Die lieben Kleinen - Sigrid Tinz - E-Book

Die lieben Kleinen E-Book

Sigrid Tinz

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Beschreibung

Der moderne Erziehungsberater für eine neue Elterngeneration Sigrid Tinz blickt witzig und schlagfertig auf die neuesten Erkenntnisse rund um Schwangerschaft und Kindererziehung. Mit ihren beliebten Kolumnen aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung steht sie jungen Eltern in allen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 162

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Sigrid Tinz

Die lieben Kleinen

und wie man sie entspannt groß bekommt

Mit Illustrationen von Isabel Klett

FISCHER E-Books

Inhalt

VorwortMutters Leid, Mutters FreudOhne Geräusch ist der Nachwuchs nicht zu habenSchlaf, Kindlein, schlaf doch endlichMuttermilch macht stark. Aber wie lange?Einmal waschen und polieren, bitte!Ein Pieks und viele SorgenHände frei, Kind dabeiWindeln, Wickeln, nie verzagenSchritt für Schritt ins Leben stolpernMama oder KrippentanteMamas Mutter ist die besteVon Dadada bis zu Fischers FritzeIch kann, ich will, ich wüteDas reine KinderspielKomm, Brüderlein, komm …Nützliche Literatur und Hinweise

Vorwort

EINIGE WORTE AN DIE LIEBEN GROSSEN, bevor die lieben Kleinen die Hauptrolle übernehmen, ganz wie im richtigen Leben. Die Großen müssen zwar für Essen, Kleidung und für Klassenfahrten bezahlen, sie dürfen die Kleinen ins Leben begleiten und sollten sie lieb haben. Aber sie sind nur seine Eltern – es ist nicht ihr Kind.

 

Also. Liebe Eltern, liebe Erwachsene, dieses Buch ist kein Ratgeber, der Ihnen erklären will, wie Kinder funktionieren. Oder wie man sie dazu bekommt, so zu funktionieren, wie Mutter oder Vater gerne hätten. Oder wie Eltern funktionieren müssen, damit ihr Kind glücklich ist.

Eigentlich wollte ich genau das schreiben, als ich vor drei Jahren den Auftrag für die ersten Artikel dieser Serie annahm. Unsere Tochter war ein halbes Jahr alt – zwar anders, als ich mir vorher gedacht hatte, wie Kinder so sind –, aber jetzt wusste ich ja, wie Kinder sind. Daraus und aus verschiedensten neurologischen, pädagogischen, medizinischen und psychologischen Forschungsergebnissen sollten sich doch wohl schöne Ratgebertexte schreiben lassen, so dachte ich mir und die Überschriften hatte ich auch schon im Kopf: ›So beruhigen Sie Ihr Baby‹. ›So kommen sie fröhlich durch die Trotzphase‹. ›Die optimale Fremdbetreuung‹. Und so weiter.

Je mehr ich las, je mehr Wissenschaftler, Hebammen, Kinderärzte ich interviewte, je mehr Eltern und Großeltern ich ausfragte, auf Spielplätzen, im Zug und zu Hause am kekskrümelübersäten Kaffeetisch, je mehr wir selbst erlebten, mit unserer Tochter und später auch mit unserem Sohn, der, tja, noch einmal ganz anders war, desto weniger Erkenntnisse blieben übrig.

Eigentlich nur folgende:

Erstens: Wissenschaft ist auch Zeitgeist und gesicherte Fakten ändern sich alle paar Jahre.

Zweitens: Dieses Expertenwissen muss mit Alltagswissen kombiniert werden, also mit Binsenweisheiten und gesundem Menschenverstand.

Drittens: Es ist offenbar völlig normal, dass ein Kind ganz anders ist, als es Soziologen und Pädiater aufgeschrieben haben.

Viertens: Die meisten Kinder sind nicht so krank, faul, ungezogen, blöd und konsumgeil wie die Kinder im Fernsehen und auch nicht immer hochbegabt und ausgesucht höflich. Sondern durchschnittlich, stinknormal und nur für ihre Eltern die tollsten, schönsten und schlausten. Aber das immerhin.

Fünftens: Goldene Regeln gibt es nicht. Das kann nur jemand behaupten, der oder die keine eigenen Kinder hat.

Allen anderen – also zum Beispiel mir – bleibt nur: Erfahrungen sammeln und aufschreiben und hoffen, dass in ähnlichen Situationen ähnliche Fragen auftauchen und dass aus ähnlichen Schwierigkeiten auch ähnliche Wege herausführen. Ich weiß, dass meine Texte vielleicht ganz anders wären, wenn ich nicht die Eltern von Ada, Tristan oder Rita befragt hätte, sondern Sie, Sie, oder Sie. Nichts geändert hätte sich an den Grundaussagen, nämlich dass entscheidend ist, ob die Großen und die lieben Kleinen zufrieden sind – egal, was Experten sagen würden und was die Leute denken. Und dass Kinder weder das höchste Glück auf Erden sind noch ein Armutsrisiko und auch keine Doppelbelastung, sondern ganz normale Menschen – und so wollen sie wohl auch behandelt werden. Auch wenn Kinder sehr kleine Menschen sind, mit oft besonderen Bedürfnissen.

Sie glauben vielleicht manches Mal, Ihr Kind sei keineswegs normal. Weil es nachts alle Stunde aufwacht, weil es nicht eine einzige Minute ohne seine Mama verbringen kann oder weil es alle Leute »Arschi« nennt. Meine Mutter hat vier Kinder und sechs Enkel und eine Menge bewährtes Alltagswissen, das sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: »Das ist jetzt so eine Phase, das gibt sich wieder.«

Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie die lieben Kleinen in einigen Jahren einfach nochmal. Und Sie werden sich wundern, warum Sie sich jemals über abendliches Schreien gesorgt haben, über das Zufüttern oder den ersten Kindertagesstätten-Tag. Sie haben jetzt sicherlich andere Probleme: das Fernsehen, die Sexualaufklärung, Taschengeld. Tja. Vielleicht gibt es eine Fortsetzung. Die lieben Halbmittelgroßen, wie es unsere Tochter wohl ausdrücken würde.

Mutters Leid, Mutters Freud

Ein Kind kommt zur Welt –ein wichtiger Moment für die ganze Familie.

Schlecht zu planen zwar, aber gut vorzubereiten.

DER ERSTE, DER ALLERERSTE GEBURTSTAG ist bestimmt der wichtigste Tag im Leben eines Menschen. Und der anstrengendste und aufregendste. Das Baby wird geknetet und gedrückt, stundenlang und immer mehr, es muss seine gewohnte Umgebung verlassen und landet urplötzlich in einer lauten, hellen, kalten Leere.

Das Drumherum bei dieser langen, schweren und mitunter gefährlichen Reise sollte also möglichst perfekt sein. Dieser Idealfall sieht seit Millionen Jahren gleich aus: Das Zeichen zum Aufbruch soll das Kleine geben dürfen, denn vermutlich werden die Wehen angeregt, wenn das Kind gegen Ende der Schwangerschaft verstärkt ein für die Lungenentfaltung nötiges Protein bildet. Während der Geburt gilt: ausreichend Sauerstoff und keinen zusätzlichen Stress. Und das gilt für Kind und Mutter: also keinen Hunger, keinen Durst, keine Sorgen, drumherum vertraute Begleiter und Begleiterinnen. Dann starten das Kind, seine Mutter und sein Vater bestmöglichst ins neue Familiendasein: erschöpft und aufgewühlt zwar, aber wach und gesund.

Der Idealfall, wie gesagt. Und die Realität? Wissenschaftlerinnen der Osnabrücker Universität haben die Daten rund einer Million Geburten der vergangenen 15 Jahre ausgewertet und festgestellt, dass nahezu jedes der jährlich knapp 700000 Neugeborenen in Deutschland bei seiner Geburt von Apparaten überwacht wird. Ein Viertel von ihnen wird durch künstliche Hormone auf die Reise geschickt, ein gutes Drittel während der Geburt zur Eile gedrängt. Für jedes vierte Kind ist das erste Licht der Welt die grelle Beleuchtung des Operationssaales, weil es per Kaiserschnitt entbunden wird. Und fast jede Mutter erhält Kügelchen, Kreislaufmittel, Schmerzmedikamente oder Beruhigungsspritzen.

Muss das sein? Ist es so gefährlich, geboren zu werden? So anstrengend? Dass Kinder und Mütter es nicht aus eigener Kraft schaffen? Selten ja, aber meistens nicht. Zumindest nicht so oft, wie es die Statistik vermuten lässt. Die Interventionen – so nennen Fachleute zum Beispiel Weheneinleitung, Rückenmarksnarkosen, Dammschnitte, Kaiserschnitte – steigen seit Mitte der neunziger Jahre drastisch. Verbessert hat sich das sogenannte Outcome dadurch nicht. Die Sterblichkeit der Mütter zum Beispiel beträgt weniger als ein Promille, die Säuglingssterblichkeit rund fünf Promille – und das nicht erst seit Mitte der Neunziger, sondern seit bald dreißig Jahren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg starben noch zehnmal so viele Kinder vor, während oder nach der Geburt. Seitdem aber haben sich die hygienischen Verhältnisse deutlich gebessert, die Frauen sind besser ernährt und insgesamt fitter, die Medizin entwickelte sich weiter und Hebammen und Ärzte konnten bei Notfällen immer schneller und wirksamer helfen.

Heute überlässt man nichts dem Zufall: Bei einer Steißlage wird ein Dammschnitt gemacht, ist ein Baby zehn Tage über dem berechneten Geburtstermin, werden die Wehen eingeleitet, und für Zwillinge wird ein Kaiserschnitttermin festgelegt. Medizinisch zwingend notwendig ist das nicht und weniger Stress für Kind und Mutter auch nicht.

Im Gegenteil.

Meist bringen solche Interventionen die Geburtschemie durcheinander, die Wechselwirkungen von Wehen, Schmerzen, Endorphinausschüttung, Liebeshormonen und Milchbildung. Noch ist das alles nicht bis ins Detail erforscht, auch nicht, was im Einzelnen welchen Sinn hat. Aber: Lebendgebären ist offenbar eine erfolgreiche Art der Vermehrung, sonst hätte die Evolution sie sich gar nicht so weit verbreiten lassen. Trotz aller Schmerzen und Leiden – und Geburt tut weh, den Müttern und den Kindern; auch wenn Atmen, Singen und ein Bad in der Wanne viel erleichtern, auch wenn der Schmerz ein anderer ist als bei einem entzündeten Zahn oder einem gebrochenem Nasenbein und auch wenn die Mutter von Emelie sagt, es seien die schönsten zehn Stunden ihres Lebens gewesen.

Eine Erklärung ist die: Erreicht das Leiden eine gewisse Schwelle, schüttet der Körper Endorphine aus, körpereigene Drogen sozusagen, die betäuben – den Schmerz, aber auch die Erinnerung an ihn. Wenn das Kind erst mal da ist, ist also alles vergessen. Und die Mutter kann sich, anders als meist während der Geburt, durchaus vorstellen, noch ein weiteres zu bekommen. Umfragen bestätigen dies, zumindest wünschen sich Frauen nach einer spontanen Geburt ohne Komplikationen häufig mehr Kinder als Frauen, die per Kaiserschnitt und damit oft ohne Wehen geboren haben.

»Die Schwangerschaft einer gesunden Frau und die Geburt ihres Kindes lassen sich nicht verbessern«, so formuliert es ein niederländischer Geburtshilfeprofessor, »nur verändern«. Viele, viele Studien bestätigen diese Einschätzung, egal, ob es dabei um Vorsorgeultraschall, Geburtseinleitung oder Termin-Kaiserschnitt geht.

Dennoch erwarten eine Schwangere und ihr Baby heute in Deutschland medizinische Unterstützung statt begleitende Geburtshilfe.

Warum? Weil werdende Eltern meinen, mit Yoga, Folsäuretabletten, Koffeinverzicht und Fruchtwasseruntersuchungen würden sie sich den Anspruch auf ein gesundes Kind erarbeiten? Weil Ärzte Angst haben, verklagt zu werden, wenn – Schicksal oder Zufall – Mutter oder Kind doch nicht gesund sind und sie nicht nachweisen können, dass sie alles medizinisch Mögliche auch gemacht haben? Weil das Klinikpersonal oft jung und unerfahren ist? Weil das Abrechnungssystem Interventionen fördert, weil ein Kaiserschnitt mit fünf Tagen Liegezeit doppelt so viel Geld einbringt wie eine ambulante Geburt und Hebammen hin und wieder aufgefordert werden, »doch bitte mehr Frauen in den OP zu bringen und nicht nur natürliche Geburten zu produzieren«? Ja. Auch.

Aber auch, weil – besonders beim ersten Mal – Schwangere einfach mal annehmen, dass alle, Ärzte, Ärztinnen, Hebammen, Kinderkrankenschwestern, nur ihr Bestes wollen und das Beste ihres Kindes. Und dass das Übliche doch auch gut sein müsse.

Was es aber nicht unbedingt ist, schon gar nicht für die mehr als neunzig Prozent der gesunden Mütter und Kinder, für die es eigentlich reichen würde, einfach nur guter Hoffnung zu sein.

Immerhin kommen Babys heute nur noch selten in weißgekachelter Schlachthofatmosphäre zur Welt, ihre Mütter werden nicht mehr von resoluten Schwestern betreut, die ihnen nur alle paar Stunden das Kind zum Füttern aushändigen. Ihre Väter dürfen die Nabelschnur durchschneiden, das Kleine anfassen und sogar wickeln und nicht nur durch eine Glasscheibe betrachten.

Dem Pillenknick sei Dank, denn angesichts sinkender Gebärfreude mussten sich die Kliniken etwas einfallen lassen: Statt Pritschen in Kreißsälen haben sie jetzt nach Feng Shui eingerichtete Vorwehenzimmer mit operntauglicher Stereoanlage und Gebärlandschaften mit Geburtswanne, Hocker und Seil. Sie werben mit schmerzfreien, schnellen und auf Bestellung auch pünktlichen Geburten und einem Frühstücksbuffet ohne blähende Zutaten, genügend Parkplätzen und einem Babypass mit Fußabdruck.

»Ist mir doch egal, ob die Vorhänge uterusfarben sind und Mama Arien hören kann«, würde das Baby vielleicht einwenden, würde es nach seinen Wünschen gefragt. »Mama soll ihre Ruhe haben, damit sie sich um mich kümmern kann. Während der Geburt. Und danach.« Geburtsmediziner, und von denen haben wir mehr als genug, sollten sich lieber wieder auf die Mütter und Kinder konzentrieren, die wirklich Schwierigkeiten haben; wegen einer vorzeitigen Plazenta-Ablösung, einem Nabelschnurvorfall, weil die Wehen zu schwach sind, die Herztöne schlecht, weil die Nachgeburt nicht kommen will oder wenn ein Kind nach der Geburt Atemprobleme bekommt. »Und es müsste viel mehr Hebammen geben«, würde das Baby vielleicht sagen, »damit Mama und ich eine ganz für uns alleine haben könnten, die ganze Zeit.« »Liebes Kind«, würde die Mutter antworten, »das ist Gesundheitspolitik. Darauf können wir nicht warten, selbst wenn es ginge.«

Es geht übrigens. Zum Beispiel in Schweden; dort werden normale Schwangerschaften und normale Geburten ausschließlich von Hebammen betreut. Zum Beispiel in den Niederlanden; dort kommt ein Drittel der Kinder zu Hause zur Welt – und das bei niedrigeren Interventionsraten und sogar noch besserer Gesundheit von Müttern und Kindern.

Also müssen werdende Eltern ihren eigenen Weg gehen und nicht den üblichen. Zugegeben, Erstgebärende wissen noch nicht so genau, ob ihnen eine Geburt in der heimischen Eckwanne lieber wäre oder ein Wunschkaiserschnitt: einfach nur daliegen und warten, bis der erste Schrei ertönt.

Für welchen Weg sie sich auch entscheiden, es schadet nichts, wenn sie sich Geburtshelfer suchen, die das Wort Routine aus ihrem Wortschatz und ihrer Arbeit gestrichen haben. Während der Schwangerschaft brauchen Baby und Mutter Ärzte, Ärztinnen und Hebammen, die sie nicht wie überwachungsbedürftige Kranke behandeln; die alle paar Wochen die technischen Daten kontrollieren und dann verkünden, einer von beiden nähme zu schnell zu, oder zu langsam, die Mutter habe zu niedrigen Blutdruck und das Baby zu viel Fruchtwasser. Zumeist ohne vorher gefragt und sich ernsthaft angehört zu haben, wie es der Frau geht, wie sie sich fühlt, in ihrem Körper, mit ihrem Kind. Baby und Mutter brauchen Ärzte, Ärztinnen und Hebammen, die normal verlaufende – also die meisten – Schwangerschaften normal sein lassen, die der Frau Vertrauen in ihren Körper geben. Und die, falls sich die werdende Mutter entscheidet, die Vorsorgetermine abwechselnd bei ihrem Gynäkologen und ihrer Hebamme wahrzunehmen, nicht untereinander um die Abrechnung für den monatlichen Urintest rangeln.

Für den Tag der Geburt gilt das Gleiche. Es gibt wunderbare Geburtsabteilungen, wo die Hebammen auf dem Boden kriechen und die Frauen in der Hocke und nicht auf dem Rücken gebären lassen, in denen die Babys in ruhiger Atmosphäre und mit gedämpftem Licht mit warmen Tüchern empfangen werden, wo auch kranke oder zu früh geborene Babys zur Mama ins Bett gelegt werden oder zumindest in ihr Zimmer.

Aber oft ist die Klinikroutine wichtiger als ein bestmöglicher Start ins Familienleben: Schichtwechsel, Raumwechsel und Unterschriften, Einlauf und Schamhaarrasur, Fiebermessen, eine Dauerverweilkanüle im Handrücken und alle Stunde eine Hand zwischen den Beinen, die prüft, wie und ob sich der Muttermund öffnet.

Und so sind im Durchschnitt die Frauen zufriedener, die außerklinisch entbunden haben; zu Hause, in Gebärzimmern, Geburtshäusern und Entbindungsheimen. Dort, wo Ruhe und Geborgenheit an erster Stelle stehen. »Und wo die Atmosphäre einfach anders ist«, sagt die Mutter von Nele und Mala, die beides erlebt hat.

Aber ist das nicht gefährlich? Es gibt viele, viele Studien – allein seitenlange Abhandlungen über die beste Vorgehensweise beim Forschen, z.B. zahlreiche Gedanken darüber, ob zu der Gruppe der Hausgeburten auch solche zählen, die gar keine werden sollten. Aber eines steht fest: Gefährlich sind außerklinische Geburten nicht. Die Gesundheit von Mutter und Kind ist im Durchschnitt nicht schlechter, sondern mindestens genauso gut, in manchen Studien sogar besser.

Weil Mütter und Kinder ihre Ruhe haben. Weil auch eine Hausgeburtshebamme mehr hat als heißes Wasser und ein Stethoskop. Nämlich Sauerstoff und Beatmungsbeutel, Absaugkatheder, wehenhemmende und blutungsstillende Medikamente, Kreislaufmittel, Latexhandschuhe, Nadel und Faden. Und im Idealfall genug Erfahrung, um zu erkennen, wann Mutter und Kind tatsächlich die Hilfe der modernen Medizin brauchen und sie die beiden ins Krankenhaus verlegen muss.

Oft bleibt sie auch dort dabei, bis das Kind geboren ist. Wenn nicht als aktive Hebamme, dann zumindest als vertraute Begleiterin. Die die Mutter beruhigt und verhindert, dass ein Notfall zum Albtraum wird. Die dafür sorgt, dass auch, wenn das Baby per Notfallkaiserschnitt geboren wird, Mutter und Kind nicht getrennt voneinander im Aufwachraum beziehungsweise im Säuglingszimmer landen. Dass ein Familienzimmer eingerichtet wird, damit auch der Vater tags und nachts da sein und die nach einer schwierigen Geburt besonders empfindliche Mutter beispielsweise mit Blumen, Stilltee und Lieblingspralinen umsorgen kann.

Viele freie Hebammen und auch viele Geburtshäuser sortieren allerdings recht streng alle möglichen Risikofälle aus und nehmen von vornherein keine Frauen, die etwa kurz vor der Schwangerschaft eine Ausschabung hatten, um die Gefahr einer Nachblutung zu vermeiden. Keine Diabetikerinnen, denn der Blutzucker könnte verrückt spielen. Keine über 35-jährigen Erstgebärenden, keine Zwillinge. Auch wenn so manche gestandene Hausgeburtshebamme dreiundvierzigjährige Erstgebärende in ihrer Privatstatistik hat, Frauen drei Wochen über dem Termin, nach vorangegangenen Kaiserschnitten oder Fünf-Kilo-Kinder. Aber eine solche Hebamme ist nicht überall in der Nähe.

Und: Mancher Frau gibt es auch viel Sicherheit, dass sie Schmerzmittel bekommen könnte, wenn sie es denn will und dass neben dem Kreißsaal ein Kinderarzt einsatzbereit wartet. Und dass sie die ersten Tage kompetent betreut auf der Wöchnerinnenstation verbringen kann.

Es gibt auch viele Frauen, die sehr zufrieden sind mit ihrer Klinikgeburt. Oft, weil sie ihre Hebamme dabei hatten, die sie schon aus der Schwangerschaftsvorsorge und aus dem Geburtsvorbereitungskurs kannten. Die ihnen Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit vermittelte, sie von überflüssiger Krankenhausroutine abschirmte und das Kind so in Empfang nahm, wie sie es sich vorgestellt hatten.

So hilfsbereit und einfühlsam das Personal einer Geburtsabteilung auch sein mag, vertraut ist es der Schwangeren nämlich im Allgemeinen nicht.

Eine solche Beleghebamme hat noch einen weiteren Vorteil: Die werdende und gewordene Mutter muss nicht jedes Mal alle neu kennenlernen – Gynäkologen, Klinikpersonal, Krankengymnastin und Nachsorgehebamme – und sich von jedem etwas anderes erzählen lassen. Sie hat vom ersten Strich auf dem Schwangerschaftstest bis zum letzten Milchstau eine vertraute Begleiterin.

Und die ist besonders viel wert in der Zeit nach der Geburt. Mit der Entlassung aus der Klinik endet nämlich für Mütter und Kinder die lückenlose ärztliche Überwachung. Der Kinderarzt schaut lediglich alle paar Wochen, ob sich das Kleine gut entwickelt, und die Mutter wird noch ein einziges Mal auf eine ordnungsgemäße Rückbildung kontrolliert. Auf einmal sind die Eltern doch allein verantwortlich für ihr liebes Kleines. Und sollen eigenverantwortlich handeln, nachdem ihnen monatelang jemand anderes gesagt hat, wie es ihnen und ihrem Kind geht.

Dabei gibt es gerade jetzt so viele Fragen: Heilt der Nabel gut? Sind die Pickelchen normal? Trinkt es genug? Oder gar zu viel? Schreit es zu viel? Womöglich zu wenig? Und dass es immer spuckt?

Auch nach einer glücklichen Geburt hat die Mutter schlaflose Nächte und oft reicht der in der Ratgeberliteratur zugestandene eine Heultag nicht aus. Auch ein gesundes Baby hat einen wunden Hintern und auch ein von seinem frisch geschlüpftem Nachwuchs entzückter Vater ist irgendwann eifersüchtig auf das enge Band zwischen Mutter und Kind – muss sich vielleicht auch von seiner erschöpften, überforderten Frau noch anraunzen lassen.

Erschöpft, aber wach und gesund – so starten Vater, Mutter, Kind am besten ins neue Familienleben – jawohl. Aber mehr als ein guter Start ist das nicht. Gemessen an den Monaten bis zum ersten Schritt und den Jahren bis zur Selbständigkeit ist die Geburt ohnehin ein zwar wichtiger, aber sehr, sehr kurzer Moment.

Ohne Geräusch ist der Nachwuchs nicht zu haben

Alle Babys brüllen –die einen mehr, die anderen weniger.

Aber warum bloß?

Und wie bekommt man sie wieder ruhig?

GRETA UND SCHREIEN? »Nein«, sagten ihre Eltern, da war die Kleine fünf Tage alt. »Na gut, einmal schon. Direkt nach der Geburt.« Wie Musik sei das aber gewesen, fand ihr Vater.

Dass ein Schrei das erste ist, was ein Neugeborenes von sich gibt, ist ganz normal. Je nachdem wie leicht die Reise war und wie sanft der Empfang, bleibt es bei ein paar Quietschern. Oder wird zu lautem Gebrüll. Bei Mama auf dem Bauch beruhigen sich die meisten Babys schnell und nach den ersten Schlucken Milch schlafen sie erst mal ein. So wie Greta.

Schreien ist nun mal Babys einzige Möglichkeit, um mitzuteilen, dass etwas nicht stimmt – und zwar die aller Babys, ob Fohlen, Frischling oder Säugling. Denn anders als Handzeichen geben oder Rotwerden funktioniert Schreien auch im Tumult, im Dunkeln und auf größerer Distanz. Babygeschrei ist kaum leiser als ein Presslufthammer und um einiges kreischiger, sodass nahezu jeder im Umkreis nur eines will: dem Kind helfen, damit es aufhört. Sofort.

Dafür muss man allerdings wissen, warum es schreit. Es gibt mehr oder weniger Gründe – je nach Erziehungsratgeber. Im Schnitt sind es eine gute Handvoll, nämlich: Hunger, zu warm oder zu kalt, volle Windel, Langeweile, Einsamkeit, Schmerzen. Heraushören lässt sich das anfangs nur schwer.