Die Märchen des Wilhelm Hauff - Wilhelm Hauff - E-Book

Die Märchen des Wilhelm Hauff E-Book

Wilhelm Hauff

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Beschreibung

Sämtliche Märchen mit 10 farbigen Bildtafeln und 21 Original-Graphiken Wilhelm Hauff (29. November 1802 - 18. November 1827) war ein deutscher Schriftsteller der Romantik. Er war ein Hauptvertreter der Schwäbischen Dichterschule. Unter den zahlreichen Werken, die der früh verstorbene Wilhelm Hauff in seinem nur drei Jahre währenden literarischen Wirken verfasst hat, ragen die Märchenalmanache heraus. Der kleine Muck, Zwerg Nase, Kalif Storch - sie und viele andere seiner Figuren erscheinen auch heutigen Lesern als gute alte Bekannte. Die vorliegende Ausgabe bietet sämtliche Märchen, die Illustrationen der Erstdrucke und zusätzliche 10 farbige Bildtafeln. Hauffs Märchen fallen in die spätromantische Literaturphase. Der erste Band um die Rahmenerzählung Die Karawane ist gekennzeichnet von hohem Einfühlungsvermögen in die orientalische Lebensweise. Der zweite Band um den Scheich von Alessandria und seine Sklaven verlässt den rein orientalischen Handlungsraum; Zwerg Nase und zwei von Wilhelm Grimm übernommene Märchen ("Schneeweißchen und Rosenroth" und "Das Fest der Unterirdischen") stehen in der europäischen Märchentradition. Sein dritter Band, Das Wirtshaus im Spessart, behandelt eher Sagenstoffe als Märchen; die Schwarzwaldsage Das kalte Herz ist die bekannteste dieser Sagen. Null Papier Verlag

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Wilhelm Hauff

Die Märchen des Wilhelm Hauff

Mit 10 farbigen Bildtafeln und 21 Original-Graphiken

Wilhelm Hauff

Die Märchen des Wilhelm Hauff

Mit 10 farbigen Bildtafeln und 21 Original-Graphiken

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: Stuttgart (Metzler), 1826, 1827, 1828 3. Auflage, ISBN 978-3-954180-12-7

null-papier.de/hauff

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor

Mär­chen als Al­ma­nach

Die Ka­ra­wa­ne

Die Ge­schich­te von Ka­lif Storch

Die Ge­schich­te von dem Ge­s­pens­ter­schiff

Die Ge­schich­te von der ab­ge­haue­nen Hand

Die Er­ret­tung Fat­mes

Die Ge­schich­te von dem klei­nen Muck

Das Mär­chen vom falschen Prin­zen

Der Scheik von Ales­san­dria und sei­ne Skla­ven

Der Zwerg Nase

Ab­ner, der Jude, der nichts ge­se­hen hat, Teil 1

Der arme Ste­phan

Ab­ner, der Jude, der nichts ge­se­hen hat, Teil 2

Der ge­ba­cke­ne Kopf

Ab­ner, der Jude, der nichts ge­se­hen hat, Teil 3

Der Affe als Mensch, Teil 1

Das Fest der Un­ter­ir­di­schen

Schnee­weiß­chen und Ro­sen­rot

Der Affe als Mensch, Teil 2

Die Ge­schich­te Al­man­sors

Das Wirts­haus im Spess­art

Die Sage vom Hirsch­gul­den

Das kal­te Herz – Ers­te Ab­tei­lung

Sai­ds Schick­sa­le

Die Höh­le von Steen­foll – Eine schott­län­di­sche Sage

Das kal­te Herz – Zwei­te Ab­tei­lung

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Autor

Wil­helm Hauff (29. No­vem­ber 1802 – 18. No­vem­ber 1827) war ein deut­scher Schrift­stel­ler der Ro­man­tik. Er war ein Haupt­ver­tre­ter der Schwä­bi­schen Dicht­er­schu­le.

Un­ter den zahl­rei­chen Wer­ken, die der früh ver­stor­be­ne Wil­helm Hauff in sei­nem nur drei Jah­re wäh­ren­den li­te­ra­ri­schen Wir­ken ver­fasst hat, ra­gen die Mär­chenal­ma­nache her­aus. Der klei­ne Muck, Zwerg Nase, Ka­lif Storch – sie und vie­le an­de­re sei­ner Fi­gu­ren er­schei­nen auch heu­ti­gen Le­sern als gute alte Be­kann­te. Die vor­lie­gen­de Aus­ga­be bie­tet sämt­li­che Mär­chen, die Il­lus­tra­tio­nen der Erst­dru­cke und zu­sätz­li­che 10 far­bi­ge Bild­ta­feln.

Hauffs Mär­chen fal­len in die spätro­man­ti­sche Li­te­ra­tur­pha­se. Der ers­te Band um die Rah­men­er­zäh­lung Die Ka­ra­wa­ne ist ge­kenn­zeich­net von ho­hem Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die ori­en­ta­li­sche Le­bens­wei­se. Der zwei­te Band um den Scheich von Ales­san­dria und sei­ne Skla­ven ver­lässt den rein ori­en­ta­li­schen Hand­lungs­raum; Zwerg Nase und zwei von Wil­helm Grimm über­nom­me­ne Mär­chen (»Schnee­weiß­chen und Ro­sen­rot« und »Das Fest der Un­ter­ir­di­schen«) ste­hen in der eu­ro­päi­schen Mär­chen­tra­di­ti­on. Sein drit­ter Band, Das Wirts­haus im Spess­art, be­han­delt eher Sa­gen­stof­fe als Mär­chen; die Schwarz­wald­sa­ge Das kal­te Herz ist die be­kann­tes­te die­ser Sa­gen.

Märchen als Almanach

In ei­nem schö­nen, fer­nen Rei­che, von wel­chem die Sage lebt, dass die Son­ne in sei­nen ewig grü­nen Gär­ten nie­mals un­ter­ge­he, herrsch­te von An­fang an bis heu­te, die Kö­ni­gin Fan­ta­sie. Mit vol­len Hän­den spen­de­te die­se, seit vie­len Jahr­hun­der­ten, die Fül­le des Se­gens über die Ih­ri­gen, und war ge­liebt, ver­ehrt von al­len, die sie kann­ten. Das Herz der Kö­ni­gin war aber zu groß, als dass sie mit ih­ren Wohl­ta­ten bei ih­rem Lan­de ste­hen­ge­blie­ben wäre; sie selbst, im kö­nig­li­chen Schmuck ih­rer ewi­gen Ju­gend und Schön­heit, stieg her­ab auf die Erde; denn sie hat­te ge­hört, dass dort Men­schen woh­nen, die ihr Le­ben in trau­ri­gem Ernst, un­ter Mühe und Ar­beit hin­brin­gen. Die­sen hat­te sie die schöns­ten Ga­ben aus ih­rem Rei­che mit­ge­bracht, und seit die schö­ne Kö­ni­gin durch die Flu­ren der Erde ge­gan­gen war, wa­ren die Men­schen fröh­lich bei der Ar­beit, hei­ter in ih­rem Ernst.

Auch ihre Kin­der, nicht min­der schön und lieb­lich als die kö­nig­li­che Mut­ter, sand­te sie aus, um die Men­schen zu be­glücken. Einst kam Mär­chen, die äl­tes­te Toch­ter der Kö­ni­gin, von der Erde zu­rück. Die Mut­ter be­merk­te, dass Mär­chen trau­rig sei, ja, hie und da woll­te es ihr be­dün­ken, als ob sie ver­wein­te Au­gen hät­te.

»Was hast du, lie­bes Mär­chen«, sprach die Kö­ni­gin zu ihr; »du bist seit dei­ner Rei­se so trau­rig und nie­der­ge­schla­gen, willst du dei­ner Mut­ter nicht an­ver­trau­en, was dir fehlt?«

»Ach! lie­be Mut­ter«, ant­wor­te­te Mär­chen: »ich hät­te ge­wiss nicht so lan­ge ge­schwie­gen, wenn ich nicht wüss­te, dass mein Kum­mer auch der dei­ni­ge ist.«

»Sprich im­mer, mei­ne Toch­ter«, bat die schö­ne Kö­ni­gin, »der Gram ist ein Stein, der den ein­zel­nen nie­der­drückt, aber zwei tra­gen ihn leicht aus dem Wege.«

»Du willst es«, ant­wor­te­te Mär­chen, »so höre: du weißt, wie ger­ne ich mit den Men­schen um­ge­he, wie ich freu­dig auch zu dem Ärms­ten vor sei­ne Hüt­te sit­ze, um nach der Ar­beit ein Stünd­chen mit ihm zu ver­plau­dern; sie bo­ten mir auch sonst gleich freund­lich die Hand zum Gruß, wenn ich kam, und sa­hen mir lä­chelnd und zu­frie­den nach, wenn ich wei­ter­ging; aber in die­sen Ta­gen ist es gar nicht mehr so!«

»Ar­mes Mär­chen!« sprach die Kö­ni­gin, und strei­chel­te ihr die Wan­ge, die von ei­ner Trä­ne feucht war; »aber du bil­dest dir viel­leicht dies al­les nur ein?«

»Glau­be mir, ich füh­le es nur zu gut«, ent­geg­ne­te Mär­chen, »sie lie­ben mich nicht mehr. Über­all, wo ich hin­kom­me, be­geg­nen mir kal­te Bli­cke; nir­gends bin ich mehr gern ge­se­hen; selbst die Kin­der, die ich doch im­mer so lieb­hat­te, la­chen über mich und wen­den mir alt­klug den Rücken zu.«

Die Kö­ni­gin stütz­te die Stir­ne in die Hand, und schwieg sin­nend. –

»Und wo­her soll es denn«, frag­te die Kö­ni­gin, »kom­men, Mär­chen, dass sich die Leu­te da un­ten so ge­än­dert ha­ben?«

»Sieh, die Men­schen ha­ben klu­ge Wäch­ter auf­ge­stellt, die al­les, was aus dei­nem Reich kommt, o Kö­ni­gin Fan­ta­sie! mit schar­fem Bli­cke mus­tern und prü­fen. Wenn nun ei­ner kommt, der nicht nach ih­rem Sin­ne ist, so er­he­ben sie ein großes Ge­schrei, schla­gen ihn tot, oder ver­leum­den ihn doch so sehr bei den Men­schen, die ih­nen aufs Wort glau­ben, dass man gar kei­ne Lie­be, kein Fünk­chen Zu­trau­en mehr fin­det. Ach! wie gut ha­ben es mei­ne Brü­der, die Träu­me, fröh­lich und leicht hüp­fen sie auf die Erde hin­ab, fra­gen nichts nach je­nen klu­gen Män­nern, be­su­chen die schlum­mern­den Men­schen, und we­ben und ma­len ih­nen, was das Herz be­glückt und das Auge er­freut!«

»Dei­ne Brü­der sind Leicht­fü­ße«, sag­te die Kö­ni­gin, »und du, mein Lieb­ling, hast kei­ne Ur­sa­che sie zu be­nei­den. Jene Grenzwäch­ter ken­ne ich üb­ri­gens wohl; die Men­schen ha­ben so un­recht nicht, sie auf­zu­stel­len, es kam so man­cher win­di­ge Ge­sel­le, und tat, als ob er ge­ra­den Wegs aus mei­nem Rei­che käme, und doch hat­te er höchs­tens von ei­nem Ber­ge zu uns her­über­ge­schaut.« –

»Aber warum las­sen sie dies mich, dei­ne ei­ge­ne Toch­ter, ent­gel­ten«, wein­te Mär­chen, »ach! wenn du wüss­test, wie sie es mir ge­macht ha­ben; sie schal­ten mich eine alte Jung­fer und droh­ten, mich das nächs­te Mal gar nicht mehr her­ein­zu­las­sen.« –

»Wie, mei­ne Toch­ter nicht mehr ein­zu­las­sen?« rief die Kö­ni­gin, und Zorn er­höh­te die Röte ih­rer Wan­gen; »aber ich sehe schon, wo­her dies kommt; die böse Muh­me hat uns ver­leum­det!«

»Die Mode? nicht mög­lich!« rief Mär­chen, »sie tat ja sonst im­mer so freund­lich.«

»Oh! ich ken­ne sie, die Fal­sche«, ant­wor­te­te die Kö­ni­gin, »aber ver­su­che es, ihr zum Trot­ze, wie­der mei­ne Toch­ter, wer Gu­tes tun will, darf nicht ras­ten.«

»Ach Mut­ter! wenn sie mich dann ganz zu­rück­wei­sen, oder wenn sie mich ver­leum­den, dass mich die Men­schen nicht an­se­hen oder ein­sam und ver­ach­tet in der Ecke ste­hen las­sen?«

»Wenn die Al­ten, von der Mode be­tört, dich ge­ring­schät­zen, so wen­de dich an die Klei­nen, wahr­lich sie sind mei­ne Lieb­lin­ge, ih­nen sen­de ich mei­ne lieb­lichs­ten Bil­der, durch dei­ne Brü­der, die Träu­me, ja ich bin schon oft selbst zu ih­nen hin­ab­ge­schwebt, habe sie ge­herzt und ge­küsst und schö­ne Spie­le mit ih­nen ge­spielt; sie ken­nen mich auch wohl, sie wis­sen zwar mei­nen Na­men nicht, aber ich habe schon oft be­merkt, wie sie nachts zu mei­nen Ster­nen her­au­flä­cheln und mor­gens, wenn mei­ne glän­zen­den Läm­mer am Him­mel zie­hen, vor Freu­den die Hän­de zu­sam­menschla­gen. Auch wenn sie grö­ßer wer­den, lie­ben sie mich noch, ich hel­fe dann den lieb­li­chen Mäd­chen bun­te Krän­ze flech­ten, und die wil­den Kna­ben wer­den stil­ler, wenn ich auf ho­her Fel­sen­spit­ze mich zu ih­nen set­ze, aus der Ne­bel­welt der fer­nen blau­en Ber­ge, hohe Bur­gen und glän­zen­de Pa­läs­te auf­tau­chen las­se, und aus den röt­li­chen Wol­ken des Abends küh­ne Reiter­scha­ren und wun­der­li­che Wall­fahrts­zü­ge bil­de.«

»O die gu­ten Kin­der!« rief Mär­chen be­wegt aus, »ja es sei! mit ih­nen will ich es noch ein­mal ver­su­chen.«

»Ja, du gute Toch­ter«, sprach die Kö­ni­gin, »gehe zu ih­nen; aber ich will dich auch ein we­nig or­dent­lich an­klei­den, dass du den Klei­nen ge­fällst, und die Gro­ßen dich nicht zu­rück­sto­ßen, sie­he das Ge­wand ei­nes Al­ma­nach will ich dir ge­ben.«

»Ei­nes Al­ma­nach, Mut­ter? ach! – ich schä­me mich, so vor den Leu­ten zu pran­gen.«

Die Kö­ni­gin wink­te und die Die­ne­rin­nen brach­ten das zier­li­che Ge­wand ei­nes Al­ma­nach. Es war von glän­zen­den Far­ben, und schö­ne Fi­gu­ren ein­ge­wo­ben.

Die Zo­fen floch­ten dem schö­nen Mär­chen das lan­ge Haar; sie ban­den ihr gol­de­ne San­da­len un­ter die Füße und hin­gen ihr dann das Ge­wand um.

Das be­schei­de­ne Mär­chen wag­te nicht auf­zu­bli­cken, die Mut­ter aber be­trach­te­te sie mit Wohl­ge­fal­len und schloss sie in ihre Arme: »Gehe hin«, sprach sie zu der Klei­nen; »mein Se­gen sei mit dir. Und wenn sie dich ver­ach­ten und höh­nen, so keh­re zu­rück zu mir, viel­leicht dass spä­te­re Ge­schlech­ter, ge­treu­er der Na­tur, ihr Herz dir wie­der zu­wen­den.«

Also sprach die Kö­ni­gin Fan­ta­sie. Mär­chen aber stieg her­ab auf die Erde. Mit po­chen­dem Her­zen nah­te sie dem Ort, wo die klu­gen Wäch­ter hau­se­ten; sie senk­te das Köpf­chen zur Erde, sie zog das schö­ne Ge­wand en­ger um sich her, und mit za­gen­dem Schritt nah­te sie dem Tor.

»Halt!« rief eine tie­fe, raue Stim­me; »Wa­che her­aus! da kommt ein neu­er Al­ma­nach!«

Mär­chen zit­ter­te als sie dies hör­te; vie­le ält­li­che Män­ner von fins­te­rem Aus­se­hen stürz­ten her­vor; sie hat­ten spit­zi­ge Fe­dern in der Faust, und hiel­ten sie dem Mär­chen ent­ge­gen. Ei­ner aus der Schar schritt auf sie zu und pack­te sie mit rau­er Hand am Kinn: »Nur auch den Kopf auf­ge­rich­tet Herr Al­ma­nach«, schrie er, »dass man Ihm in den Au­gen an­sie­het, ob Er was Rech­tes ist oder nicht?« –

Er­rö­tend rich­te­te Mär­chen das Köpf­chen in die Höhe und schlug das dunkle Auge auf –

»Das Mär­chen!« rie­fen die Wäch­ter, und lach­ten aus vol­lem Hals, »das Mär­chen! ha­ben wun­der ge­meint, was da käme! wie kommst du nur in die­sen Rock?«

»Die Mut­ter hat ihn mir an­ge­zo­gen«, ant­wor­te­te Mär­chen.

»So? sie will dich bei uns ein­schwär­zen? Nichts da! hebe dich weg, mach dass du fort­kommst«, rie­fen die Wäch­ter un­ter­ein­an­der und er­ho­ben die schar­fen Fe­dern.

»Aber ich will ja nur zu den Kin­dern«, bat Mär­chen; »dies könnt ihr mir ja doch er­lau­ben?«

»Lauft nicht schon ge­nug sol­ches Ge­sin­del im Land um­her?« rief ei­ner der Wäch­ter; »sie schwat­zen nur un­se­ren Kin­dern dum­mes Zeug vor.«

»Lasst uns se­hen, was sie dies­mal weiß«, sprach ein an­de­rer –

»Nun ja«, rie­fen sie, »sag an, was du weißt, aber be­ei­le dich, denn wir ha­ben nicht vie­le Zeit für dich.«

Mär­chen streck­te die Hand aus, und be­schrieb mit dem Zeig­fin­ger vie­le Zei­chen in die Luft. Da sah man bun­te Ge­stal­ten vor­über­zie­hen; Ka­ra­wa­nen mit schö­nen Ros­sen, ge­schmück­te Rei­ter, vie­le Zel­te im Sand der Wüs­te; Vö­gel und Schif­fe auf stür­mi­schen Mee­ren; stil­le Wäl­der und volk­rei­che Plät­ze und Stra­ßen; Schlach­ten und fried­li­che No­ma­den, sie alle schweb­ten in be­leb­ten Bil­dern, in bun­tem Ge­wim­mel vor­über.

Mär­chen hat­te in dem Ei­fer, mit wel­chem sie die Bil­der auf­stei­gen ließ, nicht be­merkt, wie die Wäch­ter des To­res nach und nach ein­ge­schla­fen wa­ren. Eben woll­te sie neue Zei­chen be­schrei­ben, als ein freund­li­cher Mann auf sie zu­trat und ihre Hand er­griff: »Sie­he her, gu­tes Mär­chen«, sag­te er, in­dem er auf die Schla­fen­den zeig­te, »für die­se sind dei­ne bun­ten Sa­chen nichts; schlüp­fe schnell durch das Tor, sie ah­nen dann nicht, dass du im Lan­de bist, und du kannst fried­lich und un­be­merkt dei­ne Stra­ße zie­hen. Ich will dich zu mei­nen Kin­dern füh­ren; in mei­nem Hau­se geb ich dir ein stil­les, freund­li­ches Plätz­chen; dort kannst du woh­nen und für dich le­ben; wenn dann mei­ne Söh­ne und Töch­ter gut ge­lernt ha­ben, dür­fen sie mit ih­ren Ge­spie­len zu dir kom­men und dir zu­hö­ren. Willst du so?«

»Oh, wie ger­ne fol­ge ich dir, zu dei­nen lie­ben Klei­nen; wie will ich mich be­flei­ßen, ih­nen zu­wei­len ein hei­te­res Stünd­chen zu ma­chen!«

Der gute Mann nick­te ihr freund­lich zu, und half ihr über die Füße der schla­fen­den Wäch­ter hin­über­stei­gen. Lä­chelnd sah sich Mär­chen um, als sie hin­über war, und schlüpf­te dann schnell in das Tor.

Die Karawane

Es zog ein­mal eine große Ka­ra­wa­ne durch die Wüs­te. Auf der un­ge­heu­ren Ebe­ne, wo man nichts als Sand und Him­mel sieht, hör­te man schon in wei­ter Fer­ne die Glo­cken der Ka­me­le und die sil­ber­nen Röll­chen der Pfer­de, eine dich­te Staub­wol­ke, die ihr vor­her­ging, ver­kün­de­te ihre Nähe, und wenn ein Luft­zug die Wol­ke teil­te, blen­de­ten fun­keln­de Waf­fen und hel­leuch­ten­de Ge­wän­der das Auge. So stell­te sich die Ka­ra­wa­ne ei­nem Man­ne dar, wel­cher von der Sei­te her auf sie zu­ritt. Er ritt ein schö­nes ara­bi­sches Pferd mit ei­ner Ti­ger­de­cke be­hängt, an dem hoch­ro­ten Rie­men­werk hin­gen sil­ber­ne Glöck­chen, und auf dem Kopf des Pfer­des weh­te ein schö­ner Rei­her­busch. Der Rei­ter sah statt­lich aus, und sein An­zug ent­sprach der Pracht sei­nes Ros­ses; ein wei­ßer Tur­ban, reich mit Gold ge­stickt, be­deck­te das Haupt; der Rock und die wei­ten Bein­klei­der von bren­nen­dem Rot, ein ge­krümm­tes Schwert mit rei­chem Griff an sei­ner Sei­te. Er hat­te den Tur­ban tief ins Ge­sicht ge­drückt; dies und die schwar­zen Au­gen, die un­ter bu­schi­gen Brau­en her­vor­blitz­ten, der lan­ge Bart, der un­ter der ge­bo­ge­nen Nase her­ab­hing, ga­ben ihm ein wil­des, küh­nes Aus­se­hen.

Als der Rei­ter un­ge­fähr auf fünf­zig Schritt dem Vor­trab der Ka­ra­wa­ne nahe war, sporn­te er sein Pferd an und war in we­ni­gen Au­gen­bli­cken an der Spit­ze des Zu­ges an­ge­langt. Es war ein so un­ge­wöhn­li­ches Er­eig­nis, einen ein­zel­nen Rei­ter durch die Wüs­te zie­hen zu se­hen, dass die Wäch­ter des Zu­ges, einen Über­fall be­fürch­tend, ihm ihre Lan­zen ent­ge­gen­streck­ten.

»Was wollt ihr«, rief der Rei­ter, als er sich so krie­ge­risch emp­fan­gen sah, »glaubt ihr, ein ein­zel­ner Mann wer­de eure Ka­ra­wa­ne an­grei­fen?«

Be­schämt schwan­gen die Wäch­ter ihre Lan­zen wie­der auf, ihr An­füh­rer aber ritt an den Frem­den her­an und frag­te nach sei­nem Be­gehr.

»Wer ist der Herr der Ka­ra­wa­ne?« frag­te der Rei­ter.

»Sie ge­hört nicht ei­nem Herrn«, ant­wor­te­te der Ge­frag­te, »son­dern es sind meh­re­re Kauf­leu­te, die von Mek­ka in ihre Hei­mat zie­hen und die wir durch die Wüs­te ge­lei­ten, weil oft al­ler­lei Ge­sin­del die Rei­sen­den be­un­ru­higt.«

»So führt mich zu den Kauf­leu­ten«, be­gehr­te der Frem­de.

»Das kann jetzt nicht ge­sche­hen«, ant­wor­te­te der Füh­rer, »weil wir ohne Auf­halt wei­ter­zie­hen müs­sen, und die Kauf­leu­te we­nigs­tens eine Vier­tel­stun­de wei­ter hin­ten sind; wollt Ihr aber mit mir wei­ter­rei­ten, bis wir la­gern um Mit­tags­ru­he zu hal­ten, so wer­de ich Eu­rem Wunsch will­fah­ren.«

Der Frem­de sag­te hier­auf nichts; er zog eine lan­ge Pfei­fe, die er am Sat­tel fest­ge­bun­den hat­te, her­vor, und fing an, in großen Zü­gen zu rau­chen, in­dem er ne­ben dem An­füh­rer des Vor­trabs wei­ter­ritt. Die­ser wuss­te nicht, was er aus dem Frem­den ma­chen soll­te, er wag­te es nicht, ihn ge­ra­de­zu nach sei­nem Na­men zu fra­gen, und so künst­lich er auch ein Ge­spräch an­zu­knüp­fen such­te, der Frem­de hat­te auf das: »Ihr raucht da einen gu­ten Ta­bak«, oder: »Euer Rapp’ hat einen bra­ven Schritt«, im­mer nur mit ei­nem kur­z­en »Ja, ja!« geant­wor­tet.

End­lich wa­ren sie auf dem Platz an­ge­kom­men, wo man Mit­tags­ru­he hal­ten woll­te. Der An­füh­rer hat­te sei­ne Leu­te als Wa­chen aus­ge­stellt, er selbst hielt mit dem Frem­den, um die Ka­ra­wa­ne her­an­kom­men zu las­sen. Drei­ßig Ka­me­le, schwer be­la­den, zo­gen vor­über, von be­waff­ne­ten An­füh­rern ge­lei­tet. Nach die­sen ka­men auf schö­nen Pfer­den die fünf Kauf­leu­te, de­nen die Ka­ra­wa­ne ge­hör­te. Es wa­ren meis­tens Män­ner von vor­ge­rück­tem Al­ter, ernst und ge­setzt aus­se­hend, nur ei­ner schi­en viel jün­ger als die üb­ri­gen, wie auch fro­her und leb­haf­ter. Eine große An­zahl Ka­me­le und Pack­pfer­de schloss den Zug.

Man hat­te Zel­te auf­ge­schla­gen, und die Ka­me­le und Pfer­de rings um­her­ge­stellt. In der Mit­te war ein großes Zelt von blau­em Sei­den­zeug. Dor­thin führ­te der An­füh­rer der Wa­che den Frem­den. Als sie durch den Vor­hang des Zel­tes ge­tre­ten wa­ren, sa­hen sie die fünf Kauf­leu­te auf gold­ge­wirk­ten Pols­tern sit­zen; schwar­ze Skla­ven reich­ten ih­nen Spei­sen und Ge­trän­ke. »Wen bringt Ihr uns da«, rief der jun­ge Kauf­mann dem Füh­rer zu.

Ehe noch der Füh­rer ant­wor­ten konn­te, sprach der Frem­de: »Ich hei­ße Se­lim Ba­ruch und bin aus Bag­dad; ich wur­de auf ei­ner Rei­se nach Mek­ka von ei­ner Räu­ber­hor­de ge­fan­gen, und habe mich vor drei Ta­gen heim­lich aus der Ge­fan­gen­schaft be­freit. Der große Pro­phet ließ mich die Glo­cken eu­rer Ka­ra­wa­ne in wei­ter Fer­ne hö­ren, und so kam ich bei euch an. Er­lau­bet mir, dass ich in eu­rer Ge­sell­schaft rei­se, ihr wer­det eu­ren Schutz kei­nem Un­wür­di­gen schen­ken, und so ihr nach Bag­dad kom­met, wer­de ich eure Güte reich­lich loh­nen, denn ich bin der Nef­fe des Groß­we­sirs.«

Der äl­tes­te der Kauf­leu­te nahm das Wort: »Se­lim Ba­ruch«, sprach er; »sei will­kom­men in un­se­rem Schat­ten. Es macht uns Freu­de dir bei­zu­ste­hen; vor al­lem aber set­ze dich und iss und trin­ke mit uns.«

Se­lim Ba­ruch setz­te sich zu den Kauf­leu­ten, und aß und trank mit ih­nen. Nach dem Es­sen räum­ten die Skla­ven die Ge­schir­re hin­weg, und brach­ten lan­ge Pfei­fen und tür­ki­schen Sor­bet. Die Kauf­leu­te sa­ßen lan­ge schwei­gend, in­dem sie die bläu­li­chen Rauch­wol­ken vor sich hin­blie­sen und zu­sa­hen, wie sie sich rin­gel­ten und ver­zo­gen und end­lich in die Luft ver­schweb­ten. Der jun­ge Kauf­mann brach end­lich das Still­schwei­gen: »So sit­zen wir seit drei Ta­gen«, sprach er, »zu Pferd und am Tisch ohne uns durch et­was die Zeit zu ver­trei­ben. Ich ver­spü­re ge­wal­tig Lan­ge­wei­le, denn ich bin ge­wohnt, nach Tisch Tän­zer zu se­hen oder Ge­sang und Mu­sik zu hö­ren. Wisst ihr gar nichts mei­ne Freun­de, das uns die Zeit ver­treibt?«

Die vier äl­te­ren Kauf­leu­te rauch­ten fort und schie­nen ernst­haft nach­zu­sin­nen, der Frem­de aber sprach: »Wenn es mir er­laubt ist, will ich euch einen Vor­schlag ma­chen. Ich mei­ne auf je­dem La­ger­platz könn­te ei­ner von uns den an­de­ren et­was er­zäh­len. Dies könn­te uns schon die Zeit ver­trei­ben.«

»Se­lim Ba­ruch, du hast wahr ge­spro­chen«, sag­te Achmet, der äl­tes­te der Kauf­leu­te, »lasst uns den Vor­schlag an­neh­men.«

»Es freut mich, wenn euch der Vor­schlag be­hagt«, sprach Se­lim, »da­mit ihr aber se­het, dass ich nichts Un­bil­li­ges ver­lan­ge, so will ich den An­fang ma­chen.«

Ver­gnügt rück­ten die fünf Kauf­leu­te nä­her zu­sam­men und lie­ßen den Frem­den in ihre Mit­te sit­zen. Die Skla­ven schenk­ten die Be­cher wie­der voll, stopf­ten die Pfei­fen ih­rer Her­ren frisch und brach­ten glü­hen­de Koh­len zum An­zün­den. Se­lim aber er­frisch­te sei­ne Stim­me mit ei­nem tüch­ti­gen Zuge Sor­bet, strich den lan­gen Bart über dem Mund weg und sprach:

»So hört denn Die Ge­schich­te von Ka­lif Storch.«

Die Geschichte von Kalif Storch

I.

Der Ka­lif Cha­sid zu Bag­dad saß ein­mal an ei­nem schö­nen Nach­mit­tag be­hag­lich auf sei­nem Sofa; er hat­te ein we­nig ge­schla­fen, denn es war ein hei­ßer Tag, und sah nun nach sei­nem Schläf­chen recht hei­ter aus. Er rauch­te aus ei­ner lan­gen Pfei­fe von Ro­sen­holz, trank hie und da ein we­nig Kaf­fee, den ihm ein Skla­ve ein­schenk­te und strich sich al­le­mal ver­gnügt den Bart, wenn es ihm ge­schmeckt hat­te. Kurz man sah dem Ka­li­fen an, dass es ihm recht wohl war. Um die­se Stun­de konn­te man gar gut mit ihm re­den, weil er da im­mer recht mild und leut­se­lig war, des­we­gen be­such­te ihn auch sein Groß­we­sir Man­sor alle Tage um die­se Zeit. An die­sem Nach­mit­tag nun kam er auch, sah aber sehr nach­denk­lich aus, ganz ge­gen sei­ne Ge­wohn­heit. Der Ka­lif tat die Pfei­fe ein we­nig aus dem Mund und sprach: »Wa­rum machst du ein so nach­denk­li­ches Ge­sicht, Groß­we­sir?«

Der Groß­we­sir schlug sei­ne Arme kreuzweis über die Brust, ver­neig­te sich vor sei­nem Herrn, und ant­wor­te­te: »Herr! ob ich ein nach­denk­li­ches Ge­sicht ma­che, weiß ich nicht, aber da drun­ten am Schloss steht ein Krä­mer, der hat so schö­ne Sa­chen, dass es mich är­gert, nicht viel über­flüs­si­ges Geld zu ha­ben.«

Der Ka­lif, der sei­nem Groß­we­sir schon lan­ge gern eine Freu­de ge­macht hät­te, schick­te sei­nen schwar­zen Skla­ven hin­un­ter, um den Krä­mer her­auf­zu­ho­len. Bald kam der Skla­ve mit dem Krä­mer zu­rück. Die­ser war ein klei­ner di­cker Mann, schwarz­braun im Ge­sicht und in zer­lump­tem An­zug. Er trug einen Kas­ten, in wel­chem er al­ler­hand Wa­ren hat­te. Per­len und Rin­ge, reich­be­schla­ge­ne Pis­to­len, Be­cher und Käm­me. Der Ka­lif und sein We­sir mus­ter­ten al­les durch, und der Ka­lif kauf­te end­lich für sich und Man­sor schö­ne Pis­to­len, für die Frau des We­sirs aber einen Kamm. Als der Krä­mer sei­nen Kas­ten schon wie­der zu­ma­chen woll­te, sah der Ka­lif eine klei­ne Schub­la­de, und frag­te: ob da auch noch Wa­ren sei­en? Der Krä­mer zog die Schub­la­de her­aus, und zeig­te dar­in eine Dose mit schwärz­li­chem Pul­ver und ein Pa­pier mit son­der­ba­rer Schrift, die we­der der Ka­li­fe noch Man­sor le­sen konn­ten. »Ich be­kam ein­mal die­se zwei Stücke von ei­nem Kauf­mann, der sie in Mek­ka auf der Stra­ße fand«, sag­te der Krä­mer, »ich weiß nicht, was sie ent­hal­ten; Euch ste­hen sie um ge­rin­gen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts da­mit an­fan­gen.«

Der Ka­lif, der in sei­ner Biblio­thek ger­ne alte Ma­nu­skrip­te hat­te, wenn er sie auch nicht le­sen konn­te, kauf­te Schrift und Dose und entließ den Krä­mer. Der Ka­lif aber dach­te er, möch­te ger­ne wis­sen, was die Schrift ent­hal­te, und frag­te den We­sir, ob er kei­nen ken­ne, der es ent­zif­fern könn­te.

»Gnä­digs­ter Herr und Ge­bie­ter«, ant­wor­te­te die­ser, »an der großen Mo­schee wohnt ein Mann, er heißt Se­lim, der Ge­lehr­te, der ver­steht alle Spra­chen, lass ihn kom­men, viel­leicht kennt er die­se ge­heim­nis­vol­len Züge.«

Der Ge­lehr­te Se­lim war bald her­bei­ge­holt; »Se­lim«, sprach zu ihm der Ka­lif; »Se­lim, man sagt du sei­est sehr ge­lehrt; guck ein­mal ein we­nig in die­se Schrift, ob du sie le­sen kannst; kannst du sie le­sen, so be­kommst du ein neu­es Fest­kleid von mir, kannst du es nicht, so be­kommst du zwölf Ba­cken­strei­che und fünf­und­zwan­zig auf die Fuß­soh­len, weil man dich dann um­sonst Se­lim, den Ge­lehr­ten, nennt.«

Se­lim ver­neig­te sich und sprach: »Dein Wil­le ge­sch­ehe, o Herr!« Lan­ge be­trach­te­te er die Schrift, plötz­lich aber rief er aus: »Das ist la­tei­nisch, o Herr, oder ich lass mich hän­gen.« »Sag was drin steht«, be­fahl der Ka­lif, »wenn es la­tei­nisch ist.«

Se­lim fing an zu über­set­zen: »Mensch, der du die­ses fin­dest, prei­se Al­lah für sei­ne Gna­de. Wer von dem Pul­ver in die­ser Dose schnupft, und dazu spricht: Muta­bor, der kann sich in je­des Tier ver­wan­deln, und ver­steht auch die Spra­che der Tie­re.

Will er wie­der in sei­ne mensch­li­che Ge­stalt zu­rück­keh­ren, so nei­ge er sich drei­mal gen Os­ten, und spre­che je­nes Wort; aber hüte dich, wenn du ver­wan­delt bist, dass du nicht la­chest, sonst ver­schwin­det das Zau­ber­wort gänz­lich aus dei­nem Ge­dächt­nis und du bleibst ein Tier.«

Als Se­lim, der Ge­lehr­te, also ge­le­sen hat­te, war der Ka­lif über die Ma­ßen ver­gnügt. Er ließ den Ge­lehr­ten schwö­ren, nie­mand et­was von dem Ge­heim­nis zu sa­gen, schenk­te ihm ein schö­nes Kleid und entließ ihn. Zu sei­nem Groß­we­sir aber sag­te er: »Das heiß ich gut ein­kau­fen, Man­sor! wie freue ich mich bis ich ein Tier bin. Mor­gen früh kommst du zu mir; wir ge­hen dann mit­ein­an­der aufs Feld, schnup­fen et­was we­ni­ges aus mei­ner Dose und be­lau­schen dann, was in der Luft und im Was­ser, im Wald und Feld ge­spro­chen wird!«

II.

Kaum hat­te am an­de­ren Mor­gen der Ka­lif Cha­sid ge­früh­stückt und sich an­ge­klei­det, als schon der Groß­we­sir er­schi­en, ihn, wie er be­foh­len, auf dem Spa­zier­gang zu be­glei­ten. Der Ka­lif steck­te die Dose mit dem Zau­ber­pul­ver in den Gür­tel, und nach­dem er sei­nem Ge­fol­ge be­foh­len, zu­rück­zu­blei­ben, mach­te er sich mit dem Groß­we­sir ganz al­lein auf den Weg. Sie gin­gen zu­erst durch die wei­ten Gär­ten des Ka­li­fen, späh­ten aber ver­ge­bens nach et­was Le­ben­di­gem, um ihr Kunst­stück zu pro­bie­ren. Der We­sir schlug end­lich vor, wei­ter hin­aus an einen Teich zu ge­hen, wo er schon oft vie­le Tie­re, na­ment­lich Stör­che, ge­se­hen habe, die durch ihr gra­vi­tä­ti­sches We­sen und ihr Ge­klap­per im­mer sei­ne Auf­merk­sam­keit er­regt ha­ben.

Der Ka­lif bil­lig­te den Vor­schlag sei­nes We­sirs, und ging mit ihm dem Teich zu. Als sie dort an­ge­kom­men wa­ren, sa­hen sie einen Stor­chen ernst­haft auf und ab ge­hen, Frösche su­chend, und hie und da et­was vor sich hin­klap­pernd. Zu­gleich sa­hen sie auch weit oben in der Luft einen an­de­ren Stor­chen die­ser Ge­gend zu­schwe­ben.

»Ich wet­te mei­nen Bart, gnä­digs­ter Herr«, sag­te der Groß­we­sir, »wenn nicht die­se zwei Lang­füß­ler ein schö­nes Ge­spräch mit­ein­an­der füh­ren wer­den. Wie wäre es, wenn wir Stör­che wür­den?«

»Wohl ge­spro­chen!« ant­wor­te­te der Ka­lif. »Aber vor­her wol­len wir noch ein­mal be­trach­ten, wie man wie­der Mensch wird. – Rich­tig! drei­mal gen Os­ten ge­neigt und Muta­bor ge­sagt, so bin ich wie­der Ka­lif und du We­sir. Aber nur ums Him­mels wil­len nicht ge­lacht, sonst sind wir ver­lo­ren!«

Wäh­rend der Ka­lif also sprach, sah er den an­de­ren Stor­chen über ih­rem Haup­te schwe­ben, und lang­sam sich zur Erde las­sen. Schnell zog er die Dose aus dem Gür­tel, nahm eine gute Pri­se, bot sie dem Groß­we­sir dar, der gleich­falls schnupf­te, und bei­de rie­fen: »Muta­bor.«

Da schrumpf­ten ihre Bei­ne ein, und wur­den dünn und rot, die schö­nen gel­ben Pan­tof­fel des Ka­li­fen und sei­nes Beglei­ters wur­den un­förm­li­che Storch­fü­ße, die Arme wur­den zu Flü­geln, der Hals fuhr aus den Ach­seln und ward eine Elle lang, der Bart war ver­schwun­den und den Kör­per be­deck­ten wei­che Fe­dern.

»Ihr habt einen hüb­schen Schna­bel, Herr Groß­we­sir«, sprach nach lan­gem Er­stau­nen der Ka­lif. »Beim Bart des Pro­phe­ten, so et­was habe ich in mei­nem Le­ben nicht ge­se­hen.«

»Dan­ke un­ter­tä­nigst«, er­wi­der­te der Groß­we­sir, in­dem er sich bück­te, »aber wenn ich es wa­gen darf zu be­haup­ten, Eure Ho­heit se­hen als Storch bei­na­he noch hüb­scher aus, denn als Ka­lif. Aber kommt, wenn es Euch ge­fäl­lig ist, dass wir un­se­re Ka­me­ra­den dort be­lau­schen, und er­fah­ren, ob wir wirk­lich Storchisch kön­nen?«

In­dem war der an­de­re Storch auf der Erde an­ge­kom­men; er putz­te sich mit dem Schna­bel sei­ne Füße, leg­te sei­ne Fe­dern zu­recht, und ging auf den ers­ten Stor­chen zu. Die bei­den neu­en Stör­che aber be­eil­ten sich in ihre Nähe zu kom­men, und ver­nah­men zu ih­rem Er­stau­nen fol­gen­des Ge­spräch:

»Gu­ten Mor­gen, Frau Lang­bein, so früh schon auf der Wie­se?«

»Schö­nen Dank, lie­be Klap­per­schna­bel! ich habe mir nur ein klei­nes Früh­stück ge­holt. Ist Euch viel­leicht ein Vier­tel­chen Ei­dechs ge­fäl­lig, oder ein Frosch­schen­ke­lein?«

»Dan­ke ge­hor­samst; habe heu­te gar kei­nen Ap­pe­tit. Ich kom­me auch we­gen et­was ganz an­de­rem auf die Wie­se. Ich soll heu­te vor den Gäs­ten mei­nes Va­ters tan­zen, und da will ich mich im Stil­len ein we­nig üben.«

Zu­gleich schritt die jun­ge Störchin in wun­der­li­chen Be­we­gun­gen durch das Feld. Der Ka­lif und Man­sor sa­hen ihr ver­wun­dert nach; als sie aber in ma­le­ri­scher Stel­lung auf ei­nem Fuß stand, und mit den Flü­geln an­mu­tig dazu we­del­te, da konn­ten sich die bei­den nicht mehr hal­ten, ein un­auf­halt­sa­mes Ge­läch­ter brach aus ih­ren Schnä­beln her­vor, von dem sie sich erst nach lan­ger Zeit er­hol­ten. Der Ka­lif fass­te sich zu­erst wie­der: »Das war ein­mal ein Spaß«, rief er, »der nicht mit Gold zu be­zah­len ist; scha­de! dass die dum­men Tie­re durch un­ser Ge­läch­ter sich ha­ben ver­scheu­chen las­sen, sonst hät­ten sie ge­wiss auch noch ge­sun­gen!«

Aber jetzt fiel es dem Groß­we­sir ein, dass das La­chen wäh­rend der Ver­wand­lung ver­bo­ten war. Er teil­te sei­ne Angst des­we­gen dem Ka­li­fen mit. »Potz Mek­ka und Me­di­na! das wäre ein schlech­ter Spaß, wenn ich ein Storch blei­ben müss­te! Be­sin­ne dich doch auf das dum­me Wort, ich bring es nicht her­aus.«

»Drei­mal gen Os­ten müs­sen wir uns bücken, und dazu spre­chen: Mu – Mu – Mu –«

Sie stell­ten sich ge­gen Os­ten und bück­ten sich in ei­nem fort, dass ihre Schnä­bel bei­na­he die Erde be­rühr­ten; aber, o Jam­mer! das Zau­ber­wort war ih­nen ent­fal­len und so oft sich auch der Ka­li­fe bück­te, so sehn­lich auch sein We­sir Mu – Mu dazu rief, jede Erin­ne­rung dar­an war ver­schwun­den, und der arme Cha­sid und sein We­sir wa­ren und blie­ben Stör­che. –

III.

Trau­rig wan­del­ten die Ver­zau­ber­ten durch die Fel­der, sie wuss­ten gar nicht, was sie in ih­rem Elend an­fan­gen soll­ten. Aus ih­rer Stor­chen­haut konn­ten sie nicht her­aus, in die Stadt zu­rück konn­ten sie auch nicht um sich zu er­ken­nen zu ge­ben, denn wer hät­te ei­nem Stor­chen ge­glaubt, dass er der Ka­lif sei, und wenn man es auch ge­glaubt hät­te, wür­den die Ein­woh­ner von Bag­dad einen Stor­chen zum Ka­li­fen ge­wollt ha­ben?

So schli­chen sie meh­re­re Tage um­her, und er­nähr­ten sich küm­mer­lich von Feld­früch­ten, die sie aber we­gen ih­rer lan­gen Schnä­bel nicht gut ver­spei­sen konn­ten. Zu Ei­dech­sen und Fröschen hat­ten sie üb­ri­gens kei­nen Ap­pe­tit denn sie be­fürch­te­ten, mit sol­chen Lecker­bis­sen sich den Ma­gen zu ver­der­ben. Ihr ein­zi­ges Ver­gnü­gen in die­ser trau­ri­gen Lage war, dass sie flie­gen konn­ten, und so flo­gen sie oft auf die Dä­cher von Bag­dad, um zu se­hen, was dar­in vor­ging.

In den ers­ten Ta­gen be­merk­ten sie große Un­ru­he und Trau­er in den Stra­ßen; aber un­ge­fähr am vier­ten Tag nach ih­rer Ver­zau­be­rung sa­ßen sie auf dem Palast des Ka­li­fen, da sa­hen sie un­ten in der Stra­ße einen präch­ti­gen Auf­zug; Trom­meln und Pfei­fen er­tön­ten, ein Mann in ei­nem gold­ge­stick­ten Schar­lach­man­tel saß auf ei­nem ge­schmück­ten Pferd, um­ge­ben von glän­zen­den Die­nern; halb Bag­dad sprang ihm nach, und alle schri­en: »Heil Miz­ra! dem Herr­scher von Bag­dad!«

Da sa­hen die bei­den Stör­che auf dem Da­che des Palas­tes ein­an­der an, und der Ka­li­fe Cha­sid sprach: »Ahnst du jetzt, warum ich ver­zau­bert bin, Groß­we­sir? Die­ser Miz­ra ist der Sohn mei­nes Tod­fein­des, des mäch­ti­gen Zau­be­rers Kaschnur, der mir in ei­ner bö­sen Stun­de Ra­che schwur. Aber noch gebe ich die Hoff­nung nicht auf. Komm mit mir, du treu­er Ge­fähr­te mei­nes Elends, wir wol­len zum Grab des Pro­phe­ten wan­dern, viel­leicht dass an hei­li­ger Stät­te der Zau­ber ge­löst wird.«

Sie er­ho­ben sich vom Dach des Palas­tes, und flo­gen der Ge­gend von Me­di­na zu.

Mit dem Flie­gen woll­te es aber nicht gar gut ge­hen, denn die bei­den Stör­che hat­te noch we­nig Übung. »O Herr«, ächz­te nach ein paar Stun­den der Groß­we­sir, »ich hal­te es, mit Eu­rer Er­laub­nis, nicht mehr lan­ge aus, Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir tä­ten wohl, ein Un­ter­kom­men für die Nacht zu su­chen.«

Cha­sid gab der Bit­te sei­nes Die­ners Ge­hör; und da er un­ten im Tale eine Rui­ne er­blick­te, die ein Ob­dach zu ge­wäh­ren schi­en, so flo­gen sie da­hin. Der Ort, wo sie sich für die­se Nacht nie­der­ge­las­sen hat­ten, schi­en ehe­mals ein Schloss ge­we­sen zu sein. Schö­ne Säu­len rag­ten un­ter den Trüm­mern her­vor, meh­re­re Ge­mä­cher, die noch ziem­lich er­hal­ten wa­ren, zeug­ten von der ehe­ma­li­gen Pracht des Hau­ses. Cha­sid und sein Beglei­ter gin­gen durch die Gän­ge um­her, um sich ein tro­ckenes Plätz­chen zu su­chen; plötz­lich blieb der Storch Man­sor ste­hen. »Herr und Ge­bie­ter«, flüs­ter­te er lei­se, »wenn es nur nicht tö­richt für einen Groß­we­sir, noch mehr aber für einen Stor­chen wäre, sich vor Ge­s­pens­tern zu fürch­ten! Mir ist ganz un­heim­lich zu­mut, denn hier ne­ben hat es ganz ver­nehm­lich ge­seufzt und ge­stöhnt.« Der Ka­lif blieb nun auch ste­hen, und hör­te ganz deut­lich ein lei­ses Wei­nen, das eher ei­nem Men­schen, als ei­nem Tie­re an­zu­ge­hö­ren schi­en. Voll Er­war­tung woll­te er der Ge­gend zu­ge­hen, wo­her die Kla­ge­tö­ne ka­men, der We­sir aber pack­te ihn mit dem Schna­bel am Flü­gel, und bat ihn fle­hent­lich, sich nicht in neue un­be­kann­te Ge­fah­ren zu stür­zen. Doch ver­ge­bens! Der Ka­lif, dem auch un­ter dem Stor­chen­flü­gel ein tap­fe­res Herz schlug, riss sich mit Ver­lust ei­ni­ger Fe­dern los, und eil­te in einen fins­tern Gang. Bald war er an ei­ner Türe an­ge­langt, die nur an­ge­lehnt schi­en, und wor­aus er deut­li­che Seuf­zer, mit ein we­nig Ge­heul, ver­nahm. Er stieß mit dem Schna­bel die Türe auf, blieb aber über­rascht auf der Schwel­le ste­hen. In dem ver­fal­le­nen Ge­mach, das nur durch ein klei­nes Git­ter­fens­ter spär­lich er­leuch­tet war, sah er eine große Nacht­eu­le am Bo­den sit­zen. Di­cke Trä­nen roll­ten ihr aus den großen run­den Au­gen, und mit hei­se­rer Stim­me stieß sie ihre Kla­gen zu dem krum­men Schna­bel her­aus. Als sie aber den Ka­li­fen und sei­nen We­sir, der in­des auch her­bei­ge­schli­chen war, er­blick­te, er­hob sie ein lau­tes Freu­den­ge­schrei. Zier­lich wisch­te sie mit dem braun­ge­fleck­ten Flü­gel die Trä­nen aus dem Auge, und zu dem großen Er­stau­nen der bei­den, rief sie in gu­tem mensch­li­chem Ara­bisch: »Will­kom­men ihr Stör­che, ihr seid mir ein gu­tes Zei­chen mei­ner Er­ret­tung, denn durch Stör­che wer­de mir ein großes Glück kom­men, ist mir einst pro­phe­zeit wor­den!«

Als sich der Ka­lif von sei­nem Er­stau­nen er­holt hat­te, bück­te er sich mit sei­nem lan­gen Hals, brach­te sei­ne dün­nen Füße in eine zier­li­che Stel­lung, und sprach: »Nacht­eu­le! dei­nen Wor­ten nach, darf ich glau­ben, eine Lei­dens­ge­fähr­tin in dir zu se­hen. Aber ach! Dei­ne Hoff­nung, dass durch uns dei­ne Ret­tung kom­men wer­de, ist ver­geb­lich. Du wirst un­se­re Hilf­lo­sig­keit selbst er­ken­nen, wenn du un­se­re Ge­schich­te hörst.« Die Nacht­eu­le bat ihn zu er­zäh­len, der Ka­lif aber hub an und er­zähl­te, was wir be­reits wis­sen.

IV.

Als der Ka­lif der Eule sei­ne Ge­schich­te vor­ge­tra­gen hat­te, dank­te sie ihm und sag­te: »Ver­nimm auch mei­ne Ge­schich­te und höre, wie ich nicht we­ni­ger un­glück­lich bin als du. Mein Va­ter ist der Kö­nig von In­di­en, ich, sei­ne ein­zi­ge, un­glück­li­che Toch­ter, hei­ße Lusa. Je­ner Zau­be­rer Kaschnur, der euch ver­zau­ber­te, hat auch mich ins Un­glück ge­stürzt. Er kam ei­nes Tags zu mei­nem Va­ter und be­gehr­te mich zur Frau für sei­nen Sohn Miz­ra. Mein Va­ter aber, der ein hit­zi­ger Mann ist, ließ ihn die Trep­pe hin­un­ter­wer­fen. Der Elen­de wuss­te sich un­ter ei­ner an­de­ren Ge­stalt, wie­der in mei­ne Nähe zu schlei­chen, und als ich einst in mei­nem Gar­ten Er­fri­schun­gen zu mir neh­men woll­te, brach­te er mir, als Skla­ve ver­klei­det, einen Trank bei, der mich in die­se ab­scheu­li­che Ge­stalt ver­wan­del­te. Vor Schre­cken ohn­mäch­tig, brach­te er mich hier­her und rief mir mit schreck­li­cher Stim­me in die Ohren:

›Da sollst du blei­ben, häss­lich, selbst von den Tie­ren ver­ach­tet, bis an dein Ende, oder bis ei­ner aus frei­em Wil­len dich, selbst in die­ser schreck­li­chen Ge­stalt, zur Gat­tin be­gehrt. So rä­che ich mich an dir und dei­nem stol­zen Va­ter.‹

Seit­dem sind vie­le Mo­na­te ver­flos­sen. Ein­sam und trau­rig lebe ich als Ein­sied­le­rin in die­sem Ge­mäu­er, ver­ab­scheut von der Welt, selbst den Tie­ren ein Gräu­el; die schö­ne Na­tur ist vor mir ver­schlos­sen, denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein blei­ches Licht über dies Ge­mäu­er aus­gießt, fällt der ver­hül­len­de Schlei­er von mei­nem Auge.«

Die Eule hat­te ge­en­det, und wisch­te sich mit dem Flü­gel wie­der die Au­gen aus, denn die Er­zäh­lung ih­rer Lei­den hat­te ihr Trä­nen ent­lockt.

Der Ka­lif war bei der Er­zäh­lung der Prin­zes­sin in tie­fes Nach­den­ken ver­sun­ken. »Wenn mich nicht al­les täuscht«, sprach er, »so fin­det zwi­schen un­se­rem Un­glück ein ge­hei­mer Zu­sam­men­hang statt; aber wo fin­de ich den Schlüs­sel zu die­sem Rät­sel?«

Die Eule ant­wor­te­te ihm: »O Herr! auch mir ah­net dies; denn es ist mir einst in mei­ner frü­he­s­ten Ju­gend von ei­ner wei­sen Frau pro­phe­zeit wor­den, dass ein Storch mir ein großes Glück brin­gen wer­de, und ich wüss­te viel­leicht, wie wir uns ret­ten könn­ten.« Der Ka­lif war sehr er­staunt und frag­te, auf wel­chem Wege sie mei­ne? »Der Zau­be­rer, der uns bei­de un­glück­lich ge­macht hat«, sag­te sie, »kommt alle Mo­na­te ein­mal in die­se Rui­nen. Nicht weit von die­sem Ge­mach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vie­len Ge­nos­sen zu schmau­sen. Schon oft habe ich sie dort be­lauscht. Sie er­zäh­len dann ein­an­der ihre schänd­li­chen Wer­ke, viel­leicht dass er dann das Zau­ber­wort, das ihr ver­ges­sen habt, aus­spricht.«

»Oh, teu­ers­te Prin­zes­sin«, rief der Ka­lif, »sag an, wann kommt er, und wo ist der Saal?«

Die Eule schwieg einen Au­gen­blick, und sprach dann: »Neh­met es nicht un­gü­tig, aber nur un­ter ei­ner Be­din­gung kann ich Eu­ern Wunsch er­fül­len.«

»Sprich aus! sprich aus!« schrie Cha­sid, »be­fiehl, es ist mir jede recht –«

»Näm­lich ich möch­te auch ger­ne zu­gleich frei sein, dies kann aber nur ge­sche­hen, wenn ei­ner von euch mir sei­ne Hand reicht.«

Die Stör­che schie­nen über den An­trag et­was be­trof­fen zu sein, und der Ka­lif wink­te sei­nem Die­ner, ein we­nig mit ihm hin­aus­zu­ge­hen.

»Groß­we­sir«, sprach vor der Türe der Ka­lif, »das ist ein dum­mer Han­del, aber Ihr könn­tet sie schon neh­men.«

»So?« ant­wor­te­te die­ser, »dass mir mei­ne Frau, wenn ich nach Haus kom­me, die Au­gen aus­kratzt. Auch bin ich ein al­ter Mann, und Ihr seid noch jung und un­ver­hei­ra­tet, und kön­net eher ei­ner jun­gen schö­nen Prin­zeß die Hand ge­ben.«

»Das ist es eben«, seufz­te der Ka­lif, in­dem er trau­rig die Flü­gel hän­gen ließ, »wer sagt dir denn, dass sie jung und schön ist? Das heißt eine Kat­ze im Sack kau­fen!«

Sie re­de­ten ein­an­der ge­gen­sei­tig noch lan­ge zu, end­lich aber, als der Ka­lif sah, dass sein We­sir lie­ber Storch blei­ben, als die Eule hei­ra­ten woll­te, ent­schloss er sich, die Be­din­gung lie­ber selbst zu er­fül­len. Die Eule war hoch er­freut. Sie ge­stand ih­nen, dass sie zu kei­ner bes­sern Zeit hät­ten kom­men kön­nen, weil wahr­schein­lich in die­ser Nacht die Zau­be­rer sich ver­sam­meln wer­den.

Sie ver­ließ mit den Stör­chen das Ge­mach, um sie in je­nen Saal zu füh­ren; sie gin­gen lan­ge in ei­nem fins­tern Gang hin, end­lich strahl­te ih­nen aus ei­ner halb­ver­fal­le­nen Mau­er ein hel­ler Schein ent­ge­gen. Als sie dort an­ge­langt wa­ren, riet ih­nen die Eule, sich ganz ru­hig zu ver­hal­ten. Sie konn­ten von der Lücke, an wel­cher sie stan­den, einen großen Saal über­se­hen. Er war rings­um mit Säu­len ge­schmückt und pracht­voll ver­ziert. Vie­le far­bi­ge Lam­pen er­setz­ten das Licht des Ta­ges. In der Mit­te des Saa­l­es stand ein runder Tisch, mit vie­len und aus­ge­such­ten Spei­sen be­setzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf wel­chem 8 Män­ner sa­ßen. In ei­nem die­ser Män­ner er­kann­ten die Stör­che je­nen Krä­mer wie­der, der ih­nen das Zau­ber­pul­ver ver­kauft hat­te. Sein Ne­ben­sit­zer for­der­te ihn auf, ih­nen sei­ne neues­ten Ta­ten zu er­zäh­len. Er er­zähl­te un­ter an­de­ren auch die Ge­schich­te des Ka­li­fen und sei­nes We­sirs.

»Was für ein Wort hast du ih­nen denn auf­ge­ge­ben?« frag­te ihn ein an­de­rer Zau­be­rer. »Ein recht schwe­res la­tei­ni­sches, es heißt Muta­bor.«

V.

Als die Stör­che an ih­rer Mau­er­lücke die­ses hör­ten, ka­men sie vor Freu­den bei­na­he au­ßer sich. Sie lie­fen auf ih­ren lan­gen Fü­ßen so schnell dem Tor der Rui­ne zu, dass die Eule kaum fol­gen konn­te. Dort sprach der Ka­lif ge­rührt zu der Eule: »Ret­te­rin mei­nes Le­bens und des Le­bens mei­nes Freun­des, nimm zum ewi­gen Dank für das, was du an uns ge­tan, mich zum Ge­mahl an.« Dann aber wand­te er sich nach Os­ten. Drei­mal bück­ten die Stör­che ihre lan­gen Häl­se der Son­ne ent­ge­gen, die so­eben hin­ter dem Ge­bir­ge her­auf­stieg; »Muta­bor«, rie­fen sie, im Nu wa­ren sie ver­wan­delt, und in der ho­hen Freu­de des neu­ge­schenk­ten Le­bens, la­gen Herr und Die­ner la­chend und wei­nend ein­an­der in den Ar­men.

Wer be­schreibt aber ihr Er­stau­nen, als sie sich um­sa­hen. Eine schö­ne Dame, herr­lich ge­schmückt, stand vor ih­nen. Lä­chelnd gab sie dem Ka­li­fen die Hand: »Er­kennt Ihr Eure Nacht­eu­le nicht mehr?« sag­te sie. Sie war es; der Ka­lif war von ih­rer Schön­heit und An­mut so ent­zückt, dass er aus­rief: es sei sein größ­tes Glück, dass er Storch ge­wor­den sei.

Die drei zo­gen nun mit­ein­an­der auf Bag­dad zu. Der Ka­lif fand in sei­nen Klei­dern nicht nur die Dose mit Zau­ber­pul­ver, son­dern auch sei­nen Geld­beu­tel. Er kauf­te da­her im nächs­ten Dor­fe, was zu ih­rer Rei­se nö­tig war, und so ka­men sie bald an die Tore von Bag­dad. Dort aber er­reg­te die An­kunft des Ka­li­fen großes Er­stau­nen. Man hat­te ihn für tot aus­ge­ge­ben, und das Volk war da­her hoch er­freut, sei­nen ge­lieb­ten Herr­scher wie­der­zu­ha­ben.

Umso mehr aber ent­brann­te ihr Hass ge­gen den Be­trü­ger Miz­ra. Sie zo­gen in den Palast, und nah­men den al­ten Zau­be­rer und sei­nen Sohn ge­fan­gen. Den Al­ten schick­te der Ka­lif in das­sel­be Ge­mach der Rui­ne, das die Prin­zes­sin als Eule be­wohnt hat­te, und ließ ihn dort auf­hän­gen. Dem Sohn aber, wel­cher nichts von den Küns­ten des Va­ters ver­stand, ließ der Ka­lif die Wahl, ob er ster­ben oder schnup­fen wol­le. Als er das letz­te­re wähl­te, bot ihm der Groß­we­sir die Dose. Eine tüch­ti­ge Pri­se, und das Zau­ber­wort des Ka­li­fen ver­wan­del­te ihn in einen Stor­chen. Der Ka­lif ließ ihn in ein ei­ser­nes Kä­figt sper­ren und in sei­nem Gar­ten auf­stel­len.

Lan­ge und ver­gnügt leb­te Ka­lif Cha­sid mit sei­ner Frau, der Prin­zes­sin; sei­ne ver­gnüg­tes­ten Stun­den wa­ren im­mer die, wenn ihn der Groß­we­sir nach­mit­tags be­such­te; da spra­chen sie dann oft von ih­rem Stor­chen­aben­teu­er, und wenn der Ka­lif recht hei­ter war, ließ er sich her­ab, den Groß­we­sir nach­zuah­men, wie er als Storch aus­sah. Er stieg dann ernst­haft, mit stei­fen Fü­ßen im Zim­mer auf und ab, klap­per­te, we­del­te mit den Ar­men, wie mit Flü­geln und zeig­te, wie je­ner sich ver­geb­lich nach Os­ten ge­neigt und Mu – Mu – dazu ge­ru­fen habe. Für die Frau Ka­li­fin und ihre Kin­der war die­se Vor­stel­lung al­le­mal eine große Freu­de; wenn aber der Ka­lif gar zu lan­ge klap­per­te und nick­te und Mu – Mu – schrie, dann droh­te ihm lä­chelnd der We­sir: er wol­le das, was vor der Türe der Prin­zes­sin Nacht­eu­le ver­han­delt wor­den sei, der Frau Ka­li­fin mit­tei­len.

*

Als Se­lim Ba­ruch sei­ne Ge­schich­te ge­en­det hat­te, be­zeug­ten sich die Kauf­leu­te sehr zu­frie­den da­mit. »Wahr­haf­tig, der Nach­mit­tag ist uns ver­gan­gen, ohne dass wir merk­ten wie!« sag­te ei­ner der­sel­ben, in­dem er die De­cke des Zel­tes zu­rück­schlug. »Der Abend­wind we­het kühl, und wir könn­ten noch eine gute Stre­cke We­ges zu­rück­le­gen.« Sei­ne Ge­fähr­ten wa­ren da­mit ein­ver­stan­den, die Zel­te wur­den ab­ge­bro­chen, und die Ka­ra­wa­ne mach­te sich in der näm­li­chen Ord­nung, in wel­cher sie her­an­ge­zo­gen war, auf den Weg.

Sie rit­ten bei­na­he die gan­ze Nacht hin­durch, denn es war schwül am Tage, die Nacht aber war er­quick­lich und stern­hell. Sie ka­men end­lich an ei­nem be­que­men La­ger­platz an, schlu­gen die Zel­te auf und leg­ten sich zur Ruhe. Für den Frem­den aber sorg­ten die Kauf­leu­te, wie wenn er ihr wer­tes­ter Gast­freund wäre. Der eine gab ihm Pols­ter, der an­de­re De­cken, ein drit­ter gab ihm Skla­ven, kurz, er wur­de so gut be­dient, als ob er zu Hau­se wäre. Die hei­ße­ren Stun­den des Ta­ges wa­ren schon her­auf­ge­kom­men, als sie sich wie­der er­ho­ben, und sie be­schlos­sen ein­mü­tig, hier den Abend ab­zu­war­ten. Nach­dem sie mit­ein­an­der ge­speist hat­ten, rück­ten sie wie­der nä­her zu­sam­men, und der jun­ge Kauf­mann wand­te sich an den äl­tes­ten und sprach: »Se­lim Ba­ruch hat uns ges­tern einen ver­gnüg­ten Nach­mit­tag be­rei­tet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns auch et­was er­zähl­tet. Sei es nun aus Eu­rem lan­gen Le­ben, das wohl vie­le Aben­teu­er auf­zu­wei­sen hat, oder sei es auch ein hüb­sches Mär­chen.« Achmet schwieg auf die­se An­re­de eine Zeit lang, wie wenn er bei sich im Zwei­fel wäre, ob er dies oder je­nes sa­gen soll­te, oder nicht; end­lich fing er an zu spre­chen:

»Lie­be Freun­de! ihr habt euch auf die­ser un­se­rer Rei­se als treue Ge­sel­len er­probt, und auch Se­lim ver­dient mein Ver­trau­en; da­her will ich euch et­was aus mei­nem Le­ben mit­tei­len, das ich sonst un­gern und nicht je­dem er­zäh­le:

Die Ge­schich­te von dem Ge­s­pens­ter­schiff.«

Die Geschichte von dem Gespensterschiff

Mein Va­ter hat­te einen klei­nen La­den in Bal­so­ra; er war we­der arm noch reich und war ei­ner von je­nen Leu­ten, die nicht ger­ne et­was wa­gen, aus Furcht das we­ni­ge zu ver­lie­ren, das sie ha­ben. Er er­zog mich schlicht und recht, und brach­te es bald so weit, dass ich ihm an die Hand ge­hen konn­te. Gera­de als ich acht­zehn Jahr alt war, als er die ers­te grö­ße­re Spe­ku­la­ti­on mach­te, starb er, wahr­schein­lich aus Gram, tau­send Gold­stücke dem Mee­re an­ver­traut zu ha­ben. Ich muss­te ihn bald nach­her we­gen sei­nes To­des glück­lich prei­sen, denn we­ni­ge Wo­chen her­nach, lief die Nach­richt ein, dass das Schiff, dem mein Va­ter sei­ne Gü­ter mit­ge­ge­ben hat­te, ver­sun­ken sei. Mei­nen ju­gend­li­chen Mut konn­te aber die­ser Un­fall nicht beu­gen. Ich mach­te al­les vollends zu Geld, was mein Va­ter hin­ter­las­sen hat­te, und zog aus, um in der Frem­de mein Glück zu pro­bie­ren, nur von ei­nem al­ten Die­ner mei­nes Va­ters be­glei­tet, der sich aus al­ter An­häng­lich­keit nicht von mir und mei­nem Schick­sal tren­nen woll­te.

Im Ha­fen von Bal­so­ra schiff­ten wir uns mit güns­ti­gem Win­de ein. Das Schiff, auf dem ich mich ein­ge­mie­tet hat­te, war nach In­di­en be­stimmt. Wir wa­ren schon fünf­zehn Tage auf der ge­wöhn­li­chen Stra­ße ge­fah­ren, als uns der Ka­pi­tän einen Sturm ver­kün­de­te. Er mach­te ein be­denk­li­ches Ge­sicht, denn es schi­en, er ken­ne in die­ser Ge­gend das Fahr­was­ser nicht ge­nug, um ei­nem Sturm mit Ruhe be­geg­nen zu kön­nen. Er ließ alle Se­gel ein­zie­hen, und wir trie­ben ganz lang­sam hin. Die Nacht war an­ge­bro­chen, war hell und kalt, und der Ka­pi­tän glaub­te schon, sich in den An­zei­chen des Stur­mes ge­täuscht zu ha­ben. Auf ein­mal schweb­te ein Schiff, das wir vor­her nicht ge­se­hen hat­ten, dicht an dem uns­ri­gen vor­bei. Wil­des Jauch­zen und Ge­schrei er­scholl aus dem Ver­deck her­über, wor­über ich mich zu die­ser angst­vol­len Stun­de, vor ei­nem Sturm, nicht we­nig wun­der­te. Aber der Ka­pi­tän an mei­ner Sei­te wur­de blass, wie der Tod. »Mein Schiff ist ver­lo­ren«, rief er, »dort se­gelt der Tod!«

Ehe ich ihn noch über die­sen son­der­ba­ren Aus­ruf be­fra­gen konn­te, stürz­ten schon heu­lend und schrei­end die Ma­tro­sen her­ein: »Habt ihr ihn ge­sehn?« schri­en sie, »jetzt ist’s mit uns vor­bei.«

Der Ka­pi­tän aber ließ Trost­sprü­che aus dem Koran vor­le­sen, und setz­te sich selbst ans Steu­er­ru­der. Aber ver­ge­bens! Zu­se­hends braus­te der Sturm auf, und ehe eine Stun­de ver­ging, krach­te das Schiff und blieb sit­zen. Die Boo­te wur­den aus­ge­setzt, und kaum hat­ten sich die letz­ten Ma­tro­sen ge­ret­tet, so ver­sank das Schiff vor un­sern Au­gen, und als ein Bett­ler fuhr ich in die See hin­aus. Aber der Jam­mer hat­te noch kein Ende. Fürch­ter­li­cher tob­te der Sturm, das Boot war nicht mehr zu re­gie­ren. Ich hat­te mei­nen al­ten Die­ner fest um­schlun­gen und wir ver­spra­chen uns, nie von­ein­an­der zu wei­chen. End­lich brach der Tag an; aber mit dem ers­ten Blick der Mor­gen­rö­te fass­te der Wind das Boot, in wel­chem wir sa­ßen, und stürz­te es um. Ich habe kei­nen mei­ner Schiffs­leu­te mehr ge­se­hen. Der Sturz hat­te mich be­täubt; und als ich auf­wach­te, be­fand ich mich in den Ar­men mei­nes al­ten treu­en Die­ners, der sich auf das um­ge­schla­ge­ne Boot ge­ret­tet, und mich nach­ge­zo­gen hat­te. Der Sturm hat­te sich ge­legt. Von un­se­rem Schiff war nichts mehr zu se­hen, wohl aber ent­deck­ten wir, nicht weit von uns, ein an­de­res Schiff, auf das die Wel­len uns hin­trie­ben. Als wir nä­her hin­zu­ka­men, er­kann­te ich das Schiff als das­sel­be, das in der Nacht an uns vor­bei­fuhr, und wel­ches den Ka­pi­tän so sehr in Schre­cken ge­setzt hat­te. Ich emp­fand ein son­der­ba­res Grau­en vor die­sem Schif­fe. Die Äu­ße­rung des Ka­pi­täns, die sich so furcht­bar be­stä­tigt hat­te, das öde Aus­se­hen des Schif­fes, auf dem sich, so nahe wir auch her­an­ka­men, so laut wir schri­en, nie­mand zeig­te, er­schreck­ten mich. Doch es war un­ser ein­zi­ges Ret­tungs­mit­tel, dar­um prie­sen wir den Pro­phe­ten, der uns so wun­der­voll er­hal­ten hat­te.

Am Vor­der­teil des Schif­fes hing ein lan­ges Tau her­ab. Mit Hän­den und Fü­ßen ru­der­ten wir dar­auf zu, um es zu er­fas­sen. End­lich glück­te es. Noch ein­mal er­hob ich mei­ne Stim­me, aber im­mer blieb es still auf dem Schiff. Da klimm­ten wir an dem Tau hin­auf, ich als der Jüngs­te vor­an. Aber Ent­set­zen! Wel­ches Schau­spiel stell­te sich mei­nem Auge dar, als ich das Ver­deck be­trat. Der Bo­den war mit Blut ge­rötet, 20–30 Leich­na­me in tür­ki­schen Klei­dern la­gen auf dem Bo­den, am mitt­le­ren Mast­baum stand ein Mann, reich ge­klei­det, den Sä­bel in der Hand, aber das Ge­sicht war blass und ver­zerrt, durch die Stir­ne ging ein großer Na­gel, der ihn an den Mast­baum hef­te­te, auch er war tot. Schre­cken fes­sel­te mei­ne Schrit­te, ich wag­te kaum zu at­men. End­lich war auch mein Beglei­ter her­auf­ge­kom­men. Auch ihn über­rasch­te der An­blick des Ver­deckes, das gar nichts Le­ben­di­ges, son­dern nur so vie­le schreck­li­che Tote zeig­te. Wir wag­ten es end­lich, nach­dem wir in der See­len­angst zum Pro­phe­ten ge­fleht hat­ten, wei­ter vor­zu­schrei­ten. Bei je­dem Schrit­te sa­hen wir uns um, ob nicht et­was Neu­es, noch Schreck­li­che­res sich dar­bie­te; aber al­les blieb, wie es war; weit und breit nichts Le­ben­di­ges, als wir und das Welt­meer. Nicht ein­mal laut zu spre­chen wag­ten wir, aus Furcht, der tote, am Mast an­ge­spieß­te Ka­pi­ta­no, möch­te sei­ne star­re Au­gen nach uns hin­dre­hen, oder ei­ner der Ge­tö­te­ten möch­te sei­nen Kopf um­wen­den. End­lich wa­ren wir bis an eine Trep­pe ge­kom­men, die in den Schiffs­raum führ­te. Un­will­kür­lich mach­ten wir dort halt und sa­hen ein­an­der an, denn kei­ner wag­te es recht, sei­ne Ge­dan­ken zu äu­ßern.

»O Herr«, sprach mein treu­er Die­ner, »hier ist et­was Schreck­li­ches ge­sche­hen. Doch, wenn auch das Schiff da un­ten voll Mör­der steckt, so will ich mich ih­nen doch lie­ber auf Gna­de und Un­gna­de er­ge­ben, als län­ge­re Zeit un­ter die­sen To­ten zu­brin­gen.« Ich dach­te wie er, wir fass­ten ein Herz und stie­gen voll Er­war­tung hin­un­ter. To­ten­stil­le war aber auch hier, und nur un­se­re Schrit­te hall­ten auf der Trep­pe. Wir stan­den an der Türe der Ka­jü­te. Ich leg­te mein Ohr an die Türe und lausch­te, es war nichts zu hö­ren. Ich mach­te auf. Das Ge­mach bot einen un­or­dent­li­chen An­blick dar. Klei­der, Waf­fen und an­de­res Gerä­te lag un­ter­ein­an­der. Nichts in Ord­nung. Die Mann­schaft, oder we­nigs­tens der Ka­pi­ta­no, muss­te vor kur­z­em ge­zecht ha­ben, denn es lag al­les noch um­her. Wir gin­gen wei­ter von Raum zu Raum, von Ge­mach zu Ge­mach, über­all fan­den wir herr­li­che Vor­rä­te in Sei­de, Per­len, Zu­cker usw. Ich war vor Freu­de über die­sen An­blick au­ßer mir, denn da nie­mand auf dem Schiff war, glaub­te ich, al­les mir zu­eig­nen zu dür­fen, Ibra­him aber mach­te mich auf­merk­sam dar­auf, dass wir wahr­schein­lich noch sehr weit vom Land sei­en, wo­hin wir al­lein und ohne mensch­li­che Hil­fe nicht kom­men kön­nen.

Wir lab­ten uns an den Spei­sen und Ge­trän­ken, die wir in reich­li­chem Maß vor­fan­den, und stie­gen end­lich wie­der aufs Ver­deck. Aber hier schau­der­te uns im­mer die Haut, ob dem schreck­li­chen An­blick der Lei­chen. Wir be­schlos­sen, uns da­von zu be­frei­en und sie über Bord zu wer­fen; aber wie schau­er­lich ward uns zu­mut, als wir fan­den, dass sich kei­ner aus sei­ner Lage be­we­gen ließ. Wie fest­ge­bannt la­gen sie am Bo­den, und man hät­te den Bo­den des Ver­decks aus­he­ben müs­sen, um sie zu ent­fer­nen, und dazu ge­brach es uns an Werk­zeu­gen. Auch der Ka­pi­ta­no ließ sich nicht von sei­nem Mast los­ma­chen, nicht ein­mal sei­nen Sä­bel konn­ten wir der star­ren Hand ent­win­den. Wir brach­ten den Tag in trau­ri­ger Be­trach­tung un­se­rer Lage zu, und als es Nacht zu wer­den an­fing, er­laubt ich dem al­ten Ibra­him, sich schla­fen zu le­gen, ich selbst aber woll­te auf dem Ver­deck wa­chen, um nach Ret­tung aus­zu­spä­hen. Als aber der Mond her­auf­kam und ich nach den Gestir­nen be­rech­ne­te, dass es wohl um die eilf­te Stun­de sei, über­fiel mich ein so un­wi­der­steh­li­cher Schlaf, dass ich un­will­kür­lich hin­ter ein Fass, das auf dem Ver­deck stand, zu­rück­fiel. Doch war es mehr Be­täu­bung als Schlaf, denn ich hör­te deut­lich die See an der Sei­te des Schif­fes an­schla­gen, und die Se­gel vom Win­de knar­ren und pfei­fen. Auf ein­mal glaub­te ich Stim­men und Män­ner­trit­te auf dem Ver­deck zu hö­ren. Ich woll­te mich auf­rich­ten, um da­nach zu schau­en; aber eine un­sicht­ba­re Ge­walt hielt mei­ne Glie­der ge­fes­selt, nicht ein­mal die Au­gen konn­te ich auf­schla­gen. Aber im­mer deut­li­cher wur­den die Stim­men, es war mir, als wenn ein fröh­li­ches Schiffs­volk auf dem Ver­deck sich um­her­trie­be; mit­un­ter glaub­te ich, die kräf­ti­ge Stim­me ei­nes Be­feh­len­den zu hö­ren, auch hör­te ich Taue und Se­gel deut­lich auf- und ab­zie­hen. Nach und nach aber schwan­den mir die Sin­ne, ich ver­fiel in einen tiefe­ren Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waf­fen zu hö­ren glaub­te, und er­wach­te erst, als die Son­ne schon hoch stand und mir aufs Ge­sicht brann­te. Ver­wun­dert schau­te ich mich um, Sturm, Schiff, die To­ten und was ich in die­ser Nacht ge­hört hat­te, kam mir wie ein Traum vor, aber als ich auf­blick­te, fand ich al­les wie ges­tern. Un­be­weg­lich la­gen die To­ten, un­be­weg­lich war der Ka­pi­ta­no an den Mast­baum ge­hef­tet. Ich lach­te über mei­nen Traum und stand auf, um mei­nen Al­ten zu su­chen.

Die­ser saß ganz nach­denk­lich in der Ka­jü­te. »O Herr!« rief er aus, als ich zu ihm her­ein­trat, »ich woll­te lie­ber im tiefs­ten Grund des Mee­res lie­gen als in die­sem ver­hex­ten Schiff noch eine Nacht zu­brin­gen.« Ich frag­te ihn nach der Ur­sa­che sei­nes Kum­mers, und er ant­wor­te­te mir: »Als ich ei­ni­ge Stun­den ge­schla­fen hat­te, wach­te ich auf und ver­nahm, wie man über mei­nem Haupt hin und her lief. Ich dach­te zu­erst Ihr wä­ret es, aber es wa­ren we­nigs­tens zwan­zig, die oben um­her­lie­fen, auch hör­te ich ru­fen und schrei­en. End­lich ka­men schwe­re Trit­te die Trep­pe her­ab. Da wuss­te ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehr­te auf ei­ni­ge Au­gen­bli­cke mei­ne Be­sin­nung zu­rück, und da sah ich dann den­sel­ben Mann, der oben am Mast an­ge­na­gelt ist, an je­nem Tisch dort sit­zen, sin­gend und trin­kend, aber der, der in ei­nem ro­ten Schar­lach­kleid nicht weit von ihm am Bo­den liegt, saß ne­ben ihm und half ihm trin­ken.« Also er­zähl­te mir mein al­ter Die­ner.

Ihr könnt es mir glau­ben, mei­ne Freun­de, dass mir gar nicht wohl zu­mut war; denn es war kei­ne Täu­schung, ich hat­te ja auch die To­ten gar wohl ge­hö­ret. In sol­cher Ge­sell­schaft zu schif­fen, war mir gräu­lich. Mein Ibra­him aber ver­sank wie­der in tie­fes Nach­den­ken. »Jetzt hab ich’s«, rief er end­lich aus; es fiel ihm näm­lich ein Sprüch­lein ein, das ihn sein Groß­va­ter, ein er­fah­re­ner, weit­ge­reis­ter Mann ge­lehrt hat­te, und das ge­gen je­den Geis­ter- und Zau­ber­spuk hel­fen soll­te; auch be­haup­te­te er je­nen un­na­tür­li­chen Schlaf, der uns be­fiel, in der nächs­ten Nacht ver­hin­dern zu kön­nen, wenn wir näm­lich recht eif­rig Sprü­che aus dem Koran be­te­ten. Der Vor­schlag des al­ten Man­nes ge­fiel mir wohl. In ban­ger Er­war­tung sa­hen wir die Nacht her­an­kom­men. Ne­ben der Ka­jü­te war ein klei­nes Käm­mer­chen, dort­hin be­schlos­sen wir uns zu­rück­zu­zie­hen. Wir bohr­ten meh­re­re Lö­cher in die Türe, hin­läng­lich groß, um durch sie die gan­ze Ka­jü­te zu über­schau­en; dann ver­schlos­sen wir die Türe, so gut es ging, von in­nen, und Ibra­him schrieb den Na­men des Pro­phe­ten in alle vier Ecken. So er­war­te­ten wir die Schre­cken der Nacht. Es moch­te wie­der un­ge­fähr eilf Uhr sein, als es mich ge­wal­tig zu schlä­fern an­fing. Mein Ge­fähr­te riet mir da­her, ei­ni­ge Sprü­che des Korans zu be­ten, was mir auch half. Mit ei­nem Male schi­en es oben leb­haft zu wer­den, die Taue knarr­ten, Schrit­te gin­gen über das Ver­deck und meh­re­re Stim­men wa­ren deut­lich zu un­ter­schei­den. Meh­re­re Mi­nu­ten hat­ten wir so in ge­spann­ter Er­war­tung ge­ses­sen, da hör­ten wir et­was die Trep­pe der Ka­jü­te her­ab­kom­men. Als dies der Alte hör­te, fing er an, sei­nen Spruch, den ihn sein Groß­va­ter ge­gen Spuk und Zau­be­rei ge­lehrt hat­te, her­zu­sa­gen:

»Kommt ihr her­ab aus der Luft, Steigt ihr aus tie­fem Meer, Sch­lieft ihr in dunk­ler Gruft Stammt ihr vom Feu­er her: Al­lah ist euer Herr und Meis­ter Ihm sind ge­hor­sam alle Geis­ter.«

Ich muss ge­ste­hen, ich glaub­te gar nicht recht an die­sen Spruch und mir stieg das Haar zu Berg, als die Türe auf­flog. He­rein trat je­ner große, statt­li­che Mann, den ich am Mast­baum an­ge­na­gelt ge­se­hen hat­te. Der Na­gel ging ihm auch jetzt mit­ten durchs Hirn, das Schwert aber hat­te er in die Schei­de ge­steckt, hin­ter ihm trat noch ein an­de­rer her­ein, we­ni­ger kost­bar ge­klei­det; auch ihn hat­te ich oben lie­gen se­hen. Der Ka­pi­ta­no, denn dies war er un­ver­kenn­bar, hat­te ein blei­ches Ge­sicht, einen großen schwar­zen Bart, wildrol­len­de Au­gen, mit de­nen er sich im gan­zen Ge­mach um­sah. Ich konn­te ihn ganz deut­lich se­hen, als er an un­se­rer Türe vor­über­ging; er aber schi­en gar nicht auf die Türe zu ach­ten, die uns ver­barg. Bei­de setz­ten sich an den Tisch, der in der Mit­te der Ka­jü­te stand, und spra­chen laut und fast schrei­end mit­ein­an­der in ei­ner un­be­kann­ten Spra­che. Sie wur­den im­mer lau­ter und eif­ri­ger, bis end­lich der Ka­pi­ta­no mit ge­ball­ter Faust auf den Tisch hin­ein­schlug, dass das Zim­mer dröhn­te. Mit wil­dem Ge­läch­ter sprang der an­de­re auf und wink­te dem Ka­pi­ta­no, ihm zu fol­gen. Die­ser stand auf, riss sei­nen Sä­bel aus der Schei­de und bei­de ver­lie­ßen das Ge­mach. Wir at­me­ten frei­er als sie weg wa­ren; aber un­se­re Angst hat­te noch lan­ge kein Ende. Im­mer lau­ter und lau­ter ward es auf dem Ver­deck. Man hör­te eilends hin und her lau­fen und schrei­en, la­chen und heu­len. End­lich ging ein wahr­haft höl­li­scher Lärm los, so­dass wir glaub­ten, das Ver­deck mit al­len Se­geln kom­me zu uns her­ab, Waf­fen­ge­klirr und Ge­schrei – auf ein­mal aber tie­fe Stil­le. Als wir es nach vie­len Stun­den wag­ten hin­auf­zu­ge­hen, tra­fen wir al­les wie sonst; nicht ei­ner lag an­ders als frü­her, alle wa­ren steif wie Holz.

So wa­ren wir meh­re­re Tage auf dem Schif­fe, es ging im­mer nach Os­ten, wo­hin zu, nach mei­ner Be­rech­nung, Land lie­gen muss­te, aber wenn es auch bei Tag vie­le Mei­len zu­rück­ge­legt hat­te, bei Nacht schi­en es im­mer wie­der zu­rück­zu­keh­ren, denn wir be­fan­den uns im­mer wie­der am näm­li­chen Fleck, wenn die Son­ne auf­ging. Wir konn­ten uns dies nicht an­ders er­klä­ren, als dass die To­ten jede Nacht mit vol­lem Win­de zu­rück­se­gel­ten. Um nun dies zu ver­hü­ten, zo­gen wir, ehe es Nacht wur­de, alle Se­gel ein und wand­ten das­sel­be Mit­tel an, wie bei der Türe in der Ka­jü­te; wir schrie­ben den Na­men des Pro­phe­ten auf Per­ga­ment und auch das Sprüch­lein des Groß­va­ters dazu, und ban­den es um die ein­ge­zo­ge­nen Se­gel. Ängst­lich war­te­ten wir in un­se­rem Käm­mer­chen den Er­folg ab. Der Spuk schi­en dies­mal noch är­ger zu to­ben, aber sie­he, am an­de­ren Mor­gen wa­ren die Se­gel noch auf­ge­rollt, wie wir sie ver­las­sen hat­ten. Wir spann­ten den Tag über nur so vie­le Se­gel auf, als nö­tig wa­ren, das Schiff sanft fort­zu­trei­ben, und so leg­ten wir in fünf Ta­gen eine gute Stre­cke zu­rück.

End­lich am Mor­gen des sechs­ten Ta­ges, ent­deck­ten wir in ge­rin­ger Fer­ne Land, und wir dank­ten Al­lah und sei­nem Pro­phe­ten, für un­se­re wun­der­ba­re Ret­tung. Die­sen Tag und die fol­gen­de Nacht trie­ben wir an ei­ner Küs­te hin, und am sie­ben­ten Mor­gen glaub­ten wir in ge­rin­ger Ent­fer­nung eine Stadt zu ent­de­cken; wir lie­ßen mit vie­ler Mühe einen An­ker in die See, der al­so­bald Grund fass­te, setz­ten ein klei­nes Boot, das auf dem Ver­deck stand, aus, und ru­der­ten mit al­ler Macht der Stadt zu. Nach ei­ner hal­b­en Stun­de lie­fen wir in einen Fluss ein, der sich in die See er­goss, und stie­gen ans Ufer. Im Stadt­tor er­kun­dig­ten wir uns, wie die Stadt hei­ße, und er­fuh­ren, dass es eine in­di­sche Stadt sei, nicht weit von der Ge­gend, wo­hin ich zu­erst zu schif­fen wil­lens war. Wir be­ga­ben uns in eine Ka­ra­wan­se­rei und er­frisch­ten uns von un­se­rer aben­teu­er­li­chen Rei­se. Ich forsch­te da­selbst auch nach ei­nem wei­sen und ver­stän­di­gen Mann, in­dem ich dem Wirt zu ver­ste­hen gab, dass ich einen sol­chen ha­ben möch­te, der sich ein we­nig auf Zau­be­rei ver­ste­he. Er führ­te mich in eine ab­ge­le­ge­ne Stra­ße, an ein un­schein­ba­res Haus, poch­te an und man ließ mich ein­tre­ten, mit der Wei­sung, ich sol­le nur nach Mu­ley fra­gen.

In dem Hau­se kam mir ein al­tes Männ­lein mit grau­em Bart und lan­ger Nase ent­ge­gen, und frag­te nach mei­nem Be­gehr. Ich sag­te ihm, ich su­che den wei­sen Mu­ley und er ant­wor­te­te mir, er seie es selbst. Ich frag­te ihn nun um Rat, was ich mit den To­ten ma­chen sol­le, und wie ich es an­grei­fen müs­se, um sie aus dem Schiff zu brin­gen? Er ant­wor­te­te mir: die Leu­te des Schif­fes sei­en wahr­schein­lich we­gen ir­gend­ei­nes Fre­vels auf das Meer ver­zau­bert; er glau­be, der Zau­ber wer­de sich lö­sen, wenn man sie ans Land brin­ge; dies kön­ne aber nicht ge­sche­hen, als wenn man die Bret­ter, auf de­nen sie lie­gen, los­ma­che. Mir ge­hö­re, von Gott und Rechts we­gen, das Schiff samt al­len Gü­tern, weil ich es gleich­sam ge­fun­den habe; doch sol­le ich al­les sehr ge­heim­hal­ten, und ihm ein klei­nes Ge­schenk von mei­nem Über­fluss ma­chen, er wol­le da­für mit sei­nen Skla­ven mir be­hilf­lich sein, die To­ten weg­zu­schaf­fen. Ich ver­sprach ihn reich­lich zu be­loh­nen, und wir mach­ten uns mit fünf Skla­ven, die mit Sä­gen und Bei­len ver­se­hen wa­ren, auf den Weg. Un­ter­wegs konn­te der Zau­be­rer Mu­ley un­se­ren glück­li­chen Ein­fall, die Se­gel mit den Sprü­chen des Korans zu um­win­den, nicht ge­nug lo­ben. Er sag­te, es sei dies das ein­zi­ge Mit­tel ge­we­sen, uns zu ret­ten.

Es war noch ziem­lich früh am Tage, als wir beim Schiff an­ka­men. Wir mach­ten uns alle so­gleich ans Werk, und in ei­ner Stun­de la­gen schon vier in dem Na­chen. Ei­ni­ge der Skla­ven muss­ten sie ans Land ru­dern, um sie dort zu ver­schar­ren. Sie er­zähl­ten als sie zu­rück­ka­men, die To­ten ha­ben ih­nen die Mühe des Be­gra­bens er­spart, in­dem sie, so­wie man sie auf die Erde ge­legt habe, in Staub zer­fal­len sei­en. Wir fuh­ren fort, die To­ten ab­zu­sä­gen, und bis vor Abend wa­ren alle ans Land ge­bracht. Es war end­lich kei­ner mehr am Bord als der, wel­cher am Mast an­ge­na­gelt war. Um­sonst such­ten wir den Na­gel aus dem Holz zu zie­hen, kei­ne Ge­walt ver­moch­te ihn auch nur ein Haar breit zu ver­rücken. Ich wuss­te nicht, was an­zu­fan­gen war, man konn­te doch nicht den Mast­baum ab­hau­en, um ihn ans Land zu füh­ren. Doch aus die­ser Ver­le­gen­heit half Mu­ley. Er ließ schnell einen Skla­ven ans Land ru­dern, um einen Topf mit Erde zu brin­gen. Als die­ser her­bei­ge­holt war, sprach der Zau­be­rer ge­heim­nis­vol­le Wor­te dar­über aus, und schüt­te­te die Erde auf das Haupt des To­ten. So­gleich schlug die­ser die Au­gen auf, hol­te tief Atem, und die Wun­de des Na­gels in sei­ner Stir­ne, fing an zu blu­ten. Wir zo­gen den Na­gel jetzt leicht her­aus, und der Ver­wun­de­te fiel ei­nem der Skla­ven in die Arme.

»Wer hat mich hier­her ge­führt?« sprach er, nach­dem er sich ein we­nig er­holt zu ha­ben schi­en. Mu­ley zeig­te auf mich, und ich trat zu ihm. »Dank dir un­be­kann­ter Fremd­ling, du hast mich von lan­gen Qua­len er­ret­tet. Seit fünf­zig Jah­ren schifft mein Leib durch die­se Wo­gen, und mein Geist war ver­dammt, jede Nacht in ihn zu­rück­zu­keh­ren. Aber jetzt hat mein Haupt die Erde be­rührt, und ich kann ver­söhnt zu mei­nen Vä­tern ge­hen.«