Halligtod: Küstenkrimi - Lars Olsen - E-Book

Halligtod: Küstenkrimi E-Book

Lars Olsen

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Beschreibung

Vor 15 Jahren: Eine unheimliche Entführungsserie erschüttert Husum. Mehrere Mädchen verschwinden, von den Opfern oder einem Täter fehlt jede Spur. Von einem auf den anderen Tag hören die Entführungen schließlich auf. Die ungeklärten Fälle lassen die Einwohner der nordfriesischen Stadt traumatisiert zurück. Gegenwart: Jahre später kehrt der Horror nach Husum zurück. Wieder verschwinden mehrere Mädchen und diesmal soll Kriminalkommissar Falk Bendinger den Täter finden. Zeitgleich wird ein Mann auf der wenige Kilometer entfernten Hallig Nordfall erstochen. Wegen angeblicher Erfolglosigkeit wird Bendinger vom Entführungsfall abgezogen und auf die Hallig geschickt. Abgeschnitten vom Festland hegt er den Verdacht, dass jemand ihn bewusst aus dem Weg räumen wollte. Als er feststellt, dass die Entführungen in Husum und die Leiche auf der Hallig möglicherweise in Verbindung stehen, wird die Zeit knapp. Denn jemand auf der kleinen Insel will Falk mit allen Mitteln davon abhalten, die Wahrheit ans Licht zu bringen.

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Lars Olsen

Halligtod: Küstenkrimi

Mit Dank an alle, die zu diesem Werk beigetragen haben.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Impressum

Prolog

Hastig setzte sie einen Schritt vor den anderen. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie ihre Füße wieder so bewegen konnte, wie sie es wollte. Ihre Knöchel schmerzten, die Fesseln hatten sie wundgescheuert. Panisch schaute sie sie sich um. Wo bin ich hier?, dachte sie. Der Nebel war viel zu dicht, sie konnte nicht weiter als wenige Meter sehen. Er muss mir dicht auf den Fersen sein. In der Suppe hiersieht er mich dann vielleicht auch nicht. Ich muss nur leise sein. Ein Funken Hoffnung keimte in ihr auf. Der Nebel wurde mit jedem Schritt dichter. Plötzlich wurde es nass an ihren nackten Füßen und sie sank ein Stück ein. Sie hob ihren linken Fuß, es klebte Schlick an ihm. Das ist das Watt. Was soll ich jetzt tun? Weitergehen? Alle Leute sagten immer, NIEMALS allein ins Watt zu gehen, wenn man die Örtlichkeiten und den Gezeitenkalender nicht kannte. Hier war beides der Fall, und außerdem konnte sie nicht mal sehen, wo sie war. Wenn ihr jemand gesagt hätte, sie befände sich gerade am Ende der Welt, so hätte sie es geglaubt. Sie hielt einen Moment inne. In einiger Entfernung hörte sie Schritte, die sich schnell näherten. Das ist er. Wenn ich hier stehen bleibe, wird er mich finden. Ich habe keine Wahl, ich muss ins Watt. Auch wenn es gefährlich ist. Aber wer weiß, was er mir antun will? Vermutlich bin ich dort besser dran, da draußen habe ich wenigstens eine Chance.

Ihre schnellen Schritte platschten durch den Schlick. Sie nahm Geschwindigkeit raus, da ihr Verfolger sie so ganz sicher orten konnte. Sie hörte jedenfalls seine Schritte, die sich anscheinend in die entgegengesetzte Richtung entfernten. Jetzt konnte sie nur noch ein oder zwei Meter weit sehen. Um sie herum wurde es plötzlich unheimlich still. Sie stoppte und lauschte. Keine Schritte. Dann begann sie zu frieren. Du musst dich zusammenreißen. Irgendwann wird schon Land kommen. Tapfer bewegte sie sich vorwärts. Dann erschrak sie. Das laute, tiefe Dröhnen des Nebelhorns eines Schiffes irgendwo vor ihr durchfuhr ihren Körper. Als es aufhörte, zitterte sie am ganzen Körper. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Wenn da vorne die Schifffahrtsrinne ist, gehe ich vermutlich gerade in Richtung offenes Meer. Ich muss umdrehen. Sie machte kehrt und ging zurück. Aber mein Verfolger! Laufe ich dem gleich in die Arme? Den hatte sie fast komplett ausgeblendet. Sie änderte leicht die Richtung, auf diese Weise würde sie ihm bestimmt ausweichen.

Auf einmal wurde der Nebel so dicht, dass sie fast die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Auch ihre eigenen Spuren im Schlick befanden sich hinter einer dichten Nebelwand. Gehe ich noch in die richtige Richtung oder laufe ich im Kreis? Verzweiflung machte sich in ihrer Brust breit. Instinktiv streckte sie die Hände aus und stapfte weiter durch den Schlick. Wie lange bin ich schon unterwegs? Das Gefühl für Zeit und Raum verschwamm völlig in dieser nebligen Matschwüste. Die Hölle hätte in diesem Moment nicht schlimmer sein können. Ja, sie war in einer Hölle und ihr Peiniger war der Teufel, der da draußen noch immer irgendwo war und nach ihr suchte. Eigentlich schützt mich der Nebel ja gut vor ihm, versuchte sie ihrer Situation wenigstens etwas Positives abzugewinnen.

Plötzlich fiel ihr etwas an ihren Füßen auf. Das Wasser war in den letzten Minuten angestiegen und bedeckte jetzt schon ihre Knöchel. Scheiße, die Flut kommt! Panisch begann sie zu rennen. Sie verspürte den Drang, laut um Hilfe zu rufen, aber dann hätte sie ihrem Verfolger verraten, wo sie war. Sie biss sich auf die Lippen und rannte weiter. Aber wohin? In welcher Richtung liegt denn nun dieses verdammte Festland?

Auf einmal schrie sie auf. Ein unerträglicher Schmerz zog von ihrem linken Fuß ausgehend das ganze Bein herauf. Sie fiel in den nun schon fast kniehoch mit Meerwasser bedeckten Schlick und krümmte sich vor Schmerz. Eine scharfkantige Muschel steckte in ihrer Fußsohle. Sie zog sie heraus und augenblicklich tropfte Blut aus der Wunde. Das darf doch nicht wahr sein! Das Salzwasser, das von ihren Zehen tropfte, brannte in der Wunde. Wenn ich den Fuß jetzt wieder aufsetze, werden die Schmerzen kaum auszuhalten sein.

In einiger Entfernung ertönte ein lauter werdendes Platschen, das stetig näher kam. Nach einigen Sekunden konnte sie das Geräusch zuordnen: Es war jemand, der durchs Wasser watete. Scheiße. Es ist ER. Er muss meinen Schrei gehört haben.

Umständlich rappelte sie sich auf. Wie sie erwartet hatte, brannten der Schlick und das Salzwasser in der Wunde. Das Wasser stieg zusehends höher, und es wurde stetig schwerer, sich hindurchzubewegen. Außerdem behinderte der Nebel immer noch die Sicht. Sie hörte, wie ihr Verfolger näher und näher kam.

Normalerweise hätte sie ihm aufgrund ihrer guten sportlichen Kondition und mit all dem Adrenalin im Blut wahrscheinlich spielend davonlaufen können. Die Wunde unterm Fuß, die inzwischen zu einem einzigen pochenden Schmerz geworden war, hinderte sie jedoch daran. Sie drehte sich um. Er musste nur noch wenige Meter entfernt sein, aber sie sah ihn immer noch nicht. Dann stolperte sie und fiel ein zweites Mal. Diesmal war sie auf einen großen Stein getreten und von seiner glitschigen Oberfläche abgerutscht. Das Wasser reichte ihr bereits bis zur Hüfte, sodass sie weich landete.

Dann tauchten die Umrisse ihres Entführers aus dem Nebel auf. Er stellte sich direkt vor sie und schaute sie grimmig an.

„Hab ich dich“, sagte er, zog sie aus dem Wasser und nahm sie in den Schwitzkasten. „Und jetzt nichts wie weg hier, sonst ersaufen wir noch.“

Der kräftige Unterarm des Mannes drückte ihr die Kehle zu. Sie schaffte es nicht, sich aus der Umklammerung zu lösen, nicht mal schreien konnte sie. Dafür strampelte sie so heftig sie konnte und spritzte mit dem Meerwasser um sich. Etwas davon gelangte in ihr Auge, was unangenehm brannte. Immerhin ging es ihrem Entführer genauso, er musste seinen Kopf abwenden.

„Mach es mir nicht so schwer, Mädchen. Wenn wir nicht schnellstens zurückkommen, sterben wir“, sagte er.

Sie dachte nicht daran, aufzugeben. Wenn wir es heil hier rausschaffen, sterbe nur ich. Der Gedanke mobilisierte noch einmal all ihre Kräfte. Mit dem Fuß hatte sie im Schlick vor einigen Sekunden einen Stein ertastet. Sie bog ihren Oberkörper so heftig, dass sie den Stein mit der linken Hand zu fassen bekam und ihn aus dem Schlick zog. In einer fließenden Bewegung schlug sie den Stein nach hinten und traf den Mann so hart am Kopf, dass er laut aufschrie. Er war so perplex, dass sie sich aus seiner Umklammerung lösen konnte und gleich noch einmal zuschlug. Das hat gesessen. Und jetzt nichts wie los.

So schnell sie konnte, watete sie davon. Der Schmerz in ihrem Fuß schien wie weggeblasen. Nichts wie weg von dem Monster. Im Augenwinkel sah sie nur noch, wie er sich an den Kopf fasste, bevor er hinter der Nebelwand verschwand.

„Ich hoffe, du ertrinkst, Scheiß-Göre. Was glaubst du denn, wie weit du kommst!“, schrie er ihr hinterher. Dann hörte sie sein irres Lachen, das, je weiter sie sich entfernte, vom Nebel verschluckt zu werden schien.

Bald begann sie daran zu zweifeln, ob ihre Flucht tatsächlich die bessere Wahl war. Inzwischen stand das Wasser so hoch, dass sie nur noch schwimmen konnte, und sie kam so gut wie gar nicht mehr vorwärts. Jetzt war es ihr egal, ob ihr Entführer noch da draußen war und er sie hörte.

„Hilfe! Helft mir doch!“, schrie sie. Niemand antwortete. Plötzlich hatte sie einen Einfall. Gibt es im Wattenmeer nicht irgendwo so Rettungsplattformen? Ihre Hoffnung kehrte zurück. So schnell sie konnte, schwamm sie in die Richtung, in der sie das Festland vermutete. Mehrere Minuten lang schwamm sie, bis sie die Kräfte verließen und sie eine Pause machen musste. Sie konnte mit den Füßen nicht mehr den Boden berühren und strampelte mit den Beinen herum, um nicht unterzugehen. Das halte ich nicht lange durch. Aber vielleicht hält es mich warm, dachte sie. Denn ihr Körper kühlte zunehmend aus. Ein paarmal überwand sie sich noch und versuchte, in verschiedene Richtungen zu schwimmen und eine Rettungsplattform zu finden, bis sie es schließlich aufgab.

„Ich will nicht sterben“, wimmerte sie.

Irgendwann – ihre Beine und Arme spürte sie schon lange nicht mehr – erschien etwas im Nebel. Ist das real oder bilde ich mir das ein?

Kapitel 1

Der Wind wehte faulig riechende Seeluft in die Innenstadt von Husum, die den Gästen auf den Außenterrassen der Cafés entlang der Hafenstraße zeitweilig den Appetit auf ihre Getränke und ihren Kuchen verdarb. Die Hitze des schwülen August-Tages verschlimmerte den Gestank noch, und viele Menschen in der Stadt zwangen sich, durch die Nase zu atmen.

Imke und Edda störte der Geruch nicht. Besser gesagt waren sie ihn schon gewohnt, denn das Meer roch nun manchmal nach Verwesung, was viele Menschen, insbesondere Touristen, nur nicht akzeptieren wollten. Die beiden Mädchen schlenderten durch die Stadt und genossen einen der letzten Tage der Sommerferien in Schleswig-Holstein. Dabei bemerkten sie nicht, wie sie schon seit geraumer Zeit, seit dem Morgen, von einer Gestalt verfolgt wurden, die penibel darauf achtete, einen gewissen Abstand zu den Mädchen zu wahren und sich immer wieder hinter Sonnenschirmen, Postkartenständern und anderen Hindernissen zu verstecken. Je näher Imke und Edda entlang der Husumer Au dem Hafen kamen, desto schwieriger wurde es für die Gestalt, Gegenstände zu finden, hinter der sie in Deckung gehen konnte. Deshalb vergrößerte sie den Abstand. Da die Mädchen laut lachten und sich ärgerten, wie es 13-jährige Teenager gern taten, bestand jedoch keine Gefahr, ihre Fährte zu verlieren.

Am Ende der Hafenstraße überquerten Imke und Edda die Deichstraße und erreichten ihr Ziel: eine direkt am Wasser gelegene Grünfläche, wo die Mädchen sich zu ein paar anderen Jugendlichen aus ihrer Schulklasse gesellten.

Die Gruppe flachste herum, lachte, manche zeigten einander lustige Videos auf ihren Handys, und alle einte das Gefühl von Wehmut darüber, dass die Ferien am Ende der Woche endeten.

„Das macht nichts. Wenn es so warm bleibt wie jetzt, startet die Schule direkt mit Hitzefrei. Das ist doch super“, kommentierte ein Junge namens Ole.

„Ich bin dafür, dass wir die letzten Tage noch richtig auskosten und ein paar schöne Sachen unternehmen“, antwortete Edda, die heimlich in Ole verliebt war, es aber niemals zugegeben hätte.

Am Rande der kleinen Grünfläche hockte die Gestalt. Geschützt auf einer Bank hinter einem Gebüsch beobachtete sie die Jugendlichen. Ja, ja. Genießt eure gemeinsame Zeit, solange ihr es noch könnt. Und das wird leider nicht mehr allzu lang sein. Das gilt besonders für dich, kleine Edda, ging es ihr durch den Kopf. Dabei schwang ein bisschen Frust darüber mit, dass es dem Beobachter auf der Bank in seiner Jugend nicht vergönnt war, einfach mal frei zu sein und mit Freunden Zeit zu verbringen.

„Es ist fast sieben Uhr, wir essen gleich Abendbrot“, sagte Edda mit Blick auf ihr Handy.

„Ich komm noch ein Stückchen mit“, antwortete Imke.

Die anderen Jugendlichen gaben dumme Kommentar zum verfrühten Aufbruch der Mädchen ab. Es seien doch immerhin Ferien, da müsse man nicht, wie in der Schulzeit, pünktlich zu Hause sein.

„Was soll ich machen, meine Eltern sind da sehr streng“, erwiderte Edda. „Wir sehen uns morgen.“

Edda hatte selbst nur wenig Verständnis dafür, warum ihre Eltern meinten, sie immer vor irgendetwas beschützen zu müssen. Aber das wird zum Glück wohl nicht für immer so sein, tröstete sie sich.

„Du hättest auch ruhig noch bei den anderen bleiben können. Den Weg nach Hause schaffe ich auch allein“, sagte Edda ihrer Freundin.

„Schon gut. Allein wollte ich auch nicht bei den anderen bleiben. Ich weiß dann ja nie, was ich sagen soll“, erwiderte die eher schüchterne Imke. Die Mädchen lachten und verabredeten sich für den anderen Tag, bevor sie sich auf der Nordhusumer Straße voneinander verabschiedeten. „Den Rest bis zur Friesenstraße kann ich nun wirklich allein gehen“, sagte Edda und drückte Imke kurz.

Die Hitze hatte nachgelassen und eine sommerabendliche Stimmung war in Husum eingekehrt. Der faulige Gestank von der Nordsee war hier im Wohngebiet einem alles beherrschenden Duft nach gebratenem Fleisch gewichen, der aus den Gärten der grillenden Anwohner zu Edda herüberwehte.

Normalerweise freute Edda sich immer, wenn sie nach Hause ging. Trotz der strengen Erziehung pflegte sie ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Heute, und zwar besonders jetzt, da sie allein unterwegs war, realisierte sie jedoch zum ersten Mal, dass sie eigentlich viel lieber bei den anderen geblieben wäre. Insbesondere bei Ole, der ihr die ganzen letzten Tage schon nicht mehr aus dem Kopf ging. Edda nahm einen stärker werdenden Drang in sich wahr, ihren Eltern auch mal zu widersprechen und für ihre Gefühle einzustehen. Höchstwahrscheinlich würde sie demnächst der ein oder anderen Anweisung ihrer Eltern auch mal nicht Folge leisten. Sie befürchtete, dass sie es gar nicht würde verhindern können. Aber nicht heute Abend.

Neben dem Gefühl, sich zu Ole hingezogen zu fühlen, überkam das Mädchen heute auf dem Nachhauseweg noch ein weiterer Eindruck.

Edda wusste nicht, ob sie es sich einbildete, aber auf einmal hörte sie Schritte hinter sich. Sie schaute sich um, doch da war nichts. Nur die lange Reihe von an der Friesenstraße geparkten Autos. Sie ging weiter, diesmal schneller. Plötzlich waren die Schritte wieder da – und wurden ebenfalls schneller. Im Gehen wandte sich Edda um, aber es war wieder nichts zu erkennen. Sie schätzte, dass die Schritte vielleicht fünfzig Meter hinter ihr sein mussten. Edda begann zu rennen und nach einer halben Minute hatte sie endlich die Haustür erreicht. Die Schritte waren nicht mehr zu hören. Von der Sicherheit des Vorgartens aus ließ sie ihren Blick noch einmal umherschweifen, aber sie konnte immer noch nichts erkennen. Vielleicht hatte ihr Unterbewusstsein ihr tatsächlich einen Streich gespielt? Edda ging ins Haus und zog ihre Schuhe aus.

„Ich bin wieder da“, rief sie und blickte auf die Uhr. Mist, schon kurz nach sieben. Hoffentlich gibt das keinen Ärger.

Eddas Eltern saßen bereits am Tisch im Esszimmer.

„Wir haben schon mal angefangen. Wir müssen ja gleich ins Konzert“, sagte ihre Mutter, allerdings ohne ihr einen Vorwurf zu machen. Stattdessen freuten sie sich, dass ihre Tochter offenbar eine gute Zeit mit ihren Freunden verbracht hatte.

„Das Konzert hatte ich ganz vergessen. Freut ihr euch?“ Edda war sich nicht mehr sicher, wer heute Abend im Nordsee Congress Centrum spielte.

„Ja“, antwortete ihre Mutter. „Und freust du dich auf einen Abend mit sturmfreier Bude?“

„Na klar. Ich mach mir dann einen gemütlichen Kinoabend. Oder gehe früh ins Bett.“

Um kurz vor acht verließen Eddas Eltern das Haus. Mmmh, die anderen und Ole sind bestimmt noch an der Husumer Au. Ich könnte einfach hingehen, für ein oder zwei Stündchen bleiben und wieder zurück nach Hause gehen. Mama und Papa sind ja erst gegen Mitternacht zurück. Edda verwarf den Gedanken schnell wieder. Einen derartigen Vertrauensbruch wollte sie ihren Eltern gegenüber nicht begehen. Stattdessen setzte sie sich vor den Fernseher und zappte ziellos herum. Zwei Stunden lang konnte sie sich nicht zwischen Unterschichten-Fernsehen, ein paar Spielfilmen und einer Serie entscheiden. Bis es draußen langsam dunkel wurde und sie beschloss, ins Bett zu gehen.

Es dauerte einige Zeit, bis Edda vor Müdigkeit die Augen zufielen, nachdem sie sich noch ausgiebig Fotos von Ole auf Instagram angeschaut hatte. Doch als sie die nötige Bettschwere erreicht hatte, konnte sie so schnell nichts mehr aufwecken.

Das Grundstück der Riewerts verfügte über einen großen Garten auf der hinteren Seite des Hauses. Von der Terrasse dort führte eine Hintertür ins Haus, die sehr schlecht gesichert war. Es war schon recht dunkel und die Gestalt beobachtete aufmerksam von der hinteren Ecke des Gartens aus das Gebäude. Die Eltern sind noch außer Haus und die süße Edda ist im Bett. Das ganze Haus ist jetzt dunkel. Es kann losgehen. Vorsichtig setzte die Gestalt einen Fuß vor den anderen und bewegte sich über die Rasenfläche auf die Terrasse zu. Immer wieder drehte sie sich hektisch um und versicherte sich, dass am Ende nicht doch einer der Nachbarn ihre Anwesenheit bemerkte.

Mit ihrem schwarzen Lederhandschuh umschloss sie den Türgriff und rüttelte fest und geräuschlos immer wieder daran, bis sie sich aufdrücken ließ. Wie dumm von den Leuten hier, dass sie immer noch denken, dass Husum so sicher sei, dass man keine gescheiten Türen braucht. Einfacher hätte der Zugang nicht sein können. Leise und vorsichtig wagte sich die Gestalt ins Wohnzimmer und weiter in den Flur. Alles war dunkel, doch die Treppe war nur wenige Meter entfernt. Zwanzig Stufen waren es bis nach oben. Die Tür zum Elternschlafzimmer stand offen. Die beiden waren wirklich fort, wie ein Blick zur Sicherheit verriet.

Eddas Schlafzimmertür ließ sich geräuschlos öffnen. Wie unten so machten auch hier die schweren, schwarzen Schuhe, von denen etwas Erde abbröselte, keinen Laut auf dem flauschigen Teppich. Dort lag sie – so jung und unschuldig. Lange Zeit beobachtete die Gestalt Edda, wie sie, schwach angestrahlt von einem Nachtlicht, mit jedem Atemzug die Nasenflügel bewegte. Das hätte ewig so weitergehen können. Als das Mädchen sich umdrehte, wurde der Besucher aus seinen Gedanken gerissen. Jetzt hieß es schnell sein. Er zog ein Tuch aus der linken Hosentasche. Aus der rechten holte er ein Fläschchen Chloroform hervor, mit dessen Inhalt er das Tuch tränkte. Er setzte sich auf das Bett neben die schlafende Schönheit und starrte sie an. Einige Augenblicke später öffnete Edda die Augen. Als sie kurz darauf realisierte, dass sie nicht träumte, dass tatsächlich jemand auf ihrem Bett saß, den sie darüber hinaus nicht kannte, sprang sie auf und schrie. Augenblicklich wurde ihr das Tuch auf Mund und Nase gedrückt. Es dauerte einige Sekunden, bis sie das Bewusstsein verlor.

Der Besucher wickelte den schlaffen Körper des Mädchens in eine Decke, warf ihn über seine Schulter und ging aus dem Haus. Sein Auto hatte er wenige hundert Meter entfernt geparkt. Zum Glück war um diese Uhrzeit niemand mehr auf der Straße unterwegs. Er öffnete den Kofferraum und legte Edda behutsam hinein. Niemals hätte er sich verzeihen können, wenn diesem zerbrechlichen Wesen etwas zugestoßen wäre. Er spurtete ums Auto, warf sich auf den Fahrersitz und fuhr los. Nur schnell weg von hier.

Kapitel 2

Kriminalkommissar Falk Bendinger tippte ungeduldig mit den Fingern seiner linken Hand auf der Schreibtischplatte herum, während er mit der rechten an der Computermaus wackelte und seufzte. Warum lädt denn jetzt die Seite nicht?, dachte er. Die Internetverbindung war heute wieder ziemlich langsam. Das musste mit den Wartungsarbeiten zusammenhängen, die die Telekom für das Handy- und Festnetz durchführte.

Falk nutzte die ruhigen Phasen des Bereitschaftsdiensts, von denen es mehr als genug gab, oft, um einfach so im Internet herumzustöbern. Manche hätten das als Zeitverschwendung abgetan. Doch er sah die ruhige Gesamtlage in Husum ohne zu viele Polizeieinsätze eher als Beweis dafür, dass die präventive Polizeiarbeit funktionierte und in der Folge weniger Straftaten begangen wurden. Er kramte sein Asthma-Spray aus der Hosentasche und nahm einen Zug.

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte, laut Display war es die Notrufzentrale.

„Kriminalkommissar Bendinger hier, guten Abend.“

„Arends hier, moin. Wir haben ein verschwundenes Mädchen, würden Sie bitte mal bei den Eltern vorbeifahren?“

„Seit wann ist das Mädchen denn verschwunden?“, fragte Falk.

„Ungefähr seit zwei Stunden.“

Falk seufzte genervt. „Können Sie nicht zuerst eine Streife vorbeischicken? Das ist wirklich noch nicht lange.“

„Ich weiß, dass das noch nicht so lange ist. Aber der Vater ist ziemlich einflussreich hier, und er besteht darauf, dass die Kriminalpolizei direkt eingeschaltet wird“, antwortete Arends.

„Und wer ist der Vater?“

„Schuldezernent Riewerts.“

Falk überlegte einen Augenblick. „Na dann mache ich mich mal auf den Weg“, antwortete er.

Die Adresse der Familie Riewerts an der Friesenstraße lag nur etwa 1,5 Kilometer vom Husumer Polizeirevier entfernt. Falks erster Gedanke war, dass er die Strecke auch hätte laufen können, doch er entschied sich am Ende für den Dienstwagen. So stellte er den Wagen nach einer zweiminütigen Fahrt an der Straße ab und klingelte bei den Riewerts. Mit ausdrucksloser Miene öffnete der Schuldezernent die Tür.

„Moin“, sagte er ernst.

„Kriminalkommissar Bendinger, moin.“ Falk hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass man hier in Norddeutschland selbst zu nachtschlafender Zeit diesen Gruß verwendete, auch wenn er in seinem Verständnis so etwas wie „guten Morgen“ bedeutete. Aber vielleicht musste er das als gebürtiger Hesse auch gar nicht.

Herr Riewerts bat Falk mit einer einladenden Geste, hereinzukommen.

Kaum hatte er die Schwelle zum Flur übertreten, spürte Falk förmlich die angespannte Stimmung im Haus. Frau Riewerts saß in der Küche vor einer Tasse Tee und wirkte recht gefasst. Bis sie den Ermittler mit gebrochener Stimme begrüßte und ihm eine Tasse Tee anbot, die Falk dankend ablehnte. Für einen Moment saßen die drei stumm um den Küchentisch. Falk brach das Schweigen. „Ihre Tochter ist also verschwunden. Bitte erzählen Sie mir, was passiert ist.

Herr Riewerts ergriff sogleich das Wort. „Wir waren im Konzert und sind vor etwas mehr als zwei Stunden nach Hause gekommen. Dann habe ich noch kurz in Eddas Zimmer geschaut, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Aber Edda war weg. Meine Frau und ich sind dann durchs ganze Haus gegangen und haben auch den Garten durchsucht, aber Edda war weg. Wir haben sofort gewusst, dass etwas Schlimmes passiert sein muss.“

Falk machte sich Notizen. „Herr Riewerts, bitte lassen Sie uns nicht sofort den Teufel an die Wand malen. Ihre Tochter ist wie alt?“

„13“, antwortete Frau Riewerts.

„Es sind Sommerferien und in dem Alter treffen sich die Jugendlichen abends gern mal mit Freunden. Es kann ja sein, dass sie die Zeit vergessen hat. Vielleicht ist sie gerade irgendwo am Strand und genießt das Leben“, vermutete Falk.

„Edda tut so etwas nicht. Sie ist ein braves Mädchen“, antwortete Herr Riewerts.

„Ich notiere mir trotzdem die Namen ihrer engsten Freunde, würden Sie mir da helfen?“

„Das wäre zuallererst Imke. Warten Sie, ich gebe Ihnen die Telefonnummer.“ Frau Riewerts holte eine Kladde aus dem Flur und gab Falk noch ein paar andere Telefonnummern.

„Wir würden gern eine Vermisstenanzeige aufgeben“, sagte Herr Riewerts.

Falk räusperte sich. „Für eine Vermisstenanzeige müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss die Person ihr gewohntes Lebensumfeld verlassen haben. Das ist bei Edda offensichtlich der Fall. Zudem muss der Aufenthaltsort der Person unbekannt sein, auch das trifft zu. Aber, und das sehe ich momentan nicht, es müssen Anhaltspunkte für eine Gefahr für Leib oder Leben der Person vorliegen.“

Herr Riewerts reagierte genervt. „Bitte sparen Sie sich Ihre Belehrungen. Die bloße Tatsache, dass sie weg ist, ist ein Indiz dafür, dass Gefahr für Leib und Leben besteht. Und jetzt nehmen Sie bitte die Anzeige auf.“

Falk schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Hinweise, dass Edda Opfer einer Straftat geworden ist, in einen Unfall verwickelt war oder Selbstmordabsichten geäußert hat. Das ist doch korrekt, oder?“

Herr und Frau Riewerts schauten einander an. „Ja, das ist korrekt“, zeigte sich Herr Riewerts einsichtig.

„Sehen Sie. Ich mache einen Vorschlag. Wir starten umgehend eine Suchaktion in Husum. Ich werde Streifenwagen mit einem Foto Ihrer Tochter auf die Suche schicken. Die sollen mal alle Plätze abklappern, an denen Jugendliche sich nachts in den Ferien bekanntermaßen aufhalten. Und wenn wir Edda bis morgen früh nicht gefunden haben, sehen wir weiter.“

„Einverstanden. Aber bitte versprechen Sie mir, dass Sie unsere Tochter finden. Edda ist unser einziges Kind und wir lieben sie über alles“, sagte Herr Riewerts.

Trotz seiner Skepsis wollte Falk sich für den Fall, dass es sich doch um eine Entführung handelte, tatsächlich später nicht nachsagen lassen, er hätte nicht alles unternommen, was in seiner Macht steht. „Ich kann Ihnen versprechen, dass wir alles tun, was wir können. Dürfte ich bitte einmal Eddas Zimmer sehen?“

Falk folgte dem Ehepaar Riewerts die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Eddas Zimmer sah aus wie das eines typischen Teenagers, der sich an der Schwelle zwischen Kindsein und Erwachsenwerden bewegte. An der Wand hingen Bilder von Pferden und Poster von Ariana Grande, unter denen ein voll ausgestattetes Schminktischchen stand. Es roch nach Parfum.

„Das Bettzeug ist durcheinander“, bemerkte Falk. „Wissen Sie, ob Ihre Tochter ihr Bett heute nach dem Aufstehen gemacht hat?“

„Das weiß ich nicht genau, ich habe nicht nachgeschaut. Aber normalerweise tut sie das immer. Sie ist ein sehr ordentliches Kind“, antwortete Frau Riewerts.

„Okay, das würde bedeuten, dass Edda erst im Bett war und dann noch mal losgegangen ist“, überlegte Falk laut. „Auch wenn wir nichts Schlimmes vermuten: Betreten Sie Eddas Zimmer erst mal nicht. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Haben Sie im Haus sonst etwas Ungewöhnliches bemerkt, als Sie vom Konzert nach Hause gekommen sind?“

„Die hintere Tür in den Garten war locker. Aber das ist sie eigentlich schon immer, muss ich zugeben“, sagte Herr Riewerts.

„War sie denn verschlossen?“, versicherte sich Falk.

Herr Riewerts nickte.

„Na schön. Wie gesagt werde ich umgehend die Suchaktion veranlassen. Bitte machen Sie sich erst mal keine Sorgen. Sobald wir weitere Informationen haben, melde ich mich bei Ihnen“, sagte Falk.

Sosehr der Kommissar auch versuchte, die beiden zu beruhigen: Herr und Frau Riewerts konnten einfach nicht das Gefühl abstellen, dass etwas Furchtbares mit ihrer Tochter geschehen war.

Kapitel 3

Edda spürte eine Erschütterung und erlangte ihr Bewusstsein zurück. Sie war wie gelähmt. Ihre Lider konnte sie noch nicht öffnen, sie schienen tonnenschwer zu sein. So versuchte sich das Mädchen vorerst mithilfe ihrer anderen Sinne zu orientieren. Sie schien in einem engen Raum zu sein, in dem es dröhnte und nach Benzin roch. Außerdem wurde sie hin und her geschaukelt. Ich bin in einem Kofferraum, kam es ihr in den Sinn. Langsam kehrte die Kraft in ihre Glieder zurück. Sie befreite sich aus der Decke, in der sie eingewickelt war, und öffnete langsam die Augen. Es war dunkel, nicht mal der schwächste Schimmer fiel in den dicht versiegelten Kofferraum. Die Luft in der Enge war abgestanden und Edda sehnte sich nach einem frischen Atemzug.

Sie trug eine Fitnessuhr, die immer dann leuchtete, wenn sie einen Knopf darauf drückte. Im schwachen, grünlichen Schimmer des Displays konnte sie sich jeweils für ein paar Sekunden ein Bild von ihrem Gefängnis machen. Um sie herum verteilt lagen ein Warndreieck, ein Verbandkasten und drei Benzinkanister. Wofür braucht man drei Benzinkanister?, schoss es ihr spontan durch den Kopf. In einer offensichtlich scharfen Kurve wurde sie gegen die Wand geschleudert und stieß sich den Kopf. Sie schrie laut auf. Wohin fuhr ihr Entführer sie? Machte es Sinn, einen Fluchtversuch zu wagen? Edda konnte sich in der Enge kaum rühren, mit Mühe schaffte sie es, sich von der Seite auf den Rücken zu drehen, sodass ihre Knie die Kofferraumklappe berührten. So fest sie konnte, drückte sie aus der Hüfte heraus die Knie nach oben. Die Klappe gab ein wenig nach, aber sie ließ sich nicht öffnen. So lange und kräftig sie auch drückte, nichts passierte. Verzweifelt begann sie, mit den Fäusten gegen das Blech zu hauen. Dann fiel ihr ein, dass das bestimmt keine so gut Idee war, da ihr Entführer sie dadurch hören konnte. Edda drückte auf ihre Fitnessuhr und suchte den Kofferraum nach einem Werkzeug ab, das sich vielleicht zum Öffnen eignete. Sie öffnete den Verbandkasten und nahm die Schere heraus, die eigentlich dazu gedacht war, Mullbinden zurechtzuschneiden. Hektisch stocherte sie damit im Schloss herum. Dann geschah das Unglaubliche: Sie schaffte es, den metallenen Verschluss der Kofferraumklappe zur Seite zu bewegen, die Klappe sprang auf. Ein Schwall frischer Meeresluft durchflutete den Kofferraum und Edda atmete ein paarmal tief ein. Dann schaute sie hinaus. Sie konnte die ruhige Meeresoberfläche sehen, auf der sich das Mondlicht spiegelte. Der Anblick beruhigte sie ein wenig, hatte sie so doch Gewissheit, noch immer irgendwo in der Heimat zu sein. Wie geht es jetzt weiter? Soll ich rausspringen? Nein, das Auto ist viel zu schnell. Ich würde mich übel verletzen. Oder sogar sterben. Aber vielleicht kann ich bis zur nächsten roten Ampel oder so warten, dann rausspringen und so schnell wie möglich weglaufen? Auf jeden Fall muss ich mich beeilen. Wenn der Mann auf dem Fahrersitz in den Rückspiegel schaut, sieht er die offene Kofferraumklappe.

Nervös umklammerte er das Lenkrad. Hoffentlich geht alles gut. Zum Glück sind die Straßen heute leer. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Polizei mich anhält.

Plötzlich hörte er ein Klopfen aus dem Kofferraum. Scheiße, sie ist wieder zu sich gekommen. Habe ich doch nicht genug Chloroform benutzt. Er riss kurz das Lenkrad um und fuhr einen Schlenker in der Hoffnung, sie würde danach Ruhe geben. Doch als er in den Rückspiegel blickte, sah er das Ärgernis: Die Kofferraumklappe war offen. Mitten auf der Straße machte er eine Vollbremsung und lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen, wo er auf dem feuchten Gras noch einige Meter rutschte, bevor er zum Stehen kam.

Er stieß die Fahrertür auf und rannte zum Kofferraum. Edda versuchte gerade, noch immer geschwächt und dementsprechend wackelig auf den Beinen, über die Ladekante zu klettern, was ihr jedoch nicht recht gelingen wollte. Als sie den Mann sah, begann sie vor Verzweiflung zu weinen.

„Was wollen Sie von mir?“, schluchzte sie.

„Dass du endlich Ruhe gibst.“ Er schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht, Edda fiel rücklings in den Kofferraum und blieb reglos liegen. Er steckte die Schere, die er im Kofferraum entdeckte, in seine Hosentasche und knallte die Klappe zu. Zum Glück hatten sie ihr Ziel fast erreicht.

Bis zum Ende der Fahrt unternahm Edda keine weiteren Fluchtversuche. Sie wäre auch gar nicht mehr in der Lage dazu gewesen. Vom Schlag ins Gesicht benommen lag sie im Kofferraum und hoffte, dass ihr Peiniger sie am Ende der Fahrt doch noch laufen lassen würde.

---ENDE DER LESEPROBE---