Beatrix verschweigt die Wahrheit - Britta Winckler - E-Book

Beatrix verschweigt die Wahrheit E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. Das Hotel der Familie Raiter war das größte und beste Haus in Rettenberg, einem kleinen Wintersportort in Tirol, nicht weit von Kitzbühel und Kirchberg gelegen. Mit diesen berühmten Orten hatte es die herr­liche Landschaft und die großar­tigen­ Skipisten gemein. Das gesellige Leben, Aprés-Ski-Veranstaltungen, Tanzabende und Barbesuche, war noch nicht sehr entwickelt, weshalb die Naturfreunde, die Skiwanderer und die Ruhesuchenden das stillere Rettenberg vorzogen. Theoretisch endete Trixis Dienst gegen 17 Uhr, doch mußte sie zu ihrem Ärger oft genug länger arbeiten. Das war dann der Fall, wenn neue Gäste erwartet wurden oder wenn sie eilige Post noch nicht erledigt hatte. Eigentlich war der ganze Tag für sie ein Warten auf diesen Zeitpunkt hin. Dann dämmerte es draußen, und die Skifahrer kehrten in ihre Hotels und Pensionen zurück. Andis Aufgabe bei seinen Skischülern endete jetzt. Das Abendessen im ›Rettenberger Hof‹ wurde frühestens um 18 Uhr serviert. Wenn alles gutging, dann hatten Andi und Trixi eine Stunde für sich allein. Es war eine Stunde der heimlichen Liebesschwüre und der verborgenen Leidenschaft. Die Zeit war ihnen viel zu kurz. Oftmals begehrte Trixi auf, sie haßte diese täglichen Abschiede, das verstohlene Beieinandersein und die ständige Angst, entdeckt zu werden. Doch bislang war es Andi immer wieder gelungen, sie zu besänftigen. So auch heute. Sie trafen sich in Trixis Zimmer, das im obersten Stock des Hauses lag. Hier waren sie ungestört. Die anderen Angestellten, die auch weit oben wohnten, waren noch lange unten beschäftigt. Von ihnen drohte keine Gefahr. Es fiel auch kaum auf, wenn Andi sie besuchte.

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Die Klinik am See – 39–

Beatrix verschweigt die Wahrheit

Um ihre Liebe zu retten, verfiel sie auf einen gewagten Plan

Britta Winckler

Das Hotel der Familie Raiter war das größte und beste Haus in Rettenberg, einem kleinen Wintersportort in Tirol, nicht weit von Kitzbühel und Kirchberg gelegen. Mit diesen berühmten Orten hatte es die herr­liche Landschaft und die großar­tigen­ Skipisten gemein. Das gesellige Leben, Aprés-Ski-Veranstaltungen, Tanzabende und Barbesuche, war noch nicht sehr entwickelt, weshalb die Naturfreunde, die Skiwanderer und die Ruhesuchenden das stillere Rettenberg vorzogen.

Theoretisch endete Trixis Dienst gegen 17 Uhr, doch mußte sie zu ihrem Ärger oft genug länger arbeiten. Das war dann der Fall, wenn neue Gäste erwartet wurden oder wenn sie eilige Post noch nicht erledigt hatte. Eigentlich war der ganze Tag für sie ein Warten auf diesen Zeitpunkt hin. Dann dämmerte es draußen, und die Skifahrer kehrten in ihre Hotels und Pensionen zurück. Andis Aufgabe bei seinen Skischülern endete jetzt.

Das Abendessen im ›Rettenberger Hof‹ wurde frühestens um 18 Uhr serviert. Wenn alles gutging, dann hatten Andi und Trixi eine Stunde für sich allein. Es war eine Stunde der heimlichen Liebesschwüre und der verborgenen Leidenschaft. Die Zeit war ihnen viel zu kurz. Oftmals begehrte Trixi auf, sie haßte diese täglichen Abschiede, das verstohlene Beieinandersein und die ständige Angst, entdeckt zu werden. Doch bislang war es Andi immer wieder gelungen, sie zu besänftigen.

So auch heute. Sie trafen sich in Trixis Zimmer, das im obersten Stock des Hauses lag. Hier waren sie ungestört. Die anderen Angestellten, die auch weit oben wohnten, waren noch lange unten beschäftigt. Von ihnen drohte keine Gefahr. Es fiel auch kaum auf, wenn Andi sie besuchte. Bisher war ihm noch nie jemand begegnet. Notfalls hatte er eine Ausrede zur Hand, weshalb er hier nach dem Rechten sehen mußte. Ein tropfender Wasserhahn oder eine durchgebrannte Sicherung waren schnell erfunden.

Trixi öffnete ihm die Tür, als sie sein leises Klopfen hörte. Und dann fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn mit verzehrender Leidenschaft.

»Wenn ich dich nicht hätte, Andi… ich würde dieses Leben nicht länger ertragen«, seufzte sie.

»Aber du hast mich ja. Und ich brauche dich auch. Glaubst du, daß mein Leben so viel leichter ist?«

»Ein wenig schon. Ich bin nur eine Angestellte, eine ungeschickte Person, für die deine Eltern doch nur Verachtung haben. Du aber bist der Sohn der Familie, gut geraten und tüchtig.«

Andi führte Trixi zu dem schmalen Bett, auf dem sie Platz nahmen, denn es gab keine Polstermöbel in dem kärglich eingerichteten Raum. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

»Habe ich nicht recht?« fragte sie.

»Ja und nein. Natürlich habe ich es äußerlich besser. Mein Zimmer ist schöner, ich habe mehr Geld. Andererseits habe ich keine Möglichkeit, mein Leben nach meinem eigenen Geschmack einzurichten. Ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Andere sind da schon verheiratet, haben einen eigenen Hausstand und sind beruflich von den Eltern unabhängig. Ich hingegen? Ich bin hier Hausknecht, Kellner, Barkeeper, Empfangschef, wie es gerade kommt. Eigene Ideen kann ich nicht verwirklichen. Nicht einmal heiraten darf ich. Jedenfalls nicht die Frau meiner Wahl.«

»Und du meinst, mir ginge es besser?«

»Du könntest kündigen, dir eine andere Arbeit suchen. Und wahrscheinlich redet dir niemand herein, wenn du heiraten willst. Du könntest dir deinen Mann selbst aussuchen…«

»Nein, könnte ich nicht.«

»Ich denke, du hast keine Angehörigen?«

»Nein. Aber der Mann, den ich will, bist du. Und da du mich nicht heiraten darfst, bin ich auch nicht frei in meiner Wahl. Laß uns auf­ und davongehen, Andi. Irgendwohin. Du würdest in jedem anderen Hotel arbeiten können und ich wahrscheinlich auch.«

»Warum nur wahrscheinlich?«

»Weil ich eine hoffnungslose Niete bin, Andi. Dein Vater hat es mir erst heute wieder gesagt. Ich hatte zwei Briefe in die falschen Umschläge gesteckt.«

Andi lachte.

»Wie konnte das passieren?«

»Mir passiert so etwas. Ich bin nicht mit dem nötigen Ernst dabei. Und außerdem habe ich an dich gedacht. Da war es mir völlig gleichgültig, ob Herr Bernhard seine Suite bekommt oder nicht.«

»Denkst du viel an mich, Trixi?«

»Pausenlos. Wenn mich nicht gerade dein Vater oder deine Mutter daran hindern. Andi, wir leben unter einem Dach und sehen uns doch höchstens eine Stunde am Tag. Laß uns fortgehen. Vielleicht bekomme ich ja einen Job als Fotomodell. Da kann man schnell viel Geld verdienen. Damit könnten wir einen Start wagen. Du könntest ein kleines Hotel mieten oder doch wenigstens ein Restaurant.«

»Es klingt verlockend, Trixi. Aber laß uns vernünftig bleiben. Schließlich soll ich den ›Rettenberger Hof‹ erben, nachdem mein Bruder in die USA gegangen ist. Solch ein Erbe setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel.«

»Warum kannst du mich nicht heiraten und trotzdem das Hotel erben?«

»Weil… weil meine Eltern schon mit einer anderen Schwiegertochter rechnen. Eine, die Geld ins Haus bringt und die in der Gastronomie groß geworden ist.«

»Liebst du diese andere?« fragte Trixi traurig.

»Nein, wirklich nicht. Da kannst du ganz unbesorgt sein, Trixi. Aber nun laß uns nicht länger Trübsal blasen, mein Liebling. Schau, was ich uns mitgebracht habe!«

Mit diesen Worten stellte Andi eine Flasche Champagner auf den Tisch. Trixi bekam große Augen. Sie liebte Champagner. Schon nach einem einzigen Glas sah sie die Welt in rosenroten Farben. Nach dem zweiten Glas hatte sie das Gefühl, über alle Widrigkeiten des Lebens hinwegzuschweben. Und beim dritten Glas gab es nur noch Andi für sie, ihn und seine Liebe.

Andi öffnete die Flasche, die diesmal ungewöhnlich laut knallte. Sie tranken einander zu und leerten ihre Gläser in einem Zug. Und dann lag Trixi an Andis Brust. Sie herzten und küßten sich und sagten sich tausend verliebte Dinge.

Die Schritte auf dem oberen Flur hörten sie nicht. Erst als die Tür aufgerissen wurde, fuhren sie auseinander. Stefan Raiter, der Hotelbesitzer, stand auf dem Flur und musterte seinen Sohn und seine Sekretärin mit bösen Blicken.

»Das also wird hier gespielt«, sagte er mit schneidender Stimme. »Und der teuerste Champagner ist gerade gut genug für dieses… dieses…«

»Vater!« mahnte ihn der Sohn.

»Sag bitte nichts, was dir später leid tun müßte. Trixi und ich, wir werden heiraten. Wir lieben uns.«

»Zunächst einmal wirst du im Restaurant erwartet, Andi. In einer Viertelstunde wird das Abendessen serviert. Die ersten Gäste sind schon da. Geh nach unten und tu deine Pflicht. Wir sprechen uns dann morgen.«

Dann wandte sich Stefan Raiter an Trixi, die verlegen dastand. Ihre Haare waren verwühlt, die Knöpfe ihrer Bluse waren geöffnet. Auf ihren Lippen brannten noch Andis Küsse. Ob man das sehen konnte?

»Und Sie, Frau Hollmann, verlassen morgen unser Haus. Ich würde Sie noch heute fortschicken, aber der nächste Bus geht erst morgen früh. Sie können schließlich nicht draußen im Schnee übernachten. Ich bin ja kein Unmensch.«

»Sie wollen mich fristlos entlassen?« stammelte Trixi. »Dazu haben Sie keinen Grund.«

»Dies ist keine fristlose Kündigung. Ich kündige zum nächsten Termin. Ich verzichte nur ab morgen auf Ihre Dienste. Sie bekommen ihr restliches Gehalt noch ausgezahlt.«

»Unterkunft und Verpflegung sind Teil der Vergütung, Vater«, mischte sich Andi ein. »Auch darauf hat Frau Hollmann einen Anspruch.«

»Danke für die Belehrung, mein Sohn«, sagte der Hotelbesitzer ironisch. »Ich werde beides mit Bargeld ablösen. Die Gegenwart dieser Dame ist jedenfalls hier unerwünscht.«

Andi wollte aufbegehren, doch Trixi lächelte ihm unter Tränen zu und bat ihn mit einer Handbewegung zu schweigen.

»Laß gut sein, Andi. Ich möchte selbst nicht länger in Rettenbach bleiben«, sagte sie leise.

Sie wandte sich ab und kümmerte sich nicht länger um Vater und Sohn. Vom schmalen Schrank holte sie ihren Koffer herunter und begann, ihre wenigen Habseligkeiten zu packen. So konnte sie vor den beiden wenigstens die Tränen verbergen, die ihr über die Wangen rannten.

»Du hörst von mir, Trixi«, versprach Andi noch.

Dann gingen die beiden Männer fort und ließen das unglückliche junge Mädchen allein zurück.

*

Es war an diesem Abend viel Betrieb im ›Rettenberger Hof‹, und doch war alles anders als sonst. Der Hotelier, Herr Stefan Raiter, ließ sich nicht sehen. Normalerweise wäre er von Tisch zu Tisch gegangen, hätte die Gäste begrüßt und mit guten alten Bekannten ein wenig geplaudert. Hier und da wurde ein besonderer Wunsch geäußert, den der Chef des Hauses gern erfüllte. Auch seine Frau ließ sich nicht sehen. Dabei war sie sonst der gute Geist des Hauses. Sie empfing die Gäste schon am Eingang und hatte für jeden ein freundliches Wort.

Heute fühlte sich Andi von beiden Eltern alleingelassen. Er mußte den Vater vertreten und mußte zusätzlich die Aufgaben der Mutter übernehmen. Er bediente im Restaurant und hetzte zwischen Küche und Gästetischen hin und her. Wenn das Telefon in der Rezeption klingelte, lief er nach draußen. Spätangekommene Gäste begleitete er in ihre Zimmer. Andi wußte nicht, wo ihm der Kopf stand.

»Zum Teufel, noch mal. Ich bin doch nicht alleinverantwortlich für den ›Rettenberger Hof‹«, murrte er.

Zur gleichen Zeit saß das Ehepaar Raiter in den behaglichen Ledersesseln in ihrem privaten Wohnzimmer.

»Was gibt’s, Stefan?« fragte Frau Marianne Raiter ihren Mann. »Sollten wir nicht besser unten sein und uns um die Gäste kümmern?«

»Das kann Andi ausnahmsweise mal tun«, erwiderte ihr Mann. »Das, was ich mit dir besprechen will, läßt sich nicht verschieben. Nur darum habe ich dich um diese Unterredung gebeten.«

»Das klingt feierlich«, seufzte sie. »Also gut. Schieß los.«

»Es geht um unseren Andi. Vielmehr um die geplante Heirat zwischen ihm und der Josefa Reindl. Der Plan ist ernstlich in Gefahr.«

»Hat sich eine seiner Ski-Schülerinnen in ihn verliebt? Geh, Stefan, das darfst du nicht allzu tragisch nehmen. Die jungen Damen machen Urlaub, und danach ist alles wieder vorbei. Er ist ja auch ein hübscher Bursch, unser Andi.«

»Und reich dazu, zumindest wenn er einmal sein Erbe antritt.«

»Das hat noch gute Weile, Stefan.«

»Sicher. Aber heiraten könnte er jetzt schon. Und da lauert die Gefahr. Was hältst du von Beatrix Hollmann?«

»Darüber haben wir doch schon oft gesprochen, Stefan. Sie ist

hübsch und wenn sie will, auch charmant. Leider ist sie nicht gewissenhaft, sie ist sprunghaft und oft von der Arbeit abgelenkt. Aber sie ist kein schlechter Mensch, halt jung und verspielt.«

»Weißt du, daß sie eine Liebschaft mit unserem Andi hat?«

»Nein!« Frau Marianne sagte es entsetzt.

»Ich habe die beiden überrascht in einer… hmm… verfänglichen Situation.«

»Wo hast du sie überrascht?«

»In dem Zimmer der Hollmann. Ich war auf dem oberen Gästeflur, als ich einen lauten Knall hörte. Ich dachte an einen Schuß und lief in die Mansarde, wo die Personalzimmer sind. Ja, und da traf ich die beiden engumschlungen. Das Geräusch kam übrigens von einer Champagnerflasche, die Andi geöffnet hatte. Champagner vom teuersten!«

»Und wie reagierten die beiden?«

»Dramatisch. Sie sprachen von Liebe und Heirat. Frau Hollmann habe ich davongeschickt. Sie verläßt morgen das Haus. Mit Andi werde ich morgen ein ernstes Wörtchen reden. Zuvor wollte ich aber mit dir über die Angelegenheit sprechen.«

»Wie konnte das passieren!« klagte Frau Raiter. »Diese durchtriebene Person. Macht sich an unseren Sohn heran, und das in unserem Haus und unter unserem Dach.«

»Sie versucht es halt«, brummte Stefan Raiter. »Denk dran, sie ist ein ganz armes Mädchen. Eine bessere Partie wie unseren Andi kann sie gar nicht machen. Sie nutzt ihre Chance. Aber was soll ich von meinem Sohn halten! Er müßte doch wissen, daß er eine reiche Frau braucht und daß er Verpflichtungen gegenüber uns und dem Hotel hat. Wenn die Hollmann wenigstens tüchtig wäre! Aber sie wird alles zugrunde richten, was wir in mühsamer Arbeit aufgebaut haben.«

»Wir müssen die Heirat verhindern«, sagte Marianne Raiter entschlossen.

»Aber wie?« entgegnete ihr Mann. »Genau über diesen Punkt will ich heute abend mit dir sprechen.«

»Wir hätten auf eine baldige Hochzeit mit Josefa drängen müssen. Ihr Vater hätte die Verbindung zwischen ihr und Andi auch begrüßt.«

»Ich hoffe, daß es dazu auch jetzt noch nicht zu spät ist‹‹, antwortete Stefan Raiter finster. »Das Dumme ist nur, daß die Josefa zur Zeit in Amerika ist und dort auch noch mindestens ein halbes Jahr bleibt. Sie will ihr Englisch verbessern, hat sie gesagt, dabei war sie doch schon perfekt.«

»Wo ist sie denn eigentlich?« fragte Marianne Raiter interessiert.

»In Pueblo im Staate Colorado. Da hat ihr Onkel nämlich ein Motel. Ihr Vater hat mir erst kürzlich davon erzählt.«

Frau Raiter erhob sich und holte einen Atlas herbei.

Nach einigem Suchen hatte sie Pueblo gefunden.

»Wenn es dies hier ist, dann wohnt sie nicht weit von unserem Freddy. Schau hier, Pueblo und Colorado Springs sind nicht weit voneinander entfernt. Man könnte sich besuchen.«

»Was soll Freddy mit Josefa anfangen? Er hat doch schon eine Frau.«

»Freddy nicht, aber Andi. Stefan, wir schicken den Andi zu seinem Bruder. Dort kann er eine andere Art der Gastronomie kennenlernen, kann sich in der Welt umschauen und wird sich mit Josefa treffen.«

»Du meinst?« fragte Stefan Raiter. Leichte Hoffnung schwang in seiner Stimme.

»Natürlich meine ich. Vor allem aber wird er von dieser Beatrix getrennt und muß sich zwangsläufig wieder um Josefa kümmern. Er wird uns hier allerdings fehlen.« Es

schien, als täte es Frau Raiter schon leid, diesen Vorschlag gemacht zu haben. Die Trennung von ihrem jüngsten Sohn würde ihr nicht leicht fallen, das wußte sie.

»Das Opfer müssen wir bringen«, wischte ihr Mann ihre Bedenken zur Seite. »Gut, schicken wir Andi nach Amerika. Wann soll er fahren?«

»So bald es geht. Er braucht ja noch ein Visum. Aber wenn die kleine Hollmann erst einmal fort ist, dann ist die schlimmste Gefahr vorüber.«

Das Ehepaar Raiter war sich einig, und schon am nächsten Morgen eröffnete Stefan Raiter seinem Sohn, daß er ihn für längere Zeit zu seinem Bruder Freddy nach Colorado Springs schicken wollte.

»Es tut nicht gut, wenn ein angehender Hoteldirektor nur im elterlichen Betrieb gearbeitet hat«, erklärte er ihm. »Du mußt dich in anderen Häusern umschauen, mußt die Welt sehen. Außerdem könntest du dein Englisch noch verbessern. Du weißt, daß wir viele Amerikaner als Wintergäste haben.«

»Gefragt werde ich wohl gar nicht?« sagte Andi ironisch. Er wußte genau, woher der Wind wehte. Bisher war niemals die Rede davon gewesen, daß er Erfahrungen in der Fremde machen sollte. Da war seine Arbeitskraft daheim sehr willkommen gewesen. Jetzt aber, wo man offenbar eine Heirat mit Beatrix verhindern wollte, da schickte man ihn zu seinem Bruder.

»Du wirst dich nicht einsam drüben fühlen«, fuhr sein Vater fort. »Viele Österreicher sind in die Wintersportorte von Colorado ausgewandert. Österreichische Skilehrer sind begehrt; aber auch die Skihütten und Sporthotels in unserem Stil sind sehr beliebt. Du wirst viele Landsleute dort treffen.«

Aber nur die eine nicht, die, die ich liebe… dachte Andi verzweifelt.

»Wir werden gleich heute ein Visum für dich beantragen, mein Sohn«, erklärte der Vater. »Nachdem der Entschluß gefaßt ist, sollten wir ihn schnell ausführen.«

»Ich habe nichts dergleichen beschlossen«, wagte Andi einen Widerspruch.

»Aber wir«, lachte sein Vater. »Du mußt zugeben, daß unser Angebot sehr entgegenkommend ist. Und das in der Saison, wo jede Hand gebraucht wird. Heute allerdings, da hätte ich noch eine Bitte an dich, Andi.«

»Ja, Vater?«

»Du kannst mit dem Koch zum Großmarkt fahren. Er ist mir ein wenig zu großzügig im Einkauf. Es muß nicht immer das teuerste und beste Gemüse sein. Und auch die vielen tropischen Früchte sind nicht immer notwendig. Halte ihn ein wenig zur Sparsamkeit an.«

Andi wußte zwar, daß man dem Küchenmeister nicht in seine Aufgaben hineinreden durfte. Er fühlte sich als Künstler in seinem Fach und dachte nicht daran, seine Vorstellungen der Sparsamkeit zu opfern. Aber Andi wollte dem Vater heute gern einen Gefallen tun, zumal damit das unangenehme Gespräch beendet wurde.

Er wußte jedoch nicht, daß Beatrix zur gleichen Zeit den ›Rettenberger Hof‹ für immer verließ. Während er mit dem Koch die Qualität von Tomaten und Orangen, von Ananas und Champignons verglich, fuhr sie im Taxi nach Kirchberg. Von dort aus wollte sie nach Deutschland fahren, um bei einer Freundin Unterschlupf zu finden. Sie wollte fort von Rettenberg, wo man sie so unfreundlich behandelt hatte. Der Gedanke, daß künftig eine Landesgrenze zwischen ihr und den Raiters lag, heiterte sie ein wenig auf.

Nur die Trennung von Andi war hart. Warum er nicht einmal von ihr Abschied genommen hatte?

Bis zum letzten Augenblick hatte sie gehofft, er würde kommen und sie in seine Arme nehmen. Ach, nicht daran denken…

*

Schon am Nachmittag traf Trixi bei ihrer Freundin Petra Huber in München ein. Petra hatte eine gute Stellung in einem Reisebüro, sie war weniger hübsch als Trixi, dafür aber tüchtiger und erfolgreicher im Beruf. So hatte sie sich bereits ein teures Zwei-Zimmer-Appartement leisten können.

»Kann ich bei dir bleiben, Petra?« fragte Trixi schüchtern, als die Freundin ihr öffnete. »Nur für kurze Zeit, bis ich selbst etwas gefunden habe.«