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Ein Zufallsfund bei einer Massenkarambolage: 48 Leichen werden in einem Container aufgefunden – ohne Papiere, ohne Fahrer und ohne erkennbaren Grund. Kommissarin Laura Braun und Gerichtsmedizinerin Elena Salonis stehen vor einem Rätsel: Handelt es sich um einen Unfall oder doch um ein gewaltiges Verbrechen? Die Ermittlungen ziehen die beiden Frauen immer tiefer hinein in einen Sog aus menschlichen Abgründen und grenzenloser Gier. Und zu allem Überfluss tritt auch Elenas Ex-Freund wieder in ihr Leben ... “Wer hat ein Interesse an so vielen toten Körpern? Fragen Sie lieber, wer keines hat…"
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Zum Buch:
Ein Zufallsfund bei einer Massenkarambolage: 48 Leichen werden in einem Container aufgefunden – ohne Papiere, ohne Fahrer und ohne erkennbaren Grund.
Kommissarin Laura Braun und Gerichtsmedizinerin Elena Salonis stehen vor einem Rätsel: Handelt es sich um einen Unfall oder doch um ein gewaltiges Verbrechen?
Zur Autorin:
Der Gestank des Todes umgibt mich wie eine zweite Haut. Ich öffne den Mund zu einem stummen Schrei und bereue es sofort, weil er mir den Atem nimmt. Ich überlege, wie lange wir schon in dieser Dunkelheit gefangen sind. Aber mein Gehirn hat schon vor einer Ewigkeit die Fähigkeit zu rationalem Denken verloren.
Dabei sind wir doch die Auserwählten!
Die Glücklichen. Diejenigen, die es geschafft haben.
Ich kann mich noch an die Blicke derer erinnern, die zurückgelassen wurden. Ihre Enttäuschung. Ich war vertraut mit diesem Gefühl. Wenn die Augen der Männer dich mustern und du ihnen ansiehst, dass sie sich nicht für dich entscheiden. So viele Male wurden wir zurück in das Lager geschickt, wo wir täglich ums Überleben kämpfen mussten.
Doch jetzt sollte alles anders werden.
Dieses Mal war die Wahl auf uns gefallen. Wir konnten unser Glück kaum fassen, als wir den LKW besteigen durften. Endlich. Wir drängten uns in die hinterste Ecke, zwischen Menschen, die wir kaum kannten, aber die das gleiche Ziel hatten: Ein besseres Leben.
Doch heute zweifle ich an den guten Absichten der Schlepper.
Nach der nächtlichen Odyssee über das Meer, in dem eine Frau ertrank, war ich froh, dass die Reise an Land weiterging. Aber die Enge in dem Stahlkoloss ist kaum zu ertragen. Sie umgibt mich wie schwarzes Wasser. Zusammengepfercht wie Tiere sitzen wir in diesem rollenden Käfig, wo die Kälte des Metalls mir schmerzhaft in den Rücken schneidet, als wollte sie mir alles Leben aussaugen.
Ich bemerke eine Bewegung neben mir. Langsam drehe ich den Kopf. Doch die Dunkelheit lässt kein Erkennen zu. Muss sie auch nicht. Ich weiß, von wem das Wimmern kommt. Es ist Naadir. Mein bester Freund, meine Familie. Ich habe die Jahre nicht gezählt, aber es sind viele, in denen wir gemeinsam durch das staubige Land geirrt waren. Auf der Suche nach einem Zuhause. Wir haben zusammen gestohlen, gebettelt, gekämpft und uns von einem Flüchtlingslager zum anderen durchgeschlagen.
Ich will ihn beruhigen und strecke die Hand aus. Unter meinen Fingern spüre ich das Brennen seiner feuchten Haut, sein Zittern. Ich rieche die Fäulnis seiner eiternden Wunden. Verletzungen, die ihm nicht die somalischen Soldaten zugefügt hatten, sondern die Männer, die uns hier eingesperrt haben.
Naadir beginnt zu stöhnen, als er von einem heftigen Schütteln erfasst wird. Ich ziehe ihn an mich und halte ihn so lange, bis der Krampf verebbt. Als sich seine Atemzüge beruhigen, bette ich ihn wieder auf den Boden. Lasst uns raus, flehe ich. Aber die Worte finden nicht den Weg über meine Lippen. Meine Zunge fühlt sich dick und schwer an, und ich sehne mich nach Wasser. Mir kommt eine Idee, und ich beginne, mir den Schweiß von den Armen zu lecken. Er schmeckt scheußlich.
In meinem Kopf ordnen sich meine Gedanken, und ich fasse einen Entschluss. Wir müssen hier raus. Jetzt!
Als ich mich erhebe, entsteht Tumult. Doch ich ignoriere ihn. Ich muss Hilfe für meinen Freund finden. Mit der Klarheit in meinem Kopf kommen mir wieder Zweifel an den guten Absichten unserer Transporteure. Mein Herz hämmert wild gegen meine Brust, als ich versuche, das andere Ende des Kubus zu erreichen. »Setz dich wieder hin!« ruft eine Stimme, und eine andere schimpft, dass ich alle nervös machen würde. Ich stolpere über Gliedmaßen und muss aufpassen, nicht hinzufallen.
»Ich will raus!«, heule ich.
Im nächsten Moment packen mich Hände und drücken mich zu Boden. Eine Stimme an meinem Ohr flüstert. »Mach keinen Scheiß, Junge! Willst du, dass uns die Männer erschießen?«
Natürlich will ich das nicht, trotzdem wehre ich mich gegen seinen Griff.
Die Bremsen kreischen.
Die Laune von Dr. Elena Salonis war schon übel genug, noch bevor sie das rechtsmedizinische Institut betreten hatte. Der Berg unbearbeiteter Dokumente, die fein säuberlich auf ihrem Schreibtisch geordnet worden waren, dämpften ihre Stimmung noch mehr. Fast jede Akte war gespickt mit einer Notiz. Deshalb war sie heute früher gekommen. Ihr erster Arbeitstag. Sie wusste, was dringend zu erledigen war, denn seit zwei Wochen lagen die Befunde und medizinischen Unterlagen zur Durchsicht auf ihrem Schreibtisch. Hinzu kamen die Fälle, die sie schon vor ihrem Urlaub nicht erledigt hatte. Während des Duschens hatte sie sich vorgenommen, dass sie noch vor der ersten Obduktion alle Berichte unterschreiben würde. Jetzt fühlte sie sich der Aufgabe keinesfalls gewachsen.
Lustlos sank sie gegen den Türrahmen, umklammerte ihren Kaffeebecher und inhalierte förmlich dessen Aroma. Aus sicherer Entfernung beäugte sie ihren Schreibtisch, als würde allein der Wunsch, der Büroarbeit zu entfliehen, den Stapel Akten in Luft auflösen. Natürlich klappte das nicht. Sie kippte den Rest des Kaffees hinunter und knallte die Tasse mit einem unsanften Geräusch neben den Computerbildschirm.
Ohne den Unterlagen einen weiteren Blick zu schenken, stürmte sie aus dem Zimmer. Von einem plötzlichen Einfall beflügelt, stieß sie die Tür zur Leichenhalle auf. Die Stille des Raumes war ihr so vertraut, dass sie einen Moment innehielt und die Ruhe auf sich wirken ließ. Kühle Luft, vermischt mit dem Gestank nach totem Fleisch und Desinfektionsmittel. Die meisten Menschen hätte jetzt sicher das Grauen gepackt. Ihr war der Geruch des Todes schon lange nicht mehr fremd. Aber heute kratzte er so verdächtig in ihrer Nase, dass sie einen Moment innehielt. Die Leuchtstofflampen blinzelten und zuckten, und schließlich erhellten sie den Raum. Im Vorbeigehen zog sie ein Paar Nitrilhandschuhe aus einem Spender und ließ sie mit einem satten Schnalzer über die Hände gleiten. Beinahe motiviert steuerte Elena die hohen Kühlschränke an und zog eine Schublade heraus.
Dunkles Nahtmaterial. Grobe Stiche. Die behaarte Brust trug die unverkennbare Handschrift eines Rechtsmediziners. Sie öffnete die nächste Lade. Ein Greis. Auch hier hatten die Kollegen schon ganze Arbeit geleistet. Sie wiederholte die Prozedur. Überprüfte ein Schubfach nach dem anderen.
»Das gibt’s doch nicht. Mist!«, stieß sie hervor.
Enttäuscht und geradezu ihres Elans beraubt, pfefferte sie die Handschuhe in den Mülleimer und lief zurück zu ihrem Büro. Eine Leiche wäre jetzt ein guter Grund gewesen, um sich vor dem Schreibkram zu drücken. Büroarbeit war nicht ihr Ding. Das hatte sie wohl ihren griechischen Genen zu verdanken. Hieß es nicht immer, dass die Griechen ein Volk der Taten waren und nicht ein Volk von Bürokraten?
Mit einem resignierenden Stöhnen ließ sie sich in ihren Bürostuhl fallen. Missmutig starrte sie auf den Aktenberg. War dieser vor wenigen Minuten nicht um einiges kleiner gewesen? Sie griff nach der obersten Kladde.
Viktor Böhm. Die Worte sprangen ihr entgegen, und sofort hatte sie den Fall vor Augen. Das Bild eines attraktiven Mittsechzigers mit silbernem Haar und stahlblauen, wachen Augen. Wie überrascht sie darüber gewesen war, dass diese Augen, auch nach Eintreten des Todes, ihre Leuchtkraft nicht verloren hatten. Schnell war sie hinter deren Geheimnis gekommen. »Farbige, irisierende Kontaktlinsen«, hatte sie damals Dimitri erklärt. Der Sektionsassistent hatte überrascht die Augenbrauen hochgezogen. »Wieso trägt ein alter Mann leuchtend blaue Kontaktlinsen, das ist doch eher was für die junge Generation?«
»Alter Mann?!«
Oberhauptkommissar Bode war schon öfters Gast in Elenas Sektionssaal gewesen. Er stand kurz vor der Pension und sie wusste, dass er in seiner Dienstzeit bei der Kripo Mannheim-Heidelberg schon einiges gesehen hatte. Aber noch nie hatte sie es erlebt, dass Alexander Bode durch etwas aus der Fassung geraten war. Grimmig hatte er den Sektionsassistenten angefunkelt. Hatte dessen jungen, muskulösen Körper beäugt, über dem sich das grüne OP-Hemd gespannt hatte.
»Nur weil der Mann keine dreißig mehr ist, ist er noch lange kein alter Knacker!«
Eine Entschuldigung murmelnd, hatte sich Dimitri schnell den Instrumenten zugewandt.
Mia Bauer. Sie seufzte, als sie die nächste Kladde öffnete und die fein säuberlich getippten Seiten herauszog. Sie wusste, dass sie sich auf ihre Kollegin verlassen konnte. Trotzdem las sie den kompletten Text durch, um sich zu vergewissern, dass sich keine Fehler eingeschlichen hatten, ehe sie in schwungvollen Lettern unterschrieb. Sie wollte soeben die nächste Fallakte vom Stapel ziehen, als ihr Handy klingelte.
Bereits aus der Ferne versuchte Elena, das Ausmaß des Unfalls zu erahnen. Massenkarambolage. Das war eines der Worte von Kommissarin Laura Braun am Telefon gewesen. Massenkarambolage!
Aber das, was sich durch die Windschutzscheibe ihres Dienstwagens auftat, ging weit über ihre Vorstellungskraft hinaus. Ein riesiger Feuerschein zeichnete sich gegen das Morgengrauen ab und stieß eine gigantische Rauchsäule in den Himmel. Blaulichter durchzuckten die weichende Nacht und schraffierten alles saphirblau. Längst hatte man die Autobahn abgesperrt und den Verkehr umgeleitet. Frühe Pendler verstopften die Straße und machten es fast unmöglich, durch die Rettungsgasse zu kommen.
Endlich erreichte sie eine Polizeisperre. Der Mann in Uniform ließ sich Zeit, ihren Ausweis zu kontrollieren, dann warf er ihr einen letzten prüfenden Blick zu und ließ sie passieren. Im Schritttempo rollte sie über den Asphalt.
Geschickt lenkte sie den Wagen zwischen stehenden Fahrzeugen hindurch und suchte eine geeignete Parkmöglichkeit, um die abfahrenden Rettungsfahrzeuge nicht zu blockieren. Um sich einen Überblick zu verschaffen, beschloss sie, noch einen Moment im Wagen sitzen zu bleiben.
Sofort fielen ihr die erschöpften Feuerwehrmänner am Straßenrand auf. Fahle Gesichter, denen man das Grauen und die Überlastung buchstäblich ansah. Einer schraubte eine Wasserflasche auf, und seine Hand zitterte, als er sie zum Mund führte. Eine kurze Pause, bevor er sich wieder dem Kampf gegen das Feuer stellen würde.
Sie griff nach Mantel und Einsatzkoffer und war gerade im Begriff auszusteigen, als sich ein dunkler Schatten vor ihr aufbaute.
»Hey, was wollen Sie hier? Verschwinden Sie!«
Noch bevor Elena antworten konnte, fiel der Blick des Feuerwehrmannes auf das Armaturenbrett. Auf die Worte, welche in dicken roten Lettern auf eine kleine Tafel gedruckt waren. Worte, die jedem sagten, warum sie hier war: Rechtsmedizin im Einsatz.
»Sorry. Ich dachte, Sie wären einer dieser Reporter, die hier ständig auftauchen und uns nur im Weg rumstehen!«, begann er mit einer Entschuldigung.
Sie konnte ihm kaum einen Vorwurf machen. Sie hatte selbst schon erlebt, wie aufdringlich einige Journalisten sein konnten. Elena hob beschwichtigend die Hand. »Sagen Sie mir lieber, wo ich Kommissarin Laura Braun finde.«
Er zuckte mit den Achseln. »Hier sind Unmengen an Polizisten. Wir sind schon seit Stunden im Einsatz. Ich weiß nicht, wie viele Lastwagen an dem Unfall beteiligt sind, aber es sind eine ganze Menge, das können Sie mir glauben. Ganz zu schweigen von den vielen PKWs. Aber das Schlimmste ist der Tankwagen. Der hatte irgendetwas Explosives geladen. Er hat sich und ein paar umherstehende Fahrzeuge in die Luft gejagt. Die Teile sind bis auf die Gegenspur geflogen. Ein Inferno, sage ich Ihnen. Sind Sie deshalb hier?«
Elena ignorierte die Frage, jedoch nicht aus Unhöflichkeit. Ihr war immer noch nicht klar, warum Laura sie angerufen hatte. Die Besorgnis der Freundin am Telefon war deutlich spürbar gewesen, aber es war nicht das erste Mal, dass sie zu einem Unfallort auf der Autobahn gerufen wurde. Die meisten Menschen kannten die Arbeit des Rechtsmediziners nur aus Romanen oder dem Fernsehen. Dort bekamen sie das Bild vermittelt, wonach sich Rechtsmediziner meist nur mit der Untersuchung von Leichen beschäftigen würden. Die wenigsten wussten, dass dieses Fachgebiet viel mehr Aufgabenbereiche umfasste. Die Verkehrsmedizin war so ein Thema. Allerdings untersuchte Elena die Opfer in den seltensten Fällen direkt vor Ort. Heute war das offensichtlich anders.
»Wo finde ich den Einsatzleiter?«
Mit einer Kopfbewegung deutete der Mann auf eine Gruppe von Löschfahrzeugen. »Versuchen Sie es mal da vorne, aber passen Sie auf, dass Sie nicht zu nahe an die LKWs kommen. Die Reifen könnten durch die extreme Hitze platzen, und Sie wollen so ein Geschoss sicherlich nicht abbekommen.«
»Ja, danke.«
Unter den ernsten Blicken der Feuerwehrmänner huschte Elena an der Mittelleitplanke entlang. Sie spähte über die abgesperrte, leere Gegenfahrbahn, als das rhythmische Donnern von Rotorblättern einen Helikopter ankündigte. Kurz verfolgte sie den Flug des Rettungshubschraubers auf der Suche nach einem geeigneten Landeplatz. Dann wandte sie den Blick wieder auf das, was sich auf der Autobahn abspielte. Ein Bild des Schreckens.
Unzählige Fahrzeuge waren ineinander verkeilt, PKWs, LKWs und Transporter. Einige standen quer. Verbogenes Metall reckte sich in den Himmel wie bleiche Knochen. Mehrere Wracks waren unlängst von den Bergungskräften an den Straßenrand gezogen worden und warteten darauf, abgeschleppt zu werden.
Die Fahrbahn war übersät von Fahrzeugteilen und verlorener Ladung. Verletzte wurden versorgt. Einige standen mit bleichen Gesichtern am Rande des Geschehens und starrten mit geweiteten Augen auf die Reste ihrer Autos. Eine Frau mit einem weinenden Kleinkind auf dem Arm ließ sich, wie in Trance, von einem Rettungssanitäter zu einem Krankenwagen führen. Überall liefen Feuerwehrmänner, Sanitäter und Polizisten durcheinander. Anweisungen wurden über die Fahrbahn gebrüllt. Pralle Schläuche zogen sich kreuz und quer über den nassen Asphalt, und nicht wenige wurden komplett von einem dicken Teppich aus Löschschaum verdeckt. Wie sollte sie in diesem Durcheinander Laura finden?
Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg durch das Chaos. Der leichte Herbstwind wehte ihr kühl ins Gesicht, trieb ihr einen scharfen Geruch von Feuer und verkohlten Kunststoffen entgegen und brannte in ihren Augen. Von Laura fehlte jede Spur. Ungeduldig zog sie ihren Mantel vor der Brust zusammen. Jetzt erst wurde ihr klar, wie kalt es heute morgen war. Sie hatte weiß Gott keine Lust darauf, die Kommissarin weiter in dem Durcheinander ausfindig zu machen und wollte gerade nach ihrem Handy suchen, als sie Falk Ackermann entdeckte.
Umgeben von Polizisten hob ihn seine Zivilkleidung von den uniformierten Beamten ab. Mit ausdrucksloser Miene hörte der Kommissar den Kollegen zu und machte sich Notizen. Unvermittelt schien er ihren Blick zu spüren und sah sie direkt an. Ein Ausdruck freudiger Überraschung huschte über sein Gesicht. Dann verrutschte sein Lächeln, und seine Miene wurde wieder ernst. Er löste sich aus der Gruppe und rief ihr etwas entgegen, aber der Lärm war zu stark.
»Was?«, brüllte sie.
Statt einer Antwort bedeutete er ihr mit einem Kopfnicken, dass sie mitkommen solle. Vorsichtig watete sie durch den Löschschaum. Hier und da ragten die Spitzen undefinierbarer Gegenstände heraus. Selbst wenn sie zu sehen waren, war es schwierig, zwischen ihnen hindurchzugehen. Unter dem Schaum verborgen, waren sie unberechenbar. Als sie Ackermann erreichte, waren ihre Schuhe komplett durchnässt, und die vollgesogene Hose klebte feucht an ihren Beinen.
Falk Ackermann trug eine Wildlederjacke, darunter einen schwarzen Rollkragenpullover und die obligatorischen Jeans. Sein Haar, länger als sie es in Erinnerung hatte und vom Wind zerzaust, gab ihm das jugendliche Aussehen eines Dandys.
»Elena!« Seine Augen lächelten, auch wenn er ernst blieb.
»Hallo, Falk, wo ist Laura? Warum habt ihr mich gerufen?«
»Du weißt es nicht?«
Das Lächeln in seinen Augen verschwand. Er zog sie mit sich. Mühsam schoben sie sich an den Wracks vorbei. Immer wieder musste er sich ausweisen, damit sie passieren konnten. Kurz vor dem brennenden Tanker boten sich zwei Feuerwehrmänner als Eskorte an. Trotzdem mussten sie bis weit auf die Gegenfahrbahn ausweichen, um sicher an dem in Flammen stehenden Fahrzeug vorbeizukommen.
Ein Feuerwehrmann erklärte: »Inzwischen haben wir das Feuer unter Kontrolle!« Er deutete auf die verkohlten Überreste der involvierten Transporter. »Aber den Tanker können wir nicht löschen und müssen ihn kontrolliert abbrennen lassen!«
Kommissarin Laura Braun trat seit mindestens fünfundzwanzig frostigen Minuten von einem Bein auf das andere. Ihre Füße hatten sich schon vor einer gefühlten Ewigkeit in Eisklumpen verwandelt, und das Auf-und-Ab-Laufen war lediglich der verzweifelte Versuch, irgendwie warm zu bleiben. Wo blieb Elena?
Wieso ließen heute alle auf sich warten? Sie seufzte. Es war ein resigniertes Seufzen, weil sie wusste, dass manche Dinge einfach ihre Zeit brauchten. Sie hob die Hand zur Stirn und ließ ihren Blick über das Chaos gleiten, um Elena darin ausfindig zu machen. Aber das war nicht so einfach. Wie fleißige Ameisen wuselten die Einsatzkräfte über den Asphalt, und es schien ihr geradezu unmöglich, ein bekanntes Gesicht zu erkennen. Sie versuchte es in Fahrtrichtung. Ein Krankenwagen löste sich aus dem Cluster von Rettungsfahrzeugen und fuhr einsam davon. Der eisige Wind und die Tatsache, dass sie schon eine Ewigkeit in der feuchten Kälte stand, zerrten an ihrer Geduld. Hinzu kam die Müdigkeit. Kaffee.
Der Wunsch nach einer heißen Tasse Kaffee wurde nahezu übermächtig. Als würde in dem Heißgetränk die Lösung für alles liegen. Sie stöhnte und überlegte, ob sie sich an die Kollegen wenden sollte. Irgendjemand würde doch wohl eine Thermoskanne Kaffee dabeihaben.
Sie haderte einen Augenblick mit sich, entschied sich aber schließlich zu bleiben, um Elena keinesfalls zu verpassen. Laura hatte Elena auf ihrem privaten Handy angerufen, um sicherzustellen, dass sie den Fall bearbeiten würde. Obwohl sie mit der Rechtsmedizinerin befreundet war, konnte sie objektiv beurteilen, dass Elena eine der Besten auf ihrem Gebiet war. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass Elena auch nach ihrem Feierabend für sie erreichbar war. Andere Mitarbeiter aus dem Institut waren da nicht so tolerant.
Außerdem war Laura die Freundschaft zu Elena wichtig. Sie hatten sich bei ihrem ersten Fall letztes Jahr kennengelernt. Damals wurde sie von einem Serienmörder gefangen gehalten, und die ganze Angelegenheit hatte die beiden einander sehr nahe gebracht.
Sie ließ ihren Blick suchend über die verschiedenen Fahrzeuge gleiten und auf das, was von einigen übrig war. So stark waren sie ineinander verkeilt, dass man teilweise das Führerhaus nur noch annähernd erahnen konnte. Das Ausmaß an Verletzten war angesichts der Schwere des Unfalls kaum auszumachen. Sie hatte gesehen, dass die Rettungskräfte einen Fahrer nur noch tot bergen konnten.
Der Tod fährt mit, dachte sie. Der Tod … Er hatte auch sie am frühen Morgen aus dem Bett gerissen. Er war auch ihr Geschäft. Als leitende Ermittlerin der Mordkommission Mannheim-Heidelberg musste sie sich regelmäßig mit dem Tod und seinen Opfern beschäftigen. Dass sie einmal zu einer Massenkarambolage gerufen werden würde, hätte sie nicht gedacht. Von Elena fehlte weiterhin jede Spur.
Sie rieb sich die kalten Hände. Und plötzlich gesellte sich zu ihrem Wunsch nach Kaffee und Wärme ein weiteres, sehr unangenehmes Gefühl. Sie musste zur Toilette. Mist! Wie hatte sie dies nur die ganze Zeit ignorieren können?
Sie sah zum Straßenrand. Der Grünstreifen bot wenig Deckung. Zudem wurde es merklich heller. Ihr Blick blieb an einer Böschung hängen. Dichtes Gestrüpp säumte die Hügel. Sie überlegte, ob sie es wagen konnte, sich hinter einem Busch zu erleichtern, als sie zwei Gestalten entdeckte. »Na endlich, das wurde aber auch Zeit!«
Elena ließ es sich nicht anmerken, ob es sie ärgerte, von Laura mit einem Vorwurf empfangen zu werden. Betont freundlich begrüßte sie die Kommissarin. »Guten Morgen, warum bin ich hier?«
Lauras Blick schnellte zu ihrem Partner. »Du hast es ihr nicht erzählt?«
Ehe Falk Ackermann etwas erwidern konnte, fügte Laura hinzu: »Die gute Nachricht zuerst? Sie sind nicht im Feuer umgekommen!«
Mit diesen Worten eilte die Kommissarin zu einem demolierten Sattelschlepper. Elena sah kurz zu Falk, seufzte und folgte der Polizistin.
Ohne ihre Schritte zu verlangsamen, sagte Laura: »Das Führerhaus hat ordentlich was abbekommen. Der Fahrer wurde entweder schon geborgen, oder war bereits über alle Berge, noch bevor wir eingetroffen sind.« Sie sah zu Falk. »Konntest du in Erfahrung bringen, in welches Krankenhaus er möglicherweise gebracht wurde?«
Ackermann schüttelte stumm den Kopf. Elena beäugte die verschobene Karosserie des Führerhauses. »Wenn es nicht um den Fahrer geht, warum hast du mich dann angerufen?«
»Weil du dir unbedingt etwas ansehen musst. Ich wette, so etwas ist dir auch noch nicht untergekommen!«
Zwei Polizisten standen am Ende des Überseecontainers. Frischlinge, wie Laura unschwer an den nagelneuen Uniformen erkannte. Ihre jugendlichen Gesichter waren blass, und man sah ihnen die Erleichterung deutlich an, als Laura den Männern zu verstehen gab, dass sie ihren Posten verlassen konnten.
»Als die Kollegen von der Autobahnpolizei den Fahrzeugführer nicht ausfindig machen konnten, haben sie den Schiffscontainer geöffnet, um die Ladung zu überprüfen. Sie wussten ja nicht, ob er etwas Giftiges oder Explosives geladen hatte. Stattdessen haben sie dann das hier gefunden. Ich glaube, dass die Jungs diesen Anblick nie wieder vergessen werden!«
Elena hatte ihr stirnrunzelnd zugehört. Jetzt starrte sie auf die angelehnte Stahltür, als würde sie mit dem Schlimmsten rechnen. Doch Laura wusste, dass die Freundin Profi genug war, um sich dem Fund zu stellen. Was immer die jungen Polizisten so schockiert hatte: Elena würde sich nicht davon abhalten lassen, ihren Job zu machen.
Die Kommissarin streifte ein paar Handschuhe über und zog die rechte Tür einen Spalt weit auf. Eine Welle fauliger, feuchter Luft schwappte ihnen entgegen. Ackermann hielt sich den Arm vor Nase und Mund und wandte sich ab. »Na, wunderbar.«
Elena warf Laura einen Blick zu, der zwischen Neugier und Abscheu schwankte, als der Geruch in vollem Ausmaß auf die Gruppe traf.
»Falk, leuchte doch mal da rein, damit sie es sehen kann«, sagte Laura.
Ackermanns Blick sprach Bände. Er sah aus, als wäre er überall lieber als hier. Zögernd kam er näher und knipste seine Mag-Lite an.
Die Kommissarin verpasste der Tür einen unsanften Stoß. Der Gestank, der ihnen daraufhin entgegenschlug, war geradezu unerträglich. Laura war nicht entgangen, dass selbst die Rechtsmedizinerin angewidert die Nase kraus zog. Und ihrem Gesicht konnte man unweigerlich ablesen, dass sie Schreckliches ahnte. Mit einer Taschenlampe bewaffnet stellte sich Elena auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Doch als der Schein der beiden Taschenlampen auf das Innere des Containers traf, wich sie taumelnd zurück und keuchte: »Um Gottes willen!«
Laura, die direkt hinter Elena stand, konnte nicht schnell genug ausweichen, und unsanft prallten die Frauen ineinander. Laura schnappte erschrocken nach Luft, als Elena auf ihre Zehen trat, was zur Folge hatte, dass sie einen Schwall des Gestanks einatmete. Ein heftiger Schmerz jagte durch ihren Fuß. Sie biss die Zähne zusammen und zischte: »Mensch, pass doch auf!«
Doch Elena, unfähig zu antworten, taumelte ein paar Schritte zur Seite, wo die Luft besser war. Ackermann nahm ebenfalls Reißaus.
Während die Dunkelheit das Innere wieder umhüllte, tat Elena ein paar beruhigende Atemzüge, offenbar schockiert von dem, was sie gesehen hatte. »Das ist …«, begann sie, aber sie fand keine weiteren Worte.
Laura trat zur Freundin. Selbst hier war der Gestank nach verrottendem Fleisch noch deutlich zu vernehmen. »Schlimme Sache! Obwohl ich schon einmal in den Container geschaut habe, kann ich mich kaum an den Anblick gewöhnen.«
»Sind … sind sie alle tot?«, wisperte Elena.
»Wir haben einen der Notärzte hineingeschickt, und er kam nur kopfschüttelnd raus. Ich glaube, er erholt sich gerade in einem der Rettungswagen.«
»Wie viele sind es?«
»Keine Ahnung. Das herauszufinden, ist deine Aufgabe.«
Elena seufzte, als würde ihr noch einmal bewusst werden, welch grausige Aufgabe ihr bevorstand. Sie warf den Beamten einen Blick zu, den man fast als Vorwurf bezeichnen konnte, griff nach ihrem Einsatzkoffer und zog einen Schutzanzug heraus. Geradezu umständlich schlüpfte sie in den Anzug.
Laura kannte die Rechtsmedizinerin, und sie hatte es noch nie erlebt, dass sie bei einem Leichenfund gezögert hatte. »Ist mit dir alles okay?«
Elena nickte, während sie den Reißverschluss mit einer energischen Bewegung hochzog und ihre Schuhe gegen Gummistiefel tauschte.
Lauras Gefühle fuhren Achterbahn. Allein der Gedanke daran, dass ohne Elenas Hilfe sie es gewesen wäre, die die Vielzahl der Leichen hätte begutachten müssen, ließ sie erschaudern. Um sich abzulenken, wandte sie sich an Ackermann.
»Falk, wann kommt die Hundestaffel?«
»Der Einsatzleiter sagte etwas von einer halben Stunde«, antwortete er.
»Ich frage mich, ob die Hunde den Fahrer finden. Kein Wunder, dass der abgehauen ist, bei der Ladung. Hast du was von den Spusis gehört?«
Aber Ackermann hatte sich bereits abgewandt und schritt langsam an einer der langen Flanken des Vierzigtonners entlang. Er hörte sie erst, als sie ihn erneut ansprach: »Was machst du da?«
Falk Ackermann runzelte die Stirn, und in seinem Gesicht spiegelte sich Verwirrung.
»Während meiner Ausbildung war ich für einige Zeit bei der Hafenpolizei. Überseecontainer haben normalerweise Lüftungsbänder oder wenigstens Lüftungsschlitze.« Er zeigte auf die obere Kante des Anhängers. »Ich sehe aber keine.«
Laura umrundete den Container. Auf der anderen Seite waren ebenfalls keine Luftlöcher zu sehen. Stattdessen klebte ein grüner Streifen um den Stahlmantel.
Eingehend musterte Laura den rostigen Koloss. Hier transportierte jemand auf die ganz billige Tour. Aber es waren nicht die Beulen oder Rostflecken, die sie schockierten, sondern die Tatsache, dass jemand die Lüftung mit einem Klebeband versiegelt hatte.
»Zugeklebt!«, stieß Laura atemlos hervor. »Denkst du, das Band klebt schon länger dort oben?« Die Vorstellung, jemand hätte mehrere Menschen vorsätzlich und grausam ersticken lassen, war mehr als erschreckend.
Ackermanns Blick haftete auf dem Container. »Ich glaube schon, aber warten wir lieber, was die Spurensicherung dazu sagt.« Er sah auf seine Uhr. »Die werden sicherlich gleich eintreffen. Ich schau mich mal weiter um.«
Laura nickte kurz, froh darüber, dass er sich wieder abwandte. Auch wenn der Leichenfund ihre ganze Aufmerksamkeit forderte, konnte sie das Ziehen in ihrem Unterleib nun nicht mehr länger ignorieren. Inzwischen waren die Schmerzen derart heftig, dass sie bei jedem Schritt an das Drängen ihrer Blase erinnert wurde. Ich muss jetzt! Dieses Gefühl war plötzlich so übermächtig, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte. Sie spürte, wie sich ihr Unterleib verkrampfte und sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Lange würde sie es nicht mehr aushalten.
Sie sah sich hektisch um. Immer noch herrschte ein großes Durcheinander. Sie umrundete den Lastwagen und starrte erneut auf das schmutzige Grün des Seitenstreifens. Nein, hier würde sie jeder sehen.
Wie oft hatte sie schon mitbekommen, dass die zumeist männlichen Einsatzkräfte sich am nächsten Baum erleichtert hatten. Aber sie brauchte Privatsphäre oder wenigstens ein Gebüsch. Ihr Blick folgte dem Hang. Die üppige Bepflanzung würde ihr ausreichend Schutz bieten. Ich bin schneller wieder zurück, als man mich vermissen wird.
Sie kletterte über die Leitplanke und sprintete los. Innerhalb von wenigen Herzschlägen hatte sie den Gipfel des Hügels erreicht.
Laura stieß einen zufriedenen Seufzer aus, als sie wenige Minuten später ihre Hose wieder hochzog. Doch ein Rascheln hinter ihr vertrieb das Gefühl der Erleichterung.
Schnell schloss sie den Reißverschluss. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, dass einer der Rettungsleute sie beim Pinkeln erwischen würde.
Mit hochrotem Kopf drehte sie sich um. Aber da war niemand. Nervös lachte sie auf. Sie musste sich verhört haben.
Gott, wenn mich jemand gesehen hätte. Wie peinlich!
Erleichtert, dass ihre Ohren ihr einen Streich gespielt hatten, begann sie, den Hügel wieder hinabzusteigen.
Ein Wimmern.
Sie hielt inne. Dann ein Stöhnen. Sie drehte den Kopf und versuchte noch einmal, das Geräusch einzufangen. Jetzt war sie sich sicher. Sie hatte etwas gehört. Jemanden.
Sie kletterte noch einmal den Hügel hinauf. Oben angekommen erwartete sie, die Ursache des Geräusches umgehend auszumachen. Aber es war niemand zu sehen. Sie nahm sich noch eine Minute und hoffte auf eine Wiederholung. Auf irgendetwas, das ihr sagte, dass sie sich nicht geirrt hatte.
Sie kniff die Augen zusammen und ließ ihren Blick über die Sträucher gleiten. Das Laub der in Gruppen stehenden Bäume färbte sich langsam gelb, und das kniehohe Gras hatte sich teilweise in Stroh verwandelt. Tautropfen glitzerten in der Morgensonne, die langsam den Kampf gegen den Bodennebel gewann. Der Herbst hielt Einzug und zeigte jetzt schon seine ersten Spuren.
Schließlich gab sie auf und wandte sich zum Gehen. Vermutlich doch nur ein Hase, der von mir aufgeschreckt wurde. Aber irgendetwas nagte an ihrem Unterbewusstsein, das sie nicht zu fassen bekam. Sie blieb stehen und schenkte der Landschaft einen letzten prüfenden Blick. Nichts. Nur das melancholisch-traurige Krächzen einer Krähe unterbrach die Stille. Vielleicht doch nur ein Tier?
Elenas erster Impuls war es, zurückzuweichen.
Es kostete sie ihre ganze Willenskraft, in den dunklen Schlund des Stahlkubus zu steigen. Ihr Körper sträubte sich gegen das, was sie nun vorhatte. Sie straffte die Schultern. Es war ihr Job, da hineinzugehen, und ihr Beruf hatte sie schon vor Langem davon geheilt, allzu zimperlich zu sein.
Aber weshalb hatte sie dann dieses ungute Gefühl?
Sie zog sich an dem Auflieger hoch. Sie wusste, dass Falk sie beobachtete, und bemühte sich, eine gewisse Eleganz in ihre Kletterversuche zu legen.
Oben angekommen, richtete sie sich auf und schaltete die Taschenlampe wieder ein. Der schmale Lichtkegel huschte lautlos über das Innere des Containers und verdeutlichte noch einmal das Drama zu ihren Füßen. Sie erkannte ein Wirrwarr aus Armen, Beinen, Köpfen, Körpern! Kreuz und quer durcheinander gewürfelt, wie unzählige Käfer in einer Streichholzschachtel. Sie sah Kleidung, nackte Füße, dunkle Haare. Und Hände.
Ihr Herz trommelte gegen ihren Brustkorb. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen und spürte geradezu, wie die Dunkelheit sie verschluckte. Das Material des Schutzanzuges rieb über ihre Haut, und durch die Vliesmaske vor Mund und Nase bekam sie kaum Luft. Gleichwohl ließ der Gestank kaum einen Atemzug zu.
Starr richtete sie ihren Blick nach vorn und wagte es nicht, sich zu Ackermann umzudrehen. Er sollte ihren Widerwillen nicht sehen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das, was vor ihr lag. Sie musste ohnehin höllisch aufpassen, um in dem Halbdunkel nicht zu stolpern oder gar auszurutschen. Sie umklammerte die Mag-Lite und richtete deren Strahl ganz bewusst nicht auf den Boden. Es reichte ihr, dass sie bei jedem Schritt etwas Erhabenes spürte und dass die Überzieher ein schmatzendes Geräusch machten. Sie nahm sich vor, ihre Stiefel im Anschluss erst gar nicht zu reinigen, sondern gleich wegzuwerfen.
Sie schob sich weiter, und ein beklemmendes Gefühl, als wollte sie das Ende nie erreichen, erfasste sie. Der schwere, süßliche Gestank faulenden Fleisches durchdrang die Atemmaske und umschloss sie wie ein Kokon. Drang in ihre Poren, legte sich bleiern auf ihre Lunge. Ein Geruch, den sie nur zu gut kannte. Der ständige Begleiter ihrer Arbeit, und er begegnete ihr täglich; an Tatorten oder im Sektionssaal. Doch heute war er kaum auszuhalten. Stärker, intensiver, geballter. Das war für sie das erste Indiz.
Diese Menschen waren nicht durch den Unfall gestorben. Sie waren bereits tot, bevor die Lastwagen ineinandergerast waren. Der Aufprall hatte ihre leblosen Körper wie rutschende Ladung durch den Anhänger geschleudert. Sie ließ den Lichtschein der Lampe über die Menschen gleiten.
Mein Gott, so viele Leichen. Fast allesamt Männer. Nur hier und da konnte sie fröhliche Farbkleckse und weibliche Umrisse erkennen. Der Schein der Lampe erfasste einen Körper. Dann einen weiteren. Eine Hand. Einen Kopf. Ein Gesicht, auf dessen Wangen dunkle Tränen getrocknet waren. Sie ließ den Lichtstrahl umherstreifen und betrachtete die unwillkürliche Lage der Gliedmaßen. Aber das Gewirr der Körper ließ keine genaue Beurteilung zu. Alles, was sie erblickte, waren verrenkte Extremitäten, verdrehte Leiber. Starre Gesichter mit entsetzten Blicken. Weit aufgerissene Münder, verzerrt im Todeskampf zu stummen Schreien. Ein Massengrab.
Alle Personen hatten dunkle Haut. Nicht die Verfärbungen, die Leichen häufig annahmen, sondern die dunkle Pigmentierung von Menschen afrikanischer Herkunft. Aber noch etwas anderes schockierte sie. Es war etwas, was ihr Unterbewusstsein die ganze Zeit versucht hatte zu sagen. Hektisch lenkte sie den Lichtstrahl zurück zu dem einen Gesicht. Sie ging in die Hocke, um besser sehen zu können. Im Kegel der Taschenlampe musterte sie die Tränenflüssigkeit, die wie rissiges Pergament die Wangen der Leiche umspannte. Das waren keine Tränen, das war Blut. Blut.
Sie schob zwei Finger unter die Oberlippe des Toten. Winzige Blutstropfen funkelten wie kleine Rubine in seiner Mundschleimhaut. Sie hatte so etwas schon einmal gesehen. Ein Verdacht kratze an ihrem Verstand. Sie ignorierte ihn und überprüfte die Augenlider. Stecknadelkopfgroße Einblutungen zeichneten sich deutlich gegen die wächserne Bindehaut ab.
Und dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Sie keuchte, sprang auf. Der plötzliche Wechsel war für ihren Kreislauf zu viel. Ihr eigenes Blut sackte in ihre Waden, und in ihrem Kopf drehte es sich. Die Mag-Lite fiel polternd zu Boden, und während die Dunkelheit die toten Menschen wieder umhüllte, taumelte sie atemlos rückwärts. Ihr Gehirn war jetzt nur noch zu einem Gedanken fähig. Raus! Ich muss hier raus!
Panisch drehte sie sich zur Tür und sprintete los. Ihre Füße versuchten, auf dem schmierigen Holzboden Halt zu finden. Sie durfte jetzt auf keinen Fall ausrutschen. Es galt, jeden Kontakt mit den Körperflüssigkeiten dieser unglücklichen Menschen zu vermeiden.
Den Ausgang fest im Blick hechtete sie weiter. Ihre Lunge brannte, und das ohnmächtige Gefühl, dass sie die Tür nicht vor dem nächsten, lebenswichtigen Atemzug erreichen würde, trieb ihr die Tränen in die Augen, trübte ihren Blick. Sie hörte das Rauschen ihres eigenen Blutes und das heftige Hämmern ihres Herzens, während sie nur noch ein Ziel hatte. Raus! Frische, klare Luft atmen!
Der rettende Ausgang war nah. Trotzdem kam es ihr vor, als müsste sie einen Marathon laufen, dessen Ziel unerreichbar blieb. Einen Wettlauf gegen den eigenen Tod. Erschüttert von dem, was sie gerade entdeckt hatte, klammerte sie sich keuchend an die Tür des Aufliegers.
Sie musste würgen. Sie riss die Maske herunter und zog scharf die kühle Morgenluft ein. Dann ein weiterer Atemzug. Sauerstoff drang tief in ihre Lunge, und sie spürte, wie jede Alveole umspült wurde.
»Was ist? Was hast du entdeckt?«
Elena hob den Kopf und blinzelte verwirrt. Vor ihr entstand Bewegung. Es war Kommissar Falk Ackermann, der etwas abseits gestanden hatte und nun mit schnellen Schritten auf sie zu kam. Seine Miene, eine Mischung aus Neugier und Besorgnis. Und noch etwas erkannte sie in dem vertrauten Gesicht. Vorwürfe!
Aber dafür war jetzt keine Zeit. Keuchend schüttelte sie den Kopf, als wollte sie einen namenlosen Schrecken abschütteln. »Geh weg!«
»Was?«
Mit zitternden Händen fischte sie nach ihrem Einsatzkoffer, zog ihr Handy heraus und suchte im Display nach einer Nummer.
»Elena, was meinst du?«
Das Mobiltelefon fixierend zischte sie: »Verschwinde von hier!«
Verwirrt starrte er sie an. Sie hatte jetzt keine Zeit für ihn und wich seinem Blick aus. Doch er interpretierte ihr Verhalten falsch.
»Seit Tagen ignorierst du meine Anrufe, gehst mir aus dem Weg, und jetzt soll ich verschwinden?«
Elena, immer noch mit dem Handy beschäftigt, reagierte nicht auf ihn. Dann sah sie ihn direkt an. Doch anstatt ihm zu antworten, schrie sie in das Telefon: »Sebastian? Ich habe einen Stufe-Vier-Verdacht!«
»Stufe Vier? Was meinst du?«, mischte sich Falk Ackermann ein.
Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Das war gut so. Für ihren Geschmack war er immer noch viel zu nah am Container, und sie warf ihm vorsorglich einen warnenden Blick zu, der offensichtlich seine Wirkung nicht verfehlte. Mit verschränkten Armen musterte er sie, und ihr war klar, dass er, sobald sie das Telefonat beendet hatte, eine Erklärung fordern würde.
Der Schock ebbte langsam ab, trotzdem konnte sie ein Zittern kaum unterdrücken. Mit einer Hand stützte sie sich am Container ab, und die andere umklammerte das Handy, doch der Mann am Telefon wollte ihr keinen Glauben schenken. Wut keimte in ihr auf.
»Ich bin mir ziemlich sicher. Komm vorbei und schau es dir selbst an«, rief sie in die Sprechmuschel.
Offensichtlich war ihre Stimme so laut, dass sich jetzt sogar ein Feuerwehrmann umdrehte und sie neugierig beobachtete. Doch er verlor schnell wieder das Interesse, als sie die Stimme senkte.
Das galt nicht für Ackermann. Mit aufmerksamem Blick taxierte er sie. Doch sie hatte jetzt weder Zeit noch Lust, ihn aufzuklären. Sie wusste, dass sie sich nicht gerade klug verhielt, aber ihre Prioritäten lagen jetzt eindeutig woanders.
Sie drehte sich noch einmal um und betrachtete die Toten im Container, als könnte Sebastian Kevekordes am anderen Ende der Leitung durch ihre Augen die schrecklichen Bilder erkennen. Sie gab sich Mühe, sachlich und relativ emotionslos zu schildern, was sie entdeckt hatte.
Als sie den Blick wieder auf die Straße richtete, war sie erleichtert und erschrocken zugleich. Erleichtert, weil sie die Toten nicht mehr ansehen musste; erschrocken, weil sie jetzt durch das aufkommende Tageslicht und die erhöhte Position das ganze Ausmaß des Unfalls überblicken konnte.
Kaum, dass sie das Gespräch beendet hatte, setzte sich Ackermann in Bewegung. Sie hob abwehrend die Hand und zischte: »Bleib weg von mir!«
Ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Sein Gesicht verzog sich, und er ließ jede Höflichkeit fahren. »Das ist doch bescheuert! Verdammt, sag mir endlich, was los ist!«
»Du musst dich von dem Container fernhalten!«
»Warum?«
Sie schüttelte den Kopf, und ihre schwarzen Locken fanden ihren Weg aus der Kapuze. Mit einer barschen Bewegung schob sie sich die Haare aus dem Gesicht. »Ich bin mir nicht sicher, aber bleib weg von mir.« Sie sah ihm an, dass er mit dieser Antwort nicht zufrieden war und fragte: »Wo ist Laura? Ihr müsst dafür sorgen, dass sich niemand dem Container nähert.«
Sie ließ ihren Blick über Ackermann hinweg gleiten. Rettungskräfte wuselten über die Straße, Abschleppwagen begannen, Autos wegzukarren. Der Rettungshubschrauber startete mit lautem Getöse. Unweit von ihnen standen einige Polizisten. Von Laura fehlte jede Spur.
Der Mann, der dem Superpuma entstieg, war es gewohnt, dass man seinen Anweisungen Folge leistete, das konnte Laura selbst aus der Entfernung deutlich erkennen. Mit einer schnellen Bewegung sprang er aus der Kabine, kaum dass die Kufen des Hubschraubers den Boden berührt hatten. Im Schlepptau einen Tross Personen, deren auffallend gelbe Vollschutzanzüge sich gegen alles abhoben, zog er im Gehen den Reißverschluss seines eigenen Overalls zu und ließ sich von einem Mitarbeiter die Laschen mit Klebeband verschließen.
Laura stand immer noch auf dem Hügel. Sie spürte ein Pochen im Nacken. Kopfschmerzen. Irgendwie hatte sie es fertiggebracht, diese die ganze Zeit zu ignorieren. Sie schloss die Augen und war versucht, sich dem Schmerz hinzugeben, kam aber sofort zu dem Entschluss, dass es dafür der falsche Zeitpunkt war. Sie schüttelte den Kopf, massierte sich den Nacken und überlegte mit geschlossenen Lidern, was sie jetzt tun sollte. Sie hatte wenig Lust, hier oben zu warten. Es gab ihr das Gefühl, ausgebremst zu werden. Aber so lautete nun mal die Anweisung, die man ihr gegeben hatte, kurz nachdem Ackermann mit dem Rettungsteam bei dem Verletzten angekommen war.
Sie stöhnte leise und öffnete die Augen. Weitere Gestalten in Overalls strömten aus dem Hubschrauber wie eifrige Bienen aus einem Nest. In stummer Choreografie begannen sie auszuladen. Zelte wurden in Windeseile aufgebaut und der Container mit den Leichen abgesperrt. Zwischen all dem Gewusel liefen vermummte Personen und besprühten jeden Zentimeter großzügig mit dem Inhalt der Flaschen auf ihren Rücken.
Laura warf Ackermann einen nervösen Blick zu. Sie erkannte, dass es ihm nicht besser erging. Sein Körper war gespannt wie ein Bogen, und seine Lippen verzogen sich ärgerlich, als er sprach: »Was geht denn hier ab? Wer sind diese Leute?«
Laura schüttelte den Kopf. Ihr Blick klebte auf der Szenerie am Container. Der Mann hatte Elena erreicht. Sofort entstand eine hitzige Diskussion. Das war eindeutig zu erkennen. Über was auch immer die beiden sprachen, es schien ihm nicht zu gefallen.
»Was hat sie entdeckt? Wieso ist der Typ so sauer?«, fragte sie.
Falk Ackermanns Miene wurde unnachgiebig. »Tja, das hatte ich sie auch gefragt. Doch bevor sie antworten konnte, hast du angerufen.« Er schüttelte wütend den Kopf. »Das ist alles so … typisch für sie.«
Laura hatte absolut keine Ahnung, weshalb Falk so wütend war, und sah ihn verwundert an. Mit ihren eigenen Gedanken über den Leichenfund beschäftigt, war ihr sein Zustand nicht aufgefallen. Die Stimme des Notarztes hinter ihr riss sie aus ihren Gedanken. »Das ist eine Dekontaminationseinheit!«
»Eine was?« Sie wirbelte herum.
»Was ist in dem Container?«, fragte der Notarzt und ließ ihre Frage unbeantwortet. Sie zögerte und musterte die Männer, doch schließlich entschied sie, dass sie ihm antworten sollte.
»Leichen. Das Ding ist voller Leichen.«
Der Arzt starrte die Polizistin ungläubig an, und die beiden Sanitäter glucksten überrascht. »Das ist ein Witz, oder?«, rief er, und Laura erkannte einen Anflug von Spott in den grauen Augen des Mannes.
»Leider nicht!« Sie sprach es so aus, als würde sie keinerlei Bedenken dulden. Allerdings funktionierte das nicht.
»Wir sind von der Mordkommission«, sagte sie, um jede Ungewissheit auszuräumen.
Die Augenbrauen des Mannes schnellten in die Höhe. Sie merkte ihm an, dass er ihr nicht glaubte. »Wieso ist dann ein Seuchenschutztrupp aufgetaucht, wenn es sich um Mord handelt?«
Laura und Ackermann warfen sich stumme Blicke zu. Sie wollten keinesfalls Details preisgeben, andererseits hatten sie beide keine Antwort auf die Frage des Mannes.
Ackermann brach schließlich das Schweigen. »Dr. Salonis hatte etwas von einem Stufe-Vier-Verdacht erzählt.«
Diese Neuigkeit raubte dem Arzt schier den Atem. Seine Lippen wurden schmal, und doch presste er zwischen ihnen hervor: »Mein Gott! Sind Sie sicher?«
Auf Ackermanns stummes Nicken fügte er hinzu: »Waren Sie auch in dem Anhänger?«
»Nein. Was bedeutet Stufe Vier?«
Der Arzt sah in die Runde. An den aschfahlen Gesichtern der Sanitäter erkannte Laura, dass dem Rettungsteam schon lange bewusst war, was Elena vermutete. Allem Anschein nach tappten nur sie im Dunkeln. Ehe sich Ärger in ihrer Brust breitmachen konnte, raunte der Arzt: »Tödliche Erreger!«
»Geht das auch genauer?« Laura spürte, dass ihr langsam der Geduldsfaden riss. Tödliche Erreger. Was sollte das sein?
»Hochansteckende Viren wie zum Beispiel das Ebola- oder Marburg-Virus«, erklärte der Arzt.
»Ebola!«, echote Laura, und das Pochen in ihrem Kopf schwoll zu einem Hämmern an. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten und das Entsetzen über diese Aussage direkt in jede ihrer Hirnzellen kroch. Ihr Blick schnellte zu dem Mann auf der Trage, den sie kurz vorher hier gefunden hatte. Vielleicht war er im Container gewesen und könnte nun infiziert sein?
Sie wich zurück und stellte sich die Frage, wie nahe sie ihm gekommen war. Sie beäugte ihre Hände. Hatte sie ihn berührt? Zur Sicherheit wischte sie sich die Hände an ihrer Hose ab. Sie wusste, dass das keine Wirkung hatte. Trotzdem konnte sie diesen Impuls nicht unterdrücken.
Doch dann zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Zwei vermummte Gestalten kletterten den Wall hinauf. Beide bepackt mit Flaschen und etwas, das aussah wie Schutzanzüge. Durch die Atemschutzmaske hörte sich die Stimme des Mannes seltsam dumpf an.
»Kommissarin Braun?«
Ohne Lauras Antwort abzuwarten, kam er sofort zur Sache. »Ich bin Karsten Hummel, Zugführer des ABC-Trupps. Wir übernehmen jetzt.«
»Das kommt nicht in Frage. Dies ist schließlich mein Tatort!«, sagte Laura und verschränkte die Arme vor der Brust. Nicht nur, dass man sie angewiesen hatte, auf dem Hügel auszuharren und sie somit von dem Container mit den Leichen fernhielt. Jetzt tauchte auch noch jemand auf, der meinte, die Regie übernehmen zu müssen.
»Ich diskutiere nicht!«, antwortete Hummel scharf.
Lauras Wangen brannten, und sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Wie konnte er so mit ihr reden? Sie war schließlich die leitende Ermittlerin. Sie war seit Stunden auf den Beinen, kämpfte mit Müdigkeit und der Kälte, und dann auch noch das. Sie schnaubte verächtlich und holte tief Luft. Doch dann fing sie Falk Ackermanns Blick auf und verstand. Offensichtlich war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Machtspielchen.
Sie ließ die Luft aus ihren Lungen entweichen und bemühte sich um einen freundlicheren Ton: »Was ist eigentlich passiert, wieso bedarf es eines ABC-Trupps?«
Der Mann in dem Schutzanzug ignorierte ihre Frage und wandte sich an die Rettungskräfte: »Wie geht es der verletzten Person?«
»Der Mann muss dringend in ein Krankenhaus!«, sagte der Notarzt.
Hummel schenkte dem Verletzten keinen weiteren Blick. »Wir haben einen Stufe-Vier-Verdacht. Sie kennen ja das Prozedere, oder?«
Die Rettungssanitäter schlüpften kommentarlos in die Overalls. Doch die Aussage des Notarztes nagte immer noch an Lauras Verstand.
»Könnte es tatsächlich Ebola sein?«
»Es muss nicht zwangsläufig Ebola sein!«, sagte Hummel, und die Kommissarin wollte schon aufatmen, als er hinzufügte: »Es könnte auch ein anderes Hämorrhagisches Fieber sein. Auf jeden Fall ist es zwingend notwendig, dass Sie alle dekontaminiert werden. Bitte achten Sie darauf, dass Ihre Körper komplett bedeckt sind, und benutzen Sie die Überzieher und den Mundschutz.«
Verwirrt griff sie nach dem Overall. Das Kunststoffgewebe knisterte, und sofort verfing sich der Wind in dem Material. Mit dem Anzug kämpfend sah sie zu Falk Ackermann. Er bemühte sich um eine neutrale Miene, doch leider passte seine Gesichtsfarbe nicht dazu.
Ebola!, summte es in ihren Ohren. Sofort erschienen grausige Bilder von Reportagen aus Afrika vor ihrem inneren Auge. Fotos hoffnungslos überfüllter Auffanglager von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, die verzweifelt versuchten, die Erkrankten zu retten. Ebola!
Sie sah zu den Rettungssanitätern, und ein seltsames Gefühl der Panik nahm ihr den Atem. Sie keuchte. Doch der Zellstoff ihres Mundschutzes machte ein tiefes Einatmen nahezu unmöglich.
Die Menschen auf dem Hügel erinnerten sie an die Helfer in den Krisengebieten. Eingemummt in weiße Kapuzenoveralls mit Atemschutz und Schutzbrille, die keinen Blick auf den Träger zuließen, pausenlos damit beschäftigt, Leichen in schwarzen Plastiksäcken in anonymen Gräbern zu verscharren. Ebola!
Der Abstieg in den Schutzanzügen erwies sich als äußerst schwierig. Die Schuhüberzieher waren glatt und für einen Steilhang nicht geschaffen. Sie drohte abzurutschen, denn nach jedem Schritt besprühten die Männer den vermeintlich kontaminierten Boden und verwandelten den Untergrund in eine schlammige Bahn.
Es kam, wie es kommen musste. Laura schlitterte. Aber Hummel packte sie und verhinderte, dass sie den Hang herunterpurzelte. »Danke!«, murmelte sie und sah verlegen an ihm vorbei.
Was den Container geradewegs in ihr Blickfeld schob. Vermummte Männer versiegelten den Stahlkoloss. Sofort erfasste sie wieder ein ungutes Gefühl. Wohin hatte man Elena gebracht?
Ihre Gedanken rasten, und ihr Puls galoppierte, als sie daran dachte, dass sie