Die Kristallelemente (Band 3): Der purpurne Klang des Eises - B. E. Pfeiffer - E-Book

Die Kristallelemente (Band 3): Der purpurne Klang des Eises E-Book

B. E. Pfeiffer

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Beschreibung

Wind, aus Angst zerrissen, überwindet tiefen Schmerz … Nyneve wächst behütet und privilegiert auf, ehe sie mit einem Schlag alles verliert. Sie sieht ihren Liebsten sterben, wird von Piraten gefangen genommen, kann nicht mehr sprechen und nun soll sie auch noch auf die Purpurne Insel gebracht und dort geopfert werden. Als sie von unerwarteter Seite Hilfe erhält, muss sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass so etwas wie Magie tatsächlich existieren könnte. Und obwohl sie sich vehement dagegen wehrt, scheint sie eine Schlüsselrolle in dem bevorstehenden Kampf um die Welt zu spielen. Sind das alles lächerliche Hirngespinste oder ist es eine Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen?

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Dank

 

B. E. Pfeiffer

 

 

Die Kristallelemente

Band 3: Der purpurne Klang des Eises

 

 

Fantasy

 

 

Die Kristallelemente (Band 3): Der purpurne Klang des Eises

Wind, aus Angst zerrissen, überwindet tiefen Schmerz … Nyneve wächst behütet und privilegiert auf, ehe sie mit einem Schlag alles verliert. Sie sieht ihren Liebsten sterben, wird von Piraten gefangen genommen, kann nicht mehr sprechen und nun soll sie auch noch auf die Purpurne Insel gebracht und dort geopfert werden. Als sie von unerwarteter Seite Hilfe erhält, muss sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass so etwas wie Magie tatsächlich existieren könnte. Und obwohl sie sich vehement dagegen wehrt, scheint sie eine Schlüsselrolle in dem bevorstehenden Kampf um die Welt zu spielen.

Sind das alles lächerliche Hirngespinste oder ist es eine Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen?

 

 

Die Autorin

Bettina Pfeiffer wurde 1984 in Graz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Baden bei Wien.

Seit ihrer Kindheit liebt sie es, sich Geschichten auszudenken. Besonders als Ausgleich zu ihrem zahlenorientierten Hauptjob taucht sie gern in magische Welten ab und begann schließlich, diese aufzuschreiben. So entstand recht schnell die Idee für die ›Weltportale‹ und andere magische Geschichten im Genre Fan-tasy/Romantasy.

Inspiration dafür findet sie immer wieder durch ihre Kinder, mit denen sie gern auf abenteuerliche Entdeckungsreisen geht.

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, April 2020

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-177-2

ISBN (epub): 978-3-03896-178-9

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

Für jedes kleine Mädchen, das sich gewünscht hat,

eine Meerjungfrau zu sein.

Träume können wahr werden,

wenn man fest daran glaubt.

Prolog

 

Die See und die Wüste bargen Monster, doch die schlimmsten von ihnen lauerten im Eis. Gebändigt nur durch die Macht der ältesten Meerhexe und die Magie des Kristallelements Wind blieben sie unter dem gefrorenen Wasser verborgen. Die schwarze Seele fand allerdings auch hier einen Weg, die Magie der Kristallelemente zu umgehen. Sie stahl die Herzen von Seefahrern und sorgte dafür, dass sie den Zauber, der über dem Eis lag, brechen würden. Dazu mussten sie jedoch das Kristallelement des Eises, den Wind, finden und das Blut der jungen Frau benutzen, um das Siegel zu zerstören.

 

Wind, aus Angst zerrissen,

überwindet tiefen Schmerz.

Kapitel 1

 

Ich sah dem Tropfen zu, wie er sich langsam vom Balken über mir löste und auf meine Stirn fiel. Weil ich meine Hände nicht bewegen konnte, musste ich warten, bis er über meine Nase nach unten lief und schließlich vom Kinn auf die Brust tropfte.

Fünfundzwanzig, dachte ich.

Fünfundzwanzig Atemzüge lagen zwischen diesem Tropfen und dem davor. Vorhin waren es noch dreißig gewesen und davor zweiunddreißig. Also sammelte sich das Wasser schneller über mir.

Ich bewegte mich, so gut es mir in meinen Fesseln gelang. Meine Fußgelenke hatte man mit einer Eisenkette und einem Gewicht daran zusammengebunden, meine Arme wurden durch ein Seil hinter meinem Rücken an einem Mast fixiert.

Seit Stunden saß ich so da, vielleicht waren auch Tage vergangen, seitdem ich zuletzt einen anderen Menschen gesehen hatte. So genau wusste ich es nicht. Aber mir war bewusst, dass mein Gefängnis im Bauch eines Schiffs immer kälter und nasser wurde. Über den Punkt, Angst zu empfinden, war ich allerdings längst hinweg. Seit mein Schiff, die ›Majesty’s Pride‹, versenkt worden war, konnte mir nichts mehr wirklich Furcht einjagen. Denn an jenem Tag war das Schlimmste, das hätte passieren können, geschehen.

Lir, dachte ich wehmütig und schluckte gegen das Brennen in meiner Kehle an. Tränen hatte ich längst keine mehr, um sie zu vergießen.

Die Piraten, deren Gefangene ich war, hatten mir alles genommen: den Mann, den ich liebte, und meine Zukunft. Wovor sollte ich noch Angst haben, da ich doch wusste, dass sie mich demnächst töten würden?

Zumindest hatten sie das gesagt, als sie über ihre Pläne sprachen. Sie mussten auch nicht befürchten, dass ich sie verraten würde. Selbst wenn ich die nächsten Tage überlebte, war ich ja seit dem Überfall stumm.

Um es mir erneut zu beweisen, versuchte ich, meinen eigenen Namen auszusprechen: Nyneve.

Noch nicht einmal ein Krächzen drang aus meiner Kehle. Wann genau ich die Fähigkeit zu sprechen eingebüßt hatte, wusste ich nicht. Ich hatte nach Lir gesucht, der im eisigen Wasser vor meinen Augen versunken war, und wurde dabei von den Piraten herausgezogen. Da konnte ich schon nicht mehr brüllen, aber ich dachte, es läge an der Kälte.

Ich hatte mich wohl geirrt.

Seufzend richtete ich mich in den Fesseln auf. So viele Jahre hatte ich gelernt, kerzengerade zu sitzen und zu gehen, mich wie eine feine Dame zu benehmen. Auch wenn es hier niemand sah, so prägte mich die Erziehung meiner Mutter selbst in Gefangenschaft.

Ich mochte an einem Pfahl festgebunden sein und in steifer, zerlumpter Kleidung dasitzen, aber ich würde es mit Anstand tun. Genauso wie ich mit Anstand dem Tod entgegenblicken würde, wenn die Piraten die Insel erreichten, auf der sie mich hinrichten wollten.

»Denkst du schon wieder an dein Schicksal?«, hörte ich eine leise Stimme in der Dunkelheit.

Blinzelnd wandte ich meinen Kopf und erkannte die Gestalt einer Katze, die sich langsam materialisierte. Dies war keine gewöhnliche Katze. Sie war mit einem Mal im Schiffsrumpf aufgetaucht, hatte sich als Nox vorgestellt und behauptet, eine magische Geisterkatze zu sein. Für den Moment wollte ich ihr das glauben, denn sie war das einzige Wesen, mit dem ich mich unterhalten konnte, seitdem ich hier festsaß.

Selbst wenn ich sie mir nur einbildete, war mir ihre Anwesenheit willkommen. Zwar gehörten Geister genauso wie Magie in das Reich der Märchen, aber wenn eines dieser Märchen mir die Zeit bis zum Ende vertreiben würde, dann war mir das recht.

Außer mir schien keiner der Piraten Nox zu sehen oder zu hören, was meinen Verdacht, dass ich verrückt wurde, bestätigte. Dennoch war es schade, weil die Katze einfach süß aussah mit ihrem pechschwarzen Fell und der weißen Schnauze sowie den hellen Pfötchen. Ihre goldenen Augen leuchteten in der Dunkelheit, und sie schwebte beim Gehen über dem Boden, statt ihn mit ihren Pfötchen zu berühren. Das war der letzte Beweis, den ich brauchte, um mir sicher zu sein, dass sie nur eine Traumgestalt war, ein Zeichen, dass ich meinen Verstand endgültig eingebüßt hatte.

»Du denkst an dein Schicksal.« Nox strich um meine Beine und schmiegte ihren Kopf an meine Taille, während sie sprach. »Hast du aufgegeben?«

Ich nickte. Nox und ich kommunizierten in Gedanken, weil ich nicht sprechen konnte. Im Moment dachte ich an nichts, dennoch musste die Katze wissen, dass sie recht hatte.

»Ach, Nyneve«, säuselte sie und schnurrte, als sie es sich auf meinem Schoß gemütlich machte. »Es gibt so viel, für das es sich zu leben lohnt.«

›Denkst du, ja?‹, fragte ich nun doch.

Nox hob eine Pfote und putzte sie genüsslich. Katzen hatten schließlich alle Zeit der Welt.

»Was, wenn ich dir sage, dass du deswegen hier bist, weil du eine besondere Gabe besitzt, die mit deiner Stimme zusammenhängt?«

›Dann würde ich antworten, dass es wohl äußerst ungünstig ist, weil ich meine Stimme verloren habe‹, erwiderte ich und seufzte erneut.

Wie gerne hätte ich über das seidige Fell der Katze gestrichen, aber meine Finger waren bereits so lange in dieser Haltung fixiert, dass ich sie kaum noch spürte.

»Was verloren gegangen ist, kann wiedergefunden werden«, meinte die Katze und zwinkerte.

›Nicht alles.‹ Ich schluckte und dachte an Lir, der wohl auf dem Grund des Meeres lag. Ihn würde ich nie wiederfinden und mein Herz wurde schwer wie Blei, während meine Augen brannten.

Wir hatten heiraten wollen, sobald wir in Daris sesshaft geworden wären. Als Sohn des ranghöchsten Diplomaten aus dem Königreich Alastair sollte er in Westwend die diplomatischen Beziehungen mit dem Herrscher von Daris ausbauen. Natürlich begleitete ich ihn als seine Verlobte. Doch all das schien ein lange verblasster Traum zu sein …

»Nyneve, hörst du mir überhaupt zu?«, riss Nox mich aus meinen Gedanken.

›Entschuldige.‹

»Du denkst zu viel an das, was du verloren hast, anstatt an das, was sein kann.« Die Katze erhob sich, rundete ihren Rücken und sprang von meinen ausgestreckten Beinen. »Hier.«

In meinen Händen formte sich ein Gegenstand und als ich mit den Fingern über die Kanten strich, sog ich scharf den Atem ein, weil ich mich daran aufgeschnitten hatte.

›Was ist das?‹

»Eine Muschel. Was Besseres habe ich nicht gefunden, aber damit kannst du das Seil um deine Hände durchtrennen.«

›Wozu? Meine Beine wären dann immer noch mit Ketten und dem Gewicht belegt.‹

»Darum kümmere ich mich inzwischen«, meinte die Katze und spitzte die Ohren. »Beeil dich, wir haben nicht viel Zeit. Die Insel ist schon viel zu nahe und wir müssen von Bord sein, bevor sie den Nebel durchbrechen.«

Nox löste sich vor meinen Augen auf und ich spürte ein seltsames Ziehen an meinen Füßen. Obwohl ich wirklich keinen Sinn darin sah, meine Fesseln zu lösen, begann ich, sie mit der Muschel zu bearbeiten. Alles war besser, als in dieser Haltung verharren zu müssen, auch wenn es ein Ding der Unmöglichkeit war, fliehen zu wollen.

Wohin hätte ich denn gehen sollen? So kalt, wie es sich hier anfühlte, mussten wir dem Eismeer schon sehr nahe sein. Ich könnte zwar schwimmen, aber bei den Temperaturen wäre ich vermutlich bald tot.

Obwohl in Alastair fast das ganze Jahr Winter herrschte, war auch ich ein gewöhnlicher Mensch. Und ganz gleich, wie wenig mir die Kälte ausmachte, in Wasser, das beinahe gefror, konnte auch ich nicht überleben.

Als meine Fußfesseln klickten und mit lautem Getöse zu Boden fielen, hielt ich den Atem an. In dem Moment tauchte Nox schwebend vor mir auf und putzte sich ihre nicht mehr ganz so weiße Pfote.

›Wie hast du …‹

»Unwichtig. Wie weit bist du mit den Fesseln?«

Ich zerrte und riss an dem Seil, das ich mit der Muschel eingeritzt hatte. Es gab nicht nach.

Nox grummelte, schwebte an mir vorbei und verschwand hinter meinem Rücken. Gleich darauf waren meine Hände frei.

Seufzend rieb ich über die geschundenen Handgelenke und stand mühsam auf. Das Kleid, das ich trug, war vollkommen beschmutzt und an vielen Stellen eingerissen. Man hatte mir keine neue Kleidung gegeben, obwohl ich bis auf die Knochen durchnässt gewesen war, als sie mich gefangen genommen hatten. Da die Piraten wohl nur mein Blut benötigten, war es ihnen gleichgültig, ob ich an einem Fieber oder einer Lungenentzündung auf dem Weg zur Insel starb. Aber ich war nicht krank geworden und irgendwann hatte ich mich an den dauerhaft feuchten Stoff gewöhnt.

»Du wirst bald wieder Kleidung tragen, die sich angenehmer anfühlt«, meinte Nox und schwebte den dunklen Raum ab. »Hier entlang. Wir haben nicht viel Zeit.«

Einen Moment lang überlegte ich, ob ich einem Trugbild wirklich durch die Dunkelheit folgen sollte. Dann wurde mir bewusst, dass dieses Trugbild gerade meine Fesseln gelöst hatte, und ich stieß den Atem aus. Ich hob den Rock an und merkte, wie die Träger des Kleides über meine Schultern rutschten, was mich eigentlich nicht überraschte, weil ich seit Tagen nur ein wenig Brot und Wasser bekommen hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass ich überhaupt einen Fuß vor den anderen setzen konnte nach der langen Regungslosigkeit und dem kargen Essen.

Erst jetzt, da ich gebeugt ging, bemerkte ich, wie sehr das Schiff schwankte. Ob wohl gerade ein Sturm tobte? Oder ob eines der Meermonster aus alten Legenden echt war und versuchte, sich das Schiff einzuverleiben?

Ich wollte es eigentlich nicht wirklich wissen, dennoch erinnerte ich mich an die Schauermärchen über Monster, die im Eis verborgen waren und Schiffe in die Tiefen rissen. Auch das waren nur Märchen, aber die Wesen beim Namen aufzuzählen, half mir, mich von dem Schmerz in meinen Muskeln abzulenken. Und das musste ich, wenn ich nicht sofort auf die Knie sinken und lautlos weinen wollte.

So schnell mich meine Füße trugen, folgte ich Nox, deren Fell hell leuchtete und mich so durch die Dunkelheit führte. Sie mochte eine Einbildung sein, doch ohne sie wäre ich nie durch den Bauch des Schiffs gelangt, in dem sich zum Glück außer mir keine einzige Seele befand.

»Hier rauf«, flüsterte Nox, als müsste sie fürchten, sonst gehört zu werden.

Ich entdeckte eine Leiter, die so morsch roch, als wäre sie irgendwo im Wald vor sich hingerottet, bevor man sie hier aufgestellt hatte. Trotzdem griff ich nach einer Sprosse und stellte meinen Fuß auf eine der unteren. Ich wollte mich gerade hochziehen, als mich jemand von hinten packte und von der Leiter fortriss.

»Sieh an, wen haben wir da?«, fragte eine tiefe Stimme, und der faulige, von Alkohol geschwängerte Atem eines Piraten ließ mich würgen. »Ein Täubchen ohne Stimme, das wohl fliegen lernen will.«

Er zog mich enger an sich und obwohl ich mich wehrte, hielt er nicht inne. Seine Arme schlossen sich um mich, und seine Lippen berührten meine nackte Schulter.

Übelkeit kam in mir auf, als er einen schleimigen Kuss auf meine Haut presste.

»Eine Schande, dass du als Jungfrau sterben sollst«, murmelte er und drehte mich in seinen Armen herum, sodass ich ihn ansehen musste. Ein von Pockennarben zerfurchtes Gesicht mit grünlichen Zähnen musterte mich gierig und mir wurde gleich noch übler. »Das könnten wir aber noch ändern.«

Ich grub meine Nägel in sein Gesicht, als er meinen Rock hochschieben wollte. Er gab einen derben Fluch von sich und schlug zu. Sterne tanzten vor meinen Augen, doch ich hörte nicht auf, um mich zu treten.

Er würde mich nicht so berühren, niemals. Sollte er mich töten, aber ich ließ nicht zu, dass er mich auf diese Weise demütigte!

»Marts!«, bellte eine weitere Stimme hinter dem Piraten, der aufhörte, an meinem Kleid zu zerren.

»Ay, Kapitän!«, erwiderte er und ließ mich los. »Habe sie gefunden. Ist nicht weit gekommen, das Täubchen.«

Ein Mann in dunkelblauem Gehrock und engen schwarzen Hosen trat auf uns zu. Seine rötlichen Haare standen ihm wirr vom Kopf und auch er roch nach Alkohol, wenn auch nicht so stark wie dieser Pirat.

Grob packte der Kapitän mein Kinn und zog mich näher zu sich heran. »Du wolltest doch wohl nicht fliehen, meine Hübsche, oder? Wir brauchen dich schließlich noch und hier wirst du nichts als gottverdammtes Eis finden.«

Am liebsten hätte ich ihn angespuckt oder eine schlagfertige Antwort gegeben. Weder das eine noch das andere stand in meiner Macht. Man hatte mir zwar beigebracht, wie ich einen Fächer zu halten hatte, aber nicht, wie man mit einem Piraten, der einen töten wollte, umging, weswegen ich ihn starr vor aufflammender Panik ansah.

»Keine Sorge, die Insel ist schon sehr nahe. Und wir sind ja keine Unmenschen«, meinte der Kapitän und lachte.

Eine weitere Welle Übelkeit stieg in mir auf und ich kämpfte nicht dagegen an. Vielleicht konnte ich mich zumindest auf seine ohnehin schon schmutzigen Stiefel erbrechen.

»Du bekommst jetzt eine köstliche Mahlzeit, ein Bad und wunderschöne Kleider. Wenn wir die Insel erreicht haben, wirst du dafür sorgen, dass wir unendlich reich werden. Da können wir dich zumindest kurz verwöhnen.«

Er umklammerte meinen Arm und zerrte mich fort von der Leiter in die Richtung, aus der ich gekommen war.

Etwas an ihm erweckte meine Aufmerksamkeit. Ein Glänzen, das ihn umgab und nicht aussah, als wäre es natürlich. Doch ich schüttelte den Kopf und verdrängte den Gedanken.

Magie gab es nicht. Niemand in Alastair, der bei Verstand war, würde auch nur einen Gedanken an eine solche Macht verschwenden. Dass ich eine Geisterkatze sah, lag eindeutig an der langen Zeit im Dunkeln und nicht daran, dass doch etwas wie Magie existierte.

Trotzdem war ich mir sicher, dass dieser Pirat eine dunkle Macht in sich trug. Schon allein deswegen wehrte ich mich nicht gegen seinen festen Griff und stolperte ihm nach. Denn … was hätte ich ohne meine Stimme und geschwächt, wie ich war, gegen ihn ausrichten können?

Kapitel 2

 

Es fühlte sich so gut an, aus der steifen, staubigen Kleidung zu schlüpfen und in das warme, duftende Wasser der Wanne zu gleiten, dass ich beinahe vergaß, wo ich mich befand. Oder dass nur ein dünner Paravent dem widerlichen Piratenkapitän den Blick auf mich verstellte.

Sein rasselnder Atem klang, als würde ein Tier gerade mit dem Tod ringen, und der Geruch nach Alkohol lag immer noch in der Luft. Es wunderte mich, dass er in der Lage war, einen Kurs zu wählen, denn wie ich es verstanden hatte, dauerte es lange, bis man die Berechnung erlernte, und es erforderte Konzentration.

Doch das Schiff schien den Kurs trotz seines betrunkenen Kapitäns zu halten, zumindest soweit ich es feststellen konnte.

Bei dem flüchtigen Blick aus dem verdreckten Fenster sah ich nämlich nichts außer den Eisschollen, die durch das Meer schwammen. Wenn ich es richtig verstanden hatte, war das Ziel der Piraten die sogenannte Eisinsel, wo auch immer sie liegen mochte.

Immerhin wusste doch jeder, dass diese Insel nur ein Märchen war. Es hieß, dort lägen unermessliche Schätze verborgen, die von einer Hexe bewacht wurden. Aber diese Geschichte war genauso erfunden wie jene über die Meermonster. Natürlich gab es immer wieder Leute, die ihr Glück versucht hatten, nur war keiner von ihnen je wieder nach Hause gekommen.

Allerdings herrschte in Alastair seit Jahren strenger Winter, und die Leute, die nicht aus vornehmen Häusern wie ich stammten, konnten sich kaum genug zu essen leisten. Deswegen wagten es gerade in den letzten Monaten einige, sich dem erbarmungslosen Meer zu stellen. Doch selbst wenn die Geschichten stimmten, die Winde günstig standen und die See gnädig war … niemand kannte die genauen Koordinaten, da die Insel angeblich vom Zauber der Hexe beschützt wurde und deswegen ihre Position veränderte.

Wieso sollten also ausgerechnet diese Piraten den Weg kennen?

»Es wird Zeit, Mädchen«, brummte der Kapitän. »Raus aus der Wanne und zieh dich an. Dann komm zum Tisch.« Etwas knallte laut. »Wenn der Sand durch das Glas gelaufen ist, komme ich dich holen. Ganz gleich, ob du etwas anhast oder nicht.«

Ich ersparte mir den Gedanken, dass ich die Sanduhr nicht sehen konnte. Immerhin besaß ich keine Stimme und somit war es unmöglich, das dem Piraten mitzuteilen.

»Na los, Nyneve, raus aus dem Wasser«, gurrte Nox, die aus dem Nichts erschien und über der Wanne schwebte. »Zieh dich an. Es ist ziemlich kalt draußen.«

›Es ist auch hier kalt‹, erwiderte ich, während ich mich erhob.

Kein Feuer wärmte den Raum, in dem der Kapitän sein Schlaflager hatte. Überhaupt wirkte das Schiff ziemlich schäbig und nicht unbedingt seetüchtig. Es wunderte mich, dass es in der Lage war, sich gegen das aufbrausende Eismeer aufzulehnen.

Diese Gewässer mieden selbst erfahrene Seefahrer, und die besaßen oftmals Schiffe, die den stärksten Stürmen trotzten.

Weil ich vor Kälte zitterte, trocknete ich mich so schnell wie möglich ab und schlüpfte in das schlichte Wollkleid, das man mir bereitgelegt hatte. Es sah alt aus, aber immerhin war es sauber und hatte keine Risse wie das Kleid, das ich zuvor getragen hatte.

Obwohl meine hüftlangen hellblonden Haare noch feucht waren, trat ich ohne ein Handtuch auf dem Kopf vor den Paravent und wickelte sie zu einem schlampigen Dutt auf, den ich mit den zwei Haarnadeln, die bei dem Kleid gelegen hatten, fixierte. Ich hatte keine Lust herauszufinden, wie grob mich dieser Pirat anpacken würde, wenn ich nicht vor Ablauf der Zeit erschien. Außerdem war ich gut erzogen, und eine Lady kam pünktlich, ganz gleich, welche Umstände um sie herum herrschten.

Der Kapitän stand mit dem Rücken zu mir und hielt etwas in der Hand, das ich von meiner Position aus nicht erkennen konnte, während er sich über eine Karte beugte.

Mein Blick wanderte über den Esstisch, der spärlich gedeckt war. Trotzdem lief mir das Wasser im Mund zusammen bei dem Anblick von Äpfeln und einer dampfenden Schüssel Suppe.

Wieder sah ich zum Piraten, der sich nicht bewegt hatte. Dann machte ich einen Schritt auf den Tisch zu und nahm ein kleines Messer an mich, ließ es unter meinem Rock in meinem Strumpfband verschwinden.

Falls sich die Chance zur Flucht ergab, würde ich sie nutzen. Selbst wenn das hieß, im eiskalten Meer zu erfrieren. In Wahrheit sah ich keinen Grund darin, zu überleben, aber ich wollte mich zumindest wehren können, wenn man mir Gewalt antat.

Immer noch rührte der Pirat sich nicht. Ich versuchte, mich zu räuspern – nicht einmal das gelang mir.

Also stampfte ich mit dem Fuß auf, um die Aufmerksamkeit des Seeräubers zu erlangen.

Er drehte sich um und ein anzügliches Grinsen huschte über sein Gesicht.

»So frisch gewaschen siehst du fast wie eine feine Dame aus«, meinte er und richtete sich auf. »Ein hübsches Mädchen bist du. Mit diesen hellblonden Haaren und den strahlenden dunkelblauen Augen. Nur die blasse Haut stört mich, doch das ist wohl bei edlen Frauen, wie du eine bist, üblich.«

Er betrachtete mich, und das Grinsen wurde noch anzüglicher. Am liebsten hätte ich meine Arme vor der Brust verschränkt, doch dann hätte ich ihm gezeigt, dass ich mich vor ihm fürchtete. Das würde ich ihn nie wissen lassen. Deswegen straffte ich die Schultern und hob das Kinn.

Das entlockte ihm ein Schnauben und er schüttelte den Kopf. »Setz dich und lang zu«, forderte er mich auf, ohne mir den Stuhl zu richten. »Vermutlich bist du Besseres gewohnt, aber dies ist das Beste, was wir dir bieten können.«

Es widerstrebte mir, seinen Anweisungen zu folgen, doch der Hunger war so quälend, dass ich nicht noch länger auf den Beinen stehen konnte. Kaum saß ich, bereute ich es, denn der Pirat beugte sich über mich und schnüffelte an mir.

»Eine feine Dame, ja«, murmelte er und wollte eine Strähne meines Haares ergreifen.

Ich schlug auf seine Finger und er packte mein Kinn.

»Hör mal, Mädchen, wenn mich dieser Zauberer nicht dafür bezahlen würde, dich unversehrt und vor allem unberührt zum Eis zu bringen, würde ich dir jetzt zeigen, was es bedeutet, unter Piraten zu leben.«

›Als hätte ich es mir ausgesucht!‹, brüllte ich in Gedanken. Aber natürlich konnte er es nicht hören.

Nox schon, sie gab ein Knurren von sich und stürzte sich auf den Piraten. Dann verschwand sie in seinem Körper und er ließ mich keuchend los.

»Verfluchtes Fieber«, zischte er und ballte seine Hand zur Faust. »Doch das hat bald ein Ende. Bald, mein Täubchen, bin ich ein gemachter Mann und kann mich in warmen Gefilden zur Ruhe setzen. Dank dir.«

Er warf sich auf einen Stuhl mir gegenüber und schnitt ein Stück des Schinkens ab, der schon leicht grünlich aussah. Den würde ich an seiner Stelle nicht essen …

Mein Magen knurrte laut und ich griff nach dem Brot und der Suppe. Für eine Henkersmahlzeit ein karges Mahl, dennoch aß ich es, als wären es die erlesenen Speisen, die im Haus meiner Eltern aufgetragen wurden. Wehmütig dachte ich an meine Familie, die ich nie wiedersehen würde. Auch wenn meine Mutter streng gewesen war und ich es nicht erwarten konnte, selbst einen Haushalt zu führen … der Gedanke, mich nicht einmal verabschieden zu können, schmerzte.

»Isst wie ein Täubchen und siehst wie eines aus«, sagte der Pirat mit vollem Mund.

Ohne Vorwarnung sprang er auf und rammte mir die Gabel, die er wohl nur zur Zierde neben sich liegen hatte, in die Hand. Mein Mund klappte auf, aber kein Laut drang aus meiner Kehle, obwohl ich aus Leibeskräften schrie.

Ich wand mich und packte den Griff der Gabel, riss sie aus meiner Hand und war zum ersten Mal froh darüber, keine Tränen mehr vergießen zu können. Dieser elende Mistkerl sollte mich nicht weinen sehen.

Er sank auf seinen Stuhl zurück und hob einen dreckigen Krug mit Bier an seine Lippen. »Ein stummes Täubchen. Das ist dumm. Ich hoffe, der Zauberer bezahlt dennoch für dein Blut, auch wenn du nicht singst, wie er es gefordert hat.«

Wütend griff ich nach einer Serviette und schlang sie um die blutende Hand. Dann packte ich einen Teller und wollte ihn dem Piraten über den Schädel ziehen, aber er fing meinen Angriff mühelos ab und drückte mich zurück auf meinen Stuhl.

»Fordere dein Glück nicht heraus. Eventuell lasse ich dich doch ein paar Minuten mit meinen Männern alleine, bevor wir auf die Insel gehen. Immerhin singst du nicht mehr, also habe ich vielleicht ohnehin nichts von den Mühen, die ich für dich auf mich genommen habe.«

»Er hat recht«, sagte Nox, die plötzlich auf dem Tisch saß und sich anmutig putzte. »Kämpfe nicht gegen ihn. Du brauchst deine Kräfte gleich noch.«

›Es ist kein Funken Kraft mehr in mir‹, erwiderte ich. ›Und ich habe keinen Grund mehr zu kämpfen. Wozu auch? Ich bin so gut wie tot und es gibt nichts, was mich noch erwartet.‹

Nox hielt in ihrer Bewegung inne und betrachtete mich nachdenklich mit ihren goldenen Augen. »Du irrst dich. Es erwartet dich eine Menge, Nyneve.«

Die Katze schwebte zu mir, legte eine Pfote auf meine blutende Hand und begann zu schnurren. Ich fühlte, wie sich die Wunden unter dem schäbigen Stoff mit den graubraunen Flecken schlossen, und atmete erleichtert durch.

»Behalte die Serviette, wo sie ist«, wies Nox mich an. »Der Kerl soll nicht wissen, dass du Hilfe hast.«

›Es ändert zwar nichts, doch ich werde deinen Rat befolgen. Hab Dank, ich weiß deine Hilfe zu schätzen‹, entgegnete ich in Gedanken.

Vielleicht bildete ich mir Nox, die Geisterkatze, nur ein, aber immerhin schien mich diese Einbildung zu heilen.

»Du wirst es bald noch mehr zu schätzen wissen«, verkündete sie. »Denn ich werde dafür sorgen, dass du freikommst. Verlass dich auf mich.«

Innerlich seufzte ich und kaute auf einem Stück Brot herum. ›So gerne ich das glauben würde, es scheint mir unmöglich. Und selbst wenn … ich sagte doch, es gibt keinen Grund für mich zu kämpfen.‹

»Oh, ich bleibe dabei. Es erwartet dich viel, Nyneve«, erwiderte die Katze und kam näher. »Und zwar das größte Abenteuer deines Lebens.«

Kapitel 3

 

Flankiert von vier offensichtlich betrunkenen Piraten und Nox wurde ich an Deck gebracht. Über dem Hauptmast wehte die schwarze Piratenflagge und trotzte damit dem nebeligen Grau, das uns umgab.

Man hatte mir keinen Umhang gegeben, obwohl es so kalt war, dass mein Atem gefror, kaum dass ich ihn ausgestoßen hatte.

Ich zitterte und schlang meine Arme um mich, was den Piraten ein höhnisches Lachen entlockte. Vermutlich dachten sie, ich hätte Angst. Das entsprach nur nicht der Wahrheit, denn ich hatte gedanklich längst mit meinem Leben abgeschlossen.

›Wieso hat man mich herausgebracht?‹, fragte ich die Geisterkatze, während mein Blick das Meer absuchte. ›Hier ist nichts außer ein paar Eisschollen, beißend kalter Wind und Nebel.‹

»Genau deswegen bist du hier«, erwiderte Nox und schwebte ein Stück weiter in Richtung Bug. »Ohne dich können sie die Schutzmagie der Insel nicht durchbrechen.«

›Schutzmagie …‹ Am liebsten hätte ich verächtlich gelacht.

Magie gab es nicht und jeder, der etwas anderes behauptete, hatte wohl zu viel Rum getrunken.

Doch dann sah ich Nox an und verdrängte den Gedanken. Ich hatte bestimmt keinen Rum getrunken und sah eine schwarze Katze mit weißen Pfoten, die über den Köpfen der Seeräuber schwebte. Aber das war etwas anderes. Ich hatte schon viele Menschen fantasieren sehen, wenn sie Fieber hatten. Vielleicht war ich doch krank geworden und befand mich im Delirium.

In Alastair wurde uns früh beigebracht, dass es etwas wie Magie nicht gab. Kräfte wie diese waren gefährlich und mit Blutritualen verbunden. In anderen Ländern mochte man an Menschen mit magischer Begabung glauben und jene, die behaupteten, Kräfte zu besitzen, dulden. Wir glaubten nur an das, was wir sahen.

Sicher, auch bei uns gab es alte Legenden von Monstern, Zauberern, sogar von schöpferischen Wesen, die uns alle erschaffen hatten. Aber sie waren uralt und eben nichts weiter als Märchen, die sich die Menschen ausgedacht hatten, um die Entstehung der Welt zu erklären.

Jemand packte mich am Arm, riss mich mit sich und holte mich aus meinen Gedanken. Als ich aufsah, erkannte ich den Kapitän, der sich selbst in einen dicken Wollmantel gehüllt hatte, während ich hier fror. Er hatte es ja bereits gesagt, er brauchte nur mein Blut. Und wohl auch meine Stimme, die ich jedoch verloren hatte.

»Los jetzt, Mädchen, komm nach vorne und lös diesen verfluchten Nebel auf«, bellte er und stieß mich in Richtung Bug.

Ich hatte so viel Schwung, dass ich beinahe über die Reling gekippt wäre. Allerdings verhinderte Nox das, indem sie vor mir schwebte und ihre Pfoten gegen mich stemmte, um mich aufzufangen.

›Danke‹, dachte ich und die Katze zwinkerte mir zu.

Kaum hatte ich mich wieder aufgerichtet, ging ein seltsames purpurnes Leuchten vom Schiff aus und brach durch die dicke Nebelwand, die uns mittlerweile vollkommen einschloss.

Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass dieses Leuchten von mir stammte. Ich schnappte nach Atem und wollte zurückweichen, stieß aber gegen den Kapitän, der meine Schultern packte und mich wieder nach vorn schob.

»Zumindest das gelingt dir«, sagte er und klang überrascht. »Dann haben wir wohl das richtige Schiff versenkt und die passende Frau an Bord geholt. War ja erst das vierte, seit dieser Zauberer uns aufgesucht hat. Hol mich eine Nixe, was haben wir doch für ein Glück.«

Wut kroch in mir hoch. Diese Seeräuber hatten Schiffe überfallen und versenkt, weil sie jemanden wie mich suchten. Ich ballte die Hände zu Fäusten, bis sie schmerzten.

Wie hatten sie entschieden, welches Schiff sie überfielen und wer leben durfte und sterben musste?

Jubel brach aus und ich richtete den Blick nach vorne. Aus dem Nebel erhoben sich Berge, die in den nächtlichen Himmel ragten und von purpurnen, grünen und hellblauen Schlieren umgeben waren.

Hastig wandte ich mich um und bemerkte, dass es hinter uns zwar dämmrig, aber noch lange nicht dunkel geworden war. Doch der Nebel schloss sich am Heck des Schiffs bereits und wir glitten geräuschlos durch ruhiges Gewässer, ohne eine Welle oder einen Windhauch.

Wie konnte sich das Schiff bewegen? Es gab nicht die geringste Brise, dennoch hielt es in schnellem Tempo auf die Insel zu, die vollkommen aus Eis zu bestehen schien.

»Es ist deine Kraft, Nyneve«, erklärte Nox und schwebte auf meine Schulter.

Ich fühlte ihre Pfoten und ein leichtes Gewicht, das sich auf mir ausbreitete. Vielleicht war die Katze nicht vollständig ein Geist oder ich bildete mir auch das nur ein.

»Dies ist die Purpurne Insel. Sie trägt deine Magie in sich«, fuhr die Katze fort.

›Ich besitze keine Magie‹, erwiderte ich zornig.

Weil die Piraten dachten, ich würde Kräfte in mir tragen, hatten sie Schiffe auf der Suche nach mir versenkt. Wie konnten sie so verrückt sein, an so etwas zu glauben?

»Und doch hat der Nebel sich für dich geöffnet«, meinte Nox nachsichtig. »Du wirst es glauben, Nyneve. Spätestens, wenn du die Höhle betrittst.«

Ich starrte die Küste an, die immer näher kam. Dass der Nebel sich gelichtet hatte, war nichts als eine Laune des Wetters, ganz sicher keine Magie.

Missmutig betrachtete ich die Insel, die auch jetzt aussah, als würde sie aus nichts als Eis bestehen. Was erhofften sich die Piraten hier?

»Anker setzen und Beiboote zu Wasser lassen!«, brüllte der Kapitän und packte mich am Oberarm. »Du bleibst schön in meiner Nähe.«

Mir wurde übel bei dem gierigen Blick, den er mir zuwarf, und dem fauligen Atem, der in meine Nase drang. Für ihn war ich der Schlüssel zum Reichtum und er würde nicht zögern, mich zu töten, weil irgendein Verrückter, der sich als Zauberer bezeichnete, ihn dafür bezahlen wollte.

Einen Moment überlegte ich, das Messer unter meinem Kleid hervorzuholen und ihm bei erstbester Gelegenheit zwischen die Rippen zu rammen. Er hätte es jedoch bemerkt, wenn ich jetzt meinen Rock hochgeschoben und etwas darunter hervorgezogen hätte.

Die Chance war also vorerst vertan, aber wenn ich schon starb, würde ich so viele von diesen Piraten wie möglich mit mir nehmen. Das war ich allen schuldig, die durch ihre Gier ums Leben gekommen waren. Und besonders Lir.

Während ich um Atem rang, weil der Schmerz meine Brust eng werden ließ, stieß mich der Kapitän in eines der Boote und sprang selbst hinein.

Zwei weitere Männer nahmen in der Nussschale von einem Beiboot Platz und begannen zu rudern, nachdem wir auf dem Wasser aufgekommen waren. Alle Piraten waren in dicke Mäntel oder Decken gehüllt. Nur mich ließen sie frieren.

›Bastarde‹, dachte ich und Nox schnalzte mit der Zunge.

Sie legte sich um meinen Hals, und eine angenehme Wärme durchströmte meinen Körper.

»Damit du nicht erfrierst, bis du deine volle Magie erweckt hast«, meinte sie.

Ich rollte innerlich mit den Augen, erwiderte aber nichts. Sie würden alle früh genug erkennen, dass es keine Magie in mir gab und sie mich vollkommen umsonst entführt hatten. Allerdings würde ich das wohl nicht mehr sehen, weil ich dann vermutlich bereits ausgeblutet auf dem Eis lag.

Das Boot erreichte das eisige Ufer, und ein Pirat sprang hinaus, um es an einem Felsen zu vertäuen. Das Wasser bäumte sich hier auf und wo die Gischt das Eis berührte, gefror sie und schimmerte purpurn, ehe sie von einer neuen Welle zerbrochen und mit sich gerissen wurde.

Ich legte den Kopf in den Nacken und bestaunte die Lichter, die über uns schwebten. Unzählige Sterne glänzten zwischen den grünen, purpurnen und hellblauen Schlieren und funkelten, als wollten sie mir Trost spenden.

Meine Augen brannten und ich wandte mich ab. Es gab keinen Trost. Ich hatte Lir verloren und ich würde hier sterben. Der einzige Trost, den ich empfand, war der Gedanke, dass meine Seele seine in der Unendlichkeit wiederfinden würde.

Wieder wurde ich unsanft gepackt und auf die Beine gezogen. »Komm jetzt, wir haben keine Zeit zu verlieren in dieser elenden Kälte«, knurrte der Kapitän und zerrte mich aus dem Boot.

Kaum hatte mein Fuß das Eis berührt, kam ein heftiger Wind auf und die Piraten duckten sich.

Auch ich ging in die Knie und hob meinen freien Arm schützend vor mein Gesicht, hielt jedoch den Atem an, als ich eine Stimme vernahm, die jung und alt zugleich wirkte.

»Willkommen, purpurner Klang des Eises. Ich habe dich erwartet«, sagte sie.

Ihre Worte waren noch nicht verklungen, als der Wind sich legte und klirrende Kälte unter meine Kleidung kroch. Weil die Piraten noch nicht wieder aus ihrer Kauerstellung hochgekommen waren, fasste ich unter mein Kleid, zog das Messer aus meinem Strumpfband und versteckte es in meinem Ärmel.

Falls die Seeräuber die Worte des Windes gehört hatten, ließen sie sich nichts anmerken. Denn sie erhoben sich, fluchten über die Kälte und zogen ihre Mäntel enger, während ich erfroren wäre, wenn Nox mich nicht gewärmt hätte. Wobei ihre Wärme nicht mehr reichte, um die Kälte zu verdrängen, und ich zu zittern begann.

»Die Insel hat dich willkommen geheißen«, verkündete die Katze und klang dabei stolz. »Jetzt wird alles gut.«

Ich zog meinen Hals ein und schob die Schultern hoch. Falls ich auf dem Weg zu dem Ort, an dem die Piraten mich töten wollten, nicht erfror, grenzte das an ein Wunder, aber in Ordnung war deswegen noch gar nichts.

Neben den drei Männern aus meinem Boot begleitete uns wohl das halbe Schiff. Ich zählte also rund ein Dutzend Piraten, die fluchend und hustend über das Eis liefen.

Der Kapitän hielt mich fest und schleppte mich auf die Berge zu, die aus der Nähe noch eindrucksvoller wirkten als vom Meer aus. Hoch und spitz ragten sie in den Nachthimmel und ich meinte, einen seltsamen Klang zu hören, der von ihnen ausging. Als würde das Eis hier singen …

»Das tut es auch«, sagte Nox plötzlich. »Es singt für dich, um deine Kräfte zu erwecken.«

›Schwachsinn, ich erfriere nur gleich, deswegen bilde ich mir das genauso ein wie dich‹, erwiderte ich gereizt.

Eis konnte nicht singen und selbst wenn, ich besaß keine Kräfte, also konnte es auch nichts erwecken.

Doch die Piraten schienen genau wie Nox daran zu glauben, dass hier etwas Magisches vor sich ging. Deswegen beschleunigten sie ihre Schritte, als sich eine Öffnung inmitten des massiven Eises, aus dem der Berg bestand, zeigte.

»Es ist wirklich hier«, murmelte der Kapitän und riss mich mit sich auf den Eingang zu. Er war deutlich schneller als der Rest der Piraten und wir hängten sie ein gutes Stück ab. »Der Zauberer hatte recht. Jetzt müssen wir nur die Hexe töten und dein Blut im Heiligtum vergießen.«

Ich wusste nicht so recht, was ich tat, aber mein Körper hatte die Kontrolle übernommen.

Als der Kapitän vor dem Eingang anhielt, zog ich das Messer aus meinem Ärmel und bohrte es ihm in den Arm, mit dem er mich hielt.

Er schrie auf und ließ mich los, also drehte ich mich und versetzte ihm einen heftigen Tritt zwischen die Beine. Fluchend sank er auf den Boden und ich rammte ihm mein Knie ins Gesicht. Es knackte und ich war sicher, seine Nase gebrochen zu haben.

»Gut gemacht. Jetzt lauf hinein, sie wartet auf dich!«, feuerte Nox mich an.

Mein Blick fiel auf den Seeräuber, der mit blutüberströmtem Gesicht vor mir lag.

Wir hatten die anderen Piraten weit hinter uns gelassen, allerdings liefen sie bereits auf uns zu. Viel Zeit blieb mir nicht zu überlegen, also hastete ich in die Höhle hinein. Denn ganz gleich, was darin vielleicht lauerte, es war bestimmt gnädiger mit mir, als diese Piraten es sein würden.

Kapitel 4

 

Mein Herz hämmerte so laut in meiner Brust, dass ich die wütenden Schreie der Piraten kaum noch hörte. Oder es lag daran, dass ich schon so weit in die Höhle vorgedrungen war. Denn Nox führte mich immer tiefer hinein in einen schier unendlichen Irrgarten aus Gängen. Hätte sie mir nicht den Weg geleuchtet, wäre ich wohl mehr als einmal gegen eine der dunklen Eiswände gelaufen.

Vielleicht konnte ich mich ja hier vor den Seeräubern verstecken, aber was dann? Die Insel bestand nur aus Eis, soweit ich es gesehen hatte, und meine Kleidung war nicht gerade wintertauglich.

Ich gewann mit meiner Flucht also im besten Fall Zeit …

»Wir haben es gleich geschafft«, rief Nox mir zu.

Ich wollte fragen, was genau wir geschafft hatten, als der Gang, durch den wir liefen, immer breiter wurde und helles Licht mich blendete. Die Kälte, die mich bis gerade eben noch hatte frösteln lassen, fiel von mir ab und eine angenehme Wärme umgab mich.

»Komm weiter, Nyneve«, feuerte die Katze mich an, als ich langsamer wurde. »Hab keine Angst. Sie wird dir nichts tun. Im Gegenteil, sie wird dich beschützen.«

Noch während sie sprach, veränderte sich etwas an dem hellen Licht und ich konnte ein Prickeln auf meiner Haut fühlen, das mir vertraut und doch fremd war. Ein seltsames Summen erfasste mich und floss durch meinen Körper. Es war eine Melodie, die ich kannte und die mein Herz vor Freude zum Leuchten brachte.

Wie in Trance öffnete ich meinen Mund und wollte die Worte, die sich so richtig anfühlten, laut hinaussingen. Aber alles, was sich in meiner Kehle erhob, war ein Krächzen.

Die Melodie und das Summen verstummten und das Licht verdunkelte sich.

»Sie kann nicht singen«, sagte eine weibliche Stimme hinter mir.

Panisch fuhr ich herum und entdeckte eine alte Frau mit schneeweißem Haar, die gebückt vor mir stand.

Ihre Augen schimmerten purpurn und sie trug der Kälte zum Trotz ein recht luftiges weißes Kleid. Ihr von Falten zerfurchtes Gesicht wirkte wie von der Sonne gebräunt, was nicht zu diesem Ort hier passen wollte. Vielleicht hatte sich ihr Schiff auch nur auf diese Insel verirrt.

Die Worte »Wer bist du?« lagen mir auf der Zunge. Da ich sie jedoch nicht aussprechen konnte, schluckte ich nur und überlegte, wie ich mich verständlich machen sollte.

Doch da seufzte die Alte und blickte an mir vorbei. »Nox, sie ist stumm«, brummte sie.

›Sie kann dich sehen?‹, fragte ich überrascht.

»Und auch hören«, entgegnete die Alte. »Ich bin die Weiße Hexe, Herrin der Purpurnen Insel. Und du, mein Kind, bist der purpurne Klang des Eises. Oder du hättest es werden sollen.«

Mit einem weiteren Seufzen hob sie die Schultern und ließ sie wieder sinken.