Die Küstenvilla: Nordsee-Krimi - Lars Olsen - E-Book
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Lars Olsen

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Beschreibung

Ein verschworenes Küsten-Dorf. Eine Reihe mysteriöser Morde. Eine Villa in den Dünen mit einem dunklen Geheimnis. Butjarsen ist ein Dorf an der deutschen Nordseeküste, das unscheinbarer nicht sein könnte. Bis eines Nachts ein blutüberströmter Mann in einer Gaststätte auftaucht und tot zusammenbricht. Der Wilhelmshavener Kriminalkommissar Christian Bartels soll der Sache auf den Grund gehen. Am nächsten Tag wird ein Mann bei lebendigem Leib verbrannt. Christian ahnt, dass es nicht bei zwei Toten bleiben wird. Tatsächlich stellt sich bald heraus, dass ein Serienmörder in Butjarsen seine blutige Fährte legt. Die Spur führt zu einer abgelegenen Villa an der Küste, wo der 85-jährige Werftengründer Joost Fisser nach einem Unfall im Wachkoma liegt und von seiner Frau und einer Pflegerin umsorgt wird. Christian beginnt zu recherchieren und stößt auf ein altes Geheimnis, das hinter den Mauern der Villa schlummert.

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Lars Olsen

Die Küstenvilla: Nordsee-Krimi

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

Das Meer lag nur wenige hundert Meter entfernt. Auch wenn man es wegen der Dunkelheit nicht sehen konnte, verriet sein bedrohliches Tosen doch, dass es da war.

Mit röhrendem Motor preschte der schwere Mercedes über den nassen Asphalt der dunklen Landstraße, schnitt die Kurven und überholte in riskanten Manövern jene Autos, die ab und zu vor ihm auftauchten und viel zu langsam unterwegs waren. Wenn das passierte, hupte und fluchte der Fahrer Marcus Ahlgrimm und gestikulierte wie wild. Es war gefährlich, im Alter von 85 Jahren und mit seiner nicht mehr optimalen Sehkraft so riskant zu fahren.

In jeder scharfen Kurve rollte eine halb leere Wodkaflasche auf dem Rücksitz hin und her. Ahlgrimms Kopf war vom Alkohol schon fortschreitend benebelt, als die nächste Kurve vor ihm auftauchte und er sich schnell näherte. Er nahm den Fuß vom Gas und augenblicklich verwandelte sich das Brüllen des Achtzylindermotors in ein angenehmes Schnurren. Der Mercedes wurde langsamer und die Wodkaflasche kullerte vom Rücksitz in den Fußraum. So schaffe ich die Kurve nie, dachte Ahlgrimm und tippte mit dem rechten Fuß auf das Bremspedal. Der Wagen bremste leicht ab, war aber immer noch zu schnell für die Kurve. Ahlgrimm bremste stärker, doch nach einem kurzen Ruckeln passierte gar nichts mehr. Als er bemerkte, dass etwas nicht stimmte, trat er verzweifelt immer wieder und fester auf das Pedal, doch der Mercedes schoss unaufhaltsam über die Straße, rammte das Warnschild und wurde schließlich aus der Kurve getragen. Scheiße, das war’s, ging dem Fahrer durch den Kopf. Es war sein Glück, dass auf diesem Abschnitt der Straße keine Bäume standen. So flog die schwere Karosse über einen Graben und prallte auf das Gras auf der anderen Seite. Sämtliche Airbags in dem Wagen bliesen sich schlagartig auf. Das Auto überschlug sich zwei-, drei-, viermal in der Luft, bis es schließlich auf dem Dach landete, noch mehrere Meter über ein Feld schlitterte und schließlich zum Stehen kam.

Die Gaststätte Engels Tor stand allein inmitten der Salzwiesen des Marschlands und ihre hell erleuchteten Fenster waren in der dunklen Nacht schon von Weitem zu sehen. Es gab nichts, was durstige Dörfler, vorwiegend Männer, dort beim Trinken stören konnte. Das bewog viele von ihnen, vor allem samstagabends, aus dem nur wenige Kilometer entfernt liegenden Butjarsen hierher zu pilgern, um unter sich zu sein, ein paar Biere zu trinken und manchmal auch vor ihren Frauen Reißaus zu nehmen.

Das Gelächter der Männer drang selbst durch die schwere Eichentür der Wirtschaft nach draußen. Laut wurde es aber immer erst richtig, wenn der Wirt um ein Uhr nachts die letzte Runde ankündigte. Sein Name war Emil Engel und er führte die Kneipe bereits in der vierten Generation. Nie wäre er auch nur auf die Idee gekommen, etwas anderes zu tun oder das Engels Tor gar zu verkaufen. Auch wenn der Gewinn, den die Kneipe abwarf, eher bescheiden war. Aber darauf kam es ihm auch nicht an. Das Geld, das der Junggeselle zum Leben brauchte, erwirtschaftete er mit der Verpachtung von Ackerland. Die Kneipe betrachtete er eher als sein Hobby. Und was sonst sollte er an einem Samstagabend tun, wenn nicht hinter der Theke stehen. Hier bekam er aus erster Quelle mit, was das Leben ausmachte. Hier war er Psychologe, der sich die teils traurigen Lebensgeschichten seiner Gäste anhörte. Hier war er derjenige, der wichtige Ratschläge gab und seine Weisheiten verbreitete. Hier war er der Chef. Und man erlebte nebenbei auch eigenartige Dinge. Einmal war ein Mann hereingekommen, hatte sich an die Bar gesetzt und zwei Biere bestellt. Bis kurze Zeit später zwei Polizisten kamen, ihm Handschellen anlegten und ihn mitnahmen. Es stellte sich heraus, dass der Mann kurz zuvor seine Frau erschossen, sich dann bei der Polizei gemeldet, den Mord gestanden und mitgeteilt hatte, wo sie ihn finden würden.

Heute sollte wieder so ein denkwürdiger Abend werden, der sich Emil Engel und den Gästen in der Wirtschaft für immer ins Gedächtnis brannte. Plötzlich flog die schwere Tür der Gaststätte auf und knallte gegen die Wand. Schlagartig verstummten die Männer in der Kneipe und dachten erst, ein Windstoß hätte die Tür geöffnet. Die neugierigen Blicke der Männer richteten sich auf den Eingang, wo sie gebannt verharrten. Bis eine schwer atmende Gestalt ins Licht der Gaststätte trat und sich an der Wand abstützte, um nicht umzufallen.

Sie tastete sich vorwärts und hinterließ blutige Fingerabdrücke an der hellen Raufasertapete. Alle Anwesenden waren im ersten Augenblick zu perplex, um reagieren zu können. Außerdem kam ein Anflug von Entsetzen dazu, da der Gast mit seinem blutüberströmten Gesicht einen mehr als abschreckenden Eindruck auf die anderen machte. Er stöhnte vor Schmerzen und röchelte schließlich so etwas wie „Hilfe“, bevor er anfing zu schwanken.

Der Wirt Emil Engel ahnte schon, was passieren würde. Er schaffte es nicht mehr rechtzeitig, dem Mann zu Hilfe zu eilen und ihn zu stützen, sodass er vornüberkippte und mit dem Kopf auf die Theke knallte, bevor er unsanft auf den Boden schlug und dort reglos liegen blieb.

„Was glotzt ihr so? Helft mir lieber, ihn auf die Bank da zu hieven“, raunzte Engel die Männer in der Wirtschaft an, die noch immer tatenlos auf ihren Plätzen saßen und den blutüberströmten Fremden anstarrten. Einem der Gäste, Helmut Weiland, gelang es als Erstem, sich aus der Schockstarre zu befreien. Er trottete, bereits mächtig angetrunken, zu Emil Engel hinüber und half ihm dabei, den schlaffen Körper auf die Eckbank in der Nische neben der Eingangstür zu legen.

„Und jetzt?“, fragte Weiland.

„Was weiß denn ich! Schauen wir erst mal, ob er noch lebt!“ Engel versuchte einen Puls am Handgelenk des Verletzten zu ertasten, doch er fühlte nichts.

„Ich glaub, der ist hinüber“, rief einer der anderen Männer.

„Ach ja? Bist du jetzt Arzt, oder was?“, raunte Engel zurück, ohne zu wissen, wen genau er gerade ansprach. Das Stichwort Arzt schien ihm allerdings passend. Er lief zurück hinter die Theke und wählte die 112.

Eine Viertelstunde später waren zwei Sanitäter und eine Notärztin in der Wirtschaft Engels Tor damit beschäftigt, den Fremden unter den Augen der anderen Gäste durch eine zusehends verzweifelt wirkende Herz-Lungen-Massage wiederzubeleben. Bis die Notfall-Medizinerin nach 20 Minuten frustriert aufgab und den vorläufigen Totenschein vorbereitete.

„Ist er tot?“, fragte Emil Engel und machte ein ungläubiges, ängstliches Gesicht.

„Leider ja“, antwortete die Notärztin.

„Würden Sie uns sagen, wer der Mann ist?“, fragte Emil Engel, als die Ärztin den Personalausweis im Portemonnaie, das sich in der Innentasche seiner Jacke befand, gefunden hatte.

„Leider nicht. Ärztliche Schweigepflicht, Sie verstehen. Aber die Polizei ist unterwegs. Die Beamten werden Ihnen bestimmt sagen, um wen es sich handelt“, antwortete die Frau. „Sobald die Polizei da ist, machen wir uns auf den Weg.“

„Und die Leiche lassen Sie hier?“, fragte Emil Engel entsetzt.

„Ja. Wir sind nicht befugt, Leichen im Rettungswagen zu transportieren. Aber seien Sie unbesorgt, die Polizei wird alles regeln und einen Bestatter herbestellen.“

Die Notärztin wartete, bis wenige Minuten später zwei uniformierte Beamte eintrafen, bevor sie den Unfallort übergab und sich verabschiedete.

„Guten Abend“, sagte der Ranghöhere, während der andere die Leiche anschaute. „Ich möchte Sie alle bitten, hierzubleiben, bis wir Ihre Aussagen aufgenommen haben.“

Ein Raunen ging durch die Gaststätte. „Aber wir wollen doch nach Hause! Haben Sie schon mal auf die Uhr geschaut?“, protestierte ein bierbäuchiger Mann, die anderen stimmten ihm lautstark zu.

„Wir wissen, dass es spät ist, und es tut uns leid. Die Kollegen von der Kriminalpolizei aus Wilhelmshaven sind unterwegs und sie werden sich beeilen“, versuchte der Polizist zu beschwichtigen.

„Wieso muss denn die Kriminalpolizei kommen?“, fragte der noch immer erboste Mann mit dem Bierbauch.

Der Polizist schaute seinen Kollegen an und räusperte sich. „Weil wir das Auto des Mannes hier gefunden haben und es Anzeichen dafür gibt, dass es sich nicht um einen Unfall handelt. Aber mehr darf ich wirklich nicht sagen.“

Die Männer in der Kneipe waren noch nicht ganz zufrieden. „Sagen Sie uns aber wenigstens den Namen des Mannes“, forderte der Bierbäuchige den Polizisten auf, der widerwillig antwortete. „Es handelt sich um Marcus Ahlgrimm. Jetzt habe ich Ihnen aber wirklich genug Fragen beantwortet.“

Der letzte Hinweis des Polizisten war unnötig, da die Männer genug gehört und laut zu diskutieren begonnen hatten. Für den Polizisten war es schwer zu erahnen, worum es genau ging, denn alle redeten durcheinander. Er schnappte zwischendurch Wortfetzen auf, aus denen er sich den Kontext zusammenreimen konnte. Ausrufe wie „Den kenne ich doch“, „Der kommt hier aus Butjarsen“, „Hat den einer umgebracht?“, „Wieso fährt der in seinem Alter überhaupt noch Auto?“ reichten dem Beamten aus, um schnell die allgemeine Meinung der Kneipengäste über den toten Marcus Ahlgrimm auszuloten.

Als später die Beamten der Kriminalpolizei mit ihren Befragungen fertig waren und die letzten Kneipengäste nach Hause schickten, waren diese schon längst wieder nüchtern. Die Sonne ging langsam auf, und als auch die Polizei und die Leute der Spurensicherung verschwunden waren, war Emil Engel der letzte, der dabei zusah, wie Marcus Ahlgrimms Leiche in einem Zinksarg abtransportiert wurde. Was da wohl passiert ist?, fragte er sich, schloss die Tür zum Engels Tor ab und ging ins Bett.

Kapitel 1

Die ersten Sonnenstrahlen ließen die ansonsten hellbeige Gründerzeitvilla in rötlichem Glanz erstrahlen. Das Gebäude lag hinter den Dünen und vom ersten Stock aus hatte man einen herrlichen Blick auf die Nordsee. In dieser Lage eine Baugenehmigung zu bekommen, wäre für Normalsterbliche unmöglich gewesen. Die Stellung der Eigentümerfamilie Fisser machte jedoch so einiges möglich.

Der Tag brach über Butjarsen herein und früher, als es mit den Kindern im Hause der Familie Fisser noch hoch herging, hätte man davon gesprochen, dass zu dieser Tageszeit nach einer geruhsamen Nacht wieder Leben in das Anwesen einkehrte. Heute gab es das nicht mehr. Ganz im Gegenteil sprachen viele Bewohner in Butjarsen sogar davon, dass der Tod in der Villa Fisser Einzug gehalten hatte. Einige waren sogar davon überzeugt, die Familie sei verflucht. Wie etwa die Kennedys in den Vereinigten Staaten oder die Grimaldis in Monaco. In der Tat waren diese Vergleiche nicht ganz unzutreffend. Nachdem die beiden Kinder des Ehepaares vor 40 Jahren im Pool hinter der Villa ertrunken waren, sollte das Leben der Familie nie wieder dasselbe sein. Nur kurze Zeit später verstarb damals der Bruder des Hausherrn, weil er bei der Jagd versehentlich erschossen wurde. Und als endlich lange Zeit Ruhe geherrscht hatte und alle dachten, das Maß an Glück, das eine Familie ertragen kann, sei voll, passierte vor wenigen Jahren das nächste Unglück: Familienoberhaupt Joost Fisser geriet in einen schweren Verkehrsunfall. Dieser kostete ihn zwar nicht das Leben, doch er lag seitdem im Wachkoma, was man als einen Schwebezustand zwischen Leben und Tod bezeichnen konnte und für den Betroffenen vielleicht sogar schlimmer war, als auf dem Friedhof zu liegen. Die Frau von Joost, Hilka Fisser, hätte sich dagegen nie damit abfinden können, sich, egal in welchem Zustand, von ihrem Mann zu trennen oder gar Sterbehilfe zu leisten. Und das musste sie auch nicht. Einer der Vorteile, wenn man reich war und genug Platz im Haus hatte, bestand darin, dass man selbst komatöse Angehörige bei sich unterbringen und pflegen konnte. Auch wenn Hilka die Pflege ihres Gatten nicht selbst übernahm. Dazu wäre sie allein schon aufgrund ihres stattlichen Alters von 85 Jahren und einiger Gebrechen nicht in der Lage gewesen. Nein, eine eigene Pflegerin, die sogar mit Hilka und Joost Fisser zusammen die Villa bewohnte, stand Tag und Nacht auf Abruf bereit. Sie hieß Maria Sommerfeld, hatte kurze blonde Haare und war 52 Jahre alt. „Ihr Mann ist gewaschen und ich habe ihm gerade das Frühstück an die Magensonde angeschlossen“, sagte Maria, als Frau Fisser, auf ihren Handstock gestützt, in das „Krankenzimmer“ kam, das früher in besseren Zeiten einmal als Bibliothek gedient hatte. Die Bücher standen noch in den Regalen, die bis zur Zimmerdecke reichten. „Vielen Dank, Sie sind ein Goldstück. Ohne Sie wüsste ich nicht, was ich machen würde. Frühstück ist ein gutes Stichwort. Würden Sie bitte schon mal im Esszimmer aufdecken? Ich komme in ein paar Minuten nach.“ Hilka sah Maria hinterher, als sie den Raum verließ. Morgens nahm sie sich immer ein paar Minuten Zeit, um mit ihrem Mann allein zu sein und ein bisschen mit ihm zu reden. Hilka ließ sich vorsichtig in den Stuhl neben dem Krankenbett sinken. „Guten Morgen, mein Schatz“, begrüßte sie ihren Mann und nahm seine knochige Hand, die schlaff auf dem Bett lag. Natürlich erwartete sie nicht wirklich eine Antwort, doch insgeheim hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Joost eines Tages aus dem Koma erwachen würde. Der Hausarzt Dr. Jansen hielt das für ausgeschlossen und wurde auch nicht müde, ihr das in aller Deutlichkeit wieder und wieder zu sagen, aber trotzdem wollte sie daran glauben. Hilka schaute in das abgemagerte Gesicht ihres Gatten, dessen eingefallene leere Augen an die Decke starrten.Wie schön es doch wäre, wenn er jetzt einfach den Kopf drehen und mir einen guten Morgen wünschen würde, dachte sie. Dann erzählte sie wie jeden Tag die Geschichte, wie die beiden sich kennengelernt hatten. „Weißt du noch, wie das damals war? Wir waren zusammen auf der Party in Wilhelmshaven. Du standest auf einmal mit einem Glas Champagner vor mir und hast mich angesprochen. Du warst so charmant, hast mich gefragt, ob ich mal mit dir ins Kino gehen möchte. Ich war so verschüchtert, aber ich war ja auch erst 16. Ich wusste damals erst gar nicht, wer du bist, und hatte mich schon gewundert, warum uns auf der Party alle so erstaunt angeschaut haben. Ich habe erst danach den Grund dafür erfahren, als meine Freundinnen mir sagten, dass du der Sohn vom Schiffsbaron bist. Aber das war mir immer egal. Ich hätte dich auch geliebt, wenn du eine arme Kirchenmaus gewesen wärst. Mein Gott, ist das lange her, 70 Jahre.“ Hilka versuchte eine Regung im Gesicht ihres Mannes festzustellen. Vergeblich. Im Glauben, dass er sie doch irgendwie gehört hatte, und sei es nur unterbewusst, zwängte sie sich angestrengt und mit aller Kraft auf ihren Handstock abgestützt aus dem Sessel. Bevor sie die alte Bibliothek verließ, drehte sie sich noch einmal um, aber auch heute schaute ihr Mann ihr nicht hinterher, sondern starrte einfach weiter an die Decke. In den vergangenen Jahren hatte Hilka sich ausgiebig mit dem Thema Wachkoma auseinandergesetzt. In der Fachliteratur und wissenschaftlichen Diskussionen ging es häufig darum, was mit der Seele eines Menschen passiert, der im Koma liegt. Manche Forscher gingen sogar so weit und behaupteten, die Seele habe einen Menschen in so einem Zustand verlassen und streife nun rastlos umher. Hilka fand den Gedanken interessant, dass die Seele ihres Mannes hier im Haus präsent war, und manchmal, wenn es auf dem Dachboden knarzte oder das Gebäude andere Geräusche von sich gab, bildete sie sich ein, es wäre Joosts Geist. Derlei Dinge passierten übrigens in letzter Zeit häufiger. Hilka war sich jedoch durchaus bewusst, dass ihre Psyche ihr altersbedingt zunehmend Streiche spielte, ihr Hausarzt hatte sogar einmal von beginnender Demenz gesprochen. Egal, solange ich mich noch wehren kann, bekommt mich keiner aus dem Haus hier raus. Außerdem gibt es noch Maria, dachte Hilka. Inzwischen hat sie bestimmt das Frühstück serviert. Als Hilka das Esszimmer betrat, standen Brötchen, Aufschnitt, Rührei und Lachs bereits auf dem Tisch. „Maria, das sieht wieder vorzüglich aus“, lobte Hilka die Pflegerin, zu deren Aufgaben es eigentlich nicht gehörte, jeden Morgen ein derart opulentes Frühstück anzurichten. Sie tat es aus reiner Höflichkeit. Und aus Mitleid für eine so vom Schicksal gebeutelte Familie. Hilka hingegen war nichts anderes gewohnt: Zu den besten Zeiten hatten sich immer zwei Hauswirtschafterinnen um den Haushalt gekümmert. Diesen Luxus wollte Hilka sich allerdings nicht mehr leisten. Maria half Hilka, sich auf den schweren Stuhl aus Eichenholz zu setzen, von denen insgesamt sechs Stück um den Tisch herumstanden. „Vielen Dank, Maria. Setzen Sie sich zu mir?“, fragte Hilka. „Gern, Frau Fisser. Ich hole nur kurz den Kaffee.“ Maria ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine aus. Sie füllte das heiße Getränk morgens immer in die gute Porzellankanne, bevor sie es der alten Dame servierte. Heute öffnete sie den Schrank mit dem Porzellan und fand die Kanne nicht dort, wo sie sie am Tag zuvor abgestellt hatte. Oder besser, wo sie dachte, dass sie sie abgestellt hatte. Einen Augenblick lang musste sie überlegen. Habe ich Schussel die Kanne in die Spülmaschine gestellt? Schnell öffnete sie die Klappe der Spülmaschine, denn eigentlich durfte das gute Porzellan nur mit der Hand gewaschen werden. Erleichtert stellte sie fest, dass die Kanne nicht hier war. Das macht nichts, ich suche die Kanne später. Maria ging mit der gläsernen Maschinenkanne ins Esszimmer. „Bitte entschuldigen Sie, Frau Fisser, aber ich glaube, ich habe die Porzellankanne verlegt“, sagte Maria und schenkte sich und der Dame ein. „Machen Sie sich keine Gedanken, meine Liebe, das macht nichts. Und ich dachte, ich wäre die Demente von uns beiden.“ Hilka lachte. Obwohl sie es eigentlich nicht lustig finden sollte. Die beiden Frauen aßen ihr Frühstück, und als sie fast fertig waren, fiel Hilka etwas ein. „Ach, meine Liebe, ich würde so gern die Zeitung von heute lesen. Ich würde sie ja selbst reinholen, aber Sie wissen ja …“ Die alte Frau deutete auf ihren Handstock. „Frau Fisser, entschuldigen Sie bitte. Ich bin sofort zurück.“ Maria sprang regelrecht vom Tisch auf und lief zur Haustür. Wie konnte ich nur die Zeitung vergessen? Ich glaube, das ist das erste Mal, seitdem ich hier arbeite.Die Zeitung lag heute nicht wie sonst im Postkasten neben der Haustür, sondern vor der untersten Stufe der kurzen Treppe, die hinauf zur Veranda vor der Villa führte. Der Bote war heute bestimmt zu faul, um die Treppe hochzugehen. Er hatte vermutlich ein anstrengendes Wochenende, dachte Maria und brachte die Zeitung zu Hilka, die im Esszimmer bereits ungeduldig wartete. „Vielen Dank. Würden Sie mir auch bitte noch die Überschriften vorlesen? Ich glaube, ich habe meine Brille verlegt.“ Maria grinste innerlich. Wie konnte sie der freundlichen alten Dame diesen Wunsch abschlagen? Sie schlug die Zeitung auf und blätterte weiter zum Lokalteil, da dieser Hilka am meisten interessierte und sie immer damit begann. „Gemeinderat beschließt Instandsetzung der Wirtschaftswege“, „Bürgermeister lobt Vereinsleben in Butjarsen“, „Zusätzlicher Bus nach Wilhelmshaven“ und „Tödlicher Unfall auf Landstraße“, las Maria die Überschriften vor. Bei der letzten hakte Hilka nach. „Das ist ja furchtbar. Würden Sie bitte den Artikel vorlesen?“ Maria räusperte sich. „Zu einem tödlichen Unfall ist es in der Nacht zu Sonntag auf der Landstraße in der Nähe der Gaststätte Engels Tor gekommen. Der 85-jährige Fahrer eines Mercedes wurde aus bislang ungeklärter Ursache aus der Kurve getragen und landete auf einem Feld, wo sich das Fahrzeug noch mehrere Male überschlug. Da die Polizei ein Fremdverschulden nicht ausschließen wollte, wie ein Polizeisprecher auf Nachfrage unserer Zeitung verriet, wird die Kriminalpolizei Wilhelmshaven die noch in der Nacht begonnenen Ermittlungen am heutigen Montag in Butjarsen fortsetzen.“ Maria bemerkte, dass Hilka angestrengt überlegte, und stoppte. „Das ist tragisch“, kommentierte Hilka den Bericht, „und hochinteressant. Ein 85-jähriger Fahrer, das ist mein Alter. Schade, dass kein Name in der Zeitung steht. Aber es gibt wohl nicht so viele 85-Jährige in einem 2000-Seelen-Dorf, die noch Auto fahren. Und noch weniger von ihnen fahren einen Mercedes.“ Hilkas Neugier war geweckt. „Ach, meine Liebste, wären Sie so freundlich, mir mein ledernes Notizbuch vom Schränkchen im Flur zu holen.“ Maria wusste sofort, von welchem Buch Hilka sprach. Sie holte es aus dem Flur und legte es ihr auf den Tisch. Mit ihren zittrigen dürren Fingern, die sie zwischendurch mit der Zunge befeuchtete, schlug Hilka es auf und blätterte darin herum. Es war gar nicht so einfach für sie, den gesuchten Kontakt zu finden, denn das Büchlein enthielt die Telefonnummern all jener Personen, die Hilka in den zurückliegenden Jahrzehnten kennengelernt hatte. Auf Partys zu Hause, während Veranstaltungen auf der Werft oder auf sonstigem Wege. Die meisten Leute zu den Telefonnummern mussten inzwischen verstorben sein. Es waren Hunderte. Maria fragte sich immer, wie Hilka sich in dem Gekritzel, von dem die Hälfte auch bereits durchgestrichen war, zurechtfand. Doch offenbar hatte es auch heute geklappt. Hilka bat Maria, auch noch das Telefon aus dem Flur zu holen, bevor sie ihr langsam eine Nummer aus Butjarsen diktierte und sich das Gerät in die Hand geben ließ. Aus dem Gesprächsverlauf schloss Maria, dass es sich um eine Freundin von Hilka aus dem Kartenklub handeln musste, deren ausschließlich weibliche Mitglieder untereinander sehr gut vernetzt waren. So war es auch kein Wunder, dass Hilka die gewünschte Information bekam. „Das ist ja furchtbar“, sagte sie. „Weißt du, wie es Hildegard geht? Ja? Oh, das kann ich gut verstehen. Wenn du sie siehst, richte ihr doch bitte mein Beileid aus, ja? Und was ist das für eine eigenartige Geschichte mit dem Fremdverschulden, die in der Zeitung steht? Aha, soso, schrecklich. Treffen wir uns nächste Woche? Sehr gut, ich freu mich.“ Hilka legte auf. Da Maria nur die Hälfte des Gesprächs mitbekommen hatte, war jetzt auch sie neugierig, wer in der Nacht zu Sonntag ums Leben gekommen war. Mit Hundeblick schaute sie Hilka an. „Dürfte ich erfahren, wer das Unfallopfer war?“ Hilka wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. „Marcus Ahlgrimm. Sie kennen ihn vermutlich nicht, weil Sie nicht von hier stammen. Er war ein langjähriger guter Freund meines Mannes.“Was für ein guter Freund kann er gewesen sein, wenn ich ihn noch nie hier gesehen habe, um Joost oder Frau Fisser einen Besuch abzustatten?, fragte sich Maria. „Und was hat es mit dem Fremdverschulden auf sich?“ „Also man weiß noch nichts Genaues, aber im Dorf geht das Gerücht um, jemand hätte die Bremsschläuche von Marcus Ahlgrimms Auto durchtrennt. Zu was Menschen doch fähig sind“, bemerkte Hilka. Maria drehte sich um und versuchte keine Gesichtsregung zu zeigen, während sie den Frühstückstisch abräumte.

Kapitel 2

Während Kriminalkommissar Christian Bartels aus Wilhelmshaven raus aufs Land fuhr, fragte er sich, wo oder wann er den Namen des Küstendorfes Butjarsen schon einmal gehört hatte. Er war sich nicht sicher, wusste nur, dass es in seiner Jugend gewesen sein musste. Als Teenager hatte er einige Jahre Handball gespielt, und wie es in den unteren Ligen üblich ist, war er in der Region ziemlich viel herumgekommen. Gefühlt hatte er in jedem Kaff gespielt, das eine Turnhalle besaß. Und nur jene hatte er jeweils von den Dörfern zu Gesicht bekommen.

Als Christian das Ortsschild von Butjarsen passierte, hatte er zunächst Zweifel, ob er tatsächlich schon mal hier war. Es standen nur ein paar Häuser herum, und er fragte sich, ob Butjarsen überhaupt groß genug war, sich eine Turnhalle leisten zu können. 

Was habe ich meinem Chef nur getan, dass er mich hierherschickt?, ging es Christian durch den Kopf. Der Vorgesetzte hatte ihm den Fall, den er hier aufklären sollte, als hoch spannende Sache verkauft: ein Autounfall, der vermutlich keiner war, da die Kollegen festgestellt haben wollten, dass die Bremsschläuche am Unfallfahrzeug absichtlich durchtrennt worden waren. Erste Befragungen, die noch in der Nacht in der Gaststätte durchgeführt wurden, in der der Verstorbene nach Hilfe fragen wollte, waren ergebnislos verlaufen. 

Die Kollegen waren bestimmt froh, als sie erfahren haben, dass die Kriminalpolizei Wilhelmshaven und damit ein anderer Depp einspringt, dachte Christian.

Nach ein paar hundert Metern nahm die Dichte der Bebauung zu, Butjarsen schien tatsächlich so etwas wie ein Zentrum zu haben – auch wenn es nur ein sehr kleines war.

Christian parkte seinen Wagen in der Nähe der Kirche. Nach der Fahrt vertrat er sich ein wenig die Beine, indem er eine Runde über die kopfsteingepflasterte Fläche flanierte, die offenbar den Marktplatz darstellte. 

In der Mitte des Platzes stand eine große Eiche, die Christian auf bestimmt 150 Jahre schätzte. Einen Augenblick später sollte sich seine Schätzung bestätigen, denn auf einer verwitterten Bronzetafel entdeckte er eine Inschrift:

 

Dieser Baum wurde gestiftet von Axel Fisser anlässlich der Gründung der Gemeinde Butjarsen im Jahr 1870. Möge sie so lange florieren, wie er den Marktplatz ziert. 

Das ist in der Tat sehr interessant, dachte Christian. Den Namen Axel Fisser kannte er natürlich. Wie jeder Wilhelmshavener. Besser bekannt war der Mann als der erste Schiffsbaron, der irgendwann Mitte des 19. Jahrhunderts die größte Werft in der Stadt gebaut hatte. Schlagartig fiel Christian ein, woher er den Namen Butjarsen noch kannte: Er hatte ihn schon mal irgendwo im Zusammenhang mit der Familie Fisser gehört. Dass der alte Herr den Ort sogar einst gegründet hatte, war Christian jedoch neu. Für ihn ergab das allerdings jetzt Sinn, da er bei der Fortsetzung seines Spaziergangs durch den Ortskern noch auf eine Fisserstraße, eine vom selben Herrn gestiftete Statue aus Stahl und noch ein paar Hinweisschilder stieß, die die Gründung von Butjarsen thematisierten. Als Christian genug gesehen hatte, um sich einen ersten Eindruck von dem Dorf zu verschaffen, ging er zurück zum Marktplatz. Bei einem flüchtigen Blick auf das Wurzelwerk der Eiche in der Mitte sah er, dass sich auf dem Boden unter dem Baum etwas bewegte. Eine verletzte Krähe schien gerade ihren Todeskampf zu bestreiten. Einen Augenblick lang überlegte Christian, ob er das Tier von seinen Qualen erlösen sollte, entschied sich jedoch dagegen und überließ den Vogel seinem Schicksal. Christian war eigentlich sehr tierlieb und solche Momente schmerzten ihn. Er tröstete sich aber damit, indem er sich sagte, dass die Natur manchmal grausam war und dies nun mal der Gang der Dinge war. Eine Ausnahme bildete für ihn ein Mord. Das hatte nichts mit Schicksal zu tun, sondern mit der bewussten Entscheidung eines fühlenden und denkenden Wesens, einen anderen Menschen auszulöschen. Da diese Fähigkeit des Menschen das Schlimmste war, was er sich vorstellen konnte, und er Menschen, die zu so etwas imstande waren, wenigstens aus dem Verkehr ziehen wollte, war er damals zur Polizei gegangen.

Christian vergegenwärtigte sich, warum er eigentlich in Butjarsen war. Er ging zurück zu seinem Wagen und nahm seine Kladde vom Beifahrersitz. In ihr heftete er immer alle Unterlagen ab, die für einen Fall relevant waren, und er machte sich Notizen darin. Als erste Aufgabe hatte er sich aufgeschrieben, der Witwe des Verunglückten einen Besuch abzustatten: Hildegard Ahlgrimm. 

Ihre Adresse lag in Fußreichweite, doch bevor er dorthin aufbrach, sah er sich noch einmal die Fotos des Mercedes-Wracks von der Spurensicherung in seiner Kladde an. Ganz besonderes Augenmerk legte er auf die durchtrennten Bremsschläuche. Waren sie wirklich absichtlich durchtrennt worden, oder war am Ende doch ein Marder am Werk gewesen? Um hundertprozentig sicher zu sein, musste er das Ergebnis der DNA-Analyse abwarten, mit der festgestellt werden sollte, ob sich Marder-Speichel an den Schläuchen befand. In der Zwischenzeit würde Christian jedem Anfangsverdacht nachgehen. 

Er klappte die Kladde zu und setzte sich in Bewegung. Der Routenplaner seines Handys lotste ihn zuverlässig zum Haus der Ahlgrimms. 

Die Witwe hatte gerade Besuch von drei Freundinnen, die allerdings das Haus verließen, als Christian vor der Tür stand und sich als Kriminalkommissar vorstellte. Die Damen versprachen, später noch einmal wiederzukommen.

„Wenn es gerade ungelegen ist, kann ich auch warten“, bot der Ermittler an, der nicht die Absicht hatte, Aufbruchstimmung auszulösen.

„Keinesfalls, junger Mann. Ihr Besuch ist jetzt wichtiger. Finden Sie das Schwein, das Marcus umgebracht und Hildegard zur Witwe gemacht hat“, forderte eine der Frauen Christian auf und verabschiedete sich zusammen mit den anderen beiden.

Die Bewohner des Dorfes haben offensichtlich für sich schon die Frage beantwortet, ob es sich um einen Mord handelt, dachte Christian. 

Hildegard hatte verquollene Augen und bat den Gast herein. 

„Mein Beileid“, begann Christian das Gespräch. „Wie kommen Sie zurecht?“

„Es ist viel zu regeln. Mit der Beerdigung und allem. Das einzig Gute daran ist, dass all das von der Tatsache ablenkt, dass mein Marcus tot ist“, sagte Hildegard.

„Verstehe. Hat man Ihnen Unterstützung von einem Polizeipsychologen angeboten?“

Hildegard schüttelte den Kopf und schluchzte.

Amateure, dachte Christian. Vielleicht hatte es doch etwas Gutes, dass er sich jetzt um den Fall kümmerte und der Witwe die Hilfe zukommen ließ, die sie benötigte. Er versprach, so schnell wie möglich einen Seelsorger zu schicken.

„Wären Sie denn bis dahin in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?“, erkundigte er sich.

„Damit Sie den Mörder meines Mannes finden? Natürlich!“ Hildegard war auf einmal wie ausgewechselt, fast schon tatenfreudig, was Christian nicht unbedingt gutheißen konnte.

„Frau Ahlgrimm, ich verstehe Ihre Trauer und Ihre Wut. Es ist jedoch noch keinesfalls bewiesen, dass Ihr Mann ermordet wurde. Wir ziehen momentan alle Möglichkeiten in Betracht. Trotzdem ist das eine gute Überleitung zu meinen Fragen“, sagte Christian.

„Natürlich. Setzen Sie sich“, bot Hildegard an.

Christian nahm im großen Ohrensessel im Wohnzimmer Platz. Hildegard zuckte zusammen. 

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Christian.

„Ja, es ist nur, dass der Sessel meinem Mann gehört hat. Es durfte nie jemand außer ihm dort Platz nehmen. Sie sind wahrscheinlich der Erste, der dort seit zehn Jahren sitzt.“ 

Christian sprang reflexartig vom Sessel auf.

„Nein, nein, bleiben Sie ruhig sitzen. Irgendwann werde ich mich wohl daran gewöhnen müssen, dass mein Mann nicht mehr da ist.“

„Vielen Dank. Würden Sie mir ein wenig von Ihrem Mann erzählen? Was für einen Charakter hatte er“, fragte Christian.

Hildegard überlegte einen Moment, als wenn sie sich die passenden Worte zurechtlegen wollte. „Er war bestimmt kein einfacher Mensch. Er neigte zu Wutausbrüchen und war in seiner Art sehr bestimmend. Trotzdem besaß er ein gutes Herz, und man konnte von ihm jeden Gefallen bekommen, wenn man sein Freund war. Alle anderen Menschen haben ihn weniger interessiert. Und wenn man bei ihm unten durch war, gab es auch keine Möglichkeit, das jemals wieder gutzumachen. Marcus glaubte nicht an zweite Chancen. Das lag vielleicht auch an seiner Arbeit und seiner Stellung. Er war vor seiner Rente Werksleiter auf der Werft, trug in seiner aktiven Zeit viel Verantwortung und hatte eine Menge Leute unter sich.

---ENDE DER LESEPROBE---