Die Memoiren des Sherlock Holmes - Arthur Conan Doyle - E-Book

Die Memoiren des Sherlock Holmes E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

»Ich folge einem alten Leitsatz, der besagt, dass das, was nach Ausschluss des Unmöglichen übrigbleibt, aller Widersinnigkeit zum Trotz die Wahrheit sein muss. « Maskierte Besucher, verzweifelte Pfandleiher, todbringende Briefe mit fünf Orangenkernen, ein blauer Karfunkel: Die berühmtesten Geschichten des Meisterdetektivs - zwölf teuflisch vertrackte Fälle mit atemberaubenden Lösungen. Andere Detektive haben Fälle, Sherlock Holmes erlebt Abenteuer - entdecken Sie sie neu in der großartigen Übersetzung von Henning Ahrens.

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Seitenzahl: 374

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Arthur Conan Doyle

Die Memoiren des Sherlock Holmes

Erzählungen

Aus dem Englischen von Henning Ahrens

FISCHER E-Books

Inhalt

Silver BlazeDas gelbe GesichtDer Buchhalter des BörsenmaklersDie »Gloria Scott«Das Musgrave-RitualDas Rätsel von ReigateDer BuckligeDer HauspatientDer griechische DolmetscherDas FlottenabkommenDas letzte ProblemEditorische NotizZur Neuübersetzung

Silver Blaze

»Ich fürchte, ich muss aufbrechen, Watson«, sagte Holmes, als wir uns eines Morgens zum Frühstück setzten.

»Aufbrechen? Wohin denn?«

»Nach Dartmoor. King’s Pyland, um genau zu sein.«

Das kam nicht überraschend. Stattdessen fragte ich mich, warum er sich nicht längst mit diesem Fall auseinandersetzte, der in ganz England das beherrschende Gesprächsthema war. Mein Mitbewohner war den ganzen Tag wie ein Tiger im Käfig durch das Zimmer gewandert, das Kinn auf der Brust, die Stirn in Falten gelegt, hatte eine Pfeife nach der anderen mit dem stärksten schwarzen Tabak gestopft und meine Bemerkungen und Fragen beharrlich ignoriert. Unser Zeitungshändler hatte uns jede frisch gedruckte Zeitung bringen lassen, die Holmes überflog und dann in eine Ecke pfefferte. Ja, er schwieg, doch ich glaubte zu wissen, was ihn beschäftigte, denn es gab nur einen einzigen aktuellen Fall, der seine analytischen Fähigkeiten herausforderte: Das plötzliche Verschwinden des Pferdes, das beim Wessex Cup als Favorit gehandelt worden war, und die Ermordung seines Trainers. Als Holmes aus heiterem Himmel erklärte, zum Ort des Geschehens aufbrechen zu wollen, erfüllte er damit also nur meine Erwartungen und Hoffnungen.

»Ich würde Sie liebend gern begleiten, vorausgesetzt, ich bin nicht im Weg«, sagte ich.

»Sie wären mir eine große Hilfe, mein lieber Watson. Und ich glaube nicht, dass Sie Ihre Zeit vertun, denn manche Aspekte dieses Falles deuten an, dass er sich als absolut einzigartig erweisen könnte. Wir müssen uns beeilen, wenn wir in der Paddington Station den nächsten Zug erwischen wollen. Ich weihe Sie unterwegs in die Sache ein. Wäre übrigens großartig, wenn Sie Ihren erstklassigen Feldstecher mitnehmen könnten.«

So kam es, dass ich eine Stunde später in einem Abteil erster Klasse eines Zuges nach Exeter saß. Sherlock Holmes begann sofort, den Stapel aktueller Zeitungen durchzublättern, die er in der Paddington Station gekauft hatte, das hellwache, hochkonzentrierte Gesicht von den Ohrenklappen seiner Reisemütze gerahmt. Wir hatten Reading schon weit hinter uns gelassen, als er die letzte Zeitung unter den Sitz schob und mir sein Zigarrenetui anbot.

»Wir kommen flott voran«, sagte er, schaute aus dem Fenster und dann auf seine Uhr. »Der Zug fährt dreiundfünfzigeinhalb Meilen pro Stunde.«

»Die Markierungspfosten für die Viertelmeilen habe ich gar nicht bemerkt«, erwiderte ich.

»Ich auch nicht. Aber auf dieser Strecke beträgt der Abstand zwischen den Telegraphenmasten jeweils sechzig Meter, und die Rechnung ist ganz einfach. Ich nehme an, dass Sie sich mit dem Mord an John Straker und dem Verschwinden von Silver Blaze beschäftigt haben?«

»Ich habe die Artikel im Telegraph und im Chronicle gelesen.«

»Wir haben es mit einem jener Fälle zu tun, in denen man sich als Analytiker auf das Durchsieben der Details konzentrieren muss, nicht auf die Suche nach neuen Beweisen. Dieses Verbrechen ist so außergewöhnlich, so erschütternd und von so großer und unmittelbarer Bedeutung für so viele Menschen, dass es an einer Überfülle von Mutmaßungen, Hirngespinsten und Hypothesen krankt. Die Schwierigkeit besteht darin, das Grundgerüst der Fakten – der absolut unwiderlegbaren Fakten – aus dem herauszuschälen, was sich Theoretiker und Reporter zusammengereimt haben. Sobald wir auf dieser festen Grundlage stehen, müssen wir überlegen, welche Folgerungen daraus abzuleiten sind und worin die hervorstechenden Dreh- und Angelpunkte dieses Rätsels bestehen. Am Dienstagabend habe ich zwei Telegramme erhalten, eines von Colonel Ross, dem Eigentümer des Pferdes, und eines von Inspektor Gregory, der die Ermittlungen leitet und mich zur Zusammenarbeit einlädt.«

»Dienstagabend!«, entfuhr es mir. »Wir haben Donnerstag. Warum sind Sie nicht schon gestern aufgebrochen, sondern erst heute früh?«

»Weil ich mich geirrt habe, mein lieber Watson – was leider viel öfter passiert, als jene Menschen glauben, die mich nur aus Ihren Memoiren kennen. Ich hielt es für absolut undenkbar, dass man das beste Rennpferd Englands lange verstecken könnte, zumal in einer so menschenleeren Gegend wie dem Norden Dartmoors, und habe gestern stündlich die Nachricht erwartet, dass man es aufgestöbert habe und dass sein Entführer mit dem Mörder John Strakers identisch sei. Als ich heute früh erfuhr, dass es noch keine konkreten Ergebnisse gibt – von der Verhaftung des jungen Fitzroy Simpson einmal abgesehen –, hatte ich jedoch das Gefühl, handeln zu müssen. Trotzdem glaube ich, dass ich den gestrigen Tag nicht ganz verplempert habe.«

»Sie haben also eine Theorie?«

»Sagen wir lieber, dass ich die grundlegenden Fakten bestimmt habe, und weil man einen Fall stets klarer sieht, wenn man ihn jemandem darlegt, zähle ich sie Ihnen auf. Außerdem können Sie mich erst unterstützen, wenn Sie unsere Ausgangsposition kennen, richtig?«

Ich lehnte mich auf dem Sitz zurück und zog an der Zigarre, während Holmes, vorgebeugt und jeden Punkt mit seinem langen, schmalen Zeigefinger auf der linken Handfläche abhakend, die Ereignisse skizzierte, die zu unserer Reise geführt hatten.

»Silver Blaze«, sagte er, »stammt von Isonomy ab. Er ist fünf Jahre alt, hat auf der Rennbahn ebenso glänzende Erfolge errungen wie sein berühmter Vorfahre und für den Reitstall seines Eigentümers, Colonel Ross, einen Preis nach dem anderen geholt. Bis zum Zeitpunkt des Verbrechens galt er als Topfavorit für den Wessex Cup, die Wetten standen drei zu eins. Er war von Anfang an ein Liebling des Publikums, das er niemals enttäuschte, mit der Folge, dass man trotz seiner Favoritenrolle hohe Summen auf ihn gesetzt hat. Es versteht sich also von selbst, dass zahlreiche Personen ein Interesse daran haben, den Start von Silver Blaze am nächsten Dienstag zu verhindern.

Im Trainingsstall des Colonels in King’s Pyland war man sich dessen bewusst und ergriff Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz des favorisierten Pferdes. Der Trainer, John Straker, ist für den Stall von Colonel Ross fünf Jahre als Jockey geritten. Dann war er zu schwer für den Sattel und arbeitete weitere sieben Jahre als Trainer. Während dieser Zeit erwies er sich als loyaler und beflissener Angestellter des Colonels. Ihm standen drei junge Burschen zur Seite, denn der Rennstall besitzt nur vier Pferde, ist also relativ klein. Jede Nacht wachte einer der Burschen im Stall, die anderen schliefen auf dem Häckselboden. Alle drei haben einen einwandfreien Leumund. Die kleine Villa John Strakers liegt eine halbe Meile nördlich der Ställe. Er ist gut situiert, hat eine Ehefrau, aber keine Kinder und beschäftigt ein Hausmädchen. Die Gegend rund um sein Grundstück ist ziemlich einsam, aber eine weitere halbe Meile nördlich hat ein Bauunternehmer aus Tavistock für Invaliden und andere Leute, die die reine Luft Dartmoors genießen möchten, mehrere Villen erbaut. Die Kleinstadt Tavistock liegt zwei Meilen weiter westlich, und jenseits des Moores, ebenfalls in gut zwei Meilen Entfernung, gibt es noch Mapleton. Dort befindet sich ein wesentlich größerer Trainingsstall, der Lord Backwater gehört und von Silas Brown geleitet wird. In jeder anderen Richtung ist das Moor eine Wildnis, in der nur einige Roma leben. So weit die Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des Verbrechens, dem Montagabend.

An jenem Abend hatte man die Pferde wie üblich bewegt und getränkt, die Ställe wurden um einundzwanzig Uhr verriegelt. Zwei Burschen gingen zum Haus des Trainers, um in dessen Küche etwas zu essen, während der dritte, Ned Hunter, Wache hielt. Kurz nach einundzwanzig Uhr brach das Hausmädchen Edith Baxter auf, um ihm eine Portion Lammcurry zu bringen. Sie hatte nichts zu trinken dabei, denn in den Ställen gibt es einen Wasserhahn, und den wachhabenden Burschen waren andere Getränke verboten. Das Hausmädchen hatte eine Laterne, denn es war stockdunkel, und der Weg führt quer durch das Moor.

Die Ställe waren nur noch dreißig Meter entfernt, als ein Mann aus der Dunkelheit auftauchte und Edith Baxter zurief, sie solle warten. Als er in den Lichtschein der Laterne trat, konnte sie erkennen, dass er einen grauen Tweedanzug, Stoffmütze und Gamaschen trug, die Haltung eines Gentlemans hatte und einen dicken Stock mit Knauf bei sich führte. Am auffälligsten fand sie jedoch seine extreme Blässe und Nervosität. Laut ihrer Schätzung war er knapp über dreißig.

›Können Sie mir sagen, wo ich bin?‹, fragte er. ›Ich hatte mich schon damit abgefunden, die Nacht im Moor zu verbringen, aber dann habe ich das Licht Ihrer Laterne gesehen.‹

›Sie sind in der Nähe der Trainingsställe von King’s Pyland‹, antwortete das Hausmädchen.

›Wirklich! So ein Glück!‹, rief er. ›Soweit ich weiß, schläft dort jede Nacht ein Stallbursche. Bringen Sie ihm das Abendessen? Sie wären doch sicher nicht zu stolz, um sich den Gegenwert eines neuen Kleides zu verdienen, oder?‹ Er zog einen weißen Umschlag aus der Westentasche. ›Übergeben Sie dies dem Burschen, und Sie werden das schönste Kleid bekommen, das mit Geld zu kaufen ist.‹

Seine Beharrlichkeit jagte ihr Angst ein, und sie lief an ihm vorbei zu der Luke, durch die sie den Burschen die Mahlzeiten reichte. Sie stand offen, und Hunter saß drinnen an einem kleinen Tisch. Das Hausmädchen wollte ihm den Vorfall gerade schildern, als der Fremde neben sie trat.

›Guten Abend‹, sagte er mit einem Blick durch die Luke. ›Kann ich kurz mit Ihnen reden?‹ Das Mädchen schwört, eine Ecke des Umschlags habe aus seiner geschlossenen Hand geragt.

›Was haben Sie hier zu suchen?‹, fragte der Bursche.

›Etwas, das Ihre Tasche füllen könnte‹, antwortete der Fremde. ›Zwei Ihrer Pferde starten beim Wessex Cup – Silver Blaze und Bayard. Wenn Sie mir einen ehrlichen Tipp geben, werden Sie das nicht bereuen. Trifft es zu, dass Bayard auf den tausend Metern einen Vorsprung von hundert Metern vor Silver Blaze herausholen könnte, weil er weniger Gewicht trägt, und dass Ihr Stall auf ihn gesetzt hat?‹

›Ah, Sie gehören zu den miesen Schnüfflern, die anderen Tipps verkaufen!‹, schrie der Bursche. ›Ich zeige Ihnen, wie wir in King’s Pyland mit Leuten Ihres Schlages umgehen!‹ Er sprang auf und rannte in den Stall, um den Hund zu holen. Das zum Haus eilende Mädchen drehte sich noch einmal um und sah, wie der Fremde seinen Kopf durch die Luke steckte. Als Hunter eine Minute später mit dem Hund erschien, war er weg und blieb unauffindbar, obwohl der Bursche eine Runde um den ganzen Stall drehte.«

»Warten Sie mal«, sagte ich. »Hat der Stallbursche die Tür offen gelassen, als er mit dem Hund nach draußen rannte?«

»Ausgezeichnet, Watson, ausgezeichnet!«, murmelte mein Begleiter. »Dieses Detail schien mir von so entscheidender Bedeutung zu sein, dass ich gestern extra nach Dartmoor gekabelt habe, um mir Aufklärung zu verschaffen. Der Bursche hatte die Tür von außen verschlossen. Dazu kommt, dass kein Mann durch die Luke einsteigen kann, weil sie zu klein ist.

Hunter wartete auf die Rückkehr der anderen Burschen und ließ dem Trainer dann mitteilen, was sich zugetragen hatte. Straker wurde durch diesen Bericht in Aufregung versetzt, scheint die wahre Bedeutung des Vorfalls aber nicht erfasst zu haben. Trotzdem muss er beunruhigt gewesen sein, denn als seine Frau um ein Uhr früh erwachte, war er auf den Beinen und zog sich an. Auf ihre Frage, was los sei, antwortete er, die Angst um die Pferde lasse ihm keine Ruhe und er wolle in den Ställen nach dem Rechten schauen. Sie bat ihn zu bleiben, weil sie hören konnte, dass es draußen in Strömen goss, doch er ignorierte sie, zog seinen schweren Regenmantel an und verließ das Haus.

Als Mrs Straker um sieben Uhr erwachte, stellte sie fest, dass ihr Mann noch fort war. Sie zog sich rasch an und ging dann gemeinsam mit dem Hausmädchen zu den Ställen. Dort stand die Tür offen; Hunter hockte wie betäubt auf einem Stuhl, die Box von Silver Blaze war leer, sein Trainer spurlos verschwunden.

Man weckte die Burschen, die über der Kammer für das Zaumzeug auf dem Häckselboden schliefen, aber die beiden haben einen festen Schlaf und hatten nichts gehört. Hunter schien unter dem Einfluss einer starken Droge zu stehen, und da nichts Sinnvolles aus ihm herauszuholen war, ließ man ihn seinen Rausch ausschlafen. Mrs Straker eilte derweil mit dem Hausmädchen und den zwei Burschen nach draußen, um ihren Mann und Silver Blaze zu suchen. Sie klammerten sich an die Hoffnung, dass der Trainer zu einer frühmorgendlichen Übung aufgebrochen war, doch als sie auf der Erhebung in der Nähe des Hauses standen, die einen Blick auf das umliegende Moor bietet, konnten sie den Hengst nirgendwo sehen. Stattdessen entdeckten sie einen Hinweis darauf, dass sich eine Tragödie ereignet hatte.

Der Regenmantel John Strakers flatterte eine Viertelmeile von den Ställen entfernt an einem Ginster. Direkt dahinter tut sich im Moor eine Senke auf, und mitten darin lag der Leichnam des unglücklichen Trainers. Ein wuchtiger Schlag mit einer schweren Waffe hatte seinen Schädel zertrümmert, und sein Oberschenkel wies eine lange, saubere Schnittwunde auf, die offenbar von einer scharfen Klinge verursacht worden war. Straker hatte sich allem Anschein nach tapfer gegen seine Angreifer gewehrt, denn er hielt ein kleines, bis zum Griff mit Blut beschmiertes Messer in der rechten und eine schwarzrote Seidenkrawatte in der linken Hand. Das Hausmädchen identifizierte sie als jene des Fremden, der am Vorabend die Ställe aufgesucht hatte. Dies wurde von Hunter, sobald er wieder bei sich war, bestätigt. Außerdem behauptete er steif und fest, der vor der Luke stehende Fremde müsse sein Lammcurry mit einer Droge versetzt haben, um ihn, den Wächter des Stalls, auszuschalten. Was das verschwundene Pferd betrifft, so beweisen zahlreiche Spuren in der Senke, dass es zum Zeitpunkt des Kampfes dort war. Seitdem ist es wie vom Erdboden verschluckt, und obwohl man eine hohe Belohnung ausgesetzt und alle Roma Dartmoors alarmiert hat, wurde es bislang nicht gefunden. Die Reste des Abendessens, das Hunter verzehrt hatte, wurden analysiert – es enthielt hochdosiertes Opiumpulver. Die Leute, die im Haus gegessen hatten, verspürten keine unangenehmen Nachwirkungen.

Dies sind die zentralen Fakten des Falles, möglichst nüchtern ausgedrückt und abzüglich aller Mutmaßungen. Kommen wir nun zu den Maßnahmen der Polizei.

Der Fall wurde Inspektor Gregory übertragen, einem äußerst fähigen Mann, der es in seinem Beruf weit bringen könnte, wenn er etwas mehr Phantasie hätte. Nach seiner Ankunft konnte er den Mann, der aus naheliegenden Gründen des Mordes verdächtigt wird, rasch identifizieren und verhaften. Er war leicht zu finden, denn er bewohnt eine der erwähnten Villen. Offenbar heißt er Fitzroy Simpson. Er stammt aus gutem Hause und genoss eine hervorragende Bildung, verschleuderte sein Vermögen jedoch auf der Rennbahn und verdient jetzt sein Geld, indem er in Londoner Sportclubs kleine, aber feine Wetten annimmt. Eine Untersuchung seiner Bücher ergab, dass man Wetten bis zu £ 5000 gegen den Favoriten bei ihm abgeschlossen hat. Nach seiner Verhaftung gab er freimütig zu, in der Hoffnung nach Dartmoor gereist zu sein, Informationen über die Pferde von King’s Pyland und auch über Desborough, den zweiten Favoriten, zu erhalten, der in den Ställen von Mapleton von Silas Brown betreut wird. Die Zeugenaussagen über sein Verhalten am Vorabend bestritt er nicht, erklärte aber, dass er keine bösen Absichten gehabt habe, sondern nur Informationen aus erster Hand habe hören wollen. Als man ihn mit seiner Krawatte konfrontierte, wurde er kreidebleich und wusste nicht zu erklären, wie sie in die Hand des Mordopfers gelangt war. Seine nassen Kleider bewiesen, dass er während des Unwetters in der letzten Nacht draußen gewesen war, und sein mit Blei beschwerter Stock aus Palmenholz von der Insel Penang könnte die Waffe sein, mit der man dem Trainer die tödlichen Schläge versetzt hat. Andererseits deutet das Blut auf dem Messer darauf hin, dass Straker mindestens einen Angreifer verwundet hat, und Simpson ist unverletzt. So weit die Kurzfassung, Watson. Sollten Sie etwas Erhellendes zu sagen haben, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar.«

Ich hatte der Schilderung, die Holmes mit der für ihn typischen Klarheit vorgetragen hatte, aufmerksam gelauscht. Obwohl ich die meisten Fakten kannte, hatte ich weder ihre jeweilige Bedeutung noch die Zusammenhänge, die zwischen ihnen bestanden, ausreichend bedacht.

»Wäre es möglich«, schlug ich vor, »dass sich Straker die Schnittwunde während der Zuckungen, die durch eine Gehirnverletzung ausgelöst werden, selbst zugefügt hat?«

»Nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich«, antwortete Holmes. »In diesem Fall wäre einer der wichtigsten Punkte vom Tisch, die den Verdächtigen entlasten.«

»Ich verstehe allerdings immer noch nicht«, sagte ich, »wie sich die Polizei den Tathergang erklärt.«

»Ich fürchte, dass jede Theorie, die wir anzubieten hätten, bei der Polizei auf wenig Gegenliebe stoßen würde«, erwiderte mein Begleiter. »Wenn ich es richtig sehe, glaubt man, Fitzroy Simpson habe zuerst den Burschen unter Drogen gesetzt und danach die Stalltür mit einem irgendwie ergatterten Duplikat des Schlüssels geöffnet, um den Hengst zu entführen. Dieser hatte kein Zaumzeug, also legte Simpson es an. Er ließ die Tür offen und führte das Pferd durch das Moor, wo er dem Trainer entweder über den Weg lief oder von diesem eingeholt wurde. Natürlich kam es zu einer Auseinandersetzung. Simpson schlug dem Trainer mit seinem schweren Stock den Schädel ein, ohne durch das Messer verletzt zu werden. Danach führte er das Pferd entweder in ein Geheimversteck, oder es ging während des Kampfes durch und trabt jetzt durch das Moor. So weit die Theorie der Polizei. Ich halte sie für unwahrscheinlich, aber alle anderen Theorien sind leider noch viel unwahrscheinlicher. Sobald ich vor Ort bin, prüfe ich alles nach. Ich bezweifle, dass wir bis dahin Erkenntnisse gewinnen, die über den jetzigen Stand hinausgehen.«

Als wir die Kleinstadt Tavistock erreichten, die wie ein Schildbuckel mitten im großen Rund von Dartmoor liegt, dämmerte schon der Abend. Im Bahnhof erwarteten uns zwei Herren – ein großer Mann mit blonder Löwenmähne und hellblauen, wundersam durchdringenden Augen sowie ein kleinerer, lebhafter Mann, sehr sauber und adrett gekleidet, mit kurzem, gestutztem Backenbart und Monokel. Dieser war Colonel Ross, der bekannte Sportsmann; jener Inspektor Gregory, dessen Stern innerhalb der englischen Polizei in einem rasanten Aufstieg begriffen war.

»Wie schön, dass Sie gekommen sind, Mr Holmes«, sagte der Colonel. »Der Inspektor hat alles Menschenmögliche getan, aber wenn wir dem armen Straker Genugtuung widerfahren lassen und mein Pferd finden wollen, muss jeder einzelne Stein umgedreht werden, und sei er noch so klein.«

»Irgendwelche neuen Entwicklungen?«, fragte Holmes.

»Wir haben leider kaum Fortschritte gemacht«, antwortete der Inspektor. »Draußen wartet eine offene Kutsche. Da Sie den Tatort sicher vor Einbruch der Dunkelheit untersuchen wollen, schlage ich vor, dass wir unterwegs reden.«

Eine Minute später saßen wir in einem bequemen Landauer und rumpelten durch das malerische, alte Devonshire-Städtchen. Inspektor Gregory war von dem Fall besessen und ergoss einen Strom von Informationen, nur unterbrochen durch Holmes’ gelegentliche Zwischenbemerkungen und Fragen. Colonel Ross hatte sich mit vor der Brust verschränkten Armen und über die Augen geschobenem Hut zurückgelehnt, während ich dem Gespräch der zwei Ermittler mit Interesse lauschte. Gregory erläuterte seine Theorie, die in fast jeder Hinsicht dem entsprach, was Holmes im Zug vorhergesagt hatte.

»Fitzroy Simpson ist so gut wie überführt«, bemerkte er, »und ich bin überzeugt, dass er der Täter ist. Ich muss allerdings zugeben, dass wir es nur mit Indizienbeweisen zu tun haben, die durch eine neue Wendung der Dinge rasch entkräftet werden könnten.«

»Und Strakers Messer?«

»Wir sind zu dem Schluss gelangt, dass er sich den Schnitt bei seinem Sturz selbst zugefügt hat.«

»Mein Freund, Dr. Watson, hat während der Zugfahrt auch auf diese Möglichkeit hingewiesen. Wenn es wirklich so gewesen wäre, dann würde das gegen diesen Simpson sprechen.«

»Ja, eindeutig. Er selbst besitzt weder ein Messer, noch wurde er verletzt. Die Indizien sprechen in starkem Maße gegen ihn. Er hatte ein großes Interesse am Verschwinden des Favoriten. Er wird verdächtigt, den Stallburschen vergiftet zu haben; er war während des Unwetters eindeutig im Freien; er führte einen schweren Stock bei sich; seine Krawatte wurde in der Hand des Toten entdeckt. Das müsste ausreichen, um ihn vor Gericht zu bringen.«

Holmes schüttelte den Kopf. »Eine kluge Jury würde all das zerpflücken«, erwiderte er. »Warum hätte er das Pferd aus dem Stall führen sollen? Er hätte es an Ort und Stelle verletzen können, wenn er gewollt hätte. Wurde ein nachgemachter Schlüssel bei ihm gefunden? Welcher Drogist hat ihm das Opiumpulver verkauft? Und vor allem muss man sich fragen, wo er als Ortsfremder ein Pferd – noch dazu ein solches – hätte verstecken können. Was sagt er zu dem Umschlag, den das Hausmädchen dem Stallburschen geben sollte?«

»Angeblich hat er zehn Pfund enthalten. Wir haben einen solchen Schein in seiner Brieftasche gefunden. Ihre weiteren Einwände sind allerdings weniger stichhaltig, als Sie glauben. Er ist nicht ganz ortsfremd, denn im Sommer war er zwei Mal in Tavistock. Das Opium hat er vermutlich aus London mitgebracht. Und nachdem der Schlüssel seinen Zweck erfüllt hatte, hat er ihn vielleicht weggeworfen. Das Pferd könnte irgendwo im Moor in einer Grube oder einem ehemaligen Bergwerk versteckt sein.«

»Was sagt er zu der Krawatte?«

»Er gibt zu, dass sie ihm gehört, behauptet aber, sie verloren zu haben. Allerdings hat sich etwas Neues ergeben, das erklären könnte, warum er das Pferd aus dem Stall geführt hat.«

Holmes horchte auf.

»Wir haben Spuren entdeckt, die darauf hindeuten, dass in der Montagnacht eine Gruppe Roma eine Meile vom Ort des Mordes entfernt ihr Lager aufgeschlagen hatte. Am Dienstag waren sie weg. Wäre es nicht denkbar, dass diese Leute mit Simpson unter einer Decke stecken? Vielleicht wollte er ihnen das Pferd bringen, als er eingeholt wurde, und vielleicht ist das Tier jetzt bei ihnen.«

»Ja, wäre denkbar.«

»Das Moor wird nach ihnen durchsucht. Außerdem habe ich, von Tavistock ausgehend, in einem Umkreis von zehn Meilen jeden Stall und jedes Vorwerk kontrolliert.«

»In der Nähe gibt es noch einen Trainingsstall, richtig?«

»Ja, und das darf man nicht außer Acht lassen. Der Stall hatte ein Interesse am Verschwinden des Favoriten, denn sein Pferd, Desborough, war bei den Wetten der Zweitplatzierte. Wie man weiß, hat Silas Brown, der Trainer, hohe Summen gesetzt, und Straker war nicht gerade sein Busenfreund. Andererseits haben wir bei der Durchsuchung der Ställe nichts finden können, was ihn mit der Tat in Verbindung bringt.«

»Könnte dieser Simpson im Auftrag des Stalles in Mapleton gehandelt haben?«

»Nein. Nichts deutet darauf hin.«

Holmes lehnte sich in der Kutsche zurück, und das Gespräch versiegte. Minuten später hielt unser Kutscher vor einer hübschen kleinen Backsteinvilla mit weit auskragenden Dachtraufen, die dicht an der Straße erbaut worden war. In einiger Entfernung, jenseits einer Koppel, war ein langes Vorwerk mit grauem Dach zu sehen. In der anderen Richtung erstreckten sich die niedrigen, von rostrotem Farn bedeckten Hügel des Moores bis zum Horizont, ein Anblick, der nur durch den Kirchturm Tavistocks und die im Westen gelegenen Ställe von Mapleton aufgelockert wurde. Wir stiegen aus, doch der tief in Gedanken versunkene Holmes blieb sitzen, den Blick zum Himmel gerichtet. Als ich ihn am Arm berührte, schnellte er in die Höhe und stieg endlich aus.

»Verzeihung«, sagte er, an Colonel Ross gewandt, der ihn verblüfft anschaute. »Ich habe geträumt.« Da ich ihn kannte, war ich angesichts seiner funkelnden Augen und der latenten Aufregung überzeugt, dass er zu einer neuen Erkenntnis gelangt war, nur wusste ich beim besten Willen nicht, wie und wo.

»Ich nehme an, dass Sie gleich zum Tatort aufbrechen wollen, Mr Holmes?«, fragte Gregory.

»Nein, ich würde gern noch bleiben, um ein oder zwei Details zu klären. Straker wurde hierhergebracht, nicht wahr?«

»Er wurde im Obergeschoss aufgebahrt. Morgen findet die gerichtliche Untersuchung statt.«

»Er war viele Jahre für Sie tätig, Colonel Ross?«

»Ja, und er war stets ein tadelloser Angestellter.«

»Ich gehe davon aus, dass Sie eine Liste dessen aufgestellt haben, was er zum Zeitpunkt seines Todes in den Taschen hatte, Inspektor?«

»Die Sachen liegen im Wohnzimmer. Möchten Sie einen Blick darauf werfen?«

»Sehr gern.« Wir gingen im Gänsemarsch ins Wohnzimmer und setzten uns an den Tisch in der Mitte, während der Inspektor eine quadratische Metallkiste aufschloss und den Inhalt vor uns ausbreitete. Eine Schachtel Wachshölzchen, eine fünf Zentimeter lange Talgkerze, eine Wurzelholzpfeife von Dunhill, ein Seehundfellbeutel mit fünfzehn Gramm grobgeschnittenem Cavendish-Tabak, eine silberne Taschenuhr mit Goldkette, fünf goldene Sovereigns, ein Stiftetui aus Aluminium, einige Zettel und ein Messer mit Elfenbeingriff und einer sowohl extrem feinen als auch äußerst stabilen Klinge mit der Aufschrift Weiss & Co., London.

»Sehr spezielles Messer«, sagte Holmes, der es zur Hand nahm und genau untersuchte. »Angesichts des Blutes gehe ich davon aus, dass man es bei dem Toten gefunden hat. Fällt eine solche Klinge nicht in Ihr Fach, Watson?«

»Bei uns heißt es Kataraktmesser«, antwortete ich.

»Dachte ich mir. Eine sehr feine Klinge, gedacht für eine sehr feine Arbeit. Unpassend für jemanden, der durch Wind und Wetter zu den Ställen geht, zumal es sich nicht schließen und einstecken lässt.«

»Die Spitze war durch einen runden Korkaufsatz geschützt, den wir neben der Leiche entdeckt haben«, sagte der Inspektor. »Mrs Straker erzählt, das Messer habe auf der Frisierkommode gelegen, und ihr Mann habe es beim Verlassen des Zimmers an sich genommen. Keine sehr praktische Waffe, aber vielleicht die beste, die er auf die Schnelle finden konnte.«

»Wäre möglich. Und diese Zettel?«

»Drei Quittungen des Heulieferanten. Ein Brief mit Anweisungen von Colonel Ross. Und die Quittung eines Modewarengeschäfts über £ 37,15, ausgestellt von einer Madame Lesurier, Bond Street, für William Derbyshire. Wie wir von Mrs Straker wissen, war dieser Derbyshire ein Freund ihres Mannes, und manchmal kam seine Post hier an.«

»Madame Derbyshire hat ziemlich teure Vorlieben«, meinte Holmes mit einem Blick auf die Quittung. »Zweiundzwanzig Guineas sind sehr teuer für ein Kostüm. Na gut – da hier mit keinen weiteren Hinweisen zu rechnen ist, sollten wir uns jetzt zum Tatort begeben.«

Als wir das Wohnzimmer verließen, kam uns eine Frau, die im Flur gewartet hatte, erwartungsvoll entgegen und legte dem Inspektor eine Hand auf den Arm. Ein kürzlicher Schock stand ihr in das schmale, verhärmte Gesicht geschrieben.

»Hatten Sie Erfolg? Haben Sie ihn gefasst?«, keuchte sie.

»Nein, Mrs Straker. Aber Mr Holmes ist uns aus London zu Hilfe geeilt, und wir werden alles tun, was in unserer Macht steht.«

»Sind wir uns nicht kürzlich bei einer Gartenparty in Plymouth begegnet, Mrs Straker?«, fragte Holmes.

»Nein, Sir. Da irren Sie sich.«

»Ach, wirklich? Ich hätte es schwören können. Sie trugen ein taubengraues Kostüm mit Straußenfedernbesatz.«

»Ein solches Kostüm habe ich nie besessen, Sir«, erwiderte die Dame.

»Tja, damit wäre die Sache wohl geklärt«, sagte Holmes, bat um Entschuldigung und folgte dem Inspektor nach draußen. Nach einem kurzen Gang durch das Moor erreichten wir die Senke, in der man den Toten entdeckt hatte. An ihrem Rand stand der Ginster, an dem der Mantel gehangen hatte.

»Soweit ich weiß, war es eine windstille Nacht«, sagte Holmes.

»Stimmt. Aber es hat heftig geregnet.«

»Dann wurde der Mantel nicht auf den Ginster geweht, sondern dort abgelegt.«

»Ja, er wurde an den Strauch gehängt.«

»Sie machen mich neugierig. Wie ich sehe, ist der Boden stark zertrampelt. Seit dem letzten Montag müssen hier viele Leute herumgelaufen sein.«

»Wir haben eine Matte auf den Rand der Senke gelegt, und dort haben wir alle gestanden.«

»Hervorragend.«

»Dieser Beutel enthält einen der Stiefel, die Straker trug, einen Schuh von Fitzroy Simpson und den Abguss eines Hufeisens von Silver Blaze.«

»Sie übertreffen sich selbst, mein lieber Inspektor!« Holmes griff nach der Tasche und stieg, indem er die Matte weiter in Richtung Mitte zog, in die Senke. Dort legte er sich lang hin, stützte das Kinn auf die Hände und unterzog den zertrampelten Matsch einer genauen Betrachtung. »Ja, hallo!«, sagte er plötzlich. »Was haben wir denn da?« Es war ein halbabgebranntes Wachshölzchen, so stark mit Matsch verkrustet, dass es auf den ersten Blick wie ein kleiner Holzspan wirkte.

»Ist mir ein Rätsel, wie wir das übersehen konnten«, sagte der Inspektor mit verärgerter Miene.

»Es steckte im Matsch und war kaum zu sehen. Ich habe es nur gefunden, weil ich danach gesucht habe.«

»Wie bitte? Sie haben erwartet, es hier zu finden?«

»Ich hielt es für nicht ganz unwahrscheinlich.«

Holmes holte Schuh und Stiefel aus dem Beutel und verglich sie mit den Abdrücken. Danach kletterte er aus der Senke und kroch zwischen Farnen und Sträuchern herum.

»Weitere Spuren gibt es leider nicht«, sagte der Inspektor. »Ich habe den Boden in einem Umkreis von hundert Metern gründlich untersucht.«

»Aha!«, sagte Holmes und kam auf die Beine. »Dann will ich Sie nicht beleidigen, indem ich die Suche wiederhole. Ich möchte aber noch ein wenig durch das Moor laufen, bevor es zu dunkel wird, damit ich mich morgen besser zurechtfinde. Ich stecke das Hufeisen als Glücksbringer ein, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Colonel Ross, der angesichts der stillen und systematischen Ermittlungsmethoden meines Freundes Anzeichen von Ungeduld gezeigt hatte, schaute auf seine Uhr. »Würden Sie mich zurückbegleiten, Inspektor?«, sagte er. »Ich hätte in einigen Punkten gern Ihren Rat, vor allem im Hinblick auf die Frage, ob wir es der Öffentlichkeit schuldig sind, den Namen unseres Pferdes aus der Anmeldeliste des Rennens löschen zu lassen.«

»O nein«, rief Holmes entschieden. »Sie dürfen Ihr Pferd auf keinen Fall abmelden.«

Der Colonel verbeugte sich. »Freut mich sehr, Ihre Meinung zu hören, Sir«, sagte er. »Nach Ihrem Spaziergang finden Sie uns im Haus des armen Straker. Wir können dann gemeinsam nach Tavistock fahren.«

Er kehrte mit dem Inspektor um, während ich mit Holmes durch das Moor schlenderte. Die Sonne versank hinter den Ställen von Mapleton. Die weite, leicht abfallende Landschaft war wie mit Gold gesprenkelt, Dornbüsche und welke Farne erglühten im Abendsonnenschein hier und da in einem tiefen Rotbraun, aber mein in Gedanken versunkener Begleiter war blind für die Schönheiten der Natur.

»Folgendes, Watson«, sagte er schließlich. »Wir klammern die Frage, wer John Straker ermordet hat, vorerst aus und konzentrieren uns auf die Frage, wo das Pferd steckt. Wohin könnte es gelaufen sein, wenn es tatsächlich während oder nach der Tragödie durchgegangen ist? Immerhin handelt es sich um ein Herdentier. Sich selbst überlassen, wäre es wohl instinktiv nach King’s Pyland zurückgekehrt oder nach Mapleton getrabt. Sehr unwahrscheinlich, dass es allein im Moor herumstreift, zumal es längst gesichtet worden wäre. Und warum hätten die Roma Silver Blaze entführen sollen? Diese Leute machen sich sofort aus dem Staub, wenn sie Ärger wittern, denn sie wollen nicht von der Polizei belästigt werden. Außerdem ist ein solches Pferd unverkäuflich. Sie würden viel riskieren, wenn sie es gestohlen hätten, und nichts gewinnen. So viel steht fest.«

»Wo kann der Hengst dann sein?«

»Wie gesagt: Er muss entweder nach King’s Pyland oder nach Mapleton gelaufen sein. Da er nicht in King’s Pyland ist, gehen wir zunächst von Mapleton aus. Mal schauen, was sich ergibt. Wie der Inspektor richtig bemerkt hat, ist das Moor hier sehr trocken und hart, fällt aber in Richtung Mapleton ab, und wie Sie sehen, erstreckt sich dort hinten eine lange Senke, die in der Montagnacht sehr feucht gewesen sein muss. Wenn unsere Vermutung zutrifft, hat das Pferd sie durchquert. Dort müssen wir nach Spuren suchen.«

Während dieses Gesprächs schritten wir flott aus und standen Minuten später am Rand der Senke. Auf Bitten von Holmes ging ich nach rechts, er nach links. Ich war keine fünfzig Schritte weit gekommen, als er laut nach mir rief und winkte. Die Hufabdrücke eines Pferdes zeichneten sich deutlich auf dem Boden ab, und das Hufeisen, das er aus der Tasche zog, passte zu den Abdrücken.

»Da sehen Sie, wie wertvoll die Phantasie ist«, sagte Holmes. »Genau diese Gabe fehlt Gregory. Wir haben uns vorgestellt, was passiert sein könnte, haben auf Grundlage dieser Theorie gehandelt und sehen uns jetzt bestätigt. Gehen wir weiter.«

Wir liefen durch die feuchte Senke, danach eine Viertelmeile über trockenen, harten, grasigen Boden. Als sich das Gelände wieder absenkte, konnten wir die Spur weiter verfolgen. Die nächste halbe Meile war unergiebig, aber kurz vor Mapleton wurde Holmes erneut fündig. Er zeigte triumphierend auf die Hufabdrücke, neben denen die Spuren eines Mannes zu sehen waren.

»Vorher war das Pferd allein«, rief ich.

»Stimmt genau. Vorher war es allein. Ja, hallo – was ist denn das?«

Beide Spuren wiesen scharf nach King’s Pyland. Holmes stieß einen Pfiff aus, dann folgten wir den Fährten. Er hielt den Blick auf den Boden gesenkt, aber als ich zur Seite schaute, stellte ich erstaunt fest, dass uns die Spuren wieder entgegenkamen.

»Ein Punkt für Sie, Watson«, sagte Holmes, als ich ihn darauf hinwies. »Sie haben uns einen langen Marsch erspart, der uns am Ende auf demselben Weg zurückgeführt hätte. Wir sollten den nach Mapleton verlaufenden Spuren folgen.«

Wir mussten nicht weit laufen. Die Fährten endeten vor einem asphaltierten Wegabschnitt, der zum Tor der Mapleton-Ställe führte. Als wir uns näherten, eilte ein Pferdeknecht ins Freie.

»Vagabunden sind hier unerwünscht«, sagte er.

»Ich habe nur eine Frage«, erwiderte Holmes, der Daumen und Zeigefinger in die Westentasche schob. »Könnte ich Ihren Chef, Mr Silas Brown, morgen früh um fünf Uhr hier antreffen, wenn ich mit ihm sprechen wollte?«

»Aber sicher, Sir, er ist immer als Erster auf den Beinen, und wenn jemand hier ist, dann er. Aber da kommt er schon. Er kann Ihre Fragen selbst beantworten. Nein, Sir, nein, wenn er merkt, dass ich Geld von Ihnen annehme, werde ich gefeuert. Später, wenn Sie möchten.«

Während Sherlock Holmes die Half Crown wieder einsteckte, die er aus der Westentasche gefischt hatte, kam ein älterer, grimmig blickender Mann, der eine Jagdpeitsche schwang, durch das Tor auf uns zu.

»Was soll das, Dawson!«, rief er. »Kein Tratsch! An die Arbeit! Und Sie, was zum Teufel wollen Sie hier?«

»Zehn Minuten mit Ihnen reden, guter Herr«, antwortete Holmes zuckersüß.

»Mir fehlt die Zeit, um mit jedem Herumtreiber zu plaudern. Wir wollen hier keine Fremden. Verschwinden Sie, oder ich hetze Ihnen den Hund auf den Hals.«

Holmes beugte sich vor und flüsterte dem Trainer etwas ins Ohr. Dieser zuckte heftig zusammen und errötete bis zu den Schläfen.

»Das ist eine Lüge!«, brüllte er. »Eine gemeine Lüge!«

»Wie Sie meinen. Sollen wir vor aller Ohren oder in Ihrem Wohnzimmer darüber diskutieren?«

»Gut, kommen Sie meinetwegen rein.«

Holmes lächelte. »Sie müssen nur ein paar Minuten warten, Watson«, sagte er. »Ich stehe Ihnen jetzt zur Verfügung, Mr Brown.«

Das Gespräch dauerte zwanzig Minuten. Als Holmes mit dem Trainer zurückkehrte, war der rötliche Abendglanz, der auf der Landschaft gelegen hatte, einem grauen Zwielicht gewichen, und auch Silas Brown war zu meinem großen Erstaunen wie verwandelt – er war aschfahl, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, die Jagdpeitsche wackelte in seinen zitternden Händen wie ein Zweig im Wind, und seine pöbelnde, herrische Art war wie weggeblasen. Er folgte Holmes so unterwürfig wie ein angeleinter Hund seinem Herrchen.

»Ich gehorche Ihnen aufs Wort. Wird alles erledigt«, sagte er.

»Wehe, wenn nicht!«, sagte Holmes, indem er sich umdrehte und Brown so drohend ansah, dass dieser sich krümmte.

»Oh, er wird dort sein. Wie besprochen. Soll ich ihn vorher zurechtmachen?«

Holmes überlegte kurz, dann lachte er auf. »Nein«, antwortete er. »Sie bekommen noch schriftliche Anweisungen. Und wehe, Sie bluffen …«

»Oh, Sie können mir vertrauen, Sie können mir vertrauen!«

»Ja, ich denke, das kann ich. Sie hören morgen von mir.« Er übersah die zitternde Hand, die der Trainer ihm hinhielt, und machte auf dem Hacken kehrt. Wir brachen nach King’s Pyland auf.

»Master Silas Brown ist ein absolut einzigartiges Paradebeispiel für die Promenadenmischung aus Großmaul, Feigling und Kriecher«, bemerkte Holmes unterwegs.

»Dann hat er das Pferd?«

»Er hat mächtig gepoltert und alles abgestritten, aber ich habe ihm so genau beschrieben, was er am Dienstagmorgen getan hat, dass er glaubt, ich hätte ihn beobachtet. Sie haben sicher bemerkt, dass er Stiefel mit auffällig kantigen Kappen trägt, die den Abdrücken genau entsprechen. Außerdem hätte keiner der Stallburschen gewagt, ein solches Ding zu drehen. Ich habe ihm erklärt, dass er, wie üblich der Erste im Stall, ein Pferd im Moor herumlaufen sah. Als er sich dem Tier näherte, bemerkte er die Blässe auf der Stirn, der es seinen Namen verdankt, und stellte verblüfft fest, dass ihm der Zufall den einzigen Hengst in die Hände gespielt hatte, der das Pferd schlagen konnte, auf das er sein Geld gesetzt hatte. Zuerst, sagte ich, habe er Silver Blaze nach King’s Pyland zurückbringen wollen, aber dann habe ihn der Teufel auf die Idee gebracht, das Pferd bis nach dem Rennen verschwinden zu lassen, und er habe es in Mapleton versteckt. Nach meiner detaillierten Schilderung warf er das Handtuch und dachte nur noch daran, seine Haut zu retten.«

»Wurden seine Ställe denn nicht durchsucht?«

»Ach, ein alter Rosstäuscher wie er hat viele Tricks auf Lager.«

»Finden Sie es nicht beunruhigend, das Pferd in seiner Obhut zu lassen? Immerhin hätte er allen Grund, ihm etwas anzutun.«

»Er wird es hüten wie seinen Augapfel, lieber Freund. Er weiß, dass nur dann Gnade vor Recht ergeht, wenn es wohlbehalten wiederauftaucht.«

»Ich habe nicht den Eindruck, dass Colonel Ross ein besonders gnädiger Mensch ist.«

»Die Entscheidung liegt nicht bei Colonel Ross. Ich halte mich an meine eigenen Methoden und gebe so viel oder so wenig preis, wie ich will. Das ist der Vorteil inoffizieller Ermittlungen. Keine Ahnung, ob Sie es bemerkt haben, Watson, aber Colonel Ross hat sich mir gegenüber etwas hochnäsig verhalten, und es juckt mich in den Fingern, ihm eines auszuwischen. Sagen Sie ja nichts von dem Pferd.«

»Bestimmt nicht.«

»Außerdem ist die Entdeckung des Hengstes unwichtiger als die Beantwortung der Frage, wer John Straker ermordet hat.«

»Dann widmen Sie sich ab jetzt dieser Frage?«

»O nein, wir kehren beide mit dem Abendzug nach London zurück.«

Diese Worte trafen mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wir waren erst einige Stunden in Devonshire, und ich fand es unfassbar, dass Holmes nach einem so brillanten Auftakt nicht weiterermitteln wollte. Während des restlichen Weges war ihm nichts mehr zu entlocken. Der Colonel und der Inspektor erwarteten uns im Wohnzimmer des ermordeten Trainers.

»Mein Freund und ich fahren heute Abend mit dem Expresszug zurück«, sagte Holmes. »Ich fand es ausgesprochen erquickend, die herrliche Luft Ihres Dartmoor zu atmen.«

Der Inspektor machte große Augen, und der Colonel verzog abfällig den Mund.

»Dann haben Sie die Hoffnung aufgegeben, den Mörder Strakers zu fassen?«, fragte er.

Holmes zuckte mit den Schultern. »Es gibt jedenfalls hohe Hürden«, sagte er. »Trotzdem glaube ich nach wie vor, dass Ihr Pferd am Dienstag startet, und möchte Sie bitten, den Jockey bereitzuhalten. Würden Sie mir ein Foto von Mr John Straker überlassen?«

Der Inspektor zog eines aus einem Umschlag und reichte es ihm.

»Sie lesen mir die Wünsche von den Augen ab, mein bester Gregory. Würden Sie bitte kurz auf mich warten? Ich möchte dem Hausmädchen eine Frage stellen.«

»Unser Berater aus London enttäuscht mich«, sagte Colonel Ross unverblümt, nachdem mein Freund das Zimmer verlassen hatte. »Wenn ich die Sache richtig sehe, sind wir nicht schlauer als vor seiner Ankunft.«

»Immerhin hat er Ihnen zugesichert, dass Ihr Pferd an den Start geht«, erwiderte ich.

»Ja, ich habe seine Zusicherung«, sagte der Colonel mit einem Schulterzucken, »aber ich hätte lieber mein Pferd.«

Ich wollte meinen Freund gerade verteidigen, als er wieder ins Zimmer kam.

»Und nun, Gentlemen«, sage er, »bin ich bereit für Tavistock.«

Als wir in die Kutsche stiegen, hielt ein Stallbursche den Schlag auf. Holmes, der einer Eingebung zu folgen schien, beugte sich vor und berührte den Jungen am Ärmel.

»Auf der Koppel gibt es auch Schafe«, sagte er. »Wer ist dafür zuständig?«

»Das bin ich, Sir.«

»Haben die Tiere in letzter Zeit irgendwelche Auffälligkeiten gezeigt?«

»Nichts Ernstes, Sir, aber drei von ihnen lahmen seit kurzem.«

Diese Antwort schien Holmes zu erfreuen, denn er lachte leise und rieb sich die Hände.

»Der Groschen fällt spät, Watson, der Groschen fällt sehr spät«, sagte er und kniff mich in den Arm. »Ich empfehle diese einzigartige Epidemie unter den Schafen Ihrer Aufmerksamkeit, Gregory. Abfahrt, Kutscher!«

Colonel Ross’ Miene verriet, dass er weiterhin herzlich wenig von den Fähigkeiten meines Freundes hielt, Gregorys Gesicht dagegen, dass er sehr hellhörig geworden war.

»Sie halten das für wichtig?«, fragte er.

»Für überaus wichtig.«

»Gibt es noch etwas, das Sie meiner Aufmerksamkeit empfehlen möchten?«

»Das sonderbare nächtliche Vorkommnis mit dem Hund.«

»Der Hund war nachts ganz brav.«

»Das ist das sonderbare Vorkommnis«, erwiderte Sherlock Holmes.

 

Vier Tage später saßen Holmes und ich wieder im Zug, dieses Mal nach Winchester zum Wessex Cup. Colonel Ross erwartete uns wie vereinbart am Bahnhof, und wir fuhren in seiner geschlossenen Kutsche zur Galopprennbahn am Stadtrand. Seine Miene war ernst, seine Art extrem unterkühlt.

»Ich habe mein Pferd bis jetzt noch nicht gesehen«, sagte er.

»Würden Sie es erkennen, wenn Sie es vor sich haben?«, fragte Holmes.

Der Colonel brauste auf. »Ich bin seit zwanzig Jahren im Renngeschäft, aber das hat mich noch keiner gefragt«, fauchte er. »Jedes Kind würde Silver Blaze an der Blässe auf der Stirn und dem gescheckten Vorderbein erkennen.«

»Wie stehen die Wetten?«

»Tja, das ist das Sonderbare an der Sache. Gestern standen sie noch fünfzehn zu eins, aber es wurde zusehends enger, und inzwischen können Sie, wenn es hochkommt, nur noch drei zu eins bekommen.«

»Hm!«, sagte Holmes. »Irgendjemand muss etwas wissen, so viel ist sicher.«

Während sich die Kutsche dem geschlossenen Bereich der Haupttribüne näherte, studierte ich die Broschüre mit den Einträgen. Darin hieß es:

 

Wessex Cup, Siegprämie 50 Sovereigns, dazu 1000 Sovs. für Vier- und Fünfjährige. Zweiter Platz £ 300. Dritter Platz £ 200. Neue Strecke (eine Meile, fünf Achtelmeilen).

 

The Negro. Mr Heath Newton. Rote Mütze, zimtfarbene Jacke.

Pugilist. Colonel Wardlaw. Rosa Mütze. Blauschwarze Jacke.

Desborough. Lord Backwater. Gelbe Mütze und Ärmel.

Silver Blaze. Colonel Ross. Schwarze Mütze. Rote Jacke.

Iris. Duke of Balmoral. Gelbe und schwarze Streifen.

Rasper. Lord Singleford. Lila Mütze, schwarze Ärmel.

 

»Wir verlassen uns ganz auf Ihr Wort und haben auf unser zweites Pferd verzichtet«, sagte der Colonel. »Ja, was soll denn das? Silver Blaze ist Favorit?«

»Fünf zu vier auf Silver Blaze!«, dröhnte es auf der Bahn. »Fünf zu vier auf Silver Blaze! Fünf zu fünfzehn auf Desborough! Fünf zu vier auf das Feld!«

»Die Nummern werden angezeigt«, rief ich. »Alle sechs Pferde sind am Start.«

»Alle sechs? Dann tritt Silver Blaze an«, schrie der Colonel in höchster Aufregung. »Aber ich sehe ihn nicht. Meine Farben sind noch nicht vorbeigeritten.«

»Es waren erst fünf. Das muss er sein.«

Da schoss ein kraftvolles, braunes Pferd aus der Waage und galoppierte an uns vorbei. Im Sattel saß ein Jockey in Rot und Schwarz, den bekannten Farben des Colonels.

»Das ist nicht mein Pferd«, rief er. »Das Tier hat kein einziges weißes Haar. Was haben Sie angestellt, Mr Holmes?«

»Na na. Warten wir erst einmal ab, wie er sich schlägt«, sagte mein Freund gelassen. Er schaute eine Weile durch meinen Feldstecher. »Großartig! Glänzender Start!«, rief er plötzlich. »Da sind sie. Sie biegen um die Kurve!«

Wir hatten von der Kutsche aus einen hervorragenden Blick auf die in die Gerade gehenden sechs Pferde. Sie bildeten einen so dichten Pulk, dass man sie mit einem Teppich hätte bedecken können, aber auf halber Strecke setzte sich das Gelb der Mapleton-Ställe ab. Bevor die Pferde an uns vorbeizogen, hatte Desborough sein Pulver jedoch verschossen, und das Pferd des Colonels beschleunigte rasant und ging mit knapp sechs Längen Vorsprung vor seinem Rivalen ins Ziel. Der Dritte, Lord Balmorals Iris, war noch viel weiter abgeschlagen.

»Ich habe gewonnen, jawohl«, japste der Colonel und wischte sich über die Augen. »Aber ich muss gestehen, dass ich ratlos bin. Finden Sie nicht auch, dass Sie Ihr Geheimnis lange genug gehütet haben, Mr Holmes?«

»Sicher, Colonel. Sie sollen alles erfahren. Lassen Sie uns Silver Blaze in Augenschein nehmen. Da ist er ja«, fuhr er fort, als wir den Bereich der Waage betraten, zu dem nur die Besitzer der Pferde und ihre Freunde Zutritt hatten. »Wenn Sie Stirn und Bein mit Weingeist abwaschen, haben Sie Ihren guten, alten Silver Blaze wieder.«

»Ich bin sprachlos!«

»Ich habe ihn bei einem Rosstäuscher entdeckt und mir dann erlaubt, ihn so laufen zu lassen, wie er mir geschickt wurde.«

»Sie haben Wunder vollbracht, Sir. Das Pferd wirkt fit und gesund. Ich muss mich tausendmal dafür entschuldigen, Ihre Fähigkeiten angezweifelt zu haben. Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, indem sie Silver Blaze gefunden haben. Und Sie würden mir einen noch größeren erweisen, wenn Sie den Mörder von John Straker fassen.«

»Schon passiert«, erwiderte Holmes leise.

Der Colonel und ich starrten ihn verblüfft an. »Sie haben ihn? Wo ist er?«

»Hier.«

»Hier? Wo?«

»Er steht vor mir.«

Dem Colonel stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Mir ist klar, dass ich in Ihrer Schuld stehe, Mr Holmes«, sagte er, »aber was Sie gerade gesagt haben, muss ich entweder als geschmacklosen Witz oder als Beleidigung auffassen.«

Sherlock Holmes lachte. »Ich versichere Ihnen, dass Sie kein Tatverdächtiger sind«, sagte er. »Der wahre Mörder steht hinter Ihnen.« Er ging am Colonel vorbei und legte dem Vollblut eine Hand auf den glänzenden Nacken.

»Das Pferd!«, riefen der Colonel und ich wie aus einem Mund.

»Ja, das Pferd. Und vielleicht mindert es die Schuld von Silver Blaze, wenn ich darauf hinweise, dass er in Notwehr handelte und dass John Straker Ihr Vertrauen nicht verdient hatte. Ah, das ist die Glocke. Die vollständige Erklärung würde ich gern auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, denn ich erwarte, beim nächsten Rennen eine Kleinigkeit zu gewinnen.«

 

Als wir abends nach London zurückfuhren, hatten wir eine Ecke des Pullman-Wagens für uns allein. Für Colonel Ross und mich war die Fahrt sehr kurzweilig, denn Holmes klärte uns darüber auf, was sich in der Montagnacht in den Trainingsställen abgespielt hatte und wie er auf die Lösung des Falles gekommen war.