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Florians Leben gleicht einer Achterbahnfahrt. In einem Moment läuft für ihn noch alles super und schon im nächsten Augenblick steht er ohne Job und ohne Frau da. Beim Versuch sein Leben beruflich und privat wieder in geordnete Bahnen zu lenken, muss er schon bald die nächsten Tiefschläge einstecken. Er fühlt sich vom Schicksal betrogen und wittert dann eine Chance es allen heimzuzahlen, als sich ihm eine unerwartete Gelegenheit bietet. Doch die Dinge laufen nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hat und es offenbaren sich unvorhergesehene menschliche Abgründe.
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Seitenzahl: 228
Veröffentlichungsjahr: 2020
Michael Jacobs
Die Liebesachterbahn
Eine humoristische Irrfahrt durchs Leben
© 2020 Michael Jacobs
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: 978-3-347-18912-6
Hardcover: 978-3-347-18913-3
e-Book: 978-3-347-18914-0
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Dieses Buch ist gewidmet meiner geliebten Frau. Ich bin glücklich Dich gefunden zu haben und immer an meiner Seite zu wissen.
In Liebe M.J
Prolog
Ein Hauch von Sommer lag in der Luft. Die Sonne schien hell. Keine Wolke am Himmel. Der junge Mann am Steuer des schicken Cabriolets konnte die Wärme der Sonnenstrahlen auf seiner Haut spüren. Sein Haar wehte ein wenig im Wind. Zumindest soweit dies mit seiner Haarlänge möglich war.
Eine dunkle Sonnenbrille schützte ihn davor geblendet zu werden. Zusätzlich zu der Sonnenbrille trug er noch ein Lächeln im Gesicht. Und das war nicht selbstverständlich. Schließlich hatte er eine harte Zeit hinter sich. Mit vielen Aufs und Abs. So als würde sein Leben einer Achterbahnfahrt gleichen.
Aber auch seine Begleiterin konnte ein Lied davon singen. Auch ihr Gefühlsleben wurde einmal wild durcheinander geworfen. Es war viel passiert. Und es war noch nicht allzu lange her, da alles noch ganz anders gewesen war. Aber all das war jetzt egal. Das zählte jetzt alles nicht mehr. Jetzt waren nur noch die beiden wichtig.
Zwei Herzen ein Ziel. In diesem Fall war das Ziel des frischgebackenen Pärchens der nahe gelegene Flughafen. Ein gemeinsamer Liebesurlaub stand an. Das war ursprünglich so zwar nicht geplant gewesen, aber es kam ihnen sehr gelegen in Anbetracht der aufreibenden Ereignisse der letzten Zeit. Es würde ihnen gut tun endlich mal rauszukommen. Einfach mal weg. Auf diese Weise hätten sie eine Gelegenheit all das zu verarbeiten, was in den letzten Monaten passiert war. Es war alles so verrückt, dass sie es selbst noch nicht glauben konnten. So wie die Tatsache, dass ausgerechnet diese beiden, an diesem Tag, gemeinsam auf dem Weg waren sich voll und ganz ihrer Liebe hinzugeben. Einer wahren Liebe.
Der junge Mann hatte das Finden der wahren Liebe einmal mit einem Musikkonzert verglichen. Dort gab es immer zwei Typen. Der eine versuchte verzweifelt ein Ticket zu kaufen und der andere wiederum versuchte sein Ticket zu verkaufen. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund fanden sich diese beiden Typen nie. Der junge Mann war froh, dass er es geschafft hatte diesen Kreis zu durchbrechen. Er hatte sein Ticket gefunden. Sein Ticket ins Glück. Und der jungen Frau, die nun den Platz auf seinem Beifahrersitz eingenommen hatte, ging es ebenso. Und so folgten sie den Anweisungen des Navigationsgerätes und strahlten mit der Sonne um die Wette.
Als sie am Flughafen angekommen waren und endlich einen Platz in dem großen Parkhaus direkt neben dem Hauptterminal gefunden hatten, schloss der junge Mann das Verdeck und holte die beiden großen Reisetaschen aus dem Kofferraum. Dann machten sie sich Hand in Hand auf den Weg zum Hauptgebäude. Zwischendurch tauschten sie immer wieder kleine Küsschen und liebevolle Zärtlichkeiten aus. Sie konnten nicht anders. Schließlich waren sie frisch verliebt. Und sie hatten einiges aufzuholen.
Der Weg zum Check-In Schalter durch die langen Flure und großen Hallen des Flughafengeländes schien endlos zu sein. Aber das störte die beiden nicht. Sie hatten es nicht eilig. Sie hatten alle Zeit der Welt. Die ganze Welt drehte sich nur um die beiden. Sie stellten das krasse Gegenteil dar zu der sonst vorherrschenden Hektik an diesem Ort. Sie waren der Ruhepol in mitten eines Gewusels aus Menschen, das von oben betrachtet aussehen musste wie eine Ameisenstraße mit viel Betrieb. Alle wollten nur so schnell wie möglich von einem Punkt zum anderen. Aber zwei Ameisen schwammen gegen den Strom. So als seien sie Lachse. Zwei Lachse in mitten einer Ameisenstraße.
Als sie den Schalter erreicht hatten, mussten sie noch eine Weile an der davor befindlichen Schlange anstehen, bevor sie an der Reihe waren. Nach einer kurzen Wartezeit übergab der junge Mann die Reisedokumente an die ältere Dame, die am Schalter saß und die beiden zu sich rüber gewunken hatte.
„Ah ja, die Flitterwochenreise. Dann bräuchte ich aber noch den Personalausweis von Ihnen und Ihrer Frau“, sagte sie und deutete dabei in Richtung der Begleiterin des jungen Mannes.
Dieser wiederum zögerte etwas ob der Aufforderung.
„Nun ja. Da gibt es noch ein kleines Problem.“, erwiderte der junge Mann.
Er drehte sich einmal kurz um zu seiner Begleiterin und dann wieder zurück zu der Dame am Schalter.
„Genaugenommen ist meine Frau gar nicht hier. Stattdessen wird dieses bezaubernde Fräulein mich auf dieser Reise begleiten.“
Die Flughafenangestellte wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte und schaute den jungen Mann zunächst etwas irritiert an, bevor sie eine Antwort hervorbringen konnte.
„Sie meinen, Sie haben diese Flitterwochenreise gebucht für Sie und Ihre Frau. Aber Ihre Frau haben sie zu Hause gelassen und stattdessen diese junge Dame mitgebracht.“
Der Blick der Dame am Schalter barg nun eine gewisse Strenge in sich.
„Ich bin hier zwar nicht die Beauftragte für moralische oder ethische Missstände, aber im Namen aller Frauen hoffe ich doch, dass Sie dafür eine anständige Erklärung haben.“
Der junge Mann drehte sich erneut zu seiner weiblichen Begleitung um und lächelte sie sanft an.
„Die habe ich. Allerdings muss ich sie vorwarnen. Das ist eine etwas längere Geschichte.“
Kapitel 1 – Abwärts
Beep, beep, beep. 05: 51 Uhr zeigten die analogen Zeiger auf der Digitaluhr an, die auf dem kleinen Nachtisch neben dem Bett stand. Mit geschlossen Augen benötigte Florian vier Versuche, um die Schlummertaste zu erwischen, welche das nervtötende Geräusch des Weckers endlich zum Verstummen brachte. Neun Minuten würde ihm das jetzt verschaffen, dachte er. Man könnte meinen er sei entweder perfektionistisch veranlagt oder er gäbe sich hin und wieder gewissen Zwangsstörungen hin, je nachdem wie man das sehen mochte.
Jedenfalls hatte er aus dem einem oder dem anderen Grund den Wecker auf genau neun Minuten vor sechs Uhr früh gestellt. Inklusive der neun Minuten Schlummerzeit, kam er so auf eine Aufstehzeit von Punkt sechs Uhr. Um diese Uhrzeit stand er jeden Morgen auf, mit Ausnahme an Wochenenden und Feiertagen. Warum er den Wecker nicht direkt auf sechs Uhr stellte und die neun Minuten somit automatisch in der originären Schlafphase aufgingen, wusste er jedoch selbst nicht so genau. Richtigen Schlaf fand er in diesen neun Minuten jedenfalls nicht mehr. Vielleicht war das so eine psychologische Sache, legitimierte er sein Verhalten sich selbst gegenüber.
So oder so war es seiner Meinung nach viel zu früh, um aufzustehen. Allerdings leider notwendig. Denn nur so hatte er eine Chance, ohne den morgendlichen Stau zur Arbeit durchzukommen. Fuhr er nur etwas später los, wars das. Dann brauchte er mindestens eine Stunde an statt der 20 Minuten, die er sonst benötigte.
Beep, beep, beep. 06: 00 Uhr. Nun war keine weitere Verzögerung mehr möglich. Florian kämpfte mit aller Macht gegen die Schwerkraft an, die seine Augenlider gnadenlos nach unten drückte. Dieser verdammte Newton.
Oberkörper aufrichten und dann die Beine aus dem Bett, um schließlich in den Stand zu kommen. Tägliche Morgenroutine. Seine Freundin Lisa war bereits im Bad, als er morgentrunken herein schlurfte.
Während Florian das warme Wasser der Regendusche genoss, machte sich Lisa hastig fertig, so wie an jedem Tag.
Normalerweise verließen die beiden gemeinsam das Haus und Florian nahm sie noch ein Stück mit, bis zu der Grundschule, die auf seinem Arbeitsweg lag und wo Lisa seit einiger Zeit als Lehrerin tätig war.
„Jetzt halt Dich mal ran. Wir haben schon 33“, rief sie ihm, mit Blick auf die Uhr, in einem recht morgenmuffeligen Ton entgegen, als er aus der Dusche kam.
„Ja, ja. Das hat der Hitler damals auch gesagt“, entgegnete er ihr mit seinem ganz persönlichen Humor, der meistens politisch nicht sonderlich korrekt war und auch nicht immer auf Verständnis stieß.
Und auch diesmal erntete er für seinen Spruch lediglich einen bitterbösen Blick. Anschließend machte sich Florian im Eiltempo fertig, denn er hatte das Gefühl, dass seine Freundin mit jeder Minute schlechter gelaunt wäre, die sie länger auf ihn warten musste.
Während er seine Haare mit etwas Gel in Form zu bringen versuchte, betrachtete er sich selbst im Spiegel. Er hatte kurzes, dunkles Haar und einen leicht braunen Teint. Das mochte er besonders an sich. Wenn er mal ordentlich Sonne getankt hatte, konnte er glatt als Südländer durchgehen. Leidglich seine fehlenden Sprachkenntnisse würden ihn auffliegen lassen.
Sprachen waren nämlich gar nicht sein Ding. Dafür hatte er eher eine Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften. Und sportlich war er. Das sah man auch seiner Figur an. Obwohl er nicht übermäßig viel für seinen Körper tat, sah er immer recht durchtrainiert aus.
Lisa hatte hingegen eine große Begabung für Sprachen. Während Florian schon Probleme hatte mit Englisch als seiner einzigen Fremdsprache, konnte Lisa dagegen vier Sprachen fließend sprechen. Wenn sie mal richtig wütend auf Florian war, dann wechselte sie beim Fluchen die Sprache, so dass er nicht verstand was sie sagte. Er konnte dann lediglich an der Tonart ihre Gemütslage erkennen.
Auch optisch unterschieden sich die beiden deutlich. Lisa hatte zwar ebenfalls eine sportliche Figur, aber ihr Haar war beinahe platinblond und neben Florian wirkte sie immer blasser als sie eigentlich war. Aber diese kleinen Unterschiede waren ihnen egal. Sie liebten sich trotzdem. Vielleicht war es das Prinzip der sich anziehenden Gegensätze gewesen, welches sie zusammengebracht hatte.
„Sind wir bald mal fertig?“, rief sie in einem leicht gereizten Ton nach oben.
Am frühen Morgen eines Arbeitstages war das mit der Liebe immer ein bisschen relativ. Florian musste sich jetzt sputen.
Als er fertig war, eilte er die Treppe mit großen Schritten herunter. Im Anschluss daran verließen die beiden schweigend das Haus, begaben sich ins Auto und fuhren los.
Nachdem er Lisa an der Grundschule abgesetzt hatte, fuhr er auf die Autobahn. Stau! Na toll, dachte er. Wieso ist hier eigentlich ständig Stau? In Bayern müsste man wohnen. Dort sind die Straßen und die Infrastruktur hervorragend ausgebaut und gut in Schuss. Es muss irgendeine besondere Beziehung zwischen dem Verkehrsministerium und Bayern geben, dass das da so gut funktioniert. In NRW ist es jedenfalls eine Katastrophe mit dem Verkehr.
In der Politik wurde seit Ewigkeiten vehement die Notwendigkeit eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen diskutiert. Dabei fragte sich Florian, warum darüber überhaupt gestritten wurde. Denn eigentlich gab es durch die unzähligen Baustellen und Staus auf den Straßen eigentlich schon längst ein implizites Tempolimit. Freie Strecken, wo man entspannt das Gaspedal durchdrücken konnte, gab es so gut wie gar nicht. Zumindest nicht auf den Strecken, wo Florian unterwegs war.
Naja, wenigstens die Industrie für Verkehrsschilder in Deutschland schien auf lange Zeit zukunftssicher zu sein. Anders war es jedenfalls nicht zu erklären warum man auf einem kurzen Autobahnabschnitt von wenigen Kilometern unzähligen Schildern begegnete, mit diversen Gefahrenhinweisen und Warnungen, sowie eines kontinuierlichen Wechsels der aktuell gültigen Geschwindigkeitsbeschränkung.
Im Radio lauschte Florian einem Bericht über die Demonstrationen gegen den geplanten Gesetzentwurf der EU zum Schutz des Urheberrechts im Internet. Aus Solidarität kündigte Wikipedia an am kommenden Donnerstag den Zugang zum größten Online-Lexikon für einen kompletten Tag zu sperren, ließ der Nachrichtensprecher verlauten.
Da mittlerweile die Kinder freitags sowieso nicht mehr in die Schule gingen, bietet sich der Donnerstag da wohl an, dachte sich Florian. So kriegen die wenigstens keine Probleme mit ihren Hausaufgaben oder anstehenden Referaten am Freitag, welche sie dann am Donnerstag hätten vorbereiten müssen.
Als er endlich den Stau auf der Autobahn hinter sich gelassen hatte, drückte er auf der Landstraße etwas aufs Gas, denn er wollte nicht in die Parkplatzproblematik laufen.
Florians Arbeitgeber hatte hier seinerzeit bei der Planung wohl auf das „Reise nach Jerusalem“-Prinzip gesetzt. Im Klartext heißt das, dass es auf dem Firmengelände weniger Parkplätze gibt als Angestellte mit Autos. Diejenigen, die auf dem Gelände keinen freien Platz mehr fanden, waren somit gezwungen außerhalb, irgendwo an der Straße eine Parkmöglichkeit zu suchen.
Das Dumme hierbei war, dass dort zum einen meist auch immer alles besetzt war durch die Mitarbeiter der umliegenden Firmen. Zum anderen musste man ein gutes Stück zu Fuß bis zum Haupteingang des Gebäudes laufen. Das war besonders an den Tagen eine große Freude an denen es in Strömen regnete.
Bei der Einfahrt auf das Firmengelände entdeckte Florian mit großer Erleichterung, dass noch genau ein Parkplatz frei war. Glück gehabt.
Zielstrebig fuhr er darauf zu, als ihn plötzlich ein Schrecken durchfuhr, verursacht durch ein lautes und unerwartetes Hupen. Reflexartig trat er auf die Bremse, brachte sein Auto zum Stehen und drehte seinen Kopf wild aufgeschreckt in alle Richtungen, um erkennen zu können was passiert war.
In diesem Moment sah er wie der Porsche Boxster seines Kollegen vorbeifuhr und ihm mit einem an Dreistigkeit kaum zu übertreffenden Selbstverständnis den letzten freien Parkplatz wegschnappte.
Dieser Armleuchter, dachte Florian, wobei Armleuchter nicht das eigentliche Wort war, was er im Sinn hatte. Dieser arrogante Fatzke. Dieser Intelligenzallergiker. Der Typ war das Ergebnis des Paarungsversuches einer mit Analkrebs verseuchten, im Solarium eingeschlafenen Kackbratze und eines Steroide fressenden Alpha-Kevins, der beim Idiotentest schon so oft durchgefallen war, dass er froh sein konnte wenigstens den Schwangerschaftstest bestanden zu haben.
Florian musste kurz durchatmen, bevor seine Gedanken mit ihm noch völlig durchgingen. Hans-Martin war der Name seines Kollegen, über den er sich gerade so aufregte. Er war noch relativ neu in der Firma, hatte aber einen guten Draht zum Geschäftsführer und führte sich gegenüber den anderen Kollegen schon selbst wie ein Chef auf, obwohl diese teilweise bereits seit vielen Jahren dort beschäftigt waren. Der Typ hatte inhaltlich nichts auf dem Kasten, konnte bloß große Rede schwingen und Florian fragte sich, wie man mit so einer Nummer überhaupt durchkommen konnte. Aber das war in manchen Fällen scheinbar durchaus möglich, wie das Beispiel von Hans-Martin zeigte.
Darüber hinaus schien er auch ein elender Frauenheld zu sein. Ständig hatte er eine neue Gespielin. Er erinnerte sich daran wie ein Kollege einmal scherzhaft über ihn sagte: „Hans-Martin. Übrigens nicht zu verwechseln mit Sankt Martin. Der eine teilt seinen Mantel mit den Armen. Der andere teilt sein Bett mit den Weibern.“
Das war eine sehr treffende Feststellung, wie Florian befand.
Jetzt blieb ihm aber erstmal nichts anderes übrig, als umzudrehen und doch einen freien Parkplatz an der Straße zu suchen, den er schließlich auch zweihundert Meter weiter fand.
Als Florian den Motor abstellte, hörte er das leise Prasseln von kleinen Regentropfen auf dem Autodach, welches sich in der Intensität und Lautstärke immer weiter steigerte. Florian erinnerte sich daran, dass er seinen Regenschirm zu Hause im Schirmständer hatte stehen lassen. Na toll, dachte er. Der Tag wird ja immer besser.
Florian war bereits stark durchnässt, als er den Eingang des Firmengebäudes erreichte. Sein Büro befand ich im dritten Stock des modernen Komplexes. Die Treppen bis dorthin zu gehen waren für ihn keine Option und so nutzte er wie an jedem Tag den Fahrstuhl.
Einer seiner neueren Kollegen hatte ihn einmal gefragt, warum er denn nicht die Treppe nehmen würde. Etwas Bewegung würde ihm guttun. Das war zwar nicht so anmaßend gemeint, wie es rüberkam, aber Florian wollte deswegen auch kein Fass aufmachen und hatte dem Jungspund entgegnet, dass er einfach sehr technikaffin sei und deshalb den Lift nähme.
Vom Fahrstuhl aus waren es noch ein paar Meter über den breiten Flur, bis er sein Büro erreichte. Es war ein großer Raum, in dem problemlos sechs Leute Platz fanden. Alle Büros waren nach dem sogenannten Flex-Prinzip ausgestaltet, so dass sich theoretisch jeder Mitarbeiter an jeden Arbeitsplatz setzen und dort arbeiten konnte.
In der Praxis hatte sich das so jedoch nicht durchgesetzt, da sich alle Mitarbeiter einfach immer wieder an den selben Platz setzten. Mit der Zeit hat sich dann doch wieder eine feste Platzordnung eingeschlichen mit dem Unterschied, dass sich auf den Schreibtischen so gut wie keine persönlichen Gegenstände befanden. Zudem gab es weder irgendwelche Pflanzen noch Bilder an den Wänden. Das war wohl laut Pflanzenkonzept so vorgesehen scherzte er mit seinen Kollegen immer darüber. Angeblich sollte das irgendwann mal geändert werden, war aber vermutlich in der Prioritätenlisten nicht sehr weit oben angesiedelt.
Die einzige Ausnahme bildete das Büro von seinem Chef. Das war im Gegensatz dazu sehr geschmack- und stilvoll eingerichtet. So unterschiedlich kann ein Pflanzenkonzept wohl ausgelegt werden.
Zu Beginn seines Arbeitstages durchstöberte Florian für gewöhnlich diverse Nachrichtenseiten im Internet während er dabei eine große Tasse gefüllt mit frisch gebrühtem Kaffee genoss. Heute ging es fast überall um den Brexit. Was für ein Unwort. Aktuell wurde wohl wieder irgendetwas verschoben, aber so richtig interessierte er sich schon lange nicht mehr für das Thema. Ihn erinnerte der Zustand der Briten als Mitglied bzw. Nicht-Mitglied der EU irgendwie an die Metapher von Schrödingers Katze, wo die Katze gleichzeitig tot und lebendig war.
Ein aggressives Telefonklingeln sorgte für ein jähes Ende seines mentalen Ausfluges in die Welt von Politik, Sport und gesellschaftlichem Klatsch. Am Apparat meldete sich Cheyenne, die persönliche Sekretärin und Assistentin seines Chefs. Jung, blond, hübsch. Allerdings nicht die hellste Kerze auf der Torte bzw. nicht der tiefste Suppenteller im Schrank.
Aber deswegen hatte sein Chef, der nebenbei gesagt verheiratet war, sie wohl auch nicht eingestellt. Hinter vorgehaltener Hand ging zumindest das Gerücht rund, dass da was lief zwischen den beiden. Aber das konnte Florian egal sein.
Er musste etwas schmunzeln, als sie ihn fragte, ob er da war. Wie sollte er denn sonst ans Telefon gehen, wenn er nicht da gewesen wäre, fragte er sich selbst. Er ließ sich allerdings nichts anmerken und das Schmunzeln war auch schnell aus seinem Mundwinkel verschwunden, denn sie bat ihn ins Büro seines Chefs zu kommen. Und zwar unverzüglich. Das war eher ungewöhnlich und konnte nichts Gutes verheißen.
Auf dem Weg ins Büro seines Chefs schossen ihm alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Was konnte er von ihm wollen? Ob er gefeuert werden sollte? Eigentlich leistete er doch immer gute Arbeit. Zumindest seiner Meinung nach. Aber in der letzten Zeit gab es einige Entlassungen und Kündigungen. Und immer mehr neue Berufsanfänger wurden eingestellt. Nach Florians Gefühl verließen alle das Unternehmen, die was draufhatten. Oder anders gesagt, die die viel kosteten. Und die Büros waren nur noch gefüllt von Grünschnäbeln und Lackaffen, die von Tuten und Blasen noch keine Ahnung hatten. Manchmal kam er sich fremd vor, wenn er über die Flure ging und nur noch in unbekannte Gesichter blickte.
Florian musste zwei Etagen nach unten, um in den Gang mit den Büros des oberen Managements zu gelangen. Langsam wurde es ihm etwas mulmig zumute. Er konnte es sich jetzt nicht leisten seinen Job verlieren. Er hatte doch Pläne. Zukunftspläne.
Ihm kamen Bilder in den Sinn von arbeitslosen Familien, die man vormittags im Fernsehen begutachten konnte auf den Sendern, die nicht gerade für niveauvolle Inhalte bekannt waren. Er stellte sie sich vor, wie sie mit ihren Jogging-Hosen und fleckigen Unterhemden Tag ein Tag aus auf der Couch saßen. Morgens schon den Vorrat an Zigaretten für den Tag drehten und bis zum Abend in die Glotze starrten, wo sie dann wiederum die Karikaturen ihrer selbst betrachteten. Ihnen müsste es so vorkommen als schauten sie lediglich in einen Spiegel, dachte er sich.
Und die Kommunikation unter ihnen war das Schlimmste von allen. Keine normalen Gespräche. Gehör konnte man sich nur durch Schreien verschaffen. Der Wortschatz war beschränkt auf das Wesentlichste. Lediglich im Bereich der Fäkalsprache schien es unendliche Möglichkeiten zu geben. Der Ton war immer harsch. Niemals so etwas wie ein liebevolles Wort. Als würde das die Idylle ihres Daseins zerstören.
Auf dem Couchtisch stand neben den notwendigen Utensilien für die Lungenbrötchenbäckerei je nach Tageszeit entweder die Kaffeetasse oder das Dosenbier. Und die einzige Form der Bewegung bestand im Aufsuchen der Toilette zur Erledigung der unvermeidbaren Geschäfte.
Florian fragte sich ob diese Abbilder der Gesellschaft real seien oder nur aus einem Becken voller Gehirne von Autoren stammten, die in ihrem Leben nichts anderes zu Papier gebracht hatten und sich auf diese Weise eine gesellschaftliche Unterschicht erschufen, die so abstoßend wirkte, dass sie so die kognitive Dissonanz zu ihrem eigenen Versagen wieder auflösen konnten.
Wie auch immer. So wollte Florian nicht enden. So konnte er nicht enden. Er verdrängte all diese Gedanken aus seinem Kopf, denn er hatte bereits das Büro seines Chefs erreicht, öffnete die Tür und trat herein.
„Haben Sie eine Idee warum Sie hier sind?“, fragte Florians Chef in einem autoritären Ton.
„Nein“, antwortete Florian etwas zögerlich und versuchte gleichzeitig all die bösen Vorahnungen aus seinem Kopf zu bekommen.
„Nun“, setzte sein Chef wieder an. Sein Ton wechselte dabei in einen gewissen monoton routinierten Klang. Als wolle er dieses Gespräch möglichst schnell abhandeln und als ob das nicht sein erstes Gespräch dieser Art war.
„Ich will nicht lange um den heißen Brei reden. Ihre Umsatzzahlen sind schlecht. Sie bringen sich nicht in die Firma ein. Im Gegenteil sogar. Ich habe bereits von verschiedenen Mitarbeitern vernommen, dass Sie sich des Öfteren kontraproduktiv für das Betriebsklima verhalten und geäußert haben. Und zu guter Letzt, sind Sie einfach zu teuer.“
Bam. Das hatte gesessen. Noch bevor Florian irgendein Wort der Rechtfertigung herausbringen konnte, legte sein Chef nach.
„Wir konnten uns ein Arbeitsleben ohne Sie nicht vorstellen, aber ab morgen wollen wir es mal versuchen. Kurzum gesagt. Sie sind gefeuert. Und nehmen Sie das jetzt nicht persönlich. Ein Blinddarm fehlt auch am Anfang, aber man kann wunderbar ohne leben.“
Florian musste schlucken und brauchte einen Moment, um erstmal seine Gedanken zu ordnen.
„Aber ich“, setzte er an in dem naiven Glauben die Situation noch retten zu können.
Aber sein Chef fiel ihm sofort ins Wort.
„Geben Sie sich erst gar keine Mühe. Die Entscheidung ist bereits getroffen. Endgültig. Und denken Sie gar nicht dran gegen diese Entscheidung in irgendeiner Form vorzugehen. Es gibt mehrere Mitarbeiter, die bei Bedarf glaubhaft bezeugen können, dass Sie sich mehrfach des Diebstahls schuldig gemacht haben.“
Jetzt wusste Florian überhaupt nicht mehr was los war. Seine Umsatzzahlen waren seiner Meinung nach gar nicht so schlecht. Er wehrte sich lediglich dagegen bei seinen Kunden zu viel abzurechnen an Leistungen, die er gar nicht erbracht hatte oder gar Stunden doppelt in Rechnung zu stellen, so wie es bei einigen seiner Kollegen bereits gängige Praxis war.
Was die anderen Punkte anging, hatte er keine Ahnung was damit wohl gemeint war. Einmal hatte er sich mit ein paar Kollegen in der Kaffeeküche etwas negativ über einige Arbeitsbedingungen geäußert, wie bspw. die geforderten Wochenarbeitsstunden, die mit dem Arbeitsrecht nicht hundertprozentig ein Einklang zu bringen waren. Oder über die Nichtberücksichtigung von Überstunden. Einer der Kollegen musste ihn deswegen angeschwärzt und als Querulanten denunziert haben. Verdammte Stasi-Methoden.
Florians Gedankenwirrwarr wurde unsanft wieder durchbrochen.
„Sie sitzen ja immer noch hier. Jetzt zeigen Sie wenigstens einmal in Ihrem Arbeitsleben ein bisschen Schwung und bewegen Ihren Allerwertesten aus meinem Büro. Ihre Papiere können Sie sich in der Personalabteilung abholen“, forderte ihn sein Chef auf zu verschwinden und deutete dabei in Richtung der Bürotür.
Florian war ziemlich geknickt, als er das Büro verließ. Alle Sorgen und Ängste, die noch vor wenigen Augenblicken nur in seinem Kopf wie Geister wild herumtanzten, waren nun bittere Realität geworden. Er wollte jetzt nur noch schnell nach Hause. Schließlich musste er das irgendwie seiner Freundin beibringen. Aus der großen geplanten Reise würde wohl erstmal nichts werden. Jetzt ging es zunächst darum wieder Fuß zu fassen. Eine Neuorientierung. Vielleicht müssten sie sich auch in Zukunft etwas mehr einschränken.
„Ach du liebes Lieschen“, dachte er laut.
„Sie wird außer sich sein. Blumen. Ich brauche Blumen.“
Als er das Gebäude verließ und sich in Richtung seines Autos aufmachte, regnete es noch immer in Strömen. Aber das machte ihm nun nichts mehr aus. Statt zu rennen schlenderte er langsam vom Firmengelände. Der Kopf gesenkt und die Kleider durchnässt vom Regen.
Dadurch war es nicht erkennbar, ob die Tropfen, die über sein Gesicht rannen vom Himmel stammen oder ihren Ursprung in seinen Augen hatten.
Nachdem er sein Auto erreicht hatte, setzte er sich hinter das Steuer und schaute noch einen Moment lang ins Leere, bevor er den Motor startete und losfuhr.
„Naja.“, sagte er sich.
„Wenigstens kann es jetzt nicht mehr schlimmer kommen.“
Auf der Fahrt nach Hause überlegte er sich verschiedene Varianten, wie er seiner Freundin die Neuigkeiten schonend vermitteln konnte:
‚Hey Schatz. Dir war doch das Klimaschutzthema so wichtig. Vielleicht sollten wir das ernster nehmen und in Zukunft weniger fliegen. Und vielleicht können wir auch auf ein kleineres umweltfreundlicheres Auto umsteigen.‘
Das ist doch Mist, dachte er. Neuer Versuch:
‚Hey Süße. Wie fändest Du es, wenn ich demnächst mehr Zeit für Dich hätte?‘
Nein, so geht es auch nicht. Das ist doch alles ein gequirlter Gruß von der Razzia im Mokkastübchen. Das muss spontan kommen. Mit dem Herzen gesprochen.
Als er in seine Straße einbog, sah er das Auto seines besten Freundes Markus vor seiner Tür stehen. Seltsam, dachte er. Was will er hier? Er weiß doch, dass ich normalerweise zu dieser Zeit nicht hier bin.
Florian stellte das Auto an der Straße ab und begab sich in Richtung Haustür. In der Zwischenzeit hatte es aufgehört zu regnen.
Beim Betreten der Wohnung sah er die Schuhe und den Mantel seiner Freundin an der Garderobe. Ist sie denn schon zu Hause, fragte er sich mit zunehmender Steigerung seines Verwirrungsgrades.
Er ging ins Wohnzimmer und konnte seinen Augen nicht trauen. Was er da sah überstieg sein Vorstellungsvermögen. Das konnte nicht sein. Überall lagen Klamotten auf dem Boden. Wild verteilt.
Wenn er mal was rumliegen ließ, wurde er unmittelbar abgewatscht und angeschnauzt und jetzt so ein Chaos hier. Das würde er ihr jetzt so richtig unter die Nase reiben.
Aber wo war sie?
Im Wohnzimmer war niemand. In der Küche auch nicht. Niemand im Bad oder in dem kleinen Raum, welcher zur Zeit noch ein kleines Büro war, aber vielleicht irgendwann mal ein Kinderzimmer sein würde.
Es blieb nur noch das Schlafzimmer übrig. Also schaute er auch dort nach und was er dann sah war für ihn ein noch größerer Schock als das Chaos im Wohnzimmer.
Als er dachte er hätte seinen Tiefpunkt heute im Büro erreicht, wo er brutal gefeuert wurde, hatte er nicht damit gerechnet. Das übertraf alles. Seine Freundin und sein bester Freund. Die Frau, die er über alles liebte. Und der Mann für den er durch das Feuer gehen würde. Markus. Der Anwalt. Aber heute hatte er Lisa ins Kreuzverhör genommen. Und zwar so richtig.
Florian schloss die Türe direkt wieder und stürmte nach draußen. Er versuchte sofort die Bilder, die er gerade gesehen hatte, wieder aus seinem Kopf zu verdrängen. Seine Gedanken und seine Gefühle überschlugen sich und er musste aufpassen, dass er sich nicht selbst überschlug beim Hinauslaufen.
Obwohl die beiden ziemlich vertieft ineinander feststeckten, hatten sie ihn bemerkt. Sie lösten sich gegenseitig aus dem Griff, für den sie bei den olympischen Spielen im Ringen wohl Gold gewonnen hätten.
Während Lisa sich gleichzeitig mit der nötigsten Kleidung bedeckte und hinter Florian her stolperte, versuchte sie ihn aufzuhalten und zu beruhigen. Florian hörte wie sie seinen Namen rief und Dinge wie:
„Das ist nicht so wie es aussieht. Wir können das erklären. Du verstehst das falsch.“
Aber Florian wollte nicht zuhören. Er wollte nicht mit ihnen reden, ihnen sagen wie sehr sie ihn enttäuscht haben. Wie sehr er verletzt war. Er wollte einfach nur weg.
Er eilte zu seinem Auto, stieg ein und fuhr los. Ohne eine konkrete Richtung. Hauptsache er fuhr einfach.
Nach einer Weile hielt er bei einem Parkplatz an und blieb stehen. Er stieg nicht aus, blieb einfach hinter dem Lenkrad sitzen und starrte durch die Windschutzscheibe in die Ferne. Er konnte es nicht fassen.