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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Carlos, Tanja, Doro, Finn und Laura standen in einer Ecke des Schulhofes hinter dem überdachten Stellplatz für die Fahrräder, halbwegs geschützt vor den Blicken der Lehrkraft, die Aufsicht hatte. Carlos zog an seiner Zigarette und sah mit abfälligem Blick zu dem Mädchen, das auf der gegenüberliegenden Seite des Pausenhofes alleine auf einer Bank saß und scheinbar gedankenverloren ein belegtes Brot aß. Laura folgte Carlos' Blick. »Die dumme Kuh«, sagte sie und strich mit einer lässigen Geste über Kopf ihre langen Haare zurück. Ihr rotes, hautenges Top saß so eng am Körper, dass sich die Nähte an den Seiten dehnten, und der extrem kurze und schmal geschnittene Rock aus schwarzem Kunstleder hinderte sie daran, sich auf das sonnengewärmte Mäuerchen zu Doro und Tanja zu setzen, die bequeme Jeans-Shorts trugen. Lauras Bauchnabel-Piercing glitzerte in der Sonne des Vormittags. »Immer voll piefig angezogen«, stimmte Tanja zu. »Billig-Jeans und verwaschene T-Shirts.« Finn lehnte sich, auf einen Ellbogen gestützt, lässig an die Mauer. Dichte blonde Locken fielen ihm in die Stirn. »Glaubt mir, Leute, die könnte sich anziehen wie Laura und kommt immer noch piefig rüber. Die ist einfach so.« Doro grinste. »Wisst ihr was? Die nehmen wir jetzt mal aufs Korn.« »Kannste vergessen. Die schnallt doch eh nix«, teilte Carlos seine Meinung mit und schielte zur Pausenaufsicht, die heute Herr Schulte hatte.
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Carlos, Tanja, Doro, Finn und Laura standen in einer Ecke des Schulhofes hinter dem überdachten Stellplatz für die Fahrräder, halbwegs geschützt vor den Blicken der Lehrkraft, die Aufsicht hatte.
Carlos zog an seiner Zigarette und sah mit abfälligem Blick zu dem Mädchen, das auf der gegenüberliegenden Seite des Pausenhofes alleine auf einer Bank saß und scheinbar gedankenverloren ein belegtes Brot aß.
Laura folgte Carlos‘ Blick.
»Die dumme Kuh«, sagte sie und strich mit einer lässigen Geste über Kopf ihre langen Haare zurück. Ihr rotes, hautenges Top saß so eng am Körper, dass sich die Nähte an den Seiten dehnten, und der extrem kurze und schmal geschnittene Rock aus schwarzem Kunstleder hinderte sie daran, sich auf das sonnengewärmte Mäuerchen zu Doro und Tanja zu setzen, die bequeme Jeans-Shorts trugen. Lauras Bauchnabel-Piercing glitzerte in der Sonne des Vormittags.
»Immer voll piefig angezogen«, stimmte Tanja zu. »Billig-Jeans und verwaschene T-Shirts.«
Finn lehnte sich, auf einen Ellbogen gestützt, lässig an die Mauer. Dichte blonde Locken fielen ihm in die Stirn.
»Glaubt mir, Leute, die könnte sich anziehen wie Laura und kommt immer noch piefig rüber. Die ist einfach so.«
Doro grinste.
»Wisst ihr was? Die nehmen wir jetzt mal aufs Korn.«
»Kannste vergessen. Die schnallt doch eh nix«, teilte Carlos seine Meinung mit und schielte zur Pausenaufsicht, die heute Herr Schulte hatte. Er war zudem der Klassenlehrer der 8c, die sie besuchten. Er näherte sich ihnen betont beiläufig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Carlos ließ seine erst halb gerauchte Zigarette fallen, trat sie aus und schob sie mit der Schuhspitze unter den dürren Strauch, der am Rand der Mauer wuchs.
Doro sprang von ihrem Sitzplatz auf.
»Ihr werdet schon sehen«, verkündete sie und ging mit wiegenden Hüften an Schulte vorbei zu dem Mädchen auf der Bank.
*
Fabian Schöller schlenderte mit seinen Klassenkameraden Lukas und Sebastian durch den Drogeriemarkt in der Maibacher Innenstadt. Lukas brauchte einen neuen Block für die Schule, Sebastian hatte von seiner Mutter den Auftrag bekommen, nach dem Unterricht Tabs für die Geschirr-Spülmaschine zu besorgen. Fabian begleitete die beiden nur zur Gesellschaft. Die letzte Stunde des Unterrichts war an diesem Tag ausgefallen, und er hatte noch mehr als eine halbe Stunde Zeit, ehe der Bus kam, der ihn zurück ins Kinderheim Sophienlust bringen würde, in dem er wohnte.
Sebastian suchte mit demonstrativ genervter Miene die Tabs, Lukas stand bei den Schreibwaren. Er interessierte sich für ein Set Aquarellstifte. Den benötigten Block hielt er unter dem Arm.
»Ich guck mal zum Hundefutter«, ließ Fabian Sebastian wissen, um die Zeit zu überbrücken. Offenbar hatte Basti keine Ahnung, welche Tabs er kaufen sollte.
»Leckerchen für Anglos kaufen?«, erkundigte sich der Schulfreund.
»Vielleicht. Und für Barri natürlich auch«, erwiderte Fabian grinsend.
»Schon ne coole Sache, dass du deinen Hund mit ins Kinderheim nehmen durftest«, sagte Sebastian. »Und voll gut, dass Anglos und Barri sich verstehen. Zwei Rüden, das hätte auch Stress geben können.«
»Die sind voll die Bros, das weißt du doch«, erwiderte Fabian. »Also, bis gleich.«
»Bis gleich«, brummte Sebastian und wandte sich wieder den Tabs zu.
Fabian musste zwei Regalreihen weitergehen, um zum Hundefutter zu kommen. Er war eben auf Höhe der Kosmetik, als er aus den Augenwinkeln ein Mädchen in seinem Alter vor den Lippenstiften stehen sah. Es nahm einen aus dem Aufsteller und ließ ihn mit geröteten Wangen in die Tasche seiner Jeansjacke gleiten. Fabian blieb stehen. Allerhand, das Mädchen wollte eindeutig den Schminkstift mitgehen lassen, ohne zu bezahlen. Schon wandte es sich nach rechts, womit es auf ihn zu kam. Ohne nachzudenken stellte Fabian sich ihm in den Weg.
»Sag mal, was wird das denn?«, entfuhr es ihm.
»Was?« Die Wangen des Mädchens wurden noch röter. Es hielt eine Hand in den Taschen ihrer Jacke und drückte sie an ihren Körper.
»Jetzt stell dich nicht dumm«, raunte er ihr zu und senkte die Stimme. Sie standen alleine zwischen den Regalreihen mit all den Farbverschönerungen, die Frauen gerne nutzten. »Ich habe genau gesehen, dass du den Lippenstift eingesteckt hast.«
»Du spinnst wohl«, fuhr sie ihn an. Ihr Blick sagte ihm, dass sie seitlich an ihm vorbei wollte und sich weder für links noch für rechts entscheiden konnte. Es war nicht allzu viel Platz zwischen den Regalen.
»Hey, leg das Ding zurück. Ich kann auch jemand vom Personal was flüstern«, zischte er ihr zu.
»Du hast echt einen an der Klatsche.« Das Mädchen wandte sich auf dem Absatz um und rannte in entgegengesetzter Richtung davon, wobei es eisern die Hand in der Tasche an den Körper drückte.
Empörung schoss in Fabian hoch. Einen Moment lang wollte er ihr hinterherlaufen, dann entschied er sich dagegen. Falls er sie überhaupt einholte, hätte er sie festhalten und das Personal rufen müssen, damit sie zu dem Diebstahl stehen musste. Davor scheute er dann doch zurück.
»Hey. Doch keine Leckerchen? Lieber bisschen Schminke?«, hörte er Basti amüsiert sagen.
»Nee«, erwiderte Fabian, der noch mit seiner Entrüstung rang.
»Ist was passiert? Du siehst voll sauer aus«, stellte Basti fest.
»Nix ist passiert«, antwortete er und überlegte, warum er dem Schulfreund nicht von dem Vorfall erzählen wollte. Egal. Für ihn wurde es Zeit, zum Bus zu gehen. Er hatte Hunger und Magda, die Köchin des Kinderheims, hatte ihm heute Morgen verraten, dass es mittags Bratwürste, Kartoffelbrei und Gurkensalat geben würde. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.
*
Anneliese Prechtl rieb mit einem feuchten Lappen nachdrücklich über die Tischplatte des Terrassentisches. Ihr Lebensgefährte Thomas kam aus dem Haus, mit einer Flasche Bier in der Hand. Missbilligend betrachtete Anneliese das Getränk. Es war gerade mal fünf Uhr am Nachmittag.
»Mit nur 2,5 Prozent«, beschwichtigte Thomas sie, noch ehe sie etwas gesagt hatte. Er hob die Flasche hoch und tippte auf das Etikett. Anneliese nickte und Thomas setzte sich.
»Schlechte Stimmung?«, erkundigte er sich und öffnete die Flasche an der Tischkante. Anneliese zuckte mit den Schultern und wischte über die Armlehne des Stuhls, der ihr am nächsten stand.
»Macht deine Tochter wieder Ärger?« Er nahm einen Schluck Bier.
»Macht sie doch immer«, antwortete sie mürrisch.
»Was ist diesmal?« Thomas wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Anneliese legte ihren Lappen an den Rand des Tisches und setzte sich ebenfalls.
»Ne fünf in Englisch, ich soll in die Sprechstunde kommen, weil sie schon wieder den Sportunterricht geschwänzt hat, und irgendwas verschweigt sie mir wieder mal. Sie kam heute um drei Uhr erst aus der Schule, obwohl sie bis eins hatte und war natürlich wie üblich total bockig, als ich sie gefragt habe, wo sie war. Angeblich war sie mit ein ›paar Freunden‹ in der Stadt. So ein Blödsinn. Sie hat doch gar keine Freunde«, regte Anneliese sich auf.
»Das liegt an ihrer ständig miesen Laune«, tat Thomas seine Ansicht kund.
»Ist halt die Pubertät«, murrte Anneliese und dachte, dass andere Jugendliche auch in die Pubertät kamen und trotzdem Freunde hatten. Mit denen schlossen sie sich sogar recht eng zusammen und rebellierten gegen die Eltern. Rosi fand einfach keinen Anschluss. Sie fragte sich oft, was bei dem Kind falsch lief.
»Du bist zu nachgiebig, Annelie«, hielt Thomas ihr vor. »Du musst eben mal die Zügel strammer ziehen. Wenn die Jugendlichen keine Konsequenzen spüren, haben die doch gar keinen Grund, sich bisschen am Riemen zu reißen.«
Anneliese gab keine Antwort. Er hatte schon recht. Sie schimpfte und drohte, mit Stubenarrest und Taschengeldentzug, und nichts half.
Den Stubenarrest ignorierte das Kind einfach, und sie in ihr Zimmer zu sperren wagte sie dann doch nicht. Rosi brachte es fertig und kletterte aus Fenster. Und Taschengeld bekam sie weder viel noch regelmäßig. So mochte es lange dauern, ehe ihr überhaupt auffiel, dass sie es ernst meinte, mit dem Entzug.
»Mach das mal wie Georg und Tina. Die haben ihre Lotte, als die so aufmüpfig war, für paar Wochen in ein Kinderheim gesteckt. Ich kann dir sagen, die hat da drin gelernt, sich zu benehmen. Wie verwandelt kam die zurück«, teilte Thomas ihr zum wiederholten Mal mit.
»Ach was.« Mit einem Anflug von Ironie sah Anneliese ihren Lebensgefährten an. »Dein Bruder und seine Frau wohnen in Hamburg und dort ist auch das Kinderheim, in dem Lotte war. Sollen wir jetzt fast tausend Kilometer dorthin …«
Thomas unterbrach sie mit einem irritierten Blick, der sie furchtbar ärgerte und ihr gleichzeitig schamhafte Hitze über den Rücken jagte.
»Du und deine geografischen Kenntnisse.« Er schüttelte den Kopf. »Es sind knapp 600 Kilometer. Abgesehen davon gibt es auch hier ein Kinderheim. Ist gar nicht weit. In Wildmoos.«
»In Wildmoos? Du hast dich wohl schon erkundigt?« Anneliese fragte sich, ob sie sich über sein Engagement ärgerte, oder ob sie froh war, dass er sich kümmerte. Ein bisschen von beidem wahrscheinlich.
So, wie er ihm Stuhl saß, zurückgelehnt und breitbeinig, war ihm wohl nach einer Zigarette, das sah sie ihm an. Das Rauchen hatte Thomas ihr zuliebe eingestellt. Er war wirklich ein Guter und immer für sie da. Auch mit Rosi hatte er eine Engelsgeduld, das musste man schon schätzen. Seit sie vor sieben Jahren ein Paar geworden waren, rebellierte das Kind gegen ihn und Thomas ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Wobei sie sowieso gegen alles rebellierte.
»Hab ich.« Er drehte seine Flasche in der Hand. »Eins ist mal ganz klar, Annelie. Rosi ist deine Tochter und ich will mich nicht einmischen. Aber ich will, dass es dir gut geht und dir gehts nicht gut. Das Mädel treibt dich hin und her. Hier muss mal Ruhe rein.«
In Annelieses Hals wurde es eng. Am liebsten hätte sie geheult. Er hatte ja so recht. Das Kind war sowas von anstrengend.
»Ich meine, so wie sie drauf ist, kann glatt sein, sie gerät noch irgendwann auf die schiefe Bahn. Ich sag da mal nur: Rumtreiben und Schule schwänzen. Wahrscheinlich hat sie auch schon deine Unterschrift gefälscht.«
Anneliese war den Tränen nahe. Damit hatte Thomas schon wieder ins Schwarze getroffen. Wenn sie da an vergangenes Schuljahr dachte … Dass Rosi nicht versetzt worden war, war ja nicht aus heiterem Himmel gekommen. Und so viele schlechte Noten hatte ihr das Mädel übers Schuljahr gar nicht zur Unterschrift vorgelegt. Als sie in der Elternsprechstunde des Münster-Gymnasiums von der Klassenlehrerin Frau Kopolski von drei Fünfen in den Schulaufgaben in Englisch erfahren hatte, und von Herrn Rüdiger von zwei Sechsen in Stegreifaufgaben in Mathematik, war sie sprachlos gewesen, hatte aber versucht, es sich nicht anmerken lassen.
»Annelie.« Thomas beugte sich vor und tätschelte ihr besänftigend den Arm. »Nu musst nicht heulen. Gib das Kind mal vier Wochen ins Heim. Sophienlust heißt das. Sieht echt nett aus dort.«
»Du warst schon dort?« Nun doch erschrocken wischte Anneliese sich die Tränen ab.
»Geh. Natürlich nicht. Ich habe gegoogelt.« Thomas lehnte sich wieder im Stuhl zurück.
»Ach so.« Sie war ein wenig erleichtert.
»Wo steckt denn das Mädel jetzt?«, fragte Thomas. Anneliese zuckte mit den Schultern. »Sie hat die Tür hinter sich zugeknallt, nachdem ich was wegen der Verspätung gesagt hab.«
»Sie tanzt dir auf der Nase rum.« Wieder beugte Thomas sich vor, nahm ihre Hand und drückte sie. »Das haste echt nicht verdient, Annelie.«
Anneliese schluchzte auf.
»Ruf dort mal an. Ich seh da echt ne Chance.« Thomas lehnte sich im Stuhl zurück. »Was gibts denn heute zum Abendessen?«
»Butterbrot mit aufgeschnittenen Frikadellen und Tomatensalat«, murmelte Anneliese. Die Frikadellen hatte es bei Metzger Haberkorn im Angebot gegeben und den Tomatensalat hatte sie auch dort gekauft. Das war ein schnelles Essen, mit dem sie keine Arbeit hatte. In der Küche stand sie gar nicht gerne.
»Super. Nun hol dir mal ein Taschentuch. Dann rufst du im Heim an, solange das Kind noch rumstromert, und danach essen wir«, entschied Thomas. Anneliese nickte und stand auf. Sie konnte wirklich froh sein, dass Thomas immer wieder in die Hand nahm, womit sie zu kämpfen hatte. Obwohl, ein klein wenig flau wurde ihr schon im Magen, wenn sie daran dachte, Rosi für ein paar Wochen in ein Heim zu geben. Aber sie kam dem Kind ja auch mit nichts bei.
*
Anneliese setzte sich aufs Sofa. Auf einen Notizzettel, der vor ihr auf dem Couchtisch lag, hatte sie die Telefonnummer des Kinderheims geschrieben. Mit zittrigen Fingern wählte sie die Nummer. Der Ruf ging hin und ihr schlug das Herz bis zum Hals.
»Kinderheim Sophienlust, Nick von Wellentin-Schoenecker, guten Tag«, hörte sie einen jungen Mann freundlich sagen. Anneliese brach kalter Schweiß aus und ein Zittern durchlief sie. War sie tatsächlich eben dabei, sich um einen Heimplatz für ihre Tochter zu kümmern? Scheinbar ja.
»Anneliese Prechtl, guten Abend. Es geht um meine Tochter, die Rosi. Also, eigentlich heißt sie Roswitha. Sie ist 14 Jahre und ich weiß mit dem Kind nicht mehr weiter«, begann sie und dachte, dass der Einstieg ins Gespräch zwar ehrlich war, aber vielleicht nicht hilfreich. Am Ende wurden schwierige Kinder nicht angenommen?
»Das tut mir leid, Frau Prechtl. Ich wüsste aber nicht, wie ich Ihnen in der Angelegenheit helfen kann«, sagte Herr von Wellentin-Schoenecker.
»Nun ich dachte, in einem Kinderheim lernt sie vielleicht sich unterzuordnen und an ein paar Regeln zu halten«, erklärte Anneliese und hatte das Gefühl, sie vermasselte gerade alles. Sie hörte sich ja an, als wollte sie ihre Tochter in eine Erziehungsanstalt geben. Womöglich war der Eigentümer des Heims verärgert über ihr Ansinnen. Gab es überhaupt noch Erziehungsanstalten? Soweit sie wusste, nicht. Das war ein Relikt aus vergangener Zeit.
»Das heißt, Sie möchten Ihre Tochter für eine Weile zu uns bringen?« Der Mann sprach ruhig, dennoch meinte sie, er klänge jetzt distanziert.
»Genau. Ich dachte so an etwa vier Wochen oder so.« Sie war erleichtert. Er hatte sie rasch verstanden. »Ich muss aber erst wissen, was das kostet. Ich verdiene echt nicht die Welt. Ich arbeite auf zwei Drittel Stelle im Verkauf in der Drogerie Sonnentag in Breitenau und von Thomas kann ich echt nicht verlangen, dass er das übernimmt.«
»Ich müsste ein wenig mehr über Rosi und die Gründe, deretwegen Sie sie zu uns bringen möchten, wissen«, sagte Nick von Wellentin-Schoenecker, ohne auf ihre Frage und die finanzielle Situation einzugehen.
»Sie ist halt bockig, hat immer was dagegen, egal was man ihr sagt. Sie schwänzt die Schule, lernt nichts und treibt sich herum«, zählte Anneliese auf. Von den gefälschten Unterschriften sagte sie mal lieber nichts.
»Darf ich fragen, wie die familiäre Situation bei Ihnen zu Hause ist?«, fragte Herr von Wellentin-Schoenecker.
»Die … was?« Die Frage brachte Anneliese aus dem Konzept, obwohl sie den jungen Mann durchaus verstanden hatte.
»Ich meine, ob Rosi Geschwister hat, ob Sie alleinerziehend sind und …«
»Rosi hat keine Geschwister«, unterbrach sie ihn. »Und ich bin nicht alleinerziehend, ich habe einen Lebensgefährten. Thomas eben. Er gibt sich echt alle Mühe mit dem Kind, aber sie hört auch auf ihn überhaupt nicht.«
»Ihr Lebensgefährte ist nicht der Vater Ihrer Tochter?«, fragte Herr von Wellentin-Schoenecker.
»Nein.« Anneliese presste die Fingerspitzen der freien Hand auf ihr rechtes Knie. »Deswegen kann ich ja auch nicht erwarten, dass er was zahlt, für das Heim. Was kostet es denn nun?«
»Die Unterbringung in Sophienlust ist kostenlos, Frau Prechtl«, beantwortete er endlich ihre Frage.
»Was? Echt? Das ist ja fantastisch. Aber wie geht das denn? Ich habe mir Bilder vom Heim im Internet angesehen. Es sieht richtig luxusmäßig aus.« Sie war so erleichtert, dass sie sich augenblicklich besser fühlte.
»Ich glaube, ich darf sagen, dass Sophienlust ein sehr schönes Haus ist, in dem sich alle Kinder sehr wohlfühlen«, informierte der Eigentümer des Heims sie. »Es finanziert sich durch einen großzügigen Fond, den meine Urgroßmutter, Sophie von Wellentin eingerichtet hat.«
An Anneliese rauschte diese Mitteilung vorbei. Was für sie wichtig war, war, dass sie nicht für die vier Wochen zahlen musste.
»Wann kann ich das Kind denn nun bringen?«, kam sie auf den für sie wichtigen Punkt.
»Jederzeit«, erwiderte Herr von Wellentin-Schoenecker. Flüchtig dachte sie, dass er jetzt sehr unnahbar sprach, nachdem er sich anfangs doch so freundlich gemeldet hatte. Vielleicht war ihm auch nicht wohl, so ein anstrengendes Kind aufzunehmen. Oder er war der Ansicht, dass sie als Mutter versagte? Die Vorstellung behagte ihr überhaupt nicht. Er würde schon noch sehen, wo die Probleme bei ihrer Tochter lagen.
»Dann kommen wir morgen«, entschied Anneliese, die am liebsten heute noch nach Wildmoos gefahren wäre. Es war ja nicht weit. Aber noch war Rosi irgendwo unterwegs und außerdem wartete Thomas auf das Abendessen.
»Gerne. Ich bin ab acht Uhr vormittags im Büro. Bis dann, Frau Prechtl«, verabschiedete sich der junge Mann.
»Bis dann.« Anneliese legte auf. Das war ja viel leichter gegangen, als sie gedacht hatte. Thomas würde stolz auf sie sein. Vor dem Gespräch mit Rosi war ihr nicht wohl. Aber das würde sie schon hinter sich bringen.
*
Denise von Schoenecker klopfte an die Tür des Büros im Kinderheim Sophienlust.
»Ja, bitte«, hörte sie ihren Sohn rufen und öffnete die Tür.
»Hallo, Nick«, begrüßte sie ihn.
»Hallo, Mama. Schön, dass du vorbeisiehst.« Nick lächelte ihr zu. Denise betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich.
»Was ist los? Du wirkst nachdenklich, um nicht zu sagen, besorgt«, erkundigte sie sich und setzte sich auf einen der Besucherstühle vor dem Schreibtisch.
»Das bin ich auch«, gab Nick zu. »Eben hatte ich einen Anruf von einer Frau Prechtl. Sie möchte ihre 14-jährige Tochter für vier Wochen zu uns bringen.«
»Ja?« Aufmerksam betrachtete Denise ihren Sohn.
»Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal mit einer Mutter gesprochen zu haben, die derart … gegen ihr Kind eingestellt war, wie diese Frau«, sagte Nick.
»Wie meinst du das?«, fragte Denise.