Die Liebe des Marquis: Roman – Die Dukes-Trilogie, Band 2 | Eine schöne Lady, ihr geheimnisvoller Retter und der Zauber einer Londoner Ballsaison aus der Regency-Ära: für alle »Bridgerton«-Fans - Patricia Grasso - E-Book
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Die Liebe des Marquis: Roman – Die Dukes-Trilogie, Band 2 | Eine schöne Lady, ihr geheimnisvoller Retter und der Zauber einer Londoner Ballsaison aus der Regency-Ära: für alle »Bridgerton«-Fans E-Book

Patricia Grasso

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Beschreibung

Ein Blick, der ihr Herz durchbohrt … Das Romance-Highlight „Die Liebe des Marquis“ von Patricia Grasso jetzt als eBook bei dotbooks. England, 1815: Der einflussreiche Adlige Adam St. Aubyn ist Sabrinas einzige Hoffnung in ihrer schwersten Stunde – gegen den Willen der Kirche verschafft er ihrem geächteten Vater eine standesgemäße Beerdigung. Sabrina ist ihrem Retter zutiefst dankbar, aber als sie erfährt, dass sie dem Fremden versprochen ist, ist sie schockiert. Eigensinnig stürzt sie sich in die Londoner Ballsaison und genießt die Aufmerksamkeit vieler englischer Gentlemen. Doch Adam ist ihr gefolgt und schon bald kann sie seinen Verführungskünsten nicht mehr widerstehen – jeder Gedanken an ihn lässt ihr Herz erzittern. Aber kann sie ihrem mysteriösen Verlobten wirklich trauen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman „Die Liebe des Marquis“ von Romantik-Queen Patricia Grasso. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 395

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Über dieses Buch:

England, 1815: Der einflussreiche Adlige Adam St. Aubyn ist Sabrinas einzige Hoffnung in ihrer schwersten Stunde – gegen den Willen der Kirche verschafft er ihrem geächteten Vater eine standesgemäße Beerdigung. Sabrina ist ihrem Retter zutiefst dankbar, aber als sie erfährt, dass sie dem Fremden versprochen ist, ist sie schockiert. Eigensinnig stürzt sie sich in die Londoner Ballsaison und genießt die Aufmerksamkeit vieler englischer Gentlemen. Doch Adam ist ihr gefolgt und schon bald kann sie seinen Verführungskünsten nicht mehr widerstehen –  jeder Gedanken an ihn lässt ihr Herz erzittern. Aber kann sie ihrem mysteriösen Verlobten wirklich trauen?

Über die Autorin:

Als Schülerin las Patricia Grasso »Vom Winde verweht« – und war enttäuscht von dem unglücklichen Ende. Schließlich glaubt sie an die große Liebe und das Happy End! Deswegen schreibt sie nun selbst Liebesromane mit glücklichem Ausgang. Zunächst war das Schreiben für sie nur ein Ausgleich zum alltäglichen Arbeitsstress, inzwischen ist sie eine erfolgreiche Bestsellerautorin: Ihre Romane sind preisgekrönt, wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt und in zwanzig Ländern veröffentlicht. Patricia Grasso lebt in der Nähe von Boston, Massachusetts.

Eine Übersicht über weitere Romane von Patricia Grasso bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.

Die Autorin im Internet: www.patriciagrasso.com

***

eBook-Neuausgabe August 2017

Dieses Buch erschien bereits 2001 unter dem Titel »Schicksalsglocken« bei Heyne

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1999 by Patricia Grasso

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »No Decent Gentleman« bei Dell Publishing, a division of Random House, Inc., New York.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 Wilhelm HeyneVerlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hambug. By arrangement with Books Crossing Borders, Inc. / Lachesis Publishing, Inc.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/1000 Words, Sandratsky Dmitry

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mh)

ISBN 978-3-96148-133-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

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***

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Patricia Grasso

Die Liebe des Marquis

Roman

Aus dem Amerikanischen von Traudi Perlinger

dotbooks.

Für Sharon Winn – meine ›einzigbeste‹ Freundin. Bleib so, wie du bist.

1. Kapitel

England, 1815

»Verflixt«, murmelte die achtzehnjährige Sabrina Savage, strich sich ein paar widerspenstige Löckchen ihres kupferroten Haars hinters Ohr und ließ sich erschöpft auf die Polsterbank im Korridor nieder.

Sie faltete die Hände im Schoß und hob den Blick vom blau und golden gemusterten Läufer zur geschlossenen Flügeltür des Salons. Besorgnis und Zorn kämpften in ihr bei dem Gedanken, was Vikar Dingle und seine sechs Begleiter mit ihrem verstorbenen Vater vorhatten, die exorzistische Formeln sprachen, um den Teufel aus der Seele des Verstorbenen zu vertreiben.

»Es ist eine Schande«, klagte Sabrina an ihren Begleiter gewandt, »meinen Vater nachts an einer Weggabelung zu begraben.«

Der fünfundzwanzigjährige Baron Edgar Briggs sah sie traurig an. »Vikar Dingle erfüllt nur seine Pflicht«, beruhigte er sie und setzte sich neben sie. »Selbstmörder müssen nach dem Gesetz der Kirche nachts begraben werden.«

»Mein Vater hat nicht Selbstmord verübt«, widersprach Sabrina mit zornfunkelnden, grünen Augen. »Das Gesetz ist so dumm wie Vikar Dingle.«

»Gesetz ist Gesetz«, antwortete Edgar und nahm tröstend ihre Hand.

»Das Gesetz ist eine Eselei«, fauchte Sabrina, entriss ihm ihre Hand und fügte vorwurfsvoll hinzu: »Wenn dir wirklich etwas an unserer Freundschaft läge, würdest du nicht zulassen, dass der Vikar das Angedenken meines Vaters auf diese Weise in den Schmutz zieht. Papa hatte vollkommen Recht, deinen Heiratsantrag abzulehnen. Ich würde keinen Mann heiraten, der sich mir gegenüber nicht loyal verhält.«

»Sabrina, ich kann den Vikar nicht daran hindern, dem Gesetz Folge zu leisten«, entgegnete der Baron seufzend. »Im übrigen hätte dein Vater meinen Antrag angenommen, wenn du ihm gesagt hättest, dass du mich liebst, statt zu behaupten, du brächtest mir lediglich Sympathie entgegen.«

»Liebe hat nichts mit Heiratsanträgen oder Mitgift zu tun«, erklärte Sabrina. Mit zitternder Hand glättete sie den Rock ihres schwarzseidenen Trauerkleides. »Und nichts mit bedeutungslosen Erklärungen über Gefühlszustände.«

»Ich liebe dich. Aber ich kann das Gesetz nicht ändern, um dir einen Gefallen zu tun«, versetzte Edgar, in dessen Stimme nun ein gereizter Unterton schwang.

Seine Liebeserklärung ließ Sabrina völlig kalt. Sie hielt den Blick auf die geschlossene Tür gerichtet und versuchte, an nichts zu denken. Der plötzliche Tod ihres Vaters hatte sie schwer getroffen, aber sie musste Stärke zeigen, um ihrer Schwester und ihrer Tante ein Vorbild zu sein. Im Bemühen, ihren Gefühlsaufruhr im Zaum zu halten, konzentrierte sie sich auf die Familienporträts an den Wänden des Korridors.

»Vater war mit vielen Angehörigen des Hochadels befreundet«, sagte Sabrina und betrachtete sinnend das Porträt von Prinz Adolphus, den siebten Sohn von König George III. »Vikar Dingle wird es bald bereuen, die Familie Savage mit seinem barbarischen Tun gedemütigt zu haben.«

»Bedauerlicherweise kam keiner dieser noblen Freunde nach Abingdon, um sich für deinen Vater zu verwenden«, erinnerte der Baron sie.

Verwundert über diese Bemerkung wollte sie sich dem Baron zuwenden, als die Tür zum Salon geöffnet wurde und Vikar Dingle auf der Schwelle stand. Hinter ihm warteten sechs Männer seiner Kirchengemeinde darauf, ihre Aufgabe als Sargträger zu erfüllen.

»Wir sind soweit«, sagte Vikar Dingle.

Sabrina blickte den Priester lange an und suchte in seinen hageren Gesichtszügen nach einem Zeichen des Mitgefühls. Vergebens. Schließlich erhob sie sich und stieg die Treppe in die Halle hinunter, wo ihre jüngere Schwester und ihre Tante warteten. Der Baron folgte ihr.

»Der Vikar ist bereit«, sagte Sabrina und griff nach ihrem schwarzen Umhang.

Die siebzehnjährige Courtney Savage brach in Tränen aus. Tante Tess legte den Arm tröstend um ihre Nichte und zog sie an sich.

Sabrina wandte sich ab, um nicht selbst in Tränen auszubrechen, und blickte dem Vikar entgegen, der die Treppe herabstieg, gefolgt von den sechs Männern, die den Sarg ihres Vaters auf den Schultern trugen.

»Bitte, tun Sie ihm das nicht an«, bat Sabrina mit bebender Stimme.

»Ihm das nicht antun?«, wiederholte der Vikar indigniert. »Er ist ein Selbstmörder. Die Seele des Grafen von Abingdon wird bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren.«

»Ich wünsche Ihnen die Pest an den Leib«, verfluchte Sabrina den Priester.

»Sabrina ist außer sich vor Gram«, versuchte Edgar einzulenken und trat zwischen Sabrina und den Vikar. »Sie weiß nicht, was sie sagt.«

Der Vikar nickte. »Ich verstehe ihren Kummer, nicht aber ihre schlechten Manieren, die allerdings Schlüsse auf ihre Herkunft ziehen lassen.«

Sabrina wich einen Schritt zurück, wie von einem Schlag getroffen. Würden Courtney und sie je den Fluch loswerden, illegitime Kinder zu sein; Kinder unbekannter Eltern?

»Sabrina ist eine wohlerzogene junge Dame und hat Ihre Beleidigung nicht verdient«, hörte Sabrina Tante Tess’ entrüstete Stimme. »Ich verlange eine Entschuldigung von Ihnen, Vikar Dingle.«

»Lady Burke, falls Sie vergessen haben, ich war hier, als …«

»Mein Vater hat Sabrina und mich adoptiert«, unterbrach Courtney Savage den Priester in ungewohnter Selbstsicherheit. »Fahren Sie mit dem Begräbnis fort.«

Sabrina warf ihrer jüngeren Schwester einen dankbaren Blick zu, und zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters huschte ein Lächeln über ihre bleichen Lippen. »Wollen wir meinen Vater heute noch zu Grabe tragen?«, fragte sie den Vikar schnippisch. »Oder stehen wir hier noch lange herum und debattieren, wer meine leiblichen Eltern gewesen sein könnten?«

»Ihr Verstand scheint tatsächlich von der Trauer beeinträchtigt zu sein«, meinte Vikar Dingle missbilligend und verließ das Herrenhaus. Die sechs Sargträger folgten ihm gemessenen Schrittes.

»Deine Unhöflichkeit einem Geistlichen gegenüber ist äußerst tadelnswert«, raunte der Baron im vernehmlichen Flüsterton. »Und von dir, Courtney, hätte ich nicht erwartet …«

»Ach Edgar, sei endlich still«, fiel Sabrina ihm ins Wort. Gelegentlich war ihr der Freund und Nachbar aus Kindertagen lästiger als Zahnschmerzen.

Sabrina zog die Kapuze über den Kopf und folgte den Sargträgern. Hinter ihr gingen Courtney, Tante Tess und Edgar Briggs.

Sabrina atmete die Luft der ungewöhnlich milden Dezembernacht tief ein. Ihr war, als würde auch die Natur um den Tod ihres Vaters trauern. Nur vereinzelt blinkten Sterne vom samtschwarzen Himmel der mondlosen Nacht.

Schweigend stellten die Träger den Sarg des verstorbenen Grafen auf einen Karren, der von einem Pferd gezogen wurde. Jeder nahm eine Laterne zur Hand, um den Weg zu beleuchten.

Langsam bewegte sich der Leichenzug die Auffahrt entlang und bog an der Straße nach rechts. Etwa eine halbe Meile entfernt gabelte sich die Straße, führte geradeaus ins Dorf Abingdon und nach links zum benachbarten Gut von Baron Briggs.

Der kleine Leichenzug hatte soeben die Weggabelung erreicht – die traditionelle Grabstätte für Selbstmörder –, als aus der Ferne Hufschläge zu hören waren. Alle fuhren herum und sahen die Umrisse von vier Reitern, die sich auf der Straße vom Dorf her näherten. Bei der kleinen Gruppe angelangt, zügelten die Männer ihre Pferde.

»Wer seid Ihr?«, wollte Edgar Briggs wissen. »Nennen Sie Ihr Anliegen.«

»Wir sind Freunde des verstorbenen Grafen von Abingdon«, antwortete einer der Fremden und schwang sich aus dem Sattel.

Sabrina blickte zu dem hoch gewachsenen, dunkelhaarigen jungen Mann auf, dem sie nie begegnet war; sie hoffte, es handle sich bei den Fremden um einflussreiche Freunde, die sich für ihren Vater verwenden wollten.

»Charles, dem Himmel sei Dank!«, rief Tante Tess. »Vikar Dingle lässt sich nicht davon abbringen, den armen Henry in ungeweihter Erde zu verscharren.«

Zum Erstaunen aller trat ein älterer Herr vor, führte die Hand der Tante an die Lippen und legte den Arm tröstend um ihre Schulter. Dann wandte er sich an die Gruppe und stellte sich vor. »Ich bin Charles St. Aubyn, Herzog von Kingston. Dies ist mein Neffe Adam St. Aubyn, Marquis von Stonehurst, die beiden Männer sind Gefolgsleute meines Neffen.«

Sabrina musterte die Neuankömmlinge der Reihe nach. Der Herzog von Kingston schien ein freundlicher Herr zu sein, während sein Neffe dunkel und gefährlich wirkte. Seine Gefolgsleute waren breitschultrig und groß, wahre Hünen.

»Ungeachtet der traurigen Umstände«, sagte Sabrina und trat vor, um den Herzog zu begrüßen, »freue ich mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Euer Gnaden. Wie haben Sie vom Tod meines Vaters erfahren?«

»Vor einigen Tagen erreichte mich eine Botschaft Ihres Vaters, in der er mich bat, nach Abingdon zu kommen«, erklärte der Herzog. »Und gestern wurde mir die Nachricht Ihrer Tante vom Ableben Ihres Vaters überbracht. Wir sind im Morgengrauen von London aufgebrochen und ritten so schnell wir konnten. Sie sind seine Tochter, nehme ich an?«

»Ja. Ich bin Sabrina, und dies ist meine jüngere Schwester Courtney.«

»Können wir mit dem Begräbnis fortfahren?«, fragte Vikar Dingle mit gereizter Stimme. »Das Gesetz verlangt, dass Selbstmörder vor Mitternacht bestattet werden. Wenn wir noch länger trödeln …«

»Mein Vater hat nicht Selbstmord begangen«, unterbrach Sabrina den Priester heftig und fuhr zu ihm herum.

»Niemand hängt sich aus Versehen auf«, murmelte einer der Sargträger.

Sabrina bedachte den Mann mit einem zornfunkelnden Blick, versagte sich aber eine Zurechtweisung. Kein Mensch würde ihr je einreden können, dass ihr geliebter Vater sich das Leben genommen hatte. Und sie war fest entschlossen, dies zu beweisen.

Die Männer sollten ihr Tun bereuen, allen voran dieser selbstgerechte Vikar.

»Senkt den Sarg in die Erde«, gab der Priester Anweisung.

»Wollen Sie kein Gebet sprechen?«, rief Sabrina empört.

»Es ist verboten, für Selbstmörder zu beten«, versetzte der Vikar.

»Ich wünsche Ihnen Pest und Verdammnis«, zischte Sabrina und verfluchte den Priester zum zweiten Mal.

Alle Blicke richteten sich entsetzt auf sie. Tante Tess entfuhr ein Schreckenslaut. Nur einer der Neuankömmlinge lachte in sich hinein.

»Sabrina! Wie kannst du es wagen, so respektlos mit dem Vikar zu sprechen«, rief Edgar entrüstet und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Entschuldige dich.«

Sabrina achtete nicht auf ihn, schüttelte seine Hand ab und fragte den Vikar: »Wo ist die Totenglocke, um die ich gebeten habe?«

»Es ist verboten, die Totenglocke für Selbstmörder zu läuten«, versetzte der Vikar ungerührt.

»Für meinen Vater wird die Totenglocke läuten, und wenn ich sie selbst läuten muss.« Sabrina wandte sich brüsk ab und prallte gegen den Marquis, der sie an den Armen festhielt, um ihren Sturz zu verhindern. Sabrina blickte zu ihm auf und wünschte, seine Augen in der Finsternis sehen zu können.

»Mistress Savage, ich begleite Sie ins Dorf.«

Sabrina nickte mit einem dankbaren Lächeln.

»Haltet sie auf!«, rief der Vikar den Sargträgern zu.

Der Marquis gab seinen hünenhaften Gefährten ein Zeichen, die sich dem Vikar und seinen Männern in den Weg stellten, während der Marquis Sabrina in den Sattel eines Pferdes hob.

Dann griff er nach einer Laterne und bestieg sein Pferd. »Onkel Charles, begleite die Damen nach Abingdon Manor«, sagte er. »Mistress Savage und ich treffen euch dort später.«

»In Ordnung«, entgegnete der Herzog.

»Sabrina, überlege dir genau, was du tust«, rief der Baron hinter ihr her.

»Edgar, überlege du dir genau, was du nicht tust«, erwiderte sie, wendete das Pferd und ritt die Straße zum Dorf entlang. Neben ihr galoppierte das Pferd des Fremden. Sie ritten schweigend nach Abingdon und zügelten die Pferde vor der Kirche.

Die Laterne in einer Hand haltend, öffnete der Marquis das Portal und ließ Sabrina den Vortritt. Hinter ihm fiel die Pforte mit knarrenden Scharnieren ins Schloss.

»Hier entlang, Mylord.« Sabrina wandte sich nach rechts, durchquerte das Kirchenschiff und stieg eine schmale Wendeltreppe bis in den Glockenturm hinauf, griff nach dem Klöppel und schlug ihn neun Mal, wie es der Brauch war, um den Tod eines Menschen anzuzeigen.

Der Marquis von Stonehurst berührte ihren Arm. »Wie alt wurde der Graf?«

»Einundvierzig.«

»Halten Sie bitte die Laterne.« Er reichte ihr die Lampe.

Sabrina wusste, was er vorhatte. »Danke, Mylord«, sagte sie leise.

Der Marquis von Stonehurst nahm das Seil in beide Hände und läutete die Totenglocke einundvierzig Mal, einen Schlag für jedes Lebensjahr des Grafen, wie es der Brauch war. Sabrina schloss die Augen und betete für die Seele ihres Vaters.

Danach nahm ihr der Marquis die Lampe wieder ab und stieg ihr voran die schmale Wendeltreppe nach unten. Vor der Kirche stellte er die Lampe ab und half Sabrina in den Sattel.

Während der Marquis sein Pferd bestieg, beobachtete Sabrina ihn. Ihr Vater hatte offensichtlich verlässliche Freunde, die bereit waren, für seine Sache einzutreten. Wie konnte sie diesem Mann je danken für das, was er für sie getan hatte? Sie fühlte sich in seiner Schuld.

Sie wendeten die Pferde und ritten die Dorfstraße zurück. An der Weggabelung zügelten sie in schweigender Übereinkunft die Tiere. Die beiden Hünen bewachten immer noch den Vikar und seine Sargträger.

»Lasst sie gehen«, rief der Marquis seinen Männern zu, die umgehend beiseite traten.

»Ich verzeihe Ihnen«, sagte der Vikar an Sabrina gewandt. »In ein paar Tagen werden Sie Ihr unbesonnenes Vorgehen von heute Nacht bereuen.«

»Nein, Vikar Dingle, Sie werden Ihr Vorgehen bereuen«, entgegnete Sabrina. »Ihre Kirche wird nämlich nie wieder einen Shilling von meiner Familie erhalten.«

Vikar Dingle schüttelte traurig den Kopf, als könne er nicht glauben, was er hörte. »Aufgrund des Selbstmordes Ihres Vaters fallen die Güter der Familie Savage an die Krone zurück.« Mit diesen Worten setzte sich der Priester in Bewegung und marschierte, gefolgt von den sechs Sargträgern, die Straße auf das Dorf zu.

»Ist das wahr, Mylord?«, fragte Sabrina erschrocken den Marquis. Wovon sollten Courtney und sie leben, wenn sie alles verloren? Wie konnte sie beweisen, dass der Tod ihres Vaters ein Unfall war?

»Bitte nennen Sie mich Adam«, sagte der Marquis. »Ich heiße Sabrina.«

»Danke, Sabrina.«

»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, beharrte sie.

»Dem Gesetz zufolge fällt das Vermögen eines Selbstmörders tatsächlich an die Krone, doch möglicherweise können wir das verhindern«, erklärte der Marquis. »Mein Onkel hat einflussreiche Freunde bei Gericht, die aussagen werden, dass der Tod Ihres Vaters ein Unfall war.«

»Sein Tod war gewiss kein Selbstmord«, versetzte Sabrina. »Wie aber soll ich das beweisen?«

»Glauben Sie, Ihr Vater wurde ermordet?«

»Mein Vater hatte keine Feinde.«

»Jeder Mann hat Feinde«, widersprach der Marquis. »Wir werden herausfinden, wer die Feinde Ihres Vaters sind.« Dann rief er seinen Männern zu: »Sagi und Abdul, ihr haltet bis zum Morgengrauen Wache.«

»Warum soll das Grab meines Vaters bewacht werden?«, fragte Sabrina verwundert.

»Haben Sie noch nie von Leichenraub gehört?«

»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass jemand die letzte Ruhestätte meines Vaters schänden würde«, erwiderte sie entsetzt. »Er war ein Graf.«

»Leichenräuber kennen keine Standesunterschiede. Aber sie ziehen es vor, ihrem abscheulichen Treiben in der Nähe von London nachzugehen, wo es mehr frische Gräber gibt«, antwortete er. »Dennoch wollen wir uns vergewissern, dass niemand das Grab Ihres Vaters schändet. Deshalb halten meine Männer eine Woche Wache.«

»Ich lasse ihnen Decken, Lampen und Essen bringen«, meinte Sabrina, als sie die Straße nach Abingdon Manor einschlugen. »Sind die Männer Fremde?«

Der Marquis nickte.

Sabrina sah ihn von der Seite an, ohne sein Gesicht in der Dunkelheit klar zu erkennen. »Woher kommen sie?«

»Aus dem Orient«, antwortete er knapp.

»Verstehe.«

Der Marquis von Stonehurst sah sie an. »Nein, Prinzessin, Sie verstehen nicht. Aber eines Tages werden Sie begreifen.«

Sabrina schwieg. Sie hatte keine Ahnung, welche Bedeutung seine Worte hatten, wollte ihn jedoch nicht weiter bedrängen.

Sabrina und Adam ritten durch das offene Parktor auf das Herrenhaus zu. In der Ferne leuchteten Kerzen und Petroleumlampen in den Fenstern wie Leuchtkäfer in der Nacht, deren Schein heller wurde, als die Reiter sich dem Haus näherten.

Auf dem Kiesrondell vor dem Haus stieg Sabrina vom Pferd, ohne auf Hilfe zu warten. Zwei Stallburschen eilten herbei und nahmen die Tiere in Empfang.

Der Butler öffnete die Eingangstür und trat dann beiseite.

»Die Herrschaften warten im Salon.« Er wollte Sabrina aus dem Umhang helfen.

»Lassen Sie nur, Forbes«, wehrte sie ab. »Schicken Sie einen Diener mit Essen, Decken und Lampen zur Weggabelung. Und lassen Sie einen Imbiss für unsere Gäste zubereiten.«

Der Butler zog erstaunt die Brauen hoch. »Sie wollen einen Diener an die Weggabelung schicken?«

»Der Marquis von Stonehurst war so freundlich, Papas Grab von seinen Leibwächtern bewachen zu lassen«, erklärte Sabrina.

»Sehr wohl, Mylady«, antwortete Forbes und wandte sich zum Gehen, verharrte noch einmal und sagte: »Lady Sabrina, ich hörte die Totenglocke. Meine Hochachtung für den Mut, den Sie damit bewiesen haben.«

»Danke, Forbes.«

»Ich kann Vikar Dingle ohnehin nicht leiden«, murmelte Forbes im Gehen. »Selbstgerechte Menschen sind mir ein Gräuel.«

Sabrina lachte über die respektlose Bemerkung des Butlers. Ein melodisches, helles Lachen, das im krassen Gegensatz zu ihrem Benehmen stand. Sie schob die Kapuze zurück, drehte sich um und wollte den Fremden richtig begrüßen, der ihrem Vater eine letzte Demütigung erspart hatte.

Verblüfft starrte Sabrina ihn an. Der Schein der Laterne war seinem guten Aussehen nicht gerecht geworden.

Adam St. Aubyn überragte sie um mehr als eine Haupteslänge, und Sabrina musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Von einem Mundwinkel zog sich eine feine Narbe bis in die Mitte seiner rechten Wange. Das nachtschwarze Haar reichte ihm im Nacken bis zum Kragen und bildete einen verblüffenden Kontrast zu seinen blauen Augen, deren durchdringender Blick bis in die Tiefen ihrer Seele zu reichen schien. Sein Lächeln ruhte warm auf ihr und …

Sabrina begriff, dass der Marquis ihre Musterung seiner Person amüsiert verfolgte. Vor Verlegenheit huschte ein rosiger Hauch über ihre Wangen, woraufhin sein Lächeln sich vertiefte.

»Darf ich Ihnen helfen?«, fragte er mit rauchiger Stimme und griff nach ihrem Umhang.

Gott steh mir bei, dachte Sabrina. Die Stimme des Fremden klang ungebührlich intim, was ihr bislang nicht aufgefallen war.

Sie suchte nach einer geistreichen Bemerkung, die ihr partout nicht einfallen wollte. Ihr Kopf war völlig leer.

Sie lächelte scheu und bot ihm die Hand. »Ihr unerwartetes Auftauchen erschien mir wie ein Wunder«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich ohne Ihre Unterstützung getan hätte.«

»Ich bewundere Ihre Loyalität gegenüber Ihrem Vater«, antwortete Adam.

»Sabrina!«

Beide drehten sich nach der Stimme um und sahen Edgar Briggs, der die Halle durchquerte. Im stummen Einvernehmen lösten Adam und Sabrina die Hände voneinander.

Der Baron nickte dem Marquis knapp zu, wandte sich an Sabrina und begann, ihr Vorhaltungen zu machen. »Dein Benehmen war unverzeihlich.«

»Ach, Edgar«, hielt sie ihm mit müder Stimme entgegen. »Bitte lass uns nicht wieder davon anfangen, schon gar nicht im Beisein des Marquis.«

»Ich kann damit nicht bis morgen warten«, erwiderte er und wandte sich an den Marquis. »Wenn Sie uns bitte entschuldigen, Mylord. Ich möchte unter vier Augen …«

»Ich sehe keine Veranlassung, unhöflich zu meinen Gästen zu sein«, unterbrach Sabrina ihn. »Was immer du mir zu sagen hast, es wird bis morgen warten müssen.« Sie nahm Adams Arm und führte ihn zur Treppe. »Der Salon ist im ersten Stock, Mylord.«

Der Raum war in schwarze Tücher gehüllt, dennoch strahlte er Behaglichkeit aus. Sofas und Sessel waren um das wärmende Kaminfeuer gruppiert, daneben standen Beistelltische. In einer Ecke des Salons befanden sich ein Pianoforte und eine Harfe. Die Instrumente waren ebenfalls schwarz verhüllt.

Bei ihrem Eintreten erhob sich der Herzog von Kingston und durchquerte den Raum, um Sabrina zu begrüßen. »Henry und ich waren sehr gute Freunde«, sagte er und nahm ihre beiden Hände. »Ich bin zutiefst betrübt über das Ableben Ihres Vaters.«

»Danke, Euer Gnaden.«

»Lassen wir die Formalitäten, liebes Kind«, sagte der Herzog, während er sie zum Sofa vor dem Kamin geleitete. »Bitte nenne mich Onkel Charles.«

»Oh, das darf ich nicht«, protestierte Sabrina.

»Doch, doch, du darfst«, widersprach er mit sanfter Stimme. »Courtney hat sich bereits einverstanden erklärt.«

Sabrina lächelte. »Wie Sie wünschen, Onkel Charles.«

»Schon besser.«

»Ich weiß nicht, was wir getan hätten, wenn Sie und Adam nicht rechtzeitig aufgetaucht wären«, erklärte Sabrina.

»Adam, höre ich recht?«

Sabrina errötete und warf dem Marquis einen flüchtigen Blick zu, der am Kamin lehnte. »Adam hat mir gestattet, ihn beim Vornamen zu nennen.«

»Sabrina, ich muss mit dir sprechen«, meldete Lord Briggs sich zu Wort.

»Deine Strafpredigt kann bis morgen warten«, entgegnete Sabrina leicht gereizt.

»Strafpredigt?«, wiederholte der Herzog.

»Edgar sieht sich offenbar veranlasst, mir wegen meines Benehmens dem Vikar gegenüber Vorhaltungen zu machen«, erklärte Sabrina.

»Vikar Dingle hat nur Stroh im Kopf«, meldete Tante Tess sich zu Wort. »Ich konnte ihn nie leiden.«

»Genauso wenig wie ich«, pflichtete Courtney ihr bei.

Sabrina schwieg. Adam St. Aubyn enthielt sich einer Bemerkung, dennoch war sie sich seiner Gegenwart deutlich bewusst, fühlte sich von seiner dunklen Erscheinung angezogen und hatte Mühe, ihn nicht ständig anzustarren.

»Wie ich dir bereits sagte, hatte dein Vater mich gebeten, so rasch wie möglich nach Abingdon zukommen – in einer dringenden Angelegenheit«, erklärte der Herzog. »Und danach erreichte mich die traurige Nachricht deiner Tante Tess.«

»Welche Angelegenheit mag das wohl sein?«, sinnierte Sabrina. »Vikar Dingle behauptete, die Ländereien der Familie Savage fallen an die Krone zurück.«

»Das Land wird versteigert«, erklärte Edgar. »Mach dir bitte keine Sorgen, Abingdon Manor zu verlieren, da ich die Absicht habe, die Güter für dich zurückzukaufen.«

»Die Ländereien der Savages werden nicht versteigert«, widersprach Adam, der sich zum ersten Mal zu Wort meldete.

»Adam ist wohlhabend, und ich verkehre in den einflussreichsten Kreisen des Königreichs«, erklärte der Herzog dem Baron. »Ein paar Worte in ein königliches Ohr geflüstert und ein stattliches Sümmchen werden meinem Neffen zum Recht verhelfen, das Vermögen der Familie zu verwalten, bis die leidige Affäre geklärt ist.« Und an Sabrina gewandt setzte er hinzu: »Sei unbesorgt, ich werde alles daran setzen, dass der Tod deines Vaters als Unfall deklariert wird.«

Sabrina spürte, wie ihr eine große Last vom Herzen genommen wurde. Sie musste sich – zumindest vorübergehend – keine Sorgen um den Unterhalt ihrer Schwester und ihrer Tante machen, und es gab keine Veranlassung, sich Edgar gegenüber verpflichtet zu fühlen.

Und dann versetzte der Herzog von Kingston sie erneut in Erstaunen. »Wie du vielleicht weißt, bin ich der Vollstrecker des Letzten Willens deines Vaters.«

»Das wusste ich nicht«, antwortete Sabrina verblüfft. »Wie lange kannten Sie meinen Vater?«

»Wir teilten uns ein Zimmer im Internat«, antwortete der Herzog und fuhr schmunzelnd fort: »Unsere Unterkunft wurde etwas eng, als Adolphus mit seinem Hund bei uns einzog.«

»Adolphus?«, rief Courtney. »Der Sohn von König George?«

»Der Sohn eines Königs wird stets mit dem Titel Prinz angesprochen«, verbesserte Tante Tess ihre Nichte.

Sabrina schmunzelte über die unnötige Bemerkung ihrer Tante. »Und Ihre Freundschaft mit dem Prinzen besteht noch immer?«, fragte sie den Herzog.

»All deine Fragen beantworte ich morgen«, entgegnete der Herzog und tätschelte ihr die Hand. »Dein Vater ließ mir vor Kurzem einen Nachtrag zu seinem Letzten Willen zukommen.«

»Einen Nachtrag?«, erkundigte sich der Baron. »Welchen Inhalts?«

»Gehören Sie zur Familie, um in die Angelegenheiten des Grafen eingeweiht zu werden?«, fragte Adam herausfordernd.

Sabrina, der das wütende Funkeln in Edgars haselnussbraunen Augen nicht entging, verhinderte eine Auseinandersetzung und wechselte das Thema. »Onkel Charles, ich hoffe, Sie und Adam sind unsere Gäste auf Abingdon Manor.«

»Wir würden deine Einladung gern annehmen, liebes Kind«, antwortete der Herzog. »Doch heute Nacht müssen wir in die Herberge zurück. Meine Schwester hat sich in High Wycombe einquartiert. Sie will morgen ihre Aufwartung in Abingdon machen.«

»Adams Mutter?«, fragte Sabrina.

»Nein. Adam ist der Sohn meiner zweiten Schwester. Es handelt sich um Lady Belladonna DeFaye.«

»Was du nicht sagst«, entfuhr es Tante Tess. »Ich habe Belladonna seit Jahren nicht gesehen.« Und an ihre Nichte gewandt erklärte sie: »Belladonna und ich waren in unserer Jugend eng befreundet. Nachdem wir geheiratet hatten, verloren wir uns aus den Augen. Der Ehestand trennt häufig alte Freundschaften.«

»Lady DeFaye ist gleichfalls herzlich eingeladen«, sagte Sabrina und erhob sich. »Doch nun bitte ich Sie in den Speisesaal zu einem leichten Imbiss.«

Adam trat vor, ehe Sabrina dem Herzog den Arm reichen konnte. »Gestatten Sie mir, Sie zu Tisch zu führen«, bat er höflich und nahm ihre Hand.

Seine Worte verwirrten Sabrina ebenso wie seine Berührung. Stumm senkte sie den Blick. Sein Händedruck war kräftig und sanft zugleich. Er stand so nahe, dass sie den Hauch von Lorbeerduft wahrnahm, der ihm entströmte.

Plötzlich schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, was sie empfinden würde, von diesem Mann geküsst zu werden. Adams durchdringend blaue Augen schienen ihr zu verstehen zu geben, dass er ahnte, welche Wirkung er auf sie ausübte.

Sabrina fasste sich und nickte anmutig. Der Herzog von Kingston begleitete Tante Tess, Edgar und Courtney bildeten die Nachhut.

Beim Betreten des Speisesaals stellte Sabrina zufrieden fest, dass die Tafel festlich mit kostbarem Wedgwoodporzellan gedeckt war. In der Mitte der Tafel waren Silberschüsseln und Platten aufgetragen. Auf der Anrichte an der Wand stand ein Worcester-Service für Tee und Kaffee bereit.

»Onkel Charles, bitte geben Sie uns die Ehre und nehmen den Platz am Kopf der Tafel ein«, sagte Sabrina.

Der Herzog begab sich dankend an den Ehrenplatz. Tante Tess, Courtney und Edgar setzten sich zu seiner Linken, während Sabrina und Adam rechts von ihm Platz nahmen.

Forbes hob die bauchigen Silberdeckel von den Schüsseln und Platten. Zum Vorschein kamen gefüllte Eier, gedünstete Champignons auf Toast und Fleischbällchen in Tomatensauce. Jeder legte sich ungezwungen selbst vor.

»Einfach köstlich«, rief der Herzog begeistert, nachdem er die Champignons probiert hatte. »Mein Kompliment an die Köchin.«

»Die Köchin sitzt zu Ihrer Rechten«, klärte Courtney ihn auf.

»Sie haben die Pilze zubereitet?«, fragte der Herzog erstaunt.

Sabrina nickte. »Ich habe alles zubereitet.«

»Je wütender Sabrina ist, umso besser kocht sie«, bemerkte Courtney und fügte mit einem schelmischen Augenzwinkern hinzu: »Gelegentlich streite ich absichtlich mit ihr.«

»Du übertreibst«, wiegelte Sabrina verlegen ab.

»Erinnerst du dich, wie wütend du auf mich warst, als ich mir neulich deinen blauen Schal ausgeborgt habe, ohne dich zu fragen?«

»Ja.«

»Ich habe ihn nie getragen«, gestand Courtney. »Ich habe ihn nur über mein Bett gelegt, damit du denkst, ich hätte ihn getragen. Soweit ich mich entsinne, schmeckte das Dinner an jenem Abend vorzüglich.«

 Alle lachten.

»Wieso hast du mich nicht einfach gebeten, dir etwas Gutes zu kochen?«

»Was deine Kochkünste so unnachahmlich macht, ist das geheime Gewürz deines Zorns«, erklärte Courtney, senkte den Blick auf ihren Champignontoast und fügte wehmütig hinzu: »Oder deiner Trauer.«

Bedrücktes Schweigen senkte sich über die Tischrunde. Sabrina spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Aus Furcht, in Tränen auszubrechen und alle in Verlegenheit zu bringen, wechselte sie das Thema und wandte sich an den Herzog: »Onkel Charles, erzählen Sie mir von Ihrer Freundschaft mit meinem Vater.«

»Dein Vater, Prinz Adolphus und ich waren während unserer Studentenjahre in Eton eng miteinander befreundet. Der Prinz wollte nicht alleine in einem Zimmer wohnen und zog kurzerhand bei uns ein. Einmal, nach den Sommerferien, brachte der Prinz seinen Hund mit ins Internat, musste ihn aber wieder nach Hause schicken, da die Schulordnung Hunde ausdrücklich untersagte.« Der Herzog schmunzelte in sich hinein.

»Was ist daran so komisch?«, wollte Sabrina wissen.

»Adolphus brachte seinen Hund nach Hause, kam aber mit einem jungen Bären zurück«, fuhr der Herzog fort. »Da in der Schulordnung Bären nicht erwähnt wurden, sah die Direktion sich gezwungen, das kleinere Übel zu wählen und den Hund zuzulassen. Der Hund hatte die Größe eines Kalbes, war zentnerschwer und vergötterte deinen Vater. Tiny – so hieß das Monstrum – ließ sich durch nichts davon abhalten, jede Nacht bei ihm zu schlafen.«

»Diese Geschichte habe ich noch nie gehört«, erwiderte Sabrina lächelnd.

»Papa hat auch nie davon gesprochen, dass er und der Prinz befreundet waren«, fügte Courtney hinzu.

»Erzählen Sie uns doch noch eine Geschichte«, bat Sabrina.

»Ich denke darüber nach und hoffe, mir fällt eine für die Ohren junger Damen geeignete Anekdote ein«, vertröstete der Herzog sie.

»Sabrina, ich muss leider gehen«, erklärte der Baron und erhob sich. »Bringst du mich zur Tür?«

»Entschuldigen Sie mich«, erklärte Sabrina und stand auf. »Ich bin gleich zurück.«

Schweigend begleitete sie Edgar bis in die Halle. An der Haustür ergriff Edgar Briggs ihren Arm. »Setze nicht allzu viel Vertrauen in den Herzog«, warnte er sie eindringlich. »Du hast den Mann erst heute kennen gelernt, und ich fürchte, für ihn stehen deine Interessen nicht im Vordergrund.«

»Und wie steht es mit dir?«

»Zweifelst du daran?«, fragte er beschwörend.

»Ich beurteile einen Menschen nach seinen Taten, nicht nach seinen Worten«, hielt Sabrina ihm entgegen. »Heute hast du die Partei des Vikars ergriffen.«

Die Lippen des Barons wurden schmal, ohne dass er sich um eine Rechtfertigung bemühte. Stumm beugte er sich vor, um Sabrina zum Abschied auf die Wange zu küssen. Sie wich einen Schritt zurück. »Ich habe erst vor wenigen Stunden meinen Vater zu Grabe getragen. Bitte geh jetzt.«

»Dein Verhalten ist von Trauer bestimmt«, seufzte Edgar und öffnete die Tür. »Bis morgen also.«

Sabrina sah ihm nach und wandte sich zum Gehen. Als sie den Marquis an der Treppe im Schatten stehen sah, hielt sie erschrocken inne.

»Wie lange stehen Sie schon da? Haben Sie mich belauscht?« Kaum waren ihr die Worte über die Lippen, bereute sie ihren unhöflichen Ton. »Verzeihung. Es war ein schwerer Tag für mich und Edgar war mir keine Hilfe.«

»Sind Sie mit dem Baron verlobt?«, fragte Adam. »Edgar und ich sind seit unserer Kindheit befreundet«, erklärte Sabrina.

»Aber zwischen Ihnen besteht mehr als nur Freundschaft«, wandte der Marquis ein.

»Edgar hielt um meine Hand an«, erklärte sie. »Ich bin dankbar, dass mein Vater seinen Antrag abgelehnt hat.«

»Hat die Entscheidung Ihres Vaters Sie nicht enttäuscht?«

Sabrina schüttelte den Kopf. »Hätte ich Edgar geheiratet, wäre es mir vorgekommen, als heirate ich einen Bruder oder Cousin. Aber ich hätte vermutlich nicht den Mut aufgebracht, sein Angebot abzulehnen. Mein Vater ersparte mir die Peinlichkeit einer Absage. Wahrscheinlich bin ich ein Feigling.«

Die blauen Augen des Marquis blitzten amüsiert. »Und wenn Ihr Vater die Verbindung gutgeheißen hätte?«

»Diese Gefahr bestand nicht«, meinte Sabrina lächelnd. »Obwohl meine Schwester und ich nur adoptiert sind, hatte mein Vater den Plan, uns als Debütantinnen in die Londoner Gesellschaft einzuführen, damit sich angesehene und vielversprechende junge Herren in uns verlieben. Er wollte uns die Möglichkeit geben, unter den Heiratskandidaten die richtige Wahl zu treffen.«

»Vielversprechende junge Herren?«, wiederholte Adam mit einem jungenhaften Lächeln. »Vielleicht ein Prinz?«

Sabrina nickte ernsthaft. »Oder ein Herzog.«

»Wie wär’s denn mit einem Marquis?«, schlug Adam mit sanfter Stimme vor, die ihren Sinnen schmeichelte.

Das Auftauchen des Herzogs in Begleitung von Tante Tess und Courtney enthob sie gottlob einer Antwort. »Auch wir müssen uns verabschieden.« Der Herzog nahm Sabrinas Hände. »Aber schon morgen kommen wir mit meiner Schwester zurück«

»Bitte gestatten Sie mir noch eine Frage, Onkel Charles«, bat Sabrina mit gedämpfter Stimme.

Der Herzog sah sie erwartungsvoll an.

»Mein Vater hat Courtney und mich adoptiert«, sagte sie. »Wissen Sie, wer unsere Eltern sind?«

»Liebes Kind, lass uns dieses Gespräch morgen fortsetzen«, entgegnete der Herzog sanft.

Sabrina nickte. Sie hatte achtzehn Jahre gewartet, um etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Nun konnte sie auch noch eine Nacht warten.

Nachdem die Gäste sich verabschiedet hatten, zogen Tante Tess und Courtney sich auf ihre Zimmer zurück. Sabrina, die befürchtete, keinen Schlaf zu finden, trat ins Freie, blickte in den mondlosen Sternenhimmel und fühlte sich unendlich einsam und verlassen. Seit sie denken konnte, sehnte sie sich danach zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern waren, doch nun war etwas geschehen, das wichtiger war als dieses Wissen.

»Papa, ich werde beweisen, dass du nicht Selbstmord verübt hast, und ich werde dafür sorgen, dass du in geweihter Erde bestattet wirst«, flüsterte Sabrina, und es klang wie ein Schwur. »Selbst wenn ich einen Pakt mit dem Satan schließen muss.«

2. Kapitel

»Bei deinem finsteren Gesicht würde sogar der Teufel Reißaus nehmen.«

Adam löste den Blick von der am Kutschenfenster vorbeiziehenden Landschaft und wandte sich seiner Tante zu. »Was sagst du?«, fragte er zerstreut.

Lady Belladonna DeFaye lächelte ihn an. Mit Mitte vierzig war sie immer noch eine strahlende Schönheit, die in ihrer Jugend ungezählte Männerherzen gebrochen hatte. Ihr kastanienbraunes Haar wies keine graue Strähne auf, ihr Teint war glatt und ebenmäßig und zwei Grübchen in den Wangen verliehen ihr jugendlichen Charme. Kurzum, sie schien die Jugend gepachtet zu haben.

Adam schoss der Gedanke durch den Kopf, ob seine Mutter, die er seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte, sich ebenfalls die Jugend bewahrt hatte. Er hatte ihr Bild in deutlicher Erinnerung und konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Gesicht von Falten gezeichnet oder ihre Taille weniger schmal war als damals. Für ihn würde sie stets die schöne junge Frau sein, die ihn fortgeschickt hatte.

»Hast du kürzlich etwas von deiner Mutter gehört?«, fragte der Herzog, als habe er Adams Gedanken gelesen.

»Ja. Sie und mein Bruder sind wohlauf.«

»Ich begreife nicht, wieso deine Mutter es vorzog, in Konstantinopel zu bleiben, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, nach England zurückzukehren«, meinte Belladonna. »Schließlich ist dein Vater vor Jahren gestorben.«

Adam seufzte. Hatte er ihr doch seine Familiensituation an die hundert Male auseinandergesetzt, doch seine Tante schien ihn einfach nicht verstehen zu wollen.

»Am Hof meines Bruders in Konstantinopel ist meine Mutter Sultana Valide, die mächtigste Frau im Reich«, erklärte Adam geduldig, als sei es das erste Mal.

»Aber sie schickte dich, einen Prinzen in deinem Land, fort, um …«

»Meine Mutter schickte mich heimlich nach England«, unterbrach Adam sie, da er genau wusste, was seine Tante als Nächstes sagen wollte. »Meine Landsleute halten mich für tot. Andernfalls wäre mein Bruder gezwungen gewesen, mich einzusperren, wie es das Gesetz meines Lands verlangt. In früheren Zeiten wäre er sogar gezwungen gewesen, mich nach dem Tode meines Vaters hinrichten oder vergiften zu lassen. Es kann nur einen Sultan geben. Nur das rigorose Ausschalten sämtlicher Thronanwärter bewahrte das Reich nach dem Bürgerkrieg vor dem Zusammenbruch.«

Lady DeFaye erschauerte, dann lächelte sie. »Jetzt verstehe ich die Zusammenhänge«, versicherte sie. Bis zum nächsten Mal, dachte Adam.

»Aber ich werde nie verstehen, warum deine Mutter sich entschloss, bei deinem Vater zu bleiben, nachdem ihr freies Geleit zugesichert worden war«, fuhr sie hartnäckig fort.

»Vielleicht aus Liebe«, warf der Herzog ein. »Es soll ja Frauen geben, die ihre Ehemänner tatsächlich lieben.«

»Ich bitte dich, Charles«, entgegnete Belladonna leicht gereizt. »Ich habe Francis bis zum Tage seines Todes Achtung entgegengebracht.« Und mit einem katzenhaften Lächeln fügte sie hinzu: »Er hat mir allerdings den Gefallen getan, nicht allzu lange an meiner Seite zu weilen. Dennoch ist mir schleierhaft, wie eine Frau ihren Entführer lieben kann.«

»Vater hat meine Mutter nicht entführt«, korrigierte Adam seine Tante.

»Seine Schergen haben sie vom Schiff nach Frankreich entführt«, erinnerte Belladonna ihn.

»Die Liebe geht oft seltsame Wege«, meinte Adam achselzuckend. »Es war die Bestimmung meiner Mutter, entführt und dem Sultan als Geschenk überbracht zu werden und sich anschließend in ihn zu verlieben.«

Adam blickte wieder aus dem Fenster der Kutsche. Wo würde er seine Liebe finden? Wartete sie in Abingdon Manor auf ihn?

»Du machst schon wieder ein finsteres Gesicht«, schalt Belladonna. »Wie willst du je das Herz einer Frau gewinnen, wenn du ständig übellaunig durchs Leben gehst?«

»Frauen interessieren sich meist mehr für das Vermögen eines Mannes als für sein Lächeln«, entgegnete Adam. »Im Übrigen denke ich nach und bin keineswegs übellaunig.«

»Worüber?«

»Eine geschäftliche Angelegenheit.«

»Habe ich dir schon erzählt, wie entzückend Henry Savages Töchter sind, vor allem Sabrina?«, fragte der Herzog seine Schwester.

»Mehrmals«, versetzte Belladonna gelangweilt.

Adam dachte an Sabrina Savage, dieses seltene und wunderbare Geschöpf. Er sah ihr Bild vor sich, ihre fein geschnittenen Gesichtszüge, die smaragdgrünen Augen, das tizianrot leuchtende Haar, das so prächtig zu ihrem feurigen Temperament passte.

Adam erinnerte sich, wie sie dem Vikar die Stirn geboten und den Baron kühl verabschiedet hatte. Ihre Loyalität ihrem Vater gegenüber gefiel ihm und er bewunderte ihren Mut. Solange sich ihr Trotz nicht gegen ihn richtete, würde er sich gut mit ihr verstehen.

Der verstorbene Graf von Abingdon konnte sich glücklich schätzen, eine Tochter sein eigen zu nennen, die ihm ihre Liebe und Treue auch über das Grab hinaus bewahrte. Adam wünschte, eines Tages eine Frau und Kinder zu haben, die ihn ebenso lieben und ehren würden.

Wenn Wünsche Pferde wären, würden Bettler reiten, dachte er sarkastisch. Sabrina Savage schien eine löbliche Ausnahme in einer Welt treuloser Frauen zu sein.

»Nun, Adam, woran denkst du?«, fragte der Onkel und holte seinen Neffen aus seinen Grübeleien. »Soll ich die Dokumente vernichten?«

»Sabrina Savage ist mir recht«, antwortete Adam, ohne den Blick vom Fenster zu wenden. »Ich kann nur hoffen, umgekehrt verhält es sich ebenso. Im Gegensatz zu meinem Vater würde ich allerdings nie eine Frau zwingen, das Bett mit mir zu teilen.«

»Beherzige den Rat eines alten Mannes«, sagte sein Onkel. »Gehe behutsam vor.«

Belladonna lachte kehlig. »Selbstverständlich bist du ihr genehm. Du bist schließlich reich. Das feurige Temperament liegt in der Familie.«

»Sabrina ist adoptiert«, versetzte Adam und warf seiner Tante einen flüchtigen Blick zu.

»Ja, ich weiß«, antwortete sie mit ihrem katzenhaften Lächeln.

»Sie weiß davon?«, fragte Adam seinen Onkel.

Der Herzog von Kingston zuckte die Achseln. »Belladonna weiß es seit Jahren.«

»Du weißt es seit Jahren und hast es geschafft, es für dich zu behalten?«, meinte Adam ungläubig. »Liebste Tante, ich bin stolz auf dich.«

»Die erzwungene Schweigepflicht ist mir weiß Gott nicht leicht gefallen«, klagte Belladonna.

»Ich kann mir gut vorstellen, wie schrecklich es für dich gewesen sein muss«, versetzte Adam mit gespieltem Mitgefühl.

Belladonna lachte herzlich. »Oh, Adam, du bist ein Schwerenöter. Ich frage mich nur, wie die Gräfin von Rothbury reagiert, wenn ihre Heiratspläne fehlschlagen.«

»Welche Heiratspläne?«, fragte Adam.

»Spiele bitte nicht den Unschuldigen, mein Lieber«, schalt sie. »Ich weiß, dass Alexis Carstairs deine Geliebte ist und sich Hoffnungen macht, die Marquise von Stonehurst zu werden.«

»Liebste Tante, solltest du einmal in Not geraten, kannst du viel Geld bei der Times als Klatschkolumnistin verdienen«, erwiderte Adam schmunzelnd.

Belladonna lächelte geschmeichelt und blickte aus dem Fenster. »Liegt hier der bedauernswerte Henry begraben?«

»Ich fürchte ja«, antwortete der Herzog.

Adam blickte im Vorbeifahren zum Grab an der Weggabelung hinüber. Sagi und Abdul hatten ihre Posten bei Tagesanbruch verlassen, um ein paar Stunden zu schlafen. Bei Einbruch der Nacht würden sie das Grab wieder bewachen, so lange, bis sein modernder Körper für Grabräuber nicht mehr interessant war.

Bald bog die Kutsche von der Hauptstraße in die Auffahrt zum Herrenhaus ein. Würziger Rauch aus den Kaminen schwängerte die Luft, und Adam lächelte bei dem Gedanken, was Sabrina wohl kochen würde.

Und dann sah er Abingdon Manor zum ersten Mal bei Tageslicht. Das stattliche Herrenhaus war ein im Lauf der Jahrhunderte gewachsenes Ensemble verschiedener Architekturstile, die sich harmonisch zusammenfügten. Das Haupthaus stammte aus elisabethanischer Zeit, während der rote Ziegelanbau zu Lebzeiten König James II. hinzugefügt wurde, dem später weitere Anbauten folgten.

Zur Begrüßung der Gäste hatten sich die schwarz gekleideten Schwestern und Sabrinas Tante neben dem Butler auf der Steintreppe vor dem Haus eingefunden.

Bei Sabrinas Anblick wünschte Adam, sie in kostbaren und eleganten Roben zu sehen. Ihre kupferrote Mähne würde in königsblauer Seide, gelbem Satin oder grünem Samt wunderbar zur Geltung kommen.

»Willkommen auf Abingdon Manor«, begrüßte Sabrina die Ankömmlinge.

Schmunzelnd wischte Adam ihr mit dem Finger einen mehligen Fleck von der zierlichen Nase. »Verzeihen Sie meine Kühnheit«, erklärte er. »Sie haben gebacken.«

»Zitronenkekse«, meinte sie mit einem scheuen Lächeln.

Adam blickte in die bezauberndsten grünen Augen, die er je gesehen hatte. Er musste sich vorsehen, um nicht in ihren unergründlichen Tiefen zu versinken. Doch dann rissen ihn die Stimmen der beiden älteren Damen aus dem Bann, in den Sabrina Savage ihn zog.

»Belladonna!«, jauchzte Tante Tess.

»Tess, liebste Freundin«, zwitscherte Belladonna, und die beiden fielen sich in die Arme.

»Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«, fragte Tess. »Zehn oder zwanzig Jahre?«

»Nun übertreibe nicht, Liebste«, schalt Belladonna. »Vergiss nicht, wie jung wir sind.«

»Wie Recht du hast. Mir erscheint es wie gestern, als wir Debütantinnen waren und von all den charmanten jungen Herren verehrt wurden.«

»Zu schade, dass die Uhr sich nicht zurückdrehen lässt«, sagte Belladonna wehmütig. »Andererseits weiß ich nicht, ob ich heute noch die Energie aufbringen würde, die Strapazen des gesellschaftlichen Trubels durchzustehen.«

»Du bist nicht einen Tag gealtert«, widersprach Tess.

»Gott segne dich, Liebste.«

Sabrina sah, wie Courtney die Augen zum Himmel drehte. Onkel Charles und Adam lächelten höflich.

»Belladonna, dies sind meine Nichten Sabrina und Courtney«, stellte Tante Tess die artig knicksenden Schwestern vor.

»Wollt ihr beiden euch zurückziehen? Ihr habt euch sicher eine Menge zu erzählen«, schlug Onkel Charles den Damen vor.

»Ich zeige dir dein Zimmer.« Tess hakte sich bei der Freundin unter und führte sie zur Treppe. »Wie ich mich freue, Gesellschaft zu haben. Seit Henrys Frau vor zehn Jahren starb, war ich vollauf mit der Erziehung der Mädchen beschäftigt und habe meine alten Freundinnen sträflich vernachlässigt. Du musst mir alles erzählen.«

Belladonna warf einen Blick über die Schulter und rief: »Courtney, Liebes, komm mit uns und hör dir unsere Geschichten an.«

»Ich sehe deinem enttäuschten Gesicht an, was du denkst«, sagte Onkel Charles leise zu Sabrina, nachdem die drei Damen nach oben entschwunden waren. »Meine Schwester wollte dich nicht kränken. Aber sie weiß, dass wir geschäftliche Dinge zu besprechen haben, da du nun das Oberhaupt der Familie bist.«

»Wollen wir uns ins Arbeitszimmer meines Vaters begeben?«, fragte Sabrina.

»Adam wird mir die Besprechung abnehmen«, entgegnete Onkel Charles. »Ich möchte ein wenig ruhen.

Ich habe ein schwaches Herz und die ganze Aufregung hat mich ziemlich ermüdet.«

Sabrina nickte. »Forbes, bitte führen Sie Seine Gnaden auf sein Zimmer.«

Der Butler trat vor. »Bitte hier entlang, Euer Gnaden.«

Adam spürte Sabrinas Verlegenheit. Sie hielt den Blick gesenkt und ihre Wangen waren rosig angehaucht. Wie lange mochte es her sein, dass er eine Frau unschuldig erröten gesehen hatte?

»Gehen wir ins Arbeitszimmer Ihres Vaters?«, fragte er.

Sabrina nickte und führte ihn den Korridor entlang. »Dort haben wir ihn gefunden. Er hing von einem Deckenbalken«, erklärte Sabrina unvermutet, und Adam blieb erschrocken stehen.

»Sie haben Ihren Vater gefunden?« Er blickte ungläubig in ihr bleiches Gesicht.

»Lord Briggs und Forbes zerbrachen eine Fensterscheibe, um ins Zimmer zu gelangen. Edgar warnte mich, einzutreten, bevor man den Leichnam abgenommen hatte, aber ich …«

»Wollen Sie lieber in ein anderes Zimmer gehen?«, fragte Adam besorgt, kannte jedoch ihre Antwort, ehe sie sprach.

Sabrina straffte die Schultern, hob das Kinn und schüttelte den Kopf. »Irgendwann muss ich mich überwinden, das Zimmer zu betreten. Wieso also nicht jetzt?«

»Sind Sie sicher?«

Sie nickte mit einem dünnen Lächeln und öffnete die Mahagonitür.

Das Arbeitszimmer lag im alten, aus der Tudorzeit stammenden Teil des Hauses. Der hohe Raum mit schweren dunklen Deckenbalken strahlte eine behäbige Behaglichkeit aus und hätte auch als Raucherzimmer genutzt werden können. Bücherschränke, angefüllt mit alten Lederfolianten, zogen sich an drei Wänden entlang. Darüber war die Ahnengalerie, Porträts verblichener Grafen und Gräfinnen blickten auf den Betrachter herab. Vor dem mannshohen Kamin aus schwarzem Marmor waren ein Ledersofa und mehrere Sessel gruppiert. Über dem Kamin hing ein Portrait von Sabrina und Courtney, das Adam in Bann zog. Dem Kamin gegenüber befand sich der Schreibtisch des Grafen, auf dem ein Tischglobus stand, Federhalter und Tintenfass, eine versilberte Metallplatte mit dem eingravierten Familienwappen und ein Kerzenhalter, um Siegelwachs zu schmelzen. An der Wand zur Linken des Schreibtischs zogen sich zwei Fenster vom Fußboden bis zur Decke.

»Ihre Schwester und Sie sehen reizend aus in den blauen Kleidern«, bemerkte Adam, der den Blick nicht von dem Gemälde über dem Kamin wenden konnte.

»Vater hat es vor einem Jahr in Auftrag gegeben«, erklärte Sabrina. »Er sagte, er wolle unsere Bilder in seiner Nähe wissen, damit er über uns wachen kann, wenn wir einmal fort seien.«

»Fort, wohin?«

Sabrina errötete. »Verheiratet.«

»Diese Worte klingen nicht nach einem Mann, der die Absicht hatte, sich das Leben zu nehmen«, stellte Adam fest.

»Mein Vater hat sich nie und nimmer das Leben genommen«, versetzte Sabrina aufbrausend und fügte etwas ruhiger hinzu: »Wollen Sie vor dem Kamin sitzen?«

Adam sah ihr zu, wie sie auf dem Sofa Platz nahm und den Rock ihres Trauerkleids ordnete. Das düstere Schwarz unterstrich ihren bleichen Teint. Sie wirkte müde und erschöpft von den erschütternden Ereignissen der letzten Tage, bemühte sich aber tapfer, Haltung zu bewahren.

Die Etikette gebot, dass er auf dem Sessel ihr gegenüber Platz nahm. Adam wusste, dass sie nichts anderes von ihm erwartete. Und er wusste auch, dass er sie erzürnen würde und konnte dennoch nicht widerstehen, sich neben sie zu setzen. Sie übte eine anziehende Wirkung auf ihn aus wie nie eine Frau zuvor.

Adam setzte sich auf das Sofa neben sie, so nah, dass seine Reithosen ihren Rock steiften. Er lächelte, als Sabrina mit entsetzter Miene zu ihm herumfuhr.

Im nächsten Augenblick war sie aufgesprungen und stellte ihn erzürnt zur Rede: »Mögen die Sitten in London sich gelockert haben, wir auf dem Lande achten nach wie vor auf Etikette und Anstand. Es schickt sich nicht, sich so nah zu mir zu setzen, zumal wir uns kaum kennen.« Damit nahm sie pikiert auf dem Sessel Platz.