastian hatte sich bereits davongemacht. »Ich werde ihm…« Sie machte Anstalten, hinter ihrem Sohn herzueilen, aber da griff Christa nach ihrem Arm.

»Laß ihn doch, Edda! Der Park der Klinik grenzt direkt an den See. Er ist sehr schön. Es schadet doch nichts, wenn er sich dort etwas umsieht.«

*

Geduckt schlich Sebastian von einem Strauch zum andern. In dieser Haltung drang er immer tiefer in den Park ein. Vor Aufregung hatten sich seine Wangen gefärbt. Er sah Leute, die in Trainingsanzügen oder Schlafröcken auf Bänken saßen. Eine Krankenschwester schob einen Rollstuhl dicht an ihm vorbei. Vor Staunen schob Bastian den Daumen in den Mund und saugte heftig daran. Wo befand er sich? Er vergaß seine Vorsicht etwas, richtete sich auf. Es gab viele Blumenbeete; schmale, mit Kieselsteinen bestreute Wege führten zu einem Rondell.

Sebastian hörte Stimmen, schnell ging er wieder in Deckung. Zwei Männer in weißen Mänteln gingen dicht an ihm vorbei. Sie waren in ein Gespräch vertieft, sahen weder nach rechts noch nach links. Das war etwas für einen Detektiv! Wenn er herausfand, worüber die Männer sprachen, dann würde er auch herausfinden, wer sie waren. Aus Bastian, dem Tarzan, wurde nun Bastian, der Detektiv. Er ging in die Knie, auf allen vieren schlich er hinter der Hecke dahin. Doch dann bogen die Männer ab, und ihre Stimmen verloren sich.

Vorsichtig spähte Sebastian über die Hecke. Jetzt sah er ein Gebäude. Enttäuscht verzog sich sein Gesicht. Nun war ihm klar, wo er sich befand. Das war das Schloß von Auefelden. Was er nicht wußte, war, daß die einstige Besitzerin, Selma von Angern, aus Dankbarkeit ihr Schloß in Form einer Stiftung Dr. Lindau überlassen hatte.

Dieses Schloß war ein ganz normales Schloß. Jedenfalls hatte Tante Christa, die ihm oft Märchen und Sagen aus der Umgebung erzählte, nie erwähnt, daß hier ein Geheimnis verborgen war. Oder doch? Waren die Menschen hier etwa verzaubert? Sebastians Phantasie kannte keine Grenzen. Erschrocken fuhr er zusammen, als er plötzlich von hinten angesprochen wurde.

»Suchst du jemanden?«

Langsam wandte er sich um. Eine junge Frau in einem weißen Mantel stand hinter ihm. Sie lächelte ihn freundlich an. Nein, so sah keine Hexe aus. Es war auch lächerlich, er wußte doch, daß es Hexen und Zauberer nur im Märchen gab. Er streckte sich, damit er größer wirkte, und sah der Frau kühn ins Auge.

»Ich bin einfach hier hereingekommen. Ich wollte sehen, was da los ist.«

»Und?«

»Es ist doch hier das Schloß, nicht wahr? Ich weiß nur nicht, warum da so viele Leute spazierengehen.«

»Es war das Schloß, jetzt ist es eine Klinik. Es wohnen viele Menschen hier, aber alle sind krank.«

»Dann bist du eine Tante Doktor?« rief Sebastian erstaunt. Sein Interesse an diesem Park erlosch schlagartig. »Ein Krankenhaus?« Seine Unterlippe schob sich nach vorn. »Das ist langweilig.«

»Langweilig?« wiederholte Dr. Astrid Mertens. Sie unterdrückte ein Lächeln. Dieser Kleine war ein nettes Bürschchen. Wo er nur herkam? »Eine Klinik ist wichtig für die Menschen, die krank sind. Wir versuchen, sie hier gesund zu machen.«

»Ich weiß, was ein Doktor tut«, belehrte Sebastian nun seinerseits die Ärztin. Astrid war die Tochter des Chefarztes Dr. Lindau. Sie hatte ebenfalls Medizin studiert und dann einen Kinderarzt geheiratet. So war der Klinik am See eine Kinderabteilung angeschlossen worden, die sie und ihr Mann nun gemeinsam leiteten.

»Bist du krank?« fragte Astrid. Sie fand, daß die Gesichtsfarbe des Kindes zu blaß war.

»Nein! Oder ist man krank, wenn man Bauchweh hat?«

»Hast du Bauchweh?« fragte Astrid. Sie ging nun vor dem Kind in die Knie.

»Jetzt nicht, aber gestern am Abend hat es so gedrückt. Ich habe es Mami nur noch nicht gesagt, sie würde sich sonst Sorgen machen.«

Astrid wollte nach Sebastian greifen, aber da wich dieser zurück. »Ich brauche keine Tante Doktor. Ich habe jetzt Ferien. Da will ich auf keinen Fall im Bett liegen.«

Astrid lächelte. »Du machst hier also Urlaub?«

»Ja, mit meiner Mami. Wir sind bei Tante Christa. Tante Christa ist sehr lieb. Sie erzählt ganz tolle Geschichten, aber sonst ist es langweilig. Ich habe niemanden, der mit mir Tarzan spielt.« Sebastian lächelte nun ebenfalls. Er war ein aufgeschlossenes Kind, und die junge Ärztin gefiel ihm.

»Du bist also allein?« erkundigte Astrid sich. Ihr Interesse an dem fremden Kind war erwacht.

»Aber nein! Mami und Tante Christa warten am See auf mich. Begreif doch, ich kann nur nicht mit Mami Tarzan spielen. Ein Tarzan muß doch auf die Bäume klettern können.«

Astrid begriff. »Du suchst einen Freund?«

Sebastian zuckte die Achseln. »Eigentlich habe ich einen Spielplatz gesucht.« Er sah sich erneut um. »Ich werde wieder gehen, dann braucht Mami nicht so lange auf mich zu warten. Weißt du, Mami macht sich leicht Sorgen. Sie vergißt immer wieder, daß ich schon groß bin.«

Astrid verbiß sich ein Lächeln. Sie erkannte, daß es dem Jungen mit seinen Worten sehr ernst war. »Wie heißt du?« fragte sie.

»Sebastian! Aber Freunde dürfen zu mir Bastian sagen.«

»Darf ich dich auch Bastian nennen?«

»Warum nicht? Ich muß jetzt gehen. Wenn ich einmal krank bin, dann komme ich zu dir. Darf ich das?«

»Natürlich! Du mußt dann nur nach Dr. Mertens fragen. Für dich bin ich aber Tante Astrid, einverstanden?«

»Gut, abgemacht!« Bastian hielt der Ärztin seine kleine Hand hin. »Nun muß ich aber gehen!«

Astrid hielt ihn fest. »Versprichst du mir etwas, Bastian?«

»Hmm?« Bastian schob seine Unterlippe nach vorn.

»Wenn du wieder Bauchweh hast, dann mußt du es deiner Mami sagen.«

Sebastian zögerte. »Mal sehen«, wich er aus. In letzter Zeit machte seine Mami sich über alles große Sorgen. Da war es besser, wenn er ihr nicht zu viel erzählte.

Astrid kamen Bedenken. »Bastian«, begann sie vorsichtig, »bist du sicher, daß du nicht hier zu Besuch bist? Vielleicht ist deine Mami krank und liegt in der Klinik?«

»Du meinst im Schloß? So ein Unsinn!« empörte er sich dann. »Du glaubst mir nicht? Dann komm mit! Ich zeige dir, wo meine Mami ist.« Er griff nun nach Astrids Hand und zog sie mit. Quer über die Wiese ging er mit ihr. An der Mauer hielt er an. »Da mußt du drübersteigen, dann bist du gleich auf dem Weg, der am Ufer entlangführt. Dort sitzt meine Mami auf einer Bank.«

»Gut!« Astrid zögerte nicht. Sie wollte Bastian behilflich sein, aber dieser war ein guter Kletterer. Diese kleine Mauer war für ihn kein Problem. Lächelnd folgte sie ihm. Zutraulich schob Bastian seine Hand wieder in die ihre, und so gingen sie zur Uferpromenade. Als die Bank, auf der Edda Kröger saß, in Sicht kam, hielt Bastian inne.

»So, das ist meine Mami! Glaubst du mir nun?«

»Alles klar!« Astrid wollte weitergehen, doch Bastian rührte sich nicht.

»Es ist gut, daß sie nicht zu uns hersieht. Wenn Mami dich sieht, dann glaubt sie sicher, daß ich etwas angestellt habe. Sie wollte mich sowieso nicht in den Park lassen. Nur weil Tante Christa gekommen ist, konnte ich weg.« Bastian entzog der Kinderärztin seine Hand.

»Auf Wiedersehen, Tante Doktor! Ich glaube, ich muß mich beeilen. Tante Christa ist schon nach Hause gegangen. Sie muß ja kochen.« Er lief davon. Ohne sich noch einmal nach Astrid umzudrehen, rief er: »Mami, Mami, da bin ich!«

Astrid sah, wie die Frau herumfuhr. Sie erhob sich sofort und ging ihrem Sohn entgegen. Da wandte Astrid sich um und ging zurück. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß mehr Zeit vergangen war, als sie erwartet hatte. Sie mußte sich beeilen. Es hatte einige Neueinlieferungen gegeben, und so wurde auf der Station jede Hand gebraucht.

*

Sebastian rutschte vom Stuhl. »Ich gehe ins Bett.«

Seine Mutter sowie Christa Bauer wandten sich ihm erstaunt zu. Daß Bastian freiwillig zu Bett ging, das war etwas ganz Neues.

»Wollen wir nicht noch ein Würfelspiel machen?« fragte Christa und erhob sich. »Ich räume nur rasch das Geschirr ab.«

»Du kannst mit Mami allein spielen«, bot Bastian großzügig an.

»Du willst schlafen gehen?« wunderte Edda Kröger sich jetzt laut. »Jetzt schon?«

Bastian nickte.

Edda wandte den Kopf zu Christa. Diese hatte die Teller zusammengestellt, jetzt ging sie zu Bastian und fuhr ihm liebevoll durch das Haar. »Bist du müde?«

Erneut nickte Bastian.

»Aber warum?« Edda ging auch zu ihrem Sohn hin. »Wir haben den geplanten Spaziergang am Nachmittag gar nicht gemacht.«

»Dafür ist Bastian im Garten herumgesprungen«, meinte die Haushälterin.

»Er hat aber auch mittags geschlafen.« Besorgt musterte Edda ihren Sohn. Sie berührte seine Wange, Bastian wich etwas zurück.

»Tut dir etwas weh?«

Bastian schüttelte den Kopf. Er log nicht. Vorhin, als er auf der Toilette war, da hatte ihm auch der Bauch weh getan, aber jetzt spürte er nichts mehr. Er war nur müde.

»Das Wetter«, meinte Christa. »Es ist so schwül. Komm, Bastian, ich helfe dir. Wir duschen dich ab, dann wirst du sicher gut schlafen.«

»Muß das sein? Ich habe mir vorhin die Hände gewaschen.« Bastian streckte die Hände nach vorn. So wollte er demonstrieren, daß sie sauber waren.

Christa ließ sich auf keine weitere Diskussion mehr ein. Sie hob Bastian hoch. »Du weißt, bei mir gibt es keine Katzenwäsche, auch nicht, wenn man müde ist. Aber wir werden es schnell machen, ich wasche dich ab.«

»Ich bin doch schon groß«, protestierte Bastian. »Ich kann mich selbst waschen.« Es blieb jedoch bei diesem Protest. Er hielt still, als das Wasser über ihn rann und Tante Christa ihn einseifte. Anschließend trocknete sie ihn ab, zog ihm den Schlafanzug an. Sie merkte, daß er wirklich müde war, und so trug sie ihn ins Kinderzimmer bis zu seinem Bett.

Edda war den beiden gefolgt. Sie ließ die Rolläden herunter. »Schlaf gut, mein Schatz! Morgen machen wir dann die große Wanderung.« Sie beugte sich über Bastian, küßte ihn, da merkte sie, daß er seine Augen bereits geschlossen hielt.

Etwas später, als Christa zu ihr auf die Terrasse kam, äußerte sie sich besorgt: »Findest du es nicht eigenartig, daß Bastian freiwillig zu Bett ging?«

»Er war müde. Er ist doch auch sofort eingeschlafen.« Christa Bauer zog sich einen Stuhl heran. Auch für sie war jetzt Feierabend.

»Gerade das beunruhigt mich«, sagte Edda nachdenklich. »Er ermüdet in letzter Zeit leicht, hat kaum zu etwas Lust.«

»Ich weiß nicht! Er wollte doch heute Tarzan spielen.« Christa lächelte. Immer wenn sie an Sebastian dachte, wurde ihr warm ums Herz. Er war nun mal ihr Sonnenschein. Ihr fiel Eddas Andeutung vom Vormittag ein. Nun wurde es Zeit, darüber zu sprechen. Sie räusperte sich.

»Willst du etwas trinken? Soll ich uns eine Flasche Wein holen?«

Edda zuckte die Achseln. »Mir geht es wie Sebastian, ich bin auch müde.«

»Ein Glas! Es spricht sich dann leichter.« Christa erhob sich wieder. Wenig später war sie mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück. Sie entkorkte die Flasche, schenkte die Gläser voll. Dann wartete sie, doch Edda rührte sich nicht.

»Auf dein Wohl!« Christa nahm das Glas. Sie sah die Frau an, die nicht nur ihre Arbeitgeberin war. Ihr Gesicht war verschlossen. Sie sah, daß Edda nach dem Glas griff, aber sie tat dies ohne sie anzusehen. Da räusperte sie sich erneut: »Wollen wir auf deine Ferien trinken?«

»Nein!« Heftig stellte Edda das Glas auf das Tischchen zurück. »Ich habe mir meine Ferien anders vorgestellt. Eigentlich habe ich mir mein ganzes Leben anders vorgestellt.«

Nach diesem Ausbruch herrschte lange Schweigen. Schließlich stellte auch Christa ihr Glas ab, ohne daraus getrunken zu haben. »Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?« fragte sie.

»Ich hatte in den letzten Monaten viel Zeit zum Nachdenken. Sebastian ist größer geworden, er braucht mich nicht mehr so sehr.« Vorsichtig versuchte Edda die Worte zu wählen.

»Ein Kind braucht seine Mutter immer«, widersprach Christa sofort.