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David Gemmell

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Beschreibung

Das Reich der Drenai beginnt zu zerfallen. Vor den Toren von Dros Delnoch steht eine unüberwindlich scheinende Streitmacht der Steppenkrieger der Nadir. In dieser verzweifelten Situation besinnen sich die Drenai ihres besten Anführers: der legendäre Axtkämpfer Druss, genannt 'die Legende'. Seit 30 Jahren lieben die Leser David Gemmells Meisterwerk der Heroic Fantasy. 10 Jahre war dieser Roman-Klassiker nicht lieferbar – jetzt kann die heroische Schlacht um Dros Delnoch, der letzte, heldenhafte Kampf einer Legende, in zeitgemäßer Ausstattung neu- und wiederentdeckt werden.

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Seitenzahl: 578

Veröffentlichungsjahr: 2016

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David Gemmell

Die Legende

Die Drenai-Saga 1

Aus dem Englischenvon Irmhild Seeland

Knaur e-books

Über dieses Buch

Das Reich der Drenai beginnt zu zerfallen. Vor den Toren von Dros Delnoch steht eine unüberwindlich scheinende Streitmacht der Steppenkrieger der Nadir. In dieser verzweifelten Situation besinnen sich die Drenai ihres besten Anführers: der legendäre Axtkämpfer Druss, genannt »die Legende«.Seit 30 Jahren lieben die Leser David Gemmells Meisterwerk der Heroic Fantasy. 10 Jahre war dieser Roman-Klassiker nicht lieferbar – jetzt kann die heroische Schlacht um Dros Delnoch, der letzte, heldenhafte Kampf einer Legende, in zeitgemäßer Ausstattung neu- und wiederentdeckt werden.

Inhaltsübersicht

Prolog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. KapitelEpilog
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Prolog

Der Drenai-Herold wartete ängstlich vor den großen Türen des Thronsaales, flankiert von zwei Nadir-Wächtern, die geradeaus starrten, die schrägstehenden Augen fest auf den Bronzeadler gerichtet, mit dem das dunkle Holz verziert war.

Er leckte sich mit trockener Zunge die ebenso trockenen Lippen und zog den Purpurumhang um seine knochigen Schultern zurecht. Im Ratssaal in Drenan, neunhundert Kilometer weiter südlich, war er so zuversichtlich gewesen, als Abalayn ihn gebeten hatte, diese delikate Mission zu übernehmen: eine Reise in das ferne Gulgothir, um die Verträge zu unterzeichnen, die mit Ulric, dem Herrscher der Nadir-Stämme, geschlossen worden waren. Bartellus hatte in der Vergangenheit geholfen, Verträge zu entwerfen, und war zweimal bei Gesprächen in Vagria im Westen und in Mashrapur im Süden dabei gewesen. Jedermann wusste, wie wertvoll der Handel war und dass die Notwendigkeit bestand, kostspielige Unternehmen wie Kriege zu vermeiden. Ulric würde da keine Ausnahme bilden. Zwar hatte er die Völker der nördlichen Steppe überfallen und ausgeplündert, aber die hatten schließlich auch sein Volk über die Jahrhunderte hinweg mit ihren Steuern und Überfällen ausgeblutet und damit die Saat ihrer eigenen Zerstörung gesät.

Nicht so die Drenai. Sie hatten die Nadir immer mit Anstand und Höflichkeit behandelt. Bei beiden Besuchen in dessen Zeltstadt im Norden hatte Ulric Abalayn wie einen König empfangen.

Aber Bartellus war über die Verwüstung in Gulgothir bestürzt gewesen. Dass man die gewaltigen Tore niedergerissen hatte, war nicht verwunderlich, aber man hatte anschließend auch viele der Verteidiger verstümmelt. Auf dem großen Platz in der Hauptfestung hatten die Angreifer einen Hügel aus menschlichen Händen errichtet. Bartellus erschauderte und versuchte, diese Erinnerungen zu verdrängen.

Drei Tage hatten sie ihn warten lassen, aber sie waren höflich gewesen – geradezu freundlich.

Wieder zupfte er seinen Umhang zurecht, denn ihm war bewusst, dass seine hagere, kantige Gestalt die Heroldsrobe nicht wirklich ausfüllte. Er zog ein Leinentuch aus dem Gürtel und wischte sich den Schweiß von der hohen, kahlen Stirn. Seine Frau warnte ihn ständig, dass sein Kopf weithin glänzte, wenn er Angst bekam. Ihm wäre lieber gewesen, diese Beobachtung wäre unausgesprochen geblieben.

Er warf einen Blick auf den Wächter zu seiner Rechten und unterdrückte ein Schaudern. Der Mann war kleiner als er und trug einen stachelbesetzten Helm, der mit Ziegenfell verbrämt war, sowie eine bemalte hölzerne Brustplatte und einen gezackten Speer. Sein Gesicht war flach und grausam, die schrägstehenden Augen waren dunkel. Falls Bartellus je einen Mann brauchte, um einem anderen die Hand abschlagen zu lassen … Er blickte nach links – und wünschte, er hätte es nicht getan, denn der Wächter sah ihn an. Bartellus fühlte sich wie ein Kaninchen unter einem herabstürzenden Habicht und richtete den Blick hastig wieder auf den Bronzeadler auf der Tür.

Barmherzigerweise hatte das Warten ein Ende, denn die Türen schwangen auf.

Bartellus holte tief Luft und trat ein.

Der Raum war lang, zwanzig Marmorsäulen trugen die mit Fresken versehene Decke. An jeder Säule hing eine brennende Fackel, die düster tanzende Schatten an die Wände warf, und an jeder Säule stand ein Nadir-Wächter mit einem Speer. Die Augen starr nach vorn gerichtet marschierte Bartellus die fünfzig Schritt bis zum Thron auf dem Marmorpodest.

Darauf saß Ulric, der Kriegsherr des Nordens.

Er war nicht groß, strahlte jedoch Macht aus, und als Bartellus näher kam, war er vom Aussehen und der spürbaren Energie dieses Mannes beeindruckt. Er hatte die hohen Wangenknochen und das nachtschwarze Haar der Nadir, doch seine schrägstehenden Augen waren überraschend violett. Der dreifach gegabelte Bart gab dem dunklen Gesicht einen dämonischen Anschein, den jedoch das warme Lächeln des Mannes Lügen strafte.

Was Bartellus jedoch am meisten beeindruckte, war die Tatsache, dass der Herrscher der Nadir eine weiße Drenai-Robe trug, die mit Abalayns Familienwappen bestickt war: einem goldenen Pferd, das sich über einer silbernen Krone aufrichtete.

Der Herold verneigte sich tief.

»Herr, ich bringe Euch die Grüße des Fürsten Abalayn, des gewählten Führers der freien Völker der Drenai.«

Ulric erwiderte den Gruß mit einem Nicken und bedeutete ihm mit einer Geste fortzufahren.

»Abalayn beglückwünscht Euch zu Eurem großartigen Sieg über die Rebellen von Gulgothir und hofft, dass Ihr nun, wo die Gräuel des Krieges hinter Euch liegen, Zeit findet, die neuen Abkommen und Handelsvereinbarungen zu prüfen, die er bei seinem überaus erfreulichen Aufenthalt hier im letzten Frühjahr mit Euch besprochen hat. Ich habe hier einen Brief von Abalayn, ebenso die Abkommen und Vereinbarungen.« Bartellus trat vor und reichte Ulric drei Schriftrollen. Ulric nahm sie und legte sie behutsam auf den Boden neben dem Thron.

»Danke, Bartellus«, sagte er. »Sag mir, fürchten die Drenai wirklich, dass meine Armee gegen Dros Delnoch marschieren wird?«

»Ihr scherzt, Herr.«

»Keineswegs«, entgegnete Ulric mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme unschuldig. »Die Händler haben mir erzählt, dieses Gerücht ginge in Drenan.«

»Müßiges Geschwätz«, sagte Bartellus. »Ich selbst habe geholfen, die Vereinbarungen aufzusetzen. Wenn ich bei den diffizilen Stellen behilflich sein kann, wäre es mir ein Vergnügen.«

»Ich bin sicher, es ist alles in Ordnung«, sagte Ulric. »Aber du musst verstehen, dass mein Schamane Nosta Khan die Omen prüfen muss. Ein primitiver Brauch, ich weiß, aber das siehst du sicher ein, nicht wahr?«

»Gewiss. Solche Dinge sind eine Frage der Tradition«, antwortete Bartellus.

Ulric klatschte zweimal in die Hände, und aus den Schatten zur Linken tauchte ein verhutzelter Greis in einem schmutzigen Umhang aus Ziegenfell auf. Unter dem knochigen rechten Arm trug er ein weißes Huhn und in der linken Hand eine große, flache Holzschale. Ulric erhob sich, als er näher kam, streckte die Hände aus und ergriff das Huhn am Hals und den Beinen.

Langsam hob Ulric es über seinen Kopf – und dann, während Bartellus’ Augen sich vor Entsetzen weiteten, ließ er das Huhn sinken, schlug ihm die Zähne in den Hals und riss ihm den Kopf vom Körper. Die Flügel schlugen wild, und Blut quoll und spritzte hervor. Es durchtränkte das weiße Gewand. Ulric hielt den zuckenden Kadaver über die Schale und beobachtete, wie der Lebenssaft das Holz befleckte. Nosta Khan wartete, bis der letzte Tropfen aus dem Fleisch gequollen war, und hob dann die Schale an die Lippen. Er schaute zu Ulric auf und schüttelte den Kopf.

Der Kriegsherr warf den Vogel beiseite und zog langsam das weiße Gewand aus. Darunter trug er eine schwarze Brustplatte und ein Schwertgehänge. Er nahm den mit Silberfuchsfell verbrämten Kriegshelm aus schwarzem Stahl, der neben dem Thron lag, und setzte ihn auf. Dann wischte er sich den blutverschmierten Mund am Drenai-Gewand ab und warf es Bartellus achtlos vor die Füße.

Der Herold schaute auf das blutgetränkte Gewand zu seinen Füßen.

»Ich fürchte, die Omen sind nicht günstig«, sagte Ulric.

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1

Rek war betrunken. Nicht so betrunken, dass es zum Problem wird, aber doch so, dass es kein Problem mehr ist, dachte er, als er in den rubinroten Wein blickte, der blutige Schatten im Bleikristall warf. Ein Holzfeuer im Kamin wärmte seinen Rücken, und der beißende Rauch, dessen scharfer Geruch sich mit dem Gestank ungewaschener Körper, vergessener Mahlzeiten und muffiger, feuchter Kleidung mischte, brannte ihm in den Augen. Eine Laternenflamme tanzte kurz im eisigen Wind, als ein Schwall kalter Luft in den Raum drang. Dann knallte der neue Gast die Holztür wieder zu, was die Kälte wieder aussperrte, und murmelte eine Entschuldigung in die überfüllte Wirtsstube.

Die Unterhaltung, die in dem jähen eisigen Hauch verstummt war, wurde wieder aufgenommen. Ein Dutzend Stimmen verschmolz zu einem monotonen Murmeln. Rek nippte an seinem Wein. Er erschauderte, als jemand lachte – das Geräusch war kalt wie der Winterwind, der um das Holzhaus heulte. Als ginge jemand über dein Grab, dachte er und zog seinen blauen Umhang fester um die Schultern. Er musste die Worte nicht hören, um zu wissen, worum sich alle Gespräche drehten; es war seit Tagen dasselbe.

Krieg.

So ein kleines Wort. Doch es bedeutete so viel Schmerz. Blut, Tod, Eroberung, Elend, Pest und Schrecken.

Erneut erhob sich Gelächter. »Barbaren!«, übertönte eine brüllende Stimme das Gemurmel. »Leichte Beute für Drenai-Lanzen.« Noch mehr Hohngelächter.

Rek starrte in den Kristallkelch. So schön. So zerbrechlich. Mit Sorgfalt, ja Liebe hergestellt; kunstvoll geschliffen wie ein hauchfeiner Brillant. Er hob das Kristall an sein Gesicht und betrachtete das Dutzend Augen, das sich darin spiegelte.

Jedes davon klagte an. Für einen Moment hätte er das Glas am liebsten zertrümmert, die Augen und diese Anklage zerschmettert. Aber er tat es nicht. Ich bin nicht verrückt, sagte er zu sich selbst. Noch nicht.

Horeb, der Wirt, wischte sich die dicken Finger an einem Handtuch ab, warf einen müden, aber wachsamen Blick über die Menge, immer auf der Hut vor Ärger und bereit, mit einem Wort und einem Lächeln einzugreifen, ehe eine Drohung und eine Faust notwendig wurden. Krieg. Warum ließ die Aussicht auf so blutige Unternehmen Männer auf das Niveau von Tieren herabsinken? Einige Zecher – genaugenommen die meisten – kannten Horeb gut. Viele hatten Familie: Bauern, Händler, Handwerker. Alle waren sie freundlich, die meisten mitfühlend, vertrauenswürdig, sogar sanft, doch nun redeten sie von Tod und Ruhm und von ihrer Bereitschaft, jeden zu verprügeln oder zu erschlagen, der mit den Nadir sympathisierte. Die Nadir – selbst der Name hatte einen verächtlichen Beiklang.

Doch sie werden es lernen, dachte er traurig. Oh, und wie sie es lernen werden! Horebs Blick schweifte durch den großen Raum und blieb voller Wärme auf seinen Töchtern hängen, die Tische abräumten und Krüge austeilten. Die kleine Dori errötete unter ihren Sommersprossen bei einem deftigen Scherz; Besa, das Abbild ihrer Mutter, groß und hellblond; Nessa, fett, unansehnlich und doch von allen geliebt, kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Bäckerlehrling Norvas. Gute Mädchen. Freudengaben. Dann fiel sein Blick auf die hochgewachsene Gestalt im blauen Umhang, die am Fenster saß.

»Verdammt, Rek, hör auf damit«, brummte er, wohl wissend, dass der Mann nicht auf ihn hören würde. Horeb wandte sich ab, fluchte, zog seine Lederschürze aus und ergriff einen halbvollen Krug Bier und einen Becher. Dann fiel ihm noch etwas ein. Er öffnete einen kleinen Schrank und nahm eine Flasche Portwein heraus, die er für Nessas Hochzeit aufbewahrt hatte.

»Geteiltes Leid ist halbes Leid«, sagte er, während er sich auf den Stuhl Rek gegenüber quetschte.

»Ein Freund in Not ist ein Freund, den man meiden sollte«, erwiderte Rek, nahm die angebotene Flasche und füllte sein Glas nach. »Ich kannte mal einen General«, sagte er, starrte in den Wein und drehte das Glas zwischen seinen schlanken Fingern. »Verlor nie eine Schlacht. Aber hat auch nie eine gewonnen.«

»Wie das?«, fragte Horeb.

»Du kennst die Antwort. Ich habe es dir doch schon erzählt.«

»Ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Außerdem höre ich gern zu, wenn du erzählst. Wie konnte er nie verlieren und zugleich nie gewinnen?«

»Er hat bei jeder Bedrohung kapituliert«, sagte Rek. »Schlau, was?«

»Wie kam es, dass Männer ihm folgten, wenn er nie gewann?«

»Weil er nie verlor – und sie auch nicht.«

»Wärest du ihm gefolgt?«, fragte Horeb.

»Ich folge niemandem mehr. Am wenigsten Generälen.« Rek wandte den Kopf und lauschte den Gesprächen der anderen. Er schloss die Augen, konzentrierten sich. »Hör sie dir an«, flüsterte er. »Hör dir ihr Gerede von Ruhm und Ehre an.«

»Sie wissen es nicht besser, mein Freund. Sie haben es noch nicht gesehen, nicht geschmeckt: die Krähen, die wie eine schwarze Wolke über dem Schlachtfeld kreisen und sich an den Augen der Toten laben; Füchse, die an zerrissenen Sehnen zerren, Würmer …«

»Hör auf! Du musst mich nicht daran erinnern. Um nichts in der Welt zöge ich in diesen Krieg. Wann heiratet Nessa?«

»In drei Tagen«, antwortete Horeb. »Er ist ein guter Junge, er wird für sie sorgen. Backt immer Kuchen für sie. Sie wird bald aufgehen wie ein Hefekloß.«

»So oder so«, sagte Rek augenzwinkernd.

»Ja, in der Tat«, entgegnete Horeb mit einem breiten Grinsen. Die Männer saßen schweigend da und ließen sich von dem Lärm einhüllen; beide tranken und dachten nach, geborgen in ihrer Zweisamkeit. Nach einer Weile beugte Rek sich vor.

»Der erste Angriff wird Dros Delnoch gelten«, sagte er. »Weißt du, dass dort nur zehntausend Mann stationiert sind?«

»Ich habe gehört, es wären noch weniger. Abalayn spart an Berufssoldaten und setzt auf Bürgerwehren. Trotzdem, es sind immerhin sechs hohe Mauern und eine starke Festung, und Delnar ist kein Narr – er hat an der Skeln-Schlacht teilgenommen.«

»Wirklich?«, sagte Rek. »Ich hörte, dort stand einer gegen zehntausend. Ein Mann, der ganze Gebirge auf den Feind schleuderte.«

»Die Sage von Druss, der Legende«, sagte Horeb und senkte die Stimme. »Die Geschichte eines Hünen, dessen Augen Tod waren und dessen Axt Schrecken bedeutete. Kommt her, Kinder, und haltet euch von den Schatten fern, in denen das Böse lauert, wenn ich meine Geschichte erzähle.«

»Du Schuft!«, sagte Rek. »Das hat mich früher immer erschreckt. Du kanntest ihn, nicht wahr – die Legende, meine ich?«

»Vor langer Zeit. Es heißt, er sei tot. Wenn nicht, muss er über sechzig sein. Wir waren auf drei Feldzügen zusammen, doch ich habe nur zweimal mit ihm gesprochen. Aber einmal habe ich ihn in Aktion gesehen.«

»War er gut?«, fragte Rek.

»Furcht einflößend. Es war kurz vor Skeln und dem Sieg über die Unsterblichen. Eigentlich nur ein Geplänkel. Ja, er war sehr gut.«

»Du bist nicht detailverliebt, Horeb.«

»Willst du, dass ich genauso rede wie diese anderen Idioten, die von Krieg und Tod und Morden quatschen?«

»Nein«, entgegnete Rek und trank seinen Wein aus. »Bestimmt nicht. Du kennst mich doch, oder?«

»Genug, um dich zu mögen. Trotz allem.«

»Trotz was?«

»Trotz der Tatsache, dass du dich selbst nicht magst.«

»Im Gegenteil«, widersprach Rek und schenkte sich nach, »ich mag mich selbst sehr wohl. Ich kenne mich nur besser als die meisten Leute.«

»Weißt du, Rek, manchmal glaube ich, du verlangst zu viel von dir.«

»Nein, ich verlange sehr wenig. Ich kenne meine Schwächen.«

»Mit Schwächen ist es eine komische Sache«, sagte Horeb. »Die meisten Leute behaupten, ihre Schwächen zu kennen. Wenn man sie fragt, sagen sie: ›Na ja, ich, zum Beispiel, bin zu großzügig.‹ Also komm schon, zähl mir deine auf, wenn du unbedingt musst. Dafür sind Wirte da.«

»Na ja, ich, zum Beispiel, bin zu großzügig – hauptsächlich Wirten gegenüber.«

Horeb schüttelte den Kopf, grinste und verfiel in Schweigen.

Zu intelligent für einen Helden, zu viel Angst für einen Feigling, dachte er. Er beobachtete, wie sein Freund den Kelch leerte, ihn hochhob und sein in unzählige Facetten zerlegtes Gesicht betrachtete. Einen Moment lang fürchtete Horeb, er würde ihn zerschmettern, so stark war der Zorn in Reks gerötetem Gesicht gewesen.

Dann stellte der Jüngere den Kelch behutsam wieder ab.

»Ich bin kein Narr«, sagte er leise. Er erstarrte, als er merkte, dass er laut gesprochen hatte. »Verdammt!«, sagte er. »Jetzt ist mir der Alkohol doch zu Kopf gestiegen.«

»Lass mich dir auf dein Zimmer helfen«, bot Horeb an.

»Brennt dort eine Kerze?«, fragte Rek, der auf seinem Stuhl schwankte.

»Gewiss.«

»Du wirst sie nicht ausgehen lassen, nicht wahr? Bin nicht scharf auf die Dunkelheit. Keine Angst, verstehst du? Mag sie nur nicht.«

»Ich werde die Kerze nicht ausgehen lassen. Vertrau mir.«

»Ich vertraue dir. Ich habe dich gerettet, nicht wahr? Weißt du noch?«

»Natürlich. Gib mir deinen Arm. Ich bringe dich die Treppe hinauf. Hier entlang. So ist es gut. Einen Fuß vor den anderen. Gut!«

»Ich habe nicht gezögert. Direkt hinein, mit erhobenem Schwert, nicht wahr?«

»Ja.«

»Nein. Das stimmt nicht. Ich habe zwei Minuten zitternd dagestanden, und du bist verwundet worden.«

»Aber du bist gekommen. Verstehst du das nicht? Die Verletzung spielt keine Rolle – du hast mich gerettet.«

»Für mich spielt sie eine Rolle. Brennt in meinem Zimmer eine Kerze?«

***

Hinter ihm lag die Festung, grau und finster, ein Schattenriss vor Flammen und Rauch. Der Schlachtenlärm erfüllte seine Ohren, und er rannte keuchend, mit hämmerndem Herzen. Er warf einen Blick zurück. Die Festung war näher, als sie zuvor gewesen war. Vor ihm lagen die grünen Hügel, die die sentranische Ebene schützten. Sie schimmerten und wichen vor ihm zurück, verspotteten ihn mit ihrer Ruhe. Er lief schneller. Ein Schatten fiel auf ihn. Die Tore der Festung öffneten sich. Er wehrte sich gegen die Kraft, die ihn zurückzog. Er schrie und flehte. Doch die Tore schlossen sich, und er war wieder mitten in der Schlacht, ein bluttriefendes Schwert in der zitternden Hand.

***

Er erwachte, die Augen aufgerissen, die Nasenflügel gebläht, und ein Schrei wollte sich seiner Lunge entringen. Eine zarte Hand streichelte sein Gesicht, und sanfte Worte beruhigten ihn. Sein Blick wurde klar. Es war kurz vor Morgengrauen; das blassrosa Licht eines jungfräulichen Tages drang durch das Eis auf der Innenseite seines Schlafzimmerfensters. Er drehte sich um.

»Du hattest eine unruhige Nacht«, sagte Besa und streichelte seine Stirn. Er lächelte, schlug die Gänsedaunendecke zurück und zog sie zu sich unter die Decke.

»Jetzt bin ich nicht mehr unruhig«, sagte Rek. »Wie könnte ich auch?« Die Wärme ihres Körpers erregte ihn, und seine Finger liebkosten ihren Rücken.

»Heute nicht«, sagte sie, küsste ihn leicht auf die Stirn und machte sich los. Sie warf die Decke zurück, erschauderte und lief durch den Raum, um ihre Kleider aufzusammeln. »Es ist kalt«, sagte sie. »Kälter als gestern.«

»Hier drin ist es warm«, lockte er und richtete sich auf, um ihr beim Anziehen zuzusehen. Sie warf ihm einen Kuss zu.

»Es ist schön, mit dir herumzumachen, Rek. Aber ich werde keine Kinder mit dir haben – und jetzt raus aus dem Bett. Heute kommt eine Reisegruppe an. Das Zimmer ist vermietet.«

»Du bist eine schöne Frau. Wenn ich einen Funken Verstand hätte, würde ich dich heiraten.«

»Dann ist es gut, dass du keinen hast, denn ich würde dich abweisen, und das würde dein Selbstbewusstsein nie verkraften. Ich suche einen Mann, der anständiger ist.« Ihr Lachen nahm ihren Worten die Schärfe. Beinahe.

Die Tür öffnete sich, und Horeb kam geschäftig herein. Er trug ein Kupfertablett mit Brot, Käse und einem Krug.

»Was macht der Kopf?«, fragte er und stellte das Tablett auf den Holztisch neben dem Bett.

»Gut«, entgegnete Rek. »Ist das Orangensaft?«

»Ja, und er wird dich einiges kosten. Nessa hat einen vagrianischen Händler abgefangen, als er das Schiff verließ. Sie hat eine Stunde gewartet und Frostbeulen riskiert, nur um Orangen für dich zu bekommen. Ich glaube nicht, dass du das wert bist.«

»Wohl wahr«, lachte Rek. »Traurig, aber wahr.«

»Willst du heute wirklich gen Süden aufbrechen?«, fragte Besa, während Rek Orangensaft schlürfte. Er nickte.

»Du bist ein Narr. Ich dachte, du hättest genug von Reinard.«

»Ich werde ihm aus dem Weg gehen. Sind meine Kleider gesäubert?«

»Dori hat Stunden damit verbracht«, sagte Besa, »und wofür? Damit du sie im Graven-Wald wieder schmutzig machst.«

»Darum geht es nicht. Man sollte immer wie aus dem Ei gepellt aussehen, wenn man eine Stadt verlässt.« Er warf einen Blick auf das Tablett. »Ich ertrage den Anblick dieses Käses nicht.«

»Macht nichts«, sagte Horeb. »Er kommt trotzdem auf die Rechnung!«

»Dann werde ich mich zwingen, ihn zu essen. Gibt es heute noch mehr Reisende?«

»Eine Gewürzkarawane bricht nach Lentria auf – sie wird durch Graven ziehen. Zwanzig Mann, schwer bewaffnet. Sie nehmen den Rundweg nach Süden und Westen. Eine Frau reist allein – aber sie ist schon weg«, sagte Horeb, »und dann ist da noch eine Gruppe von Pilgern. Aber sie brechen erst morgen auf.«

»Eine Frau?«

»Noch nicht ganz«, sagte Besa. »Aber fast.«

»Na, na, Mädchen«, sagte Horeb, breit grinsend, »du bist doch sonst nicht so bösartig. Ein hochgewachsenes Mädchen mit einem guten Pferd, und sie ist bewaffnet.«

»Ich hätte mit ihr reisen können«, sagte Rek. »Dann wäre die Reise möglicherweise vergnüglicher geworden.«

»Ja, und sie hätte dich vor Reinard beschützen können«, sagte Besa. »Sie sah danach aus. Komm schon, zieh dich an. Ich habe keine Zeit, hier zu sitzen und dir beim Frühstücken zuzusehen wie einem Grafen. Du hast in diesem Haus schon genug Chaos angerichtet.«

»Ich kann nicht aufstehen, solange du da bist«, protestierte Rek. »Das schickt sich nicht.«

»Idiot«, sagte sie und nahm das Tablett. »Sieh zu, dass er aufsteht, Vater, sonst bleibt er den ganzen Tag liegen.«

»Sie hat recht, Rek«, sagte Horeb, als die Tür sich hinter ihr schloss. »Es ist Zeit für dich zu gehen, und da ich weiß, wie lange du brauchst, um dich präsentabel zu machen, ist es wohl am besten, ich überlasse dich dieser Tätigkeit.«

»Man sollte immer wie aus dem Ei gepellt aussehen …«

»… wenn man eine Stadt verlässt. Ja, ich weiß. Das sagst du immer. Wir sehen uns unten.«

Sobald er wieder allein war, änderte sich Reks Verhalten. Die Lachfältchen um seine Augen wurden zu Zeichen der Anspannung, beinahe der Trauer. Die Drenai waren als Weltmacht am Ende. Ulric und die Nadir-Stämme hatten mit ihrem Marsch auf Drenan begonnen, und sie würden auf Strömen von Blut in die Ebene reiten. Selbst wenn jeder Drenai-Krieger dreißig Stammesleute tötete, blieben noch Hunderttausende übrig.

Die Welt veränderte sich, und Rek gingen die Verstecke aus.

Er dachte an Horeb und seine Töchter. Seit sechshundert Jahren hatten die Drenai der Welt eine Zivilisation aufgedrückt, für die sie nicht geeignet war. Sie hatten erbarmungslos erobert, weise gelehrt und im Großen und Ganzen gut geherrscht. Aber sie hatten ihre Abenddämmerung erreicht, und ein neues Reich wartete, bereit, aus Blut und Asche des alten zu erstehen. Er dachte wieder an Horeb und lachte. Was immer auch geschah, der alte Mann wird überleben. Selbst die Nadir brauchten gute Wirtshäuser – und die Töchter? Wie würde es ihnen ergehen, wenn die Horden die Stadttore sprengten? Bluttriefende Bilder überfluteten seine Gedanken.

»Verdammt!«, brüllte er, rollte sich aus dem Bett und riss das eisverkrustete Fenster auf.

Der Winterwind streifte seinen bettwarmen Körper und holte ihn zurück in die Wirklichkeit des heutigen Tages und zu seinem langen Ritt nach Süden. Er ging zur Bank, auf der seine Kleider ausgelegt waren, und zog sich rasch an. Das weiße, wollene Unterhemd und die blaue Hose waren Geschenke der sanften Dori; die Tunika mit dem goldbestickten Kragen ein Überbleibsel aus besseren Tagen in Vagria; die Weste mit dem Schaffellfutter und den goldenen Bändern ein Geschenk Horebs und die schenkellangen Hirschlederstiefel ein Überraschungsgeschenk von einem müden Reisenden in einer abgelegenen Herberge. Was muss dieser Reisende erst überrascht gewesen sein!, dachte Rek, als er sich an den Kitzel aus Angst und Aufregung erinnerte, als er vor nicht einmal einem Mond in das Zimmer des Mannes geschlichen war und die Stiefel gestohlen hatte. An der Garderobe stand ein mannshoher Bronzespiegel, in dem Rek seinem Bild einen langen Blick zuwarf. Er sah einen hochgewachsenen Mann mit schulterlangem, braunem Haar und gepflegtem Schnurrbart, der in seinen gestohlenen Stiefeln eine gute Figur machte. Er hängte das Wehrgehänge um und schob sein Langschwert in die schwarzsilberne Scheide.

»Was für ein Held«, sagte er mit einem spöttischen Lächeln zu seinem Spiegelbild. »Was für ein Schmuckstück von einem Helden.« Er zog das Schwert und vollführte ein paar Scheinattacken und Paraden, prüfte dabei aber ständig mit einem Blick sein Spiegelbild. Das Handgelenk war noch geschmeidig, der Griff sicher. Was immer du nicht bist, sagte er sich – ein Mann des Schwertes bist du. Vom Fensterbrett nahm er den silbernen Reif, seinen Talisman. Er war sein Glücksbringer, seit er ihn in einem Bordell in Lentria entwendet hatte. Er schob ihn sich auf die Stirn und hielt damit sein dunkles Haar zurück.

»Du bist vielleicht nicht großartig«, erklärte er seinem Spiegelbild, »aber bei allen Göttern in Missael, du siehst so aus!« Die Augen lächelten ihm entgegen. »Spotte nicht, Regnak Wanderer«, sagte er. Er warf sich den Umhang über den Arm und schlenderte in den langgestreckten Raum hinab, wo er seinen Blick prüfend über die frühen Gäste schweifen ließ. Horeb winkte ihm vom Tresen her zu.

»Schon besser, Rek, mein Junge«, sagte er und lehnte sich in spöttischer Bewunderung zurück. »Du könntest direkt einem von Serbars Gedichten entsprungen sein. Was zu trinken?«

»Nein. Ich glaube, das lasse ich für eine Weile – vielleicht zehn Jahre. Das Gebräu von gestern Nacht rumort noch immer in meinen Eingeweiden. Hast du mir etwas von deinem widerlichen Essen für unterwegs eingepackt?«

»Madige Kekse, verschimmelten Käse und eine zwei Jahre alte Speckseite, die von allein kommt, wenn du sie rufst«, entgegnete Horeb. »Dazu eine Flasche vom schlechtesten …«

Die Unterhaltung brach ab, als der Seher die Schankstube betrat. Sein ausgeblichenes blaues Gewand schlotterte um seine dürren Beine; den langen Stab stieß er kräftig auf die Bodendielen. Rek schluckte seinen Abscheu über das Erscheinungsbild des Alten hinunter, als er in die leeren Höhlen blickte, in denen einst die Augen gewesen waren.

Der alte Mann streckte die Hand aus, an der der Mittelfinger fehlte. »Silber für eure Zukunft«, sagte er. Seine Stimme klang trocken wie der Wind, der durch winterkalte Zweige weht.

»Warum tun die Seher das?«, fragte Horeb.

»Das mit den Augen?«, fragte Rek zurück.

»Ja. Wie kann man sich nur selbst die Augen ausstechen?«

»Was weiß ich. Sie sagen, es verschafft ihnen Visionen.«

»Klingt etwa so sinnvoll, als wenn man sich sein Ding abschneidet, um dadurch sein Liebesleben erfreulicher zu gestalten.«

»Es muss solche und solche geben, alter Freund.«

Angezogen vom Klang ihrer Stimmen hinkte der Alte mit ausgestreckter Hand näher. »Silber für eure Zukunft«, skandierte er. Rek wandte sich ab.

»Mach schon«, drängte Horeb. »Lass sehen, ob die Reise gut für dich verläuft. Was kann es schon schaden?«

»Du zahlst. Ich höre zu«, sagte Rek.

Horeb schob die Hand tief in die Tasche seiner Lederschürze und ließ eine kleine Münze in die Hand des Alten fallen. »Für meinen Freund hier«, sagte er. »Ich kenne meine Zukunft.«

Der Alte hockte sich auf den Holzfußboden und griff in einen arg mitgenommenen Beutel, aus dem er eine Handvoll Sand zum Vorschein brachte, die er um sich herum verstreute. Dann holte er sechs Knöchelchen hervor, in die Runen geritzt waren.

»Das sind Menschenknochen, nicht wahr?«, wisperte Horeb.

»Das behaupten sie«, antwortete Rek. Der alte Mann begann, in der alten Sprache zu singen; eine zittrige Stimme hallte in dem Schweigen wider. Er warf die Knochen auf den sandbestreuten Boden, dann fuhr er mit den Händen über die Runen.

»Ich kenne die Wahrheit«, sagte er schließlich.

»Vergiss die Wahrheit, alter Mann. Erzähl mir eine Geschichte voll güldener Lügen und prächtiger Mädchen.«

»Ich kenne die Wahrheit«, sagte der Seher, als hätte er nicht gehört.

»Zum Teufel damit«, fuhr Rek auf. »Dann erzähl mir die Wahrheit, alter Mann.«

»Willst du sie wirklich hören?«

»Lass das verdammte Ritual! Rede endlich, und dann Schluss!«

»Ruhig, Rek! So ist er nun mal«, sagte Horeb.

»Mag sein. Aber er gibt sich redlich Mühe, mir den Tag zu verderben. Der alte Bastard erklärt mir vermutlich, dass ich mir die Pest hole.«

»Er will die Wahrheit«, sagte Horeb dem Ritual entsprechend zu dem Seher, »und wird sie gut und weise nutzen.«

»In der Tat will er das nicht und wird er das nicht«, sagte der Seher. »Aber das Schicksal kommt an den Tag. Du willst nicht Worte über deinen Tod hören, Regnak, der Wanderer, Sohn des Argas, und so werde ich sie verschweigen. Du bist ein Mann von schwankendem Charakter und nur sporadischer Tapferkeit. Du bist ein Gauner und ein Träumer, und dein Schicksal wird dich heimsuchen und verfolgen. Du wirst vor ihm davonlaufen, doch jeder Schritt wird dich ihm näher bringen. Aber das weißt du ja, Langbein, denn du hast gestern Nacht davon geträumt.«

»Ist das die Wahrheit, Alter? Dieser nutzlose Quatsch? Ist das eine Silbermünze wert?«

»Der Graf und die Legende werden zusammen auf der Mauer stehen, und Männer werden träumen und sterben, aber wird die Festung fallen?«

Der Alte drehte sich um und ging.

»Was hast du letzte Nacht geträumt, Rek?«, fragte Horeb.

»Du glaubst doch nicht etwa an diesen Unsinn, Horeb?«

»Was hast du geträumt?«, beharrte der Wirt.

»Ich habe überhaupt nichts geträumt. Ich habe tief und fest geschlafen. Wenn nur nicht diese verfluchte Kerze gewesen wäre. Du hast sie die ganze Nacht brennen lassen, und sie stank. Du musst vorsichtiger sein. Sie hätte einen Brand verursachen können. Jedes Mal, wenn ich hier bin, warne ich dich wegen der Kerzen. Aber du hörst ja nicht auf mich.«

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2

Rek sah stumm zu, wie der Stallbursche den kastanienbraunen Wallach sattelte. Er mochte das Pferd nicht – es hatte einen boshaften Blick, und die Ohren lagen flach am Schädel an. Der Stallbursche, ein dünner kleiner Junge, sprach besänftigend auf das Tier ein, während er mit zitternden Fingern den Sattelgurt festzog.

»Warum konntest du keinen Grauen besorgen?«, fragte Rek. Horeb lachte.

»Weil es dich einen Schritt zu nahe an eine Farce herangebracht hätte. Untertreibung ist alles. Du siehst so schon aus wie ein Pfau, und wie es nun einmal steht, wird jeder lentrianische Matrose Jagd auf dich machen. Ein Brauner ist schon richtig.« Ernsthafter setzte er hinzu: »In Graven ist es dir vielleicht lieber, nicht so aufzufallen. Einen großen Schimmel kann man nicht leicht übersehen.«

»Ich glaube, es mag mich nicht. Siehst du, wie es mich anstarrt?«

»Sein Vater war das schnellste Pferd in Drenan und seine Mutter ein Schlachtross von Wundwebers Lanzenträgern. Du könntest dir keinen besseren Stammbaum wünschen.«

»Wie heißt es?«, fragte Rek, noch nicht überzeugt.

»Ulan«, entgegnete Horeb.

»Das klingt gut. Ulan … na ja, vielleicht … vielleicht.«

»Narzisse ist so weit, Herr«, sagte der Stallbursche und zog sich rasch von dem Pferd zurück. Das Tier schwang den Kopf herum und schnappte nach dem Burschen, der stolperte und fiel.

»Narzisse?«, fragte Rek. »Du hast mir ein Pferd gekauft, das Narzisse heißt?«

»Was ist schon ein Name, Rek?«, meinte Horeb unschuldig. »Nenn es, wie du willst – du musst zugeben, es ist ein schönes Tier.«

»Wenn ich nicht ein feines Gespür für das Tragikomische hätte, würde ich ihm einen Maulkorb anlegen. Wo sind die Mädchen?«

»Zu beschäftigt, um einem Tagedieb wie dir nachzuwinken, der nur selten seine Rechnung bezahlt – und jetzt ab mit dir!«

Rek ging vorsichtig auf den Wallach zu und sprach dabei leise auf ihn ein. Das Pferd warf ihm einen bedrohlichen Blick zu, erlaubte ihm aber, dass er sich in den Sattel schwang. Er nahm die Zügel, richtete seinen blauen Umhang, so dass er genau im richtigen Winkel über den Rücken des Pferdes fiel, und lenkte das Tier zum Tor.

»Rek, das hätte ich fast vergessen …«, rief Horeb und eilte ins Haus. »Warte einen Augenblick!« Der untersetzte Wirt verschwand, um Sekunden später mit einem kurzen Bogen aus Horn und Ulmenholz sowie einem Köcher mit Pfeilen mit schwarzen Schäften wieder aufzutauchen. »Hier. Ein Gast hat ihn vor einigen Monden als Anzahlung zurückgelassen. Sieht wie eine gute Waffe aus.«

»Fabelhaft«, sagte Rek. »Ich war einmal ein guter Bogenschütze.«

»Ja«, sagte Horeb. »Aber wenn du den Bogen benutzt, dann denk daran, dass das spitze Ende des Pfeiles von dir wegzeigen muss – und jetzt verschwinde und pass auf dich auf.«

»Danke, Horeb. Du auch – und vergiss nicht, was ich über die Kerzen gesagt habe.«

»Gewiss nicht. Mach dich auf den Weg, Junge, und viel Glück.«

Rek ritt durch das Südtor, an dem der Wachposten gerade die Laternendochte beschnitt. Die Schatten des Morgengrauens in den Straßen von Drenan wurden kürzer, und kleine Kinder spielten unter dem Fallgitter. Er hatte die Südroute aus dem offensichtlichsten aller Gründe gewählt. Die Nadir kamen von Norden her marschiert, und der schnellste Weg von einer Schlacht weg lag genau in Gegenrichtung.

Er stieß dem Wallach die Fersen in die Flanken und jagte südwärts. Zu seiner Linken stieg die Sonne gerade über die blauen Gipfel der Berge im Osten. Der Himmel war azurn, die Vögel sangen, und hinter ihm erklangen die Geräusche der erwachenden Stadt. Aber die Sonne ging nur für die Nadir auf, wie Rek wusste. Für die Drenai war es das Morgengrauen des letzten Tages.

Von einem Hügelkamm sah er auf den Graven-Wald hinab, der weiß und jungfräulich unter seiner winterlichen Schneedecke lag. Dennoch war dies ein Ort der bösen Legenden, den er normalerweise gemieden hätte. Dass er sich entschloss, ihn trotzdem zu betreten, bewies, dass er zweierlei wusste: einmal, dass sich die Legenden um die Taten eines lebenden Menschen rankten, und zum zweiten, dass er den Mann kannte.

Reinard.

Er und seine Bande blutrünstiger Halsabschneider hatten ihr Hauptquartier in Graven und waren eine offene, schwärende Wunde für den Handel. Sie plünderten Karawanen aus, ermordeten Pilger und vergewaltigten Frauen, und doch konnte selbst eine Armee sie nicht aufspüren, so groß war der Wald.

Reinard. Gezeugt von einem Höllenfürsten, geboren von einer edlen Dame aus Ulalia. So erzählte er es jedenfalls. Rek hatte gehört, Reinards Mutter sei eine lentrianische Hure gewesen, sein Vater ein namenloser Seemann. Er hatte dieses Wissen allerdings nie weitergegeben – er hatte nicht, wie man so sagte, den nötigen Mumm, und selbst wenn er ihn besessen hätte, überlegte er, hätte er ihn bestimmt bald verloren. Eine Lieblingsbeschäftigung Reinards im Umgang mit Gefangenen bestand darin, Teile von ihnen über heißen Kohlen zu rösten und den Unglücklichen vorzusetzen, die mit ihnen einsaßen. Falls er auf Reinard traf, wäre es wohl das Beste, ihm das Blaue vom Himmel vorzuschmeicheln, und wenn das nichts nützte, ihm die letzten Neuigkeiten zu erzählen, ihn in Richtung der nächsten Karawane zu schicken und so schnell wie möglich aus seinem Herrschaftsbereich zu verschwinden.

Rek hatte Wert darauf gelegt, alles über die Karawanen, die durch Graven kamen, und deren Reisewege zu erfahren. Seidenballen, Juwelen, Gewürze, Sklaven, Vieh. In Wirklichkeit hatte er nicht den Wunsch, dieses Wissen mit jemandem zu teilen. Nichts wäre ihm lieber gewesen, als in Ruhe durch Graven zu reiten und zu wissen, dass das Schicksal der Karawanen in den Händen der Götter lag.

Die Hufe des Wallachs machten auf dem Schnee kaum Geräusche, und Rek ließ ihn traben, damit nicht verborgene Wurzeln das Pferd zum Stolpern brachten. Die Kälte kroch in seine Kleidung, und bald fühlten sich seine Füße in den Hirschlederstiefeln steifgefroren an. Er holte ein Paar Schaffellhandschuhe aus seinem Gepäck.

Das Pferd trottete weiter. Gegen Mittag hielt Rek kurz an, um eine kalte Mahlzeit einzunehmen. Er pflockte den Wallach an einem zugefrorenen Wasserlauf an; dann schlug er mit einem stabilen vagrianischen Dolch ein Loch ins Eis, damit das Tier trinken konnte, dann gab er ihm eine Handvoll Hafer. Er streichelte den langen Hals, und sofort fuhr der Kopf des Braunen mit gebleckten Zähnen hoch. Rek sprang zurück und fiel in eine tiefe Schneewehe. Dort blieb er einen Moment liegen; dann lächelte er.

»Ich wusste, du magst mich nicht«, sagte er. Das Pferd sah ihn an und schnaubte.

Als Rek wieder aufsteigen wollte, fiel sein Blick auf die Hinterhand des Pferdes. Tiefe Peitschennarben zeigten sich im Bereich des Schweifansatzes.

Sanft fuhr er mit der Hand darüber. »Jemand hat dich also gepeitscht, Narzisse?«, sagte er. »Aber deinen Willen haben sie nicht gebrochen, was, Junge?« Er schwang sich in den Sattel. Mit etwas Glück, schätzte er, würde er den Wald in fünf Tagen hinter sich haben.

Knorrige Eichen mit krummen Wurzeln warfen geheimnisvolle, dunkle Schatten auf den Pfad, und der Nachtwind ließ die Zweige wispern, als Rek den Wallach tiefer in den Wald lenkte. Der Mond ging über den Bäumen auf und warf gespenstisches Licht auf den Pfad. Mit klappernden Zähnen fand er nach einer Stunde Suche einen guten Lagerplatz in einer flachen Senke an einem eisbedeckten Tümpel. Er baute in ein paar Büschen einen Unterstand, um das Pferd vor dem schlimmsten Wind zu schützen, und entzündete dann ein Feuerchen neben einer umgestürzten Eiche und einem großen Felsen. Windgeschützt in der Wärme, die von dem Felsen abstrahlte, braute Rek Tee, um damit das getrocknete Fleisch hinunterzuspülen. Dann legte er sich eine Decke um die Schultern, lehnte sich gegen die Eiche und beobachtete die tanzenden Flammen.

Ein ausgemergelter Fuchs steckte die Schnauze aus einem Busch und starrte auf das Feuer. Aus einem Impuls heraus warf Rek ihm einen Streifen Rind zu. Das Tier schaute lange zwischen dem Mann und dem Bissen hin und her, bevor es aus seiner Deckung schoss und sich das Fleisch schnappte. Dann verschwand es in der Nacht. Rek streckte die Hände dem Feuer entgegen und dachte an Horeb.

Der untersetzte Gastwirt hatte Rek aufgezogen, nachdem sein Vater im Norden in den Kriegen gegen die Sathuli getötet worden war. Zuverlässig, treu, stark und ehrlich – das alles war Horeb. Außerdem war er freundlich, ein wahrer Fürst unter den Menschen.

Rek war es gelungen, Horeb in einer unvergesslichen Nacht etwas zurückzuzahlen, als drei vagrianische Deserteure ihn in einer Gasse unweit der Schenke angegriffen hatten.

Zum Glück war Rek gerade in der Schenke gewesen, und sobald er den Klang von Stahl auf Stahl hörte, war er losgestürmt. In der Gasse kämpfte Horeb auf verlorenem Posten, denn mit dem Küchenmesser war er drei Schwertkämpfern nicht gewachsen. Doch der Alte war einst Krieger gewesen und bewegte sich geschmeidig. Rek war wie erstarrt stehen geblieben; sein eigenes Schwert war vergessen gewesen. Er hatte versucht, sich vorwärtszubewegen, aber seine Beine hatten ihm den Gehorsam verweigert. Dann hatte ein Schwert Horebs Abwehr durchdrungen und eine tiefe Wunde in sein Bein gerissen.

Rek hatte geschrien, und dieser Klang hatte ihn von seiner Angst befreit.

Das blutige Scharmützel war in wenigen Augenblicken vorüber gewesen. Rek hatte den ersten der Angreifer mit einem Hieb quer über die Kehle außer Gefecht gesetzt, einen Stoß des zweiten pariert und den dritten mit der Schulter gegen die Mauer gedrängt. Vom Boden aus hatte Horeb diesen dritten Angreifer gepackt und ihn mit seinem Küchenmesser erstochen. Der zweite Mann war in die Nacht geflohen.

»Du warst großartig, Rek«, hatte Horeb gesagt. »Glaub mir, du kämpfst wie ein Veteran.«

Aber Veteranen erstarren nicht vor Angst, dachte Rek.

Nun legte er ein paar Zweige auf die Flammen. Eine Wolke verbarg den Mond, eine Eule schrie. Reks zitternde Hand schloss sich um seinen Dolch.

Verdammte Dunkelheit, dachte er. Verflucht seien alle Helden!

Er war eine Zeitlang Soldat gewesen, stationiert in Dros Corteswain, und es hatte ihm Freude gemacht. Dann aber war aus den Sathuli-Scharmützeln ein Grenzkrieg geworden, und die Freude hatte nachgelassen. Er hatte sich gut gemacht, man hatte ihn befördert. Seine Vorgesetzten hatten ihm gesagt, er besäße taktische Begabung.

Aber sie hatten nichts von seinen schlaflosen Nächten gewusst. Meine Männer haben mich respektiert, dachte er. Aber das hatte daran gelegen, dass er vorsichtig war – geradezu übervorsichtig. Er hatte den Dienst quittiert, ehe er die Nerven verloren hatte.

»Bist du verrückt, Rek?«, hatte Gan Javi ihn gefragt, als er um Entlassung aus dem Dienst gebeten hatte. »Der Krieg weitet sich aus. Es kommen noch mehr Truppen, und ein guter Offizier wie du kann mit Sicherheit mit einer Beförderung rechnen. In sechs Monden führst du mehr als eine Legion. Möglicherweise bieten sie dir sogar den Adler eines Gans an.«

»Ich weiß, Gan, und glaube mir, es tut mir wirklich leid, die Kampfhandlungen nicht mitzuerleben. Aber es geht um Familienangelegenheiten. Ich würde meine rechte Hand geben, um bleiben zu können, das weißt du.«

»Ja, ich weiß, mein Junge, und bei Missael, wir werden dich vermissen. Falls du es dir doch anders überlegst, haben wir hier immer einen Platz für dich. Immer. Du bist ein geborener Soldat.«

»Ich werde daran denken. Danke für deine Hilfe und Ermutigung.«

»Noch eins, Rek«, hatte Gan Javi gesagt und sich in seinem geschnitzten Stuhl zurückgelehnt. »Du weißt um das Gerede, dass die Nadir sich auf einen Marsch nach Süden vorbereiten?«

»Es gibt immer wieder solche Gerüchte«, hatte Rek geantwortet.

»Ich weiß, sie kursieren schon seit Jahren. Aber dieser Ulric ist gewitzt. Er hat die meisten Stämme besiegt, und ich glaube, er ist fast so weit.«

»Aber Abalayn hat gerade einen Vertrag mit ihm unterzeichnet«, hatte Rek geantwortet. »Ein Friedensabkommen im Gegenzug für Handelserleichterungen und finanzielle Unterstützung bei seinen Bauvorhaben.«

»Das meine ich ja, Junge. Ich werde nichts gegen Abalayn sagen, er regiert die Drenai seit zwanzig Jahren. Aber man kann einen Wolf nicht dadurch aufhalten, dass man ihn füttert – glaub mir! Jedenfalls, ich will damit sagen, dass wir schon bald Männer wie dich brauchen werden, also roste nicht ein.«

Das Letzte, was die Drenai jetzt brauchten, war ein Mann, der Angst im Dunkeln hatte. Was sie brauchten, war ein neuer Karnak, der Einäugige – oder besser zwanzig von seinem Schlag. Einen Bronzegrafen. Hunderte wie Druss, die Legende, und selbst wenn dies durch irgendein Wunder eintrat – könnten solche Männer sich gegen die Flut von einer halben Million Stammeskrieger stemmen?

Wer konnte sich eine solche Zahl überhaupt vorstellen?

Sie würden über Dros Delnoch hinwegbranden wie ein aufgewühltes Meer, das wusste Rek.

Wenn ich glaubte, dass eine Chance bestünde, würde ich nicht gehen. Sieh den Dingen ins Gesicht, dachte er. Selbst wenn der Sieg gewiss gewesen wäre, hätte er die Schlacht gemieden.

Wen würde es in hundert Jahren kümmern, ob die Drenai überlebt hatten? Es wäre wie beim Skeln-Pass, sagenumwoben und weit über die Wahrheit hinaus verherrlicht.

Krieg!

Fliegen, die sich wie dunkle Flecken auf den Eingeweiden von Männern niederließen, die vor Schmerzen schrien und sich mit blutigen Händen die Leiber zusammenhielten und auf ein Wunder hofften. Elend, Kälte, Angst, Krankheit, Wundbrand, Tod!

Krieg für Soldaten.

An dem Tag, an dem er Dros Corteswain verlassen hatte, war einer der Culs zu ihm gekommen und hatte ihm nervös ein gutverschnürtes Paket gereicht. »Von der Truppe, Dun«, hatte er gesagt.

Er hatte es beschämt und sprachlos geöffnet und hatte einen blauen Umhang mit einer Adlerschließe aus gehämmerter Bronze darin gefunden.

»Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll.«

»Die Männer baten mich zu sagen … nun, es tut uns leid, dass du uns verlässt. Das ist alles.«

»Mir tut es auch leid, Korvac. Familienangelegenheiten, verstehst du?«

Der Mann hatte genickt, wahrscheinlich hatte er sich gewünscht, auch Familienangelegenheiten regeln zu müssen, die ihm gestatteten, die Dros zu verlassen. Aber Culs konnten nicht einfach ihren Abschied nehmen – nur die Klasse der Duns konnte eine Festung während eines Krieges verlassen.

»Nun, viel Glück, Dun. Ich hoffe … wir alle hoffen, wir sehen uns wieder.«

»Ja! Bald.«

Das war zwei Jahre her. Gan Javi war durch einen Schwerthieb umgekommen, und einige von Reks Mitoffizieren waren in den Sathulikämpfen gefallen. Von den Culs hatte er nichts gehört.

Die Tage vergingen – kalt, dunkel, aber gnädigerweise ereignislos, bis zum Morgen des fünften Tages, als er auf einem hochgelegenen Pfad an einer Gruppe von Ulmen vorbeikam. Dort hörte er das Geräusch, das er am meisten hasste, das Klirren von Stahl auf Stahl. Doch aus irgendeinem Grund gewann seine Neugier die Oberhand. Er pflockte Narzisse an, schwang sich den Köcher auf den Rücken und legte eine Sehne auf den Hornbogen. Dann arbeitete er sich vorsichtig durch den schneebedeckten Wald. Er bewegte sich geräuschlos, katzengleich, bis er an eine Lichtung kam. Kampfgeräusche erklangen dort.

Eine junge Frau in einer Rüstung aus Silber und Bronze stand mit dem Rücken zu einem Baum und wehrte verzweifelt einen vereinten Angriff dreier Gesetzloser ab, kräftige, bärtige Männer, die mit Schwertern und Dolchen bewaffnet waren. Die Frau hatte eine schmale Klinge, ein tanzendes, zuckendes Rapier, das mit erschreckender Geschwindigkeit schnitt und zustieß.

Die drei, die allenfalls schwerfällige Schwertkämpfer waren, behinderten sich gegenseitig. Einer schrie, als das Rapier seinen Unterarm streifte.

»Nimm das, du Mistkäfer«, rief das Mädchen.

Rek grinste. Keine Schönheit, aber kämpfen konnte sie.

Er legte einen Pfeil auf die Sehne und wartete auf den richtigen Augenblick zum Schießen. Das Mädchen duckte sich unter einem hinterhältigen Hieb und stieß ihre Klinge ins Auge des Angreifers. Als er schrie und stürzte, wichen die beiden anderen zurück. Sie waren jetzt vorsichtiger, trennten sich, um von beiden Seiten anzugreifen. Das Mädchen hatte diesen Augenblick gefürchtet, denn es gab keine Verteidigungsmöglichkeit, nur Flucht. Ihr Blick schoss von einem zum anderen. Nimm den Großen zuerst, vergiss den anderen und hoffe, dass sein erster Hieb nicht tödlich ist, dachte sie. Vielleicht konnte sie ja beide mitnehmen.

Der Große bewegte sich nach links, während sein Kamerad nach rechts schwenkte. In diesem Moment schoss Rek, der auf den Rücken des Gesetzlosen gezielt hatte, und sein Pfeil drang durch den linken Schenkel des Mannes. Rasch legte er einen zweiten Pfeil auf, als der verblüffte Mann herumfuhr, Rek erblickte und hasserfüllt schreiend auf ihn zuhinkte.

Rek zog die Sehne zurück, bis sie seine Wange berührte, hielt den linken Arm straff und schoss.

Diesmal gelang der Schuss etwas besser. Er hatte auf den Brustkorb gezielt – das größtmögliche Ziel –, doch der Pfeil flog zu hoch, und jetzt lag der Gesetzlose auf dem Rücken, der schwarze Schaft ragte aus seiner Stirn, und Blut strömte in den Schnee.

»Du hast dir Zeit gelassen, dich einzumischen«, sagte das Mädchen kühl, trat über den Körper des dritten Gesetzlosen hinweg und wischte ihre schlanke Klinge an seinem Hemd sauber.

Rek riss seinen Blick vom Gesicht des Mannes los, den er gerade getötet hatte. »Ich habe dir das Leben gerettet«, sagte er und unterdrückte eine weit wütendere Antwort.

Sie war groß und gut gebaut – fast maskulin, dachte Rek; ihr Haar war lang, straßenköterblond und ungekämmt. Sie hatte blaue Augen, die tief unter dichten Brauen lagen, was ein hitziges Temperament verriet. Ihre Figur war durch das silberne Kettenhemd und die bronzenen Achselstücke nicht zu erkennen, und ihre Beine steckten in formlosen grauen Wollhosen, die mit Lederbändern an den Oberschenkeln befestigt waren.

»Was starrst du so?«, verlangte sie zu wissen. »Noch nie eine Frau gesehen?«

»Nun, das beantwortet zumindest die erste Frage«, sagte er.

»Was soll das heißen?«

»Du bist eine Frau.«

»Sehr komisch!« Sie hob ein Schaffellwams auf, das unter dem Baum lag, klopfte den Schnee ab und schlüpfte hinein. Es trug nicht dazu bei, ihre Erscheinung zu verbessern, fand Rek.

»Die haben mich angegriffen«, sagte sie. »Haben mein Pferd getötet, diese Bastarde! Wo ist dein Pferd?«

»Deine Dankbarkeit überwältigt mich«, sagte Rek mit einem zornigen Unterton. »Das sind Reinards Männer.«

»Wirklich? Ein Freund von dir?«

»Nicht wirklich. Aber wenn er wüsste, was ich getan habe, würde er meine Augen über dem Feuer rösten und sie mir als Appetithäppchen servieren.«

»Schön, ich verstehe deinen Standpunkt. Ich bin überaus dankbar. Wo ist jetzt dein Pferd?«

Rek ignorierte sie, knirschte aber vor Wut mit den Zähnen. Er ging zu dem toten Gesetzlosen, zog seine Pfeile aus dem Leichnam und wischte sie an der Weste des Mannes ab. Dann durchsuchte er methodisch die Taschen aller drei. Um sieben Silbermünzen und mehrere Goldringe reicher kehrte er zu dem Mädchen zurück.

»Mein Pferd hat genau einen Sattel, und in dem sitze ich«, sagte er kühl. »Ich habe alles für dich getan, was ich wollte. Jetzt bist du auf dich selbst gestellt.«

»Verdammt edel von dir«, sagte sie.

»Edelmut ist nicht gerade meine starke Seite«, sagte er und wandte sich ab.

»Zielen auch nicht«, gab sie zurück.

»Was?«

»Du hast aus zwanzig Schritt auf seinen Rücken gezielt und sein Bein getroffen. Das kommt daher, weil du ein Auge geschlossen hast – das verzerrt die Perspektive.«

»Danke für die Lektion im Bogenschießen. Viel Glück!«

»Warte!«, sagte sie. Er wandte sich um. »Ich brauche dein Pferd.«

»Ich auch.«

»Ich werde es dir abkaufen.«

»Es ist nicht zu verkaufen.«

»Gut. Dann bezahle ich dich dafür, dass du mich irgendwo hinbringst, wo ich ein Pferd kaufen kann.«

»Wie viel?«

»Einen Goldraq.«

»Fünf«, sagte er.

»Dafür könnte ich drei Pferde kaufen«, tobte sie.

»Angebot und Nachfrage.«

»Zwei – mein letztes Wort.«

»Drei.«

»Na gut, drei. Wo ist jetzt dein Pferd?«

»Zuerst das Geld, meine Dame.« Er streckte die Hand aus. Ihre blauen Augen blitzten eisig, als sie die Münzen aus einem Lederbeutel holte und in seine Hand zählte. »Ich heiße Regnak – Rek für meine Freunde«, sagte er.

»Das interessiert mich nicht«, versicherte sie.

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3

Sie ritten in einem Schweigen dahin, das so eisig war wie das Wetter; das große Mädchen saß hinter Rek im Sattel. Er widerstand trotz der Furcht, die an ihm nagte, der Versuchung, Narzisse zur Eile anzutreiben. Es wäre ungerecht gewesen zu sagen, dass es ihn reute, sie gerettet zu haben – schließlich hatte das für seine Selbstachtung geradezu Wunder gewirkt. Er fürchtete, auf Reinard zu stoßen. Dieses Mädchen würde niemals schweigend dasitzen und seinen Lügen und Schmeicheleien zuhören, und selbst wenn sie durch eine glückliche Fügung den Mund hielt, würde sie ihn sicherlich anzeigen, weil er Informationen über die Reiserouten der Karawanen weitergegeben hatte.

Das Pferd strauchelte an einer verborgenen Wurzel, und das Mädchen rutschte seitlich ab. Reks Hand schoss vor. Er erwischte ihren Arm und zog sie wieder in den Sattel.

»Leg deinen Arm um meine Taille, ja?«, bat er.

»Wie viel wird mich das kosten?«

»Tu’s einfach. Es ist zu kalt zum Streiten.«

Ihre Arme legten sich um ihn, ihr Kopf ruhte auf seinem Rücken.

Dicke, dunkle Wolken ballten sich über ihnen zusammen, und es wurde kälter.

»Wir sollten früh ein Lager aufschlagen«, konstatierte er. »Das Wetter wird schlechter.«

»Du hast recht.«

Es begann zu schneien, und der Wind frischte auf. Rek duckte sich vor der Kraft des Sturms und blinzelte gegen die kalten Flocken an, die ihm in die Augen flogen. Er lenkte den Wallach vom Weg herunter in den Schutz einiger Bäume. Er musste sich am Sattelknauf festklammern, als das Pferd einen steilen Hang erklomm.

Ein offener Lagerplatz wäre in diesem heftigen Sturm Irrsinn gewesen, wie er wusste. Sie brauchten eine Höhle oder zumindest die windabgewandte Seite eines Hanges. Sie ritten noch über eine Stunde, bis sie auf eine Lichtung kamen, die von Eichen und Ginster umstanden war. Auf der Lichtung stand eine aus Holzbalken gezimmerte Kate mit einem Dach aus gestampfter Erde. Rek warf einen Blick auf den Schornstein: kein Rauch. Er trieb Narzisse voran. Neben der Hütte befand sich ein dreiseitig geschlossener Unterstand mit einem Dach aus Flechtwerk, das sich unter der Schneelast bog. Er lenkte das Pferd hinein.

»Steig ab«, sagte er zu dem Mädchen, doch ihre Hände lösten sich nicht von seiner Taille. Er schaute an sich hinab. Die Hände waren blau, und er rieb sie heftig. »Wach auf!«, rief er. »Wach auf, verdammt!« Er löste sich aus ihren Armen, glitt aus dem Sattel und fing sie auf, als sie fiel. Ihre Lippen waren blau, das Haar voller Eis. Er legte sie sich über die Schulter, löste sein Bündel vom Sattel, lockerte den Gurt und trug das Mädchen zu der Kate.

Die Holztür stand offen. Schnee trieb ins Innere, als er eintrat.

Die Kate hatte nur einen Raum: In einer Ecke unter dem einzigen Fenster stand eine schmale Liege, ansonsten gab es eine Feuerstelle, ein paar einfache Schränke und einen Vorrat an Feuerholz, der an der anderen Wand gestapelt war – genug für zwei, vielleicht drei Nächte. Drei rohe Stühle und ein Tisch aus einem Ulmenstamm vervollständigten die Einrichtung. Rek ließ das bewusstlose Mädchen auf die Schlafstatt fallen, suchte sich einen Besen und fegte den Schnee aus der Hütte. Er schloss die Tür, doch eine verrottete Angel aus Leder gab nach, so dass die Tür oben einen Spalt offen stand. Fluchend zog er den Tisch zur Tür und wuchtete ihn dagegen.

Rek riss sein Bündel auf, holte sein Zunderkästchen heraus und begab sich zur Feuerstelle. Wem auch immer die Kate gehörte oder wer auch immer sie gebaut hatte, er hatte ein fertig aufgeschichtetes Feuer zurückgelassen, wie es in der Wildnis Brauch war.

Aus dem Beutelchen holte Rek zerkrümelte, trockene Blätter und schichtete sie unter den Zweigen auf den Rost. Er goss Lampenöl aus einem Lederfläschchen darüber, dann schlug er seine Feuersteine aneinander. Seine Finger waren steif vor Kälte, und es wollte kein Funke entstehen, also hielt er einen Moment inne und zwang sich, ein paarmal tief durchzuatmen. Dann versuchte er es nochmals mit dem Feuerstein, und diesmal entzündete der Funke den Zunder. Er beugte sich vor und blies sanft darauf. Als die Zweige brannten, suchte er kleinere Äste aus dem Vorrat und legte sie behutsam aufs Feuer. Flammen züngelten empor.

Er trug zwei Stühle zur Feuerstelle, breitete seine Decken darüber und wandte sich dann dem Mädchen zu. Sie lag auf der einfachen Schlafstatt und atmete kaum.

»Das ist die verfluchte Rüstung«, sagte er. Er fingerte an der Schnürung ihres Wamses herum, drehte sie dann auf den Bauch und zog es ihr aus. Rasch entledigte er sie ihrer übrigen Kleidung und begann, sie warmzureiben. Er sah zum Feuer hinüber, legte noch drei Scheite nach und breitete dann die Decke vor dem Kamin aus. Schließlich hob er das Mädchen hoch und legte sie so vor das Feuer, dass er ihren Rücken warmrubbeln konnte.

»Stirb mir jetzt bloß nicht!«, grollte er und massierte ihre Beine. Er trocknete ihr das Haar mit einem Handtuch ab und wickelte sie in die Decken. Der Boden war kalt, der Frost drang von unten her in die Kate, also zog er die Liege vors Feuer und hob sie mühsam darauf. Ihr Puls ging langsam, aber regelmäßig.

Er sah ihr ins Gesicht. Es war schön. Nicht im klassischen Sinn, das wusste er, denn die Brauen waren zu dicht und zu dunkel, das Kinn war zu kantig, und die Lippen waren zu voll. Aber es lag Kraft darin, Mut und Entschlossenheit – und mehr als das: Im Schlaf hatte es eine fast kindliche Sanftheit.

Er küsste sie sacht.

Rek knöpfte seine Schaffelljacke zu, schob den Tisch beiseite und trat hinaus in den Sturm. Narzisse schnaubte, als er näher kam. Im Unterstand fand sich Stroh; er nahm eine Handvoll und rieb damit den Rücken des Pferdes ab.

»Wird eine kalte Nacht, Junge. Aber hier drin sollte es gehen.« Er breitete die Satteldecke über dem Rücken des Pferdes aus, gab ihm etwas Hafer und kehrte dann in die Kate zurück.

Das Gesicht des Mädchens hatte bereits etwas mehr Farbe, und sie schlief friedlich.

Bei einer Durchsuchung der Schränke fand Rek eine alte Eisenpfanne. Er löste die Feldflasche aus Leinen und Stahl von seinem Bündel, entnahm diesem ein Stück Trockenfleisch und kochte Suppe. Ihm war jetzt wärmer, und er zog Umhang und Jacke aus. Draußen warf sich der Wind gegen die Wände der Kate, als der Sturm schlimmer wurde, doch drinnen spendete das Feuer Wärme, und weiches, rotes Licht erfüllte die Hütte. Rek zog die Stiefel aus und rieb sich die Zehen. Er fühlte sich gut, lebendig – und verdammt hungrig!

Er nahm einen lederbezogenen Tonbecher aus seinem Bündel und probierte die Suppe. Das Mädchen rührte sich, und er spielte mit dem Gedanken, sie zu wecken, verwarf ihn jedoch wieder. Im Schlaf sah sie so süß aus. Wenn sie wach war, war sie eine Kratzbürste. Sie drehte sich auf die andere Seite und stöhnte und streckte eines ihrer langen Beine unter der Decke hervor. Rek grinste, als er sich ihren Körper ins Gedächtnis rief. Ganz und gar nicht maskulin! Sie war hochgewachsen – aber wunderbar proportioniert. Er starrte ihr Bein an, und sein Lächeln verschwand. Er stellte sich vor, nackt neben ihr zu liegen …

»Nein, nein, Rek«, sagte er laut. »Vergiss es.«

Er deckte sie wieder zu und aß weiter. Sei auf der Hut, ermahnte er sich. Wenn sie aufwacht, wird sie dich beschuldigen, ihre Lage ausgenutzt zu haben, und dir die Augen auskratzen.

Er nahm seinen Umhang, wickelte sich hinein und streckte sich neben dem Feuer aus. Der Boden war jetzt wärmer. Er legte noch ein paar Scheite aus Feuer, bettete den Kopf auf seinen Arm und beobachtete, wie die Flammen tanzten und flackerten, hin und her …

Er schlief ein.

***

Rek erwachte vom Duft brutzelnden Specks. Die Hütte war warm, und sein Arm fühlte sich taub und verkrampft an. Er streckte sich ächzend und setzte sich auf. Das Mädchen war nirgends zu sehen. Dann ging die Tür auf, und sie trat ein und klopfte sich den Schnee vom Wams.

»Ich habe nach deinem Pferd gesehen«, sagte sie. »Hast du Hunger?«

»Ja. Wie spät ist es?«

»Die Sonne ist vor etwa drei Stunden aufgegangen. Der Schneefall lässt nach.«

Er richtete seinen schmerzenden Körper auf und dehnte die verspannten Rückenmuskeln. »Zu viel Zeit in weichen drenanischen Betten«, kommentierte er.

»Das erklärt wahrscheinlich auch den Bauch«, bemerkte sie.

»Bauch? Ich habe einen krummen Rücken. Jedenfalls sind das nur entspannte Muskeln.« Er sah an sich hinab. »Na schön, es ist ein Bauch. Noch ein paar Tage, und er ist weg.«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte sie. »Jedenfalls hatten wir Glück, dass wir diese Hütte gefunden haben.«

»Ja.« Das Gespräch erstarb, während sie den Speck wendete. Rek war das Schweigen unangenehm, und sie begannen beide gleichzeitig zu sprechen.

»Das ist lächerlich«, sagte sie schließlich.

»Ja«, stimmte er zu. »Der Speck riecht gut.«

»Hör zu … ich möchte dir danken. So – jetzt ist es raus.«

»War mir ein Vergnügen. Was hältst du davon, wenn wir noch mal von vorne anfangen, als hätten wir uns noch nie gesehen? Ich heiße Rek.« Er streckte die Hand aus.

»Virae«, sagte sie und ergriff seinen Arm im Kriegergruß.

»Es ist mir ein Vergnügen«, sagte er. »Was führt dich in den Graven-Wald, Virae?«

»Das geht dich verdammt noch mal nichts an«, blaffte sie.

»Ich dachte, wir wollten noch mal von vorn anfangen?«

»Tut mir leid. Wirklich! Weißt du, es ist nicht leicht, nett zu sein – ich mag dich nicht besonders.«

»Wie kannst du das sagen? Wir haben kaum zehn Worte gewechselt. Es ist noch ein wenig früh für ein Urteil über meinen Charakter, findest du nicht?«

»Ich kenne deine Sorte«, sagte sie. Sie nahm zwei Schüsseln, ließ geschickt den Speck aus der Pfanne gleiten und gab ihm eine. »Anmaßend. Haltet euch für ein Geschenk der Götter an diese Welt. Ungebunden.«

»Was ist daran verkehrt?«, fragte er. »Niemand ist vollkommen. Ich genieße das Leben, ich habe nur das eine.«

»Leute wie du haben dieses Land ruiniert«, antwortete sie. »Menschen, denen alles egal ist, die nur für das Heute leben. Die Gierigen und die Selbstsüchtigen. Wir waren einst ein großes Volk.«

»Unsinn. Wir waren Krieger, die alles eroberten und der Welt die Regeln der Drenai aufzwangen. Die Pest darüber!«

»Das war doch nicht schlimm! Die Völker, die wir eroberten, sind aufgeblüht, oder? Wir haben Schulen, Siechenhäuser, Straßen gebaut. Wir haben den Handel gefördert und der Welt das Gesetz der Drenai gegeben.«

»Dann solltest du dich nicht allzu sehr darüber aufregen«, sagte er, »dass die Welt sich verändert. Jetzt wird das Gesetz der Nadir gelten. Der einzige Grund, warum die Drenai Eroberungen machten, war, dass die anderen Völker ihren Zenit überschritten hatten. Sie waren feist und faul, voller selbstsüchtiger, gieriger Menschen, die sich um nichts scherten. Alle Völker werden irgendwann dekadent.«

»Du bist wohl ein Philosoph, was?«, fauchte sie. »Nun, ich halte deine Ansichten für ebenso wertlos wie dich selbst.«

»So, jetzt bin ich also wertlos? Was weißt du denn von ›wertlos‹, so, wie du als Mann verkleidet herumstolzierst? Du bist eine Möchtegern-Kriegerin. Wenn du so versessen darauf bist, die Werte der Drenai aufrechtzuerhalten, warum gehst du dann nicht mit den anderen Narren nach Dros Delnoch und schwenkst dein hübsches kleines Schwert gegen die Nadir?«

»Ich komme gerade von dort, und ich werde dorthin zurückkehren, wenn ich erledigt habe, was ich vorhatte«, sagte sie eisig.

»Dann bist du eine Närrin«, entgegnete er lahm.

»Du warst Soldat, nicht?«, fragte sie.

»Was interessiert dich das?«

»Warum hast du die Armee verlassen?«

»Das geht dich nichts an.« Er hielt inne. Um das unbehagliche Schweigen zu brechen, fuhr er fort: »Wir sollten heute Nachmittag Glen Frenanc erreichen. Es ist nur ein kleines Dorf, aber dort werden Pferde verkauft.«

Sie aßen auf, ohne zu reden. Rek war ärgerlich und fühlte sich unbehaglich, aber er brachte es nicht fertig, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Sie räumte die Schüsseln ab und säuberte die Pfanne, was ihr in ihrem Kettenhemd nicht leichtfiel.



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