An das Glück muss man glauben - Britta Winckler - E-Book

An das Glück muss man glauben E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Das Fenster zum See hin war weit geöffnet, und Bettina von Bosrum schaute vom Bett aus über die glänzende Wasserfläche, welche im milden Licht des Spätnachmittags still und unberührt und in friedlicher Schönheit sich dem Auge darbot. Aber die junge Frau nahm weder den Zauber des Ausblicks wahr noch die Besänftigung, die von ihm ausging. »Frau von Bosrum, wünschen Sie, dass ich das Fenster jetzt wieder schließe?« Schwester Karin war mit leisen schnellen Schritten ins Zimmer getreten und blieb nun am Fußende des Bettes stehen, um der Patientin mit jenem Blick zu begegnen, der um die Sonderstellung wusste, welche einem Mitglied des alten angesehenen Geschlechtes zukam. »Nein, bitte – lassen Sie es noch ein wenig offen«, bat Bettina von Bosrum mit einer Stimme, deren leise Zurückhaltung keinerlei Privilegien für sich beanspruchte, »ich fühle mich dann nicht so eingesperrt.« »Aber, gnädige Frau, was sind das für Gedanken?« Dr. Lindau fing die letzten Worte an der Tür auf, und während er jetzt nach der Schwester das Zimmer betrat, lag auf seinem Gesicht der Ausdruck jener positiven Ausstrahlung, welche zum Hilfsmittel eines jeden guten Arztes gehörte. Schwester Karin verließ bei seinem Eintritt das Zimmer, da sie ahnte, dass ein Gespräch zwischen Arzt und Patientin stattfinden würde. »Was das für Gedanken sind, Doktor?« Bettina von Bosrum lächelte bitter. »Es sind die Gedanken einer Verzweifelten, die in Zwänge und Aussichtslosigkeit geraten ist. Der immerwährende Reigen von Anspruch, Erwartung und Hoffnung dreht sich wie ein Kreis Verbündeter von Mal zu Mal schneller um mich, bis er wieder mit einer neuen Enttäuschung

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Die Klinik am See – 20–

An das Glück muss man glauben

Es tut gut, nicht allein zu sein

Britta Winckler

Das Fenster zum See hin war weit geöffnet, und Bettina von Bosrum schaute vom Bett aus über die glänzende Wasserfläche, welche im milden Licht des Spätnachmittags still und unberührt und in friedlicher Schönheit sich dem Auge darbot. Aber die junge Frau nahm weder den Zauber des Ausblicks wahr noch die Besänftigung, die von ihm ausging.

»Frau von Bosrum, wünschen Sie, dass ich das Fenster jetzt wieder schließe?« Schwester Karin war mit leisen schnellen Schritten ins Zimmer getreten und blieb nun am Fußende des Bettes stehen, um der Patientin mit jenem Blick zu begegnen, der um die Sonderstellung wusste, welche einem Mitglied des alten angesehenen Geschlechtes zukam.

»Nein, bitte – lassen Sie es noch ein wenig offen«, bat Bettina von Bosrum mit einer Stimme, deren leise Zurückhaltung keinerlei Privilegien für sich beanspruchte, »ich fühle mich dann nicht so eingesperrt.«

»Aber, gnädige Frau, was sind das für Gedanken?« Dr. Lindau fing die letzten Worte an der Tür auf, und während er jetzt nach der Schwester das Zimmer betrat, lag auf seinem Gesicht der Ausdruck jener positiven Ausstrahlung, welche zum Hilfsmittel eines jeden guten Arztes gehörte.

Schwester Karin verließ bei seinem Eintritt das Zimmer, da sie ahnte, dass ein Gespräch zwischen Arzt und Patientin stattfinden würde.

»Was das für Gedanken sind, Doktor?« Bettina von Bosrum lächelte bitter. »Es sind die Gedanken einer Verzweifelten, die in Zwänge und Aussichtslosigkeit geraten ist. Der immerwährende Reigen von Anspruch, Erwartung und Hoffnung dreht sich wie ein Kreis Verbündeter von Mal zu Mal schneller um mich, bis er wieder mit einer neuen Enttäuschung auseinanderfällt.«

Die junge Frau mit dem tiefschwarzen Haar blickte den Chefarzt der Frauenklinik am See mit jener tiefen Mutlosigkeit an, die zeigte, dass sie nahe daran war, an ihrer Situation zu zerbrechen.

»Die wievielte Fehlgeburt haben Sie heute erlitten?«, fragte Dr. Lindau ruhig und blickte der verzweifelten Frau in die dunklen ausdrucksstarken Augen. Diese Augen spiegelten ihr ganzes Unglück wider, während das ebenmäßige Gesicht, das von einer seltenen Schönheit war, beherrscht blieb.

»Spielt das noch eine Rolle, Doktor? Ich weiß nur, dass ich seit Jahren von einem Spezialisten zum anderen gereicht werde – und ich weiß auch, dass mir nahezu jeder gesagt hat, dass meine körperliche Konstitution eine Schwangerschaft nicht zulässt.«

Dr. Lindau versagte sich, diese allgemeine Ansicht der Kollegen zu bestätigen, als er sich einen Besucherstuhl nahe an das Bett heranholte. Es galt, ein längeres Gespräch zu führen, aber dieses Gespräch würde keine Wiederholung von physischen Tatsachen sein, welche der Patientin offensichtlich zur Genüge bekannt waren – es musste vielmehr die seelische Anspannung aufgefangen werden, bevor die Frau in Tiefen abstürzte, die kaum zu reparieren sein würden.

»Ihre Familie erwartet von Ihnen einen Erben?«, fragte er und wiederholte damit das Wort, welches während der Narkose immer wieder wie eine sich einzuprägende Formel über ihre blassen Lippen gekommen war.

Bettina von Bosrum nickte, und einen Augenblick sah es aus, als würde sie es dabei belassen, dann sagte sie: »Ja, einen Erben!«

»Sollten wir nicht besser von einem Kind statt von einem Erben sprechen, Frau von Bosrum? Ein Erbe wird mir zu funktionsbezogen gesehen und wertet das Wunder, welches so ein kleines Geschöpf doch immer wieder darstellt, entschieden ab.«

Bettina von Bosrum sah den Arzt einen Moment lang irritiert an, bevor sie nachdenklich nickte.

»Sie sehen, Herr Dr. Lindau, wie auch ich bereits in das Denken der Familie eingetaucht bin, in die ich eingeheiratet habe.«

»Es ist ja jetzt auch Ihre Familie.«

Bettina von Bosrum schüttelte den Kopf. »Solange ich nicht den Erben geboren habe, um das Wort doch noch einmal zu verwenden, gehöre ich nicht dazu.«

»Das müssen Sie mir erklären!«

»Muss ich das wirklich, Doktor? Sehen Sie, ich habe in ein bedeutendes Haus eingeheiratet, in ein jahrhundertealtes Geschlecht, das es verstanden hat, den großen Namen durch alle Zeiten weiterzutragen. Jedes Mitglied dieser Familie hat wie durch ein unsichtbares Gesetz seine Pflichten gekannt und auch erfüllt, mit Disziplin und Stärke. Und diese Tugenden sind durch alle Zeiten genauso weitervererbt worden wie die großen irdischen Besitztümer.«

»Vergessen Sie nicht etwas Wesentliches, Frau von Bosrum? Ich denke, es gehörte stets auch ein gewisses Glück dazu.«

»Sie sprechen von jenem Glück, welches mir nun am vorläufigen Ende einer langen Ahnenkette versagt bleibt, Doktor?«

»Aber, gnädige Frau, wer gibt denn so schnell auf! Sie sind jung und gesund – und Sie werden schwanger! Wie viele Frauen haben nicht einmal diesen Ansatz.«

»Wissen Sie, was es heißt, diesen Anfang aber immer wieder zu verlieren?«, rief Bettina von Bosrum verzweifelt, und einen Moment lang zeigte ihr beherrschtes Gesicht ihre innere Zerrissenheit.

Der Arzt griff nach der unruhigen Hand der Patientin. Er konnte sich nur zu gut den ungeheuren Druck vorstellen, unter dem diese Frau stand. Und allein dieser Druck genügte unter Umständen bereits, dass der Körper sich von der Frucht trennte. Aber es galt auch, die täglichen Anforderungen, welche das Leben an diese Frau stellte, zu berücksichtigen. All diese äußeren Faktoren waren für ihn als Arzt wichtig, wollte er die Erklärung für die Fehlgeburten bekommen.

»Schildern Sie mir Ihren heutigen Tag, Frau von Bosrum! Wann sind Sie aufgestanden? Was haben Sie gefrühstückt? Gab es Aufregungen? Wobei ich auch Aufregungen durch Freude in meine Frage einschließen möchte.«

Bettina von Bosrum schüttelte nachdenklich den Kopf. »Eine bewusste Aufregung habe ich nicht erlebt, Herr Dr. Lindau, es war vielmehr die glückliche Freude, das Wochenende wieder einmal allein mit meinem Mann auf unserem Gut hier in Auefelden verbringen zu können.«

»Wann sind Sie angekommen?«

»Wir sind gestern Abend von München aus hierhergefahren. Und während mein Mann heute mit dem Verwalter auf Inspektionsfahrt ist, habe ich lange geschlafen, zu Mittag gegessen – bevor es dann passierte.«

Bettina von Bosrum starrte auf die Bettdecke. Sollte sie dem Arzt sagen, dass es zuvor eine kleine Differenz mit ihrer Schwiegermama gegeben hatte? Aber hatte sie das Telefongespräch so aufgeregt, dass es das Ende der Schwangerschaft eingeleitet hatte? Sie wollte es nicht glauben und schüttelte kaum merklich den Kopf. Außerdem waren das zu persönliche Dinge, um sie dem Arzt mitzuteilen.

»Gehen wir etwas weiter zurück, Frau von Bosrum«, hörte sie Dr. Lin­dau sagen. »Schildern Sie mir einmal einen Ihrer ganz normalen Tagesabläufe, den Rhythmus, den sie Ihrem Organismus aufgeben.«

»Ich muss Sie enttäuschen, Doktor, aber bei uns läuft kein Tag im Gleichmaß des vorangegangenen ab. Wir führen große Häuser in München, Wien und Zürich. Die Geschäfte und gesellschaftlichen Verpflichtungen wollen es so.«

»Ich verstehe.« Dr. Lindau dachte, dass er eigentlich gar nicht weiterzufragen brauchte. Wer sich diesem Stress aussetzte und dazu in dieser Situation, hatte für sich und andere bereits die mögliche Antwort.

»Was haben meine Berufskollegen, die Sie bisher konsultiert haben, dazu gesagt?«, fragte er dann doch, weil er nur zu gern an den gesunden Menschenverstand glauben wollte.

»Ich weiß, was Sie denken, Herr Dr. Lindau«, sagte Bettina von Bosrum, »und kann Sie diesbezüglich beruhigen. Die kritische Phase jeder erneuten Schwangerschaft habe ich bewusst ruhig gelebt, eingeschlossen auch wochenlange Aufenthalte in verschiedenen Privatkliniken – aber natürlich kann ich mich nicht total meinen Pflichten entziehen.«

»Vielleicht bleibt das aber als letzte denkbare Möglichkeit, Frau von Bosrum«, gab er ernst zu bedenken.

»Ach, Doktor, Sie glauben doch auch nicht daran, dass ich jemals ein Kind austragen werde …«

Der Arzt sah sie erstaunt an. »Habe ich so etwas geäußert?«

»Nein – aber Sie haben auch nicht widersprochen, als ich von meiner schwierigen körperlichen Konstitution gesprochen habe.«

»Ich werde Sie in den nächsten Tagen noch einmal gründlich untersuchen, Frau von Bosrum, und Ihnen dann meine Ansicht mitteilen. Dazu brauche ich dann aber auch einige Auskünfte von Ihnen über Ihre bisherigen Schwangerschaften.«

Dr. Lindau erhob sich.

»Und Sie werden ehrlich sein, Doktor?«

Der hochgewachsene schlanke Arzt nickte. Er würde unbedingt ehrlich sein, denn die Häufung von Fehlgeburten konnte auch für die Gesundheit dieser Frau langsam gefährlich werden.

»Ich habe, bevor ich zu Ihnen kam, versucht Ihren Mann zu erreichen, Frau von Bosrum, wollen Sie es jetzt vielleicht selbst versuchen?«

Eine augenblickliche Starre überfiel das schöne Gesicht der jungen Frau, bevor sie kaum merklich den Kopf schüttelte.

»Der Fahrer hat mich hierhergebracht – man weiß auf dem Gut Bescheid, Herr Dr. Lindau, also belassen wir es dabei.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ich mag nach dieser erneuten Enttäuschung meinem Mann heute nicht in die Augen sehen.«

»Aber, Frau von Bosrum, handelt es sich hier nicht um Ihr gemeinsames Schicksal?«

Bettina von Bosrum kamen die Tränen.

»Ich hoffe, Doktor, dass ich bald die Kraft haben werde, die Konsequenzen zu ziehen.«

»Was meinen Sie damit?« Die Augen des Arztes waren aufmerksam auf das unglückliche Gesicht der Patientin gerichtet.

»Ich werde mich von meinem Mann trennen müssen …«

»Aber, Frau von Bosrum, es gibt andere Wege, Namen und Vermögen weiterzutragen!«, sagte er beinahe ärgerlich.

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht für diese Familie!«

»Und was würde Ihr Mann dazu sagen?«

Bettina von Bosrum drehte das Gesicht zur Seite.

»Mein Mann liebt mich«, stöhnte sie in die Kissen, »und gerade das macht es so schwierig.«

»Und Sie lieben ihn, sonst würden Sie sich nicht mit solchen Gedanken des Verzichts tragen.«

Bettina von Bosrum legte das Gesicht in die Hände.

»Wenn nicht Ihr Mann diesen Druck auf Sie ausübt – wer dann?«, fragte Dr. Lindau.

»Ich sagte es doch – das alte Geschlecht.«

»Das sind stumme gelebte Daten, Frau von Bosrum. Wer außer Ihrem Mann steht im Moment für die Existenz der Familie?«

»Meine Schwiegermutter, Charlotte von Bosrum. Sie ist die große alte Dame des Hauses.«

»Und?«

»Sie hat ihre Pflicht erfüllt, Doktor, etwas, was ich nicht von mir sagen kann.«

»Und Sie hält es Ihnen vor?«

»Hat sie nicht das Recht dazu?«

»Nein.«

Bettina von Bosrum hörte dieses etwas ärgerliche »Nein« des Arztes und blickte ihn erstaunt an.

»Versprechen Sie mir, dass Sie sich jetzt erst einmal entspannen, Frau von Bosrum, dafür verspreche ich Ihnen, dass ich Ihnen helfen werde – so oder so.« Dr. Lindau sah der jungen Frau in die dunklen unglücklichen Augen, bis er einen neuen vorsichtigen Hoffnungsschimmer in ihnen zu erkennen glaubte.

Als der Arzt das Zimmer verlassen hatte, schloss Bettina von Bosrum die Augen. Das Gespräch hatte sie erschöpft, aber auch erleichtert. Sollte sie erneut hoffen dürfen? Der Arzt hatte ihr Vertrauen gewonnen, und sie beschloss, von seiner Diagnose ihr Handeln abhängig zu machen.

*

Konstantin von Bosrum kletterte aus dem Jeep, welcher jetzt genau vor der breiten Treppe des Gutshauses hielt.

»Danke für die Rundreise, Brahmann, wir gehen dann morgen die Zahlen durch.«

»Ist recht, Herr von Bosrum, die Bücher sind auf dem Laufenden«, sagte der Verwalter und tippte an die Mütze, bevor er den Jeep weiter zum Wirtschaftshof fuhr.

Konstantin von Bosrum schritt die Treppe hoch, als sein Blick die elegante Stadtlimousine traf, welche dunkelblau auf dem weißen Kies gleich beim Eingang parkte. Ihre glänzende Ansicht wies ungewohnte Schönheitsflecken auf, denn Räder und Seitenteile waren lehmbespritzt und sprachen von einer Überlandtour, die gar nicht zu ihr passte.

In der Halle traf er dann die Frau des Gutsverwalters, welche bei seinem Anblick sichtlich aufatmete.

»Herr von Bosrum, gut, dass Sie zurück sind«, sagte sie erleichtert. »Herr Blümel hat Sie draußen gesucht, aber nicht gefunden.«

Konstantin von Bosrum verhielt den Schritt, und sein fragender Blick galt der rundlichen Frau mit dem mütterlichen Gesicht. Der Ausdruck ihrer mitfühlenden Augen deutete zweifelsohne auf etwas Privates hin. Und noch bevor sie ihm gesagt hatte, was sein Auffinden so zwingend machte, ahnte er, dass es mit seiner Frau zusammenhing.

In einem letzten Aufbegehren, diese Ahnung zurückzudrängen, fragte er: »Was gibt es so Wichtiges, dass der gute Blümel seinen polierten dunkelblauen Stolz über die Landwege treibt?«

»Herr Blümel hat Ihre Frau am frühen Nachmittag in die Klinik am See gefahren. Die gnädige Frau hatte arge Schmerzen und wollte nicht, dass ich einen Arzt ins Haus rufe …« Ihre Stimme zitterte ein wenig, und sie vermied es jetzt, dem hochgewachsenen Mann ins Gesicht zu sehen.

Konstantin von Bosrum war durch eine harte Schule der Selbstdisziplin gegangen, und so sah man auch jetzt seinem beherrschten Gesicht nicht die herbe Enttäuschung an, welche als oft erlebte Erfahrung in ihm aufstieg. Der Wunsch nach einem Kind würde ein Traum bleiben, man musste das akzeptieren, wollten sie nicht beide zwischen den Polen von Hoffnung und Enttäuschung aufgerieben werden.

Fahrer Blümel kam jetzt in die Halle und atmete auf, als er seinen Chef dort stehen sah. Ein Blick in dessen Gesicht verriet ihm, dass Frau Brahmann ihn informiert hatte. Was gab es da für ihn noch zu sagen? Hilflos drehte er das Putzmittel für den verschmutzten Wagen in seinen Händen.

Konstantin von Bosrum spürte nach einer Weile die Stille, welche ihn umgab, das Mitgefühl, das herüberkam. Er straffte sich und wurde augenblicklich wieder der Mann, dessen äußeres Erscheinungsbild keine schicksalhafte Niederlage zuzulassen schien.

»In welcher Klinik, sagten Sie, liegt meine Frau?« Seine Stimme klang förmlich in dem Bemühen, Haltung zu bewahren, und seine beherrschten grauen Augen zeigten nur einen Teil der Verletzung, welche er in sich spürte. Die Verantwortung, welche er trug, mischte sich augenblicklich mit dem schwer bestimmbaren Zweifel an seinem Handeln. Wie lange konnte man das Glück ungestraft herausfordern?

Blümel trat jetzt einige Schritte vor. Er sagte: »Die gnädige Frau befindet sich in der Klinik am See. Der behandelnde Arzt und Leiter der Klinik ist Herr Dr. Lindau.«

»Es ist die Frauenklinik im Schloss«, ergänzte Frau Brahmann und sah dann dem großen schlanken Mann nach, als er zur Haustür schritt. In der rustikalen Kleidung konnte man ihn für einen Landmenschen halten, aber sie wusste, dass das nur ein Teil seines Erscheinungsbildes war. Für ein kurzes Wochenende hatte er den Geschäfts- und Gesellschaftsmenschen zurückgestellt, um durchzuatmen, wie er selbst es nannte.

Als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, blieb bei den Zurückbleibenden das zwiespältige Gefühl haften, dass auch ein scheinbar Unbesiegbarer verletzlich blieb.

*

Die Klinik im Schloss bot dem Auge die Beständigkeit, welche Konstantin von Bosrum von eigenen Besitzungen dieser Art her kannte. Das schuf zwar ein gewisses Vertrauensverhältnis, bot aber keine Garantie dafür, dass man diesmal das heranwachsende kleine Wesen hatte retten können.

Die deprimierende Bestätigung, dass dem nicht so war, erhielt er dann auch wenig später, als er das Krankenzimmer seiner Frau betrat.

Bettina lag da mit geschlossenen Augen, und der Ausdruck ihres stillen Gesichts sagte ihm alles, während der Schmerz sie auf eine tragische Art verschönte.

Und während er langsam näher trat, zog sich sein Herz zusammen, wissend, dass auch er schuldig war an diesem oft erlebten Schmerz des Verzichts, der sie nach jeder verlorenen Hoffnung immer tiefer in ein Gefühl des Versagens treiben musste.

»Liebes«, sagte er und beugte sich über sie, »wir werden uns das ab heute nicht mehr antun.« Seine Stimme klang dunkel, zärtlich und zeigte seine Liebe, die tiefer ging als jede Hoffnung auf ein Kind.

Bettina von Bosrum hob die Lider, und ihre Verzweiflung wurde augenblicklich sichtbar.

»Ja, du hast recht«, erwiderte sie leise, »ich werde es dir ab heute nicht mehr antun.« Ein Schluchzen schüttelte ihren Körper, den Verlust des Kindes beweinend und das Wissen, dass sie ihn für eine neue Verbindung freigeben musste.

Konstantin von Bosrum nahm sie in seine Arme, und sein starkes männliches Gesicht legte sich gegen ihres.

»Wir werden einen Weg finden«, sagte er und hielt sie ganz fest. »Wichtig ist allein unsere Liebe.«

Bettina weinte jetzt auf eine stille Art. Schmerz, Resignation und das Wissen von Verzicht waren Gefühle und Gedanken, die sich verdichteten.

»Du hast mich nicht verstanden, Lieber«, schluchzte sie, »wir müssen uns trennen. Du musst an deine Familie denken, an die Tradition, an den Besitz. Was ist unsere Liebe gegen diese Verpflichtung?«

Konstantin von Bosrum nahm den Kopf zurück und blickte seiner unglücklichen Frau erstaunt in die Augen.

»Was unsere Liebe gegen diese Verpflichtung ist? Das fragst du?« Seine Stimme klang erstaunt, und auf seiner hohen Stirn schoben sich die Falten bis zum Ansatz der dunkelblonden Haare.

Bettinas tränennasse Augen irrten über sein Gesicht, und ihre Hand hob sich, um seine raue hagere Wange zu berühren. Ihr Mund zuckte, als sie sagte: »Du brauchst eine Frau, welche deiner Familie einen Erben schenkt.«

»Sprich nur weiter!«, forderte er sarkastisch und erhob sich von der Bettkante, um mit langen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen. Und als Bettina schwieg, fragte er: »Wie kommst du auf diese absurde Idee?« Mit einer plötzlichen heftigen Geste umfassten seine Hände das Fußende des Bettes, und sein Blick traf sie aufgebracht und auch fassungslos.

»Wir müssen vernünftig sein«, sagte sie leise und wischte die Tränen fort.

»Red keinen Unsinn!« Er kam zu ihr zurück und setzte sich auf das Bett. »Kannst du dir vorstellen, dass wir uns trennen?« Sein fester Mund lächelte jetzt ein wenig, und der Ernst in seinen Augen wich wieder der Zärtlichkeit.

Bettina fühlte sich in dieser Zärtlichkeit versinken, glückliche Augenblicke lang. Die Liebe, welche sie seit Jahren miteinander verband, war das Geschenk ihres Lebens.

»Du wirst nie wieder so etwas sagen – versprich es mir«, sagte er leise, die Stimme nah, beschwörend und voller Gefühl.

Bettina schwieg, als sie die Arme hob und um seine Schultern legte. »Ich liebe dich«, sagte sie dann und wusste, dass Liebe auch Verzicht bedeuten konnte.

*