Die Nacht, als ich sie sah - Drago Jančar - E-Book

Die Nacht, als ich sie sah E-Book

Drago Jančar

4,9

Beschreibung

Von der Gier zu leben und dem Verschwinden einer faszinierenden jungen Frau in Zeiten des Krieges. In einer Nacht, kurz nach Neujahr 1944, führt eine Gruppe von Tito-Partisanen Veronika Zarnik und ihren Mann Leo aus ihrem Schloss in Slowenien ab, von da an verlieren sich ihre Spuren. Aus den Erinnerungen von fünf Personen setzt sich das Bild einer schillernden jungen Frau zusammen: Pilotin, Liebhaberin von Papageien, Alligatoren und Pferden. Der Offizier, die Mutter, der deutsche Wehrmachtsarzt, die Haushaltshilfe, der Partisan berichten von einer unbändigen Lebensfreude, die jenseits des politischen Geschehens ein privates Idyll aufrechtzuerhalten sucht. Bis der Strom der Geschichte diese Illusion mit sich fortreißt.

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Seitenzahl: 347

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Drago Jančar

Die Nacht, als ich sie sah

Drago Jančar

Die Nacht, als ich sie sah

Roman

Aus dem Slowenischen von

Daniela Kocmut und Klaus Detlef Olof

TransferBibliothek

FolioVerlag

TransferBibliothek CXXV

Titel der Originalausgabe: To noč sem jo videl, Ljubljana: Modrijan založba 2011© der Originalausgabe Drago Jančar

Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.Mit weiterer freundlicher Unterstützung durch die Trubar Foundation (Trubarjev sklad pri Društvu slovenskih pisatlejev) und die Öffentliche Agentur für das Buchwesen der Republik Slowenien (Javna agencija za knjigo Republike Slovenije).

 

 

© Folio Verlag Wien Bozen 2015Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dall’O & FreundeDruckvorstufe: Typoplus, Frangart

ISBN 978-3-85256-670-2

www.folioverlag.com

e-Book: ISBN 978-3-99037-047-6

1

Heute Nacht hab ich sie gesehen, als stünde sie lebendig vor mir. Sie kam durch den Gang in der Mitte der Baracke, zwischen den Stockbetten, wo meine Kameraden im Schlaf ruhig atmeten. Sie blieb an meinem Bett stehen, sah mich eine Zeitlang nachdenklich an, irgendwie abwesend, wie immer, wenn sie nicht schlafen konnte und durch unsere Wohnung in Maribor irrte, am Fenster stehen blieb, sich aufs Bett setzte und wieder ans Fenster ging. Was ist, Stevo?, fragte sie, kannst du auch nicht schlafen?

Ihre Stimme war leise, tief, fast männlich, aber irgendwie verhangen, abwesend wie ihr Blick. Ich war überrascht, weil ich sie erkannt hatte, es war so deutlich die ihre, diese Stimme, die sich mit den Jahren irgendwo in der Ferne verloren hatte. Ihr Bild konnte ich mir jederzeit vor mein inneres Auge rufen, ihre Augen, ihr Haar, die Lippen, ja, auch ihren Körper, der so oft atemlos neben mir gelegen hatte, ihre Stimme aber konnte ich nicht hören; von einer Person, die man lange nicht sieht, geht zuerst die Stimme, der Klang, seine Farbe und Kraft. Sehr lange hatte ich sie nicht gesehen, wie lange?, überlegte ich, mindestens sieben Jahre. Mich fröstelte. Obwohl draußen die letzte Mainacht war und der Frühling dem Ende zuging, der Frühling des schrecklichen Jahres fünfundvierzig, und obwohl sich schon alles dem Sommer zuneigte und es draußen warm war, in der Baracke hingegen fast stickig von der Wärme der atmenden und dampfenden Männerkörper, überlief mich bei diesem Gedanken ein Frösteln. Sieben Jahre. Über sieben lange Jahr, hatte sie damals gesungen, meine Veronika, über sieben lange Jahr, da gibt’s ein Wiedersehn, sie sang dieses slowenische Volkslied, das sie besonders gernhatte, wenn sie traurig war und diesen abwesenden Blick hatte, mit dem sie mich auch jetzt ansah, nur Gott im Himmel weiß, wann sieben Jahr vorbei. Ich wollte ihr sagen, schön, dass du gekommen bist, wenn auch erst nach sieben Jahren, Vranac ist noch immer bei mir, wenn du ihn sehen willst, wollte ich sagen, dort auf der Koppel ist er, zusammen mit den anderen Offizierspferden, es geht ihm gut, er kann auf der Wiese laufen, er braucht nicht im Stall zu stehen, er ist in guter Gesellschaft, obwohl auch er deine Hand vermisst … wie ich sie vermisse, wollte ich sagen, aber meine Stimme blieb mir in der Kehle stecken, etwas Gurgelndes und Dumpfes kam aus meinem Mund statt der Worte, die ich sagen wollte. Ich dachte, du lebst in der Burg am Fuß der slowenischen Berge, ich wollte sagen, und reitest du dort auch? Ich streckte die Hand aus, um ihr Haar zu berühren, aber sie wich zurück, ich gehe jetzt, sagte sie, du weißt ja, Stevo, dass ich nicht bleiben kann.

Ich wusste, dass sie nicht bleiben konnte, wie sie vor sieben Jahren nicht bleiben konnte, als sie unsere Wohnung in Maribor für immer verließ; wenn sie dort nicht bleiben konnte, wie hätte sie dann hier bleiben können, in der Baracke des Gefangenenlagers, unter schlafenden Offizieren der königlichen Armee, über die, aufgehängt an der Barackenwand dort neben der Tür, die Fotografie des jungen Königs wacht, in der Uniform eines Gardeleutnants, die Hand auf den Säbel gelegt, die Fotografie eines Königs, der ohne Königreich geblieben ist, unter seinen Getreuen, die ohne Vaterland geblieben sind. In dem Augenblick wieherte laut ein Pferd, ich hätte schwören können, dass es Vranac war, vielleicht hatte sie sich auch ihm gezeigt, bevor sie für immer gegangen war, vielleicht hatte er vor Freude gewiehert, als er sie in der Nähe spürte, als sie vielleicht, wie früher immer, die Hand auf seine Nüstern gelegt und gesagt hatte, Vranac, jetzt werde ich dich satteln.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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