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Wenn die Menschen nicht gut einschlafen können, kommen die Müdlis und helfen ihnen dabei. Manchmal ist das eine sehr schwierige Aufgabe, weshalb die Müdlikinder in der Schule alles darüber lernen. Die Müdli-Zwillinge Jill und Tapp sind furchtbar aufgeregt, denn vor ihnen liegt die erste Prüfung. Der Lehrer schickt sie zu Jonas, einem Jungen, der heute mit seinen Eltern neu in ihre Stadt zog. Jill und Tapp geben sich wirklich Mühe mit ihrer Prüfung, aber ständig geraten die beiden in irgendeinen Schlamassel. Alle Illustrationen zum Selbstausmalen können sie auf der Homepage der Autorin herunterladen.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
copyright © 2016 Yvonne Kaeding Alle Rechte liegen bei der Autorin.
Illustrationen: Heiko Keller Covergestaltung: Heiko Keller
Korrektorat: PraetoriusCC - Wir haben Worte.
Kontakt über: Andreas Dietrich Am Schlosshof 8
Zuerst zeichnest du einen großen Regentropfen. Auf die Tropfenspitze kommt ein Kreis. Dort hinein: Augen, Mund und Nase. Außen dran die Ohren. Und oben drauf eine bunte Zipfelmütze. Drumherum malst du, in deiner Lieblingsfarbe, die Haare.
Nun braucht dein Müdli natürlich noch Arme und Beine. Die zeichnest du wie die von einem Strichmännchen. Male mit Strichen Arme, Beine, Hände und Füße.
Fast fertig. Alle Müdlis lieben Latzhosen. Ziehe daher deinem Müdli eine an.
Und jetzt stell dir den Müdli ganz klein vor, in etwa so groß wie einen Kürbiskern. Wie heißt dein Müdli? Gib ihm einen schönen Namen!
Einst war es das schönste Vogelhaus im ganzen Stadtpark. Die Menschen blieben auf ihren Spaziergängen stehen und raunten: »Oh« und »Ah«, oder riefen: »Guck mal, wie schön!«
Heute gehen sie achtlos vorbei, denn über die Jahre wurde das Vogelhaus alt, morsch und hässlich. Durch das Dach tropft der Regen, die rote Farbe ist längst abgeblättert, und der letzte Nagel rostet. Selbst die Vögel meiden das alte Haus. Nein, in so einer Bruchbude will kein Vogel seine Eier ausbrüten und die Jungen aufziehen.
Welch ein Glück für die Müdlifamilie namens Pantoffel. Mama, Papa und die Zwillinge Jill und Tapp Pantoffel wohnen gern in diesem Haus. Kuschelig weich ist der Moosteppich. An einem kleinen Zweig hängen ihre vier Zipfelmützen. Zum Schlafen decken sie sich mit Vogelfedern zu, und unter dem Loch im Dach steht eine halbe Haselnussschale. Wenn es regnet, tropft das Wasser direkt dort hinein. Ist die Nussschale voll, haben die Müdlis eine richtige Badewanne.
Den ehemaligen Hauseingang hat Papa Pantoffel mit Tannennadeln zugestopft. Jetzt ist das Loch so winzig, dass kein Vogel mehr hineinkommt. Nur Fliegen, Ameisen und die Müdlis passen hindurch. Aber Ameisen und Fliegen interessieren sich gar nicht dafür. Sie haben bessere Dinge zu tun, als die Müdlis zu besuchen.
Das Schönste an Papa Pantoffel sind nicht seine blauen Haare. Auch nicht die braune Latzhose. Das Schönste an ihm ist die Nase. Die ist lang und spitz wie ein Bienenstachel. Damit piekt er der Mama gern in den Po. Das tut Mama Pantoffel nicht weh. Es kitzelt nur furchtbar.
»Hör auf!«, schimpft sie den Papa und lacht.
Aber Herr Pantoffel denkt gar nicht daran. Er kitzelt Mama Pantoffel nur umso doller. Sie juchzt und quiekt und hüpft. Die beiden toben wie Kinder wild im Haus herum. Erst knarzt das Holz, dann ächzt der Nagel.
»Was war das für ein Geräusch?«, fragt Papa Pantoffel und spitzt die Ohren.
»Ich hab nichts gehört«, sagt Mama Pantoffel.
»Ich auch nicht«, sagt Tapp.
Jill zuckt nur mit den Schultern.
»Ja, seid ihr denn alle taub? Da war doch ein Geräusch. Ich habe es genau gehört. Es kam von …« Papa Pantoffel dreht sich um und zeigt auf die Wand mit dem Nagel. Es ist der letzte verbliebene Nagel, der das Haus noch am Baum hält. »Dort.«
»Da war kein Geräusch«, sagt Mama Pantoffel. »Ganz bestimmt nicht. Du hörst nur wieder Gespenster husten.«
»Gespenster und Husten, was für ein Unsinn«, sagt Papa Pantoffel ärgerlich. »Ich werde schon rausbekommen, was hier hustet.« Ganz dicht legt er ein Ohr an die Wand. Dann klopft er gegen das Holz, befühlt es, rüttelt hier und da ein wenig. Schließlich sagt er: »Ha.« Und nach einer Weile: »Oh.« Vorsichtig kratzt Papa Pantoffel mit dem Finger am Nagel, so dass eine rotbraune Staubwolke entsteht. »Au, au, au.«
»Was?«, fragt Jill.
»Ja, was denn?«, fragt auch Mama Pantoffel gespannt.
Papa Pantoffel zeigt auf den Nagel: »Der wird nicht mehr lange halten.«
»Was passiert, wenn er nicht mehr hält?«, will Tapp wissen.
»Das Haus fällt runter und zerbricht«, sagt Papa Pantoffel.
»Einfach so?«, fragt Tapp. Er kann sich gar nicht vorstellen, dass ihr Haus vom Baum fällt. Häuser fallen doch nicht einfach so hinunter.
»Können wir den Nagel nicht reparieren?«, fragt Jill.
Der Vater kratzt sich am Kopf. Er reibt sich die Nase. Er denkt nach. Schließlich sagt er: »Nein. Was rostet, das rostet, das kann man nicht reparieren.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragt Tapp.
»Wir brauchen ein neues Haus. Wir müssen umziehen«, sagt Papa Pantoffel.
»Auf keinen Fall!«, ruft Mama Pantoffel. »Ich will in keinem anderen Haus wohnen. Mir gefällt es hier.«
»Ich auch nicht«, sagt Tapp.
»Ich schon gar nicht«, sagt Jill und rauft sich ihr grashüpfergrünes Haar.
»Aber schon der nächste Sturm kann das Haus vom Baum pusten«, spricht Papa Pantoffel. Es klingt wirklich ernst und bedrohlich, so wie er es sagt.
»Oh«, sagt Jill.
»Oh«, sagt Tapp.
»Oh«, sagt auch Mama Pantoffel und setzt sich.
Gerade war es noch so lustig, und jetzt soll plötzlich dieses Haus vom Baum fallen. Sie mag die Bäume im Stadtpark, den kleinen Ententeich, die vielen Blumen. Mama Pantoffel will hier ganz und gar nicht wegziehen.
Tapp dagegen mag am liebsten die Badewanne. »Und wenn das neue Haus kein Loch im Dach hat?«, fragt er. »Wie soll dann die Wanne volllaufen?«
»Vielleicht werden wir im neuen Haus keine Badewanne haben«, sagt Papa Pantoffel. »Vielleicht haben wir dafür etwas anderes. Etwas, das genauso gut ist wie eine Badewanne.«
»Was zum Beispiel?«, fragt Tapp. Ihm fällt nichts ein, was so gut wie eine Badewanne sein soll.
»Vielleicht ist es größer. Oder es riecht dort den ganzen Tag nach Schokoladenpudding.«
»Das wäre toll.« Tapp klatscht in die Hände. »Schokoladenpuddinggeruch. Den ganzen Tag lang.« Er guckt auf seinen Bauch unter der lila Latzhose und ist sehr zufrieden. Gern würde er in einem Haus wohnen, wo es nach Pudding riecht.
Jill schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagt sie. »Nur riechen, aber keinen bekommen, ist auch nicht so toll.«
»Das stimmt«, gibt Tapp zu. Dass ihm das nicht selbst eingefallen ist. Wenn es in dem neuen Haus keinen Pudding zu essen gibt, will er lieber doch nicht dort hin.
»Das war ja nur so dahergeredet«, sagt Papa Pantoffel. »Bestimmt finden wir ein schönes neues Haus, das uns so gut gefällt wie dieses.«
Mama Pantoffel ist völlig verwirrt. Ihr geht das alles viel zu schnell.
»Können wir nicht noch ein bisschen hierbleiben? Muss es denn wirklich sofort sein?«
»Ich befürchte«, sagt Papa Pantoffel, »uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Schau dir den Nagel an.«
Mama Pantoffel dreht sich weg. Den Nagel will sie ganz gewiss nicht anschauen. Wegen dem Ding stecken sie doch in diesem Schlamassel. Sie guckt lieber Jill und Tapp an. Jill mit den leuchtend grünen Haaren und Tapp in der lila Latzhose.
Damals, als sie in dieses Haus einzogen, waren die Zwillinge noch winzig. Gerade so groß ein Sandkorn. Wie schnell sie doch gewachsen sind, denkt sie. Zur Schule gehen sie schon. Mama Pantoffel seufzt.
»Vielleicht können wir noch bis zum Winter warten«, schlägt sie vor.
Papa Pantoffel schüttelt den Kopf.
»Bis zum Herbst?«, fragt sie.
Papa Pantoffel runzelt die Stirn. Noch einmal klopft er vorsichtig gegen den Nagel. »Nein. Auch nicht bis zum Herbst.«
Mama Pantoffel rollt mit den Augen. »Dieser Sturkopf«, flüstert sie, so dass Papa Pantoffel es nicht hören kann. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt er auch kein bisschen nach.
»Und überhaupt«, mahnend streckt der Papa einen Finger in die Luft. »In diesem Haus wird ab sofort nicht mehr gerannt, gesprungen oder gehüpft!«
»Jetzt übertreibst du aber. Der Nagel rostet doch schon all die Jahre«, schimpft Mama Pantoffel. »Und hier wurde schon immer gerannt, gesprungen oder gehüpft.«
»Das finde ich auch«, sagt Tapp. »Und überhaupt, ich bleibe hier.«
»Ganz allein?«, fragt Jill.
»Nein. Mit Mama«, sagt er. »Du kannst ja mit Papa in ein neues Haus ziehen. In eins ohne Badewanne. Und wo es keinen Pudding gibt, obwohl es danach riecht.«
»Wenn das Haus runterfällt, haste gar kein Haus mehr«, sagt Jill. »Und auch keine Badewanne.«
»Jetzt fangt nicht zu streiten an!« Mama Pantoffel atmet ganz tief ein. »Wenn wir umziehen, dann alle zusammen. Schließlich sind wir eine Familie.« Ganz für sich denkt sie: Nur wann, darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Immerhin hängt dieses Haus ja noch. Wer kann schon wissen, wann es wirklich abfällt.
Ein Spatz landet auf dem Vogelhausdach. Erst zittern die Wände, dann knackt bedrohlich das Dach. Das ganze Haus bebt.
Die vier Pantoffels halten vor Schreck den Atem an. Mama, Papa, Jill und Tapp gucken auf den Nagel.
Au weia, denkt Jill.
Au Backe, denkt Tapp.
Jetzt fällt es tatsächlich runter, denkt Mama Pantoffel.
Papa Pantoffel ist käsebleich. »Bitte nicht!«, ruft er.
Nach wenigen Sekunden ist der Schreck vorüber. Der Spatz ist weitergeflogen. Die Wände hören auf zu wackeln, das Haus ist nicht hinuntergefallen.
»Oh je«, seufzt Mama Pantoffel. Vor Schreck sind ihre Beine so wabbelig wie Götterspeise. Eben noch war sie der Meinung, dass Häuser nicht einfach so vom Baum fallen, vor allem, wenn sie schon jahrelang daran hängen. Jetzt weiß sie: Dieser Nagel ist wirklich gefährlich. Ein neues Haus muss her. Und zwar schnell.
Jill und Tapp sind vor Angst ganz steif. Nicht einmal die kleinen Zehen bewegen sie. Nein, mit dem Haus vom Baum stürzen wollen sie gewiss nicht. Wie es wohl ist, wenn einem das Dach auf den Kopf fällt?
Tapp sieht sich mit einer großen Beule.
Jill überlegt, wie schwer so ein Haus sich anfühlt, wenn man darunterliegt.
Eine Weile ist es ganz still im Müdlihaus. Nur die vier Herzen der Pantoffels trommeln wild und laut.
Als Erster spricht Papa Pantoffel wieder. »Da haben wir aber ein großes Glück gehabt.« Wieder untersucht er den Nagel; prüft, ob er noch fest genug ist oder doch gleich auseinanderbricht.
»Oh je«, ruft Mama Pantoffel. »Wir haben ganz die Zeit vergessen. Tapp und Jill müssen in die Schule.«
»Oh je. Die Schule«, seufzt Jill.
»Oh weh«, jammert Tapp. In die Schule will er heute nicht. Eigentlich geht er nie besonders gern in die Schule. Aber heute will er überhaupt gar nicht dorthin.
Heute ist die Prüfung. In der Schule lernen die Müdlikinder alles, um den Menschen beim Einschlafen zu helfen. Denn wenn ein Mensch nicht gut einschlafen kann, kommen die Müdlis zu ihm. Sie hängen sich an die Wimpern, dem Menschen werden die Augen schwer, irgendwann fallen sie zu, und er schläft ein. Natürlich ist das nicht so leicht, wie es sich anhört. Manche Menschen können trotz geschlossener Augen nicht gut einschlafen. Deshalb ist es wichtig, viel über die Menschen und das Schlafen im Allgemeinen zu wissen. Und all diese Sachen lernen die Müdlikinder in der Schule.
Jedes Schuljahr endet in der Müdlischule mit einer Prüfung. Ganz allein, also ohne die Hilfe ihres Lehrers oder der Klassenkameraden, sollen die kleinen Müdlis einem Menschen beim Einschlafen helfen.
Tapp hält sich die Wange und hüpft von einem Bein auf das andere. »Au, au, mein Zahn. Er tut so weh.«
»Nicht hüpfen«, mahnt sofort Papa Pantoffel.
Tapp versucht, ruhig zu stehen, aber mit so schrecklichem Zahnweh ist das gar nicht so einfach. Ganz plötzlich hat Tapp Zahnschmerzen bekommen. Den ganzen Morgen über ging es ihm gut. Auch als das Haus wackelte, war mit seinem Zahn noch alles in Ordnung. Erst als die Mama von der Schule anfing, schoss der Schmerz in Tapps Zahn, und seither kann er nur noch daran denken. Mit so einem Zahnweh kann man gar nicht in die Schule gehen und erst recht keine Prüfung bestehen.
Rasch holt Mama Pantoffel einen Krümel aus ihrer Hosentasche.
»Medizin«, sagt sie und schiebt Tapp den Krümel in den Mund. Tapp mag Medizin gern. Meistens schmeckt sie nach Käse, und Käse ist sein Leibgericht. Besser als Käse schmeckt nur Schokoladenpudding. Schnell schluckt er den Medizinkrümel hinunter und reibt sich den Bauch.
»Besser?«, fragt Mama Pantoffel.
Tapp schüttelt den Kopf. »Das war zu wenig Medizin. Mein Zahn tut immer noch weh.«
Mama Pantoffel schmunzelt. »Ich glaube, es war genug. Du musst dich ein wenig gedulden, bis die Medizin wirkt.« Sie stupst Tapp auf die Nase und gibt jedem Zwilling einen Kuss auf den Schopf. »Wenn ihr die Prüfung besteht, dann gibt es für jeden eine extragroße Portion Schokoladenpudding«, verspricht sie.
»Schokoladenpudding!«, staunt Tapp.
»Jeder so viel, wie er mag«, sagt Mama Pantoffel.
»Auch eine ganze Badewanne voll?«, fragt Tapp.
»Auch eine ganze Badewanne voll.«
Tapps Zahnweh ist gleich gar nicht mehr so schlimm. Jetzt, wo sein Kopf voll mit Puddinggedanken ist. Schließlich haben bisher alle Müdlis die Prüfung bestanden, denkt er. Außerdem ist Jill bei ihm, und Jill ist schlau. Jill weiß immer, was zu tun ist.
Mit Puddinggedanken im Kopf und seiner schlauen Schwester Jill kann Tapp es gar nicht mehr abwarten in die Schule zu kommen. Eilig zupft er seine Flügel aus der Latzhosentasche, faltet sie auseinander wie ein Taschentuch und setzt sie sich auf den Rücken wie einen Rucksack. Schon rennt er los und hüpft hinaus ins Freie. Er bemerkt gar nicht, dass hinter ihm die Wände wackeln.
Papa, Mama und Jill schauen ängstlich auf den Nagel. Auch diesmal geht es gut aus, das Haus bleibt hängen.
»Na, sowas«, staunt Papa Pantoffel. Eigentlich bummelt Tapp schrecklich herum, wenn er in die Schule soll. Er interessiert sich einfach viel mehr für die Dinge um ihn herum, anstatt den Menschen zu helfen. Zum Beispiel guckt er gern aus dem Fenster, weil manchmal eine Katze vorbeischleicht. Manchmal ist er selbst ganz müde und schläft ein. In anderen Nächten findet er in einem Kinderzimmer eine Eisenbahn. Dann spielt Tapp Verreisen und fährt in ferne Länder. Dort begegnen ihm seltsame Tiere oder Zauberer, Zwerge, Elfen und Barbaren. Und immer, wenn er gerade so schön am Spielen ist, dann schimpft der Lehrer mit ihm. Ausgeschimpft wird Tapp nicht gern. Und weil Herr Träumer, der Lehrer, ihn so oft schimpft, mag Tapp eben nicht gern in die Schule gehen.
»Nun hat Tapp doch glatt seine Zipfelmütze vergessen!« Mama Pantoffel zeigt auf die rote Mütze mit den weißen Punkten.
Eins, zwei, drei, ja, alle vier Zipfelmützen hängen am Garderobenzweiglein neben dem Ausgang. Jills butterblumengelbe, Mamas tannenbaumgrüne, Papas papageienbunte und dazwischen Tapps Fliegenpilzmütze.
Papa Pantoffel nimmt Tapps Mütze vom Garderobenzweig. »Bring sie ihm nach«, sagt er zu Jill und schiebt ihr die Mütze in die Hosentasche.
»Und beeil dich, bevor ihn jemand sieht«, fügt Mama Pantoffel rasch hinzu.
Jill weiß, dass jetzt höchste Eile geboten ist. Denn nur Müdlis mit Zipfelmütze auf dem Kopf sind unsichtbar.
Einmal, so erzählen es die Eltern, hat ein Mensch einen Müdli ohne Zipfelmütze erwischt. Er hat ihn eingefangen, in ein leeres Gurkenglas gesteckt, den Deckel fest draufgeschraubt und geguckt, bis es ihm langweilig wurde und er wegging. Drei Tage musste der Müdli in dem Glasgefängnis ausharren. Natürlich gab es darin keinen einzigen Krümel, und vor Hunger schrumpfte er von Tag zu Tag.
Am dritten Tag, als der Mensch endlich wiederkam, war der Müdli nur noch sandkorngroß. Der Mensch wunderte sich. Das Glas schien jetzt vollkommen leer. Er drehte und schüttelte es, klopfte und horchte, aber da war nichts mehr. Schließlich schraubte er das Glas auf und stellte es auf den Kopf. Der eingesperrte Müdli purzelte in die Freiheit und landete dabei direkt auf dem Kopf. Zwar hatte die Gefangenschaft so ein Ende, und der Müdli wuchs auch wieder auf Normalgröße, aber die Beule am Kopf, die blieb sein ganzes Leben lang.
Solche und noch schrecklichere Geschichten von Müdlis ohne Zipfelmütze kennen alle Müdlis. Sie werden den Kindern erzählt, die erzählen sie wiederum ihren Kindern, und auch Jill und Tapp werden diese Geschichte irgendwann ihren Kindern erzählen.
Nun ist Tapp also ohne seine Zipfelmütze da draußen unterwegs. Er kann fast so schnell fliegen, wie ein Hund laufen kann. Jill dagegen ist lahm wie eine watschelnde Ente. Aber sie muss es wenigstens versuchen, denn an einem Prüfungstag dürfen auch die Eltern ihren Kindern nicht helfen. Nicht einmal zur Schule dürfen sie ihre Kinder begleiten, und genau genommen ist es ja der Schulweg, auf dem sich Tapp befindet und den Jill jetzt antritt. Hastig setzt sie deshalb ihre eigene butterblumengelbe Mütze auf den Kopf und die Flügel auf den Rücken. Dann springt auch sie aus dem Haus, so dass schon wieder die Wände wackeln.
Jill kann Tapp nirgends sehen. Er ist nicht in der Nähe des Kinderspielplatzes und auch nicht beim Zoo. Erst bei der Häusersiedlung, schon ganz nah bei der Müdlischule, erspäht sie ihn. Tapp taumelt quietschfidel durch die Luft. Auf und ab fliegt er, schlägt Purzelbäume in der Luft und dreht sich wie ein Balletttänzer.
Anscheinend hat Tapp noch gar nicht bemerkt, dass er ohne Mütze unterwegs ist, so vergnügt, wie er ist. Keine Spur von Eile oder Angst ist ihm anzumerken. Seine gelben Haare und die lila Latzhose schillern herrlich im Sonnenlicht. Man könnte ihn glatt für einen Glitzerstein halten. Für einen Karfunkel, der durch die Luft wirbelt.
Jill ist erleichtert. Gleich wird sie Tapp seine Zipfelmütze geben, und er wird unsichtbar. Ein Glück, ihm ist nichts passiert, niemand hat ihn entdeckt. Fast ist sie bei Tapp angekommen, nur noch wenige Flügelschläge, da kommt von vorn eine Elster angeflogen.
»Pass auf!«, ruft Jill, so laut sie kann, aber Tapp hört sie nicht. Da hat die Elster ihn schon an der Hose gepackt. Verzweifelt zappelt Tapp mit den Beinen, seine Arme rudern wild durch die Luft. Jill hört seine Hilferufe, aber sie kann ihm nicht helfen. Sie ist zu langsam. Viel langsamer als die Elster mit ihren großen Flügeln.
»Gib ihn wieder her!«, ruft Jill. »Lass ihn los! Das ist kein Glitzerstein! Das ist doch mein Bruder.«
Natürlich versteht die Elster sie nicht. Mit kräftigen Flügelschlägen eilt sie davon. Jill gibt sich alle Mühe, aber vor lauter Anstrengung geht ihr allmählich die Puste aus. Sie wird langsamer, und der Vorsprung der Elster wird immer größer. Jill beißt die Zähne zusammen. Sie strengt sich an, sie schwitzt, sie hechelt. Nur nicht die Elster wegfliegen lassen, denkt sie. Ich muss unbedingt wissen, wo sie Tapp hinbringt. Fast erkennt Jill den Vogel nur noch als Punkt der Ferne. Jetzt warte doch, denkt sie.
Und als ob die Elster sie diesmal gehört hätte, lässt sie sich auf einem Ast nieder. Obwohl Jill kaum noch Kraft für einen einzigen Flügelschlag hat, obwohl ihr alles weh tut, obwohl ihr Körper zittert und sie heftiges Seitenstechen verspürt, gibt sie nicht auf. Nur noch ein paar Meter, und sie kann Tapp retten. Da beginnen bunte Punkte vor Jills Augen zu flimmern. Vor lauter Punkten kann sie nichts mehr sehen. Hilflos schlägt sie mit den Flügeln und schwankt taumelnd durch die Luft. Die bunten Punkte vor ihren Augen werden nach und nach ganz schwarz. Um Jill herum wird es dunkel. Noch im Flug, mitten in der Luft, wird sie ohnmächtig und stürzt ab.
»Hilfe!«
Jill hört es wie aus weiter Ferne. Sie träumt von einer herrlichen Blumenwiese mit Hummeln, Bienen, Schmetterlingen und Käfern. Sie schaut sich um. Alles summt und brummt, niemand scheint hier ihre Hilfe zu benötigen. Und doch ruft da jemand.
Mit einem Schlag ist Jill hellwach. Ihre Ohnmacht ist vorbei. Die Traumblumenwiese ist verschwunden. Das war doch Tapps Stimme. Ganz sicher. Es war Tapp, der gerufen hat. Kurz schüttelt Jill sich und beginnt nachzudenken. Wenn sie Tapp hören kann, dann kann er auch nicht weit weg sein. Und wenn er nicht weit weg ist, dann ist er irgendwo ganz in der Nähe. Und wenn er in der Nähe ist, kann sie ihn retten. Während Jill über all das nachdenkt, schaut sie sich um.
An diesem Ort sieht alles fast wie zu Hause aus, und doch ist es ganz anders. Auch hier gibt es Moos und Zweige. Aber da ist kein Dach, und nirgends sind Wände. Auch eine Badewanne scheint es hier nicht zu geben.
Jill erschrickt fürchterlich, als sie sich zur anderen Seite dreht. Direkt neben ihr sitzt die Elster. Jill ist, in ihrer Ohnmacht, wohl direkt aus der Luft in ihr Nest gepurzelt. Schnell fühlt sie nach ihrer Zipfelmütze. Ein Glück, die sitzt fest auf ihrem Kopf.
»Tapp? Bist du hier?«, fragt Jill zaghaft und leise. Als sie keine Antwort erhält, versucht sie es etwas lauter. »Tapp? Bist du hier irgendwo?« Sie lauscht. Nichts. Keine Antwort. »Tapp?«, brüllt sie schließlich, so laut sie kann.
»Jill?«
»Ja. Ich. Wo bist du?«
»Hier!«
»Wo hier?«, fragt Jill und blickt sich nach allen Seiten um.
»Ein Dings hockt auf mir drauf.«
Oh weh, denkt Jill. Tapp ist unter der Elster gefangen. Hoffentlich zerquetscht sie ihn nicht. »Geht es dir gut?«
»Ob es mir gut geht?«, schimpft Tapp. »Ein Dings sitzt auf mir. Wie geht es mir da wohl?«
»Das Dings ist eine Elster«, erklärt Jill. »Kommst du denn nirgends raus?«
»Hier ist es wie in einer Höhle ohne Ausgang.«
Eine Höhle ohne Ausgang, denkt Jill. Wie soll sie Tapp dort herausbekommen? Wo es keinen Ausgang gibt, gibt es auch keinen Eingang. Sie muss nachdenken. Am besten geht Denken, wenn man dabei herumspaziert. Jill umrundet das Nest auf dem Rand. Sie schaut sich dabei die Elster von allen Seiten an, dreht den Kopf leicht nach rechts, dann nach links.
Man müsste den Vogel hochheben, denkt sie.