Sabine weiß nicht, wohin - Britta Winckler - E-Book

Sabine weiß nicht, wohin E-Book

Britta Winckler

0,0

Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Mit einigen Zeitungen in der Hand trat Benno Mayr auf die Terrasse hinaus. Breite Stufen führten in den Garten, der bis ans Ufer des Sees reichte. In der Nähe des Wassers stand der Liegestuhl, in dem es sich seine Frau bequem gemacht hatte. Er sah kurz zu ihr hin. Er wollte sich setzen, überlegte es sich dann aber anders und ging die Stufen hinunter. Da er nicht über den Rasen ging, sondern auf den Steinplatten, hörte Gudrun Mayr seine Schritte. Sie hob den Kopf, um sich dann etwas mühsam aufzusetzen.»Bleib doch liegen«, meinte ihr Mann. »Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht etwas brauchst. Hast du Durst? Vielleicht ein Glas Limonade?Gudrun wollte schon den Kopf schütteln, dann besann sie sich. Ihr Mann wollte ihr etwas bringen. So fürsorglich war er schon lange nicht mehr gewesen. Sie streckte ihm ihre Hand hin.»Das ist lieb von dir! Ein Glas Limonade würde mir sicher gut tun.« Sie lächelte zu ihm hinauf.Benno ergriff ihre Hand und tätschelte sie. Auch das hatte er schon lange nicht mehr getan.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 144

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Klinik am See – 29–

Sabine weiß nicht, wohin

In der Not ließen sie alle im Stich

Britta Winckler

Mit einigen Zeitungen in der Hand trat Benno Mayr auf die Terrasse hinaus. Breite Stufen führten in den Garten, der bis ans Ufer des Sees reichte. In der Nähe des Wassers stand der Liegestuhl, in dem es sich seine Frau bequem gemacht hatte. Er sah kurz zu ihr hin. Er wollte sich setzen, überlegte es sich dann aber anders und ging die Stufen hinunter. Da er nicht über den Rasen ging, sondern auf den Steinplatten, hörte Gudrun Mayr seine Schritte. Sie hob den Kopf, um sich dann etwas mühsam aufzusetzen.

»Bleib doch liegen«, meinte ihr Mann. »Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht etwas brauchst. Hast du Durst? Vielleicht ein Glas Limonade?«

Gudrun wollte schon den Kopf schütteln, dann besann sie sich. Ihr Mann wollte ihr etwas bringen. So fürsorglich war er schon lange nicht mehr gewesen. Sie streckte ihm ihre Hand hin.

»Das ist lieb von dir! Ein Glas Limonade würde mir sicher gut tun.« Sie lächelte zu ihm hinauf.

Benno ergriff ihre Hand und tätschelte sie. Auch das hatte er schon lange nicht mehr getan. »Ich hole dir sofort ein Glas.«

Mit glücklichem Lächeln sah Gudrun ihm nach, wie er zum Haus zurückging. Ihre Brust hob und senkte sich. Alles war wieder in bester Ordnung. Benno kam jedes Wochenende an den Tegernsee, sie konnten wieder miteinander reden. Unwillkürlich legte sie ihre rechte Hand auf ihren Unterleib. Sie hatte an Umfang zugenommen. Deutlich war zu sehen, daß sie ein Baby erwartete. Sie hielt den Atem an, horchte in sich hinein. Sie war davon überzeugt, bald die ersten Kindesbewegungen spüren zu können. Wie lange hatte sie darauf gewartet! Sie ließ sich zurücksinken, schloß die Augen. Ihr Leben würde sich ändern. Benno würde nicht mehr hinter jeder Sensation herjagen. Es ging auch so, in den letzten Wochen hatte er ihr dies bereits bewiesen. Meistens hatte er sich in München aufgehalten. Er war ein guter Journalist, der auch hinter dem Schreibtisch sehr gute Arbeit leistete. Zwischendurch konnten sie in Paris leben, jedenfalls bis ihr Kind zur Schule kam. Dann mußten sie sich entscheiden, ob sie in München oder Paris leben wollten.

Gudrun öffnete die Augen. Diesmal hatte sie ihren Mann nicht gehört. Durch sein Herankommen war ein Schatten auf ihr Gesicht gefallen. Sie blinzelte.

»Du hast doch nicht etwa geschlafen?« Benno schwenkte das Glas.

»Ich habe geträumt. Nein, es ist kein Traum. Ich habe mir vorgestellt, wo wir mit dem Kind leben werden.«

»Hier!« Benno Mayr ließ seinen Blick wandern. »Mir hat es am Tegernsee immer gefallen.«

Gudrun konnte sich nicht verkneifen zu sagen: »In letzter Zeit bist du kaum hier gewesen.«

»Das stimmt nicht! Die letzten Wochenenden habe ich stets hier verbracht.«

»Ich meine ja auch, bevor…« Sie lächelte, legte beide Hände flach auf den Bauch. »Aber lassen wir das!« Sie erhob sich aus dem Liegestuhl und sah sich ebenfalls um. »Du hast schon recht! Hier ist es schön. Die Luft ist auch besser als in der Stadt. Vielleicht sollte ich die ersten Monate nach der Geburt mit dem Kind hier leben.«

»Das meine ich. Ich werde natürlich so oft wie möglich hier sein, auf jeden Fall jedes Wochenende.«

»Wirklich? Kann ich dir das glauben?«

»Natürlich«, brummte der zweiundvierzigjährige Journalist. »Es ist ja auch mein Kind, und ich habe vor, mich darum zu kümmern.«

Zufrieden nickte Gudrun. Sie würden eine richtige Familie sein.

»Willst du dich nicht wieder setzen?« fragte Benno. Er hielt das ­gefüllte Glas noch immer in der Hand.

»Vielleicht solltest du nicht so in der prallen Sonne sitzen. Ich trage dir den Liegestuhl gern in den Schatten.«

»Setzt du dich dann zu mir?« bat Gudrun.

»Eigentlich wollte ich in Ruhe Zeitungen lesen.« Er sah die Enttäuschung auf ihrem Gesicht. »Na gut! Dann hole ich mir auch einen Drink.« Er hielt ihr die Limonade hin.

»Danke!« Sie griff danach. »Wir können uns unter die Weide setzen«, sagte sie und zeigte mit der Hand in die Richtung. Dort standen zwei Bänke und ein Tisch. Schon vor zehn Jahren, als sie den Bungalow gekauft hatten, hatten sie dort gestanden. »Ich habe schon gedacht, daß wir dort für den Kleinen einen Sandkasten anlegen könnten«, fuhr sie fort.

»Und wenn es ein Mädchen wird?« fragte Benno lächelnd. Er hätte nichts gegen eine kleine Tochter gehabt.

»Auch Mädchen spielen gern im Sand«, wurde er von seiner Frau belehrt. Er lächelte. Es war schön, sich vorzustellen, daß in zwei Jahren ein kleines Mädchen hier herumlaufen würde. Die ersten Gehversuche hatte es dann schon hinter sich.

Während seine Frau mit dem Glas in der Hand zur Bank hinüberschlenderte, ging er auf das Haus zu. Er hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, Vater zu werden. Fünfzehn Jahre waren eine lange Zeit. Gleich in ihrem zweiten Ehejahr hatte seine Frau aufgehört zu arbeiten. Sie hatten damals die meiste Zeit des Jahres in Paris gelebt. Eigentlich hatten sie sich mindestens drei Kinder gewünscht. Dazu war es jetzt wohl zu spät. Es schien ihm sowieso wie ein Wunder, daß seine Frau in andere Umstände gekommen war.

Als er wieder aus dem Haus kam, sah er sich suchend nach seiner Frau um. Das Glas stand auf dem Holztisch, aber sie saß nicht auf der Bank. Schließlich sah er sie am Ufer. Sie hatte ihre Schuhe abgestreift und stand bis zu den Knien im Wasser.

»Gudrun!« rief er erschrocken. Er eilte über die Wiese auf sie zu. »Was machst du denn da?«

Sie wandte sich nach ihm um. »Hier könnte man ein Planschbecken anlegen. Zumindest müßte das Ufer aufgeschüttet werden. Noch ein, zwei Schritte, und das Wasser würde mir bis zum Bauch gehen.«

»Komm sofort da heraus!« Er streckte ihr die Hand hin.

Gudrun lachte, dann griff sie jedoch nach seiner Hand und kam ans Ufer. »Das Wasser ist bereits sehr angenehm. Noch so eine schöne Woche, und wir können baden gehen.«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage! Willst du dir etwa eine Lungen­entzündung holen?«

»Aber Benno, Mitte Mai sind wir schon öfter baden gegangen.«

»Aber nicht in diesem Jahr!« Er zog sie an sich heran. »Wie kannst du nur an so etwas denken?« Vorwurfsvoll sah er ihr nun ins Gesicht. »Gudrun, du mußt auf dich aufpassen!«

»Du würdest mich am liebsten in Watte packen.«

»Wundert dich das?« Seine Augen blickten ernst.

»Es geht mir gut. Ich fühle mich ausgezeichnet. Oft habe ich das Gefühl, daß ich das Baby schon spüre.«

»Gudrun, wir sind uns doch einig?« Er berührte ihre Wange. »Du mußt dich schonen. Du darfst nichts tun, was dem Ungeborenen schaden könnte.«

»Du weißt doch, wie sehr ich mir das Kind wünsche.« Sie legte den Kopf an seine Schulter. Es war schön, daß sie sich wieder so nahe waren.

»Ich mir auch!« Benno legte seiner Frau den Arm um die Schultern. »Und diesmal wird es klappen!« Er führte sie über die Wiese zur Bank »So gut es geht, werde ich dir dabei helfen. Ich habe bereits alle Auslandsreisen abgesagt.«

Zufrieden lächelte Gudrun. Sie hatte ihn nicht darum gebeten, aber sie hatte gehofft, daß er es tun würde. »Es wird aber noch einige Monate dauern«, warnte sie ihn.

Benno nickte. Das war ihm klar. Er hatte vor, hier am Tegernsee zu arbeiten. Selbst nach München wollte er nur fahren, wenn es wirklich notwendig war. Unwillkürlich glitt sein Blick über seine Frau. Konnte er sie hier überhaupt allein lassen? Der Bungalow war nicht allzu groß. Bisher hatte er ihnen auch nur als Wochenend- oder Ferienhaus gedient. Daher hatten sie hier nicht einmal eine Putzfrau. Das mußte sich nun auch ändern.

»Was hast du? Du mußt dir wirklich keine Sorgen machen. Ich bin zwar nicht mehr die Jüngste, aber in der heutigen Zeit ist es kein Problem, in diesem Alter noch ein Kind zu bekommen.«

»Hat Dr. Lindau das gesagt?« fragte Benno. Er sah, wie seine Frau das Gesicht verzog. »Dr. Lindau ist sicher ein ausgezeichneter Gynäkologe«, setzte er hinzu.

»Kann schon sein!« Gudrun zuckte die Achseln.

»Gudrun, ich habe dich überhaupt noch nicht gefragt, was Dr. Lindau gesagt hat.«

Sie wich dem Blick ihres Mannes aus. »Es ist alles in bester Ordnung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

»Gudrun!« Er griff nach ihrer Hand. »Du wirst doch den Anweisungen des Chefarztes folgen?«

»Natürlich!« Sie lachte, aber ihr Lachen klang unecht in den Ohren. »Ich weiß doch, welche Kapazität unser Dr. Lindau ist.«

»Die Klinik am See hat einen guten Ruf. Die Patientinnen kommen von weit her.« Benno versuchte, seiner Frau noch immer ins Gesicht zu sehen. Ihre Miene war teilnahmslos, man konnte sagen, gleichgültig. »Dr. Lindau hat durch seine Fähigkeiten schon unzähligen Frauen geholfen«, fuhr er eindringlich fort.

»Wem sagst du das! Ich kenne den Chefarzt gut. Ich habe ihn oft genug in seiner Praxis aufgesucht.« Gudrun wollte sich erheben, aber ihr Mann hielt sie fest.

»Du hast doch etwas!«

»Unsinn! Ich möchte nur nicht, daß wir uns die ganze Zeit Sorgen machen.« Sie entzog ihm ihre Hand und legte sie auf ihren bereits leicht gewölbten Bauch. »Das ist doch auch nicht gut für den Kleinen. Benno, wir sollten uns nur freuen.«

»Das tun wir doch auch!« Er nahm sie in die Arme und küßte sie. Gudrun schmiegte sich an ihn. Sie hatte das Gefühl, ihr Leben würde neu beginnen.

*

Die Hände auf dem Rücken verschränkt, schritt Dr. Lindau durch den Ort. Er war auf dem Weg in die Klinik. Von seinem Haus in der Ortsmitte bis an den See war es nicht weit. Wenn das Wetter es zuließ, legte er seinen Weg gern zu Fuß zurück. Die Bewohner von Auefelden kannten seine hochgewachsene Gestalt. Von allen wurde er freundlich gegrüßt. Als er die Praxis des alten Dr. Bergmann übernommen hatte, beseelt von dem Wunsch, intensive Hilfe bei Schwangerschafts- und Geburtsproblemen zu leisten, war er nur wenigen bekannt gewesen. Doch das hatte sich geändert. Er hatte die Klinik am See aufgebaut und leitete diese mit großen Erfolg.

Dr. Lindau genoß die kurze Pause, die ihm durch diesen Spaziergang gegeben wurde, hielt er doch in seinem Haus noch zweimal die Woche eine Sprechstunde ab, und gerade von dieser kam er. So schritt er nicht allzu schnell aus, nahm sich Zeit, in Vorgärten zu sehen und das erste Blühen zu bewundern. Er war ein Naturfreund, nur kam er selten dazu, die Natur auch zu genießen. In einem der Vorgärten sah er Gudrun Mayr. Eine Zeitlang war die Frau regelmäßig in seine Praxis gekommen. Er stutzte, sah genauer hin. Das war doch nicht möglich! Die Frau hatte an Umfang zugenommen.

Gudrun Mayr hatte sich etwas umständlich über einen Rosenstrauch gebeugt gehabt, jetzt richtete sie sich auf. Mit der Hand stützte sie sich dabei im Kreuz ab. Ihre Bewegungen waren schwerfällig. Dr. Lindau hatte sie rank und schlank in Erinnerung. Er versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal bei ihm in der Praxis gewesen war. Er trat dichter an den Zaun heran.

Gudrun sah ihn. »Hallo, Herr Doktor!« Sie hob die Hand, winkte ihm zu.

»Hallo! Wie geht es?«

»Ausgezeichnet. Sehen Sie das nicht?« Sie kam den Gartenweg heran. Das Glück leuchtete ihr aus den Augen.

Dr. Lindau konnte nicht glauben, was er sah. Als sie ihm das letzte Mal gegenübergesessen hatte, war sie verbittert gewesen, hatte mit ihrem Schicksal gehadert.

Gudrun stemmte die Hände in die Seiten, drückten ihren Unterleib noch weiter vor. »Da staunen Sie, nicht wahr?«

Der Chefarzt staunte wirklich. Skeptisch fragte er: »Kann man Ihnen gratulieren?«

»Natürlich! Es ist doch schon deutlich zu sehen.« Sie lachte. Es war ein freundliches Lachen. »Geben Sie nur zu, Herr Doktor, daß Sie sich geirrt haben. Ich werde ein Baby bekommen, ein wunderbares Baby!«

»Das ist sehr schön für Sie.«

»Nicht nur für mich, auch für meinen Mann.«

»Ich weiß, Sie wünschen sich beide schon lange ein Kind.« Dr. Lindau zögerte. »Haben Sie sich einer Operation unterzogen?« fragte er geradeheraus.

»Nein, das war nicht notwendig.«

»Sie sind also unerwartet schwanger geworden?« Dr. Lindaus Miene war nun besorgt.

»Unerwartet? Nein, Herr Doktor, ich warte schon seit Jahren darauf.« Nachdenklich nickte Dr. Lindau.

Das stimmte. Er hatte Frau Mayr nur keine Hoffnung mehr machen können, denn immer wieder hatten die Untersuchungen ergeben, daß ihre Gebärmutter einen Knick hatte.

»Wie fühlen Sie sich?«

»Ausgezeichnet, das habe ich doch schon gesagt.«

»Frau Mayr, Sie müssen sehr auf sich achten. Sie haben bereits drei Fehlgeburten gehabt.«

»Das müssen Sie mir nicht sagen. Ich will auch nichts mehr davon hören.«

»Sie müssen sich an die ärztlichen Anordnungen halten.«

Gudrun lachte dem Chefarzt ins Gesicht. »Es gibt keine!«

»So! Frau Mayr, Sie sind, oder besser Sie waren meine Patientin, daher weiß ich, daß der Kollege Ihnen sicher Ratschläge gegeben hat.«

»Herr Doktor, verderben Sie mir doch nicht meine gute Laune. Ich brauche keine Ratschläge, ich will auch keine hören. Ich bekomme endlich ein Baby.«

Dr. Lindau strich sich über das Kinn. Von Herzen gönnte er der Frau das Glück, doch irgend etwas stimmte da nicht. Vor allem verstand er nicht, warum sie nicht zu ihm gekommen war. Er konnte nur hoffen, daß sie wirklich bei einem Frauenarzt in Behandlung war. Es war notwendig, das wußte er. Er sah an der Frau vorbei hinüber zum Haus.

»Sie sind allein hier, oder ist Ihr Mann auch da?« fragte er. Er kannte den Journalisten gut. Sie hatten hin und wieder am Sonntag einen Frühschoppen getrunken.

»Mein Mann war hier.« Gudrun sagte es triumphierend. »Er wird übermorgen auch wieder da sein. Auch er wird in Zukunft die meiste Zeit hier verbringen. Wir haben uns gedacht, daß die frische Luft gut für unser Baby ist.«

»Dann ist ja alles in Ordnung.« Dr. Lindau versuchte zu lächeln. Angst wollte er Frau Mayr auf keinen Fall machen. Er streckte die Hand über den Zaun. »Alles Gute, Frau Mayr!«

»Danke, Herr Doktor!« Gudrun strahlte wieder. Sie schüttelte dem Chefarzt die Hand. Als sie diese jedoch wieder loslassen wollte, hielt Dr. Lindau sie noch einen Augenblick fest. Eindringlich sagte er: »Kommen Sie doch in den nächsten Tagen zu mir. Ich würde mich gern davon überzeugen, daß es Ihnen gutgeht. Vor allem möchte ich dafür sorgen, daß es so bleibt.«

»Nein!« Gudrun trat einen Schritt zurück. »Ich brauche keinen Arzt! Ich habe genug von ärztlichen Ratschlägen. Es ist mein Baby, und keiner wird es mir wegnehmen.« Sie hatte dem Arzt die Hand entzogen, preßte nun beide Hände gegen ihren Leib.

»Tut mir leid, ich wollte Sie mit meinen Worten nicht aufregen. Nun, Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Falls Sie Beschwerden bekommen…«

Heftig fiel ihm Gudrun ins Wort: »Ich werde keine Beschwerden bekommen. Ich bringe ein gesundes, kräftiges Baby zur Welt, darauf können Sie sich verlassen, Herr Doktor.« Ihre Augen blitzten.

Dr. Lindau nickte, obwohl er sicher war, daß dies nicht so einfach sein würde. Frau Mayr war vierzig, und dies würde ihre erste Geburt sein.

Nachdenklich setzte er seinen Weg fort.

»Herr Doktor!« Dr. Lindau schrak zusammen. Beinahe hätte er Frau Peters übersehen. Sie kam auf ihn zu. An der Hand hielt sie ihre Tochter, von der der Chefarzt wußte, daß sie gerade erst achtzehn Jahre alt war. Das Mädchen hielt den Kopf gesenkt, es wagte nicht hochzusehen. »Herr Doktor, entschuldigen Sie, aber ich muß Sie unbedingt sprechen«, sagte dafür die Mutter energisch. Sie war die Frau des Schulrektors, und dieser verfügte im Ort über ein gewisses Ansehen.

»Ja, bitte!« Der Chefarzt versuchte freundlich zu sein und seine Gedanken von Frau Mayr zu lösen.

»Herr Doktor, es geht um Sabine.« Frau Peters schob ihre Tochter energisch nach vorn. »Sie fühlte sich in letzter Zeit nicht wohl. Zwar versuchte sie, dies vor mir zu verheimlichen, aber mich kann man nicht täuschen.«

Dr. Lindau versuchte, dem Mädchen ins Gesicht zu sehen. Dies ging nicht so leicht, denn Sabine hielt noch immer den Kopf gesenkt.

»Sieh den Doktor an«, herrschte die Mutter sie an. Da hob Sabine den Kopf, sie war blaß, hatte dunkle Ringe unter den Augen.

»Herr Doktor, können wir Sie nicht einmal aufsuchen?«

»Selbstverständlich, Frau Peters. Rufen Sie an und lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben.«

Gisela Peters verzog das Gesicht. »Herr Doktor, ich dachte eigentlich nicht daran, Sabine in Ihre Praxis zu bringen. Sie wissen ja, dies würde nur Gerede geben.«

Dr. Lindau zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wie meinen Sie?«

Gisela Peters wurde sichtlich verlegen. »Meine Tochter steckt mitten in den Abschlußprüfungen, müssen Sie wissen. Ich möchte nicht, daß sich herumspricht, daß Sabine einen Frauenarzt aufsucht. Man würde daraus sofort die falschen Schlüsse ziehen.«

»Und warum soll Ihre Tochter dann einen Frauenarzt aufsuchen?« Dr. Lindau fragte es ruhig, nur um seine Mundwinkel zuckte ein spöttisches Lächeln.

Seine Frage trieb Gisela Peters jedoch das Blut in den Wangen. »Ich dachte nur, weil sie sich nicht wohl fühlt.« Jetzt senkte auch sie den Blick. »Vielleicht ist es auch nur eine Magenverstimmung.«

»Wenn diese Übelkeit andauert, dann sollte sie wirklich einen Arzt aufsuchen.« Der Chefarzt sah auf Sabine. Das Mädchen tat ihm leid. Trotz ihrer achtzehn Jahre wurde sie von der Mutter noch bevormundet. Auch auf Sabines Wangen waren rote Flecken erschienen. Man sah dem Mädchen an, daß es am liebsten im Erdboden versunken wäre.