Ein Herz in Not - Britta Winckler - E-Book

Ein Herz in Not E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Gedankenvoll blickte Veronica Grömer aus dem breiten Fenster des Wohnzimmers in dem Landhaus, das ihre Mutter nun allein bewohnte, seit Papa vor nunmehr fünf Jahren gestorben war. Das Haus stand an einem Hang am östlichen Rand von Auefelden. Veronika konnte über die Dächer Auefeldens bis hinüber zum See blicken, bis hin zur Klinik, die früher einmal ein Schloß war, wie sie wußte. Dort arbeitete auch ihre Mutter als Krankenschwester. Mit dieser Klinik aber beschäftigte sich das hübsche junge Mädchen mit dem fast schulterlangen, welligen dunkelbraunen Haar in diesen Minuten. Besser gesagt, es dachte an den Chefarzt dieser Klinik, an Dr. Lindau. Sie kannte ihn nicht persönlich, wußte aber, daß er ein guter und vertrauenerweckender Frauenarzt war. Jedenfalls war ihre Mutter immer voll des Lobes über ihren Chef, wenn sie von ihm sprach. Erst vor 14 Tagen, als Veronica übers Wochenende zu Hause gewesen war, hatte die Mutter einiges von ihm erzählt und sein menschliches Verständnis den Patientinnen gegenüber lobend erwähnt. Seit diesem Wochenende aber beschäftigte sich Veronica mit dem Gedanken, diesen Dr. Lindau zu konsultieren, um endgültige Gewißheit darüber zu bekommen, ob sie nur an einer Hormonstörung leide oder ob sich bereits die Folgen ihrer Liebe zu Olaf Gunnarsson eingestellt hatten. Sie ahnte das letztere. Natürlich hatte sie auch in München zu einem Gynäkologen gehen können, aber irgendetwas in ihr zog sie zu dieser Frauenklinik am See hin. Vielleicht weil ihre Mutter dort als Krankenschwester arbeitete? Veronica hätte darauf keine präzise Antwort geben können. Es war nur so eine Art Eingebung, sich

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Die Klinik am See – 25–

Ein Herz in Not

Veronikas Kummer nahm ihr den Lebensmut

Britta Winckler

Gedankenvoll blickte Veronica Grömer aus dem breiten Fenster des Wohnzimmers in dem Landhaus, das ihre Mutter nun allein bewohnte, seit Papa vor nunmehr fünf Jahren gestorben war. Das Haus stand an einem Hang am östlichen Rand von Auefelden. Veronika konnte über die Dächer Auefeldens bis hinüber zum See blicken, bis hin zur Klinik, die früher einmal ein Schloß war, wie sie wußte.

Dort arbeitete auch ihre Mutter als Krankenschwester. Mit dieser Klinik aber beschäftigte sich das hübsche junge Mädchen mit dem fast schulterlangen, welligen dunkelbraunen Haar in diesen Minuten. Besser gesagt, es dachte an den Chefarzt dieser Klinik, an Dr. Lindau. Sie kannte ihn nicht persönlich, wußte aber, daß er ein guter und vertrauenerweckender Frauenarzt war. Jedenfalls war ihre Mutter immer voll des Lobes über ihren Chef, wenn sie von ihm sprach. Erst vor 14 Tagen, als Veronica übers Wochenende zu Hause gewesen war, hatte die Mutter einiges von ihm erzählt und sein menschliches Verständnis den Patientinnen gegenüber lobend erwähnt. Seit diesem Wochenende aber beschäftigte sich Veronica mit dem Gedanken, diesen Dr. Lindau zu konsultieren, um endgültige Gewißheit darüber zu bekommen, ob sie nur an einer Hormonstörung leide oder ob sich bereits die Folgen ihrer Liebe zu Olaf Gunnarsson eingestellt hatten. Sie ahnte das letztere. Natürlich hatte sie auch in München zu einem Gynäkologen gehen können, aber irgendetwas in ihr zog sie zu dieser Frauenklinik am See hin. Vielleicht weil ihre Mutter dort als Krankenschwester arbeitete?

Veronica hätte darauf keine präzise Antwort geben können. Es war nur so eine Art Eingebung, sich Dr. Lindau anzuvertrauen und sich von ihm untersuchen zu lassen. Merkwürdigerweise wehrte sich in ihr aber etwas dagegen, sich ihrer Mutter anzuvertrauen, vor der sie bisher keinerlei Geheimnisse gehabt hatte. Das war erst seit einem guten Vierteljahr der Fall – seit sie Olaf Gunnarsson, der ebenfalls in München studierte, kennen- und liebengelernt hatte. Das hatte sie der Mutter bis zum heutigen Tage verschwiegen. Nicht etwa, weil sie Vorhaltungen seitens der Mutter befürchtet, o nein. Es war ganz einfach die Freude an einem süßen Geheimnis, das sie so lange wie nur möglich für sich allein auskosten wollte. Es war auch nicht schwer, dieses Geheimnis zu bewahren, denn sie sah und sprach die Mutter ja nur höchstens alle zwei oder drei Wochen, wenn sie für ein paar Stunden von München zu ihr nach Auefelden kam.

Daß sie jetzt seit zwei Tagen hier im Haus war und auch noch einige Tage bleiben würde, lag an den Semesterferien. Was sollte sie in München? Allein und ohne Olaf, der zu seinem Vater nach Norwegen gefahren war und erst in einigen Tagen wieder zurückkommen würde, noch vor Ende der Semesterferien. Dann aber wollte sie wieder nach München, um mit ihm zusammen sein zu können.

Noch einen Grund hatte Veronika, ihrer Mutter noch nichts von ihrer großen Liebe zu erzählen – sie wollte zuerst ganz sicher sein, daß ihre und Olafs Liebe stark genug für eine dauernde feste Zweisamkeit war. Vor seiner Abreise hatte er ihr noch fest versprochen, mit seinem Vater, der da oben in Nordnorwegen einen gutgehenden Holzexport betrieb, über sie zu sprechen und darüber, daß er wirklich ernste Absichten hatte. Es hatte ihr beim Abschied auf der Zunge gelegen, Olaf zu sagen, daß sie wahrscheinlich Mutterfreuden entgegensah, aber sie hatte es sich im letzten Moment versagt. Sie wollte ganz einfach nicht, daß er sich dadurch vielleicht unter Druck gesetzt fühlte. Einzig und allein sein Herz sollte über ihrer beider gemeinsame Zukunft entscheiden. Sie selbst hatte sich schon längst entschieden.

Veronica wollte jetzt nur genau wissen, ob sich ihre Ahnung, schwanger zu sein, bestätigte. War das der Fall, und Olaf sagte ihr bei seiner Rückkehr, daß er für immer mit ihr zusammen leben wollte, dann erst wollte sie ihn ihr augenblicklich alleiniges süßes Geheimnis wissen lassen.

In den vergangenen zwei Tagen hatte sie überlegt, wie sie am besten zu Dr. Lindau vorkommen konnte, ohne daß die Mutter zunächst davon Kenntnis bekam. Es konnte ja immerhin sein, daß sie sich irrte und sie tatsächlich nur an einer Hormonstörung litt. Als sie heute morgen mit ihrer Mutter zusammen gefrühstückt hatte, war sie zu einem Entschluß gekommen. Einer Bemerkung der Mutter verdankte sie das.

»Ich habe heute meinen freien Nachmittag, und wenn du willst, Veronica, dann könnten wir doch gemeinsam etwas unternehmen«, waren die Worte der Mutter gewesen.

Veronica hatte sofort geschaltet. Das ist die Gelegenheit, war ihr Gedanke gewesen. Wenn sie es schaffte, an diesem Nachmittag einen Termin bei Dr. Lindau zu bekommen, dann würde sie durch keinen dummen Zufall in der Klinik der Mutter begegnen.

Das waren jetzt auch Veronicas Überlegungen, als sie am Fenster stand und zur Klinik am See hinüberblickte. Ihre Gestalt straffte sich. Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Zehn vorbei«, murmelte sie und schritt zum Telefon. Die Nummer der Klinik am See fand sie sehr schnell und ohne zu zögern wählte sie diese.

»Klinik am See – Aufnahme«, meldete sich eine weibliche Stimme.

»Ich möchte bitte mit Herrn Doktor Lindau sprechen«, brachte Veronica ihren Wunsch vor.

»Augenblick, ich verbinde Sie mit dem Büro des Chefarztes.«

Es knackte in der Leitung, und dann meldete sich eine zweite weibliche Stimme. »Büro des Chefarztes…«

Erneut wiederholte Veronica ihren Wunsch.

»Tut mir leid, aber Herr Doktor Lindau ist heute nicht in der Klinik. Ich könnte Sie aber für morgen vormerken. Wie wäre es mit morgen um halb neun?«

Veronica schluckte. Das paßte ihr gar nicht, und sie sagte es auch. »Das geht leider nicht, weil… weil…« Sie wußte plötzlich nicht weiter.

»Hm«, kam wieder die Stimme, es war die von Marga Stäuber, »worum geht es denn? Ist es dringend?«

»Dringend?« wiederholte Veronica fragend und setzte sofort hinzu: »Ja, sehr sogar, und morgen… morgen könnte es schon zu spät sein.«

Etwas Besseres fiel ihr im Augenblick nicht ein.

Sekundenlang war Stille in der Leitung. Dann meldete sich die Sekretärin wieder. »Worum geht es überhaupt? Darf ich das wissen?«

»Das möchte ich Doktor Lindau lieber persönlich sagen«, stieß Veronica hastig hervor.

In der Leitung war ein schwacher Seufzer zu hören und ein paar gemurmelte Worte, die sich anhörten wie »immer dasselbe…« Nach weiteren zwei Sekunden erklang dann wieder die nicht unfreundliche – Stimme. »Also schön, wenn Sie können, dann kommen Sie um vierzehn Uhr in die Klinik und melden Sie sich bitte bei Frau Doktor Westphal.«

»Frau Doktor Westphal, ja, ich komme und – danke«, entgegnete Veronika erleichtert.

»Augenblick, meine Dame – Ihren Namen, bitte!«

»Ach ja – Veronica…« Grömer hatte sie sagen wollen, doch erschreckt fiel ihr ein, daß ihre Mutter ja unter diesem Namen in der Klinik bekannt war und daß sich dadurch vielleicht Komplikationen ergeben konnten, die sie jetzt nicht wünschte. »Veronica Gunnarsson«, stieß sie hastig hervor.

»Gunnarsson, ja, ich habe es notiert. Um zwei Uhr also bei Frau Doktor Westphal.«

»Vielen Dank«, flüsterte Veronica und legte mit einem kurzen Gruß auf.

*

Kurz vor zwei war es, als Veronica ihren ein wenig ramponiert aussehenden VW aus der Garage holte und zur Fahrt in die Klinik am See startete. Siedendheiß fiel ihr in diesem Augenblick ein, daß sie gar nicht wußte, wann genau ihre Mutter ihren Dienst beendet hatte. War es um halb zwei oder um zwei oder noch etwas später? Es wäre doch fatal, wenn sie ihr in der Klinik begegnete.

»Ich meine Viertel vor zwei«, murmelte sie. »Ich muß nur achtgeben, daß ich sie nicht auf ihrem Heimweg treffe.« Sie wußte, daß die Mutter mit dem Fahrrad in die Klinik fuhr. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr entschloß sie sich, einen kleinen Umweg zu fahren und nicht die direkte Strecke zu nehmen, die die Mutter mit dem Fahrrad fuhr. Zehn Minuten später war sie bei der Klinik und stellte ihren Wagen am äußersten Ende des Parkplatzes ab. Fünf Minuten fehlten noch auf vierzehn Uhr.

Ein paar Sekunden lang überlegte Veronica. Sie muß eigentlich schon weg sein, dachte sie und entschloß sich, auszusteigen. In diesem Augenblick aber zuckte sie zusammen, als sie zwei Frauen die Klinik verlassen sah. Eine davon war ihre Mutter. Unwillkürlich machte sie sich hinter dem Steuer klein, obwohl keine Gefahr bestand, daß die Mutter sie bei dieser Entfernung sehen würde. Weshalb auch hätte sie die geparkten Autos es waren mindestens sieben – genauer betrachten sollen?

Veronica sah, wie ihre Mutter noch ein paar Worte mit der anderen Frau – wahrscheinlich war das eine Kollegin von ihr – sprach, dann aber ein Fahrrad ergriff, sich darauf schwang und davonradelte.

Veronica atmete auf. »Nicht böse sein, Mutti«, flüsterte sie und war froh, daß sie ihrer Mutter zu Hause eine kurze Nachricht hinterlassen hatte, aus der hervorging, daß sie eine kleine Ausfahrt unternommen habe, aber noch am Nachmittag wieder zurück sein würde.

Nun aber hatte es Veronica eilig, sprang aus ihrem Auto und betrat wenig später die Klinik am See. »Ich bin zu Frau Doktor Westphal bestellt«, erklärte sie dem Pförtner.

»Erste Etage mit dem Aufzug, meine Dame, und dann bis zum Ende des Ganges…«

»Danke.« Veronica lief zum Aufzug und fuhr nach oben. Eine ihr gerade entgegenkommende Schwester wies ihr den Weg zum Zimmer der Ärztin. Sekunden darauf stand sie Frau Dr. Westphal gegenüber. Der erste Eindruck, den sie von der dunkelhaarigen, schlanken, etwa 40-jährigen Ärztin hatte, war recht vielversprechend.

»Sie sind Frau Veronica Gunnarsson?« fragte Anja Westphal und musterte Veronica.

»Wie bitte?« gab Veronica etwas verwirrt zurück. Sie hatte ganz vergessen, daß sie sich ja nicht unter ihrem richtigen Namen angemeldet hatte. In letzter Sekunde aber fiel es ihr wieder ein. »Ach so, ja, Frau Doktor – Gunnarsson und noch nicht verheiratet«, stieß sie hervor und zwang sich zu einem sparsamen Lächeln.

»Sind Sie Schwedin?«

»Nein, Frau Doktor…«

»Ihr Name klingt aber skandinavisch«, meinte die Ärztin.

»Der… der… der ist von meinem… Vater«, brachte Veronica stockend über die Lippen, und sanfte Röte legte sich über ihre Züge.

Anja Westphal nickte nur dazu. »Waren Sie schon einmal hier bei uns in der Klinik, Frau Gunnarsson?« warf sie dann die Frage auf.

»Nein«, erwiderte Veronica etwas überrascht. »Warum fragen Sie?«

Die Ärztin winkte lächelnd ab. »Hat nichts zu bedeuten«, antwortete sie. »Ich hatte nur kurz das Gefühl, Sie schon einmal gesehen zu haben. Irgendwie kamen Sie mir bekannt vor, aber wahrscheinlich ähneln Sie jemandem.«

Veronica zuckte unmerklich zusammen und dachte an ihre Mutter, mit der sie tatsächlich eine große Ähnlichkeit hatte, wie sie wußte. »Mit wem?« entfuhr es ihr unkontrolliert.

Anja Westphal zuckte mit den Schultern. »Ich kann es Ihnen nicht sagen im Augenblick, Frau Gunnarsson«, erwiderte sie lächelnd. »Wissen Sie, in meinem Beruf komme ich mit vielen Frauen zusammen, und da ist es möglich, daß…« Sie unterbrach sich. »Aber lassen wir das und kommen wir zum Anlaß Ihres Besuches«, wechselte sie das Thema. »Was kann ich für Sie tun? Was bedrückt Sie und was für ein Leiden führt Sie zu mir? Mir wurde gesagt, daß es dringend sein soll.« Auffordernd sah sie die junge Ärztin an.

»Dringend – ja, das ist es für mich«, bekannte Veronica. »Aber krank bin ich nicht und…« Sie suchte nach richtigen Worten.

»Ich glaube, ich verstehe.« Die Ärztin lächelte. »Ein Schwangerschaftstest, wie?« fragte sie.

»Ja, Frau Doktor«, gestand Veronica.

»So dringend?«

Veronica wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie senkte verlegen den Blick.

»Schon gut, es ist Ihre Sache, Frau Gunnarsson«, meinte die Ärztin und stand auf. »Da Sie nun schon einmal hier sind, werde ich also eine Untersuchung vornehmen. Gehen Sie bitte nach nebenan und machen Sie sich frei!«

Die Untersuchung dauerte nicht lange. »Sie können sich wieder ankleiden«, erklärte Anja Westphal.

»Und?« fragte Veronica, als sie wenig später angekleidet wieder vor der Ärztin stand.

»Ich kann Sie nur beglückwünschen, Frau Gunnarsson«, erklärte die Ärztin lächelnd. »Sie sind schwanger und zwar schon im vierten Monat, wenn ich mich nicht irre.«

»Wirklich?« Veronicas Augen strahlten.

»Kein Zweifel«, bestätigte die Ärztin. »Soweit ich feststellen konnte, sind auch keine Komplikationen zu befürchten. Freut es Sie, daß Sie Mutterfreuden entgegensehen?« Prüfend sah sie ihre sympathische Besucherin mit dem skandinavischen Namen an. Wie oft schon hatte sie erleben müssen, daß junge Frauen dieses Alters keineswegs begeistert waren, wenn sie hörten, daß sie schwanger waren.

»Aber natürlich freut es mich, Frau Doktor«, erwiderte Veronica mit Betonung. Der Ausdruck in ihren Augen bestätigte nur noch ihre freudig hervorgestoßenen Worte.

Anja Westphal lächelte. »Jetzt verstehe ich, weshalb Sie so dringend untersucht werden wollten«, sagte sie. »Es ist wegen der Hochzeitsglocken, wie?« fügte sie fragend hinzu.

»Ja«, erwiderte Veronica leise.

»Gut, dann gebe ich Ihnen jetzt ein Merkblatt mit, in dem Sie alles finden, was nötig für eine Schwangerschaft ist.« Die Ärztin reichte Veronica ein vierseitiges Merkblatt. »Wohnen Sie hier in der Nähe?« fragte sie.

»Ja… das heißt nein«, gab Veronica hastig zurück. »Ich studierte in München.«

»Haben Sie dort einen Hausarzt?«

»Nein«, erwiderte Veronica. »Ich wollte hier in der Klinik am See… also, man hat sie mir empfohlen.« Was sollte sie sonst noch dazu sagen?

»Ja, Frau Gunnarsson, dann darf ich Sie nur noch bitten, daß Sie unten im Büro des Chefarztes mit der Sekretärin – das ist Frau Stäuber Termine für die Kontrolluntersuchungen absprechen.« Die Ärztin stand auf und reichte ihrer Besucherin verabschiedend die Hand. »Nochmals meinen Glückwunsch«, sagte sie lächelnd. »Wir sehen uns ja wieder.«

*

Nicht nur Veronica befand sich in einer freudigen Stimmung, auch ihre Mutter. Für die zählten die wenigen Besuche ihrer Tochter natürlich zu besonderen Tagen, auf die sie sich immer wieder freute. Sie liebte Veronica und war bei allem, was sie tat und dachte, immer nur bestrebt, ihren Teil zu Veronicas Glück beizutragen. Sie hatte sogar den schönen Wagen ihres verstorbenen Mannes verkauft, nur um Veronica bei ihrem Studium unter die Arme greifen zu können. Obwohl sie von dem, was ihr Mann ihr hinterlassen hatte, wenn auch nicht im Überfluß, so aber doch relativ unbesorgt zusammen mit ihrer Tochter hätte leben können, hatte sie vor nunmehr zweieinhalb Jahren nicht gezögert, als sich die Gelegenheit ergab, wieder in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester in der Klinik am See zu arbeiten. Und das nur deshalb, um Veronica das Studium in München und das Leben dort zu ermöglichen. Doch nie hatte sie das Veronica gegenüber zur Sprache gebracht oder in irgendeiner Weise angedeutet. Sie hatte sie in dem Glauben gelassen, daß sie nur deshalb in der Klinik arbeitete, weil sie nicht den ganzen Tag untätig allein zu Hause sitzen wollte, daß die Finanzierung des Studiums der Hinterlassenschaft zu verdanken war.

»Papa muß ein guter Mensch gewesen sein«, war Veronicas Meinung gewesen, wenn sie früher, als sie noch zur Schule ging, mit ihrer Mutter darüber gesprochen hatte. Sie hatte den Mann, der ihr Vater war, ja kaum gekannt, denn sie war erst drei Jahre alt gewesen, als er tödlich verunglückte. Praktisch kannte sie ihn eigentlich nur von einigen Fotos.

Heidelinde Grömer erinnerte sich, daß Veronica früher, als sie kurz vor dem Abitur stand, öfter nach ihrem Vater gefragt hatte und dies und jenes von ihm wissen wollte. Natürlich hatte Heidelinde ihrer Tochter Rede und Antwort gestanden, so gut es ihr möglich war, doch immer war dabei in ihr ein seltsames Gefühl gewesen. Daß Veronica den Verstorbenen als etwas Verehrungswürdiges ansah, war natürlich erfreulich, aber diese Verehrung löste bei Heidelinde Grömer stets eine Art Schuldgefühl aus. Hätte Veronica einen negativen Eindruck von diesem Mann gehabt, so wäre es vielleicht leichter gewesen, ein Geheimnis zu lüften, das Heidelinde seit ihrer Verheiratung mit sich herumtrug.

Daran mußte sie auch jetzt an diesem Nachmittag denken, als sie mit Veronica Kaffee trank und Kuchen aß. Eine an sich harmlose Bemerkung der Tochter weckte erinnernde Gedanken in ihr.

»Ach, es ist doch schön, ein paar Tage zu Hause bei dir sein zu können, Mutti.« Strahlend sah Veronica ihre Mutter an.

»Ich freue mich ja auch, wenn du hier bist, Veronica«, gab Heidelinde Grömer lächelnd zurück. »Das weißt du doch. Es ist leider nur zu selten.«

»Papa müßte hier sein, dann wäre es noch schöner«, kam es leise über Veronicas Lippen, und ihre Blicke verloren sich irgendwo.

Heidelinde zuckte unmerklich zusammen. »Ja, du hast recht«, erwiderte sie leise, wollte aber nicht weiter auf dieses Thema eingehen. »Was sagtest du eben?«, lenkte sie ab, »nur ein paar Tage willst du hierbleiben?« Verwundert sah sie die Tochter an. »Die Semesterferien dauern doch länger als nur ein paar Tage.«

»Ich weiß, Mutti«, entgegnete Veronica, »aber übermorgen muß ich nach München zurück.«

»Weshalb?« fragte die Mutter irritiert.

»Weil ich dort jemanden treffen will«, erwiderte Veronica etwas stockend und lächelte fein. »Treffen muß«, fügte sie leiser hinzu.

Heidelinde Grömer war nicht weltfremd. Sie war sich klar darüber, daß ein 19-jähriges Mädchen nicht dauernd allein sein würde, daß es in diesem Alter ganz normal war, wenn da irgendwelche zwischenmenschlichen Beziehungen bestanden. Im Grunde genommen hatte sie schon längst damit gerechnet, daß Veronica sich mit einem jungen Mann zusammengetan hatte. Nur – es kam ihr jetzt doch etwas überraschend. »Ein Freund?« fragte sie leise.

Veronica nickte.

»Verliebt?«

»Ja, Mutti«, antwortete Veronica und sah ihre Mutter mit leuchtenden Augen an. »Ich liebe ihn.«