Die Odyssee - Christoph Martin - E-Book

Die Odyssee E-Book

Christoph Martin

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Beschreibung

Eine Fülle pädagogischer Plagen hat die abendländische Kultur entwickelt, um der Leser- und Hörerschaft die Lust an einem der phantasievollsten Erzählabenteuer der Weltliteratur zu versalzen. Generationen von Gymnasiasten mussten anhand der Odyssee des Homer die Komplikationen der altgriechischen Grammatik büffeln. Nahezu alle bis heute vorliegenden Übersetzungen schlagen einen allzuhohen Ton an. Höchste Zeit, die Geschichte über den begnadeten Lügner und trickreichen Weltenbummler Odysseus vom Staub der Jahrhunderte zu befreien. Die Neufassung von Christoph Martin verzichtet bewusst darauf, das antike Versmaß durch zu klopfen. Statt den strengen Hexameter einzusetzen, rhythmisiert er die Sprache leicht und macht somit den melodischen Fluss der Vorlage erfahrbar. Nicht ein Ehrfurcht heischendes Bildungsmonument entstand, sondern eine witzige, pointenreiche, sogar Comic-Elemente nicht ausschließende Abenteuergeschichte. (Bayerischer Rundfunk)

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Seitenzahl: 600

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Christoph Martin

Die Odyssee

Homer

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1: Olympos – Telemachos und Athene

Kapitel 2: Ratsversammlung auf Ithaka – Telemachos’ Abreise

Kapitel 3: Telemachos bei Nestor

Kapitel 4: Telemachos bei Menelaos

Kapitel 5: Olympos - Kalypso

Kapitel 6: Nausikaa

Kapitel 7: Alkinoos

Kapitel 8: Leibesübungen

Kapitel 9: Kikonen – Lotosesser – Kyklop

Kapitel 10: Aiolos – Laistrygonen – Kirke

Kapitel 11: Die Totenwelt

Kapitel 12: Die Sirenen – Skylla und Charybdis – Helios' Rinder

Kapitel 13: Ithaka

Kapitel 14: In der Hütte des Eumaios

Kapitel 15: Telemachos zurück auf Ithaka

Kapitel 16: Odysseus und Telemachos

Kapitel 17: Der Bettler im Palast

Kapitel 18: Kampf mit Iros

Kapitel 19: Eurykleia erkennt Odysseus

Kapitel 20: Verbündete

Kapitel 21: Der Wettkampf mit dem Bogen

Kapitel 22: Der Tod der Freier

Kapitel 23: Penelopeia und Odysseus

Kapitel 24: Die Freier in der Unterwelt – Der Frieden des Zeus

Impressum neobooks

Kapitel 1: Olympos – Telemachos und Athene

Erzähle, Muse, vom weltgewandten Mann, der weit reiste und viel herumkam, nachdem er das berühmte Troja zerstört hatte. Viele Länder und Städte sah er, lernte deren Sitten und Gebräuche kennen; auf See geriet er in Not, versuchte sein Leben zu retten und seine Männer nach Hause zu bringen; doch was er auch tat, seinen Gefährten konnte er nicht helfen: Sie gingen durch eigene Dummheit zugrunde, denn sie frevelten und aßen von den Rindern des Helios. Deshalb verhinderte der Gott, dass sie den Tag ihrer Heimkehr erlebten. Erzähle auch uns davon, Göttin, Tochter des Zeus, und fang einfach irgendwo an...

     Alle anderen Helden, die dem reißenden Strom des Untergangs entkommen waren, dem Krieg und dem Meer, waren schon glücklich zu Hause. Nur ihn, der krank war vor Verlangen nach seiner Frau und seiner Heimat, hielt eine Nymphe gefangen: Kalypso, die himmlisch hübsche Göttin. Als Mann wollte sie ihn haben, für immer, in ihrer geräumigen Grotte. Und viel, viel später, als im Reigen der Jahre das Jahr heraufzog, in dem die Götter ihn nach Ithaka heimkehren ließen, sollte er auch dort, mitten unter den Seinen, die Sorgen und Kämpfe nicht los sein.

     Doch nun hatten die himmlischen Götter erst mal Erbarmen mit ihm, außer Poseidon, der nicht aufhören sollte, Odysseus mit seinem Hass zu verfolgen, bis der endgültig in sein Land heimgekehrt sein würde.

     Im Moment aber war Poseidon fort, beinahe am Ende der Welt; er besuchte die Aithioper, ein Volk, das in zwei Landesteilen lebt; im einen geht die Sonne auf, im andern geht sie unter. Der Gott hatte dort ein Opfer von hundert Stieren und Schafen entgegenzunehmen. Während er es sich gutgehen ließ beim Festessen, versammelten sich die anderen Götter bei Zeus in den Hallen des Olympos.

     Der Vater der Menschen und der Götter nahm das Wort; ihn beschäftigte immer noch der Fall des adligen Aigisthos, der gerade von Orestes, dem Sohn des Agamemnon, ermordet worden war. Und er plauderte ein wenig aus der hohen Schule: "Ach, wie gewöhnlich! Die Sterblichen beklagen sich wieder mal über uns. Für alle Übel wollen die Menschen den Göttern die Schuld in die Schuhe schieben! Dabei ist es doch meistens ihre eigene Dummheit und nicht das Schicksal, worunter sie leiden. Das beste Beispiel ist Aigisthos: Musste er sich unbedingt an die Frau des Agamemnon heranmachen, während der im Trojanischen Krieg kämpfte? War es etwa Schicksal, dass er den heimkehrenden Ehemann totschlug? Schließlich wusste er ganz genau, dass er sich damit den Tod einhandeln würde. Ich hatte extra Hermes zu ihm geschickt, um ihn zu warnen, nur ja nicht diesen Mann zu ermorden und seine Frau zu verführen. Sonst würde nämlich Orestes, der Sohn des Agamemnon, sobald er den Kinderschuhen entwuchs, in seine Heimat zurückkehren und sich für den Mord an seinem Vater rächen. Ausführlich und mit den besten Absichten hatte Hermes ihm das klar gemacht, doch Aigisthos hörte nicht auf ihn. Nun hat er für alles die Quittung bekommen."

     Darauf sagte die Göttin mit den strahlenden Augen, Athene: "Vater, Sohn des Kronos und oberster Gebieter! Ganz klar, dass Aigisthos den Tod verdient hat, wie jeder Mensch ihn verdient, der solche Verbrechen begeht. Weit stärker aber rührt mein Herz die Notlage des gerissenen Odysseus, der schon seit längerem zutiefst unglücklich fern von seiner Heimat und seinen Lieben festsitzt, auf einer bewaldeten Insel inmitten der unendlichen Weiten des Meeres, auf der eine kleine Göttin das Sagen hat. Sie ist die Tochter des Atlas, des tückischen Unheilsgottes, dessen Reich der dunkle Meeresgrund ist und der allein die riesigen Säulen trägt, die Himmel und Erde voneinander trennen. Seine Tochter ist es, die den Unglücklichen bei sich festhält. Mit Zärtlichkeiten und Schmeicheleien versucht sie ihn zu bezaubern, damit er seine Heimat Ithaka vergisst. Doch nun wird er langsam lebensmüde dort und wünscht sich nichts sehnlicher, als noch einmal den Rauch aus seinem heimatlichen Herd aufsteigen zu sehen. Findest du das nicht auch rührend, Olympier? Und hat dich Odysseus nicht immer mit seinen heiligen Opfern erfreut, die er dir vor Troja darbrachte? Woher kommt denn dein Zorn auf ihn, Zeus?"

     Und der Sohn des Kronos, der die Gewitterwolken auftürmt, antwortete Athene: "Ach, mein liebes Kind, was redest du für einen Unsinn. Wie könnte ich den großen Odysseus je vergessen, der gewitzter ist als die meisten Sterblichen und der größere Opfer darbrachte für uns unsterbliche Götter, die wir den weiten Himmel bewohnen. Nein, es ist allein Poseidon, der Erderschütterer, der ihn mit seinem Hass verfolgt. Er kann nicht verwinden, dass Odysseus dem mächtigsten und wildesten Kyklopen, Polyphemos, das Auge geraubt hat. Die Nymphe Thoosa, Tochter des Phorkys, des alten, stürmischen Meeresgottes, gebar ihn, nachdem sie in ihrer Grotte einmal mit Poseidon geschlafen hatte. Deshalb verfolgt Poseidon Odysseus. Aber er bringt ihn nicht einfach um, sondern quält ihn, indem er ihn gnadenlos über die ganze Erde jagt und verhindert, dass er heimkehrt ins Land seiner Väter. Doch lasst uns alle hier im Olympos nun beschließen, dass er endlich nach Hause kommt. Poseidons Wut wird sich schon legen. So mächtig ist er nun auch wieder nicht, dass er sich als einzelner gegen den Willen aller übrigen Götter durchsetzen könnte."

     Mit leuchtenden Augen erwiderte Athene: "Vater, Sohn des Kronos und oberster Gebieter! Wenn die seligen Götter wirklich erlauben, dass der gescheite Odysseus heimkehrt, dann lasst uns gleich Hermes, den Boten und Argosbezwinger, auf die Insel Ogygia schicken. So schnell es geht, soll er der Nymphe mit den schönen Locken unsere unabänderliche Entscheidung ausrichten, den standhaften, aber unglücklichen Odysseus weiterziehen zu lassen. Und ich werde höchstpersönlich nach Ithaka gehen, um dort seinem Sohn ein bisschen Dampf zu machen. Ich werde ihn anfeuern, die freien Achaier, die ihr Haar selbstbewusst lang wachsen lassen, zur Ratsversammlung zusammenzurufen. In aller Öffentlichkeit soll er fordern, dass die Freier sein Haus verlassen, die andauernd arme Schäflein und wehrlose Rinder aus seinem Besitz schlachten. Darüber hinaus werde ich ihn nach Sparta und nach Pylos losschicken. Da kann er Erkundigungen über seinen vermissten Vater einholen und gleichzeitig Erfahrungen sammeln, was seinem Ansehen bei den Menschen nicht schaden wird."

     Sogleich band Athene sich die göttlich schönen, goldenen Sandalen um die Füße, die sie wie der Wind über das Meer und die weite Erde tragen. Sie nahm ihren schweren Speer mit der scharfen, ehernen Spitze, mit dem sie in der Schlacht, wenn sie wütet, ganze Scharen von Helden vernichten kann, sie, die Tochter des mächtigen Vaters. Im Nu war sie von den Höhen des Olympos herabgestürmt in die Stadt Ithaka und vor den Palast des Odysseus. Mit dem schweren Speer in der Hand stand sie auf der Schwelle des Hofportals. Ihre Gestalt hatte sie verwandelt in die eines Freundes der Familie. Wer sie sah und sie sprechen hörte, musste sie für Mentes halten, den König der Taphier.

     Nun hatte sie die Bescherung vor Augen, die ehrgeizigen, arroganten Verehrer der Hausherrin, die sich im Hof auf Rinderfellen lümmelten und sich beim Brettspiel amüsierten. Herolde und Diener wirbelten herum, vollauf beschäftigt, Wein mit Wasser anzusetzen im großen Mischkrug, Tische herbeizuschleppen und sauber zu wischen mit feinporigen Schwämmen. Im Hintergrund wurden bereits riesige Mengen Bratenfleisch kleingeschnitten.

     Als Erster erblickte der jugendlich gut aussehende Telemachos Pallas Athene. Schlecht gelaunt saß er zwischen den fröhlichen Freiern, das Bild seines lieben Vaters vor Augen. Würde der jemals nach Hause kommen und die Freier aus dem Palast werfen? Sein Haus und die Macht zurückerobern? So saß er da und grübelte, als er Athene erblickte. Verärgert, dass ein Gast vor dem Tor warten musste, ging er selbst hin und begrüßte ihn mit Handschlag. Er nahm ihm den schweren Speer aus der Hand und sagte:

"Herzlich willkommen, Fremder, komm herein und stärke dich erst mal! Nach der Mahlzeit hoffen wir von dir zu erfahren, was dich herführt."

     Er ging voran in den Palast, und Pallas Athene folgte ihm. Drinnen stellte Telemachos den schweren Speer in den glattgehobelten Kasten an einer der massiven Säulen, in dem eine Menge alter Speere lagerten, die dem leidgeprüften Odysseus gehörten. Dann führte er sie zu einem prächtigen Lehnstuhl, auf den er ein Leintuch legte. Er stellte ihr einen Schemel für die Füße hin und schob für sich selbst einen buntbemalten Stuhl heran. So würden sie etwas abseits von den Freiern sitzen, die mit ihrem lauten, angeberischen Getue jedem vernünftigen Menschen den Appetit verderben konnten. Telemachos wollte seinen Gast in Ruhe ausfragen, ob er Neuigkeiten über seinen Vater mitbringe, der einfach nicht heimkehrte.

     Eine Magd brachte Wasser in einer prächtigen goldenen Kanne, ein silbernes Becken dazu für die Handwäsche, und sie schob ein blitzblank gescheuertes Tischlein heran; Und die treue Haushälterin stellte Brot darauf und wohlschmeckende Häppchen, von allem reichlich; Der Vorschneider servierte in Schalen verschiedene Sorten Fleisch, und der Herold lief wieder und wieder um die Tafel, ihre goldenen Pokale mit Wein aufzufüllen.

     In diesem Moment kamen die Freier vom Hof in den Saal und ließen sich auf Stühlen und Sesseln nieder. Diener gossen Wasser über ihre Hände, haufenweise brachten Sklavinnen Brot in hübschen Körbchen, und randvoll gossen junge Männer die Krüge. Alle langten ordentlich zu. Als sie nach Herzenslust gegessen und getrunken hatten, musste es nach Meinung der Freier gleich weitergehen. Sie verlangten nach Musik, Gesang und Reigentanz, um das Mahl standesgemäß abzurunden. Also reichte der Herold die Kithara, ein überaus prächtiges Instrument, Phemios, dem begnadeten Sänger, der vor den Freiern aufspielen musste, ob er wollte oder nicht, denn er war ökonomisch abhängig von ihnen. Während er die Saiten schlug und gar schön sang, neigte sich Telemachos zur strahlenden Athene und sagte leise in ihr Ohr, so dass niemand sonst es hören konnte:

     "Lieber Fremder, nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich mich aufrege. Diese Bande verlangt nach Musik und Gesang, bezahlen wollen sie jedoch nicht. Alles geht auf Rechnung eines anderen. Ach, und dessen bleiche Gebeine modern irgendwo auf dem Festland im Regen oder sie treiben in den Wogen auf hoher See. Ich garantiere dir, wenn die hier wüssten, dass er nach Ithaka zurückkäme, würden sie sich statt Reichtum und Unterhaltung lieber schnellere Füße wünschen. Doch ihn hat bestimmt längst ein böses Schicksal ereilt! Es besteht keinerlei Hoffnung mehr, obwohl es immer wieder Leute gibt, die behaupten, er komme noch zurück. Aber nun sag mir offen und ehrlich: Wer bist du und woher kommst du? Wo liegt die Stadt deiner Eltern? Mit welchem Schiff bist du gekommen, und warum steuerte es Ithaka an? Woher behaupteten die Seeleute zu kommen? Denn eines ist sicher, zu Fuß bist du nicht hergekommen. Weiter möchte ich gern wissen, ob du zum ersten Mal hier bist oder ob du vielleicht früher einmal Gast meines Vaters warst. Es waren ja in diesem Haus schon viele Fremde zu Gast, denn mein Vater liebte Gesellschaft."

     Darauf sagte Athene, die Göttin mit den strahlenden Augen: "Ich werde dir alles offen und ehrlich erzählen. Mein Name ist Mentes, Sohn des Anchialos. Ich bin König der Taphier, deren Leidenschaft das Rudern ist. Ich kam mit eigenem Schiff und eigener Mannschaft hier vorbei auf dem Weg nach Temesa, wo die Menschen eine andere Sprache sprechen; dort will ich erstklassiges Erz gegen Kupfer tauschen. Mein Schiff liegt fernab der Stadt in der Bucht von Rheithron, am Fuß des bewaldeten Neïon. Ich bin seit ewigen Zeiten mit deiner Familie befreundet, schon unsere Väter waren Freunde, frag ruhig den alten Helden Laertes danach. Aber ich hörte, dass der zur Zeit gar nicht mehr in die Stadt geht und auf seinem Landgut versauert, umsorgt von einer einzigen alten Sklavin, die ihm Essen und Trinken vorsetzt, wenn er sich, müde von der Arbeit in den ausgedehnten Weinbergen, nach Hause geschleppt hat.

     Ich bin eigentlich vorbeigekommen, weil es hieß, dein Vater sei zurückgekehrt. Doch anscheinend halten ihn die Götter noch hin auf seinem Weg. Denn es ist nicht wahr, dass Odysseus tot ist. Er sitzt nur fest, und zwar auf einer Insel mitten im weiten Meer, wo irgendwelche unerzogenen wilden Männer ihn nicht wegfahren lassen, sosehr er es auch wünscht. Ich bin zwar kein Hellseher und kenne mich auch mit Vogelorakeln nicht aus, aber ich verrate dir etwas, was die Götter höchstpersönlich mir offenbart haben und was sich auch bewahrheiten wird: Nicht mehr lange wird er sich fern vom geliebten Land seiner Väter aufhalten, selbst wenn er in eisernen Fesseln läge. Er wird es schaffen, nach Hause zu kommen, denn er kennt sich aus in der Welt und ist äußerst gerissen.

     Aber nun sag du mir ebenso offen und ehrlich: Bist du wirklich der leibliche Sohn des Odysseus? So erwachsen bist du schon? Du siehst ihm ähnlich, außerordentlich ähnlich sogar, besonders was deinen Kopf und deine schönen Augen betrifft! Ich war ja früher häufig mit deinem Vater zusammen, bevor er dann nach Troja zog, damals, als auch die anderen griechischen Helden, die besten der Argeier, auf ihren geräumigen Schiffen fortsegelten in den Krieg. Seitdem habe ich für meine Person Odysseus nicht mehr gesehen, genauso wenig wie er mich natürlich."

     Darauf antwortete ihr der bedächtige Telemachos, von den Früchten tiefen Nachdenkens zehrend: "Alles werde ich dir offen und ehrlich beantworten, mein Freund. Ja, meine Mutter sagt, Odysseus sei mein Vater. Ich selbst weiß es nicht, denn ich habe dabei nicht zugesehen. Niemand ist sich ja seines Erzeugers ganz sicher. Eigentlich wäre ich lieber der Sohn eines Mannes, der Glück hat im Leben, der seinen Reichtum genießen kann und darüber in Würde alt wird. Stattdessen bin ich, wie jeder weiß, der Sohn des Mannes, der unter allen Sterblichen am schwersten geprüft wurde. So, du wolltest es ja unbedingt ganz genau wissen."

     Die Göttin mit den strahlenden Augen, Athene, erwiderte lächelnd: "Nun, die Götter haben dir eben keine problemlose Herkunft gegönnt! Doch sie wollen die Sippe erhalten, der Penelopeia solch einen tüchtigen Sohn gebar. Aber noch etwas muss ich dich fragen, und antworte bitte offen und ehrlich. Was bedeutet dieses Festessen, dieser Trubel? Gibt es etwas zu feiern, eine Hochzeit vielleicht? Es sieht nämlich nicht so aus, als träfen sich nur ein paar Freunde zum Essen. Auch scheinen mir deine Gäste das Maul ziemlich weit aufzureißen und ein wenig über die Stränge zu schlagen! Käme ein vernünftiger Mensch in diese übermütige Gesellschaft, er wäre entsetzt!"

     Bedächtig erwiderte Telemachos: "Danke, dass du mich auch danach fragst, lieber Gast. Dieses Haus war früher eine erstklassige Adresse, reich, gut geführt und anständig. Solange Odysseus noch hier war! Doch dann haben die Götter es sich anders überlegt und beschlossen, Unheil zu schicken. Ausgerechnet ihn unter allen Menschen ließen sie spurlos verschwinden! Mir ginge es besser, wenn ich wenigstens sicher wüsste, dass er tot ist, gefallen in Troja zum Beispiel; oder dass er den Krieg überstand, aber später irgendwo in den Armen seiner Gefährten starb. Zumindest hätte man ihm dann einen Grabhügel errichtet, und ich könnte von seinem großartigen Ruhm profitieren. Doch leider rafften ihn die Harpyien, die Schicksalsgöttinnen, ruhmlos dahin; er verschwand spurlos und hinterließ mir nichts als Kummer und Probleme. Jetzt habe ich nicht nur seinen Tod zu beklagen, nein, die Unsterblichen im Himmel gaben mir noch eins drauf. Sämtliche Fürsten aus Doulichion, aus Same und aus Zakynthos, wo es viel Wald gibt, inklusive der gesamten Hautevolee unseres felsigen Ithakas, kurz: jeder, der ein bisschen Einfluss und Vermögen hat, steht als Freier auf der Matte und will meine Mutter besitzen. Und während sie hier Schlange stehen, geht mein gesamtes Vermögen den Bach runter. Einerseits graut meiner Mutter vor der Wiederheirat, andererseits will sie sich nicht alle Chancen verbauen. Die Essgelage gehen immer auf Kosten des Hauses, und am Ende werden die Freier noch mich schlachten."

     Empört sagte darauf die Göttin Pallas Athene: "Das gibt es doch nicht! Hier fehlt wirklich die Hand eines Mannes wie Odysseus, der den dreisten Freiern ihre Grenzen zeigen könnte. Das wäre etwas, wenn er jetzt in der Tür stünde, mit Helm und Schild, in jeder Hand einen Speer, kraftstrotzend, wie ich ihn kennenlernte, als er in meinem Palast auftauchte und gut gelaunt mit uns trank. Er kam mit seinem schnellen Schiff aus der Stadt Ephyra, wo er Ilos, den Sohn des merkwürdigen Mermeros, aufgesucht hatte, um Gift für seine Pfeilspitzen zu kaufen. Ilos gab ihm keins, aus Angst vor Strafen seitens der Götter. Doch von meinem Vater hat er das Gift dann bekommen, der schätzte Odysseus nämlich über alles. In dieser starken Form müsste Odysseus jetzt auftauchen! Die Freier könnten dann sofort Hochzeit feiern, eine Hochzeit mit dem Tod allerdings! Aber es liegt in den Händen der Götter, ob er in seinen Palast zurückkehrt und Rache nimmt an den Freiern oder nicht.

     Deshalb solltest du dir auch selbst überlegen, wie du die Freier aus dem Haus schaffst. Ich rate dir folgendes, und schreib es dir gut hinter die Ohren: Berufe morgen alle freien Achaier auf dem Marktplatz zur Versammlung ein. Mach die Sache öffentlich und rufe die Götter als Zeugen an. Fordere, dass die Freier dahin abziehen, wo sie hergekommen sind. Wenn deine Mutter sich partout ein zweites Mal verheiraten will, soll sie ins Haus ihres Vaters zurückgehen und die Heirat von dort betreiben. Da kann jeder, wie es sich gehört, anklopfen und um sie freien. Allerdings muss er dann auch wertvolle Brautgeschenke vorweisen, wie sie einer Tochter aus höherem Hause zustehen.

     Und noch einen Rat will ich dir geben. Nimm das beste Schiff, das du kriegen kannst, bemanne es mit zwanzig Ruderern und mach dich auf die Reise! Du musst herausfinden, warum dein Vater nicht heimkommt. Vielleicht hörst du von einem Sterblichen etwas, oder Zeus gibt dir ein Zeichen, denn manchmal offenbart er sich in der Tat den Menschen. Fahr zuerst nach Pylos und frage den alten Nestor aus; von da weiter zum blonden Menelaos, dem spartanischen Helden, der als letzter der erzgepanzerten Achaier aus dem Krieg zurückkam. Erfährst du, dass dein Vater lebt und auf dem Heimweg ist, dann halte ein weiteres Jahr durch, auch wenn es dir noch so schwerfallen sollte. Hörst du aber, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt, dann errichte ihm ein Grabmal und lege ihm reichlich Grabgaben hinein, wie es die Sitte verlangt. Und deine Mutter kann dann einem anderen Mann gehören. Hast du das alles hinter dich gebracht, so geh in dich und verschaff dir mit Herz und Hirn Klarheit darüber, wie du die Freier aus dem Saal hinaus und ins Grab beförderst, ob mit List oder im offenen Kampf.

     Auf keinen Fall kannst du weiter so tun, als ob du ein Kind wärst, aus dem Alter bist du langsam heraus. Kennst du nicht die Geschichte vom edlen Orestes? Weißt du nicht, welch hohes Ansehen er sich auf der ganzen Welt erworben hat, indem er Aigisthos erschlug, den hinterlistigen Mörder seines Vaters? Auch du, mein Lieber, bist doch, wie ich sehe, groß und gutaussehend! Also tu etwas für deinen Ruf, damit spätere Geschlechter noch gut von dir sprechen! Aber ich muss jetzt leider weg, zu meinem Schiff und meinen Männern, die bestimmt schon ungeduldig auf mich warten. Denk an das, was ich gesagt habe, und nimm deine Angelegenheiten selbst in die Hand."

     Der bedächtige Telemachos gab ihr zur Antwort: "Lieber Gast, du bist so warmherzig und nett zu mir; wie ein Vater zum Sohn hast du gesprochen. Ich werde deinen freundlichen Rat nicht vergessen. Bleib doch noch ein wenig, obwohl du es eilig hast. Nimm ein Bad, entspanne dich und lass dir ein Geschenk mitgeben! Hinterher kannst du zu deinem Frachtschiff gehen und in bester Laune deine Reise fortsetzen. Ich möchte dir gern ein schönes, wertvolles Stück als Andenken verehren, wie es nur Freunde aus Freundschaft schenken."

     Doch die Göttin mit den strahlenden Augen sagte: "Ich bitte dich, halte mich nicht auf, ich möchte lieber gleich los. Das Geschenk, das du mir so freundlich anbietest, kannst du mir ja geben, wenn ich auf der Rückfahrt noch mal vorbeikomme. Such etwas Schönes aus, ich werde mich dann mit etwas genauso Wertvollem revanchieren."

     Mit diesen Worten verschwand die strahlende Athene. Wie ein Vogel, der sich in die Lüfte hebt, entschwebte sie in den Himmel. Sie ließ Telemachos mit frischem Mut und neuem Elan zurück; auch dachte er wieder intensiver an seinen Vater. Verwundert spürte er die Veränderung in sich und rätselte, ob womöglich ein Gott die Ursache war. Dann trat er vor die Freier und sah selbst aus wie ein Gott. Die waren ausnahmsweise still, denn sie lauschten noch immer dem Lied des berühmten Sängers. Er sang von der leidvollen Heimfahrt der griechischen Helden aus Troja, die Pallas den Achaiern auferlegt hatte.

     Im oberen Stockwerk vernahm Penelopeia die herrlichen Klänge, die Tochter des Ikarios, die umsichtige, kluge Frau. Sie verließ ihre Gemächer und kam die große Treppe herunter, natürlich nicht allein, sondern begleitet von zwei ihrer weiblichen Bediensteten. Als sie ins Blickfeld der Freier trat, die Herrliche unter den Frauen, blieb sie an einer Säule des massiv gebauten, großen Saals stehen und verhüllte ihre Wangen mit einem feinen, schimmernden Schleier, und links und rechts von ihr stellten sich die beiden treuen Mägde auf. Mit Tränen in den Augen sprach sie den göttlichen Sänger an:

     "Phemios, du beherrschst doch eine Menge von bezaubernden Liedern. Es gibt doch wirklich andere Taten der Menschen und der Götter, die ein Sänger genauso gut besingen kann. Sing darüber, und alle in der Runde werden genauso zuhören und still ihren Wein trinken. Aber hör bitte auf mit diesem grausamen Lied! Jedes Mal, wenn ich es höre, bricht mir schier das Herz in der Brust. Ich bin die Hauptbetroffene, ich traure ohne Ende und sehne mich schrecklich nach diesem unvergesslichen Mann, der berühmt ist in ganz Hellas und erst recht in Argos."

     Doch da schaltete sich der nicht auf den Kopf gefallene Telemachos ein: "Mutter, was redest du dem Sänger rein, der uns nur unterhält, wie es sein Herz ihm eingibt? Man kann doch nicht einen Künstler für Dinge verantwortlich machen, an denen Zeus schuld ist, der mit den Erdenwürmern umspringt, wie es ihm gerade gefällt. Also beschimpf ihn nicht, wenn er vom Unglück der Danaer singt. Denn normalerweise mögen es die Zuhörer besonders gern, wenn in einem Lied von aktuellen Geschehnissen berichtet wird. Du solltest vielmehr so viel Realitätssinn aufbringen, dir das anzuhören. Außerdem ist Odysseus nicht der einzige, der von Troja nicht heimgekehrt ist; eine Menge Männer sind dort gefallen. Kümmere dich besser um deine eigenen Angelegenheiten, das Spinnrad und den Webstuhl, und befiehl deinen Dienerinnen, was sie arbeiten sollen. Das Reden überlass den Männern, ganz allgemein. Aber insbesondere mir, denn ich habe hier im Haus das Sagen."

     Verblüfft über die plötzlich feurige Eloquenz ihres sonst so bedächtigen Sohnes, zog sich Penelopeia in ihre Gemächer zurück, denn sie spürte, dass es ihm verdammt ernst war. Als sie oben bei ihren weiblichen Bediensteten war, weinte sie um Odysseus, den geliebten Gatten, bis die strahlende Göttin Athene ihr süßen Schlummer über die Augen goss.

     Unten im dunklen Saal wurde es dagegen laut, die Freier johlten, denn alle stellten sich vor, mit ihr das Lager der Liebe zu teilen. Doch einmal in Schwung geraten, ergriff Telemachos wieder das Wort:

     "Freier meiner Mutter, ihr übermütigen Schandmäuler, etwas mehr Beherrschung und etwas weniger Leidenschaft bitte! Genießen wir lieber die Freuden eines guten Essens! Regt euch wieder ab! Es hat doch auch etwas, einem begnadeten Sänger wie Phemios zuzuhören. Seine Stimme klingt, als sänge ein Gott höchstpersönlich. Und übrigens: Morgen treffen wir uns alle auf dem Markt, ich will die Ratsversammlung einberufen, um euch öffentlich aufzufordern, mein Haus zu verlassen. Nehmt eure Mahlzeiten in Zukunft woanders zu euch! Es gibt genug Häuser ringsum, und ihr könntet zur Abwechslung auch mal aus eigener Tasche zahlen. Wenn ihr aber unbedingt der Meinung seid, es sei vorteilhafter, die Güter eines einzigen zu schröpfen, ohne irgendeinen Gegenwert zu geben, dann macht ruhig weiter so, verprasst alles! Aber ich werde die ewigen Götter anrufen, und Zeus wird es schon richten, dass er euch alles heimzahlt. Hier im Haus werdet ihr büßen, nicht mit Geld, sondern mit eurem Untergang!"

     Da bissen sie die Lippen zusammen und staunten nicht schlecht, dass Telemachos derart kämpferische Reden schwang. Antinoos, Sohn des Eupeithes, bekam den Mund als erster wieder auf: "Unglaublich, dieser Telemachos, nicht zu fassen! Du hast anscheinend ein paar Nachhilfestunden von den Göttern erhalten in hochfahrender Rhetorik und polemischem Marktgeschrei! Nicht, dass dich am Ende der Kronide noch zum König des meerumrauschten Ithaka macht, was dir als Erbe ja zustünde."

     Darauf antwortete ihm Telemachos, von den Früchten tiefen Nachdenkens zehrend: "Auf die Gefahr hin, Antinoos, dich noch mehr aufzubringen: Ja, genau das möchte ich eventuell werden, sofern Zeus es zulässt. Bist du denn der Meinung, König zu sein sei das Übelste, was einem Menschen zustoßen kann? Ganz im Gegenteil; im Nu ist das Haus eines Königs voller Reichtümer, dazu kommen noch Prestige und Ehrungen. Nun, es gibt sicher außer mir eine ganze Reihe von adligen Achaiern hier auf der Insel, jüngere wie ältere, und nur einer von ihnen kann herrschen, wenn Odysseus tot ist. Ich bleibe aber zumindest Herr unserer Sklaven und des Besitzes, den der große Odysseus sich nun einmal angeeignet hat."

     Darauf meldete sich Eurymachos, der Sohn des Polybos, zu Wort: "Du hast recht, Telemachos, die Entscheidung, wer von den Fürsten der Achaier König von Ithaka wird, liegt noch im Schoß der Götter. Immerhin behältst du deinen Besitz und kannst Herrscher sein in deinem eigenen Haus. Es wäre ja noch schöner, wenn jemand käme und dir alles gewaltsam rauben würde; das wäre ja etwas ganz Neues auf Ithaka, das hätte die Insel noch nicht gesehen!

     Aber sag mir, Verehrtester, wer war der Fremde vorhin? Aus welchem Teil der Erde kam er? Wo ist er zu Hause, von wem stammt er ab? Hatte er vielleicht Neuigkeiten über die Rückkehr deines Vaters? Oder war er geschäftlich hier auf Ithaka? Er hatte es ja sehr eilig; er war weg, bevor wir ihn kennenlernen konnten. Schade, nach seinem Gesicht zu urteilen, schien er kein uninteressanter Zeitgenosse zu sein."

     Geistesgegenwärtig erwiderte der bedächtige Telemachos: "Nein, Eurymachos, ich mache mir keine Hoffnungen mehr auf die Rückkehr meines Vaters, und auf Gerüchte gebe ich schon gar nichts, egal, woher sie kommen. Ebenso halte ich nichts von Götterzeichen oder Orakeln, wie es meine Mutter tut, die sich Seher ins Haus kommen lässt, um etwas zu erfahren. Ja, und der Fremde? Er sagte, er sei Mentes, ein alter Freund meines Vaters aus Taphos, Sohn des weisen Anchialos und König der Taphier, deren Leidenschaft das Rudern ist." Das sagte Telemachos, der klug seinen Verdacht für sich behielt, dass es die unsterbliche Göttin gewesen sein könnte.

     Die Freier wandten sich wieder ergreifenden Liedern und dem Tanz zu und amüsierten sich, bis es Abend wurde. Und sie amüsierten sich immer noch, als schon nachtschwarze Schatten sich über das heitere Treiben legten. Dann gingen sie endlich schlafen, ein jeder in sein eigenes Haus.

     Auch Telemachos ging auf den Hof und in den Garten, wo ein separates Häuschen für ihn gebaut worden war. Sein Kopf war voller Sorgen. Neben ihm ging die alte Sklavin Eurykleia, die Tochter von Ops, der wiederum Peisenor zum Vater hatte. Sie leuchtete ihm auf dem Weg mit einer Fackel; wie immer sorgte sie sich rührend um ihn. Laertes hatte sie einst gekauft, als sie noch blühend und jung war, zwanzig seiner kostbaren Rinder hatte er für sie bezahlt, denn er hatte sie ins Herz geschlossen. Wie seine eigene Frau hatte er sie behandelt in seinem Palast, schlief aber nie mit ihr, aus Angst vor dem Zorn seiner rechtmäßigen Gattin. Sie also war es, die neben Telemachos ging und ihm mit der Fackel leuchtete, denn von allen Slavinnen liebte sie ihn am meisten. Sie hatte ihn schon versorgt, als er noch ein Säugling war.

Kapitel 2: Ratsversammlung auf Ithaka – Telemachos’ Abreise

Als in der Frühe die Göttin Eos die Morgenröte heraufschickte, verließ der Sohn des Odysseus sein Bett, kleidete sich an und hängte sein Schwert um die Schultern. Um die Füße band er seine exklusiven Sandalen, schön wie ein Gott trat er vor das Haus. Sofort gab er den Herolden mit den lauten Stimmen den Auftrag, von überall her die Achaier, die stolz ihr Haar lang trugen, zur Ratsversammlung zusammenzurufen. Also riefen die einen, und die andern liefen. Nachdem sich alle eingefunden hatten und kein einziger mehr fehlte, betrat auch er den Marktplatz, in der Hand die eherne Lanze und flankiert von zwei flinken Hunden. Athene ließ ihn glänzen mit himmlischem Charme. Alle staunten, dass er plötzlich so gut aussah. Die Ältesten machten ihm Platz, und er setzte sich auf den Sitz seines Vaters.

     Doch als erster nahm der Held Aigyptios das Wort, der vom Alter gebeugt, doch umso reicher an Erfahrung war. Einer seiner Söhne war einst mit dem göttergleichen Odysseus auf den großen Schiffen ins ferne Ilion losgezogen, wo Pferde gut gedeihen. Er hieß Antiphos, war als guter Speerwerfer bekannt und sollte in der Höhle des unkultivierten Kyklopen den Tod finden, am letzten Abend wurde er vertilgt. Noch drei weitere Söhne hatte der Alte. Der eine, Eurynomos, gehörte zur Gruppe der Freier, die zwei anderen arbeiteten auf seinen Landgütern. Trotzdem klagte und trauerte er immerfort, er konnte den einen Verlorenen nicht vergessen. Er begann vor der Versammlung:

     "Hört, Männer von Ithaka, was ich euch zu sagen habe. Seit der große Odysseus mit seinen Schiffen losfuhr, hat es hier keine Rats- oder Ältestenversammlung mehr gegeben. Wer hat sie einberufen, was gibt es Wichtiges? Ruft uns einer der jüngeren Männer oder ein alter? Gibt es Gerüchte, dass das Heer zurückkehrt, und wir sollen es jetzt offiziell erfahren? Oder ist etwas faul im Volke, über das wir reden müssen? Was auch immer es sei, wer auch immer den Rat einberufen hat, er ist ein tüchtiger Mann, ein Kerl nach meinem Geschmack! Möge Zeus ihn segnen und in seinen guten Absichten unterstützen." So weit der Alte.

     Nach dieser freundlichen Einleitung hielt es den geliebten Sohn des Odysseus nicht mehr auf seinem Sitz, er trat in die Mitte, er wollte reden. Ohne zu zögern gab ihm der parlamentarische Diener und Herold Peisenor den Rednerstab in die Hände. Rhetorisch geschickt wandte sich Telemachos zuerst an den Vorredner:

     "Nun, Alter, gar nicht so weit von dir entfernt steht der Mann, der den Rat einberief. Du wirst also gleich erfahren, worum es geht. Denn ich selbst war es! Ich werde durch eine Notlage dazu gezwungen. Von Gerüchten über das Heer, das zurückkommen soll, weiß ich allerdings nichts, somit kann ich nichts offiziell bestätigen. Auch geht es nicht um das Wohl des ganzen Volkes, wenn ich hier vor dem Rat rede, sondern um eine schwierige Lage, in die ich allein geraten bin. Ich habe zwei Probleme: Erstens verlor ich meinen edlen Vater, der ja als Herrscher auch für euch so etwas wie ein Vater war. Zweitens kam es noch schlimmer, denn es sieht jetzt so aus, als würde ich zudem meinen gesamten Besitz und Hausstand verlieren. Meine Mutter wird, ob sie es will oder nicht, von einer Horde Freier belagert. Es sind das zwar alles ganz nette Menschen, Söhne der angesehensten Familien des Landes, doch weigern sie sich, den üblichen Weg der Brautwerbung über Ikarios zu gehen, den Vater Penelopeias, der meine Mutter mit dem Mann verheiraten müsste, der ihm qua Brautpreis und Sympathie am passendsten scheint. Aber nein, sie kommen Tag für Tag in unser Haus, schlachten für ihre Festgelage unsere Kühe, Schafe und fetten Ziegen, trinken unseren roten Wein, unbekümmert und in unglaublichen Mengen. Es ist niemand da wie Odysseus, der gegen diesen Skandal einschreiten könnte. Ich jedenfalls bin zu schwach dazu. Unsere Zukunft sieht düster aus, wir sind ratlos und wissen uns nicht zu helfen. Ja, wenn ich die Macht und die Mittel hätte, würde ich mich schon wehren, denn es ist nicht mehr schön, wie unser Haus verkommt.

     Die Zustände sind unerträglich und sollten auch euch beunruhigen. Schämt ihr euch denn nicht vor den Nachbarn in der ganzen Umgebung? Habt ihr keine Angst vor dem Zorn der Götter, die sich aus Wut über die Übeltaten gegen euch wenden könnten? Ich jedenfalls flehe euch an, beim Zeus im Olympos und bei der gerechten Themis, der Schirmherrin aller Versammlungen: Macht dem bösen Treiben ein Ende, Leute! Jetzt! Isoliert und völlig am Boden zerstört würde ich vor euch stehen, wenn ihr es nicht tut. Hätte mein Vater Odysseus euch freie Achaier je beleidigt oder schlecht behandelt, hättet ihr Grund, mich als Feind zu betrachten und die Freier, eure Söhne, gegen mich aufzuhetzen! Dann wäre es ehrlicher, wenn ihr alle meine Herden schlachten würdet. Und nehmt euch doch gleich meine Güter, meinen ganzen Besitz! Dann werde ich wenigstens die Genugtuung haben, als Bettler durch die Stadt laufen zu können und euch mit meinen Klagen auf Wiedergutmachung zu nerven, bis ich alles wieder zusammengebettelt habe. So wie jetzt darf es nicht weitergehen, das halte ich nicht aus!"

     Wütend warf er den Rednerstab auf den Boden, seine Augen waren voller Tränen. Alle waren betroffen, manche hatten sogar Mitleid. Schweigend saßen sie da, keiner hatte den Mut, etwas gegen Telemachos vorzubringen. Nur Antinoos sagte nach einer Weile:

     "Telemachos, du Großmaul, das geht zu weit! Du verbreitest da Vorwürfe, die uns in ein äußerst schlechtes Licht rücken. Aber wir Achaier, die wir um Penelopeia werben, sind vollkommen schuldlos. Deine liebe Mutter selbst ist verantwortlich, sie hat die Dinge geschickt und mit Berechnung so arrangiert. Es geht nun schon drei Jahre, das vierte wird auch bald voll sein, dass sie mit den Gefühlen der Achaier Schindluder treibt und uns an der Nase herumführt. Sie macht uns Hoffnungen! Zwar vertröstet sie uns, aber dann sendet sie immer wieder eindeutige Signale aus und ermuntert jeden einzelnen von uns in seiner Freierrolle. In Wirklichkeit spielt sie ihr eigenes Spiel. Zum Beispiel hat sie sich folgenden Trick ausgedacht: Sie stellte in ihrem Gemach einen Webstuhl auf und begann, ein riesiges, feines Leinentuch zu weben. Uns sagte sie: 'Ihr jungen Männer, die ihr um mich werbt, da der edle Odysseus tot ist, ich bitte euch, drängt mich nicht zur Heirat, bis ich dieses Stück fertig gewebt habe. Sonst wäre ja der ganze Faden unnütz verschwendet! Ich mache ein Leichentuch für den Helden Laertes, damit in der Stunde, da ihn das düstere Los des Todes trifft, keine achaische Frau mir nachsagen kann, der alte hochverdiente Fürst läge ohne standesgemäße Bedeckung auf dem Totenlager.' Das war ihr Argument, mit dem sie uns Gutgläubige übertölpelte. Nun webte sie tagsüber fleißig an dem riesigen Tuch, trennte es aber nachts, im Fackelschein, regelmäßig wieder auf. So führte sie die Freier hinters Licht, ganze drei Jahre lang. Doch als dann schließlich das vierte Jahr heraufzog und die Horen den Kreis der Jahreszeiten vollendet hatten, da verriet es uns eine der Dienerinnen, die Bescheid wusste, und wir ertappten die feine Frau dabei, wie sie das Laken gerade mal wieder auftrennte. Von da ab musste sie, ob sie wollte oder nicht, die Arbeit zu Ende bringen.

     Nun, Telemachos, dies ist die Antwort der Freier, dir an erster Stelle rate ich, sie ernst zu nehmen; alle anderen Achaier wissen damit auch, was der Stand der Dinge ist. Sag deiner Mutter, sie soll endlich das Haus verlassen und den Mann heiraten, den ihr Vater akzeptiert und den sie selbst mag. Wenn sie die Söhne der Achaier noch länger zum Narren halten will und allzu selbstbewusst auf die weiblichen Gaben vertraut, die Athene ihr in die Wiege gelegt hat - herrliche Handarbeiten anzufertigen, einfühlsam, sensibel und klug zu denken, aber auch hinterlistige Intrigen einzufädeln, wie wir sie noch niemals von einer Achaierin geboten bekamen, wie sie auch von den Frauen der Vorzeit nicht bekannt sind, nicht von Alkmene und Tyro oder der liebestollen Mykene, die alle bei weitem nicht so einfallsreich taktierten - kurzum, wenn sie so weitermacht, wird sie nicht gut damit fahren. Die Männer, die um sie freien, werden so lange weiter von deinem Vermögen zehren, wie sie ihr Spiel mit ihnen treibt, an dem die Götter sie anscheinend Gefallen finden ließen. Zwar gewinnt sie für sich unvergleichliches Ansehen und einen Ruf über die Landesgrenzen hinaus, doch du wirst dabei deinen ganzen Besitz los, Telemachos. Denn wir gehen erst dann auf unsere Güter zurück oder anderswohin, wenn sie einen von uns Achaiern zum Mann genommen hat."

     Der bedächtige Telemachos erwiderte: "Antinoos, ich kann doch meine Mutter, die mich zur Welt gebracht und aufgezogen hat, nicht einfach aus dem Haus jagen, zumal ich nicht weiß, wie es um meinen Vater steht. Auch wäre es sehr hart für mich, die hohe Mitgift zurückzahlen zu müssen, die fällig wäre, wenn ich sie eigenmächtig ins Haus ihres Vaters schickte. Und kommt mein Vater doch noch heim, macht er mich dafür fertig! Noch schlimmer würden die Daimonen mich strafen, falls meine Mutter mich verfluchte und beim Verlassen des Hauses die Göttin der Rache anriefe, die grausame Erinnys. Und überhaupt: Kein vernünftiger Mensch würde mein Verhalten billigen. Kurz, ich kann sie nicht aus dem Haus vertreiben, und wenn euch meine Weigerung, das zu tun, nicht passt, dann verlasst doch selbst das Haus. Geht einfach anderswo essen, wo ihr selbst bezahlen müsst. Oder ladet euch gegenseitig ein, in eure eigenen Häuser. Aber euch passt es ja viel besser in den Kram, ohne Gegenleistung einen Wehrlosen auszunutzen. Macht ihr nur weiter so, ich aber werde die ewigen Götter anrufen! Wenn dann Zeus zur Tat schreitet und mir Rache gönnt, werdet ihr keine Gelegenheit mehr bekommen, eure Schulden zu begleichen, bevor ihr zugrunde geht."

     Genau in dem Moment, als Telemachos dies sagte, ließ Zeus, der weithin schaut und alles sieht, vom Gebirge her zwei Adler herabfliegen. Majestätisch schwebten sie auf dem Wind heran, dicht beieinander, ohne einen Flügelschlag. Als sie genau über dem Markt waren, begannen sie zu kreisen, mit den Flügeln zu schlagen und unheildrohend auf die Menge herunterzublicken. Dann hackten sie mit den Schnäbeln aufeinander ein, schlugen sich gegenseitig die Fänge in die Hälse und schossen schließlich nach rechts über die Häuser und Menschen hinweg.

     Die aber sahen staunend die riesigen Vögel und fragten sich bang, was dieses Zeichen für ihre Zukunft bedeutete. Halitherses, der greise Held, Mastors Sohn, ergriff das Wort. Er war der Begabteste in der Deutung des Vogelflugs und verstand die Winke des Schicksals:

     "Ihr Ithaker, hört, was ich euch prophezeie! Besonders richte ich mich an die Gruppe der Freier. Für sie zieht Unheil herauf. Denn wahrlich, ich sage euch, nicht mehr lange wird Odysseus den Seinen fernbleiben, schon ist sein Kommen nahe. Tod und Verderben wird er den Freiern bringen! Und auch manch anderem von uns, die wir Ithaka, das aus der Ferne gut sichtbare, bewohnen, droht Unheil. Lasst uns, bevor es dazu kommt, überlegen, was wir gegen das dreiste Verhalten der Freier tun können. Eigentlich sollten sie es einsehen, denn sie selbst hätten letzten Endes den größten Vorteil davon. Ich prophezeie keineswegs einfach drauflos, sondern aus reicher Erfahrung. Schon jenem hat sich alles wortwörtlich erfüllt, wie ich es vorhergesagt hatte, dem, der mit den Argeiern nach Troja zog, dem Mann der tausend Schliche, Odysseus. Nach dem Verlust aller seiner Gefährten, nach unendlichen Leiden, so sagte ich damals, wird er, von niemandem, nicht einmal von den Seinen erkannt, im zwanzigsten Jahr in seine Heimat zurückkehren. Das alles wird sich jetzt erfüllen."

     Darauf entgegnete Eurymachos, der Sohn des Polybos: "Mach, dass du nach Hause kommst, Alter, beglücke deine Enkel mit deinen Orakeln, damit ihnen nur ja nichts Böses zustößt. Ich weiß sehr genau und ohne Hokuspokus, was wirklich ist. Im Licht der strahlenden Sonne fliegen unzählige Vögel herum, und nicht alle verkünden irgendein Schicksal. Tatsache ist, dass Odysseus in der Fremde umgekommen ist. Wenn es nach mir ginge, hättest du ruhig mit ihm zusammen den gleichen Weg nehmen können! Dann blieben uns deine dummen Orakelsprüche erspart und du könntest Telemachos nicht aufhetzen in der Erwartung, dass er dir dafür Geschenke ins Haus bringen lässt.

     Ich prophezeie dir auch etwas, und das wird sich tatsächlich erfüllen: Wenn du trotz deiner ach so langen und reichen Erfahrung den jungen Mann in seiner aufmüpfigen Haltung weiter bestärkst, dann wird er als erster darunter leiden: Er wird nämlich bei den Freiern überhaupt nichts mehr zu melden haben. Und dir selbst, Opa, werden wir deine miese Polemik derart heimzahlen, dass du dich noch schwarz ärgern wirst, wenn du die Folgen am eigenen Leib spürst.

     Telemachos fordere ich hiermit in aller Öffentlichkeit auf, seiner Mutter zu raten, aus dem Haus und zu ihrem Vater zu gehen. Dort können die Freier um sie werben und Geschenke abliefern, wie sie einer so gefragten Tochter angemessen sind. Dann erst, das ist meine Meinung, werden die Söhne der Achaier die Brautwerbung im Haus des Odysseus einstellen. Wir brauchen uns von nichts und niemand bange machen zu lassen, weder von Telemachos, macht er auch noch so viel Worte, noch von windigen Orakeln, mit denen du uns beschwatzen willst, Alter, und die dich bei uns nicht gerade beliebter machen. Solange diese Frau Heiratsabsichten hat, uns aber hinhält, werden wir Kosten verursachen. Und das wird nun mal teuer, da wir nichts zu erstatten brauchen. Wir werden weiter um diese außergewöhnliche Frau wetteifern, Tag für Tag, und bis dahin andere Weiber, die ein jeder unseres Standes leicht kriegen könnte, links liegen lassen."

     So weit Eurymachos. Telemachos dachte scharf nach und hielt ihm entgegen: "Ich will mich nicht wiederholen, Eurymachos. Weder dich noch die anderen Freier werde ich ein zweites Mal bitten, denn sowohl den Göttern als auch den Achaiern reicht es, einmal zu hören, was ich gesagt habe. Nun zu etwas ganz anderem. Ich möchte ein schnelles Schiff und zwanzig Leute, um eine Reise zu unternehmen. Ich will nach Sparta und dann ins sandige Pylos, um mich nach dem Verbleib meines verschollenen Vaters zu erkundigen. Vielleicht weiß einer der Menschen dort etwas über ihn. Oder ich bekomme von Zeus ein Zeichen, was natürlich weit verlässlicher wäre. Wenn ich herausfinde, dass mein Vater lebt und sich auf dem Weg nach Hause befindet, werde ich die beklagenswerte Situation hier noch für ein Jahr tolerieren. Erfahre ich aber, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt, dann errichte ich, sobald ich zurück bin im geliebten Land der Väter, ein Grabmal für den Verstorbenen und feiere ausgiebig die Totenriten, wie es Sitte ist. Anschließend lasse ich meine Mutter sich neu vermählen."

     Nach dieser Rede setzte er sich, und aus dem Kreis erhob sich Mentor, der treue Freund des Odysseus. Ihm hatte der Held bei seiner Abfahrt das Haus anvertraut, um das er sich, unter der Leitung des alten Laertes, kümmern sollte. Einen guten Rat hatte Mentor nun für die Versammlung parat:

     "Hört, ihr Leute von Ithaka, was meine Meinung dazu ist. Ihr habt in Zukunft keinen König mehr verdient, der aufrichtig, freundlich, gerecht oder gar mild ist. Nein, ein bösartiger Despot wäre das Richtige für euch! Keiner von euch denkt mehr an den göttlichen Odysseus und dankt ihm dafür, dass er wie ein gütiger Vater zu euch war. Den überaus virilen Freiern kann ich nicht einmal böse sein, dass sie in ihrem Ungestüm Dinge tun, die Unheil nach sich ziehen. Sie riskieren immerhin etwas, nämlich Kopf und Kragen, wenn sie des Königs Hab und Gut verprassen, in der Annahme, er käme nicht wieder. Viel schlimmer finde ich die Einstellung des übrigen Volkes: Ihr sitzt hier 'rum, schweigt euch aus, und nicht einer von euch traut sich, etwas gegen das Grüppchen der Freier zu sagen, sie zu bremsen, obwohl ihr doch in der Überzahl seid."

     Dagegen wandte sich sofort Leiokritos, der Sohn des Euenor: "Mentor, du unverschämter Wirrkopf, du wagst es, gegen uns zu hetzen und willst uns bremsen? Das dürfte schwierig werden: Wer aus der schweigenden Mehrheit würde wegen ein paar lächerlicher Mahlzeiten einen Kampf riskieren? Und käme Odysseus höchstpersönlich, der hehre Held Ithakas, und nähme sich vor, die edlen Freier, die in seinem Palast feiern und schmausen, gewaltsam aus dem Männersaal zu säbeln, es wäre ein trauriges Wiedersehen für seine Gattin. Bei dieser Übermacht erginge es ihm schlecht, er wäre auf der Stelle tot. Nein, Mentor, deine Argumente ziehen nicht. - Geht nun auseinander, Männer, ein jeder an seine Arbeit. Um unseren Kleinen hier und seine Reise werden Halitherses und Mentor sich schon kümmern, sie sind ja Freunde seines Vaters. Dabei scheint es mir viel wahrscheinlicher, dass er auf Ithaka hocken bleibt, um ja kein Gerücht zu verpassen; er wird nie losfahren."

     Nach diesen Worten löste sich die Versammlung rasch auf. Man zerstreute sich, ein jeder ging in sein Haus. Die Freier aber trafen sich wieder im Haus des göttlichen Odysseus.

     Telemachos jedoch machte sich auf den Weg zum Strand, wusch seine Hände im grauen Meerwasser und betete zu Pallas Athene: "Erhöre mich, Gottheit, die du mich gestern in meinem Haus besucht hast! Du hast mir aufgetragen, mit einem Schiff auf die dunstige See hinauszufahren, um etwas über meinen verschollenen Vater herauszufinden. Doch die Leute unterstützen meine Pläne nicht, am wenigsten natürlich die Freier, diese Mistkerle."

     Und als er so betete, da trat an seine Seite die Göttin Athene. Sie war von Mentor, was Stimme und Aussehen betraf, in nichts zu unterscheiden. Sie sprach ihm wieder Mut zu: "Bitte keine kindischen Rückfälle, Telemachos, nicht den Kopf verlieren! Und ab jetzt keine schlechte Laune mehr! In dir steckt doch der Mut und der Elan deines Vaters, der tat, was er sagte und zu Ende brachte, was er begann. Genauso wirst du deine Pläne mit Erfolg durchführen. Bist du aber nicht sein und Penelopeias Sohn, dann allerdings fürchte auch ich, dass du nicht schaffst, was du dir vorgenommen hast. Wenige Söhne erreichen ja das Niveau ihrer Väter, die meisten bleiben darunter, nur seltene Ausnahmen übertreffen es. Da du aber nie wieder schlaff und missmutig sein wirst, und auch die vorausplanende Intelligenz und Gerissenheit deines Vaters in dir steckt, besteht durchaus Hoffnung! Du wirst schon schaffen, was du dir vorgenommen hast. Kümmere dich nicht darum, was die Freier denken und sagen: Ihr Rechtsbewusstsein ist so unterentwickelt wie ihr Verstand. Sie ahnen nicht einmal, dass der Tod und die schwarze Unheilsgöttin auf sie warten, ja dass der Tag ihres Endes schon feststeht.

     Du wirst in Kürze auf dem Weg sein, wie du es geplant hast. Als Freund deines Vaters bin ich auch dein Freund; ich werde dir ein schnelles Schiff besorgen und dich begleiten. Aber nun geh nach Hause und mische dich ganz normal unter die Freier. Beschaffe Reiseproviant und verpacke alles gut: Wein in Amphoren, Gerstenmehl, das Mark der Männer, in dichte Ledersäcke. Ich werde im Volk Gefährten suchen, die mitfahren. Schiffe, alte wie neue, gibt es ja auf Ithaka, das vom Meer umspült wird, jede Menge. Ich suche das beste aus, wir laden ein, was wir brauchen, und ab geht's auf die weite See." So motivierte ihn die Tochter des Zeus aufs Neue, die feurige Athene.

     Telemachos hielt sich nicht lange auf und ging, nachdem die Göttin gesprochen hatte, zurück in den Palast. Mit Unmut sah er, wie die arroganten Freier im Hof seinen Ziegen das Fell über die Ohren zogen und seinen gutgemästeten Sauen die Borsten sengten.

     Lachend kam ihm Antinoos entgegen, nahm seine Hand - ohne sie wieder loszulassen - und sagte: "Na, Telemachos, du großer Redner, du bist rhetorisch ja wirklich unschlagbar! Aber jetzt vergiss mal Streit und Feindschaft, Schwamm drüber. Komm, iss und trink mit uns wie in alten Zeiten. Die Achaier werden dir schon geben, was du willst, ein tolles Schiff und eine erstklassige Mannschaft, bestimmt! Dann kannst du ins sandige Pylos sausen und dich dort nach deinem werten Vater erkundigen."

     Telemachos antwortete überlegt: "Nein, Antinoos, danke. Ich kann mein Essen in eurer doch etwas lauten Gesellschaft nicht in Ruhe genießen. Euch reicht es anscheinend noch nicht, dass ihr mein Erbe, die Basis meines zukünftigen Wohlstands, angegriffen habt, als ich noch ein Kind war. Nun aber bin ich erwachsen, höre, wie andere Leute die Dinge einschätzen, denke mir selbst meinen Teil und lerne meine eigenen Kräfte kennen. Für die nächste Zeit habe ich kein anderes Ziel, als euch die üblen Todesdaimonen auf den Hals zu hetzen, egal ob von Pylos oder von hier aus. Ich werde fahren und die Reise wird etwas bringen! Selbst wenn ich nur als Passagier irgendwo mitreise. Denn ich glaube nicht, dass ich ein eigenes Schiff samt Mannschaft bekommen werde. Ihr habt mich ja dabei auch nicht gerade unterstützt." Mit diesen Worten entzog er dem Antinoos seine Hand.

     Die anderen Freier, die im Haus mit den Essensvorbereitungen beschäftigt waren, begannen ihn zu reizen und zu verspotten. Einer der jungen Kerle rief zum Beispiel: "Ach du meine Güte, Telemachos grübelt schon wieder! Er will uns an den Kragen, wie tödlich! Er gibt sich wirklich Mühe! Nun holt er sich auch noch Verstärkung aus dem sandigen Pylos oder sogar aus dem knallharten Sparta. Vielleicht fährt er sogar bis ins fruchtbare Ephyra, wo auf fetter Scholle giftige Kräuter gedeihen, die er uns dann in die Weinkrüge schüttet. Dann sind wir endgültig hin!"

     Und unter dem Gelächter der aufgekratzten Freier bemerkte ein anderer: "Oje, wer weiß, unter Umständen geht er mit seinem Schiff irgendwo verloren oder gar unter, fern den lieben Seinen, genau wie Odysseus. Das wäre aber hart! Wir hätten noch mehr Mühe und Arbeit als bisher: Seinen gesamten Besitz müssten wir dann unter uns verteilen! Das Haus zum Glück nicht, das bliebe ja seiner Mutter erhalten und ihrem zukünftigen Gatten." So scherzten sie miteinander.

     Telemachos aber ging in den Keller, der sehr groß war und eine gewölbte, hohe Decke hatte. Dort lagerten haufenweise Gold und Erz, Truhen voller Gewänder, Gefäße voll duftender Öle und fässerweise alter, wohlschmeckender Wein; ein göttliches Gesöff, rein und ohne streckende Zusätze. Reihenweise ruhten die Fässer da, hinten an der Wand, und warteten darauf, Odysseus zu trösten, wenn er nach unendlichen Durststrecken wieder heimkehrte. Davor aber stand ein aus soliden Brettern gebauter Verschlag mit abschließbarer Doppeltür. Den einzigen Schlüssel hatte die mit allen Wassern gewaschene Haushälterin, die Tag und Nacht über die Vorräte wachte: Eurykleia, die Tochter des Ops, der wiederum von Peisenor abstammte.

     Telemachos rief sie herbei und sagte zu der Alten: "Mütterchen, füll mir Wein in Krüge mit zwei Henkeln; eine gute, süffige Qualität bitte, die beinahe an den Göttertrunk heranreicht, den du in deiner Weisheit für den Unglücklichen zurückbehältst, falls er den Keren, den Botinnen des Todes und der Nacht, von der Schippe springt und doch noch heim kommt, dieser Geniestreich der Götter, mein Vater Odysseus. Mach ein dutzend Amphoren voll, verschließe sie mit Deckeln, und füll mir auch noch Gerstenmehl ab, zwanzig Maß, feingemahlen in der Schrotmühle; aber in Säcke bitte, deren Nähte dichthalten. Keiner außer dir darf davon wissen! Wenn du alles beisammen hast, komme ich es holen, abends, nachdem meine Mutter auf ihr Zimmer gegangen ist, um sich schlafen zu legen. Denn ich fahre nach Sparta und ins sandige Pylos, um mich umzuhören, ob jemand etwas über die Rückkehr meines lieben Vaters weiß."

     Entsetzt schrie Eurykleia auf, seine treusorgende Amme, und unter Jammerklagen sprudelten die Worte aus ihr: "Was hast du dir bloß in den Kopf gesetzt, mein Kindchen! Du, unser einziger, unser Liebling? Was willst du da draußen in der weiten Welt? Wir haben doch schon Odysseus in der Fremde verloren. Und sobald du weg bist, hat man hier Gelegenheit, böse Komplotte, sogar Mordpläne gegen dich auszuhecken. Sie werden restlos alles, was dir gehört, unter sich aufteilen. Ach, bleib doch hier bei den Deinen! Was bringt es denn, auf den wilden Weltmeeren herumzuirren und üble Erfahrungen zu machen." Ihr hielt der bedächtige Telemachos, der sich alles gut überlegt hatte, entgegen: "Nur Mut, Mütterchen, es wird schon werden! Mein Entschluss kam nicht ohne göttlichen Zuspruch zustande. Aber schwöre mir, dass du meiner lieben Mutter nichts sagst, zumindest die nächsten elf, zwölf Tage nicht. Gut, wenn sie mich arg vermisst oder eh von anderen hört, dass ich abgereist bin, dann tröste sie. Sonst verderben ihr die Tränen noch den makellosen Teint."

     Und die Alte schwor bei den Göttern den heiligen Eid. Nachdem sie geschworen und den Schwur mit der korrekten Formel abgeschlossen hatte, goss sie sofort Wein in Krüge mit zwei Henkeln und füllte Gerstenmehl in Säcke, deren Nähte dicht hielten. Telemachos ging wieder in den Männersaal, wo die Freier zusammensaßen.

     Da ersann Athene, die Göttin mit den strahlenden Augen, wieder etwas Neues: Sie nahm die Gestalt des Telemachos an und lief, von ihm äußerlich durch nichts zu unterscheiden, kreuz und quer durch die Stadt, sprach mit verschiedenen Männern und bat sie, sich gegen Abend im Hafen zu versammeln. Um das Schiff bat sie den gut beleumdeten Noëmon, den Sohn des Phronios, der es bereitwillig auslieh.

     Die Sonne war untergegangen, dunkel lagen Straßen und Wege, als sie das Schiff ins Wasser zog, all die Gerätschaften an Bord brachte, die ein gutes Ruderschiff mit Oberdeck nun einmal braucht, und es am Ende des Hafens vertäute, wo die braven Gefährten schon gut gelaunt versammelt waren. Denn die Göttin war einfach mitreißend. Und noch einen Einfall hatte Athene mit den strahlenden Augen: Sie ging zum Haus des Odysseus und goss hypnotisch Müdigkeit aus über die Freier. Die ohnehin schon Angetrunkenen machte sie volltrunken und derart orientierungslos, dass ihnen die Becher aus den Händen glitten. Das starke Schlummerbedürfnis zwang alle, den Palast zu verlassen und heim in ihre Betten zu taumeln. Sie hätten sich auch gar nicht mehr auf ihren Stühlen halten können, so schwer hatte sich der bleierne Schlummer auf ihre Augen gelegt. Telemachos aber holte Athene noch vorher aus dem wohnlichen Saal, und von Mentor war sie nicht zu unterscheiden für den, der sie sah und ihre Stimme hörte.

     "Komm, Telemachos, die Gefährten sitzen bereits in ihren schönsten Rüstungen an den Rudern und warten auf dich. Beeilen wir uns, damit sich die Abfahrt nicht weiter verzögert."

     Nach diesen Worten ging Pallas Athene schnellen Schritts voraus, und Telemachos folgte ihr auf dem Fuße. Als sie unten am Meer und beim Schiff angelangt waren, trafen sie am Strand auf die Gefährten, die stolz ihr Haar lang trugen. Mit einmal verdammt energisch sagte Telemachos:

     "Los, Freunde, jetzt holen wir den Reiseproviant. Alles liegt schon im Palast bereit. Meine Mutter weiß von nichts, auch die Dienerinnen haben nichts gemerkt, nur eine einzige weiß Bescheid."

Kapitel 3: Telemachos bei Nestor

Helios stieg aus dem wunderschönen Meere, seinem nächtlichen Hafen, in den stahlblauen Himmel empor, den Unsterblichen zu scheinen, wie auch die Menschen auf fruchtbarer Erde zu wärmen, als die Reisenden Pylos erreichten, die gut befestigte Stadt des Königs Neleus. Die Pylier waren gerade dabei, am Meeresstrand schwarze Stiere zu opfern für den dunkel gelockten Poseidon, der die Elemente beherrscht. In neun Reihen saßen sie, in jeder Reihe fünfhundert Menschen, und jede Gruppe hatte neun Stiere aufgeboten. Eben verspeisten sie die Innereien, die Schenkel hatte man dem Gott zu Ehren verbrannt, als das Schiff aus Ithaka mit eingeholtem Segel heranglitt. Die Besatzung machte es fest und ging an Land. Als Telemachos hinter Athene von Bord ging, sagte die Göttin mit den strahlenden Augen zu ihm:

     "Jetzt bloß nicht schüchtern sein, Telemachos! Du bist den weiten Weg über das Meer gekommen um herauszufinden, ob dein Vater unter der Erde liegt, und welches Schicksal ihn dahin brachte. Du suchst am besten sofort den Pferde- und Streitwagenexperten Nestor auf. Mal sehen, ob er etwas weiß, das auch wir wissen sollten. Du musst ihn aber schon selbst bitten, dir Auskunft zu geben. Anlügen wird er dich nicht, dazu ist er zu klug."

     Darauf erwiderte zögerlich Telemachos: "Mentor, was soll ich bloß sagen, wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Ich habe doch überhaupt keine Erfahrung in Konversation. Ich bin extrem schüchtern, wenn ich als junger Mann einen älteren ausfragen soll."

     Darauf sagte mit leuchtenden Augen Athene: "Telemachos, du musst dir nicht immer so viel Gedanken machen! Fang einfach an zu reden, die Götter werden dir schon weiterhelfen. Du bist doch auch, denke ich, nicht gegen den Willen der Unsterblichen geboren und groß geworden!"

     Nach dieser Äußerung ging Pallas Athene schnellen Schritts voran, und Telemachos folgte ihr auf dem Fuße. Sie kamen zu dem Platz, wo die Männer von Pylos regelmäßig zusammentrafen. Dort saß Nestor mit seinen Söhnen, umgeben von seinen Männern. Sie bereiteten das Mahl vor, steckten das Fleisch auf die Spieße und brieten es. Als man die Fremden erblickte, gingen alle auf sie zu, begrüßten sie herzlich mit Handschlag und forderten sie auf, sich zu setzen. Nestors Sohn Peisistratos kümmerte sich besonders herzlich um die Ankömmlinge, nahm Telemachos bei der Hand und führte ihn zu der Stelle am Strand, wo alle auf weichen Fellen lagerten. Dort saßen schon Thrasymedes, einer seiner Brüder, und König Nestor. Peisistratos bot gebratene Innereien an, goss die goldenen Becher voll Wein und sprach nach dem Willkommen Pallas Athene, die Tochter des Zeus, als Erste an:

     "Nun bete, Fremder, zum Herrscher Poseidon! Ihr seid mitten in das Opfer geplatzt, das wir gerade für ihn feiern. Wenn du gebetet und vom Wein geopfert hast, wie es sich nach Sitte und Brauch gehört, dann gib den Becher weiter an deinen Freund. Auch er wird ja wohl den Unsterblichen seinen Dank abstatten wollen, denn kein Mensch kommt ohne die Götter aus; davon gehe jedenfalls ich aus. Er ist noch jung, etwa in meinem Alter, daher bekommst du den Becher zuerst." Damit gab er Athene den Becher voll köstlichen Weins in die Hände.

     Sie war hocherfreut über die Wohlerzogenheit des jungen Mannes, der ihr als Erster den goldenen Becher gereicht hatte. Und so sprach sie aus dem Stegreif ein nicht ganz ehrlich gemeintes Gebet zum Herrscher Poseidon: "Höre, Poseidon, der du die Elemente beherrschst. Sei uns nicht böse, wenn wir dich bitten, dass vollendet werde, was wir vorhaben. Zuallererst aber gönne Nestor und seinen Söhnen Glück und Erfolg! Belohne auch die anderen Bewohner von Pylos reichlich für ihr herrliches Festopfer. Telemachos und mir aber gib eine glückliche Heimkehr, wenn wir erreicht haben, wozu wir mit unserem schnellen geteerten Schiff hergereist sind."