Die Kunst zu trösten - Philipp Müller - E-Book

Die Kunst zu trösten E-Book

Philipp Müller

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Beschreibung

Welches gute Wort hilft einer Frau weiter, deren Mann nach vielen gemeinsamen Jahren gestorben ist? Was tröstet einen Kranken, der eine schlimme Diagnose erhalten hat? In solchen Situationen ist es nicht leicht, den richtigen Ton zu treffen, ohne in irgendwelche Floskeln zu verfallen. Philipp Müller fragt, was bei der Kunst zu trösten hilfreich ist und was nicht. Auf dem Hintergrund der jüdisch-christlichen Tradition geht es ebenso um die Frage, was es mit dem Trost auf sich hat, den der "Tröster-Gott" schenkt, und wie dies mit menschlichen Trostbemühungen zusammenhängt. In ignatianischer Perspektive sind die Empfindungen von Trost und Trostlosigkeit ein Kompass bei Entscheidungen und in der Lebensgestaltung.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Philipp Müller

Die Kunst zu trösten

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Stefan Hofmann SJ

Band 88

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Philipp Müller

Die Kunst zu trösten

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2020 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05539-4

978-3-429-05111-2 (PDF)

978-3-429-06498-3 (ePub)

Inhalt

Hinführung

1. Trösten – eine vermessene Aufgabe?

Die Warum-Frage und religiös verbrämter Trost

Der Trostversuch der Ijob-Freunde

Die Shoa und die Sinnlosigkeit des Leidens

Elie Wiesel und »Der Prozess von Schamgorod«

Die persönliche Not vor Gott ins Wort bringen

Echter und falscher Trost, Trost und Vertröstung

»… trotzdem Ja zum Leben sagen«

2. Was beim Trösten helfen kann

Wer kann trösten – wo und wann?

In der Begegnung präsent sein

Nähe und Distanz

Trauernde trösten

»Ich glaube, ich bin ein schlechter Tröster« (D. Bonhoeffer)

»Wenn ihr ein Wort des Trostes habt …«

Das Trostwort als Intervention

Humor beim Trösten

3. Wenn Gott tröstet

Vertrauen als elementare Haltung

Der Impuls Karl Rahners

Trost durch ein Wort der Schrift

Trost durch die Sakramente

Trost an besonderen Orten

Trost durch religiöse Lieder

»Von guten Mächten treu und still umgeben«

4. Die ignatianische Perspektive: Ganz bei Trost sein

Trost und Trostlosigkeit als Leitfaden der Exerzitien

Zwei Zeitgenossen: Ignatius von Loyola und Martin Luther

Die Haltung der »Indifferenz« als Ausdruck innerer Freiheit

Regeln zur Unterscheidung

Das Größte aber ist die Liebe

Die unterscheidend-kluge Liebe des Ignatius

Literaturhinweise

Hinführung*

Jemanden trösten zu wollen, dessen Leben plötzlich aus den Fugen geraten und dem der Boden unter den Füßen weggebrochen ist, ist alles andere als leicht. Deshalb fühlen sich Menschen nicht selten unsicher und hilflos, wenn sie fremdem Leid begegnen und es durch gute Worte lindern möchten. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit ist berechtigt. Missglückte Trostversuche gibt es zuhauf, setzt doch Trösten ein gutes Maß an Einfühlungsvermögen und Intuition voraus. Darüber hinaus sind verschiedene Kompetenzen beim Trösten hilfreich, die sich beispielsweise in einer Ausbildung zum Trauerbegleiter oder zur Trauerbegleiterin aneignen lassen. Bestimmte Standards, die auf diesem Weg vermittelt werden, können dazu beitragen, dass Trost gelingt. Manchmal ist freilich schon viel gewonnen, wenn ein stümperhafter Trostversuch vermieden wird, der einen leidenden Menschen mehr irritiert, anstatt ihm zu helfen.

Gelingender Trost ist nicht planbar und bleibt letztlich unverfügbar. Er geschieht in Begegnungen, die dem anderen guttun und ihn stärken. Manche Menschen sind wahre Trostkünstler und verfügen in besonderer Weise über diese Gabe. Was aber hat es mit einem guten und echten Trost auf sich? Woran lässt er sich erkennen und wie unterscheidet er sich vom billigen Trost und von einer Vertröstung? Was trägt dazu bei, dass sich Menschen wirklich getröstet fühlen, wodurch wird es verhindert? Nicht nur Menschen trösten einander. In der jüdischchristlichen Tradition tröstet auch Gott. »Der du der Tröster wirst genannt«, heißt es in einem bekannten

Heilig-Geist-Lied. »Tröster« ist einer der schönsten Namen des an sich unsagbaren Gottes. Wie aber tröstet Gott? Und woran erkenne ich, dass Gott mich tröstet, und was will er mir damit sagen? Die letzte Frage verweist auf die ignatianische Spiritualität, in der das innere Empfinden von Trost oder Trostlosigkeit der entscheidende Kompass ist, um den Willen Gottes für das eigene Leben zu erkennen.

Mit diesen Fragen und Hinweisen ist der inhaltliche Rahmen der folgenden Überlegungen abgesteckt. Sie stehen unter dem Vorzeichen, dass das Trösten eine Kunst ist, die viel Fingerspitzengefühl verlangt und für deren Gelingen es kein Patentrezept gibt. Was sich in einer Situation als goldrichtig erwiesen hat, kann in einem anderen Zusammenhang Verstörungen auslösen.

Zur Illustration wird im Folgenden immer wieder auf Personen und ihre Erfahrungen zurückgegriffen, die sich unter extremen Bedingungen zu behaupten hatten. Unter widrigen Umständen sind Menschen oft besonders trostbedürftig. Dabei trennt sich auch die Spreu vom Weizen und es wird leichter erkennbar, was wirklich tröstet und was hohle Phrasen sind.

* Dieses Buch ist dem Andenken an Marianne Müller (1926-2018) gewidmet.

1. Trösten – eine vermessene Aufgabe?

Bevor positiv darauf eingegangen wird, unter welchen Bedingungen Trost vielleicht gelingen kann, wird in diesem Kapitel gefragt, ob das Trösten-Wollen im Grunde nicht vermessen ist. Dabei kommen auch mögliche Fehlformen zur Sprache. Besondere Achtsamkeit ist angezeigt, wenn der Trost mittels religiöser Floskeln erfolgt; denn dann ist die Gefahr groß, dass Religion zur Vertröstung verkommt und der Name Gottes missbraucht wird.

Welches gute Wort hilft der Frau weiter, deren Partner nach vielen gemeinsamen Ehejahren gestorben ist? Was tröstet einen Menschen, dessen Beziehung in die Brüche gegangen ist und der mit seinem Leben nun wie vor einem Scherbenhaufen steht? Außenstehende fühlen sich in solchen Situationen schnell verunsichert und wissen nicht recht, wie sie reagieren sollen. Deshalb wird eine langjährige Bekannte, die mit einer unheilbaren Krankheit im Krankenhaus liegt, nicht besucht oder dem trauernden Nachbarn, dem man zufällig auf der Straße begegnet, aus dem Weg gegangen. Die gute Bekannte oder der trauernde Nachbar, zu denen bis dahin ein unkomplizierter Kontakt bestand, finden ein solches Verhalten irritierend.

Menschen tun sich mit dem Trösten schwer, weil sie spüren, wie schwierig und heikel diese Aufgabe oft ist. Denn ein Trost muss sich im anderen einstellen, und ein Begleiter oder eine Begleiterin haben es nicht in der Hand, ob und wann dies geschieht. Wie vermessen es im Grunde ist, einen Menschen trösten zu wollen, wird besonders in der Sterbebegleitung deutlich. Welche Hoffnung will man einem Sterbenden vermitteln, wenn man selbst nicht weiß, was einen nach dem Tod erwartet und wie man sich an Stelle des Sterbenden verhielte? Eigentlich sind dabei die Sterbenden die Experten, weil sie den anderen ein Stück des Weges voraus sind und vom Sterben mehr Ahnung als diejenigen haben, die zurückbleiben. Darum wären sie auch die idealen Sterbebegleiter. Es schmerzt, einen anderen Menschen leiden zu sehen; und je weniger man aktiv tun kann, desto größer ist das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit. Manche gehen solchen Situationen bewusst aus dem Weg. Andere verfolgen eine offensive Strategie: Sie geben Ratschläge und Tipps, wie damit umzugehen sei. Damit wollen sie erreichen, dass es dem anderen bald wieder besser geht. Hierfür erwarten sie von ihrem Gegenüber unbewusst vielleicht eine Form von Dankbarkeit – und dies, obwohl ihre Bemühungen wenig gebracht haben. Möglicherweise hat der andere die Begegnung gar als anstrengend erlebt und wäre lieber in Ruhe gelassen worden.

Manchmal soll durch vermeintlich gute Ratschläge die eigene Hilflosigkeit kompensiert werden. Um zwei Beispiele zu nennen: Ein erfolgreicher Mann von Mitte 40 wird durch den schwerkranken Schulfreund mit der eigenen Verletzbarkeit und Endlichkeit konfrontiert, die er bis dahin erfolgreich verdrängt hatte und sich immer noch nicht recht eingestehen will. Oder: Eine Frau erfährt von sexualisierter Gewalt in der Familie ihrer Freundin, und ihr schwant dabei, im eigenen Leben etwas Ähnliches erlebt zu haben, das niemals richtig aufgearbeitet wurde. In beiden Fällen können Ratschläge ein Abwehrmechanismus sein, sich bedrohliche Gefühle vom Leib zu halten. Damit die »blinden Flecken« der eigenen Biographie das Handeln so wenig wie möglich torpedieren, empfiehlt es sich gerade für Menschen in helfenden Berufen, zu denen auch Seelsorgerinnen und Seelsorger gehören, sich mit ihrer Lebensgeschichte intensiv auseinandergesetzt und sie so gut wie möglich aufgearbeitet zu haben. Denn die helfende Person ist und bleibt das eigentliche »Instrument« ihres Handelns.1 Deshalb gilt für alle, die anderen helfen und ihnen tröstend beistehen wollen: Je besser sich eine Person selbst kennt und je mehr sie gelernt hat, mit ihren Grenzen und Unvollkommenheiten umzugehen, desto adäquater und feinfühliger wird sie auch anderen begegnen.

Die Warum-Frage und religiös verbrämter Trost

Leute, denen ein schlimmer Schicksalsschlag widerfahren ist, fragen nicht selten: »Warum ist ausgerechnet mir das passiert?« Was soll man als Begleiter oder Begleiterin auf eine solche Frage antworten, die sich im Grunde nicht beantworten lässt?

Zunächst ist Verständnis dafür aufzubringen, dass ein Mensch diese Frage stellt. Weil auf dem Gebiet der Naturwissenschaften oder der Medizin die Frage »Warum ist das so?« enorme Erkenntnisfortschritte ermöglicht hat, legt es sich nahe, auch das eigene Leben und die persönliche Biographie kausal begreifen zu wollen. Auf diese Weise wird das Leben berechenbar. Im Alltag funktioniert das in der Regel recht gut: In Kindheit und Jugend entwickelt ein Mensch einen Deuterahmen, in den sich weitere Erfahrungen und Erlebnisse integrieren und einordnen lassen, der durch neue Erfahrungen aber auch immer wieder modifiziert und verändert wird.

Die jeweilige Kultur und Religion bestimmen als kollektive Größen den persönlichen Deuterahmen in dem Maße inhaltlich mit, wie ein Mensch die jeweiligen Inhalte in seine Weltsicht integriert. Schwierig und bedrohlich wird es dann, wenn einen ein Ereignis so aus der Bahn wirft, dass es den bestehenden Deuterahmen sprengt. Dies kann Anlass sein, das Leben als Ganzes zu hinterfragen und auf einer existentiellen Ebene die Warum-Frage zu stellen.

Vielleicht findet ein Mensch in einer schweren Situation selbst zu einer Antwort auf die Warum-Frage. Es ist jedoch mehr als fragwürdig, wenn Außenstehende einem die Deutung von Krankheiten und anderen Schicksalsschlägen abnehmen wollen und zu wissen vorgeben, welcher Sinn darin liegt und was Gott einem damit sagen möchte. Solche Antworten werden in der Regel dem Einzelnen nicht gerecht, drohen sein Leiden zu verharmlosen und es religiös zu verbrämen. Schenkt man beispielsweise einem Menschen, dem das Wasser (im übertragenen Sinn) bis zum Halse steht, eine Spruchkarte mit dem Text »Was macht schon der Schiffbruch, wenn Gott das Meer ist«, dann ist es mehr als verständlich, wenn der Empfänger die Karte als zynisch empfindet. Misslungene Trostversuche dieser Art offenbaren, wie sehr die Redeweise stimmt, dass das Gegenteil von »gut« häufig »gut gemeint« ist.

Der Trostversuch der Ijob-Freunde

Religiösen Trost von außen, den Betroffene als wenig hilfreich erleben, hat es immer gegeben. Das biblische Ijob-Buch ist hierfür ein Lehrstück. Ijob ist ein Mann, der in jeder Hinsicht vorbildlich gelebt hat. Irgendwann trifft ihn ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Alles wird ihm genommen: Reichtum, Gesundheit und sogar die eigenen Kinder. Eindrücklich beschreibt die Bibel, wie er mit einer Tonscherbe in der Hand in der Asche sitzt, um sich den Ausschlag zu schaben (2,8f.).

Ijob hat jedoch drei Freunde, die immerhin einen weiten Weg auf sich nehmen, um ihn zu trösten. Nach ihrer Ankunft verweilen sie zunächst sieben Tage und Nächte schweigend bei ihm (2,11–13), wie es der jüdischen Trauerwoche entspricht. Danach bricht es aus Ijob heraus: Er verflucht den Tag seiner Geburt und wünscht sich den Tod (Kap. 3). Seine Freunde empfinden eine solche Rede als Frevel und gebieten ihm Einhalt. Sie raten ihm, er solle seine Schuld anerkennen und Gott um Vergebung bitten; dann werde dieser sich seiner erbarmen und die Not wenden. In ihrer Argumentation setzen sie unausgesprochen voraus, Ijob habe gesündigt und das Leid sei hierfür Gottes gerechte Strafe. Ijob ist sich freilich keiner Schuld bewusst, und er signalisiert den Freunden deutlich, dass ihm ihr Zuspruch wenig hilft: »Leidige Tröster seid ihr« (16,2b), ruft er ihnen zu. Und weiter: »Wie wollt ihr mich mit Nichtigem trösten? Eure Antworten bleiben Betrug« (21,34). Trotzdem hat die Logik der Freunde schon bei ihm verfangen. Ijob steigert sich in Unschuldsbeteuerungen hinein und wendet sich klagend und anklagend an Gott, der erscheinen und ihm in einem Prozess die Schuld beweisen soll.