Die Nackten von Paris I - Martin Minor - E-Book

Die Nackten von Paris I E-Book

Martin Minor

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Beschreibung

Ein Zeitgemälde aus dem späten 16. Jahrhundert, dass die flagellantichen Sitten und Exzesse in Paris beschreibt.-

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Martin Minor

Die Nackten von Paris I

Saga

Die Nackten von Paris ICopyright © 2019 Martin Minor All rights reservedISBN: 9788711717257

1. Ebook-Auflage, 2019Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nachAbsprache mit dem Verlag gestattet.

Aus historischen Quellen

Am 30. Jänner 1589, am Montag, wurden mehrere Prozessionen in Paris veranstaltet, bei denen eine Menge Kinder, Knaben und Mädchen, Männer und Frauen teilnahmen, die bloß im Hemde waren, so etwas Schönes hat man nie gesehen. Gott sei’s gedankt. Es gab eine Pfarrei, wo man 500—600 völlig nackte Leute sah und einige andere mit 800—900 Leuten, je nach der Größe des Pfarrbezirkes. Am nächsten Dienstag, dem letzen des Monats Jänner, wurden ähnliche Prozessionen veranstaltet, die, Gott sei Dank, von Tag zu Tag zunahmen.

Am Dienstag, dem 14. Februar, dem Fastnachtsdienstag, einem Tag, wo man nur Mummereien und Torheiten zu sehen gewohnt war, hielt man vor den Kirchen der Stadt Paris eine große Menge von Prozessionen ab, die voll Andacht vor sich gingen, selbst der Pfarrer vorn heiligen Nikolaus, wo mehr als tausend Personen – Knaben, Mädchen, Männer und Frauen – ganz nackt teilnahmen, und sogar die Geistlichen vorn heiligen Martin gingen barfuß mit. Die Priester vorn heiligen Nikolaus waren auch barfüßig und einige ganz nackt wie der Pfarrer Francois Pigenat, auf den man mehr als auf irgendeinen andern hielt. Er hatte nur einen Schleier aus weißem Leinen bei sich.

Am 29. Februar sah man fortwährend Prozessionen . . . Unter anderem trugen die Chorknaben und die Schulkinder der Jesuiten, die alle ganz nackt waren und ihrer mehr als zweihundert, ein schweres hölzernes Kreuz von fünfzig oder sechzig Pfunden. Es nahmen auch drei Musikchöre teil.

Der Pfarrer von Sankt Eustachius . . . wollte Einwendungen gegen diese frommen Ungeschicklichkeiten machen. Man behandelte ihn als einen Politiker und Ketzer. Er ward gezwungen, sich an die Spitze der Prozession zu stellen, um der Volkswut zu entgehen, wo Männer und Frauen, Knaben und Mädchen mitgingen und wobei alles in Fastnachtstimmung war. Da genügt wohl zu sagen, daß man nächstens die Früchte davon sehen wird.

Aus:

Journal de Henry III, Roi de France et de Pologne ou mémoires pour servir à l’histoire de France par Pierre de l’Estoile.

Die Narrenfeste, die Feste der Subdiakone, die Eselsfeste, alles Nachahmungen der alten Saturnalien . . . hatte man fast in allen Kirchen Frankreichs gefeiert.

Die Priester einer Kirche wählten einen Narrenbischof, der mit größtem Pomp in die Kirche einzog und sich dort auf dem Bischofsstuhl niederließ. Hierauf begann das Hochamt, woran alle Geistlichen mit geschwärzten Gesichtem oder mit einer häßlichen oder lächerlichen Maske teilnahmen. Während des Hochamtes tanzten die vermummten Geistlichen und sangen zotige Lieder.

Die anderen saßen auf dem Altar, spielten Karten oder würfelten vor dem messelesenden Priester, räucherten ihn mit einem Weihrauchkessel an, worin alte Lappen brannten, und ließen ihn den Rauch einatmen. Nach dem Hochamt gab es andere Tollheiten und Gottlosigkeiten.

Diese Zeremonien, die durch die Verquickung mit der Religion, durch die heiligen Stätten, wo man sie abhielt und durch die priesterliche Würde der Teilnehmer Staunen erregten, bestanden zwölf bis fünfzehn Jahrhunderte lang. Sie fanden unter den Kirchengelehrten Verteidiger und man schaffte sie nur unter den größten Schwierigkeiten ab.

Aus den

Mémoires pour servir à l’histoire de la fête des fouts qui se faisait autrefois dans plusieurs églises.

Par Du Tilliot, Lausanne et Genève 1751.

und aus

Joannis Filesac, Theologi Parsiensis, Opera varia.

Paris 1621

1

Der Winter des Jahres 1589 war ungewöhnlich mild. Schon in den letzten Januartagen bliesen die lauen Südwinde, als sei ein vorzeitiger Frühling anzukündigen. Im Seine-Tal grünten bereits die ersten Vorfrühlingsboten und in der Enge der Stadt Paris hing ein widerwärtiger Geruch von Mist und Unrat, besonders dort, wo in den Gassen die Häuschen eng aneinandergedrängt standen. Die Türme von Notre Dame gingen ihrer Vollendung entgegen und der erst vor einem Menschenalter errichtete Bau des Louvre-Palastes erschien wie ein Fremdling in den Mauern der Stadt.

Allein die Sorbonne und die umliegenden Quartiers, vor allem die Kollegien Montaigu und Saint Barbe, hoben sich schon ihrer geistigen Erhabenheit wegen über alles andere hinaus.

„Das Wetter ist uns günstig!“ meinte der Pfarrherr von Saint Nicola und zeigte ein zufriedenes Gesicht. Er grüßte im langsamen Dahinschreiten hierhin und dorthin und überhörte geflissentlich diese und jene Bemerkung von Männern und Frauen, die ihm nicht gerade hold zu sein schienen.

Neben ihm ging ein Mönch in der schwarzen Kutte des Heiligen Dominicus. „Bruder, ist es nicht ein gewagtes Unterfangen?“ fragte der und zog dabei die Stirne in Falten.

„Warum? Ich wüßte wirklich nicht, warum?“ erwiderte der Pfarrer Francois Pigenat. „Seit Jahrzehnten schon gehen in der Fastenzeit, und vor allem davor, die Prozessionen durch die Stadt, und mir ist nicht bekannt, daß einmal etwas von höherer Stelle dagegen unternommen worden wäre. Natürlich gab es Einwände, auch aus Kreisen der Klerisei, doch diese wurden immer übertönt. Im vorigen Jahr, hm, da war es nicht möglich, da hatte es geschneit und bittere Kälte hatte sogar die Seine gefrieren lassen. In diesem Jahr hingegen . . .“, er schmunzelte und fuhr sich mit der Zungenspitze über die schmalen Lippen. „Immerhin“, versuchte der andere einzuwenden, „immerhin, es ist Januarius und bis die Fastenzeit beginnt, zählt man erst die Mitte des Februarius!“

„Sei friedlich, Bruder, so du in der Stadt bleibst, wirst du mehr nackte Frauen sehen, als du je gesehen, als du je zu denken gewagt hast. Nackte Weiber, auch Männer und Kinder werden dabei sein, und du kannst . . . auswählen, was deinem Geschmack und deinen Wünschen entspricht.“

Der Mönch blieb stehen. Er musterte seinen Begleiter mit schier ungläubigen Blicken. Er schüttelte den Kopf. Nackte Menschen in den Gassen von Paris und das in dieser Jahreszeit? Nein, das konnte und wollte er nicht glauben. Gewiß, er hatte in seiner Abgeschiedenheit in der Nähe von Rouen davon gehört, es aber als geiles Geschwätz abgetan.

„Sei friedlich, Bruder und schenke mir Glauben, die ganze Pfarrei geht mit in der Prozession zu Ehren des Heiligen Foutin. Ein paar alte Weiber, deren Brüste herabhängen wie leere Mehlsäcke, und Greise, die den jungen Weibern nur Schrecken oder Belustigung abfordern, die bleiben mit den Unmündigen und Kranken zurück. Sonst aber ist alles dabei!“

„Und die Kinder?“ fragte – immer noch nicht überzeugt – der Mönch.

„Bruder Clément, die Kinder . . . ha, die laufen auch mit. Für die ist das ja nichts Besonderes. Nackt sein, das ist ihnen selbstverständlich. Die kennen die Fotze ihrer Mutter ebenso gut wie den Penis des Vaters und des Bruders; sie schlafen mit den Alten auf einem Strohlager und werden nicht einmal von dem Gestoße wach, wenn die vögeln, sie schauen zu, wie ein Kind geboren wird – nein, nein, die sind es gewöhnt!“

Der Pfarrherr hatte ihn, den Pater Clément eingeladen, um ihn von dem Treiben der Abtrünnigen, der Hugenotten, zu überzeugen und ihm bei der Bekämpfung derselben womöglich behilflich zu sein. Auch hatte er ihn aufgefordert, an Prozessionen teilzunehmen. Doch von den Umzügen nackter Menschen hatte er ihm damals nichts gesagt. Wahrscheinlich hatte Francois Pigenat das als bekannt vorausgesetzt. Pater Clément schüttelte immer noch ungläubig den Kopf.

Von den Nacktprozessionen hatte er, wie gesagt, schon gehört, und im stillen rechnete er mit den nachfolgenden Stunden. Man hatte ja schließlich auch davon erzählt, daß derlei Umzüge gar nicht so fromm endeten, wie sie begonnen hatten. Na ja, es wird viel geschwätzt, aufgeschnitten, boshaft gegen die Kirche und ihre Diener gegeifert; kurzum, er wollte sich selbst überzeugen.

In der Rue de Bethizy kamen ein paar Studiosi auf den Pfarrer zu. Sie lärmten und lachten, bestürmten ihn und kreisten ihn ein.

„Pfäfflein, werdet Ihr in diesem Jahr wieder die Prozessionen halten?“

„Pfäfflein, wen werdet Ihr diesmal ficken?“

„Wer wird Eure Muttergottes sein?“

„Werdet . . .“

Vielerlei lästerliche Fragen, denen der Angesprochene nur mit einem: „Haltet eure Mäuler!“ entgegentreten konnte.

Es war ihm nicht angenehm, daß die jungen Kerle die Gasse vollbrüllten. Jedermann wußte doch um all die verschiedenen Vorkommnisse, aber niemand plärrte so ungebührlich. Respekt vor dem Amt oder dem Chorrock hatte keiner von ihnen.

Und Francois Pigenat wußte zu genau, daß diese Studiosi nur darauf aus waren, die Umzüge auf ihre Weise zu stören. Genauer gesagt, die teilnehmenden Leute, vor allem die Jungfrauen und jungen Frauen, mit Gebärden und Redensarten derart aufzugeilen, daß manche, ach was, daß viele vorzeitig verschwanden, begleitet von einem dieser Kerle.

Nicht umsonst verstanden die es außerdem, ihre jungen, kräftigen Schwänze mit Bändern zu schmücken, oder wenn die Starrheit nachließ, sie durch hölzerne, aufrechtstehende Glieder zu ersetzen. Kein Wunder, wenn alle unbekleidet und nur selten eine weibliche Person einen hauchdünnen Schleier trug, durch den man aber auch die Brüste und die schwarz- oder blondgelockten Dreiecke am Zusammentreffen der Schenkel sehen konnte.

Obwohl die Umzüge noch nicht angekündigt waren, dachte man jetzt schon allüberall in den Häusern daran, sich von dem Winterdreck zu reinigen. Man suchte den Bader auf, obwohl der durch die elende Krankheit, die man wohl zu Unrecht die der Franzosen nannte, im allgemeinen nur noch wenig Zuspruch erfuhr.

Manche sonst ruhige Hausfrau, die für gewöhnlich nur ihrem Manne zu Willen war und sich ganz im geheimen manchmal wünschte, mit einem anderen, dem Nachbarn, dem Schneider, dem Schmied oder dem Schuhmacher das Bett teilen zu dürfen, die prüfte ihre Gestalt, betrachtete kritisch ihren Busen, musterte den Bauch und dessen unteres Ende und mußte sich eingestehen, daß sie, wenn auch nicht mehr die jüngste, doch noch ganz gut einen Mann vertragen könnte.

Und mancher Mann, der sich an den mageren Brüsten und dem Hängebauch seines Weibes satt gesehen hatte, und der kaum einmal – oder nie – in das Freudengäßchen kam, der aber begierig war, volle, runde, feste Brüste zu streicheln, seinen Penis in eine junge, lebhafte Höhle zu versenken, der war ebenso unruhig geworden.

In den Schenken und Kneipen gab es nur noch ein Gesprächsthema: die Nacktprozessionen.

Dabei mußte manche Schankmagd erleben, daß sie Männerhände unter dem Rock und gierige Finger im Brustlatz verspürte. Ja, es soll vorgekommen sein, daß ein Kneipenwirt, selbst heiß wie ein Hengst, seinen drei Mägden erlaubt oder befohlen hatte, die Gäste ohne jeden Brustschurz zu bedienen. Auch blieb es nicht aus, daß eine übermütige Magd schnell im Vorbeigehen diesem und jenem an den Hosenlatz griff.

Die jungen Weiber und Mädchen, sobald den letzteren die beiden Kugeln annähernd ausgereift waren, die knoteten ihre Brusttücher so, daß man, ohne genauer hinschauen zu müssen, die beiden meist hochroten Spitzchen hervorlugen sehen konnte.

Schließlich seien die jungen Kerle nicht vergessen, denen der Schwanz gerade eben steif wurde, die waren voll der Erwartung, mit dieser oder jener Maid nach dem Umzug irgendwohin zu verschwinden. Und die bereits Angegrauten, denen es schwer wurde, in eine bereite Liebesöffnung einzudringen, wollten sich auch weiden an den hohen Brüsten und den festen Schenkeln, kurzum, an allem, was ihnen Phantasie und Erinnerung vorgaukelten.

Ganz Paris war von einem Geist beherrscht, der Groß und Klein nur noch an eins denken ließ: an die Nacktprozessionen.

Das war in allen Pfarreien so; die von St. Nicola war besonders dafür bekannt, denn ihr Pfarrherr, jener Francois Pigenat, verstand es, gerade in dieser Hinsicht seine Schäflein richtig bei den Böcken zu halten. Man sagte es zwar nicht offen, aber man wußte es: der Pigenat hielt besondere Beichtstunden, zumeist in der Sakristei oder gar in seiner Pfarre. Doch es gab keinen Anlaß, dagegen anzugehen.

Warum auch?

Er sorgte ja auch sonst getreulich und half, Nöte zu lindern, in ungewöhnlichen Fällen selbst Hand anzulegen, und er besaß die Liebe und Treue fast aller in seinem Sprengel. Der Koadjutor und die beiden jungen Vikare waren seine gelehrigen Schüler, durften aber nicht in der Pfarre ihre Bettstatt aufschlagen. Herr Pigenat hielt es für besser, denn so hatte jeder seine Freiheit.

Natürlich gab es auch Gegner der Prozessionen in der Stadt Der Bischof, der einmal den Pfarrherrn derenthalben angesprochen hatte, mußte sich überzeugen lassen, daß ein nackter Leib und eine offene Vulva mitsamt einem eifrigen Penis die Gläubigen mehr zusammenhalte als jedes drohende oder bittende Wort. Man sehe doch, wie die Abtrünnigen, die Hugenotten, trotz ihrer Engstirnigkeit stets neuen Zulauf bekämen. Und ganz zum Schluß mußte der Bischof hören . . . wie es denn um die Gräfin Helene stehe, die mit der Königin, der Kathérine de Medici, nach Paris gekommen war? Wärmte die nicht auch das bischöfliche Bett, und . . . wenn die allein nicht genügte, kamen da nicht zwei, drei andere Edelfrauen aus dem Palast Tournelles oder dem Louvre?

Da mußte der hohe Herr schweigen.

Außerdem, und das war schwerwiegend genug, Francois Pigenat war mehr als eifrig in der Ligue tätig, der Vereinigung zur Bekämpfung der Hugenotten. Also allein deshalb schon mußte man einen Pflock zurückstecken.

Lediglich die Tatsache, daß man einen nicht heiliggesprochenen Heiligen, den Foutin, in der Prozession mitführte, ja ihm zu Ehren überhaupt umging, machte dem Bischof zu schaffen.

Der Foutin war nämlich der einst heidnische Priapus, der Bocksgott der fremden Völker, der Griechen und Römer, und er verkörperte mit seinem gewaltigen Glied die männliche Kraft und die urnatürliche Zeugung. Aus dem Wort war dann im Laufe der Zeiten in Anlehnung an die ,Vulva‘, Fulga, Fotze, Foutin geworden. Und alle Meilensteine an den Landstraßen waren nichts anderes als aufgerichtete männliche Zeugungsglieder – und weithin im Lande waren in Kirchen und Kapellen ähnliche, kleinere aufgestellt, weshalb es schier unsinnig war, dagegen anzugehen.

Der Heilige Vater in Rom, Papst Sixtus V., war zu sehr mit den derzeitigen Reformbestrebungen in Frankreich beschäftigt, als daß er den Klagen über diese Umzüge, die zu ihm gelangten, hätte nachgehen können.

Selbst die Hugenotten, so fromm und zurückhaltend sie sich gaben, und die alles verdammten, was mit ihrer Lehre nicht in Einklang zu bringen war, die schielten ganz verstohlen auch einmal hin, wenn die Weiber ohne Brusttuch, ohne Schleifrock und ohne Kopfhaube um die Kirchen und durch die Gassen zogen. Nur beobachten durfte sie niemand, es wäre eine gar zu große Sünde gewesen. Wenn sich ein Penis unter dem schwarzen Gewand hob, sah das ja keiner. Außerdem hatte man ein eheliches Weib daheim, dem man auch erst nach einem Gebet näherkommen durfte, und außerdem, und außerdem . . . ha – wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein . . .

Der Pfarrherr von St. Nicola war erfahren genug, um mit den lärmenden Studenten fertigzuwerden. Er lächelte zu den Anpöbelungen und mahnte gütlich zur Ruhe. Er gab ihnen leise, so daß der Dominikaner es kaum verstehen konnte, den guten Rat, doch zum Umzug zu kommen, dann würde sich ja alles von selbst ergeben!

„Ich muß zur Pfarre zurück!“ Damit löste er sich von ihnen und meinte im Weitergehen: „Bruder Clément, in der Tat, ich muß zur Beichtstunde. Wenn du willst, kannst du im zweiten Stuhl die Beichtkinder anhören und – ganz im Vertrauen sei es gesagt – auch ansehen!“

Der Dominikaner war mit derlei Praktiken nicht recht vertraut. Wohl hatte er des öfteren schon hinter den Gittern gesessen und die geflüsterten Beichten angehört. Aber das Fluidum, das diese Stadt ausstrahlte, ließ ihn weltoffener werden.

Hier erfuhr er das wirklich, was im Kloster heimlich gedacht oder in unzüchtiger Weise mit einem Mitbruder getrieben wurde. Hier, hier war er vor die – buchstäblich – nackte Wirklichkeit gestellt.

Mit einem Male sah er die Welt, die Menschen mit anderen Augen. Seine Gedanken lösten sich aus der Enge und er betrachtete die Frauen ganz anders. Ja, er mußte sogar in die Tasche unter dem Gürtel fassen, um den unruhig gewordenen Penis aus einer eventuell verräterischen Lage zu bringen.

Als die beiden vor St. Nicola ankamen, standen bereits in kleineren und größeren Gruppen Frauen und junge Mädchen beisammen, die allesamt zur Beichte gehen wollten. Im Kirchenschiff hatten sich die Erstangekommenen niedergelassen und warteten geduldig oder auch ungeduldig auf den Beichtiger, ihren Pfarrherrn Pigenat.

Drinnen wie draußen vor der Kirche wogte das Geflüster nur um eins – um die Prozession. Verschiedentlich wurde der Vorschlag laut, man solle sich doch bunte Schleifen oder kleine Tüchlein an die Scham binden; denn im Verdecken wohnt die Neugierde und das Verlangen. Von anderen wurde vorgeschlagen, die Brüste, vor allem die Warzen und ihre Höfe mit roter Farbe anzustreichen, damit sie besser bemerkt würden. Noch andere erzählten, daß sie sich zierliche halbmondförmige Kissen genäht hätten, die sie unter die Brüste schieben würden, um diese zu heben.

An die ursprüngliche Aufgabe des Nacktseins dachte eigentlich keine. Das würde ihnen der Pfarrer schon noch erklären.

Ein befreiendes Aufatmen ging durch die Kirche, als ein zweiter, ein Mönch, den Beichtstuhl betrat. Dabei ging es weniger um das raschere Absolvieren, als vielmehr um die massige Gestalt des Mannes in der schwarzen Kutte. Viele der Frauen hatten ihr Brusttuch so geschnürt, daß die Busenfalte wie ein dunkler Strich hervorragte und die beiden Bälle, einerlei ob fest oder weich, zu einem guten Teil in ihrer Rundung zu sehen waren. Wenn man sich kniete, dann konnte der Beichtiger recht tief hinunterund hineinschauen.

Der Pfarrer ging zur Sakristei, um sich die Stola umzulegen, als ihn dort die Babette, seine Hausverwalterin – und selbstverständliche Bettgenossin —, erwartete.

„Francois, daß du keine von den vielen Weibern für die Zeit statt meiner aus wählst!“ knurrte sie und hob warnend die Hand.

Herr Pigenat war ärgerlich. Der Bruder Clément konnte jeden Augenblick hereinkommen und außerdem mußte er sein Gebet verrichten. Aber darauf nahm die Babette keine Rücksicht. Sie trat so nahe an ihn heran, daß er ihre Brüste an seinem Arm verspürte und flüsterte ihm ins Ohr: „In dein Bett gehöre nur ich!“

Francois Pigenat stieß sie von sich, er wußte um ihre Eifersucht. Er hätte sie längst schon aus der Pfarre verwiesen, wären nicht bestimmte Forderungen und Bedingungen daran geknüpft. Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit, zumal Pater Clément eben eintrat. Im Dämmerlicht der rückwärtigen Sakristei war die Babette bereits wieder verschwunden.

Der Mesner, ein dummer, alter Mann, machte sich draußen am Altar zu schaffen, hatte also die Babette auch nicht gesehen. Nach einem kurzen Gebet besetzten die Geistlichen die Beichtstühle. Der Koadjutor und die Vikare waren auf Krankenbesuchen oder sonstwie außerhalb der Kirche beschäftigt.

Frauen aller Gestalten, jüngere und ältere, knieten in endloser Reihe vor den Gittern, hoben die aneinandergelegten Hände und mit ihnen die meist unverdeckten Brüste. Diese hatten sie im Knien aus dem Brusttuch befreit. War das Absolve te! gesprochen und die Buße verkündet, geringe harmlose Bußübungen, kam gar oft die leise Männerstimme dahinter her: „Du kommst zur Nachbeichte am Sonntag, Montag, oder wann je zu vereinbaren, in die Pfarre!“

Als die frühe Winterdämmerung über die Stadt hereinfiel, mußten die Beichtiger abbrechen. Morgen, morgen ist auch noch ein Tag, und da werden die Vikare und der ältliche Koadjutor die Beichtstühle innehaben. Das paßte zwar nicht jedem Beichtkind, war aber nicht zu ändern. Übrigens war die Prozession überhaupt noch nicht von der Kanzel herunter abgekündigt worden. Das sollte erst am morgigen Tage, nein erst übermorgen, am Sonntag, den 29. Januarius Anno Domini 1589 geschehen und zwar für den nachfolgenden Montag. Die Geistlichen aller Pfarreien waren sich in diesem Datum einig, um gar zu große Volksanhäufungen zu vermeiden.

Nach der Vesper saßen die Geistlichen, der Pfarrer und der Pater Clément, bei einem Krug Warmbier und besprachen noch die Vorbereitungen. Der Koadjutor und die Vikare waren kurz zuvor mit Anweisungen für die morgigen Dienste entlassen worden. Jeder wußte zu berichten, daß die Spannung im Volk derart gestiegen sei, daß die Umzüge nicht länger hinausgeschoben werden konnten. Schon die noch bevorstehenden fünf Tage wurden zur Qual. Also gut, der Montag nach dem Verkündungssonntag . . .

Was den beiden die größte Sorge bereitete, waren die zahlreichen Nachbeichten. Zu viele der Frauen und Mädchen hatten gar zu offen ihre Reize in dem engen Beichtstuhl geoffenbart, und gar zu oft hatte deshalb Herr Francois sie zu einem Besuch in der Pfarre aufgefordert. Pater Clément wagte einzuwenden, daß möglicherweise seine Manneskraft gar nicht ausreiche! Doch der andere lachte herzhaft auf. Nachbeichten könne man sogar nach Ostern noch halten! Darum keine Unruhe!

Draußen in der Kuchel werkelte die Babette herum. Bei dem dürftigen Licht des Kienspans hantierte sie lauter als üblich mit den Kesseln und Schüsseln. Sie vermochte ihre Erregung kaum noch zu bändigen. So eifersüchtig sie den Pfarrherrn überwachte, so gierig war sie auf den Besucher. Der Pater war wohl schon des öfteren in der Pfarre gewesen, dann aber nur für ein paar Stunden, aber heute, heute würde er hier übernachten und . . . heute trieb sie ein unerklärliches Verlangen nach dem breitschultrigen Manne. Sie fühlte, wie ihre Brüste sich spannten, wie die Warzen in ihren Höfen steil und hart wurden, wie sie juckten, fühlte ein Drängen in ihrem Unterleib, wie das alles sonst eigentlich nur zu Beginn ihrer Tage der Fall war, oder wenn der Francois sie zu sich ins Bett holte.

Dieser Mönch! Ha, warum war die schwarze Kutte so weit und vielgefaltet? Bei jedem anderen Manne konnte man leicht am Zwickel der Hose erkennen, ob er, der Mann und der Inhalt des Zwickels, an einer Frau Gefallen fände oder nicht.

Hier jedoch gab es keine Möglichkeit. Und sie hätte gar zu gern gewußt, ob sie dessen Liebe in der kommenden Nacht oder in der darauffolgenden genießen dürfte. Liebe! Ach, das war längst nicht mehr die heiße, alles verzehrende Liebe, die in sinnlosem Verschwenden gab und nahm. Dafür war sie nicht etwa zu alt, nein, aber ihr genügte es, einen Mann auf sich und in sich zu wissen.

Einmal hatte sie einen Burschen mit aller Inbrunst geliebt, wie es ihre Jungmädchenseele nur verkraften konnte. Sie hatte ihm in ihrer Ergebenheit jede Freiheit erlaubt, hatte den brennenden Schmerz verwunden, als er mit seinem großen, vielleicht zu großen Freudenbringer in sie eingedrungen war und das feine Häutchen zerrissen hatte. Später vermochte sie es gar nicht zu erwarten, bis der Jean immer wieder ihr Verlangen stillte, bis sich dann eines Tages ein neues Leben in ihr bemerkbar machte, bis es ruchbar wurde, und die Mutter keinen anderen Ausweg mehr wußte, als sie vor dem Zorn des Vaters in Sicherheit zu bringen.

Wohl nicht zuletzt der großen Aufregungen und der Schläge wegen – obwohl ein Hurenbalg damals wie heute keine Schande war – kam das Kind tot zur Welt und die Babette wurde einem Bauern in der Nähe von Paris als Dienstmagd verdingt. Dort war dann wenige Monate darauf der junge, eben gerade ins Amt berufene Francois Pigenat eingekehrt, hatte sie, die Babette gesehen und kurzerhand als seine Hausverwalterin mit in die Stadt und in die neubesetzte Pfarrei St. Nicola mitgenommen.

Eine Woche war in Keuschheit, vielmehr unter all den vielen Geschäften, die nun einmal eine Pfarrei-Ubernahme mit sich bringen, vergangen, dann sah der junge Pfarrherr seinen Küchengeist unversehens in völliger Nacktheit in der Kuchel, als sie sich wusch; und nach einer Belehrung über den Zölibat trug er die sich nur gering Sträubende hinüber in die Kammer und legte sich zu ihr auf den Strohsack.

Aus dem Respekt und der Ehrfurcht vor der Soutane und dem Chorrock, vor dem Amt und allem Heiligen war gar rasch eine neue, heiße Liebe geworden. Schließlich war sie, die Babette, ja auch gerade erst in das zweite Jahrzehnt ihres Daseins getreten.

Herr Francois Pigenat hatte nichts einzuwenden, daß sie ihn umhegte und pflegte, daß sie jederzeit bereitwillig in sein Bett kam, daß sie all jene Spielereien mitmachte, die er selbst im Priesterkolleg gelernt hatte, und daß sie trotz allem vor der Gemeinde und jedem Besucher der Pfarre als die züchtige, untadelige Jungfrau erschien.

Wenn des Abends die Fensterläden verriegelt und die Haustüre verschlossen war, dann geschah es beinahe alltäglich, daß sie das Brusttuch mitsamt dem Mieder in der Kuchel ließ und ihre breiten, bereits etwas schlaff werdenden Brüste in ein Tuch hüllte, das leicht abzuziehen war.

Der Mönch hatte es ihr angetan, am liebsten wäre sie jetzt so erschienen, aber sie war sich nicht sicher, ob Herr Francois ihr das nicht verübeln würde. Wie hätte sie sich gefreut, wenn sie in den gewiß starken Armen des fremden Mannes hätte liegen dürfen, dessen Hände auf ihren Brüsten und zwischen ihren Schenkeln. Sicher besaß der einen großen, breiten Schwanz! In ihrer Einbildung fühlte sie den bereits in sich. Alles gärte in ihr und an den Francois Pigenat dachte sie nicht mehr, höchstens, daß er ihr als ein Racheengel erschien.

Sie kam gerade herein, immer noch züchtig gekleidet, als sie hörte, wie der Pater sich nach der Reliquie des Heiligen Foutin erkundigte. Sie hörte, wie ihr Francois hell auflachte.