Die Legenden von Intêrra - Hagen Alverich - E-Book

Die Legenden von Intêrra E-Book

Hagen Alverich

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Beschreibung

Der junge Novize Taron und seine Gefährten haben es geschafft, König Esthîon und seine dunklen Kommandanten aus Avurin, dem Reich der Elfen auf Intêrra, zu vertreiben. Doch die Gefahr ist nicht gebannt, denn der König droht erneut, Avurin mit Krieg zu überziehen und das Land ins Chaos zu stürzen. Um den drohenden Untergang abzuwenden, begeben sich die Magiebegabten auf eine verzweifelte Suche nach weiteren Verbündeten und einer uralten Waffe, die mächtig genug ist, den finsteren König ein für alle Mal zu besiegen. Doch während Esthîons Schatten immer näher rücken, müssen sich Taron und seine Freunde einer letzten, alles entscheidenden Frage stellen: Was wird nach dem Fall des Königs geschehen - und welche Dunkelheit lauert jenseits des Sieges?

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Seitenzahl: 642

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über den Autor

Hagen Alverich ist das Pseudonym eines deutschen Autors. 1993 in Eisenach, im Schatten der Wartburg, geboren und in Köthen aufgewachsen, lebt und arbeitet er heute als Polizist in seiner Heimatstadt.

Schon von klein auf war Hagen Alverich vom Mittelalter fasziniert. Seine wahre Leidenschaft jedoch ist das Schreiben und Eintauchen in fantastische Welten. Inspiriert von J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe entwickelte er den Traum, Leser und Leserinnen mit seinen eigenen Geschichten in magische Welten zu entführen.

Mit dem Roman Die Rache der Magier präsentiert er euch den zweiten Band seiner epischen Reihe Die Legenden von Intêrra.

Widmung

Mein zweites Buch widme ich meiner lieben Frau, welche mich während des gesamten Schaffensprozesses unterstützte und wahrlich der Wegweiser meines Lebens ist.

Zeitmessung innerhalb Solærras, Intêrras und Lunærras

Die Zeitmessung Intêrras leitet sich von den dreizehn Göttern ab.

Der Kreis der Götter

Der Tag endet und beginnt mit der Stunde Elysias, wenn das Wasser durch den Trog der Zeit hindurchgelaufen ist. Daher wird dies auch als Zeit der Stille bezeichnet. Die Priester, die für den Schutz des Zeitmessers eingeteilt sind, beten einmal das Gebet der Dreizehn und füllen den Trog anschließend wieder auf.

Ebenso findet auch der Jahreswechsel in dem Monat zu Ehren Elysias statt, welcher lediglich aus fünf Tagen besteht. Jeder andere Monat zählt dreißig Tage.

Gebet der Dreizehn

»Kraft gebe uns Elysia, aus deren Schoße wir stammen. Baldor schenke uns Mut zum Neuen, Herr des Anfangs. Amea verwandele unsere Träume in Wirklichkeit, ewig Schlafende. Drumar führe uns sicher durch Tag und Jahr, Schicksalsgott. Kelsey entfache unseren Erfolg in allen Dingen, mächtige Herrscherin. Nebur bringe uns Leben und Wachstum, Erbauer Intêrras. Rylak lasse uns im Lichte deiner Kunst verweilen, Schöpfer Solærras. Iru helfe uns mit Stärke und Feuer, Schmied Lunærras. Gwendlin lasse uns Ehren im Kampf erringen, große Kriegerin. Enura bringe uns Heilung durch Ausgleich, Bezwingerin der Magie. Laval gewähre uns Gnade in Zeiten des Sturms, Meisterin der Elemente. Ysabe mögen deine Gestirne unsere Wege erleuchten, oh Himmlische. Onacra vergebe den Schwächen unserer Seelen, Herr allen Endes. Kraft gebe uns Elysia, aus deren Schoße wir stammen.«

Währung Intêrras

Ein Sternenstück ist ein dunkler, flacher Stein mit einem weißen, schimmernden Punkt in der Mitte.

Zehn Sternenstücke entsprechen einer Sichelmark.

Eine Sichelmark ist ein dunkler, flacher Stein mit einer weißen, schimmernden Sichel.

Zehn Sichelmark entsprechen einer Vollmondmark.

Eine Vollmondmark ist ein dunkler, flacher Stein mit einem weißen schimmernden Vollmond, bei dem lediglich der Rand des Steins zu sehen ist.

Zehn Vollmondmark entsprechen einem Himmels- oder auch Sonnentaler.

Ein Sonnentaler ist ein weißer, schimmernder, flacher Stein.

Personenverzeichnis

Tarons Gefährten

Mira, ehemalige Gottesdienerin im neburischen Klostertempel Yewabor

Lavina, die Umwerfende, Jongleurin und Messerwerferin

Barvo, der Unverbrennbare, Feuerspucker

Ildrum, ein flüchtiger Tischler, der im Reich der Elfen Zuflucht gefunden hat

Elfen

Elwaran aus dem Geschlecht der Delur, Späher Erihars, der südlichsten avurinsichen Siedlung

Fendelin aus dem Geschlecht der Iridal, Späherin Erihars, der südlichsten avurinischen Siedlung

Gelador aus dem Geschlecht Sodelia, einer der herausragensten Krieger Avurins

Weredall aus dem Geschlecht der Delur, Vater von Elwaran und der oberste Elfenführer Erihars

Silared aus dem Geschlecht der Bellesar, Elwarans Tante

Minotauren

Puldrus, Uldar/ Oberhaupt Erihars

Adrok, Schmied Erihars

Srinares, eine Gedankenleserin, welche alle Geschicke Avurins zu überblicken scheint

Berian, die Uldarin von Merive, der östlichsten Siedlung Avurins

Das Gefolge des Königs

Weldur Burak, Berater des Königs und General über dessen Streitkräfte

Gardon Uhlond, der erste Schwadronal des Königs und ein begnadeter Jäger

Imdrir Vallar, der zweite Schwadronal, auch genannt: »Der Hammer des Königs«, ist ein herausragender Krieger

Orwenar Dirod, der dritte Schwadronal und oberster Taktiker

Furlo Wrin, der vierte Schwadronal, vermag es seinen Mitstreitern die Erschöpfung zu nehmen

Zelorag Dun, fünfter Schwadronal, ein Waffenspezialist und Tüftler

Hirena, Hofpriesterin der Göttin Amea

Nerodul, Hofpriester der Göttin Kelsey

Schorach, Hofpriester des Gottes Nebur

Anhänger des Ordens Nebur

Selvarin, Hohepriester Yewabors

Remahas, oberster Priester und Selvarins Stellvertreter

Garesch, oberster Priester und Arzt Yewabors

Halvor, oberster Priester und Ziehvater Tarons

Korana, oberste Gottesdienerin

Bollo, Priester und guter Freund Halvors

Kiedan, Novize in Tarons Alter

Merak, Novize in Tarons Alter

Ulrad, Novize in Tarons Alter

Bur, Novize in Tarons Alter

Kiedan, Novize in Tarons Alter

Reverin, Novize in Tarons Alter

Jeldra, ehemaliger Hohepriester von Yewabor lebt, mittlerweile im Tempel der Dreizehn in Donnerhall

Novaren (Fürsten) Gonvalors

Levilia, Novarin und Herrscherin eines Gebietes nördlich von Donnerhall

Enari Turador, Novar und Herrscher eines Gebietes im südlich Gonvalor an der Grenze zur Savanak

Ulbra, Novar und Herrscher eines Gebietes östlich von Donnerhall

Nendor, Novar und Herrscher eines Gebietes südwestlich von Donnerhall

Nesrie, Novarin

Teldor, Novar

Krikor, Navar

Galadar, Novarin

Mitglieder der Kontrakar (einer Widerstandsbewegung der Magibegabten)

Nemrod Gurodal, Wirt des Gasthauses »Zum dunklen Geist«

Rym Garas, Fleischer

Filidas Lyrak, Gerberin

Lobur Donnerfaust, Schmied

Soguia Nurad, Prostituierte

Weitere Personen/ Geschöpfe

König Raxos, Herrscher über Xonanon

Chanurack, Anführer einer Schar lunærrischer Söldner

Limefrah, eine Elbin

Inhaltsverzeichnis:

Prolog

1. Die Entfesselung

2. Esthiôns Schatten

3. Neue Pläne

4. Das Kriegslager Halderas

5. Der Vertrag

6. Die Kraft des Medaillons

7. Neburs Paladin

8. Der Söldnerfürst

9. Miras wahre Gabe

10. Die Fänge des Königs

11. Die Harmonie der Schlacht

12. Sternenwinds großer Auftritt

13. Die Macht der Begabten

14. Geschöpfe aus Stein

15. Die Folgen des Krieges

16. Eine Nacht im Kloster

17. Der Kampf um Gonvalor

18. Limefrahs Prüfung

19. Der Weg nach Osten

20. Der Schwarzbrand

21. Eine Begegnung des Leides

22. Die Botschafterin der Elben

23. Unter dem Zeichen Neburs

24. Das Verhör der Schande

25. Ijargheim, die Stadt der Zwerge

26. Die Erde erhebt sich

27. Der Sturm beginnt

28. Felsen und Tod

29. Die Last der Toten

30. Die Zeit der Stille naht

31. Der Wartbaum

32. Der Schatten der Trauer

33. Die Stunde des Wandels

34. Der Kampf um die Zukunft

35. Trauer und Hoffnung

36. Im Gedenken an die Gefallenen

Epilog

Prolog: Die Pfade Irus

Als Iru entstand, spürte er die in ihm schlummernden Kräfte, welche nur darauf warteten, entfesselt zu werden. Doch die Macht, die er ersehnte, oblag seiner Mutter Elysia. Der Neid und der Wunsch nach Schaffenskraft keimten in ihm und so pflanzte er den Gedanken der Seelenteilung in der Göttermutter. Schließlich verließ Elysia die Zwölf, sogleich erkannte Iru seine Schuld, welche ihn von innen heraus zu zerfressen begann.

Elysia teilte ihre Seele und ihre Macht unter ihren Söhnen und Töchtern auf. Irus Wunsch ward in Erfüllung gegangen, doch Sorge statt Freude weilte in seinem Innersten.

Elysia hatte ihre Kinder zu Göttern erhoben und sich selbst geopfert. Ihr Verlust, für den Iru die Verantwortung trug, versetzte ihn in Trauer.

Mit der Seelenteilung verschwand auch seine Schwester Amea, Iru ahnte Furchtbares und so suchte er das gesamte Elysium nach ihr ab.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fand er die weinende Mutter, welche ihre ewig schlafende Tochter eng umschlungen in den Armen hielt

Der Kummer Elysias vereinnahmte alles und das erschütterndste aller Leiden drang tief in Irus Herz vor.

So forderte Elysia ihren Sohn, seine Seele Amea zu geben.

Iru vermochte es nicht, dem Willen seiner Mutter zu folgen. Zerrüttet, hilflos und von Zorn erfüllt, wollte er seiner Mutter einen neuen Sinn ihres Daseins geben und bat sie bei der Errichtung einer neuen Welt um Hilfe.

Doch Elysia konnte ihre Schwermütigkeit nicht ablegen und weigerte sich. So kam ihrem Sohn ein letzter folgenschwerer Einfall. Er trat an seine Mutter heran und nahm ihren Schmerz, ihr Leid und ihr Wehklagen in sich auf.

Mit diesem allumfassenden Schatten der Traurigkeit war ebenso ein Splitter von den Erinnerungen Elysias auf Iru übergegangen, welche ihn zu überwältigen drohten.

Das Wissen und die einstige Macht Elysias wurde Iru damit vollends offenbart.

Sein Innerstes schien zu bersten. Sein Geist endete in vollkommener Verwirrung und so kehrte er seiner Mutter den Rücken.

Verse aus dem Buche Irus

Kapitel 1: Die Entfesselung

Iru wandelte in Trauer und Einsamkeit durch das Elysium und suchte seine Brüder und Schwestern. Vers aus dem Buche Irus

Mein Stab ist zerbrochen, dachte Taron missmutig und starrte das breitere Ende seiner Waffe an, welche nun von einem unterarmlangen Spalt geziert wurde und dadurch vollkommen unbrauchbar war. Du warst mir ein treuer Wegbegleiter. Sein Blick glitt von dem am Tisch lehnenden Stück Holz hinab auf seinen Teller mit dem danebenliegenden Löffel, welcher einfach nicht in seine Hand gleiten und in das mittlerweile kalte Wildgulasch eintauchen wollte.

Die Übungskämpfe am Vormittag hatten ihn gänzlich entkräftet. Seine Gedanken glitten zu dem letzten Gefecht der Einheit, welches er gegen Gelador, ihren elfischen Schwertmeister, bestritten hatte. Er hatte Taron wahrlich gefordert oder eher überfordert, was ihn am Ende durch einen herausragend dummen Fehler den Stab gekostet hatte. Ein Schwert sollte man ablenken, nicht blocken, du wärst jetzt tot, wenn du keine andere Trumpfkarte besitzt, hallten die nur allzu schlau klingenden Worte Geladors durch seinen Kopf.

Der Elfenkrieger hatte bei ihrer Besprechung auf der Zinne des Turmes - nach dem Kampf gegen ihren Widersacher König Esthîon und der anschließenden Totenzeremonie der Avural - bezüglich ihrer Ausbildung nicht zu viel versprochen. Jeden Tag wurden sie zweimal bis aufs Schärfste geschliffen und in den Künsten des Schwertkampfes, Bogenschießens und Messerwerfens unterwiesen. Taron konnte im Moment nicht sagen, wann er das letzte Mal jeden Knochen in seinem Leib gespürt hatte.

Schließlich schob er seinen Teller von sich und schaute die lange Tafel hinab, welche in den letzten drei Wochen, die sie nun schon hier in Erihar verbrachten, zu ihrem Stammplatz im Hauptgebäude geworden war. Seine Freunde schienen ebenso erschöpft wie er selbst zu sein. Was sich allerdings nicht wie bei ihm auf den Appetit niederschlug, jedoch auf ihre Gespräche auswirkte. Bis jetzt hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt.

»Taron, du musst essen, Gelador wird uns den Nachmittag kaum schonen«, sprach Mira und legte ihre Hand auf die seine, während sich Sorge in ihrem Antlitz spiegelte.

»Mir ist einfach der Hunger vergangen.«

»Also wenn du es nicht mehr willst, dann helfe ich dir gerne«, bot Barvo an und streichelte seinen voluminösen Bauch und öffnete dabei einen Knopf seiner ledernen Weste, um etwas Platz für mehr zu schaffen.

»Du hattest bereits fünf Teller«, echauffierte sich Lavina und schüttelte so energisch ihren Kopf, dass ihre schwarzen Haare auseinanderwirbelten.

»Unerhört, dass du bei so etwas Belanglosem mitzählst«, lachte der Feuerspucker.

»Ich dachte, du wärst erst bei drei. Du schlingst die Teller so schnell herunter«, erklärte Ildrum, während er eine Kerbe aus seinem Holzschwert schliff.

»Ich bin generell jeden Tag aufs Neue erstaunt, was ihr Menschen verzehren könnt«, gab Elwaran preis, welcher als einziger Elf mit ihnen am Tisch saß.

»Barvo, du kannst mein Gulasch gerne haben«, sagte Taron und reichte ihm den Teller, der ihn strahlend entgegennahm und seinen Löffel darin vergrub.

»Taron, lass den Kopf nicht hängen, es ist nur ein Stab, du kannst dir einen neuen schnitzen, bestimmt finden wir in den Wäldern Avurins sogar ein Wartbaum«, versuchte Mira ihn aufzumuntern und strich sich mit den Fingern über das Brandmal an ihrer Stirn.

»Weißt du, ich habe mich an ihn gewöhnt«, entgegnete Taron kopfschüttelnd.

»Man könnte versuchen, ihn zu leimen«, schlug Ildrum vor und prüfte mit kritischem Blick seine hölzerne Klinge.

Taron war dankbar für seinen Vorschlag und nickte schmunzelnd. Generell hatte Taron Ildrum in den letzten Wochen etwas besser kennengelernt. Seine Abneigung gegenüber König Esthîon war mehr als gerechtfertigt und er trainierte ebenso hart wie alle anderen, sodass seine anfänglichen Bedenken ihm gegenüber in den Hintergrund gerückt waren.

»Nur ist dies wohl kaum eine Lösung, die von Dauer wäre. Vielleicht solltest du doch darüber nachdenken, zum Schwert zu greifen, guter Elfenstahl ist weitaus robuster als jedes Holz«, schlug Elwaran vor.

»Der Stab ist meine Waffe, ich verstehe die Vorteile eines Schwertes, aber es würde Jahre dauern, ein ebensolches Können zu erlangen wie ich es im Stabkampf bereits besitze.«

»Wenn wir die Schlagzahl der Einheiten erhöhen, schaffen wir es vielleicht sogar in ein paar Monaten«, mutmaßte Gelador, welcher zusammen mit Weredall, dem obersten Elfengelehrten Erihars, an die Tafel herangetreten war und die Blicke aller am Tisch Sitzenden vereinnahmte. Sogleich fragte sich Taron, ob sich die beiden ihres gemeinsamen Auftretens bewusst waren und tatsächlich wie Licht und Schatten wirken wollten. Zumal Weredall zur Untermalung seiner weißblonden Haare noch eine hellbeige Tunika trug, während der schwarzhaarige Schwertmeister ein dunkles Gewand nach den Kämpfen angelegt hatte. Man könnte sie in ihren Aufmachungen fast für Verehrer Baldors des Schöpfers und Onacras des Herrn allen Endes halten. Was bei Gelador vielleicht sogar stimmen könnte, ging es ihm durch den Kopf.

»Aber nur, wenn wir die Zeit haben, ich wollte mit der Erfüllung meiner Aufgabe nicht so lange warten«, erklärte Taron.

»Und daher habe ich vorhin mit Adrok gesprochen. Er ist bereit, sich deinen Stab anzuschauen«, offenbarte Weredall.

»Oh, hat er sich von seiner Handverletzung wieder erholt?«, fragte Lavina.

Der Kampf auf der Lichtung hat bei zu vielen bleibende Schäden hinterlassen, dachte Taron missmutig.

Weredall blickte die Jongleurin mit messerscharfen Augen an. »Adrok vermag noch immer keinen Hammer zu halten. Die Wunde eitert weiter vor sich hin, aber er sagte, wenn ihr bisher nicht zu viele Schläge auf den Kopf bekommen habt, könnte er euch anleiten.«

»Dann würde ich es gerne versuchen.«

»Wenn es um das richtige Anfachen der Kohlen geht, gibt es wohl kaum einen besseren als mich. Kann ich dich begleiten?«, fragte Barvo und leckte noch etwas zügiger seinen Teller sauber.

»Sehr gerne, mein Freund. Ildrum du besitzt von uns wohl das größte handwerkliche Geschick, magst du uns begleiten?«

Der ehemalige Tischler legte das Holzschwert auf den Tisch und nickte zustimmend.

»Das heiß jedoch nicht, dass das Training für euch ausfällt, es wird lediglich etwas nach hinten verlagert«, sagte Gelador und vollführte eine schwungvolle Handbewegung, »und nun eilt euch!«

Die drei sprangen auf und rannten aus der Halle, die aus dicken Flechtbäumen bestand und den gewaltigen Bretterturm in ihrer Mitte einfassten. Der Turm war der einzige seiner Art in Erihar, alle anderen Gebäude des Dorfes bestanden wie auch die Halle aus diesen glatten formbaren Bäumen und waren wie in einem Zeltlager angeordnet. Zwischen den Behausungen verliefen eine Vielzahl mehr oder weniger gut ausgetretener Trampelpfade.

Anfangs hatte Taron sich schwergetan, die richtigen Wege zu nehmen, doch nach den drei Wochen seines Aufenthaltes kannte er sich nahezu so gut aus wie im Tempelkloster Yewabor und begab sich zielsicher zum Nordrand Erihars, an dem eine der wenigen steinernen Bauten des Dorfes stand: ein gemauerter Ofen, dessen Öffnung fast der Größe von Barvos Bauch entsprach. Davor stand ein Amboss, daneben ein vollgefülltes Wasserfass und an der Seite ein Tisch mit einer Vielzahl Schmiedewerkzeuge und dahinter ein gewaltiger Blasebalg. Eingerahmt wurde die Werkstätte von einer halbkreisförmigen Flechtbaumwand, an deren Innenseite einige Metallplatten hingen.

Taron spähte kurz hinein, konnte jedoch niemanden entdecken. »Adroks Haus müsste dort drüben sein.« Er deutete auf eines der anliegenden Bauwerke.

»Dort wirst du mich nicht finden.«

Taron zuckte zusammen, als aus dem Schatten des Blasebalgs der gewaltige schwarze Minotauer einem Dämon gleich emporstieg. Seine gewaltigen Hörner ragten aus dem massigen Stierschädel empor, reichten fast bis zur Decke, während sein Gesicht von purster Verbitterung gezeichnet war.

»Und dieser Flammenwesenbeschwörer ist natürlich auch mitgekommen. Da vergeht mir wahrlich jegliche Lust, euch zu helfen.«

»Ich freue mich zu sehen, dass Eure Genesung gut voranschreitet«, entgegnete Ildrum.

Adrok schnaufte verächtlich und wandte sich Barvo zu. »Immerhin sollst du ganz gut wissen, wie man Feuer bändigt.«

»Damit kenne ich mich bestens aus«, erwiderte der Feuerspucker grinsend.

»Na dann bringe die Kohle mal ordentlich zum Glühen.« Der Minotauer deutete mit der gesunden Hand in die entsprechende Ecke des Verschlages.

»Ich bin eigentlich mitgekommen, falls filigranere Arbeiten von Nöten sind. Ich war mal Tischler«, erklärte Ildrum.

»Ach, ein Holzschnitzer, das erklärt so einiges. Aber sei‘s drum, du kannst bleiben. Sollten deine Dämonen ausbrechen, werde ich schon wissen, damit umzugehen«, langsam drehte er sich zum Novizen. »Nun Taron, gib mir mal deinen Stab.«

Adrok nahm die Waffe und legte das breitere Ende auf seinen rechten Unterarm, dessen Hand noch von einer Bandage geziert war und unterzog dem Riss im Holz einem prüfenden Blick. »Dass jemand so etwas lieber nutzt als eine Axt. Unbegreiflich.«

Taron biss sich leicht auf die Unterlippe, um nicht etwas Unbedachtes zu erwidern.

»Wusstet ihr, dass die bedeutendsten Waffen Solærras meist zusammen mit ihren späteren Herren geschmiedet wurden?« Adrok betrachtete weiter alle Kerben und Vertiefungen des Stabes. »Nein, denn warum solltet ihr schon Interesse an unserer Geschichte haben, aber so viel sei gesagt, wenn du es vermagst auch nur ein Teil deiner Kraft in die Ummantelung deiner Waffe zu übertragen, könnte daraus etwas Wundervolles entstehen.«

»Leider vermag ich meine Kraft noch nicht vollends zu kontrollieren.«

»War wohl nicht anders zu erwarten, trotzdem solltest du es probieren.« Der Minotauer schaute in den Ofen hinein, in dem bereits die Flammen loderten. »Da können ruhig ein paar mehr Kohlen hinein und dann lass sie glühen wie die Augen Irus«, befahl er.

Barvo schnappte sich eine Schaufel und begann sogleich weitere schwarze Brocken aus einem Sack in die Brennkammer zu befördern. Schweißperlen sprossen bereits aus jeder Pore seines Körpers, als er sich zu dem großen Blasebalg begab.

Der Tauren nickte. »Wir benötigen nun zuerst einen Handbohrer.«

Ildrum nahm drei der gebogenen Werkzeuge vom Tisch und hielt sie Adrok entgegen.

»Der Mittlere sollte passen. Taron, damit bohrst du nun zwei Löcher an das breitere und vier an das schmalere Ende in einem Abstand von einer Handbreite. Dies werden die Anker für die Legierung, mit der wir deinen Stab vervollkommnen werden.«

Der Novize senkte das Haupt. »Ich habe das noch nie zuvor gemacht.«

»Ach, ich vergaß, die gonvalorischen Priester sind ja alle von Adel.«

Taron warf ihm einen düsteren Blick zu. Wenn er nur wüsste.

»Ich zeige dir wie es geht, es ist ganz einfach, halte einmal den Stab fest«, bot Ildrum an.

Taron legte seine Waffe auf den Amboss, während der Tischler den Handbohrer einige Male rotieren ließ, welcher sich sanft in die oberste Schicht des Holzes fraß.

»Siehst du, ganz einfach, nun bist du dran.«

Die beiden tauschten die Plätze und Taron ließ den Bohrer kreisen, es war tatsächlich leichter als gedacht und hatte fast etwas Meditatives, doch die Anspannung gepaart mit der Hitze des Schmiedefeuers in seinem Rücken brachten auch ihn zum Schwitzen.

»Gut, versuche nun noch deine Gabe zu aktivieren.«

Er nickte, schloss die Augen und öffnete das Tor zur Magie. Bei einer solchen Arbeit war es wesentlich schwieriger als bei einem Kampf, schier unmöglich. Schließlich spürte er, wie sich ein Funken der Macht in seiner Brust entfachte. Nun lass sie in das Holz gleiten. Taron öffnete seine Lider und fixierte den Stab und versuchte seine Kraft in seine Hände gleiten zu lassen. Es wollte nicht gelingen, stattdessen begann das kleine Flämmchen in seinem Inneren zu flackern, fast zu erlöschen und es kostete seine vollste Konzentration dies zu verhindern.

Unter diesem zehrenden inneren Kraftakt bohrte er Loch um Loch bis sechs seine Waffe zierten. In der Zwischenzeit hatte Barvo in dem Ofen ein Feuer entfacht, das wohl selbst der Esse Irus in kaum etwas nachstand und hatte auf Anweisung von Adrok einen Trog mit einem silbernen Metall hineingestellt.

Der Minotaurenschmied besah sich die Bohrung und reichte dem Novizen den Kampfstab zurück. »Nun kommt der schwierigere Teil, Ildrum, du nimmst die Zange und holst den Behälter heraus und stellst ihn auf den Amboss. Taron, du tauchst zuerst das schmalere Ende deines Stabes hinein, drehst ihn einmal, holst ihn heraus und steckst ihn in das Wasserfass und wiederholst dann das Ganze. Währenddessen lässt du deine Macht hineinströmen.«

Er nickte zuerst Adrok und dann Ildrum zu und bemerkte, wie sein Herz in seiner Brust zu pulsieren begann. Barvo öffnete die Tür der Brennkammer, Ildrum holte den schmalen Behälter mit der blubbernden silbrigen dampfenden Flüssigkeit heraus. Taron verharrte und wollte erneut versuchen Magie aufzunehmen, der Funken war zu einem Hauch seiner selbst zusammengeschmolzen.

»Fang an, Novize!«, schnalzte Adrok.

Das dünnere Ende verschwand sogleich in dem steinernen Krug. Er drehte ihn und zog den Stab zaghaft heraus und tauchte ihn sogleich in das Wasserfass. Heißer Dampf stieg seinem Gesicht entgegen und zwang ihn, sich abzuwenden.

Er holte seine Waffe aus dem Wasser und stellte mit Freude fest, dass die Bohrungen unter einer dünnen Schicht schimmernden Glanzes verborgen lagen.

»Nochmal und das Ganze etwas schneller!«, grunzte Adrok.

Taron wiederholte die Prozedur fünfmal bis der Schmied die bandagierte Hand hob. »Das reicht. Ildrum, stell den Krug zurück in die Brennkammer.«

Sie warteten so lange, bis der Taurenschmied erneut das Zeichen gab, den Ofen zu öffnen und das Spiel mit dem breiteren Ende von neuem begann. Nachdem Taron seinen Kampfstab weitere vier Male gehärtet hatte, gebot ihm der Minotauer erneut innezuhalten und forderte Taron mit einer harschen Handbewegung auf, ihm das Stück zu überreichen.

Adrok wog die Waffe in der Hand, beäugte sie von allen Seiten und nickte schließlich, wobei der Hauch eines Lächelns über seine Lippen zuckte. »Er ist besser als erwartet geworden. Nimm ihn mal und vollführe ein paar Probeschläge.«

Taron nahm seinen Stab und trat ins Freie, begab sich in die neutrale Kampfhaltung und vollführte einige Stöße aus den ersten drei Katas und verharrte am Ende wieder in der Ausgangsposition. Das größere Gewicht war noch etwas ungewohnt, doch letztendlich waren die Bewegungen um einiges angenehmer als zuvor, was nicht zuletzt an der nun ausgeglichenen Gewichtsverteilung lag. Er wandte sich demütig Adrok zu und unterdrückte den Drang sich zu verbeugen. »Dankeschön, dass du uns bei der Perfektionierung der Waffe unterstützt hast.«

»Ich verzichte auf jegliche Dankesbekundungen.«

»Gibt es eine Möglichkeit, wie ich mich erkenntlich zeigen kann?«

»Bringe den Mann um, der mir meine Hand nahm, diesen vermaledeiten gefiederten Todbringer, Gardon Uhlond.«

Taron nickte bedächtig. »Ich verstehe deinen Schmerz, aber es gibt nur einen der sterben muss und das ist Esthîon Adar.«

»Ja natürlich, warum solltet ihr auch einem alten Tauren einen solchen Gefallen tun? Typisch Mensch!«, schnaufte Adrok.

»Sollte sich der Jäger des Königs Taron bei seinem Vorhaben in den Weg stellen, werden wir ihn bezwingen«, versprach Barvo.

»Dann muss mir das wohl genügen.«

Taron spürte jemanden in seinem Rücken. Er wandte sich um und sah die Lichtgestalt Weredalls. »Ich sehe, ihr habt den Makel ausgemerzt. Sind eure Arbeiten beendet?«, fragte der Elfenvorsteher Erihars.

»Wir sind soeben fertig geworden«, bestätigte Adrok.

»So denn, Puldrus erwartet Taron am Übungsplatz.«

»Die Bengel müssen hier nur noch für Ordnung sorgen«, wandte der Schmied ein.

»Das können Barvo und Ildrum übernehmen, du weißt, dass man den Uldar nicht warten lassen sollte.«

»Nein natürlich, was wäre das bloß für eine Schmähung, wenn Puldrus ein paar Momente seiner Zeit vergeuden würde«, schnarrte Adrok. »Nun gut Taron, passe in Zukunft besser auf das gute Stück auf, ein weiteres Mal wirst du es wohl kaum reparieren können.«

Taron nickte dem Tauren und seinen beiden Freunden dankbar zu.

»Und Barvo, Ildrum, ihr kommt, wenn ihr hier fertig seid, zur Haupthalle. Wir arbeiten weiter an eurem Gedankenschutz.«

Aus Barvos Gesicht wich augenblicklich jegliche Farbe. Ihm schien es tatsächlich unmöglich, einen Wall in seinem Kopf zu errichten, während Ildrum immerhin schon kurz vor der Vollendung seines Schirmes stand.

»Nur Mut Barvo, mit jeder Übung kommst du dem Ergebnis näher«, ermutigte Taron ihn, der nur zu gut wusste, wie Barvo sich fühlte, denn mit der Beherrschung seiner Magie lief es ja fast genauso. »Viel Erfolg.«

»Dir auch.« Taron wandte sich um und lief zügig quer durch Erihar. Mittlerweile war die Sonne hinter schweren Wolken verschwunden, während ein frischer Wind aufgezogen war. Ein gutes Wetter zum Üben.

Unweigerlich glitten seine Gedanken weiter zu dem Herrscher Gonvalors, dies taten sie fast immer, wenn er für sich alleine war. Taron begrüßte dies, denn es half sein Ziel, Esthîon umzubringen, nicht aus den Augen zu verlieren. Der König war nach der Beerdigung seiner Männer abgezogen. Die Elfen vermuteten, dass er zurück nach Donnerhall gereist war. Bei dem Gedanken schüttelte Taron verdrossen den Kopf. Vollkommener Unsinn. Er ist ein Jäger, der seine Beute noch immer nicht bekommen hat. Er lauert irgendwo dort draußen und wartet nur auf den richtigen Moment, um erneut zuzuschlagen.

Er erreichte das Trainingsgelände, welches neben der Koppel lag und einen Platz zum Bogenschießen oder Messerwerfen und ein Lager mit mehreren Übungswaffen bot.

Lavina, Mira und Elwaran vollführten soeben einige Grundübungen mit dem Schwert parallel zu Gelador. Deren Abläufe erinnerten Taron sehr an die Stabkatas. Auch wenn die Bewegungen des Elitekriegers einem Tanz in vollkommener Harmonie glichen. Eine bekannte Freude stand in sein Gesicht geschrieben, die er nur zu gut nachempfinden konnte.

»Du kommst spät«, brummte eine Stimme neben ihm.

Taron zuckte erschrocken zusammen. Sein Blick glitt zu der massigen Gestalt Puldrus‘. Wie hat er es nur geschafft, sich mir unbemerkt anzuschleichen? »Es hatte einen Grund.«

»Dein Stab ist repariert, nimm dir trotzdem erstmal ein Schwert.«

Taron ging zum Lager, nahm sich eine der Holzwaffen, begab sich in Position und begann sich dann im Takt Geladors zu bewegen. Er mochte den Wechsel aus fließenden Bewegungen und plötzlichen Verharrungen. Sie brachten seinen Körper zum Kochen und bereits nach wenigen Wiederholungen traten die Schmerzen in seinen Knochen in den Hintergrund.

Gelador beschleunigte das Tempo. »Bleibt konzentriert. Taron, Arm höher«, forderte der Elf und drehte sich. »Gleichgewicht halten und Ausfallschritt, Schlag, Schlag, Parade.« Der Schwertmeister nahm die Klinge in die Linke und schaute ihn und Mira an.

»Wir beginnen mit den Zweikämpfen«, befahl Gelador. »Lavina, du gehst zu Mira. Elwaran, du hast ein Auge auf die beiden. Taron, du kommst zu mir. Nimm dir einen Schild und versuche, deine Kräfte vorerst zu unterdrücken.«

Er nickte, schnappte sich einen der rechteckigen Schilde und trat Gelador gegenüber. Jede Faser seines Körpers war angespannt.

Gelador schlug von oben. Tarons linker Arm schnellte hoch.

»Nicht blocken, ablenken.«

Taron nickte. Sie hatten in den Wochen herausgefunden, dass bei nahezu jeglicher größerer Anstrengung das Medaillon automatisch Energie in ihn pumpte und seine Bewegungen dadurch unterstützte, was sich durchaus positiv auf seine Kraft und Schnelligkeit auswirkte. Es schien fast so, dass seit seinem Kampf mit Zelorag Dun vor dem Wald Avurins ein Tor durchbrochen war, das er beim Kampf nun kaum zu schließen vermochte. Die Macht wollte seine Bewegungen unterstützen. Dies nun zu kontrollieren kostete ihn einiges an Konzentration. Doch so sehr ihn die ganzen Übungen auch beanspruchten, hatte er es seit dem Kampf auf der Lichtung gegen Weldur Burak nicht vollbracht, einen dieser verheerenden Lichtimpulse zu erzeugen, egal wie sehr er sich anstrengte.

Taron setze zum Angriff an, doch seine Waffe schabte lediglich über den Schild Geladors.

Der Elf hüpfte zurück. »So wirst du König Esthîon nie bezwingen, wo auch immer er sein mag.«

»Meine Klinge wird ihren Weg finden!« Taron stach erneut zu. Sein Schwert wurde über die Schildkante abgelenkt.

Etwas prallte von unten gegen seine Schutzwaffe, wodurch Tarons Hand vibrierte. Er blickte hinab.

Geladors Fuß kam zum Vorschein. Die Waffe des Elfen traf Tarons Klinge und dann seinen Arm.

Die Hand des Novizen sprang auf und gab den Schwertgriff frei. Schmerz durchzog das Glied.

»Du hättest jetzt deine Hand verloren und wärst vermutlich tot«, erklärte der Elf stumpf.

»Der Tritt war gut platziert.«

»Wenn etwas Unerwartetes passiert, weich aus.«

»Ja«, Taron hob seine Holzklinge auf.

»Nochmal!«

Der Reigen begann von neuem. Der Elf bewegte sich eines Blattes im Winde gleich. Schwerter und Schilde prallten aneinander. Der Novize erhielt einen Schlag gegen sein Bein und fiel zu Boden.

»Nochmal!«, forderte der Elfenkrieger.

Taron stand erneut. Sie rangen kurz. Er bekam einen Tritt in den Hintern und stürzte erneut.

»Nochmal!«

Als nächstes entriss Gelador Tarons Schild und danach seine Waffe. Ein Mensch kann gegen diese Kampfkunst nicht gewinnen.

Taron stemmte sich erschöpft auf sein Schwert und richtete sich wieder auf. Die Schmerzen in seinen Gliedmaßen waren zurückgekehrt und potenzierten sich zu allem Überfluss bei jedem weiteren Versuch.

Der Elf atmete nicht einmal schwer. »Brauchst du eine Pause?«, fragte er.

»Nein«, antwortete Taron.

Gelador lächelte. »Du hättest auch keine bekommen.«

»Ich weiß.«

»Aber du kannst jetzt deine Magie einsetzen.«

»Gut.«

Die Waffen prallten aufeinander. Taron öffnete das Tor seines Medaillons und ließ die Kraft seinen Körper durchströmen. Seine Paraden wurden kraftvoller und Gelador langsamer. Angriff folgte auf Angriff. Taron zwang Gelador in die Defensive.

Der Elf grinste und hielt mit einer Reihe schneller Stiche dagegen. Endlich war es ein Kampf auf Augenhöhe. Sie fegten über den Platz.

Die anderen schauten den beiden gebannt zu.

Gelador vollführte eine Drehung und schlug mit der Schildkante gegen Tarons Schild. Das Schwert folgte und verfehlte nur knapp den Schwertarm des Novizen. Taron sprang zurück.

»Los, setze deine Gabe ein!« Der Elf drang weiter auf ihn ein. Immer wieder kollidierten Geladors Schwert und Schild mit der Schutzwaffe Tarons. Die Eleganz des Elfen verflog. Die Wucht seiner Angriffe erschütterte Taron und ließ seinen Arm taub werden. Ich muss meine Macht einsetzen. Er konzentrierte sich darauf, die Magie in seinen Arm fließen zu lassen. Nichts geschah.

Ein Schwerthieb traf Tarons Bein und riss es in die Höhe.

Taron landete unsanft auf dem Rücken und stöhnte: »Was war das für eine Technik?«

»Das war der aufsteigende Hengst«, grinste Gelador.

»Weil du weißt, wie gerne ich Pferde mag.«

»Ganz recht.« Gelador hielt Taron die Hand entgegen und half ihm auf. »Zum Ende hin wurdest du unaufmerksam.«

»Dein Angriff hat dazu einiges beigetragen.«

»Mag sein, aber hättest du deine Magie wie auf der Lichtung freigelassen, wäre der Sieg dein gewesen.«

»Bisher geschah es nur, wenn es gefährlich wurde. Ich kann es nicht erzwingen.« Unmut breitete sich in Taron aus.

»Nur können wir dich zum Trainieren schlecht nach Donnerhall oder zu den Schwadronen schicken. Du musst hier lernen, deine Macht zu nutzen«, sagte Gelador.

Betrübt rappelte sich Taron mit hängenden Schultern auf.

»Nein, wir können Taron nicht dem Feind aussetzen«, bestätigte Puldrus, ging zum Waffenlager und nahm sich eine Keule. »Trotzdem können wir dir eine entsprechende Situation bescheren. Auch mit Übungswaffen kann man einen Schädel zerschmettern.« Puldrus schwang das Holz, ein fast bestialisches Grinsen zeichnete sein Gesicht.

Taron lief es kalt den Rücken runter. Ein Treffer damit…

»Du kannst dir eine andere Waffe nehmen, wenn du möchtest.« In Puldrus` Augen funkelte die Kampfeslust.

Taron legte Schwert und Schild ab und nahm sich seinen Stab. Das Holz glitt durch seine Hände bis sie die metallene Legierung am breiteren Ende erreichten. Die erneuerte Waffe gab ihm Kraft, aber das bedrückende Gefühl vertrieb sie nicht. Bitte Enura, lass mich deine Macht nutzen, dachte er und begab sich in die ausgeglichene Grundhaltung.

Der Uldar brüllte, sprang nach vorn und schlug mit der Holzkeule zu. Taron wich zurück. Der Kampfschrei des Tauren dröhnte in den Ohren und ließ seine Brust vibrieren. Es folgte ein seitlich geführter Hieb. Taron führte ihn mit seinem Stab weiter und rollte zur Seite. Jede seiner Bewegungen schien jedoch etwas langsamer als gewöhnlich zu sein, das neue Gewicht seines Stabes machte sich doch bemerkbar.

Die Keule sauste hinab und grub sich in den Boden ein. Um ein Haar hätte Puldrus sein Bein getroffen. Er meint es ernst. Taron stach mit seinem Stab zu.

Der Taur riss seine Waffe nach oben. Es klirrte, als die Keule das metallene Ende von Tarons Kampfstab traf. Krampfhaft hielt er seine Waffe fest. Erde regnete hinab.

Puldrus streckte den Kopf nach vorne und grölte erneut. Seine Augen hatten sich weiß gefärbt.

Taron erstarrte. Diese Augen hatten einige der Minotauren bei dem Kampf gegen die Schwadron gezeigt. Die Augen eines Berserkers.

Der Uldar trieb den Novizen mit ausholenden Schlägen ins Unterholz des Waldes.

Er führte die Keule von schräg oben.

Taron drehte sich zur Seite und wich aus. Er spürte einen Baum in seinem Rücken. Puldrus setzte mit einem Stoß nach. Taron sprang zur Seite. Die Keule traf auf Rinde. Holz splitterte. Der Taur entließ ein bedrohliches Grunzen.

»Setze deine Macht ein!«, schrie Elwaran.

Der nächste Hieb traf den Stab und schleuderte Taron nach hinten. Er landete auf den Knien. Durch seine Arme brandeten stumpfe Schmerzen und Angst breitete sich in seinem Inneren aus. Nur mit Mühe behielt er seinen Kampfstab in den zitternden Händen. Er ist außer Kontrolle.

Taron schlug mit dem breiten Ende seines Stabes zu. Der Taur blockte den Angriff, als würde ein Blatt gegen einen Felsen fliegen. Der Novize setzte sogleich nach.

»Benutze deine Magie!«, rief Mira.

Taron traf Puldrus´ Brust.

Der Minotauer blieb unbeeindruckt und führte einen Hieb gegen Tarons Beine.

Dieser sprang hoch, zu langsam. Die Keule traf seine Fußspitzen. Er landete auf dem Rücken im Laub, wobei sich der Stab aus seinem Griff löste.

Der Taur hob die Waffe über seinen Kopf.

»Das reicht Puldrus!«, befahl Gelador.

Taron sah lediglich einen Schatten von oben auf sich zurasen und drehte sich zur Seite. Die Keule landete im Dreck, der Minotaur setzte nach.

»Halte ein!«, schrie der Elfenkrieger, welcher nun direkt hinter Puldrus stand. Er griff dessen Weste und riss ihn nach hinten.

Der Uldar drehte sich, seine Pranke prallte gegen den Brustkorb des Elfen und schleuderte ihn mehrere Schritt nach hinten.

Sogleich ging eine weitere Welle der Dunkelheit auf den Novizen nieder.

Taron rollte weiter, bis sich schließlich eine große Wurzel in seinen Rücken bohrte und sein Manöver schmerzhaft beendete, während sich spitze Nadeln durch seine Kleidung bohrten.

Der nächste Hieb schlug direkt vor seiner Brust ein und ließ den Boden erzittern. Erde schlug seinem Gesicht entgegen und trübte sein Augenlicht.

»Taron!«, drang Miras verzweifeltes Kreischen an seine Ohren.

Er blickte nach oben und sah den verschwommenen Uldaren wie einen Riesen über sich aufragen. Der Gigant holte erneut aus.

Taron stöhnte, hob den Arm und spürte, wie sich eine Welle in seiner Brust aufbaute und wie von selbst in seinen ausgestreckten Arm wanderte und daraus hervorbrach. Ein Lichtblitz erschien und Puldrus wurde einfach weggefegt. Das ist es.

Taron rappelte sich auf. Er keuchte und wischte sich über das schweißnasse Gesicht, wodurch seine Sicht etwas aufklarte.

Der Uldar lag am Boden, hinter ihm stand Gelador mit einem Fuß auf der riesigen Keule.

Elwaran entließ Mira aus seinem Griff. Sie stürmte auf Taron zu.

Hinter den beiden sah er Lavina und die halbe Bewohnerschaft Erihars.

»Taron, spüre in dich hinein, wie fühlt sich deine Macht an, halte sie fest«, befahl Gelador.

Taron hob abwehrend die linke Hand in Miras Richtung und schloss die Augen, obwohl dabei ein Stechen durch seine Lider fuhr. Stille umfing seinen Körper. Er spürte die Magie noch immer in seinem Arm flackern. Sie war einfach hineingesprudelt, nun strömte sie wieder davon, ganz langsam, zu seiner Brust hin. Dorthin, wo das Medaillon ruhte. Ich muss die Magie festhalten. Sie floss weiter ab. Kehre zurück! Seine Brustmuskeln, sein ganzer Körper spannten sich automatisch an.

Irgendwo in seinem Inneren schloss sich ein Tor und Wärme füllte seine Brust und verdrängte fast alle anderen Gefühle.

Die Magie stockte, verharrte, schien sich fast zu mehren.

Eine Spur des Glücks türmte sich in ihm auf. Nun fließe zu meiner Hand. Die Fülle der Macht flutete sogleich seiner Schulter entgegen. Taron öffnete die Augen. Sein Kopf lag auf der Brust, sein rechter Arm hing an seiner Seite und schimmerte weiß. Die Handfläche war nach oben zu einer Kralle geformt. Zwischen den Fingern erschien ein Funke. Komm schon, gib mir mehr, flehte Taron innerlich.

Der Strom in seinem Arm nahm zum. Impulse durchschossen seinen Körper. Der Lichtpunkt gewann an Masse und füllte die ganze Hand aus. Eine Macht, die er bisher nur selten gefühlt hatte.

Er wollte soeben seinen Arm heben, da explodierte das Licht zwischen seinen Fingern. Die Macht schleuderte Taron gegen eine nahestehende Klingenkiefer. Nadeln fielen hinab und schlitzten sein Gesicht und seine Hände auf. Die Energie schwand aus Taron, seine Schultern sackten zusammen. Er ging auf die Knie und schaute zum Himmel. Eine bekannte Kälte gepaart mit Taubheit umfing ihn.

»Danke«, hauchte er.

Mira glitt an seine Seite und schlang ihren Arm um ihn. »Alles gut bei dir?«, fragte sie.

Taron grinste schwerfällig. »Ja.«

Irgendjemand klatschte. Taron hob seinen Kopf. Es war Elwaran. Der Applaus wurde von Gelador und den Versammelten aufgenommen. Warum? Ich habe doch versagt.

Puldrus stand neben der Menge. Der rechte Arm des Tauren hing leblos hinab. Doch schien er wieder ganz er selbst zu sein…

Taron wurde mulmig zumute. Haben sie alles mit angesehen? Er hob die Rechte und kämpfte sich auf. Mira stützte ihn. Jede Faser seines Körpers schien ausgebrannt zu sein.

Lavina kam auf ihn zu und berührte seine Schulter. »Das war unglaublich Taron.«

»Danke.«

Mira und Lavina griffen Taron unter die Arme und brachten ihn zum Uldar. Der Jubel legte sich derweil.

»Das war beachtlich, Mensch.«

»Ich muss nur noch lernen, mich nicht selber in die Luft zu jagen. Puldrus, geht es dir wieder gut?«

»Der Arm ist nur taub.«

»Ich meine eher die Raserei.«

»Ach das, das war nichts.« Puldrus schielte hinüber zu Gelador. Dieser grinste breit.

»Du hättest mich fast getötet.« Taron war verwirrt.

»Nur fast,« griente Puldrus.

»Uldar«, rief jemand hinter der Menge. Fendelin die Elfenspäherin brach durch die vorderste Reihe der Schaulustigen und kam vor Puldrus zum Stehen. Sie war außer Atem.

»Was ist? Sprich!«, forderte der Taur.

»Esthîon und die Schwadronen sind gesichtet worden.«

Kapitel 2: Esthîons Schatten

Schon aus weiter Ferne spürte er eine Spannung, die sein gesamtes Sein erdrückte und die Trauer seines Herzens zu verzehren schien. Vers aus dem Buche Irus

Esthîon hatte sich nach seiner Niederlage in Avurin in die Hügellande des Novarion, welches dem Novaren Dellar gehörte, zurückgezogen und begonnen, eine neue Streitmacht zu rekrutieren. Noch hatte sie nicht die gewünschte Stärke. Doch das wird sich bald ändern, war sich der König sicher.

Nun war er nach Haldera zurückgekehrt, um von hier aus das weitere Vorgehen gegen die Elfen und Tauren zu planen. Soeben begab er sich mit Weldur zwischen die westlichen Hügel Halderas und betrachtete über die weite Ebene hinweg die östlichen Ausläufer des Waldes, in dem der Feind verborgen lag.

Dort liegt mein Ziel. Ein kalter Wind fegte über die Ebene, verfing sich in Esthîons blauem Gewand und ließ ihn leicht erschauern. Über seiner Schulter lag ein heller Pelz, welcher eher modischen Zwecken diente.

»Weldur, du hättest diesen verfluchten Taron einfach mitnehmen sollen.«

»In dem Moment war es wichtiger, Euch zu schützen.«

Esthîon schüttelte den Kopf. »Ich vermag es, mich selbst zu verteidigen. Ich bin kein Kind mehr!«

»Ich weiß. Entschuldigt, mein König.«

»Hätten wir nur ihn gehabt, hätte ich vielleicht nicht mehr diese Träume, aber verdammt, sobald ich die Augen schließe, erscheint dieser Bastard von Novize. Ich will ihn brennen sehen.« Esthîon schüttelte den Kopf. »Nein, ich will diesen ganzen Wald brennen sehen und alle darin Lebenden zu Onacra schicken.«

»Ich verstehe Euren Zorn. Ich spüre ihn ebenso.«

»Tut Ihr das?«

»Ja.«

»Seht Ihr jede Nacht, wie Eure Eltern ermordet werden?«

»Nein.«

»Dann könnt Ihr meine Gefühle nicht einmal ansatzweise verstehen.«

»Ich spüre, wie sie Euch belasten.«

»Wagt es niemals, in meinem Kopf zu schauen«, fauchte der König.

»Ich habe auf Eure Eltern geschworen, dies nie zu tun.«

Esthîon brummte zur Antwort. Er betrachtete von Ehrfurcht ergriffen den Wald. Avurin ist ein Ungeheuer. Eines, das es zu zähmen gilt. Dies war eine der Lehren aus dem Kampf mit den Avural. Er trat zwischen den Hügeln hervor.

Weldur folgte ihm.

»Gibt es etwas neues?«

»Wir haben eine weitere Zusage aus dem Novarion Krikors erhalten.«

»Wie viele Truppen schickt er?«

»Mindestens fünfzig.«

»Nur fünfzig. Haben wir bereits eine Nachricht von Schwadronal Dirod?«

»Noch nicht.«

»Sie alle haben mir die Treue geschworen. Da kann man doch etwas mehr Eile erwarten«, knurrte Esthîon aufgebracht. Ich muss mich beruhigen, es sind noch keine drei Wochen vergangen, seit ich ihre Lehenstreue forderte. Sie werden kommen. »Wie steht es um unsere Versorgung?«

»Die Karawanen treffen wie gefordert ein. Haldera ist weitaus besser als Lager geeignet, als der Platz in den Hügeln.«

»Ist Tee eingetroffen?«

»Nein, Xonanon ist weiterhin abgeriegelt.«

Esthîon ballte die Hände zu Fäusten, um ein Zittern zu unterdrücken. Warum, warum muss dieser vermaledeite Xar ausgerechnet jetzt seine Grenzen schließen? Was geht da nur vor? Fragen, die sich Esthîon schon häufiger gestellt hatte, doch bisher verbargen sich die Antworten vor ihm. Zumal jede Delegation, die er zur Klärung ausgesandt hatte, abgewiesen worden war. Ohne den ausländischen Sud fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu ordnen. »Beschafft mir Tee. Schickt notfalls die Vierte aus!«

»Schwadronal Wrin war ursprünglich als Führer der Patrouillen eingeplant.«

»Eine Armee ist nur so stark wie ihr Kommandant und ohne Tee fühle ich mich schwach.«

»Ich tue alles in meiner Macht Stehende. Notfalls kratze ich jeden Krümel des Reiches für Euch zusammen.«

»König Esthîon, entschuldigt die Störung«, erklang die Stimme Hirenas hinter den beiden.

Esthîon und Weldur drehten sich um. Die Priesterin schien über den Boden zu schweben. Ein breites strahlendes Lächeln zeichnete sich zwischen ihren saftigen roten Lippen ab.

»Priesterin Hirena, ich hoffe ihr habt gute Nachrichten für mich«, sagte Esthîon.

»Mit Eurer Erlaubnis empfehle ich mich«, sprach Weldur und verbeugte sich so, dass Esthîon seinen eigenen Schatten auf dessen Glatze erkennen konnte.

»Nein Weldur, verweile!«, befahl Esthîon und hob die Hand in Buraks Richtung.

Sein General nickte.

»König Esthîon, wie befohlen habe ich den Orden Gwendlins über Euer Vorhaben in Kenntnis gesetzt. Ich erhielt soeben einen Brief…«, begann Hirena, stockte jedoch.

»Sprecht!«, forderte Esthîon.

Die Priesterin Ameas sah an dem König vorbei. Esthîon folgte ihrem Blick und erspähte einen Reiter, welcher von den Wäldern Avurins aus auf sie zuritt. Wie von selbst glitt seine Hand zum Schwert. Ohne Rüstung fühlte er sich nackt.

Der Körperbau des Reiters glich dem eines Elfen. Die Gestalt trug erdfarbene Kleidung, hatte offenes langes blondes Haar und saß auf einem braunen Pferd. Schließlich zügelte er sein Ross in etwa einer Meile Entfernung.

»Er sieht uns«, vermutete Weldur.

»Die Elfen können wissen, dass wir noch nicht aufgegeben haben.« Esthîon trat einen Schritt nach vorne und blickte auffordernd in Richtung des Spähers. »Wie viele Reiter wurden bereits ausgeschickt?«

»Etwa einhundert haben vor gut einem Strich begonnen, den Ring um Avurin zu schließen, weitere fünfzig befinden sich noch hier in Haldera«, sagte Weldur.

Der Elf auf der Ebene wendete sein Reittier und galoppierte zurück zum Wald.

»Gebt den Fünfzig Proviant und verstärkt die Patrouillen weiter, ich will, dass nicht einmal eine Wühlratte aus oder nach Avurin gelangt. Die Avural sollen unsere Stärke und Entschlossenheit spüren. Für alle weiteren Reiter, die kommen, gilt der gleiche Befehl.«

»Jawohl, ich werde mit Eurem Einverständnis die Wachen verstärken.«

Esthîon nickte mit einer gewissen Genugtuung. »Macht das. Hirena, Ihr wolltet mir noch eine Nachricht übermitteln.«

Die Priesterin der ewig Schlafenden Amea senkte ihr Haupt. »Der Orden der Göttin Gwendlins ist Eurem Vorhaben wohlgesonnen, wird jedoch nicht in die kriegerischen Handlungen eingreifen.«

Esthîon atmete schwer. Wut entflammte in ihm. »Weldur, Ihr dürft gehen.«

»Ja, mein Herr.« Der General verbeugte sich und ging zügigen Schrittes Richtung Haldera.

»Hat der Orden mitgeteilt, warum sie sich nicht beteiligen wollen?«

»Nein.«

»Sie bräuchten von ihrem südlichen Kloster aus nicht einmal eine Woche bis hierher. Zudem wäre es mit ihrer personellen Unterstützung weitaus einfacher, die Novaren zu versammeln.« Esthîon fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar. »Wie denkt Ihr darüber?«

»Ich glaube, sie halten sich wegen Taron zurück. Er ist ein Novize Neburs. Kein Orden möchte den Zorn eines Gottes auf sich laden. Wenn Taron von Nebur bestimmt handelt, wäre jede Einmischung ein Frevel.«

»Warum unterstützt Ihr mich dann?«

»Ich diene alleine Euch. Außerdem steht Amea den anderen Göttern weit weniger nahe.«

Esthîon nickte. »Alle Orden sollten meinem Befehl unterstehen. Solch Eigenmächtigkeiten müssen in Zukunft unterbunden werden.« Er starrte grimmig über die Ebene.

»Das Priestertum ist nicht ohne Grund von der Herrschaft entkoppelt. Kein König steht über den Göttern.«

»Das habe ich nicht gesagt, aber wer, wenn nicht ich steht direkt unter ihnen. Die Hohepriester müssen daran erneut erinnert werden.«

»Keiner der Orden wird ohne weiteres von der Macht ablassen, die sie besitzen.«

»Das wird sich zeigen, doch vorher werde ich mich mit den Avural befassen. Sind die Magiebegabten gefangen, folgt der nächste Schritt.«

Kapitel 3: Neue Pläne

Ungeachtet dessen kehrte er in den Kreis seiner Geschwister zurück. Doch ihre Uneinigkeit lastete schwer auf seinem Gemüt. Vers aus dem Buche Irus

»Wo wurde er gesehen?« Puldrus stampfte Fendelin entgegen.

»Die Nachricht stammt aus Merive. Weredall nimmt sie gerade auf«, berichtete die Elfenspäherin.

»Ihr alle geht wieder eurem Tagwerk nach«, richtete Puldrus die Stimme an die umstehenden Elfen und Tauren. Dann drehte er sich zu Taron und seinen Gefährten. »Ihr kommt mit.«

Taron humpelte, von Mira gestützt, dem vorauseilenden Uldar hinterher.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie.

»Das bedeutet, dass wir Esthîon eher besiegen müssen, als wir annahmen.« Die Taubheit zog sich allmählich aus seinem Körper zurück, an ihrer Stelle schwollen die Schmerzen in seinen Händen an. Zaghaft hob er die Arme und sah, dass die Klingenkiefernadeln teils fingerlange Schnitte hinterlassen hatten. Zwei steckten noch in seinem Fleisch.

»Ich verbinde dich gleich«, hauchte Mira.

Sie näherten sich dem von Flechtbäumen umschlossenen Turm.

»Geht in den Beratungsraum.« Puldrus und Gelador begaben sich zur Tür am Ende des Flures und verschwanden durch diese. Taron betrat das Zimmer, wo Barvo und Ildrum noch immer versuchten, ihre Gedanken zu verschleiern.

Der Feuerspucker saß an der hinteren Wand mit einem Teller auf dem Schoß und kaute. Er verschluckte sich und hustete, als er Mira und Taron erblickte. »Taron, was hast du denn gemacht?«

»Meine Fähigkeit eingesetzt.« Taron zuckte mit den Schultern, setzte sich unter eines der Fenster und glitt mit dem Rücken an einer runzligen Flechtbaumwand entlang. Alle außer Mira nahmen auf den ausgelegten Kissen Platz.

»Aber dass du dir vor Freude gleich die Hände zerfetzen musst.«

»Er hat sich gegen eine Klingenkiefer geschleudert«, winkte Elwaran ab. »Wir wissen, dass Esthîon von den Kundschaftern Merives entdeckt wurde. Wisst ihr mehr?«

Barvo schüttelte den Kopf und biss von einer schmalen Salami ab. »Ich weiß nicht mal, wo Merive liegt.«

»Es ist eine Siedlung an der Ostgrenze Avurins«, erklärte Elwaran.

Ildrum kratzte sich das schwarze Haar. »Endete dort nicht einst die ehemalige Handelsstraße?«

»Als es noch Handel gab, zwischen Merive und Haldera herrschte einst großer Austausch«, bestätigte der Elf.

Mira erschien wieder und trug eine kleine Schale mit Wasser und eine graue Tasche bei sich. Sie reinigte die Wunden Tarons, zupfte vorsichtig die Nadeln heraus und verband dessen Hände.

Eine Elfe eilte den Flur entlang, kurz darauf betraten Puldrus, Gelador und Weredall mit versteinerten Mienen das Zimmer und setzten sich so, dass alle sie sehen konnten.

»Der König hat den Kreis erneut um uns geschlossen und er ist enger gestrickt denn je«, begann Weredall.

»Also sind meine Befürchtungen wahr geworden«, raunte Taron.

Fendelin richtete sich etwas auf, »Wir haben den König und seine Männer drei Tage lang verfolgt. Ihr Tross ist schnurgerade Richtung Osten gezogen. Wir hatten angenommen, er sei nach Donnerhall geflohen.«

»Anscheinend kann der Gute wohl doch nicht genug von uns kriegen«, brummte Barvo und handelte sich einen finsteren Blick von Lavina ein.

»Die Frage ist nur, wie will er uns bekommen?«, fragte Mira.

»Und wie können wir seine jetzige Position für uns nutzen?«, führte Lavina die Frage weiter aus. »In Donnerhall wäre er nahezu unerreichbar, aber hier ist er verwundbar.« Sie warf eines ihrer Wurfmesser in die Höhe und fing es so auf, als würde sie es jemandem in die Brust rammen.

»Ist bekannt, wie viele Truppen er nach Haldera geführt hat?«, fragte Ildrum.

»Wir haben Kundschafter ausgesandt, aber es gibt kein Durchkommen, jeder Hügel vom Flinkwasser bis zum nördlichen Soragebirge ist mit Spähern gespickt. Wir könnten in der Nacht weitere ausschicken, die das Lager inspizieren, aber ob wir die genauen Pläne Esthîon Adars in Erfahrung bringen können, ist ungewiss.«

»Elfen können vielleicht ungesehen bleiben, aber ungesehen zwischen Menschen agieren, ist etwas anderes«, erklärte Fendelin.

»Aus einem Fuchs wird halt kein Wolf«, grummelte Barvo.

»Charmant und zutreffend«, entgegnete Weredall.

»Ihr wollt, dass einer von uns das übernimmt? Jemand müsste sehr nahe an den König herankommen«, vermutete Mira.

Puldrus nickte bedächtig.

»Ich werde es tun. Ich habe zuvor schon in der dreckigen Wäsche von Novaren gewühlt, die des Königs sollte nicht viel anders sein«, erklärte sich Lavina bereit.

»Esthîon ist aber kein windiger Fürst, der dich zu seiner Belustigung eingeladen hat. Es könnten tausende Krieger in den Hügeln lauern«, sagte Ildrum besorgt.

»Die Ungewissheit ist doch gerade das Reizvolle daran. Außerdem bezweifle ich, dass der König in weniger als drei Wochen eine solche Streitmacht zusammenziehen könnte.«

Der Gedanke, Lavina alleine losziehen zu lassen, verursachte ein mulmiges Brodeln in Tarons Magengrube. »Ich werde dich begleiten, Lavina.«

Die Umwerfende deutete mit der Messerspitze auf ihn. »In diesem Fall ist es besser, wenn ich alleine gehe.«

»Es könnte sich die Möglichkeit bieten, Esthîon zu töten. Du weißt, dass wir nur so die Freiheit für die Begabten erlangen können. Ich werde die Gelegenheit nicht verstreichen lassen.« Taron führte seine Hände zu den Knien und richtete sich auf.

»Überstürztes Handeln kann töricht sein«, bedachte Elwaran.

»Esthîon Adar jetzt zu töten, wäre töricht.« Weredall nickte in Richtung seines Sohnes.

Elwaran wirkte über die Beipflichtung überrascht, woraufhin etwas Farbe aus seinem Gesicht wich.

Erschöpft schüttelte Taron das Haupt und brachte damit seinen Unmut zum Ausdruck. Sie haben ja vermutlich recht, aber verdammt, was wenn Lavina entdeckt wird, danach könnte sich das günstige Fenster für immer schließen.

Weredall ließ seinen Blick durch die Runde gleiten. »Wir haben euch die letzten Wochen auf den Kampf mit Esthîon und seinen Kriegern vorbereitet. Doch eine weitere Frage drängte sich uns auf«, der Elf schaute kurz zu Puldrus. »Was passiert danach?«

Verdutzt stockte Taron kurz der Atem. Die Tage seit der Schlacht auf der Lichtung waren so kräftezehrend gewesen, dass er sich nur auf das eine Ziel konzentriert hatte und dieses beinhaltete lediglich, seine Freunde und alle Magiebegabten von der Tyrannei Esthîon Adars zu befreien. Keinen Augenblick hatte er darüber nachgedacht, was aus dem Reiche Gonvalor werden würde.

»Vermutlich würde einer seiner engsten Getreuen, einer der Novaren, seinen Platz einnehmen«, erklärte Ildrum schulterzuckend.

»Oder Weldur«, Barvos Stimme strotzte vor Abscheu.

»Keiner der Fürsten würde einen anderen ohne weiteres als König akzeptieren. Es würde Krieg bedeuten«, mutmaßte Lavina.

»Sollen sie lieber Krieg gegeneinander als gegen uns führen«, Ildrum hob die Arme mit nach oben geöffneten Händen, »und wenn sie sich zerfleischt haben, sehen wir weiter.«

»Es würden so viele Unschuldige mit hineingezogen werden.« Mira schüttelte trübsinnig den Kopf.

»Bis zu Esthîons Tod herrscht ein Maß an Ordnung in Gonvalor. Diese sollte erhalten bleiben, bis die konkrete Nachfolge geklärt ist«, befand Gelador.

Taron hätte sich schelten können, dass er noch keinen Augenblick darüber nachgedacht hatte, was nach der Vollendung seiner Rache passieren sollte. Wie konnte ich nur so verbohrt sein . Er ballte die Hände zu Fäusten und wurde schmerzhaft an die Schnitte unter den Bandagen erinnert. »Es müsste ein neues System des Herrschens eingeführt werden.«

»Oder ein altes reaktiviert werden. Wisst ihr, wie vor der Zeit der Adar der König bestimmt wurde?« Weredalls Blick ruhte auf Taron. »Derjenige, der einen Silbertiger erlegte, durfte den amtierenden Herrscher herausfordern. Taron, du hast einen gesehen, ihn besiegt, wenn du dessen Fell vor Esthîons Füße legst, kannst du Anspruch auf den Thron erheben.«

»Dies sind Gesetze, die schon seit langem in Vergessenheit geraten sind. Außerdem hege ich arg Zweifel, dass ich ein guter König sein könnte.«

»Du wärst besser als der jetzige«, offenbarte Ildrum.

»Das ist auch nicht sonderlich schwer«, lachte Barvo und verputzte den Rest seiner Salami.

Taron musste schmunzeln. »Nein das Herrschen liegt mir nicht im Blut.«

»Was wäre, wenn Weldur König wird?«, fragte Elwaran.

»Weldur Burak berät Esthîon bereits sein gesamtes Leben lang. Er würde kaum einen Weg zu unseren Gunsten einschlagen«, befand Lavina.

»Es müssen beide fallen«, verkündete Puldrus und schlug dabei die behaarte Faust auf seinen Oberschenkel, »aber wer soll danach den Thron besteigen?«

»Gibt es denn keinen Novaren, der vernünftig genug ist?«, fragte Mira.

»Wir kennen nahezu alle Novaren. Keiner von ihnen ist der Krone würdig«, entgegnete Lavina.

»Vielleicht jemand vom Widerstand?«, Barvo nickte Lavina zu.

Diese zuckte mit den Schultern. »Ich kenne keinen aus der Führung der Kontrakar. Aber ihr kennt sicherlich jemanden?« Sie sah fragend zu Puldrus und Weredall.

»Nur Inako«, Puldrus faltete die Hände und führte sie zu seinem Mund.

»Inako? Sie gehört einem der unteren Herrschaftshäuser an«, sagte Ildrum.

»Sie ist eine Naverin«, bestätigte Elwaran, »und gehört dem Widerstand an.«

»Bei Irus Flammen, das hätte ich nie gedacht«, Barvo war sichtlich überrascht.

»Wurde Gonvalor schonmal von einer Frau regiert?«, fragte Gelador.

»Das gab es seither nur einmal. Königin Kelseylia Adar musste hart dafür kämpfen und regierte nicht lange«, erklärte Taron.

»Welche Möglichkeiten gibt es noch?«, fragte Puldrus.

Eine trübsinnige Stille legte sich auf den Raum, wie der Morgentau im Herbst in den Gärten Yewabors, erstarrend und kalt.

»Was macht den König zum König?«, zerriss Barvo schließlich das Schweigen.

»Allein seine Geburt«, antwortete Ildrum.

»Man müsste ihm ein Kind unterschieben«, sagte Mira.

»Wenn es der König nicht vor seinem Tode als seines anerkennt, hat das Kind keinen Anspruch«, wandte Lavina ein.

»Man müsste herausfinden, mit wem der König Liebschaften pflegt«, sagte Weredall.

»Hat er so etwas überhaupt?«, fragte Taron zweifelnd.

»Ich weiß es nicht. Sicher wäre es nur, wenn einer unserer Allianz ihn verführen würde«, erklärte Lavina.

»Dafür würde nur Naverin Inako infrage kommen. Sie ist die einzig vertrauenswürdige«, sagte Weredall.

»Aber sie gehört dem unteren Adel an, würde das überhaupt funktionieren? Und was ist, wenn Weldur etwas merkt?«, wandt Mira ein.

»Es gab schon Könige, die mit Naverinnen anbandelten, aber du hast recht, Inako würde mehr als nur ein bisschen mit ihrem Leben spielen«, mutmaßte Lavina.

»Dieses Vorhaben würde uns Monate kosten und am Ende wäre es zu ungewiss, ob die Naverin und der König den ewigen Bund eingehen würden«, erklärte Taron.

»Wir wissen, dass die Novarin Livillia mit dem König liebäugelt, aber Esthîon soll, was die Frauenwelt anbelangt, wie ein Eisklotz sein«, gab Lavina preis.

»Dann müssen wir wohl beten, dass Inako das Herz des Königs erwärmen kann. Ich werde ihr eine Nachricht zukommen lassen«, sagte Weredall.

»Wie willst du das durch die Belagerung hindurch anstellen?«, fragte Taron.

»Wir haben noch Wege, durch den Ring hindurch nach außen zu kommunizieren«, ließ Puldrus verlauten und ließ seinen Blick im Raum schweifen. »Habt ihr noch Ideen, wie die Nachfolge von Esthîon aussehen soll?«

Erneut legte sich der Reif des Schweigens auf alle Anwesenden.

Auch Taron zermarterte sich den Schädel. Es muss eine Möglichkeit geben, das Land nach dem Fall des Königs zu stabilisieren, ohne das Leben der Naverin aufs Spiel zu setzen. Es wollte ihm jedoch keine Lösung einfallen.

»Bitte denkt darüber nach«, bat Weredall, »zuvor müssen wir klären, wie du zum König gelangen willst, Lavina.«

»Zum König zu kommen, wird schwer. Die Gefahr ist zu groß, dass er oder seine Wachen mich erkennen. Für gewöhnlich gibt es Diener oder die Bewohner Halderas, die bereitwilliger sein werden, mir etwas über die Pläne Esthîons zu erzählen. Schwierig wird es nur, die Ebene zu überqueren, aber dies sollte im Schutze der Dunkelheit möglich sein.«

»Doch vorher musst du noch zu Srinares und deine Fähigkeiten der Gedankenverschleierung unter Beweis stellen«, bestimmte Weredall.

»Natürlich, ich bin bereit aufzubrechen.«

»Ihr alle werdet euch nach Tredar zu der Gedankenleserin begeben und Fendelin wird euch begleiten.« Puldrus‘ Augen blieben auf Taron ruhen. »Du wirst allerdings hierbleiben.«

Missmutig sank ihm sein Kopf auf die Brust. »Ich verstehe.«

»Du bist die mächtigste Waffe gegen die Streitkräfte des Feindes. Eine Waffe, die noch geschliffen werden muss. Vier Tage Trainingsausfall kannst du dir nicht leisten.«

Taron nickte nur.

»Gut, ihr trefft euch morgen nach dem Frühstück hier. Habt einen schönen Abend«, Puldrus verließ den Raum gefolgt von den Elfen.

»Eine Drei-zu-eins Betreuung von Puldrus, Gelador und Elwaran. Taron, du bist nicht zu beneiden.« Ildrum atmete schwer und geräuschvoll aus.

»Es stört mich eher, euch alleine gehen zu lassen. Das letzte Mal als wir uns getrennt haben, lief mächtig schief«, offenbarte Taron.

»Ich würde dir liebend gerne Gesellschaft leisten. Wo ich doch Srinares nichts vorzuweisen habe und vermutlich nie etwas vorweisen werde«, sprudelte es förmlich aus Barvo heraus.

»Oh doch, du bist ein Teil in der Gleichung zum Sieg über Esthîon«, entgegnete Lavina selbstsicher, »und auch du wirst lernen, deine Gedanken zu verbergen.«

»Ich werde dir dabei helfen, Barvo. Komm, wir üben noch einmal vor dem Abendmahl«, sagte Taron.

Barvo nickte zögerlich, während die anderen in den Speisesaal verschwanden.

Kapitel 4: Halderas Kriegslager

Kelsey die Führerin beschwor ihre Brüder und Schwestern, ihre Schaffenskraft nach ihrem Willen zu nutzen. Vers aus dem Buche Kelseys

Lavina und Fendelin ritten nach dem Treffen mit der Gedankenleserin Srinares weiter nach Merive, der Siedlung, welche Haldera am nächsten war.

Lavina hatte sich in der dunkelsten Stunde der Nacht von der östlichsten Elfensiedlung Avurins aus auf den Weg über die Ebene hinweg zu den Hügellanden begeben und diese ungesehen erreichen können. Fendelin war in der Elfensiedlung geblieben und sollte im Falle einer übereilten Flucht ihren Rückzug decken. Hoffentlich wird es nicht so weit kommen. Nun huschte sie zwischen den Hügeln hindurch, stets ihre Umgebung im Blick haltend. Weitere Lichter, die von Spähern zeugen konnten, erblickte sie nicht. Doch schließlich läutete ein oranger Schimmer im Osten den Beginn des Tages ein. Ich muss mich beeilen.

Im Morgengrauen, während der Stunde Drumars, sah sie einige Zelte vor sich. Ein Lager. Die Wände bestanden aus Leinen. Schnüre endeten an hölzernen, in die Erde getriebenen Pflöcken und hielten die Behausungen gespannt. Lavina begab sich auf einen der Trampelpfade. Ich bin die Frau eines Händlers. Ihr Äußeres hatte sie bereits vor ihrem Aufbruch verändert und sah nun gewiss mehr als zwanzig Sommer älter aus. Doch sollte sie in Weldurs Reichweite gelangen, würde ihre Verwandlung sie keineswegs schützen können.

Sie durchquerte das Lager und sah die unterschiedlichsten Schilde an den Zelten. Ehrbare Kaufleute, aber auch zwielichtige, Schenken, Schausteller, Schmiede und ein Freudenhaus mit dem zwölfgezackten Stern Ysabes. Noch waren kaum Personen auf den Wegen, doch jedes Mal, wenn jemand ihren kreuzte, zog sich das Herz in ihrer Brust zusammen und ließ ihren Atem stocken. Glücklicherweise wurde ihr keinerlei Beachtung geschenkt. Ich habe mich bereits zuvor bei Festen eingeschlichen, dies ist nicht viel anders.

Umso tiefer Lavina in die Zeltstadt vordrang, desto mehr Wappen verschiedener bekannter Naveren prangten über den Eingängen. Zunächst begab sie sich scheinbar wahllos durch die Reihen der Kriegerzelte, zählte sie und versuchte zu schätzen, wie viele Männer sich darin verborgen hielten. Jedoch füllten sich allmählich die Wege, wodurch ihre Anspannung wieder stieg. Von manchen Männern wurde sie betrachtet, als wäre sie ein Fremdkörper. Steif schritt Lavina weiter und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Am Rande des Hauptlagers erkannte sie drei große, mit Holzbarrikaden abgetrennte Bereiche. Über den torähnlichen Eingängen waren die Wappen der Novaren Nendor, Enari und Levillia befestigt. Allesamt große Häuser. Sie hatten an ihren Pferde vor den Lagern angebunden stehen oder ließen sie auf Koppeln grasen.

Nach gut einem Viertel Strich hatte sie das ganze Lager durchquert. Konzentriert überschlug sie ihre Schätzungen. Etwa vierhundert Mann im Lager, etwa vierzig Pferde. Wofür braucht der König so viele Truppen, wenn nicht für Krieg?

Sie ging mit gesenktem Kopf weiter in Richtung Haldera. Auf halber Strecke stellte sich ihr jemand in den Weg. Lavina blieb wie angewurzelt stehen und musterte den Mann. Er war groß, hatte ein breites, mürrisches Gesicht, trug eine Axt und eine mit Nieten besetzte Lederrüstung ohne Abzeichen. Soll es das schon gewesen sein, dachte sie zweifelnd. Lavina legte ihren Kopf schief, sie fasste ihren Stab fester, während ihre andere Hand zu dem Griff der am Unterarm befestigten Klinge wanderte und schaute ihr Gegenüber fragend an.

»Weib, du bist hier bereits das dritte Mal vorbeigekommen. Kann ich dir weiterhelfen?«, sprach er mit tiefer Stimme.

»Vielleicht, ich suche die Lagerverwaltung für die Händler«, krächzte sie.

»Das liegt im äußeren Lager, die Straße runter, ein großes Zelt links an der Straße.« Der Mann deutete in die entgegengesetzte Richtung, aus der Lavina soeben gekommen war.

»Dankeschön«, sagte Lavina, machte auf dem Absatz kehrt und trottete wieder zurück. Mit jedem Schritt, den sie tat, löste sich ihre innere Anspannung ein wenig.

»Warte, Frau.«

Lavinas Herzschlag beschleunigte sich. Sie verharrte.

»Ich kenne dich doch irgendwoher.«

Sie drehte sich halb um. »Das höre ich oft, mein Mann ist Händler und wir bereisen ganz Gonvalor, vielleicht kennt Ihr mich von einem der Märkte.«

»Gut möglich.«

Lavina ging weiter zum Lagerrand und spürte, dass die argwöhnischen Augen des Mannes noch immer auf ihr ruhten. Erst als sie aus dessen Sichtweite war, atmete sie gelassener.