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Die Zeit von 1975 bis 1991 – in der sich das Schicksal "der Lokführerin" abspielte - war für die Eisenbahnen in Deutschland ein besonderer Abschnitt. Es war die letzte Phase einer Staatsbahn in Deutschland. Danach fielen die Bahnen wieder in ihre Anfänge zurück – in Privat- und Länderbahnen. Es war auch die Zeit, wo erstmals nach langer Zeit Strecken neu gebaut wurden (Schnellfahrstrecken für den IC und ICE-Verkehr) und wo West und Ost wieder zueinander fanden (Vereinigung der Bundesbahn mit der Reichsbahn). Natürlich war es auch die Zeit wo Frauen endlich in allen Ebenen vordringen konnten. Sophia Fuhrmann hatte sowohl im schweren Güterzugverkehr wie im ICE-Traktionsdienst die letzten Hürden (Männerdomänen) genommen. In dieser Epoche war noch ein starker Gemeinschaftssinn unter den Eisenbahnern zu spüren. Die Bahn war gewissermaßen ein großer Familienbetrieb. Man fühlte sich nicht als Söldner im Eisenbahnerheer sondern als Teil des Unternehmens. Dies kommt besonders in den Handlungen „der Lokführerin“ zum Ausdruck. Die Erzählung ist daher auch ein vom Leben geschriebenes historisches Dokument jener Ära.
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Seitenzahl: 69
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Die Dampfmaschine, die James Watt verbessert hatte, wurde bald auch im mobilen Bereich eingesetzt. Die dominanteste Anwendung erfolgte in Schienenfahrzeugen. Wohl keine Erfindung des 19. Jahrhunderts hat die Lebensbedingungen und den Erfahrungshorizont der Menschen so radikal geändert wie die Eisenbahn. Auch im Bereich von „Frauen in Männerdomänen“ und der Gleichstellung von Mann und Frau, spielte die Eisenbahn eine bedeutsame Rolle. Die Geschichte „der Lokführerin“ nimmt uns unmittelbar hinein, sowohl in das Gesellschaftsgeschehen wie in den Eisenbahnbetrieb.
Zum Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Eisenbahnnetz auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reichs bereits auf 6.000 Kilometer angewachsen. Die Ausbaugeschwindigkeit des stählernen Netzes erfolgte in Deutschland mit einem Tempo, das alle anderen werdenden Industriestaaten übertraf. Die Vereinigten Staaten wurden um das dreifache und England und Frankreich um das Doppelte übertroffen. Zweifelsohne hatte die Eisenbahn eine maßgebenden Anteil daran, das Deutschland sich von den schlimmen Folgen des verheerenden 30jährigen Krieges erholen und zu einer bedeutenden Industrienation aufsteigen konnte.
Mit dem neuen aufstrebenden Verkehrsmittel verbanden sich hochgespannte Erwartungen. Für die damaligen Zeitgenossen verkörperte die Eisenbahn Aufbruchstimmung, Zukunftserwartung und Fortschritt. Die Bahnhöfe in den großen Städten wurden zu „Kathedralen des Fortschrittes“. Diese Bauwerke der Moderne wurden manchmal, wie in Köln, direkt neben den eigentlichen Kathedralen errichtet und in ihnen entfaltete sich die säkulare Religion des 20. Jahrhunderts. Die Religion der Technik und des Fortschrittes. Die Erzählung von Sophia Fuhrmann – unserer Lokführerin, trägt daher auch unverkennbar pseudo-religiöse Züge. Von daher erklärt sich, dass alles was mit der Eisenbahn zusammenhing mit der größten Aufmerksamkeit und weitgehender Zustimmung aufgenommen wurde. Das Interesse an der Eisenbahn durchdrang alle Volksschichten. Millionen ließen sich von einem neuen Lokomotivtyp faszinieren. Spielzeugeisenbahnen aus Holz und Blech waren der Traum eines jeden Kindes. Die Firma Märklin präsentierte 1891 auf der Leipziger Frühjahrsmesse die erste auf Schienen laufende Modelleisenbahn, die einen förmlichen Boom auslöste.
Vor diesem faszinierenden Hintergrund fiel es nicht schwer, trotz mäßiger Bezahlung, den Nachwuchs für das ständig wachsende Riesenheer der Eisenbahner zu rekrutieren. Kaum gab es einen Jungen der nicht einmal Lokführer werden wollte. Selbst der kleinste Schaffner nahm noch Teil an der Aura der Modernität die das neue Verkehrsmittel umgab. 26.000 Personen hatten die Bahnen bereits 1850 beschäftigt. Sie waren schon damals der größte Arbeitgeber in Deutschland. 1873 war die Zahl der Eisenbahner auf 234.000 Personen gestiegen. Die Einbindung der Familie in die „Gemeinschaft der Eisenbahner“ war damals schon eine „Geschäftspolitik“ der Eisenbahnverwaltungen. Als in diesen Jahren erstmals auch Frauen eingestellt wurden, handelte es sich zumeist um erwachsene Töchter, später auch Frauen von Eisenbahnangestellten. Noch 1892 heißt es in der Enzyklopädie des Eisenbahnwesens unter dem Stichwort Frauen: „Man beschäftigte gewöhnlich weibliche Angehörige von Beamten und besserte damit einerseits die Lage der Beamten und förderte andererseits durch die geringe Bezahlung der Frauen die Ökonomie in der Verwaltung.“ Auch im Beamtendienst wurden in dieser Zeit bereits unverheiratete und verwitwete Frauen ohne unmündige Kinder beschäftigt. Ihre Anstellung stand allgemein unter dem Vorbehalt, dass sie unverheiratet blieben. Ihr Beamtenstatus war dementsprechend mit dem Zölibatsgebot verbunden. Sicherlich handelte es sich bei der Anstellung von Frauen damals um keine soziale Leistung der Bahnverwaltung, geschweige denn um eine Politik der Gleichstellung von Mann und Frau am Arbeitsplatz.
Im letzten Friedensjahr 1913, waren bei den deutschen Staatsbahnen (90% der deutschen Eisenbahnen) rund 700.000 Personen angestellt, davon fast 40% als Beamte. Während des Ersten Weltkrieges stieg die Anzahl der Eisenbahner noch einmal beträchtlich. Dabei nahm auch die Zahl der Frauen stark zu. Sie wurden während des Krieges im Betriebsdienst, der Bahnunterhaltung und in den Werkstätten eingesetzt. Ihr Anteil betrug in der Hochphase knapp 15% gegenüber einem Vorkriegsanteil von 1,6%. Nach dem Krieg blieb die Zahl der Frauenarbeitsplätze bei der Bahn, trotz einer großen Frauenkündigungswelle, über dem Vorkriegsniveau. Sie hat 1919 etwa 30.000 betragen. Die Schaffnerin oder Fahrkartenverkäuferin gehörten nun zum selbstverständlichen Erscheinungsbild der Reichsbahn – bei weitem jedoch noch nicht das von einer Lokführerin. Ende 1919, also kurz vor Gründung der Reichsbahn, waren mehr als 1,1 Millionen Personen bei der Bahn tätig. Das heißt rund vier Prozent aller Erwerbstätigen waren auf dem Höhepunkt der Entwicklung Eisenbahner. Danach gingen die Beschäftigungszahlen wieder zurück. Zurzeit von Sophia Fuhrmann waren 230.000 Mitarbeiter bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Eisenbahn der bei weitem größte zivile Arbeitgeber in Deutschland. Er setzte mit seinem Lohnund Gehaltsgefüge, mit seinen Sozialleistungen, mit den Hierarchien in seinem Betrieb Maßstäbe für die gesamte Arbeits- und Lebenswelt. Dazu kam, dass die Bahn auch der größte zivile Auftraggeber war und Einfluss auf die Preisgestaltung großer Industriebereiche ausüben konnte. Zu ihnen zählte in vorderster Linie die Montanindustrie, die im stärksten Maße vom Eisenbahnbau profitierte. Aber auch die Bau- und Holzindustrie sowie die Schotterhersteller, die Bettungsstoffe für die Gleisanlagen lieferten, konnten mit regelmäßigen Aufträgen rechnen. Enorme Summen flossen in den Maschinenbau für die Beschaffung von Lokomotiven, Personen- und Güterwagen.
Die deutschen Bahnen waren in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, von Ausnahmen abgesehen, moderne und beispielhafte Unternehmungen. Sie standen für ökonomische Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der deutschen Wirtschaft. Mit Hilfe der Bahn schickte Deutschland sich an, England, „the first industrial nation“, zu überflügeln. Um 1900 verfügten die deutschen Eisenbahnen nicht nur über das größte Streckennetz in Europa (ca. 50.000 Kilometer), sondern erzielten auch den größten Überschuss in Relation zum Anlagekapital. Rund 900 Millionen Fahrgäste beziehungsweise 21 Milliarden Personenkilometer zählten die deutschen Bahnen in dieser Zeit im Jahr und beförderten Güter im Umfang von etwa 320 Millionen Tonnen. Die Eisenbahnen bestimmten und beherrschten beim Eintritt in das 20. Jahrhundert fast die gesamte wirtschaftliche Infrastruktur des Landes. Von ihrer Präzision, Leistungsfähigkeit und Modernität hing die wirtschaftliche Entwicklung und Zukunft des Reiches entscheidend ab.
Nach dem 1. Weltkrieg, im nationalistischen Staat, erfolgte eine Kampagne der Partei gegen das sogenannte Doppelverdienertum, die vor allem Frauen betraf, und die auch an die Verwaltungsspitze der Reichsbahn herangetragen wurde. Hingenommen und akzeptiert wurde auch die ungleiche Behandlung der Frauen bis zum Kriegsbeginn. Weibliche Arbeitskräfte erhielten weniger Lohn als männliche Beschäftigte. Sie durften bis zum Herbst 1939 nur solche Stellen innehaben, „die ihrer Art nach mit weiblichen Personen besetzt werden müssen“. Bei der Bahn war dies vorwiegend der Reinigungsund Schrankenwärterdienst. Lokführerin zu werden, daran durfte eine Frau damals nicht einmal im Traume denken.
„Räder müssen rollen für den Sieg“ lautete die Durchhalteparole während des Krieges für die Eisenbahner. Alle verfügbaren Kräfte mussten für den „Endsieg“ eingesetzt werden. Um mit den leidigen Personalmangel fertig zu werden rückten Frauen in die offene Stellen, mehr und mehr auch in qualifizierte Positionen. In unablässig aufeinander folgenden „Erlassen und Verfügungen“ wurde geregelt welche Tätigkeiten Frauen im Krieg versehen durften und was ihnen im Betriebsdienst, auf Bahnhöfen und auf freier Strecke, im Zugbegleitdienst und im Werkstätten- und Betriebsmaschinendienst „ausdrücklich“ untersagt blieb. Der Lokführerdienst gehörte nach wie vor zu den verbotenen Tätigkeiten. Ende 1943 taten ungefähr 190.000 Frauen in fast allen Bereichen der Reichsbahn Dienst. Mit einer Arbeitszeit von 54 bis 56 Stunden pro Woche und mit der Tendenz, für gleiche Arbeit gleichen Lohn zu erhalten. Schließlich, ab 1943, bekamen sie auch die Erlaubnis zur Nachtarbeit.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges befanden sich die deutschen Eisenbahnen in einem verheerenden Zustand. Sie waren von dem alliierten Luftstreitkräften intensiv bombardiert und auch im Bodenkampf schwer mitgenommen worden. Auf ihrem Rückzug hatte die Wehrmacht zudem Brücken und Eisenbahntunnel gesprengt. Viele Wagen und Lokomotiven waren unbrauchbar geworden. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 wuchs die Zahl betriebsfähiger Wagen und Lokomotiven wieder. Die Eisenbahnen klagten über den Mangel an Personal, obwohl die Zahl der Bediensteten allein im Westen auf 527.000 stieg. Die dennoch spürbare Personalnot, die aus der geringen Arbeitsproduktivität resultierte, führte dazu, dass man sich zunehmend bemühte Frauen zu beschäftigen. Erst nach der Währungsreform änderte sich die Lage dramatisch, denn nun wurde deutlich, dass die Eisenbahnen personell überbesetzt waren. Frauen gehörten zu den größten Verlierern der nun beginnenden Personalrückführung, vor allem in Westdeutschland.