Friede den Maulwürfen! - Sigrid Tinz - E-Book

Friede den Maulwürfen! E-Book

Sigrid Tinz

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  • Herausgeber: pala
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Sie breiten sich aus, machen Dreck und sind gefräßig: Im Garten gibt es eine Menge Pflanzen und Tiere, die ziemlich nerven und auch naturverbundene Menschen an ihre Toleranzgrenzen bringen. Maulwürfe, Elstern und Wühlmäuse sind bei vielen ebenso unbeliebt wie Giersch, Löwenzahn und Quecken. Und dann gibt es noch die besonders Bösen: Springkraut, Nacktschnecken oder Zecken – wer braucht die schon? Sigrid Tinz hat sich in ihrem Buch auf die Suche nach den guten Seiten der Bösen im Garten gemacht und dabei Erstaunliches, Wissenswertes und viel Nützliches entdeckt. Die schädlichen Tier- und Pflanzenarten sind nicht von Natur aus böse, alle haben ihre Rolle im Ökosystem. Diese Erkenntnisse machen die Plagegeister nicht in jedem Fall sympathischer, aber es hilft, besser mit ihnen umzugehen. Statt »Schädlinge« und »Unkräuter« rabiat mit allen Mitteln zu bekämpfen, rät die Geoökologin dazu, die Bösewichte zu verstehen und passende Umgangsweisen zu entwickeln. Mit diesem Buch bleibt das grüne Paradies auch in Zukunft eine giftfreie und entmilitarisierte Zone. Die Plagegeister werden nicht ausgerottet, aber sie nerven auch nicht mehr.

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Seitenzahl: 227

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Ist das Natur oder kann das weg?

Im Garten gibt es eine Menge Arten, die ziemlich nerven und auch naturverbundene Menschen an ihre Toleranzgrenzen bringen. Blattläuse, Wühlmäuse und Nacktschnecken ebenso wie Schachtelhalm, Löwenzahn und Quecke. Und dann gibt es noch die besonders Bösen: Buchsbaumzünsler, Eichenprozessionsspinner oder Zecke – schädlich und dabei völlig nutzlos, oder?

Sigrid Tinz hat sich auf die Suche nach den guten Seiten der Bösen im Garten begeben und dabei Erstaunliches und viel Positives entdecken. Die Geoökologin erklärt: Keine Tier- und Pflanzenart ist von Natur aus böse, jede hat ihre Rolle im Ökosystem. Diese Erkenntnisse machen die Plagegeister nicht in jedem Fall sympathischer, aber es hilft, entspannter mit ihnen umzugehen. Statt »Schädlinge« und »Unkräuter« rabiat mit allen Mitteln zu bekämpfen, rät Sigrid Tinz, die vermeintlichen Bösewichte im Garten besser kennenzulernen und im Falle eines Konfliktes das Wirksame und nicht verheerend Nutzloses zu tun. Damit das gelingen kann, lässt sie Tiere und Pflanzen selbst zu Wort kommen und ihre Sicht auf die Gartenwelt erklären.

Mit diesem Buch bleibt das grüne Paradies eine giftfreie und entmilitarisierte Zone. Die Plagegeister werden nicht ausgerottet, aber sie nerven auch nicht mehr. Friedlich zu gärtnern, braucht Mut. Wer es wagt, schont auch die bedrohten Arten und wird mit schönen Naturerlebnissen im Garten belohnt.

Sigrid Tinz plädiert für mehr Frieden und Artenvielfalt im Garten

Inhalt

Cover

Titel

Die Bösen mal ganz privat

Warum es dieses Buch gibt und wieso es diesen überraschenden Titel trägt

Plagen und Bösewichter – vom Allgemeinen zu den Details

Warum dieses Buch nicht als schneller Problemlöser gegen Allesfresser und Blutsauger funktioniert, aber gerade deshalb das Gärtnerleben leichter macht

Über Schnecken, Raupen und andere hungrige Gesellen

Warum die Natur keine Schädlinge und kein Unkraut kennt und wir Menschen aber trotzdem nicht alles hinnehmen müssen, sollen, dürfen

Über wühlende Vandalen und Gartenrabauken

Warum die Unruhestifter trotz nervigen Verhaltens auch gute Eigenschaften haben

Über Neozoen und andere weit gereiste Neubürger

Wie sich Begrifflichkeiten verselbstständigen und warum Panikmache neue Probleme macht, statt Lösungen zu bringen

Über Giersch, Ackerschachtelhalm und anderes ungeliebtes Grünzeug

Wie Pflanzen unermüdlich Biomasse produzieren und warum sie für den ökologischen Kreislauf so wichtig sind

Über Nesseln, Disteln und andere wehrhafte Pflanzenwesen

Wovor sich diese Pflanzen eigentlich schützen und warum wir einiges von ihnen lernen können

Über Mücken und Milben, Blutsauger und Juckreizauslöser

Warum sie nicht aus Boshaftigkeit stechen und warum sie aus Sicht der Evolution wichtig sind

Über Ameisen und andere massenhaft krabbelnde und schwirrende Tiere

Warum massenhaft auftauchende Tiere Urängste hervorrufen, aber selten wirklich schlimme Schäden verursachen

Über Algen, Moos und Flechten oder anderen ungeliebten Bewuchs

Warum all diese Geschöpfe unseren Ordnungssinn stören, aber keinerlei Schaden anrichten

Über Hornissen, Maden und noch mehr Horrorgestalten

Warum die gruseligsten Geschichten oft aufgebauschte Klischees über wundervolle, harmlose Wesen sind

Über Ratten, Tauben, Zecken und andere wirklich Böse

Warum wir mit kühlem Kopf und klaren Fakten besser mit ihnen klarkommen als mit Hass, Angst und Gewalt

Resümee

Wir schauen zurück auf zehn typische Konflikte, die es zwischen uns Gärtnernden und unseren Mitbewohnern, Pflanzen und tierischen Besuchern, gibt – und nach vorne in eine friedliche Gartenzukunft

Die Autorin

Glossar

Ein paar gängige Begriffe, von denen wir die meisten wegen unserer friedlichen Absichten im Buch möglichst wenig verwendet haben

Liste der Bösewichte und Plagen

Zum Weiterlesen

Impressum

Die Bösen mal ganz privat

Warum es dieses Buch gibt und wieso es diesen überraschenden Titel trägt

»Friede den Maulwürfen«, ein abgewandeltes Zitat nach Georg Büchners: »Friede den Hütten, Krieg den Palästen«. Er hat diese Parole wiederum von den französischen Revolutionären übernommen. Büchner hatte zwar mit Gärten und Gärtnern nicht wirklich etwas im Sinn, war aber tatsächlich nicht nur Revolutionär des 19. Jahrhunderts, sondern auch Naturwissenschaftler. Insofern passt er als Patron für dieses Buch – auch weil er sich so eindeutig an die Seite derer gestellt hat, die Unterstützung nötig haben. Und er würde es heute sicherlich wieder tun.

Nun könnte man einwenden, dass es ja wohl eher die von Maulwürfen und ihren Haufen geplagten Gärtner und Gärtnerinnen sind, die Unterstützung nötig haben. Oder, wenn man sich mit den Maulwürfen doch noch irgendwie arrangiert, schließlich stehen sie unter Naturschutz, dass Giersch und Quecken, Zecken und Eichenprozessionsspinner, Wühlmäuse und Wespen doch nun wirklich niemanden an ihrer Seite brauchen. Die Antwort darauf ist ein klares: doch. Auch sie haben es nötig, respektiert zu werden.

Die Tiere und Pflanzen selbst würden dem ganz klar zustimmen. Wem der Mensch mit Hass und Vernichtungswillen begegnet und wer einfach nur seiner puren Existenz wegen getötet wird, findet Schutz sicherlich dringend notwendig.

Sie haben auch deshalb Respekt verdient, weil sie alle Bestandteile der Natur und der Artenvielfalt sind. Dabei geht es nicht um die einzelne Art, den Maulwurf und die Mücke, sondern um das große Ganze, dass die einzelnen Arten zusammen bilden, das Rad des Lebens, das aus vielen, vielen einzelnen kleinen Rädchen zusammengesetzt ist. Geht eins oder gehen mehrere kaputt, kann alles zusammenbrechen. Welches das entscheidende Rädchen ist, weiß niemand. Vielleicht sind es gerade die Mücken? Oder die lästigen Algen auf der Terrasse? Oder auch der Marder, die Ratte, das Kaninchen oder ein anderes Tier an der Spitze der sogenannten Nahrungskette, die allerdings eher ein Netz ist. Löst sich ein Faden, geht ein Knoten kaputt, kann alles zusammenfallen. Beutegreifer fressen ja beispielsweise nicht willkürlich alles, sondern oft alte, schwache oder kranke Tiere. Fehlen sie, können sich ihre Beutetiere übermäßig vermehren, so lange, bis sie sich selbst die Nahrungsgrundlage weggefressen haben.

Vor allem Tiere, ohne die es unserer Meinung nach auf Erden doch viel besser wäre, haben Beistand besonders nötig, weil eben dieser Gedanke dazu führt, dass wir Menschen sie möglichst komplett vernichten möchten. Mit einer Gründlichkeit und leichtfertig eingesetzten Mitteln, die noch viele andere unbeteiligte Arten und deren Lebensräume vernichten. Warum das planlos ist, lässt sich am Beispiel der Blattläuse anschaulich zeigen.

Ja, es gibt viele und in manchen Jahren auch sehr viele. Wenn dann noch die Marienkäfer und Vögel spät aus den Startlöchern kommen, sind es auch mal sehr, sehr viele. Wer zu diesem Zeitpunkt die Blattläuse vernichtet, nimmt den Marienkäfern, wenn sie endlich da sind, die Nahrung. Und auch den Florfliegen, Vögeln, Ohrenkneifern und vielen anderen Tieren, deren Leben eng mit dem der Blattläuse verbunden ist. Das heißt, im nächsten Jahr gibt es weniger Käfer oder Florfliegen – und noch mehr Blattläuse. Normalerweise schaden Blattläuse, auch sehr viele Blattläuse, den Pflanzen nicht. Wenn sie aber kein Vogel und kein Käfer am Vermehren, Saugen und Fressen hindern, nehmen sie überhand und zerstören sich vielleicht wirklich ihre eigene Nahrungsgrundlage. Im Extremfall sind irgendwann die Pflanzen tot, weil die Käfer tot sind, die die Blattläuse in Schach halten – weil Gift gegen Blattläuse gespritzt wurde.

Die Natur ist ein solch dynamisches System, dass es schlecht vorherzusagen ist, welche Folgen das gärtnerische Handeln hat. Sinnvoll ist es deshalb, möglichst wenig und behutsam in diese unsichtbare und riesige Maschinerie, die sich Nahrungskette oder Nahrungsnetz nennt, einzugreifen. Klar, ein dynamisches System spielt sich irgendwann wieder ein, das klappte auch nach großen Katastrophen wie dem Meteoriteneinschlag oder nach jeder Eiszeit. Mit neuen Arten, neuen Netzen und Ketten. So sind die Dinosaurier verschwunden. Und so verschwindet vielleicht auch der Mensch. Deshalb ein letztes Argument: Maulwurf, Wespe und Löwenzahn und alle anderen haben Beistand nötig, weil wir ihn nötig haben. Das ist die hochaktuelle und wichtigste Botschaft dieses Buches.

Andere Tiere, andere Schäden

Bei uns gibt es viele Pflanzen, die sich auf rabiate Fresser eingestellt haben, wie Kaninchen, Ziegen, Rehe oder Schafe. Das Gänseblümchen zum Beispiel, ihm können die Tiere die Blüten und Blätter abrupfen, ohne dass es seine Lebenskraft verliert. Die Blattrosette, aus der beständig Blüten und Blättchen nachwachsen, duckt sich so eng an den Boden, dass die Zähne sie nicht erreichen können. Rasenmäher übrigens auch nicht. Ziegen, Kaninchen und Co. können eine Blumenwiese nicht kahl und kaputt fressen, weil die Pflanzen auf Beweidung eingestellt sind und wieder nachwachsen können. Anderswo auf der Welt haben viele Pflanzen diese Lebensweise nicht nötig gehabt, weil es keine großen und rabiaten Pflanzenfresser gab. Nun sind aber Kaninchen oder Ziegen mit den Menschen bei der Entdeckung der Welt mitgereist und haben dort großmäulig ganze Landstriche kahl gefressen, so kahl, dass dort für andere Tiere nichts mehr wächst. Kaninchen in Australien zum Beispiel oder Ziegen auf den Galapagos-Inseln. Auch Nordamerika ist erst seit ein paar Jahrhunderten die karge Prärie, die wir als typische Cowboyfilmkulisse kennen. Einstmals waren es weite Grasländer, bis die ersten und immer mehr europäische Siedler kamen und mit ihnen Pferde. Diese verwilderten, zogen in Herden umher, zertrampelten den Boden und fraßen Pflanzen ab, die das so nicht gewohnt waren. Auch nicht von den Bisonherden, die während der Eiszeit über eine Landbrücke aus Asien nach Nordamerika gekommen waren und seitdem zu Millionen über die Ebenen zogen: gemächlich wandernd, genügsam weidend und wiederkäuend – und mit ihren Ausscheidungen den Boden düngten und Pflanzensamen verbreiteten. Viele Millionen Tiere. Heute gibt es noch einige Tausende. Die Ureinwohner mit Pfeil und Bogen und Raubtiere wie Wölfe waren lange keine wirklichen Feinde für die riesigen Tiere; erst die mit den Siedlern eingeführten Feuerwaffen machte es möglich, sie massenhaft zu töten.

Die Idee zum Buch entstand so: In meiner Arbeit und in meinem Leben befasse ich mich viel damit, wie jeder und jede im privaten Alltag einvernehmlich mit der Natur leben kann, auch und gerade im Garten. Ist dieser doch trotz Besitzurkunde und Zaun von der Ewigkeit nur geliehen und wie ein magisches Zwischending zwischen der menschlichen Welt und der Natur. Den Garten sich selbst oder eben der Natur zu überlassen, dafür ist er aber durchschnittlich meistens zu klein, um ein dynamisches Gleichgewicht zu finden. Und außerdem ist der Garten so etwas wie ein weiteres Zimmer des Hauses und wir wollen auch darin leben, nicht nur Blattläuse, Käfer und Maulwürfe. Das heißt, wir müssen unser kleines Stück Natur gestalten. Das ist unser Recht als Gärtnernde.

Unsere Pflicht – finde ich – ist es, das so naturverträglich wie möglich zu tun: Lebensraum schaffen für uns und für möglichst viele andere. Viele Pflanzen und Tiere kommen von alleine oder nehmen fast jeden Lebensraum an. Lebenstüchtige Lebewesen wie Disteln, Giersch und Schnecken, Maulwürfe oder Wühlmäuse, die nerven können, aber vielleicht auch einfach mal von einer anderen Seite kennengelernt werden wollen. So nach dem Motto: »Eigentlich sind wir ganz anders, wir kommen nur so selten dazu.« Und über all diese wollte ich ein Buch schreiben.

Was ich feststellen musste, war, dass es aber die naturfreundlich Gärtnernden sind, die manchmal ganz anders sind. Auf das Thema angesprochen, kamen Reaktionen in der Bandbreite von Augenrollen, Kopfschütteln, Besorgnis und Unverständnis bis zu martialischen und aggressiven Vorschlägen. Auch sanften Ökogärtnern, die maximal mit Pflanzenbrühen gegen Blattläuse vorgehen und Giersch aufessen, statt ihn wegspritzen, verrutschen der Ton und das Vokabular auf Stammtischniveau, wenn es um Asiatische Marienkäfer und Indisches Springkraut geht. Von »ausmerzen« und »ausrotten« ist da die Rede und »dass nur ein totes Springkraut ein gutes Springkraut ist«; gegen »Heerscharen« von Blattläusen sollen die Ohrenkneifer in »Stellung gebracht werden« bis »Schützenhilfe aus der Luft von den Marienkäfern kommt«. Und ich habe tatsächlich vom Krieg gehört und gelesen, den der Gärtner gegen diese Pflanzen oder jenes Tier führen müsse, dürfe, könne, werde. Und ein guter Freund von mir redete tagelang nicht mit mir, weil ich sein Lieblingstier, den Wolf, für den er sich sehr engagiert und differenziert einsetzt, mit der Ratte verglich: schlau, scheu, gehasst, überall auf der Welt verbreitet. »Bei Ratten hört doch wohl wirklich der Spaß auf«, so seine empörte Reaktion.

Auch die Guten sind privat ganz anders

Auch die »Guten« haben unangenehme Seiten. All die nützlichen, schönen Lieblingstiere und Pflanzen sind genauso wenig durch und durch Sympathieträger, wie die Bösen durch und durch böse sind. Eichhörnchen räumen Vogelnester aus und zerstören die Brut, Vögel fressen Raupen in Massen und töten so manchen wunderschönen Schmetterling, bevor er einer werden kann. Marienkäfer sind fliegende Killer, die so skrupellos sind, sogar während des Geschlechtsakts weiter an ihrer Beute herumzukauen. Wenn ich das hier im Buch ab und zu erwähne, dann nicht, um diese auch in Misskredit zu bringen, sondern um bei den Fakten zu bleiben. Und um zu zeigen, dass es Schwarz-Weiß in der Natur nicht gibt und sie gerade deswegen so wundervoll und bunt ist.

Meine Erkenntnis: Mythen, Klischees und das Wissen, wie es früher war, mit einem kargen Acker die Familie zu ernähren, stecken offensichtlich noch so tief im Unterbewusstsein, dass diese Ansichten als allseits akzeptierte Tatsachen gehandelt werden. Steht es doch schon in der Bibel, im Alten Testament, dass den Menschen ein Acker voller Dornen und Disteln auferlegt wird, als lebenslange Aufgabe, dazwischen sein täglich’ Brot anzubauen. Als Gegenbild zum friedlichen Paradies als Garten Eden, mit dem es nach der Sache mit Adam, Eva, der Schlange und dem Apfel vorbei war, nach dem sich die Menschheit aber offensichtlich sehnt. Ein Paradies, das sie sich wieder zu erschaffen versucht und dabei jedes Mittel für erlaubt hält, eben wie im Krieg.

Schaut man etwas tiefer und zeitgemäßer in die menschliche und gärtnerische Psyche, dann haben solche Glaubenssätze die Funktion eines Geländers oder Kompasses, die über die Abgründe von Chaos und Urängsten führen sollen. Wenn schon kein Paradies, dann immerhin Kontrolle und Sicherheit. Früher halfen dabei vor allem Tabus, Gebete und Rituale, im Garten der Neuzeit nutzen wir Insektengift, Laubsauger und Schotter. Das Geländer loszulassen und einen Teil der Kontrolle aufzugeben, macht Angst, ins Chaos zu stürzen und von der Wildnis verschlungen zu werden.

Der Spatzenkrieg

Mitte des vergangenen Jahrhunderts beschloss der chinesische Diktator Mao Tsetung, die Sperlinge in seinem Land auszurotten, er war der Meinung, sie würden seiner Bevölkerung das Getreide wegfressen. Alle mussten mithelfen: Nester wurden geplündert, Vögel verjagt, erschlagen und erschossen. Bis kaum noch einer lebte. Mao war nicht der Erste, der auf diese Idee kam. Überliefert ist auch von Friedrich dem Großen, dass der ein Kopfgeld auf Sperlinge aussetzte, um sie auf seinen königlichen Feldern loszuwerden. Weil Spatzen aber auch viele Insekten fressen und weniger Getreide, breiteten sich die Krabbeltiere unverhältnismäßig aus. Nirgendwo waren die Auswirkungen schlimmer als in China. Dort waren es besonders die Heuschrecken, die sich maximal vermehrten und Feld um Feld die Getreideernte vernichteten. Viele Millionen Chinesen sind damals verhungert. Als der Zusammenhang klar war, ließ man Spatzen aus der Sowjetunion importieren. Mittlerweile ist der Spatz wieder heimisch, aber die Bestände sind längst noch nicht so groß, wie sie mal waren.

Ich bin nun weder Philosophin noch Psychologin, aber das ist das Ergebnis, das sich aus Gesprächen und Recherchen ergeben hat. Es hilft mir, eine plausible Erklärung für das irrationale Verhalten zu finden, das Gärtnernde in ihrem kleinen Stück vom Paradies beständig Krieg führen lässt: literweise Gift verspritzen, um es von Moos und Blattläusen zu befreien, es in einen Hochsicherheitstrakt verwandeln und ständig auf der Lauer liegen, was als Nächstes kommen könnte, um es auszureißen oder zu vernichten – statt die üppig lebende Natur um sich herum zu genießen und möglichst in Frieden mit allen zu leben.

Ich bin Naturwissenschaftlerin und ein aufgeklärter Mensch, der sich an Fakten orientiert, auch wenn ich mir Käfer über die Hand laufen lasse und meine Taubenfrau, die über der Haustür in der Rose brütet, Mimi getauft habe. Deshalb finde ich Wissen so wichtig. Nicht nur Faktenwissen, auch wenn das immens hilfreich ist, um zu unterscheiden, was stimmt und was nicht. Ich möchte auch wissen, wie das menschliche Gehirn funktioniert, zum Beispiel frage ich mich oft, warum es alte Mythen für wahr hält und neue Fakten nicht. Dazu ein weiterer Erklärungsversuch: Das Gehirn arbeitet höchst effizient. Früher war Nahrung und damit die Energie meist knapp, das Gehirn braucht aber viel Energie zum Denken. Wenn das Gehirn in den meisten Fällen automatisiert arbeitet und nicht alles dreht, wendet und hinterfragt, kommt sein Mensch besser durchs Leben und hat mehr Energie für andere Dinge übrig. So kann ich mir die oft sehr einseitige Sicht auf die Welt erklären. Schublade auf, Gedanke rein: Ameise gesehen, krabbelnde Gefahr, drauftreten. Dazu kommen noch Emotionen, ein bisschen Sensationslust und Fantasie und schnell wird aus einer Kleinigkeit ein Mega-Drama, über das alle reden: Fremde Giftraupe schießt mit Haarpfeilen von deutschen Eichen, Lebensgefahr!

Diese Gefühle und Gedanken zu haben, kann man nicht abstellen, aber sich nicht davon leiten zu lassen, das geht. Mit Wissen kann man Urängste erkennen und besänftigen, weil man Argumente dagegen hat. Auch sich selbst gegenüber. Indem man reflektiert darüber nachdenkt oder, bildlich gesprochen, diese verhuschte Urangst von der Schulter nimmt, ihr ins Gesicht schaut und sagt: »Du meinst also, es passiert etwas Schlimmes, wenn eine Spinne auf meiner Gartenliege hockt, dann kann ich verstehen, dass Du Alarm schlägst.« Zu sich selber kann man sagen: »Gut möglich, dass sie wieder übertreibt, sie sieht ja immer nur das Schlimmste und als sie klein war, wusste sie noch nicht, dass Spinnen ganz harmlos sind.« Und dann kann ich entscheiden, Spinne Spinne sein zu lassen oder wegzujagen. Sie töten, um eine Gefahr abzuwehren, die nicht vorhanden ist, oder um meine Angst davor zu kompensieren, muss ich dann aber nicht.

Nahrungskette oder Nahrungsnetz

Mit »Nahrungskette« beschreiben Biologen den Umstand, dass Lebewesen ernährungsmäßig voneinander abhängig sind. Schematisch betrachtet, steht am Anfang eine Pflanze, die von einem Pflanzenfresser gefressen wird, der von einem Fleischfresser gefressen wird, und der dann wieder von einem größeren Beutegreifer. Dieses Schema entspricht nicht der Realität, denn meistens frisst ein Pflanzenfresser mehrere Pflanzen und es gibt auch Allesfresser, die Pflanzen und Tiere fressen. Zeichnet man das auf, beispielsweise all die Lebewesen in einem Garten, und zeichnet die Verbindungen ein, dann sieht das Ganze eher aus wie ein Netz. Außerdem gibt es ja auch noch die Destruenten, die dann wieder die toten Raubtiere, aber auch alle anderen organischen Substanzen fressen und in den Nährstoffkreislauf zurückführen. Deshalb stellen Nahrungsnetze die komplexen Zusammenhänge im ökologischen System viel besser dar.

Wissen ist auch Macht. Denn die Urängste sind ja nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die Natur will uns nichts Böses, aber sie ist auch kein Paradies oder wie man heute sagen würde: Das Leben ist kein Ponyhof. Manches Tier-, Pflanzen- oder Pilzwesen ist eine Gefahr für den Menschen. Es gibt Konflikte. Nur weil eine Ratte nicht aus Boshaftigkeit an unsere Vorräte geht, Mücken unser Blut nicht aus Mordgier anzapfen und die Brennnessel uns ihr Gift nicht aus Gehässigkeit unter die Haut spritzt, heißt es nicht, dass wir es nicht gerne verhindern würden.

Es besteht ganz nüchtern gesagt an manchen Stellen ein Interessenskonflikt. Da wir genauso Kinder des Universums sind, dürfen und müssen wir an manchen Stellen Grenzen setzen und uns informieren, wie das am besten funktioniert. Wer beispielsweise weiß, wie sich Giersch vermehrt und woher er seine Stärke bezieht, weiß, wann er am besten eingreifen kann. Wer weiß, in welchem Moment er aufpassen muss, tötet nicht wahllos und grundlos, sondern schützt sich selbst. Man passt gut auf sich und die Seinen auf und ist gut zu den anderen. Leben und leben lassen.

Wissen gibt die Macht, sie so zu nutzen, dass man »auf der hellen Seite« steht. Und es hilft, in Frieden zu leben. Je naturnäher und lebensvoller ein Garten ist, desto friedlicher ist er. Leben und leben lassen heißt zwar auch oft fressen und gefressen werden. Aber diese Drecksarbeiten muss dann nicht der Gärtnernde erledigen, das macht das Nahrungsnetz ganz von allein. Maulwürfe und Wühlmäuse, Marder und Vögel, Ameisen und Ohrenkneifer. Friede den Maulwürfen heißt deshalb: Frieden im Garten. Und vor allem Frieden für uns Gärtnernde. Und dann kommen wir dem Paradies schon ein bisschen näher.

Plagen und Bösewichter – vom Allgemeinen zu den Details

Warum dieses Buch nicht als schneller Problemlöser gegen Allesfresser und Blutsauger funktioniert, aber gerade deshalb das Gärtnerleben leichter macht

Plagen und Bösewichter, so haben wir die Protagonisten dieses Buches im Untertitel benannt. Es ist ein Versuch, Begriffe wie Unkraut, Ungeziefer, Schädlinge, Wildwuchs oder Dreck zu vermeiden, genauso aber auch die positiven Gegenbegriffe: Wildkraut, Beikraut, Nützling. Weil beides den anthropozentrischen Standpunkt zementiert: zu entscheiden, was gut, wertvoll und richtig ist und was und wer nicht. Als Mensch kann man diesen Standpunkt eigentlich gar nicht verlassen. Aber wenn man sich dessen bewusst ist, wird es leichter, nicht einfach wie ferngesteuert zu handeln, sondern sich mit Verantwortung und Augenmaß gut um sich selbst zu kümmern und gleichzeitig gut für die Natur und die Artenvielfalt zu sorgen.

Deswegen habe ich das Buch nach möglichen Konfliktfeldern sortiert und die unterschiedlichen Interessen dabei möglichst neutral dargestellt. Dazu ein Beispiel: Es gibt Museumskäfer, marienkäferähnliche, bräunliche Käferchen, die man im Frühsommer auf Schafgarbe und anderen Doldenblütlern krabbeln und knabbern sehen kann. Ihre Larven ernähren sich von Fell und Federn, von dem, was übrig bleibt, wenn ein Tier stirbt. Wir Menschen sagen dann: »Es zersetzt sich mit der Zeit.« Was nicht stimmt, es wird zersetzt, von Bakterien, Pilzen, Käfern und Fliegenlarven und noch Hunderten anderen Lebewesen, in einer komplexen und perfekt aufeinander abgestimmten Teamarbeit. Schön eigentlich, das alles soll ja nicht ewig rumliegen. In einem Museum ist das allerdings anders. Da gibt es aufgespießte Schmetterlinge, ausgestopfte Vögel und Raubtierfelle, ausgestellt für die Ewigkeit und als Mittel, Wissen zu vermitteln. Sind die Museumskäfer dort Schädlinge? Oder der Mensch, der ihre Nahrung in Vitrinen stellt und dem Kreislauf der Natur entzieht? Oder stehen da einfach zwei Bedürfnisse miteinander im Konflikt?

Solche Interessenskonflikte gibt es viele. Ob es nun Käfer in den Vorräten oder Motten im Kleiderschrank sind, Vögel, die unsere Hauswand vollklecksen, der Giersch, der unser Kräuterbeet überwuchert, Moos in den Pflasterfugen oder die Haare des Eichenprozessionsspinners, die Quaddeln hinterlassen, und Hunderte, Tausende, Hunderttausende mehr. Darüber gibt es regalmeterweise Literatur und unzählige Einträge im Internet. Von diesen Konflikten sind im Buch nur einige beispielhaft beschrieben, denn das zugrunde liegende Prinzip ist immer ähnlich und jede und jeder muss für sich selbst einen passenden Umgang finden und dann danach handeln.

Was nicht geboten wird: konkrete Unkraut- und Schädlingsbekämpfungstipps, also Tötungs- und Vergrämungsmethoden, keine Gifte, auch keine zugelassenen, keine Hausmittel oder ökologische Alternativen, um Pflanzen oder Tieren den Garaus zu machen. Möge das in die Internet-Suchmaschine eingeben, wer will, ich empfehle nichts davon. Außer: bei einer wirklichen Gefahr für Leib und Leben einen Fachmenschen einzuschalten. Ansonsten ist meine Auffassung: Wem die Natur für einen Wimpernschlag der Erdgeschichte einen Garten anvertraut hat, der sollte nicht wild um sich schlagen. Daher bekommen Sie auch keine »moralischen« Argumente für eine Vernichtung. Also so was wie: ist Neophyt und invasiv, allergen, Krankheitsvektor, Ernteschädling – und muss unbedingt beseitigt werden.

Was ich gerne weitergebe, ist Wissen. Aber ich halte mich weder mit dem Anspruch auf Vollständigkeit auf noch mit der exakten wissenschaftlichen Bezeichnung. Manchmal nenne ich noch nicht mal die genaue Art, sondern verwende die gebräuchliche Bezeichnung. Alle Biologen mögen es mir verzeihen.

Es soll ein Lesebuch sein, für Gärtner und Gärtnerinnen, kein Fachbuch für die Landwirtschaft. Es geht mir auch nicht darum, die Ernährung von acht Milliarden und mehr Menschen auf unserem Globus sicherzustellen. Wobei ich, und mit mir zahlreiche andere auch, davon überzeugt bin, dass Lebensmittelerzeugung auch anders gehen kann und muss, wie sie größtenteils betrieben wird. Aber das ist ein anderes Thema.

Ich werden auch keine empirischen Beispiele aufzählen, keine Tabellen mit lateinischen Fachbegriffen erstellen, Schadenssummen, Kosten und Artbezeichnungen, keine Studien zitieren und die Seiten auch nicht mit Quellenangaben, Fußnoten und Zitaten füllen.

Alles, was hier steht, habe ich mal gelernt, gelesen, erfahren, gesehen, gehört, ausprobiert. Aber es ist nur eine Momentaufnahme. Wissenschaft entwickelt sich weiter und wird vom Zeitgeist beeinflusst. Bleiben Sie also auch in Zukunft offen und interessiert, nur weil es heute hier steht, heißt es nicht, dass ein bestimmtes Detail in ein paar Jahren nicht schon ganz anders sein kann.

Was ich gerne weitergebe, ist ein Konzept, um mit Konflikten umzugehen. Nicht nach einem festen Schema, sondern mit Gefühl für die Zukunft. Ich lade Sie ein, genau hinzuschauen und sich zu informieren. Besteht wirklich Gefahr für Leib, Leben und Ernte – Stichwort Wissen – und wie kann ich mich und die Meinen schützen? Oder geht hier ein alter oder neuer Mythos um? Besteht eine ernsthafte Bedrohung oder ist die Situation einfach nur anders, als ich sie gerne hätte? Weniger ordentlich, weniger kontrollierbar? Was dann aber dazu gehören würde, zum unparadiesischen Gesamtpaket, das man das wahre Leben nennt.

Und ich hoffe natürlich, Sie bekommen auch gute Unterhaltung. Und deswegen kommen wir jetzt erst mal zum Wetter. Das hat durchaus seinen Sinn, denn das Wetter ist eigentlich die größte Plage: Es kann uns die Petersilie verhageln und die Ernte wegschwimmen lassen, das grüne Wohnzimmer verbrennen und Stein und Bein frieren. Man kann nichts tun, als sich über die Wetteraussichten zu informieren und sich und seinen Garten darauf einzustellen, kurz- und langfristig, und damit zu leben. Warum in einem Buch über Plagen und Bösewichte das Wetter vorkommt? … Weil man dagegen doch eigentlich auch nichts tun kann, außer sich informieren und sich darauf einstellen und damit leben … genau. Mein Sohn würde sagen: merkste selbst.

Die eigentlich spannende Frage finde ich, ist, warum wir es den Wespen persönlich übel nehmen, wenn sie uns den Kaffeeklatsch im Garten sprengen, oder der Blattlaus, wenn sie ein paar Rosenblätter zerstört. Dem Gewitterregen mit Hagel und Sturm aber nicht.

Eine klare Antwort gibt es nicht, aber es ist ein interessantes Gedankenspiel, sich zu überlegen, ob wir das Wetter an unserem Wohnort auch vernichten oder bekämpfen oder eindämmen oder regulieren würden – wenn wir es denn könnten. Und wenn ja, wie würden wir es machen? Wüssten wir überhaupt, was gut wäre, oder ist es nicht viel zu komplex, als dass wir alles durchschauen? Würden wir womöglich nur eigennützig und kurzsichtig handeln und am Ende alles viel schlimmer machen, als es durch den Klimawandel ohnehin schon ist? Ist es also ganz gut, dass es nicht geht? Könnten wir diese Demut und die Einstellung nicht auch ein bisschen auf andere Plagen übertragen? Wespen, Stechmücken, Giersch, Moos im Rasen?

Fragen, die jede und jeder nur für sich beantworten kann. Wenn man aber den Wunsch verspürt, in Frieden zu gärtnern, kann man beim Lesen dieses Buches seine persönlichen Antworten finden.

Und deswegen verlassen wir das Thema Wetter und wenden uns den Tierchen zu, die wie ein Hagelsturm über unsere Beete kommen, und den Pflanzen, die über Nacht den Boden bedecken, oder den Parasiten und Pilzen, die ganz schön an unseren Nerven zerren.

Neben einer kurzen Einführung in den typischen Konflikt lasse ich auf den folgenden Seiten die Bösewichter und Plagen selbst zu Wort kommen. Generell ist es immer heikel, Tiere und Pflanzen zu vermenschlichen. Berühmt dafür ist Alfred Brehm mit seinem mehrbändigen illustrierten »Thierleben«, der schon zu seinen Lebzeiten im 19. Jahrhundert von Kollegen aus der Wissenschaft scharf dafür kritisiert worden war. Wegen der Unsachlichkeit – die für viele genau den Reiz ausmacht –, den ausführlichen verständlichen Beschreibungen, auf »Du und Du« mit den Tieren, nicht nur eine nüchterne Aneinanderreihung von biologischen Fachbegriffen. In Brehms Tierleben wird geliebt und gehasst, genossen und gelitten.

Ungebetene Gäste im Haus