Die Kunst, gute Gespräche zu führen - Ulrike Bartholomäus - E-Book
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Die Kunst, gute Gespräche zu führen E-Book

Ulrike Bartholomäus

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Ein gutes Gespräch zu führen, ist in unserer hektischen Zeit leider selten geworden, und doch ist es eine Wohltat und Bereicherung. Welchen Wert es haben kann, wirklich miteinander zu reden und wie man sich im verbalen und nicht-verbalen Bereich verhalten sollte, erklärt die Wissenschaftsjournalistin Ulrike Bartholomäus auf fundierte und unterhaltende Weise. Denn damit es gelingt, braucht man eine gute Balance aus Erfahrung, Körpergefühl, Wertschätzung und Empathie.

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Seitenzahl: 315

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Buch

Ein gutes Gespräch zu führen, ist in unserer hektischen Zeit leider selten geworden, und doch ist es eine Wohltat und Bereicherung. Welchen Wert es haben kann, wirklich miteinander zu reden und wie man sich im verbalen und nicht verbalen Bereich verhalten sollte, erklärt die Wissenschaftsjournalistin Ulrike Bartholomäus auf fundierte und unterhaltende Weise. Denn damit es gelingt, braucht man eine gute Balance aus Erfahrung, Körpergefühl, Wertschätzung und Empathie.

Autorin

Ulrike Bartholomäus, geboren 1965, schreibt über Medizin, Wissenschaft, Politik und Kommunikation. Sie war 17 Jahre als Redakteurin für Focus im Ressort Forschung tätig und arbeitet heute als Autorin für verschiedene Medien. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Ulrike Bartholomäus

Die Kunst,

gute Gespräche

zu führen

Kommunikation ist mehr als Sprache

Mit Illustrationen von Michel Streich

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Copyright © 2016 Wilhelm Goldmann, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Illustrationen: © Michel Streich Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur GmbH Umschlagmotive: © shutterstock/Wisiel, shutterstock/Jill pk, shutterstock/Photo smile Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling JE ∙ Herstellung: CF ISBN 978-3-641-15250-5V003
www.mosaik-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Immer auf Sendung – aber auch im Gespräch?

Kapitel I

Grundlagen – Was wir für ein gutes Gespräch brauchen

1.Vertrauen

Das Fundament unserer Beziehungen

Gute Bindungen entstehen im Kindesalter

Die Neurobiologie des Vertrauens

Berührungen schaffen Gleichklang

Verloren gegangenes Vertrauen wiederherstellen

2.Empathie

Auf einer Wellenlänge mit unserem Gegenüber

Mitgefühl als Persönlichkeitsmerkmal

Gefühlssimulation im Gehirn

Unseren Gefühlsmuskel im Kopf trainieren

Unseren Gesprächspartner lesen lernen

3.Aufmerksamkeit

Wir sehen nur das, was wir erwarten

Ablenkung schwächt unser Gedächtnis

Was unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht

Die Bedeutung von Blickkontakt

4.Wertschätzung

Wertschätzung schafft Werte

Streit im Liebeslabor

Umgang mit Respektlosigkeit

Ehrlichkeit ist wichtig – wohl dosiert

5.Checkliste Gesprächsvorbereitung

Zur rechten Zeit …

… am rechten Ort

Unseren Gesprächspartner kennen

Kapitel II

Analyse – Wie wir unser Gegenüber richtig einschätzen

1.Der erste Eindruck

Entscheidung in 100 Millisekunden

Blitzanalyse der Gesichtszüge

Persönlichkeitseigenschaften einschätzen

Männern steht ihre Intelligenz ins Gesicht geschrieben, Frauen nicht

Was die Stimme verrät

2.Typologie, Persönlichkeit und Motivation

Von der griechischen Temperamentenlehre zur Typologie

Die Entwicklung der Typentests

Die Bedeutung von Typentests

3.Kleine Typenkunde für Job und Party

Das Alphatier – Raumgreifender Macher

Der Sachliche – Zahlenjongleur und Aktenfresser

Der Einfühlsame – Zuhörer und Selbstausbeuter

Der Kommunikative – Business by lunch

Der Blender – Luftpumpen bei der Arbeit

Der Dozierer – Prof. Dr. verbalhabilitiert

Der Schwätzer – Haben Sie schon gehört?

Das Opfer – Kein Schwein ruft mich an

Übung: Sich auf den Stuhl des anderen setzen

Die Rolle von Werten und Motiven

Übung: Wertespaziergang

4.Unsere Mimik und Körpersprache

Unsere erste Kommunikation über Gesichtsausdrücke

Die sieben universellen Grundgefühle

Kopf hoch – Was Körpersprache und Gestik verraten

5.Wie unser Denken, Fühlen und Körperempfinden zusammenhängen

Vor Freude in die Luft springen

Gute Laune ist ansteckend – schlechte auch

Was die Sprache uns verrät

Übung: Einstimmen auf das Gespräch

Kapitel III

Erfolgs- und Störfaktoren – Was wir im Gespräch beachten sollten

1.Die Macht unserer Worte

Begriffe bestimmen unsere Gedanken, Emotionen und unser Körpergefühl

Der Kampf um Wörter in der Politik

Das Patientengespräch

2.Warum wir lügen

Täuschen und getäuscht werden

Notlügen schonen den anderen

Selbstbetrug – sich etwas in die Tasche lügen

Lügen aus Angst

Felix Krull und die krankhaften Lügner

3.Der innere Dialog

Das Parlament in Kopf und Körper

Wer ist der Chef?

Willkommene und unliebsame Stimmen

4.Gesprächskiller

Schweigen ist nicht immer Gold

Verschweigen

Sabotage

Unterbrechungen

Persönlicher Angriff

Schlusswort

Ausgewählte Literatur

Register

für Kayhan

Einleitung

Immer auf Sendung – aber auch im Gespräch?

Unsere Art und Weise zu kommunizieren, verändert sich schneller als jemals zuvor. Wir mailen, posten, twittern und skypen um die Wette, und doch bleibt der Austausch mit Freunden, Familie und Kollegen dabei oft oberflächlich. Dadurch entwickeln wir beim digitalen Kommunizieren rund um den Globus eine Sehnsucht nach etwas, das schon von einigen totgesagt wurde: dem persönlichen Gespräch. Denn wenn wir einer Person gegenübersitzen und es schaffen, uns mit ihr tiefgehend und aufrichtig zu unterhalten, erhalten wir viel mehr Informationen, Eindrücke, Verständnis und Nähe, als wir bekommen würden, wenn wir uns auf Bildschirmen träfen. Die Nuancen einer Botschaft stecken häufig im Ungesagten, in einem flüchtigen Gesichtsausdruck, einem Blick, einer Geste.

Gespräche sind die Grundlage von Beziehungen. Ein Beispiel: Meistens hören wir die wirklich wichtigen Dinge auf einer Konferenz nachts an der Bar, wenn das Meeting lange vorbei ist und die Laptops zugeklappt im Hotelzimmer liegen. Erst wenn wir stundenlang mit anderen konferiert, zu Abend gegessen und auch einige private Information ausgetauscht haben, erwächst das Vertrauen, auf dem dann die wirklich wichtigen Informationen zutage befördert werden.

Gespräche sind die Grundlage von Beziehungen. Worte haben eine sehr mächtige Wirkung auf uns. Positive Botschaften beeinflussen die Biochemie unseres Körpers. Flüstert uns ein geliebter Mensch »Ich liebe dich« ins Ohr, durchströmen uns warme Gefühle. Dieser Rausch kann mehrere Monate anhalten. Oder er wird jäh beendet durch verletzende Äußerungen. Statt »Ich liebe dich« hören wir plötzlich »Ich brauche eine Auszeit, ich liebe dich nicht mehr«. Die Sätze schlagen dann wie Tornados in unser Denken, Fühlen und Handeln ein. Worte können auch Waffen sein. Sie können uns treffen, verletzen und vernichten.

Ähnlich ergeht es Mitarbeitern, wenn sie in einem Gespräch mit dem Chef und der Personalleitung hören: »Wir möchten Ihnen einen Auflösungsvertrag anbieten.« Es gibt Menschen, die sich von so einem kommunikativen GAU jahrelang nicht erholen. Verletzende Worte habe eine ebenso mächtige Wirkung wie Lob und Dank. Wenn in Streitgesprächen Paare die Grenze des gegenseitigen Respekts sprengen und sich mit verachtenden Worten beschimpfen, sieht es düster aus mit der Langzeitprognose ihrer Ehe. Denn wo Verachtung im Spiel ist, kann eine Beziehung, ob privat oder beruflich, sehr schnell am Ende sein. Worte kann man nicht zurücknehmen. Man kann sich für etwas entschuldigen, das man im Anflug von Wut und Streit gesagt hat, aber Ausdrücke der Verachtung wirken auch langfristig wie Gift in uns.

Für Gespräche müssen bestimmte Grundlagen gegeben sein wie Vertrauen, Empathie, Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Wenn die Chemie zwischen zwei Menschen stimmt und sie gut ins Gespräch kommen, dann sind diese Grundlagen gegeben. Empathie spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Sie ist der Nährboden für gute Beziehungen. Die Kunst, gute Gespräche zu führen, kommt nie ohne Empathie aus. Die Fähigkeit, eine Situation mit den Augen eines anderen zu sehen, erlernen wir als Kinder und Jugendliche. Dies passiert aber nicht automatisch, sondern nur, wenn wir mit sicheren Bindungen aufwachsen können.

Die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle des anderen zu verstehen, ist so wichtig wie die Nahrungsaufnahme. Als soziale Wesen ist unser gesellschaftlicher Erfolg abhängig von der Kooperation. Kein Mensch kann für sich alleine überleben. Deswegen fragen wir uns, was im Kopf unseres Gegenübers, des Ehepartners, von Familienmitgliedern, Kollegen, Vorgesetzten und Freunden vorgeht. Denn dies erlaubt uns, ihre nächsten Handlungen vorauszusehen, bevor sie selbst eine Entscheidung getroffen haben. So gelingt es Menschen, auch die nächsten Schritte eines Gegenspielers strategisch durchzuspielen, und sich entsprechend zu wappnen.

Mal ehrlich, wie oft treffen wir auf Menschen, die fest davon überzeugt sind, nur ihre Sichtweise sei die einzig wahre? Leute, die im Gespräch nicht zuhören, sondern einfach ihre Meinung durchdrücken wollen. Diesen Menschen sollten Sie einmal von der Sankt-Ignatius-Kirche in Rom erzählen: Wer diese Jesuiten-Kirche in Rom betritt und den Blick auf die Kuppel nach oben richtet, wird erst einmal von herabstürzenden Steinquadern attackiert. Durch eine optische Täuschung lösen sich schwere Elemente aus der Decke und donnern scheinbar mit voller Wucht auf den Betrachter. Erst wenn man sich reflexartig geduckt hat, und kein Stein auf dem Boden aufprallt, bemerkt man den Trick der Maler. Die schiefen Stuckelemente der Decke, die auf den Betrachter herabzufallen scheinen, sind nämlich bloß aufgemalt und Teil eines großen Gemäldes. Der italienische Barockkünstler Andrea Pozzo (*1642, †1709), der durch seine so genannten Trompe-l’Œil-Kuppelfresken landesweit bekannt wurde, hat das Gebäude ausgemalt. Um dem Betrachter etwas Wichtiges zu vermitteln, verwendete er einen Trick: Nur von einer einzigen Stelle aus, einer Kachel in der Mitte unter der Kuppel, wirkt das Deckengemälde richtig. Einzig aus dieser Perspektive stimmt die Welt in Sankt Ignatius. Hier wirkte das göttliche Licht auf den Betrachter ein, hier wurde er erleuchtet.

Pozzo war modern. Er thematisierte den Perspektivwechsel, eine für Gespräche wesentliche Fähigkeit. Als Laienjesuit war er mit den großen Denkern seiner Zeit vertraut. Diese machten sich damals Gedanken über die Blickwinkel, aus dem die Menschen Gott und die Welt betrachteten. Fragen, die sie sich stellten, waren: Richtet sich alles Augenmerk auf den Himmel, auf Gott? Ist er der Größte? Oder sind es die Kräfte und Gesetze der Natur, der Astronomie, die das Geschehen bestimmen? Aus welcher Perspektive soll der Mensch die Welt betrachten?

Kampf in der Kirche um die Weltsicht des Menschen

Einem ähnlichen Thema widmete sich zuvor Galileo Galilei, der 1642 in Pozzos Geburtsjahr in Florenz starb. Er hatte die bisherige mittelalterliche Weltsicht der Menschheit kurz zuvor auf den Kopf gestellt. Für seine Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne, und nicht die Sonne um die Erde, büßte er mit lebenslangem Hausarrest. Die römische Inquisition verbot ihm, seine Gedanken zu veröffentlichen. Das damals gängige geozentrische Weltbild sah die von Gott geschaffene Erde als Zentrum des Universums. Erst Papst Johannes Paul II. rehabilitierte Galileo im Jahr 1992.

Zu Pozzos Zeit war jede Kirche natürlich so ausgeschmückt, dass der Betrachter von jedem Punkt im Gebäude aus die prächtigen Deckengemälde bewundern konnte, die von der Größe Gottes und seiner Werke zeugten. Alles stimmte überein, egal wo man sich befand. Der Standpunkt, von dem der Betrachter die Kunst betrachtete, spielte keine Rolle.

Dass die Welt aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen werden kann, war ein revolutionärer Gedanke Pozzos. Seine stimmige Perspektive war jedoch unter der Kuppel, an einem zentralen, magischen Ort in der Kirche. Dass die spätere »Generation iPhone« die Welt hauptsächlich aus der Ich-Perspektive wahrnehmen werden, statt auf Erleuchtung zu hoffen, hätte Pozzo wohl nicht verstanden.

Heute, wo quasi jeder Mensch ein Künstler, Fotograf und Kommentator seiner eigenen Wirklichkeit ist, wo jeder dank seines Smartphones binnen Sekunden ein Video von jeder erdenklichen Situation herstellen kann, erscheint uns diese Ich-Perspektive, durch die wir das Leben betrachten, völlig selbstverständlich. Ich fotografiere, also bin ich. Es ist heute weit verbreitet, dass gar nicht mehr das Gegenüber oder eine Landschaft gefilmt wird. Auf vielen Fotos, die die Leute posten, sind nur noch sie selbst drauf.

Kein Selfie mit Gott

Das Ich wird zum ultimativen Standpunkt einer engen Weltsicht. Selfie vor dem Reichstag, Selfie am Flughafen, Selfie vor einer Reisekulisse, Selfie im Restaurant mit einer Freundin, Selfie mit dem Papst. Ich als Zentrum des Universums. Wurden früher Herrscher, Götter und Gelehrte in der bildenden Kunst dargestellt oder perfekte Körper von Athleten wie bei den alten Griechen, ist nun der Otto Normalverbraucher mit oder ohne Wampe in seiner Unvollkommenheit Darstellungsobjekt Nummer 1. Bereits der Begriff »Selfie« sagt viel über unsere Ich-verliebte Gesellschaft aus.

Dass diese Sichtweise einer narzisstischen, Ich-zentrierten Gesellschaft einen Einfluss auf die Gesprächskultur hat, leuchtet ein. Denn die Sichtweise des anderen zu verstehen, muss trainiert werden wie ein Muskel. Auf das Gegenüber einzugehen, verlangt, ihn zu kennen, zu verstehen und andere Perspektiven zu tolerieren.

Ein Beispiel aus der Typologie illustriert, wie entscheidend diese Fähigkeit für alle Gespräche ist. Jeder kennt die Gewohnheiten seiner Kollegen, wenn sie morgens ins Büro kommen. Der eine arbeitet gerne ab sieben Uhr in der Früh und hat seine Ruhe, bevor sich alle in der Kaffeeküche versammeln und die News austauschen. Andere kommen später, steuern direkt auf die sich austauschenden Kollegen zu. Mein ehemaliger Vorgesetzter gehörte zu den Frühaufstehern. Sein Tag war perfekt, wenn er um sieben bereits gelaufen war und dann im Büro in Ruhe ab halb acht oder acht (Wann genau, weiß ich nicht, um die Zeit war ich nie da.) lesen konnte. Eines Tages bekamen wir einen neuen Kollegen im Team. Wann immer er kam, war sein Mitarbeiter schon da. Wann immer er ging, der Kollege saß noch immer dort. Mein Chef wurde um eines seiner liebsten Rituale beraubt: alleine im Büro sich einen Kaffee zu kochen, noch bevor seine Sekretärin und später alle Kollegen kamen und in Ruhe den Tag angingen. Ich bin überzeugt, dass der neue Kollege damit Eindruck schinden wollte und er gleichzeitig keinerlei Ahnung hatte, wie sehr die permanente Anwesenheit den Chef störte. Es kommt eben stets darauf an, aus welcher Perspektive man eine Sache beurteilt.

Sie werden sich vielleicht gefragt haben, warum ich das Wort »Kunst« im Titel verwende. Gespräche führen könne doch wohl jeder. Das ist natürlich zutreffend. Die Kunst jedoch, ein Gespräch gelingen zu lassen, beherrschen wir nicht automatisch. Hier spielen unterschiedliche Aspekte eine Rolle, die zusammengenommen ein Kunstwerk ergeben, wenn auch ein flüchtiges. Denn beide können sie eine große Wirkung hinterlassen.

Mein Metier als Journalistin erlaubt es mir, täglich mit Sprache umzugehen. Die Macht der Worte, die Einflussmöglichkeiten, die wir mit Sprache auf die Wahrnehmung und die Weltsicht von Menschen nehmen, hat mich schon immer fasziniert. Meine Diplomarbeit an der Universität Heidelberg, die ich 1990 im Fach Linguistik geschrieben habe, befasste sich bereits mit der Analyse politischer Reden des konservativen französischen Politikers Jacques Chirac. Der Kampf um Worte, den er sich mit dem damaligen sozialistischen Präsidenten Mitterand um zentrale Begriffe wie Freiheit, Gleichheit, Nation, Solidarität und Familie lieferte, war erbittert.

Die Macht der Sprache kann politische Stimmungen kippen und Wahlen entscheiden. Ein falsches Wort, und ein Politiker sieht sich großen Protesten gegenüberstehen, wie damals Guido Westerwelle mit seinem Begriff der »spätrömischen Dekadenz«. Ob eine Welle von Flüchtlingen das Land überflutet oder nur einzelne Gruppen von Migranten zu uns kommen, wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Was zeichnet Begriffe wie Gastarbeiter,Ausländer,Flüchtling, Migrant aus? Wann stellen wir uns hinter eine Sache, wann gegen sie? Begriffe können uns lenken, denn sie bezeichnen unsere Wirklichkeit. Wie wir denken, was wir fühlen, wird von Worten beeinflusst. Ein Stichwort kann Türen öffnen, ohne dass wir es vorher wissen.

Bei mir lösen die Worte »Südfrankreich«, »Toscana«, »Starnberger See« und »Ammersee« wohlige Gefühle aus, und ich kann Ihnen auf Anhieb diejenigen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis aufzählen, denen es genauso geht. Bei aller Begeisterung für meine Heimatstadt Berlin frage ich mich oft, wenn ich in einem der wunderschönen, verträumten brandenburgischen Seen im Sommer schwimme: Und wo sind jetzt die Berge? Wieso haben sie hier keinen Steg hingebaut, und wo bitte schön geht’s hier zum Biergarten?

Ob für den einen die Berge am Horizont fehlen oder andere das flache Land schön findet, ist eine Frage der Perspektive, der Gefühle, die sich im Laufe der Zeit einprägen. Diese Gefühle färben Begriffe mit Emotionen ein, sodass die Worte wiederum diese Gefühle in uns auslösen können. Ein hochkomplexer Kreislauf aus Begriffen, Gefühlen und Gedanken, über den Sie etwas mehr erfahren, wenn Sie die folgenden Seiten gelesen haben.

Sprache und Gespräche in der Evolution

Die Urvölker versammelten sich um das Feuer, teilten ihre Nahrung und erzählten sich Geschichten. Sie suchten das Gespräch, um zu überleben. Wo lauern die Feinde, wie gefährlich ist der Säbelzahntiger, wo finden wir die Beute, wer darf mit wem eine Familie gründen, wer ist der Chef?

Erste Zeichnungen aus der Höhle von Lascaux in der französischen Dordogne, die zu den ältesten Kunstwerken der Menschheitsgeschichte zählen, zeigen hauptsächlich Tiere. Die Zeichnungen entstanden vermutlich 15 000 bis 17 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Die Malerei zeigt Hirsche, Stiere (beides Beute), Bären, Raubkatzen (beides Feinde) und Wildpferde (Nutztiere). Worüber sich die Menschen früher unterhalten haben, welche Informationen für sie überlebenswichtig waren, zeigen die Zeichnungen von Lascaux auf eindrucksvolle Art und Weise.

Darwinismus am Konferenztisch

Diese Fragen unserer Vorfahren haben sich im Laufe der Jahrtausende nicht inhaltlich, sondern höchstens in der Form verändert. Jeder Angestellte im mittleren Management stellt sie sich heute noch, um in einem Konzern zu überleben. Wer ist mein Feind? Wie kann ich ihn am besten bekämpfen? Konkurrenz in Unternehmen statt Kooperation – ganze Heerscharen an Beratern verdienen Geld damit, zerstrittene Teams wieder zusammenzubringen oder neu zu organisieren. Der Begriff »Beute« aus dem Urzeit-Szenario lässt sich mit »die besten Projekte«, »die besten Aufstiegschancen«, »die nächste Gehaltserhöhung« auf die Jetztzeit übertragen. Die Angestellten sitzen dabei aber nicht am Feuer und bilden eine einheitliche Gruppe, die gemeinsam ums Überleben kämpft. Vielmehr sitzen alle an Konferenztischen mit Besprechungskeksen und belauern sich gegenseitig. In der Politik finden die Kämpfe oft über die Medien statt. Ein Interview zur Nachrichtenprimetime oder eine Zeile bei Twitter kann den Gegner, gern auch aus der eigenen Partei, abkanzeln und bloßstellen. Doch erst die Kooperation macht Gruppen erfolgreich.

Mangelnde Kommunikation im Beruf

Viele Menschen wissen zwar genau, wie sie den nächsten Konflikt vom Zaun brechen können, aber nicht, wie sie ihn wieder beheben. Mangelnde Wertschätzung, Herabwürdigung, Überforderung, fehlende Information über die Lage im Job schüren die Unzufriedenheit von Mitarbeitern und machen für Burnout anfällig. Die Zahlen für Krankschreibungen und Ausfallzeiten im Job haben sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht. Dies gilt für alle Branchen. Eine neue Kommunikationskultur in Firmen ist hier vonnöten. Vorgesetzte, die Gespräche führen können, die Konflikte entschärfen und ein gute Kultur des Austausches herbeiführen, sind eine absolute Seltenheit. Wir haben nicht nur das Interesse am Gegenüber verloren. Kommunikation findet heute oft nicht mehr mit einem realen Gegenüber statt, sondern am Telefon, per Mail, oder in sozialen Netzwerken.

Bis im 19. Jahrhundert das Morsen und das Telefon erfunden wurden, gehörte zu einem Gespräch immer ein anwesendes Gegenüber, dessen Gestalt, Gesicht und Stimme präsent waren. Mit der Erfindung des Telefons konnten wir erstmals miteinander sprechen, ohne Augenkontakt zum Gegenüber herzustellen, ohne die Gestik und Mimik des anderen zu sehen. Und auch, ohne ihn berühren zu können, und sei es nur kurz zur Begrüßung.

Empathie, das Mitfühlen und Mitschwingen mit einer anderen Person, hat eine andere Intensität, wenn wir jemandem persönlich gegenübersitzen. Empathie können wir auch am Telefon erfahren oder jemand anderem zeigen. Der Unterschied ist in etwa so, als würde jemand Spaghetti Bolognese frisch zubereiten oder eine Tütenbolognese anrühren.

Social Media: ohne Stimme auf die Stimmung schließen

In Zeiten von Social Media fällt für einen Informationsaustausch oder Chat auch noch die Stimme weg, die uns etwas über die Gestimmtheit des Gegenübers verraten könnte. Facebook, Snapchat, Twitter oder WhatsApp sind kein Gespräch im klassischen Sinne. Welche Bedeutung dies langfristig für unser Zusammenleben hat, weiß niemand. Vielleicht sind wir uns alle näher, oder wir sind uns ferner. Oder beides zur gleichen Zeit.

Eine Freundin, die eine Praxis für Schüler-Coaching betreibt und am Gymnasium Kunst unterrichtet, berichtete mir, dass Schüler ihr oft erzählen, ihre Eltern hätten keine Zeit, sich mit ihnen zu unterhalten. Abends säßen sie mit gezücktem Smartphone am Tisch, beschäftigt mit ihrer Arbeit oder anderen privaten Kontakten. Jedoch ohne Aufmerksamkeit für die Familie. Kleine Kinder mögen noch bereitwillig erzählen, wie es in der Schule war. Mit Kummer rücken sie schon oft viel zögerlicher heraus. Wer halbwüchsige Teenager im Haus hat, weiß, dass man manchmal tagelang wartet, um ins Gespräch zu kommen. Nur mit viel Geduld erfährt man, was das Teenagerherz erfreut und was es bedrückt. Zurückhaltende Präsenz, Empathie, Aufmerksamkeit, Vertrauen in ihre Fähigkeiten, ein erster Eindruck von ihren Freunden und Zeit sind Faktoren, die in dieser Phase wichtig sind.

Manchmal gehe ich mit meinem Mann zwei Stunden im Wald oder am Strand spazieren, bevor wir uns etwas sagen können, was uns auf der Seele brennt. Es sind diese Gespräche, die uns eng verbinden und unsere Liebe lebendig halten. Hier treffen wir weitreichende Entscheidungen, schmieden Pläne, besprechen, was uns beschäftigt. Wir entwirren Probleme und entwickeln Perspektiven. Genau hier wächst eine große Gemeinsamkeit.

Kapitel I

Grundlagen – Was wir für ein gutes Gespräch brauchen

1. Vertrauen

Das Fundament unserer Beziehungen

Die Grundvoraussetzung dafür, dass sich jemand einem anderen Menschen öffnet, ist gegenseitiges Vertrauen. Dies gilt für berufliche wie private Situationen. Ein Gespräch, das zu einem guten Ergebnis führen soll, basiert auf der Erfahrung oder dem Gefühl der Gesprächsteilnehmer, dass das Gegenüber vertrauenswürdig ist. Was ist der Stoff, aus dem Vertrauen entsteht?

Vertrauen lässt sich nicht einfordern, es wird einem geschenkt. Ob jemand vertrauenswürdig ist oder nicht, entscheidet das Gegenüber aus den gemachten Erfahrungen und seinem Instinkt. Der Verstand entscheidet maßgeblich mit und überprüft, wie hoch die Vertrauenswürdigkeit einer Person einzuschätzen ist. Dabei spielt eine Rolle, wie sich jemand in der Vergangenheit etwa geschäftlich verhalten hat, wie seine Kontakte und Geschäftsbeziehungen sich entwickelt haben. Vertrauensvolle Beziehungen können über Jahre wachsen. Wer das Glück hat, zu einem alten Schulfreund aus Kindertagen Kontakt zu haben, weiß, wie wertvoll und belastbar so eine Beziehung ist. Man kennt sich ein Leben lang, ist verbunden, und hat oft einige Härtetests überstanden.

Eine Gruppe von Freundinnen, die in einer Stadt studiert hat, verbindet bereits eine 20-jährige Freundschaft. Die Frauen wohnen inzwischen in verschiedenen Städten, einige haben geheiratet und Familien gegründet, andere leben alleine. Die Wege der Freundinnen könnten nicht unterschiedlicher verlaufen, dennoch verbindet sie jahrelanges Vertrauen. Es schafft Wohlwollen für die jeweilige Lebenssituation und lässt auch über so manche Macke hinwegsehen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten finden sie immer wieder zu einer Basis zurück, die unerschütterlich ihre Freundschaft zusammenhält.

Wenn die Chemie stimmt

Manchmal entsteht Vertrauen auch aus dem Moment heraus. Viele kennen die Situation, dass wir auch mit einer fremden Person ins Gespräch kommen und über persönliche Themen sprechen, wenn die Chemie stimmt. In so einem Augenblick kann der Blitz zwischen zwei Menschen einschlagen. Diese Momente sind kostbar und rar.

Gute Bindungen entstehen im Kindesalter

Vertrauen gedeiht nicht im luftleeren Raum. Vielmehr gibt es Menschen, die eher die Gabe haben zu vertrauen, als andere. Florian Holsboer, der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und Vorsitzender der Geschäftsführung der Holsboer-Maschmeyer Neurochemie, hat herausgearbeitet, dass die Fähigkeit zu vertrauen, maßgeblich von der genetischen Prägung und von biografischen Erlebnissen abhinge, also davon, ob wir in den ersten Lebensjahren gute, sichere Bindungen aufbauen konnten. Daraus lässt sich ableiten, dass jemand, der früh gute Bindungserfahrungen gemacht hat, ein Leben lang besser vertrauen kann als jemand, dem dies fehlt.

Prägung für gute Bindungen

Dieser Prozess ist jedoch keine Einbahnstraße, wie Bindungsforscher herausgefunden haben. Ob ein Mensch überhaupt dazu fähig ist, Liebe und Mitgefühl zu empfinden, entscheidet sich zum großen Teil früh im Leben, davon ist etwa der Hirnforscher Gerhard Roth überzeugt. Der Neurobiologe von der Universität Bremen hat jahrelang erforscht, wie menschliche Bindungen entstehen, wie sich Persönlichkeitsmerkmale wie etwa Vertrauen ausprägen und sich in Kindheit, Jugend und der weiteren Biografie verfestigen.

Bereits im Mutterleib, in den ersten Monaten bis etwa zum dritten Lebensjahr wird im Gehirn des Säuglings ein vorläufiges Bindungsmuster programmiert. Durch die Nähe und den feinfühligen Umgang, zum Beispiel durch eine rasche Befriedigung der Bedürfnisse des Säuglings durch die Bezugsperson, entsteht die Urbindung: das Urvertrauen. Auf neurobiologischer Ebene wird dabei auch die Ausbildung von Oxytocin-Rezeptoren gesteuert, den Andockstellen für das Kuschelhormon. Ist das Grundvertrauen einmal da, kann das Kind auch mit kleinen Enttäuschungen umgehen. Zum Beispiel, dass die Mutter nicht jede Sekunde verfügbar sein kann. Die frühen Bindungserfahrungen spiegeln sich neurobiologisch in den Oxytocin-Schaltkreisen wider. Wer viel Vertrauen erfährt, bildet mehr Oxytocin-Rezeptoren, als derjenige, der wenig vertrauensvolle Zuwendung und Berechenbarkeit erfährt.

Resilienz entsteht

Dieses früh erlangte Urvertrauen verleiht der kindlichen Persönlichkeit eine Widerstandskraft (Resilienz), die ihm in der Regel zeit seines Lebens erhalten bleibt. Bindungsverhalten ändert sich je nach Erfahrung im Verlauf der Kindheit und Jugend. Obwohl mit der Elternbindung schon die Weichen gestellt sind, ist im weiteren Verlauf der Kindheit noch Raum für Gestaltungsspielraum: Gute Bezugspersonen in Kindergarten, beim Sport, im Chor, der Nachbarschaft oder in der Schule können das Vertrauen in die Welt beim Kind fördern, auch wenn das Elternhaus nicht optimal auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht. Traumatische Erlebnisse wie Todesfälle, Enttäuschungen oder gebrochene Herzen bergen aber auch ein Risiko. Das Bindungsverhalten kann durch solche negativen biografischen Brüche nachhaltig gestört werden, sind sich Psychologen einig.

Genetische Prägung eines Traumas

Dabei spielt bei der Verarbeitung von solchen Stresssituationen auch die genetische Ausstattung eine Rolle. Ein frühkindliches Trauma beispielsweise kann dauerhafte Spuren in den Genen hinterlassen. Aber nur, wenn die Betroffenen eine bestimmte genetische Veranlagung dafür haben. Ob jemand also eine Anfälligkeit für Stress hat, bestimmen maßgebliche seine genetischen Anlagen. Erst durch das Zusammenwirken von Genen und Umwelt werden bestimmte Schalter in unserer Erbsubstanz umgelegt. Ein Stress-Gen, das der Psychiater Florian Holsboer in diesem Zusammenhang untersucht hat, ist das FKBP5-Gen. Veränderungen auf diesem Abschnitt des Erbguts können die Wirkung solcher Traumata negativ beeinflussen. Die Konsequenz ist eine Fehlsteuerung der Stresshormone – möglicherweise ein Leben lang. Die Traumatisierung in früher Kindheit kann zum Beispiel durch Missbrauch, Isolierung, Misshandlung, einen Unfall oder psychische Gewalt passieren. Durch das Trauma entstehen psychische Narben, aber eben nur, wenn man diese bestimmte genetische Variante hat, die einen dafür anfällig macht.

Als Resultat gerät das Stresshormonsystem durcheinander, es reagiert über. Das Trauma bewirkt, dass sich kleine Moleküle auf der Erbsubstanz festsetzen. Sie verändern die Aktivierbarkeit von Genen und dramatischerweise auch die Art, wie wir auf Stress reagieren. Statt gelassen, reagieren wir auf psychischen Stress, Druck oder bedrohliche Situationen besonders stark, etwa mit Wutausbrüchen oder Aggressionen. Dies verändert das Verhalten der Betroffenen in Beruf und Familie. Früher Stress kann Auswirkungen auf all unsere Gespräche haben, und dazu führen, dass wir später unter Anspannung die Fassung verlieren und nur noch rotsehen. Solch ein Wutausbruch am Arbeitsplatz kann äußerst karriereschädigend sein. Wer sich nicht im Griff hat, hat in den Augen der Kollegen auch die geschäftliche Situation nicht gut unter Kontrolle.

Die Wutprobe

Dies lässt sich gut an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Manager in einer hohen Position galt als strategisches Führungsgenie. Eine Firma berief ihn in den Vorstand eines international agierenden Unternehmens. Von Anfang an war der Finanzvorstand für ihn ein rotes Tuch. Bereits sein Anblick löste bei dem Manager Aggressionen aus, die er nicht einzuordnen vermochte. Wie kein anderer konnte der Finanzvorstand bei ihm Knöpfe drücken, die ihn an den Rand der Selbstkontrolle brachten – und darüber hinaus. Immer wieder gerieten die beiden Streithähne aneinander. Der Manager, der schon viele schwierige Entscheidungen getroffen hatte und dessen Weg stets nach oben zeigte, geriet unter Stress wie nie zuvor. Erst mit Hilfe eines Freundes konnte er ergründen, warum ihn der Mann so auf die Palme brachte. Der Gegenspieler versuchte ständig, ihn bloßzustellen und vor den anderen zu erniedrigen. Darauf reagierte er mit unkontrollierbarer Wut. Als ihm dies klar wurde, war er für die nächsten Sitzungen gewappnet. Er übte Selbstkontrolle und versuchte, seine überkochenden Emotionen zu regulieren. Um kurz- und mittelfristig Aggressionen abzubauen, ging er einmal pro Woche zum Boxtraining und regelmäßig Laufen. Das Ausdauertraining beruhigte seine Nerven, er wurde ausgeglichener.

Stress, Bindung und Empathie

Frühe Traumata, wissen Mediziner heute, erschweren eine sichere Bindung, sie können verhindern, dass sich das Gefühl von Urvertrauen im Kind wie ein warmer, wohliger Teppich ausbreitet, auf dem man stets weich landet. Forscher haben herausgefunden, dass eine sichere Bindung dabei hilft, Empathie aufzubauen, über Emotionen zu sprechen und etwa negative emotionale Situationen in dem Leben anderer Menschen zu verstehen.

Studien haben ergeben, dass eine einzige sichere Bindungsperson ausreicht, um es einem Menschen zu ermöglichen, ein sicheres Bindungssystem aufzubauen und später flexibel auf verschiedene soziale und emotionale Herausforderungen zu reagieren. Diese Bindungsperson schafft über einen Kreislauf an Hormonen, das Gehirn auf kommende Herausforderungen wie Stress gut vorzubereiten. Wer allerdings permanent in seiner frühen Kindheit Stress ausgesetzt ist, wie beispielsweise viele der Flüchtlingskinder, die zu uns gekommen sind, wird in Zukunft auch intensiver auf Stress von außen reagieren.

Die Neurobiologie des Vertrauens

Eine gute Beziehung, enge Bindungen und hormonelle Wirkzusammenhänge, die unser Denken und Fühlen beeinflussen, spielen bei der Bildung von Vertrauen eine entscheidende Rolle. Doch woraus besteht der Stoff, der Vertrauen schafft? Das Freiburger Forschungsteam des Psychologen Markus Heinrichs, einem der führenden Oxytocin-Forscher Deutschlands, fand heraus, dass der Botenstoff Oxytocin, das Bindungs-, Treue-, Kuschelhormon, uns vertrauensselig macht. Botenstoffe sind chemische Substanzen im Körper, mit denen unsere Zellen kommunizieren. Sie regulieren die Körperfunktionen wie den Blutdruck, steuern unser Denken, Fühlen und Handeln. Heinrichs zeigte 2005 in einer Publikation im Fachblatt Nature erstmals, dass Probanden, denen ein Nasenspray mit Oxytocin verabreicht wurde, eher Vertrauen fassten als Menschen, die ein Placebo, also eine Scheinsubstanz, bekamen. In dem Experiment sollten die Versuchspersonen anderen Menschen einen Kredit zubilligen oder ihnen den Kredit verweigern. Probanden, die unter Oxytocin-Einfluss standen, vertrauten den potenziellen Kreditnehmern eher.

Dieses Forschungsergebnis löste damals eine Welle der Begeisterung in der wissenschaftlichen Community aus. Nie zuvor war es gelungen, Vertrauen per Medikation zu erzeugen. Plötzlich wollte jeder das Hormon erforschen. Der Körper schüttet in verschiedenen Momenten Oxytocin im Gehirn aus, etwa bei einer kurzen Berührung, einer Umarmung oder beim Orgasmus. Die Nervenzellen signalisieren Glück bis hin zur Ekstase. Mütter werden beispielsweise von dem Botenstoff durchflutet, wenn sie ihren Säugling stillen. Die Natur hat diesen Bindungsbooster offenbar erfunden, um Menschen, die sich nah sind, chemisch aneinanderzukoppeln, damit sie sich vertrauen.

Treue entsteht, wenn die Chemie stimmt

2013 veröffentlichte der Wissenschaftler René Hurlemann von der Universität Bonn eine Studie, nach der Männer, denen das Oxytocin-Nasenspray verabreicht wurde, treuer sind. Ihr Belohnungszentrum leuchtete bei einer Testreihe mehr auf, wenn sie ihre eigene Partnerin sahen. Die Zweierbindung und Monogamie wird durch das Hormon gestützt. Viel zärtliche Berührung und Sex stärkt demnach die Beziehung und das Vertrauen in den Partner und schützt so vor dem Treuebruch. Was Sexexperten lange schon wussten, konnte nun auch neurobiologisch untermauert werden.

Berührungen schaffen Gleichklang

Diese Art von Forschung ermöglichte Kommunikationsexperten folgende Erkenntnisse: Vertrauen etabliert sich unter anderem durch neurobiologische Schaltkreise bei Menschen, die sich körperlich nahe sind. Bei funktionierenden Eltern-Kind-Beziehungen und bei Liebespaaren schafft der Botenstoff Oxytocin die Vertrauensbasis. Vorausgesetzt, die Beziehung zwischen diesen Personen ist gut, sind Gespräche zwischen ihnen von Vertrauen geprägt.

Wahlverwandtschaften – enge Bande im Freundeskreis

Eine enge Beziehung und Nähe unter Freunden entsteht ebenfalls unter dem Einfluss des Wohlfühlhormons Oxytocin. Gute und langjährige Freunde schätzen wir dann als vertrauenswürdig ein, wenn sie uns über die Jahre zur Seite gestanden haben. Selbst kleinere Enttäuschungen können überwunden werden und das Vertrauen weiter wachsen. Wenn Teenager dauernd Messages über Snapchat, Instagram oder WhatsApp austauschen, werden ihre Gehirne ebenfalls mit Oxytocin überflutet. Dieser Wohlfühleffekt erklärt auch, warum ihnen das Smartphone so wichtig ist. Es ist nicht anders als in den 1980ern, als die Mädchen, kaum aus der Schule gekommen, sofort ihre Freundinnen anriefen, um stundenlang mit ihnen am Telefon zu sprechen. Oder als die Jungs sofort auf die Straße rannten, um mit den Nachbarjungs Fußball zu spielen. Heranwachsende wollen immer noch mehr Kommunikation, denn sie sind erst dabei, diese guten Gefühle außerhalb der Familie zu entdecken. Dies bildet die Grundlagen für Vertrauen in späteren Erwachsenenbeziehungen. Mit den Gleichaltrigen zu kommunizieren versetzt ihre Gehirne in einen rauschhaften Glückszustand. Dabei fluten ähnliche Botenstoffe die Nervenzellen, wie bei einem Drogenrausch. Sie zu ermahnen, sie sollten weniger Messages schicken und ihre Nasen mehr in die Chemie- oder Mathebücher stecken, wäre womöglich ebenso wenig erfolgreich, wie einem männlichen Kaninchen zu erklären, es solle weniger Sex haben. Hier spielen tief verankerte Instinkte eine Rolle und weniger die Ratio.

Vertrauen ist also keine reine Angelegenheit der Denkfähigkeit, sondern entsteht automatisch im Laufe der Zeit. Jedoch nur, wenn die richtigen Außenbedingungen bestehen.

Türöffner beim Gegenüber

Ob jemand eher einem anderen Menschen vertraut oder nicht, beeinflusst ein Gespräch maßgeblich. Wer misstrauisch ist, im Kontakt nichts von sich preisgibt, erzeugt beim Gegenüber instinktiv das Gefühl, dass hier Vorsicht geboten ist. Wer eher vertraut, findet leichter Zugang und Kontakt zu seinem Gegenüber. Dies verdeutlicht auch das folgende Beispiel.

Zwei langjährige Kollegen, die bei einem Elektrounternehmen arbeiteten, verstanden sich blendend. Sie reisten viel geschäftlich zusammen ins Ausland und bildeten mit anderen Kollegen ein erfolgreiches Team. Darüber hinaus tauschten sie sich auch über ihr Privatleben aus. Nach vielen Jahren kündigte der eine. Doch auch nach dem Wechsel telefonierten sie regelmäßig und trafen sich weiter. So erfuhr der im Unternehmen verbliebene Kollege frühzeitig vom Ausscheiden eines hochrangigen Managers, und konnte dieses Wissen für sich nutzen. Er bewarb sich auf die Stelle.

Ohne Vertrauen ist der Austausch unter Kollegen nicht denkbar. Es war in diesem Sinne die Währung, die beide für ihre Netzwerke nutzten. Sie basierte auf der langjährigen Offenheit und dem Austausch von privaten Informationen. Ein misstrauischer Mensch hätte den Kontakt zu seinem ehemaligen Kollegen auslaufen lassen. Er hätte dann womöglich nicht so frühzeitig von dem Wechsel im Management erfahren.

Verloren gegangenes Vertrauen wiederherstellen

Die meisten Menschen wissen, wie sie Vertrauen auf- und ausbauen können, ohne darüber nachzudenken. Die Fähigkeit, zu vertrauen, ist angeboren und verfestigt sich in den ersten Lebensjahren. Regelmäßige Treffen, gute Gespräche, eine kleine Aufmerksamkeit oder einen Anruf zum Geburtstag vertiefen die Beziehung. Nur wenige wissen jedoch, wie sie verloren gegangenes Vertrauen wieder aufbauen können. Ein Bruch in der Beziehung, der entsteht, wenn wir getäuscht oder betrogen werden, stellt uns auf die Probe. Entweder ziehen wir uns aus dieser Beziehung emotional zurück oder wir versuchen, sie wieder zu kitten. Dabei spielt das Gespräch über den Vertrauensbruch eine wesentliche Rolle, wie das folgende Beispiel zeigt.

Kalt erwischt

Ein Kollege plante hinter dem Rücken seines Stellvertreters, in ein anderes Unternehmen zu wechseln. Wochenlange Gespräche über die Bedingungen seines neuen Arbeitsvertrags gingen dem Wechsel voraus. In dieser Zeit hoffte der Stellvertreter selbst, befördert zu werden. Doch sein Ansinnen stieß bei seinem Vorgesetzten auf taube Ohren. Er wusste nur nicht, warum. Während dieser damit beschäftigt war, selbst in eine bessere Funktion bei einer anderen Firma zu kommen, ließ er das Anliegen seines Stellvertreters auf Eis liegen, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen. Erst als der Chef schließlich kündigte, realisierte der Kollege, warum in seiner Angelegenheit nichts vorangegangen war. Er war tief enttäuscht. Nach einiger Zeit konnten beide jedoch vertrauensvoll darüber sprechen. Der einstige Chef warb um Verständnis dafür, dass er den Wechsel in eine andere Firma für sich behalten hatte, solange der Vertrag noch nicht geschlossen war.

Vertrauensvolle Bindungen machen glücklich

Vertrauen aufzubauen und zu erhalten ist eines unserer großen Lebensziele. Denn Bindungen schaffen Glück. Gute Beziehungen beruhen auf dem gegenseitigen Interesse aneinander, auf Toleranz, auf gemeinsamen Erfahrungen, und Zugewandtheit. Sie existieren nicht automatisch für immer, sondern müssen gepflegt werden. Gemeinsame Treffen, Austausch, Fairness sowie das Interesse und die Teilnahme am Leben des Gegenübers sind eine Voraussetzung.

Als störend empfinden wir Misstrauen, Neid, Lügen, Einseitigkeit in der Beziehung, wenn einer stets mehr gibt als der andere. Hinderlich ist ebenfalls, wenn einer übermäßig die Kontrolle über die Beziehung haben möchte oder für sich beansprucht, überlegen zu sein.

Bindungen die Vertrauen schaffen

Wenn die Wellenlänge zwischen Menschen stimmt, bilden sich unter Einfluss des Botenstoffs Oxytocin Vertrauensverbindungen im Gehirn. Diese schaffen ein gutes Grundgefühl der Übereinstimmung mit dem Gegenüber. Auf dieser Basis können Gespräche bei familiären Konflikten, Scheidung, Erbangelegenheiten oder einer Problematik im Beruf gelingen. Auch im Geschäftsleben können die Gesprächspartner, die ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben, schnell Einigkeit über einen Sachverhalt erzielen, da sie ein gemeinsames Interesse und Fairness voraussetzen.

2. Empathie

Auf einer Wellenlänge mit unserem Gegenüber

Neben dem Vertrauen in andere Menschen ist die Fähigkeit, sich in die Gefühle, Gedanken und Sorgen eines anderen hineinversetzen zu können, eine wesentliche Voraussetzung für gute Kommunikation und Beziehungen. Der Unternehmer Henry Ford vertrat die Auffassung, dass hier der Schlüssel für jegliches berufliches Vorankommen liegt: »Wenn es überhaupt ein Geheimnis des Erfolgs gibt, besteht es in der Fähigkeit, sich auf den Standpunkt des anderen zu stellen und die Dinge ebenso von seiner Warte aus zu betrachten wie von unserer.«

In Zeiten von weit verbreiteter Egozentrik ist diese Qualifikation jedoch in den Hintergrund geraten, sind sich Experten einig. Wir brauchen mehr Empathie, um die immer komplexer werdende Umwelt zu verstehen und miteinander sinnvoll kommunizieren zu können. Auch aus diesem Grund gibt es in der internationalen Forschung eine Flut von Veröffentlichungen zum Thema Empathie.

Sich in die Haut des anderen versetzen

Der Begriff Empathie stammt aus dem Griechischen: »empatheia« und bedeutet »Einfühlung«. Aufgrund bestimmter Nervenzellen im Gehirn, den Spiegelneuronen, vermögen wir nachzuvollziehen, was im Kopf und in der Gefühlswelt des anderen vor sich geht. Diese Neuronen spiegeln das Denken und die Emotionen der anderen. Statt einen Umstand rein mit unseren Augen zu betrachten, versuchen wir uns auf den Stuhl des anderen zu setzen und die Situation aus seinem Blickwinkel zu stehen.

Ein Beispiel zeigt, was dies konkret bedeutet: Der 45-jährige Heiner aus Essen war seit einiger Zeit in verschiedene juristische Prozesse verwickelt. Eine Scheidung, ein Autounfall sowie ein ärgerliches Verfahren mit dem Vermieter über defekte Holzböden verkomplizierten sein ohnehin nicht unbeschwertes Leben. Heiner war arbeitslos geworden und verfügte über wenig Geld. Er sah seine Kinder immer seltener und fühlte sich seit Wochen niedergeschlagen. Seine langjährige Bekannte Britta bemerkte dies und lud ihn zum Abendessen ein, um sich einen Überblick über die Situation zu machen. Regelmäßig sprach sie mit Heiner über den Fortgang der Prozesse. Allein die Tatsache, dass er ihr immer wieder seine Schriftsätze schicken konnte, half ihm sehr, da er sich mit dem verklausulierten Juristendeutsch nicht gut auskannte.

Britta reagierte empathisch auf die Überforderung ihres Bekannten. Sie versetzte sich in seine Lebenslage und verstand, dass die verschiedenen Prozesse ihn über die Maßen in Stress versetzen. Statt sich auf den Standpunkt zu stellen, dass die juristischen Angelegenheiten nur ihn allein etwas angingen, kümmerte sie sich um ihn und griff ihm mit ihren Einschätzungen unter die Arme. Er war mit seiner Situation nicht alleine.

Empathie wirkt lebendig und menschlich